karriereführer recht 2.2023 – Innovationen von innen: Die Kraft der Intrapreneure

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Cover karriereführer recht 2-2023

Innovationen von innen: Die Kraft der Intrapreneure

Der Rechtsmarkt gilt tendenziell als konservativ und eher weniger flexibel. Doch die gesellschaftlichen Veränderungen, die Digitalisierung und der Wunsch nach Innovationen von Seiten der jungen Jurist*innen verändern die Kanzleiwelt nachhaltig. Einsteiger*innen wünschen sich, dass ihr zukünftiger Arbeitgeber gesellschaftliche, soziale und ökologische Verantwortung übernimmt. Sie sind aber auch selbst bereit, Verantwortung zu übernehmen – von Anfang an. Denn sie möchten die Arbeitswelt mitgestalten. Viele Kanzleien haben erkannt, dass sie sich diesen Wünschen öffnen und flexibler werden müssen. Wie es gelingen kann, gemeinsam die Kanzleiwelt in die Zukunft zu führen, zeigen wir unter anderem in unserem Titelthema.

Kuratiert

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Jura-Studentinnen und Studenten stehen unter enormem Stress

Die Initiative iur.reform hat eine umfangreiche Studie rund um die Juristenausbildung vorgelegt. Die zentrale Erkenntnis: Die Studierenden empfinden einen großen Druck, im Examen zu scheitern und gegebenenfalls nach vielen Studienjahren vor dem existenziellen Nichts zu stehen. Daraus leitet sich ein extremes Stressempfinden ab, was offensichtlich interessierte junge Menschen von dem Studium und einem juristischen Beruf abhält oder sie zur Aufgabe des Studiums bringt. Die Initiative fordert, dass sich die Hochschulen und alle anderen Institutionen, die an der Ausbildung beteiligt sind, dieser Ängste annehmen sollten. Neben Reformideen brauche es Anlaufstellen für Studierende, die sich psychisch und physisch überfordert fühlen. Außerdem sollten Angebote darauf ausgerichtet werden, wie man Strategien entwickeln kann, mit Stress und Prüfungsängsten umzugehen. Dies sei auch für die spätere Berufsausübung von Bedeutung und wichtig.

Rückgang der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten

Welche Gründe führen dazu, dass die Zahl der Neuzugänge bei Zivilgerichten seit fast zwei Jahrzehnten rückläufig ist? Das hat im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz ein Forschungskonsortium unter Führung der InterVal GmbH und unter Beteiligung von Prof. Dr. Caroline Meller- Hannich und Prof. Dr. Armin Höland (beide Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) sowie der früheren Präsidentin des Kammergerichts Monika Nöhre untersucht. Einige Ergebnisse: Das Interesse an vorbeugenden und konsensualen Konfliktlösungen ist ebenso gestiegen wie die Nutzung der Angebote von Dienstleistern wie Legal Tech-Anbietern. Anwälte raten häufiger als früher von einem gerichtlichen Vorgehen ab, Rechtsschutzversicherungen schränken ihre Deckungszusagen ein.

Ökozentrisches Recht: Ein globaler Trend zum Schutz der Natur

Kann man Meere, Flüsse und Wälder besser schützen, indem man sie als Rechtssubjekte anerkennt und ihnen damit eigene Rechte zuspricht? Die Idee, der Natur den Rechtsstatus einer Person zu verleihen, ist nicht neu. Bereits 1972 hat der Jurist Christopher Stone in seinem Buch „Should Trees have Standing“ diesen Gedanken zum ersten Mal formuliert und juristisch begründet. 2008 hat Ecuador als erster Staat Rechte der Natur in die Verfassung aufgenommen. Seitdem wird diese Idee immer populärer und lokale Initiativen, soziale Bewegungen, nichtstaatliche Organisationen und Gerichte berufen sich weltweit darauf. Aber wie wirksam sind diese ökozentrischen Rechte tatsächlich? Mit dieser Frage beschäftigt sich jetzt ein Projekt am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung (MPI).

Innovationen von innen

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Verglichen mit anderen Branchen ist der Rechtsmarkt starr und wird von Konventionen geprägt. Jedoch verlangen digitale Techniken und der Anspruch der jungen Generation auch in den Kanzleien nach Innovationen. Entwickelt werden können diese von innen heraus – mit Hilfe von Intrapreneuren, die in der Organisation so arbeiten, als führten sie ein eigenes Unternehmen. Kanzleien sollten internen Unternehmergeist fördern – und seine ungewöhnlichen Wege aushalten. Ein Essay von André Boße

Man tut dem Rechtsmarkt nicht unrecht, wenn man ihn im Vergleich zu anderen Branchen als verhältnismäßig konservativ charakterisiert. Das liegt einerseits an der Arbeit selbst: Juristische Exzellenz ist ein Attribut, bei dem es auch darum geht, das Vertrauen der Mandant*innen zu gewinnen. Wer hier zu progressiv unterwegs ist, könnte für Verwirrung sorgen. Zu tun hat das auch mit der Struktur vieler Kanzleien. Sie beruhen auf dem Modell der Partnerschaften, müssen ohne Risikokapital oder Investoren auskommen – eine Tatsache, die mutiges Denken zumindest nicht fördert (siehe dazu auch das Top-Interview in dieser Ausgabe).

Digitalisierung verlangt nach Innovationen

Also, alles beim Alten belassen? Auch das ist nicht mehr möglich. Die Digitalisierung verändert die Arbeit in den Sozietäten. „Kanzleien und Rechtsabteilungen müssen sich digital transformieren und ihre Geschäftsmodelle überdenken“, schreibt Clara Raschewski, Head of Innovation and Legal Tech in der Wirtschaftskanzlei SKW Schwarz, in einem Meinungsbeitrag auf dem Portal legal-tech.de. Ihre These: Durch die Entstehung neuer Technologien verändern sich Arbeitsweisen und die Art und Weise der Kommunikation: „Damit die digitale Transformation in der Rechtswelt gelingt und die Wettbewerbsfähigkeit bestehen bleibt, braucht es Innovation.“
Wer sich nicht mit disruptiven Technologien auseinandersetzt und sich nicht den Ansprüchen der Mandant*innen stellt, befindet sich früher oder später auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. — Clara Raschewski, SKW Schwarz
Wo aber sollen diese Innovationen entwickelt werden, in einem Markt, der anders funktioniert als andere Branchen? Clara Raschewski bringt in ihrem Beitrag das Problem auf den Punkt, wenn sie schreibt, dass es für Innovation in Kanzleien ein Mindset geben müsse, das „Offenheit, Zusammenarbeit und Experimentierfreude fördert und Mitarbeitende ermutigt, neue Ideen einzubringen und umzusetzen“. Genau hier erkenne sie aber das Problem: „Die Veränderung der Gesellschaft und explizit der Tech-Welt vollzieht sich sehr schnell, und somit prallt Technologie auf eine konventionelle, starre juristische Welt.“ Wobei die Autorin auch klarstellt, dass ein Festhalten an den Konventionen keine Option darstelle: „Wer sich nicht mit disruptiven Technologien auseinandersetzt und sich nicht den Ansprüchen der Mandant*innen stellt, befindet sich früher oder später auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit.“

Nachwuchs will sich früh einbringen

Ein neues Mindset muss also her. Gemeint ist eine Kanzleikultur, die die Eigeninitiative der Mitarbeitenden fördert – und zwar explizit mit Blick auf die junge Generation. Diese bringt nicht nur den Vorteil mit, die digitale Technik schon von Kindesbeinen an zu kennen, sie stellt auch den Anspruch, sich in den Kanzleien von Beginn an einbringen zu wollen, von Beginn an nach dem Motto: mittendrin statt nur dabei. Ein Blick nach Düsseldorf, wo die international tätige Wirtschaftskanzlei Herbert Smith Freehills neben Frankfurt einen Standort hat.

Intrapreneurship in der juristischen Ausbildung

Die befragten Kanzleien stellen klar, dass sich die Ausbildung an den Universitäten überwiegend an juristischen Inhalten orientiert. „Aus unserer Sicht könnte der Unternehmergeist im Rahmen der akademischen Ausbildung durch einen stärkeren Praxisbezug im Studium gefördert werden“, sagt Dr. Christoph Nawroth, Partner bei Herbert Smith Freehills am Standort Düsseldorf. Bis dato bleibe leider „kaum Raum für die frühzeitige Entwicklung unterstützender sozialer und/oder unternehmerischer Kompetenzen“, sagt Dr. Jörg Schneider-Brodtmann, Partner bei Menold Bezler in Stuttgart. Für ihn kommen die „Soft Skills“ – „etwa Gesprächs- und Verhandlungstechniken, aber auch Grundlagen der Unternehmensführung“ – deutlich zu kurz: „Wünschenswert wäre, dass in Zukunft ein Paradigmenwechsel erfolgt und solche Inhalte bereits in die universitäre Ausbildung integriert werden, etwa durch die gezielte Einbindung erfahrener Praktiker in die Curricula.“
Dr. Christoph Nawroth ist dort Corporate Partner, spezialisiert auf alle Aspekte des M&A- und Gesellschaftsrechts. Auf die Frage, wie hoch er bei den Nachwuchskräften den Stellenwert einschätzt, sich von Beginn an einbringen zu können, sagt er: „Wir stellen sehr häufig fest, dass sich junge Anwältinnen und Anwälte aktiv nach diesen Einbringungsmöglichkeiten erkundigen, weil sie eben mehr als nur ‚juristische Sachbearbeiter‘ sein wollen.“ Die Innovationskraft der jungen Generation kann die Kanzlei mit ihrem Fokus auf Wachstum und Innovation gut gebrauchen. Nawroth sagt: „Es ist wesentlicher Teil unserer Unternehmenskultur, dass jeder Partner – einzeln oder gemeinsam mit anderen Partnern – Geschäft generiert und hierbei die Entwicklungen des Marktes im Auge behält. Dabei sind wir ständig darauf bedacht, innovative Lösungen für die Anliegen unserer Mandanten zu finden.“

Auch mal ins Risiko gehen

Um diese Lösungen zu entwickeln und umzusetzen, benötigen die Kanzleien Mitarbeitende, die den Mut und die Offenheit mitbringen, gedanklich auch mal ins Risiko zu gehen. Mitarbeitende also, die so denken, wie es Gründer von Startups tun, die Chancen sehen und Märkte erobern. „Unternehmerisches Denken ist für Anwälte wichtig, weil sich unser Beruf eben nicht in der Rechtsberatung erschöpft, sondern zunehmend auch eine unternehmerische Dimension gewinnt“, bekräftigt Dr. Jörg Schneider-Brodtmann, Partner bei Menold Bezler in Stuttgart mit über 120 Berufsträgern. Neue Mandate am Markt zu gewinnen, erfordere unternehmerisches Denken und Handeln. Ergänzend müsse das eigene, interne „Anwaltsunternehmen“ weiterentwickelt werden. Das wiederum funktioniert nur, wenn für dieses „Anwaltsunternehmen“ Menschen tätig sind, die innerhalb der Kanzlei unternehmerisch denken und handeln. Die Rede ist hier von Intrapreneuren – von Akteur*innen, die intern so handeln, als würden sie extern ihr eigenes Unternehmen weiterentwickeln.

Apple machte es vor: Intrapreneurship führt zu Erfolg

Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte hat in seinem White-Paper „Fünf Erkenntnisse zu Intrapreneurship“ eine „Anleitung zur Innovationsbeschleunigung“ veröffentlicht. Dafür haben die Verantwortlichen Innovationsprozesse in Organisationen analysiert und bewertet. Die Schlussfolgerungen der Studie bieten Kanzleien wertvolle Erkenntnisse darüber, worauf es ankommt, um das Intrapreneurship zu stärken. So habe sich laut White-Paper gezeigt, dass erfolgreiches Intrapreneurship einen Bottom-up-Ansatz beschreibe, mit dem Ziel, „radikale Innovationen intern zu entwickeln“.

Fünf Erkenntnisse zu Intrapreneurship

Das White-Paper von Deloitte Digital enthält eine Reihe von Experteninterviews mit erfolgreichen Intrapreneuren und Innovations-Managern unterschiedlicher Konzerne, anhand derer Potenziale und Herausforderungen von Intrapreneurship analysiert wurden. Hieraus resultieren fünf Erkenntnisse, die verdeutlichen, wie der Intrapreneurship- Gedanke in der Organisation verankert werden kann. Das White-Paper steht zum Download auf der Website von Deloitte.
Das Konzept beschreibt dabei keinen Prozess, für dessen Ablauf es ein Handbuch gibt oder der in einer bestimmten Abteilung stattfindet. Worauf es laut Deloitte- Studie stattdessen ankomme, seien „kreative Individuen, die neue Ideen entwickeln“ und die Organisation als „Ganzes vorwärts bringen wollen“. Damit dies gelingt, gehen Intrapreneure unter Umständen bewusst „an den Rand einer Organisation“, schreiben die Autor*innen – mit dem Ziel, dort „bestehende Produkte, Services und Technologien zu erweitern und so die Diversifikation zu erhöhen, neue Firmenpotenziale [zu] entwickeln und Disruption [zu] fördern.“ Die Autor*innen des Deloitte-Reports erinnern an ein Zitat von Apple-Co-Gründer Steve Jobs, der sich Anfang der 80er-Jahre mit einer Gruppe von 20 Mitarbeitern des Unternehmens Apple von der Organisation abspaltete, um autark vom Unternehmen den Macintosh Computer zu entwickeln – die entscheidende Innovation, die Apple später zum großen Player machte. Diese Jobs-Group handelte damals frei und abgekoppelt; Jobs sagte 1985 in einem Interview mit dem US-Magazin Newsweek: „Das Macintosh-Team war das, was man gemeinhin als Intrapreneurship bezeichnet (…) eine Gruppe von Leuten, die mehr oder weniger zurück in eine Garage gingen, allerdings innerhalb eines großen Unternehmens.“

„Garage“ in Kanzleien: Fachteams mit Mandantenkontakt

Nun gibt es in einer Kanzlei keinen Raum mit der Anmutung einer „Garage“. Einen Platz für unternehmerisches Denken existiere aber auch dort, sagt Dr. Jörg Schneider-Brodtmann von Menold Bezler: „Unternehmergeist fördert man am besten dezentral in den Fachteams, unmittelbar in der Mandatsarbeit.“ Ansatz der Kanzlei sei es deshalb, dem Nachwuchs möglichst frühzeitig spannende Aufgaben zur selbstständigen Erledigung im direkten Austausch mit dem Mandanten zu überlassen. „Die Chance, dass sie für sich Unternehmergeist entwickeln, ist dann deutlich größer, als wenn sie nur im Backoffice an Gutachten oder Schriftsätzen mitwirken.“ Was Intrapreneure auszeichne, sei laut Deloitte-White- Paper eine Kombination aus starker Business-Fokussierung und der Fähigkeit, Netzwerke aufzubauen – „was sie dazu befähigt, ihre Idee aktiv im Unternehmen zu festigen“. Wollen also große Kanzleien das Intrapreneurship innerhalb der Organisation fördern, kommt es darauf an, diese Vernetzung zu unterstützen. Die Wirtschaftskanzlei Herbert Smith Freehills versteht sich als „global vernetzte und international agierende Kanzlei“, sagt Partner Dr. Christoph Nawroth. Diese Tatsache erfordere ein „International Mindset“, das von der Kanzlei gefördert werde durch die Möglichkeit für den Nachwuchs, „sich ein internationales Netzwerk aufzubauen und es ständig zu erweitern“. Damit sich dieses Netzwerk fest in der Kanzleikultur verankern kann, bindet auch diese Kanzlei ihren Nachwuchs „eng in die typischerweise internationale Mandatsarbeit mit ein“. Früh Verantwortung zu tragen, damit aber „nicht auf sich allein gestellt“ zu sein, „sondern von einem Mentor begleitet“ zu werden – das ist für Dr. Christoph Nawroth der Weg, Eigeninitiative und unternehmerisches Denken zu fördern.

Dem inneren Unternehmergeist vertrauen

Intrapreneure kennen die Regeln und umgehen sie wirksam. (…) Um ihre Idee durchzusetzen, machen Intrapreneure nicht an den Grenzen der Organisation halt, sondern legen Regeln flexibel aus, die sie davon abhalten könnten, ihre Ziele zu erreichen.
An zentraler Stelle ihres White-Papers nennen die Autor*innen von Deloitte zwei einprägsame Merksätze. Erstens, „Intrapreneure kann man nicht erschaffen – man muss sie erkennen“. Für die Kanzleien kommt es damit darauf an, Methoden zu entwickeln, um das vorhandene Intrapreneur- Potenzial zu identifizieren und zu heben – verbunden mit der Aufforderung an die Nachwuchskräfte, sich selbstbewusst zu zeigen. Merksatz zwei, „Intrapreneure kennen die Regeln und umgehen sie wirksam. (…) Um ihre Idee durchzusetzen, machen Intrapreneure nicht an den Grenzen der Organisation halt, sondern legen Regeln flexibel aus, die sie davon abhalten könnten, ihre Ziele zu erreichen.“ An dieser Stelle kommt es für Kanzleien darauf an, dem Unternehmergeist im Inneren zu vertrauen – auch dann, wenn die Intrapreneure andere Wege beschreiten. Zumal der Kompass der anwaltlichen Arbeit weiterhin eine klare Richtung vorgibt – eine Richtung, die mit dem im Einklang steht, was sich der Nachwuchs wünscht: Dr. Jörg Schneider-Brodtmann, Partner bei Menold Bezler, nennt als zentrales „Zauberwort bei der Mitarbeitergewinnung und -entwicklung“ den Begriff „Purpose“. „Dieser Purpose liegt beim Anwaltsberuf primär in der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen, um die Interessen der Mandanten bestmöglich zu fördern.“ Daneben spiele zunehmend die „Möglichkeit, das eigene Arbeitsumfeld mitzugestalten, eine wichtige Rolle“. Wie man bei Menold Bezler diesem Anspruch des Nachwuchses gerecht wird? „Wir binden unsere jungen Anwältinnen und Anwälte nicht nur möglichst frühzeitig direkt in die Mandatsarbeit ein, sondern bieten ihnen in verschiedenen Foren auch Partizipationsmöglichkeiten im Hinblick auf die stetige Fortentwicklung unserer Kanzlei“, sagt Dr. Jörg Schneider- Brodtmann. Kurz: Intrapreneurship braucht Teilhabe – Kanzleien sind gut beraten, den Unternehmergeist im Inneren zu garantieren.

Intrapreneurship – Begriffsklärung und Buchtipp

Cover IntrapreneurshipErstmals erwähnt wurde der Begriff vom „Intrapreneur“ wohl vom US-amerikanischen Unternehmer- Ehepaar Elizabeth Pinchot und Gifford Pinchot III. Im 1978 publizierten Aufsatz „Intra-Corporate Entrepreneurship“ näherten sich die beiden dem Potenzial des unternehmerischen Denkens im Inneren einer Organisation an. In einem Video-Interview mit dem Portal „innov8rs“ definiert Gifford Pinchot III: „Intrapreneure sind die Träumer, die etwas tun. Sie sehen nicht nur die Zukunft, sie unternehmen auch die praktischen Schritte, die notwendig sind, um diese Zukunft zu verwirklichen.“ Wer tiefer in das Thema einsteigen möchte: Das Buch „Intrapreneurship: Unternehmergeist, Systeme und Gestaltungsmöglichkeiten“, herausgegeben von Rafaela Kraus, Tanja Kreitenweis und Brigita Jeraj (Springer Gabler 2022) bietet einen Einblick in den Ansatz.

Legal Tech-Vernetzer Jörg Offenhausen im Interview

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Zu wenig unternehmerisches Denken, zu viel Angst vor neuer Technik, zu starre Strukturen: Jörg Offenhausen findet klare Worte, wenn es darum geht, zu erklären, warum sich der Rechtsmarkt mit technischen Innovationen schwertut. Als Geschäftsführer des German Legal Tech Hubs arbeitet er daran, das zu ändern – indem er Anwälte und Anwältinnen mit Start-ups verbindet, nach dem Motto: Problem sucht Lösung. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Jörg Offenhausen ist Geschäftsführer des German Legal Tech Hubs. Als Rechtsanwalt ist er Managing Partner der Wirtschaftskanzlei activelaw und dort auch als Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht tätig. Aus seiner Arbeit kennt Jörg Offenhausen die Innovationshemmnisse von Mittelstand, Konzernen und Kanzleien aus erster Hand. Er gründete eigene erfolgreiche Legal Start-ups und trat im Vorstand der Anwaltskammer Celle für die digitale Transformation der juristischen Arbeit ein.
Herr Offenhausen, Sie haben in einem Interview gesagt, dass es Anwälten und Anwältinnen, die mit Legal Tech nichts am Hut haben wollen, wie Videotheken ergehen wird – sprich: Die werden irgendwann verschwinden. Ja, so hart muss man es formulieren. Was machen Anwälte zum großen Teil? Sie reproduzieren immer wieder ähnliche Dinge. Und alle Dinge, die ähnlich und reproduzierbar sind – die sind anfällig für Automatisierungen. Es gibt in den Kanzleien bestimmte Bereiche, da wird es in der nächsten Zeit keine bahnbrechenden technischen Entwicklungen geben, zum Beispiel in der individuellen Rechtsberatung. Dennoch müssen sich Kanzleien jetzt mit der Automatisierung beschäftigen. Wobei ich davon ausgehe, dass viele Anwälte sehr genau wissen, dass einige Geschäftsmodelle nicht länger aufgehen werden. Welche zum Beispiel? Wenn ein Mandant anruft und sagt, er möchte gerne einen Arbeitsvertrag haben – dann füllt der Anwalt den Arbeitsvertrag aus und erstellt eine Rechnung von 500 Euro. Ich denke, insgeheim weiß man, dass es so nicht weitergehen wird, weil die Technik die Erstellung solcher Verträge wesentlich effektiver gestalten wird. Wenn man als Kanzlei da nicht mitgeht, diese Effektivität also nicht anbietet, dann wird der Markt das nicht mehr annehmen. Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz im Bereich Legal Tech? Noch hat die KI ein Grundproblem – und zwar die KI-Halluzination: Wenn die KI etwas nicht weiß, dann denkt sie sich etwas aus. Wobei das Ausgedachte so gut klingt, dass man glauben könnte, es sei richtig. Ist es aber nicht. Es kommen falsche Ergebnisse heraus, und wir als Anwälte haften für falsche Ergebnisse. Das ist natürlich eine Gefahr. Ich denke daher, dass die Diskussion über KI in Kanzleien noch weit in die Zukunft führt. In zehn, 20 Jahren werden wir anders darüber reden. Mich interessieren jedoch die technischen Entwicklungen mehr, mit denen man heute etwas machen kann. Für die es bereits Anwendungsfälle gibt. Und das ist primär bei der Verbesserung des Workflows der Fall. Wenn es um Arbeiten geht, die alle nerven, die aber trotzdem erledigt werden müssen.
Mich interessieren die technischen Entwicklungen mehr, mit denen man heute etwas machen kann. Für die es bereits Anwendungsfälle gibt.
Von welchem konkreten Anwendungsfall können Sie in naher Zukunft profitieren? Ich komme aus dem Arbeits-, Handels- und Gesellschaftsrecht. Wenn ich mich mit Mandanten treffe, dann unterhalten wir uns für rund zwei Stunden. Danach setze ich mich hin und erstelle aus meinem fachlichen Wissen heraus und aus dem, was ich im Gespräch erfahren habe, einen Vertrag. Der Vorgang dauert insgesamt vielleicht 15 Stunden – wobei die eigentliche, geistige Wertschöpfung nur in den ersten beiden Stunden stattgefunden hat. Im Mandantengespräch. Genau. Danach habe ich den Vertrag im Kopf schon fertig. Auf das „Zusammenstückeln“, das danach ansteht, hat eigentlich niemand Lust. Ich auch nicht. An dieser Stelle kann die Technik übernehmen: Ich nenne diesem System die zentralen Stellschrauben, von denen ich im Gespräch erfahren habe, und dann übernimmt die Technik die Arbeit des Zusammenstückelns. Das würde uns Zeit und Nerven sparen … … und dem Mandanten würde es Geld sparen. Ja, und den Unternehmen mit ihren Rechtsabteilungen übrigens auch. Man darf nicht vergessen: Es gibt einen Fachkräftemangel. Wenn solche Arbeiten wegfallen, können die Arbeitskräfte, die wir haben, sinnvoller eingesetzt werden. Ich denke, es sollte in diesem Bereich generell darauf ankommen, dass Juristen sich fragen: Was an meiner Arbeit macht mir eigentlich keine Freude? Hat man das definiert, welche Arbeit man gerne loswerden würde, kann man in den Austausch mit anderen gehen, um herauszufinden: Geht es denen genauso? Heißt die Antwort ja – dann gibt es einen Markt für eine Lösung, die den Anwälten diese Arbeit abnimmt.
Unsere Aufgabe ist es also, die Start-ups mit dem Bedarf zusammenzuführen – auch, damit nicht am Bedarf vorbei entwickelt wird. Denn es kommt schon auch vor, dass Entwickler eine App vorstellen, die etwas kann, was Anwälte gar nicht benötigen.
An dieser Stelle kommen die Start-ups ins Spiel, die sich darauf verstehen, Lösungen für Probleme zu entwickeln. Wobei wir unsere Aufgabe beim German Legal Tech Hub darin sehen, die genannten Akteure in Kontakt zu bringen, sprich die Anwälte, die sich eine Innovation wünschen, und die Tech-Anbieter, die diesen Wunsch erfüllen können. Unsere Aufgabe ist es also, die Start-ups mit dem Bedarf zusammenzuführen – auch, damit nicht am Bedarf vorbei entwickelt wird. Denn es kommt schon auch vor, dass Entwickler eine App vorstellen, die etwas kann, was Anwälte gar nicht benötigen. Start-ups denken progressiv. Der Rechtsmarkt, so heißt es häufig, sei eher konservativ. Stimmt das in Ihren Augen noch? Ja, man muss sagen, dass die Branche weiterhin sehr konservativ ist. Und durchaus auch innovationsfeindlich. Das liegt aber nicht an den Persönlichkeiten der Anwälte, sondern an der Struktur der Kanzleien. Es gilt in Deutschland weiterhin das Fremdbesitzverbot sowie das Verbot von Beteiligungen. Das führt dazu, dass kein Wagniskapital in die Anwaltschaft fließt. Es ist nicht möglich, dass ein Investor an den Einnahmen des Anwalts beteiligt ist; es gibt auch keine Gewinnbeteiligungen.
Ja, man muss sagen, dass die Branche weiterhin sehr konservativ ist. Und durchaus auch innovationsfeindlich. Das liegt aber nicht an den Persönlichkeiten der Anwälte, sondern an der Struktur der Kanzleien.
Angenommen, ein junger Anwalt würde sagen: „Ich möchte gerne etwas Neues auf die Beine stellen, ein neues Kanzleikonzept, mit digitaler Automatisierung, und dafür brauche ich 500.000 Euro“ – dann kann er entweder zu anderen Anwälten gehen, um dort einzusteigen, oder zu einer Bank. Dort hört er dann: „500.000 Euro, aha, was haben Sie denn als Sicherheiten?“ – „Keine.“ – „Oh, dann wird das aber schwierig.“ Und warum sind die Partner der Kanzleien nicht innovationsfreudig? Anwaltskanzleien sind in der Regel als Personengesellschaften organisiert, ähnlich einer GbR. Das bedeutet steuerlich, dass am Ende des Jahres die Gewinne den einzelnen Partnern zugerechnet werden. Will ein Partner Investitionen tätigen, dann muss das in einer großen Runde besprochen werden. Und dort trifft er unter Umständen auf andere Partner, die schon ein wenig älter sind und sagen: „In zehn Jahren, wenn sich die Innovation rechnet, bin ich gar nicht mehr dabei, warum wollen wir jetzt Geld investieren?“ Es wird also nicht unternehmerisch gedacht. Zu wenig, und um es noch einmal klarzustellen: Das liegt eher an strukturellen Problemen als an den Einstellungen der Anwälte. Das beginnt schon bei der universitären Ausbildung, die ich für nicht mehr zeitgemäß halte. Es gibt viel zu wenig betriebswirtschaftliche Inhalte. Und auch zu wenig Inhalte, die sich mit den Möglichkeiten von Legal Tech beschäftigen. Viele Anwälte wissen daher zu wenig über Betriebswirtschaft und digitale Lösungen. Und dann hören sie von allen Seiten: „Die Digitalisierung ändert alles, ihr müsst was machen!“ So entstehen Ängste, denn Angst bekommt man dann, wenn man nicht richtig prognostizieren kann, was auf einen zukommt, oder wenn man sogar eine negative Prognose für die Zukunft hat. Umso wichtiger sind Orte, an denen die Leute miteinander sprechen. Orte, an denen sich auch die junge Generation mit ihren Ideen einbringen kann und an denen man merkt: Ich bin mit meinem Problem ja gar nicht allein, also finden wir gemeinsam eine Lösung!

German Legal Tech Hub

Ob KI-basierte Vertragsgestaltung, Prozessoptimierung oder Cybersecurity: Legal Tech-Lösungen versprechen neue Effizienz auf dem Rechtsmarkt. Um die Potenziale heben zu können, benötigen die Kanzleien einen Überblick über die Lösungen, der sich durch einen Austausch mit Startups, Wissenschaft und anderen Unternehmen ergibt. Der German Legal Tech Hub hat es sich zur Aufgabe gemacht, als branchenübergreifende Plattform diese Brücken zwischen den diversen Legal Tech-Interessierten zu bauen. germanlegaltechhub.com

Ein Plädoyer für Frauen in Großkanzleien: Nehmt die Herausforderung an

Der Anteil der Juraabsolventinnen ist hoch, sie sind meist sehr gut qualifiziert und dennoch steigt der Anteil der Anwältinnen in den Großkanzleien seit Jahren nur geringfügig. Woran liegt das und wieso sollten sie das ändern? Antworten weiß Dr. Anna Schwander.

Zur Person

Dr. Anna Schwander ist Partnerin der Corporate/Capital Markets-Praxisgruppe im Münchner Büro von Kirkland & Ellis. Sie berät Mandant*innen in allen Bereichen des Kapitalmarkt- sowie des Außenwirtschaftsrechts. Das JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien listet sie 2022/2023 als häufig empfohlene Anwältin für Gesellschaftsrecht. Handelsblatt Best Lawyers zeichnet sie als Lawyer of the Year für Kapitalmarktrecht in Bayern (2023) aus.

Herausforderung Großkanzlei

Viele junge Frauen trauen sich nicht, als Anwältin in einer Großkanzlei anzufangen, gleichwohl sie bestens ausgebildet sind und aufgrund ihrer Fähigkeiten und Interessen sehr gut in eine Großkanzlei passen würden. Oft hält sie die Sorge vor der nicht möglichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf von diesem Schritt ab. Auch die hohe Arbeitsbelastung, fehlende Role Models oder das fehlende Vertrauen in die eigenen Qualifikationen kann ein Grund sein. Warum sollten sie dennoch den Schritt wagen? Die Arbeit in einer Großkanzlei ist herausfordernd, dynamisch und mit einer steilen Lernkurve verbunden. Es bringt einfach Spaß, in einem tollen Team an spannenden Mandaten zu arbeiten. Ich kann daher jeder Juristin und jedem Juristen nur raten, etwaige Chancen zu nutzen und den eigenen Fähigkeiten und Interessen nachzugehen. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es in den Großkanzleien inzwischen eine Vielzahl flexibler Modelle, um Frauen – aber auch Männer – dabei zu unterstützen, beides zu vereinen. Oder aber man geht durch eine der vielen anderen Türen, die einem nach einem Berufseinstieg in der Großkanzlei in anderen Bereichen offenstehen.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Familie und Karriere schließen sich keinesfalls aus. Es ist wichtig, der Familienplanung einen entsprechenden Stellenwert einzuräumen. Gleichwohl darf die Familienplanung die Karriereplanung nicht bereits im Keim ersticken. Man sollte nicht auf den Berufsweg verzichten, der einem Spaß macht, der einen herausfordert und die eigenen Fähigkeiten fördert. Es bedarf oft eines Spagats, um Familie und Beruf zu vereinen, es bedarf des richtigen Partners, der einen unterstützt, und einer guten Kinderbetreuung. Aber es ist auch enorm bereichernd, beides erleben und leben zu dürfen.

Tipps für Berufseinsteigerinnen

Es gibt drei Dinge, die meines Erachtens wichtig sind: Suche dir Role Models. Weltweit gibt es sehr viele tolle Frauen in Großkanzleien, die exzellente Juristinnen und Partnerinnen sind, Kinder und Familie haben – und zudem Frau geblieben sind. Diese Vorbilder fördern automatisch das gleichberechtigte Denken innerhalb und außerhalb der Kanzlei und können jungen Juristinnen die Entscheidung und das Vorankommen erleichtern. Dazu kann auch ein*e Mentor*in inner-/ außerhalb der Kanzlei beitragen. Für mich ist Role Model beispielsweise eine Partnerin unseres Büros in Chicago, die ich zu Beginn meiner Tätigkeit bei Kirkland kennenlernen durfte. Eine hervorragende Juristin, Mutter dreier Kinder, authentisch, sehr vielseitig interessiert und enorm dynamisch. Mein Mentor hingegen ist ein Mann. Er hat mich gefördert und gefordert und in den entscheidenden Gremien, die über mein Vorankommen entschieden haben, die Stimme für mich erhoben. Zudem ist es wichtig zu netzwerken. Das machen viele Frauen oft noch zu wenig. Geht raus und tauscht euch aus. Dazu kann die Teilnahme an Veranstaltungen für Frauen beitragen, die auch dazu dienen, dass junge Juristinnen sich vernetzen. Der wichtigste Tipp allerdings: Go for it – verwirkliche deine Interessen und mache das, was dir am meisten Spaß bereitet. Es ist nichts in Stein gemeißelt! Man muss sich nicht bereits in jungen Jahren einer Tätigkeit verschreiben, „nur“, weil man in fünf bis zehn Jahren Kinder bekommen möchte. Fange an, „bloom where you are planted“, und dann wirst du sehen, wie sich Karriere und Privates vereinen lassen.

Wege zur Family-Work-Balance

Damit Familie und Arbeit vereinbar sind, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Marina Arntzen, Juristin und Mutter von drei Kindern, hat die Voraussetzungen für eine Family-Work-Balance analysiert.

Zur Person

Marina Arntzen, LL.M, ist Rechtsanwältin/ Counsel bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Norton Rose Fulbright LLP. Sie ist spezialisiert auf den Fachbereich Corporate/M&A/Private Equity und berät bei nationalen und internationalen Transaktionen sowie bei gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen und dem Umgang mit Nachhaltigkeit/ESG-Kriterien. Darüber hinaus fördert sie junge Juristinnen bei der Initiative breaking.through und Startup Teens. Sie war als Erasmusstipendiatin in Maastricht und in Spanien. An der London University absolvierte sie einen Masterstudiengang (LL.M.). Marina Arntzen hält Vorträge und ist Autorin des Ratgebers „Family- Work-Balance für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte“ (Verlag C.H. Beck 2023).
Wie kann es Rechtsanwältinnen in Kanzleien gelingen, Familie und Arbeit zu vereinbaren? Das Zusammenspiel aus folgenden Voraussetzungen kann zu einem Gelingen der Vereinbarkeit beitragen: die individuelle Ebene der persönlichen Entscheidungen, dem Wissen über die eigenen Ziele und Wünsche und den gemeinsamen in der Partnerschaft einschließlich einer Finanzplanung, Selbstfürsorge und Organisation; die Ebene der Kanzleien mit einer zeitgemäßen Arbeitskultur, Flexibilität und der Möglichkeit unterschiedlicher Arbeitsmodelle; und die gesellschaftlich-politische Ebene für strukturelle Rahmenbedingungen. Wenn auf diesen drei Ebenen jeweils die Voraussetzungen und Maßnahmen stimmen, kann die Family-Work-Balance gelingen und es ist möglich, das individuell passende Modell zu finden. Welche Arbeitszeitmodelle erleichtern die Family-Work-Balance? Es kommt zunächst darauf an, welches Modell für die oder den Einzelnen in der jeweiligen Lebenssituation am besten passt. Darüber hinaus ist es auch abhängig von dem Fachbereich und dem Team, in dem man arbeitet. „One size fits it all“ gibt es nicht, aber es gibt häufig mehr mögliche Arbeitsmodelle als viele zunächst denken. Welche Chancen zu einer solchen Balance eröffnet New Work? Der Grundgedanke von New Work besteht aus selbstständigem Arbeiten, Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, Freiheit, Freiräumen für Kreativität, der Teilhabe an der Gemeinschaft und der Digitalisierung. Diese Aspekte sind unter anderem Teil von Flexibilität, die aus meiner Sicht zu einer Balance von Familie und Beruf führen kann. Darüber hinaus bieten die Digitalisierung und in diesem Zusammenhang Innovationen Chancen für eine Balance. Wie gelingt die Balance trotz langer Arbeitszeiten und Dienstreisen? Flexibilität hilft, um Zeit für beide Lebensbereiche zu finden. Nach einer Dienstreise ist es gegebenenfalls möglich, auch mal im Homeoffice zu arbeiten, was beispielsweise die Zeit für den Fahrtweg erspart, die dann wiederum mit der Familie verbracht werden kann. Darüber hinaus sind Fokus, Prioritätensetzung und eine gute Organisation essenziell, um mehr Zeit für die Familie (und für sich selbst) übrig zu haben. Wie sollten sich Absolventinnen/ Berufseinsteigerinnen bei der Vorstellung präsentieren, wenn sie ein oder mehrere Kinder haben? Selbstbewusst. Mutter oder Vater zu sein, ist eine Schlüsselkompetenz. Durch diese Erfahrung haben die meisten gelernt, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern auch für die nächsten Generationen, sind häufig empathisch, belastbar und in der Lage, unterschiedliche Dinge parallel zu managen. Diese besonderen und wertschaffenden Kompetenzen sollten Absolventinnen/ Berufseinsteigerinnen sich vor Augen führen und souverän auftreten. Absolventinnen/ Berufseinsteigerinnen sollten deutlich machen, wie wichtig ihnen ihre Karriere als Anwältin ist und dass sie daher privat alles organisiert haben, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass Flexibilität von beiden Seiten für eine Balance zwischen Beruf und Familie hilfreich ist. Sollten die Absolventinnen/Berufseinsteigerinnen selbst die Frage nach Flexibilität im Vorstellungsgespräch stellen, bietet es sich an, Business-bezogen zu argumentieren und deutlich zu machen, dass nicht geplant ist, weniger Zeiteinsatz als andere zu leisten, sondern dass es für sie wichtig ist, ihre Arbeitszeit flexibel zu gestalten.

Das Hinweisgeberschutzgesetz – das Wichtigste auf einen Blick

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Nach langem Gesetzgebungsprozess ist im Juni dieses Jahres das Hinweisgeberschutzgesetz („HinSchG“) in Kraft getreten. Welchen Zweck verfolgt das Gesetz, wie werden Whistleblower jetzt geschützt und was bedeutet das Gesetz für Unternehmen? Von Dr. Max Helleberg

Zur Person

Dr. Max Helleberg ist Rechtsanwalt bei Noerr Partner­schafts­gesell­schaft mbB und berät in diversen Bereichen des öffentlichen Wirtschaftsrechts. Er begleitet Unternehmen bei regulatorischen Fragen in Transaktionen und vertritt sie in Verwaltungs(gerichts)verfahren. Ferner berät er die öffentliche Hand bei komplexen Infrastrukturvorhaben. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der Compliance-Beratung im öffentlichen Sektor. Schließlich unterstützt er Unternehmen in Investitionskontrollverfahren.

Hintergrund: Der Gesetzeszweck

Das HinSchG verfolgt den Zweck, Hinweisgebenden die Meldung von Rechts- und Regelverstößen in Unternehmen und Behörden zu ermöglichen und ihnen dabei die Furcht vor Nachteilen zu nehmen. Mit dem Hinweisgeberschutz kommt der Gesetzgeber zugleich seiner Verpflichtung zur Umsetzung der europäischen Whistleblower- Richtlinie nach.

Der wesentliche Gesetzesinhalt

Hinweisgebende Personen im Sinne des HinSchG sind alle natürlichen Personen, die Informationen über Rechtsverstöße an nach dem Gesetz vorgesehene Meldestellen melden. Die Informationen müssen sich dabei auf den Beschäftigungsgeber oder eine andere Stelle, mit der die hinweisgebende Person beruflich in Kontakt stand, beziehen. In sachlicher Hinsicht können nur bestimmte, im Gesetz abschließend aufgezählte Rechtsverstöße gemeldet werden. Das HinSchG verpflichtet private und öffentliche Beschäftigungsgeber zur Errichtung einer internen Meldestelle. Davon ausgenommen sind nur Beschäftigungsgeber mit weniger als 50 Mitarbeitenden. Als zentrale externe Meldestelle, die ebenso wie eine interne Meldestelle angerufen werden kann, fungiert – abgesehen von einigen Ausnahmen – eine beim Bundesamt für Justiz errichtete Stelle. Einem im Vermittlungsausschuss gefundenen Kompromiss zufolge sollen sich hinweisgebende Personen allerdings bevorzugt an interne Meldestellen wenden – jedenfalls dann, wenn intern wirksam gegen Verstöße vorgegangen werden kann und keine Repressalien zu befürchten sind. Sowohl die interne als auch die externe Meldestelle ist dazu verpflichtet, geeignete Meldekanäle vorzusehen, die Stichhaltigkeit der Meldung zu prüfen und angemessene Folgemaßnahmen zu ergreifen. Folgemaßnahmen können interne Untersuchungen bei dem Beschäftigungsgeber oder aber auch die Verfahrenseinstellung aus Mangel an Beweisen sein. Anders als noch im Gesetzentwurf vorgesehen, sind Meldestellen, die anonyme Meldungen ermöglichen, nicht einzurichten. Damit hinweisgebende Personen keine Nachteile erfahren, sind gegen sie gerichtete Repressalien verboten. Zur Durchsetzung des Verbots wird vermutet, dass eine nach einer Meldung oder Offenlegung erfolgte Benachteiligung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, sofern die hinweisgebende Person dies auch selbst geltend macht, eine Repressalie ist. Ein Verstoß gegen das Verbot stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, wegen der ein Bußgeld von bis zu EUR 50.000,00 verhängt werden kann. Als weitere Rechtsfolge eines Verstoßes können Hinweisgebende eine Entschädigung in Geld für materielle sowie auch für immaterielle Schäden verlangen.

Bedeutung für die Praxis

Das HinSchG entfaltet enorme Breitenwirkung und hat zahlreiche private und öffentliche Beschäftigungsgeber unter Zugzwang gesetzt. Es wird Auswirkungen auf den künftigen Umgang mit zunächst nur unternehmensintern bekannten Compliance- Verstößen haben: Weil das Risiko unkontrollierter Informationsabflüsse unter dem Schutzschirm des HinSchG steigt, werden Unternehmen voraussichtlich stärker proaktiv aufklären und Missstände abstellen.

Barrieren abbauen

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Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und des bestehenden Fachkräftemangels ist das am 12. Mai 2023 beschlossene Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts ein wichtiges Instrument, um mehr Potenzial für den ersten Arbeitsmarkt zu erschließen. Malin Schlick beleuchtet das Thema und gibt Einblicke in das Engagement von Clifford Chance.

Zur Person

Malin Schlick, Diplom-Juristin und zertifizierter Systemischer Coach, ist seit 7,5 Jahren bei Clifford Chance tätig, davon 4,5 Jahre in ihrer derzeitigen Funktion als DEI-Manager (Diversity, Equity, Inclusion). Sie verantwortet die deutsche DEIStrategie und zahlt mit ihren Themen nicht nur auf die Unternehmenskultur, sondern auch auf die Gender- und LGBT+- Targets ein, die sich Clifford Chance global erstmalig 2020 gesetzt hat. Darüber hinaus ist sie Mitglied beim Working Moms e. V. in Düsseldorf.
Ziel des Gesetzes ist es, mehr Menschen mit Behinderung in reguläre Arbeit zu bringen, mehr Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Arbeit zu halten und zielgenauere Unterstützung für Menschen mit Schwerbehinderung zu ermöglichen. Dem steht die aktuelle Statistik der Antidiskriminierungsstelle des Bundes entgegen: Bei 8.827 Beratungsanfragen standen mit 27 % die Fälle wegen Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung an zweiter Stelle. Aus meiner Sicht ergibt sich aus den beiden Faktoren ein klarer Auftrag für Arbeitgebende.

Wichtig: Wirkungsvolles DEI-Management

Hier kommt nun ein wirkungsvolles DEI-Management ins Spiel. Es befasst sich mit den unterschiedlichsten Dimensionen, wobei das Thema Behinderung lange Zeit von den Unternehmen vernachlässigt wurde. Die Facetten von Behinderungen sind vielfältig – von Mobilitätseinschränkungen, Sinnesbehinderungen bis hin zu psychischen oder chronischen Erkrankungen, Lernbehinderungen und Neurodiversität. Allein 70 % der Behinderungen sind unsichtbar und auf den ersten Blick nicht erkennbar. Nicht jedes Unternehmen leistet sich ein eigenes DEI-Management, welches durch Awareness- Workshops und Mitarbeitenden-Netzwerke zur Aufklärung und Sensibilisierung der Mitarbeitenden erheblich beitragen kann, um Diskriminierung abzubauen.

Offene Unternehmenskultur

Neben strukturellen Veränderungen ist es essenziell, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der Menschen sich trauen, über ihre Behinderung zu sprechen, damit sie die benötigte Unterstützung beispielsweise durch technische Hilfsmittel oder eine Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsortes in Anspruch nehmen können. Gerade in einem hochkompetitiven Arbeitsumfeld, in dem Schwächen und Unzulänglichkeiten dem Leistungsgedanken diametral entgegenstehen, sind verständlicherweise die Ängste von Menschen mit Behinderungen groß, bei einem offenen Umgang diskriminiert und als nicht belastbar wahrgenommen zu werden.
Malin Schlick, Foto: Christoph Klutsch
Malin Schlick, Foto: Christoph Klutsch
Bei Clifford Chance haben wir uns im Mai 2022 mit einem deutschen Chapter unseres globalen Disability-Netzwerks Enable auf den Weg gemacht, Handlungsfelder zu identifizieren, Barrieren abzubauen, einen Safe-Space für vertrauliche Gespräche zu schaffen und HR sowie das Management zu beraten. Unser bisher größter Erfolg sind zwei Kolleginnen mit einer Sinnesbehinderung, die sich unseren Enable-Leads anvertraut haben. Das Netzwerk konnte die Brücke zu HR schlagen und bei der Anpassung des Arbeitsplatzes unterstützen. Für alle in der Kanzlei sichtbar setzen sie sich nun als Enable-Champions für das Netzwerk ein und wollen durch ihr Vorbild andere Kolleg* innen ermutigen, sich zu öffnen und die ihnen zustehende Hilfe einzufordern.

Mobile Arbeit aus dem Ausland – Risiken und Gestaltungsmöglichkeiten

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Da arbeiten, wo andere Urlaub machen – ein Traum! Auch für dich? Bevor du die Koffer packst, solltest du ein paar Fakten und die Risiken des mobilen Arbeitens aus dem Ausland kennen. Zusammengefasst hat sie für uns die Arbeitsrechtlerin Dr. Martina Schlamp. Sie hat sich auf „Global Mobility“ und internationales Arbeitsrecht spezialisiert.

Zur Person

Dr. Martina Schlamp ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin bei ADVANT Beiten. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Bereich „Global Mobility“ und internationales Arbeitsrecht. Sie berät nationale und internationale Unternehmen zu sämtlichen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Themen mit internationalem Bezug sowie zu neuen Arbeitsformen und Trends bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern im In- und Ausland. Zudem ist sie Expertin auf dem Gebiet der Mitarbeitergewinnung im Ausland und Fachkräfteeinwanderung.
Bei jeder Form von Auslandstätigkeiten sind stets zahlreiche Rechtsgebiete berührt und es ist grundsätzlich jeder Einzelfall zu betrachten, da sich unterschiedliche Bewertungen ergeben können. Auch das nationale Recht des jeweiligen Landes kann eine Rolle spielen. Zudem gibt es in manchen Bereichen Unklarheiten, wie mobile Arbeit im Ausland auf Initiative von Mitarbeiter*innen einzuordnen ist. Risiken können aber durch verschiedene Maßnahmen zumindest reduziert werden.

Sozialversicherungsrechtliche Einordnung

Bei jeder Auslandstätigkeit von Mitarbeitern ist stets zu klären, in welchem Land die Sozialversicherungspflicht besteht. Dies beurteilt sich unterschiedlich für Aufenthalte in Ländern innerhalb und außerhalb der EU:
  • Innerhalb der EU bestimmt sich die Sozialversicherungspflicht nach einer europäischen Verordnung (VO(EG) 883/2004), die für alle Staaten der EU, des EWR sowie der Schweiz gilt (entsprechende Regelungen gibt es in Bezug auf Großbritannien). Nach einer Einschätzung des GKV Spitzenverbandes/ DVKA handelt es sich auch bei vorübergehender mobiler Arbeit im Ausland auf Initiative von Mitarbeitern sozialversicherungsrechtlich um eine „Entsendung“ im Sinne dieser Verordnung, sodass während der vorübergehenden Tätigkeit im Ausland die Sozialversicherungspflicht weiterhin in Deutschland verbleibt. Die Unfallversicherungsträger haben sich dieser Ansicht angeschlossen, sodass grundsätzlich auch Unfallversicherungsschutz bei mobiler Arbeit im Ausland besteht, wobei vor allem in Fällen von „workation“, also der Verbindung z. B. von privaten Urlaubsreisen mit mobiler Arbeit im Ausland, eine Abgrenzung von Arbeits- zu Privatunfällen sich als schwierig erweisen kann. Arbeitgeber sollten für die Mitarbeiter, die mobil aus dem Ausland arbeiten, eine A1-Bescheinigung beantragen, die diese während des Auslandsaufenthaltes mitführen. Hierfür können zum Beispiel Ankündigungs-/Genehmigungspflichten sinnvoll sein.
  • Bei mobiler Arbeit in Ländern außerhalb der EU ist es in Bezug auf die Sozialversicherungspflicht entscheidend, ob mit dem jeweiligen Land ein Sozialversicherungsabkommen besteht und welche Sozialversicherungszweige darin geregelt sind. Besteht kein Abkommen bzw. für die in dem Abkommen nicht geregelten Zweige gelten die jeweiligen gesetzlichen Vorschriften. In der Regel wird auch bei nur vorübergehenden Tätigkeiten im Ausland sowohl nach Abkommen als auch nach den deutschen gesetzlichen Vorschriften die Sozialversicherungspflicht in Deutschland verbleiben. Es besteht allerdings ein Risiko, dass nach dem nationalen Recht des jeweiligen Landes dort zusätzlich eine Sozialversicherungspflicht begründet wird, sodass dann eine doppelte Beitragspflicht bestehen würde. Solche Risiken können vermieden werden, indem die Möglichkeit mobiler Arbeit im Ausland von vornherein auf Länder der EU eingeschränkt wird.
  • Grundsätzlich ist es empfehlenswert, insbesondere auch aus Arbeitgebersicht, dass eine Auslandsreisekrankenversicherung für die Zeit im Ausland abgeschlossen wird. Theoretisch wäre es nämlich denkbar, dass Arbeitgeber auch bei „freiwilliger“ mobiler Arbeit im Ausland für (nicht erstattete) Behandlungskosten haften, jedenfalls wenn sie die Tätigkeit im Ausland erlauben oder dulden. Dieses Risiko kann mit einer zusätzlichen Versicherung von vornherein vermieden werden.

Arbeitsrechtliche Themen

Anwendbares Arbeitsrecht

In der Regel findet bei kurzzeitigen Auslandstätigkeiten weiterhin das für das Arbeitsverhältnis (vertraglich vereinbarte bzw. konkludent gewählte) deutsche Arbeitsrecht Anwendung. Anders könnte dies zu beurteilen sein, wenn sich ein Mitarbeiter längere Zeit in einem anderen Land aufhalten und dort nicht mehr nur vorübergehend tätig werden würde oder wenn engere Verbindungen zu dem jeweiligen Land bestehen würden, was bei kurzzeitiger mobiler Arbeit im Ausland in der Regel nicht der Fall sein wird. Innerhalb der EU können diesbezüglich noch Besonderheiten aufgrund der Europäischen Entsenderichtlinie bestehen, wonach bei Entsendungen von Mitarbeitern ausländische (Mindest-)Arbeitsbedingungen des jeweiligen Landes einzuhalten sind („Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“). Die Richtlinie musste von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die entsprechenden Regelungen auch auf vorübergehende mobile Arbeit im Ausland Anwendung finden – jedenfalls wenn der Arbeitgeber davon Kenntnis hat bzw. dies duldet. Dies hängt jedoch maßgeblich von der Bewertung in dem jeweiligen Land ab. Da der deutsche Standard in Bezug auf Arbeitsbedingungen ohnehin relativ hoch ist, werden die diesbezüglichen Risiken aber nicht allzu hoch sein, zumal auch die „Entdeckungsrisiken“ bei nur kurzzeitigen Auslandstätigkeiten in privaten Apartments, Hotels o. Ä. eher gering sein werden. Diesbezügliche Risiken können entweder in Kauf genommen werden oder die Möglichkeit von mobiler Arbeit kann auf bestimmte Länder begrenzt werden, für die dann beispielsweise rechtssicher geprüft wird, welche Anforderungen nach nationalem Recht einzuhalten sind. Jedenfalls kann es sinnvoll sein, entsprechende Arbeitszeitregelungen (Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten etc.) zu recherchieren und vorsorglich für den Fall einer behördlichen Kontrolle, auch während der Tätigkeit im Ausland Arbeitszeitnachweise zu führen.

Vertragliche Regelungen

Für vorübergehende mobile Arbeit im Ausland ist der Abschluss einer zusätzlichen Vereinbarung nicht zwingend erforderlich. Dies kann aber sinnvoll sein, beispielsweise, damit der vorübergehende Charakter der Auslandstätigkeit dokumentiert wird (entscheidend für die Annahme einer Entsendung und damit den Verbleib im deutschen Sozialversicherungssystem) oder um Bedingungen und Modalitäten der Tätigkeit im Ausland vertraglich zu regeln. Aus Arbeitgebersicht kann in einer vertraglichen Vereinbarung die Möglichkeit der Tätigkeit im Ausland beispielsweise befristet, räumlich beschränkt sowie die erlaubte Aufenthaltsdauer zeitlich begrenzt werden. Auch können Widerrufs- und Rückrufm.glichkeiten vorgesehen werden. Alternativ zu einzelvertraglichen Regelungen könnten hierzu auch entsprechende betriebliche Regelungen getroffen werden.

Steuerrechtliche Themen

Bei vorübergehender Tätigkeit im Ausland können sich auch steuerrechtliche Themen ergeben. In der Regel wird bei nur kurzzeitigen Aufenthalten keine Steuerpflicht in dem Land begründet werden. Auch vor diesem Hintergrund ist es aber bereits sinnvoll, die Möglichkeit mobiler Arbeit im Ausland auf nur kurze Zeiträume zu beschränken. Grundsätzlich kann auch ein Risiko bestehen, dass durch die Tätigkeit des Mitarbeiters im Ausland eine Betriebsstätte der deutschen Gesellschaft in dem Land begründet wird. Wie hoch ein solches Risiko tatsächlich ist, richtet sich insbesondere danach, ob dem Mitarbeiter im Ausland ein Büro, Shared Office o. Ä. zur Verfügung gestellt wird oder ob der Mitarbeiter z. B. Vertretungsvollmachten hat. Arbeitgeber sollten jedenfalls darauf achten, dass diese Kriterien nicht gegeben sind. Für ein rechtssicheres Vorgehen könnten diese Risiken beispielsweise für einzelne Länder geprüft werden.

Sonstige Aspekte

Zu beachten ist beispielsweise aus aufenthaltsrechtlicher Sicht, wenn der Mitarbeiter die Nationalität eines Drittstaates hat und somit nicht ohne Weiteres in anderen Ländern der EU arbeiten darf oder z. B. bei Tätigkeiten von deutschen Mitarbeitern in Drittstaaten, in denen die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht gilt. Auch könnten sich datenschutzrelevante Themen oder lizenzrechtliche Probleme ergeben, z. B. wenn Mitarbeiter mit bestimmten Programmen oder Software arbeiten, für die der Arbeitgeber nur bestimmte räumlich begrenzte Lizenzen erworben hat.

Wie findest du den Job, der zu dir passt? Neue Chancen im Rechtsmarkt durch KI & Co.

Die seit Jahrzehnten kaum veränderte juristische Kernausbildung bereitet wenig auf die Berufsrealität vor. Studierende profitieren davon, sich eigeninitiativ weiterzubilden: Wer universitäre Zusatzangebote nutzt und über den juristischen Tellerrand hinausschaut, dem steht eine Auswahl an neuen technologieaffinen Berufsfeldern zur Verfügung. Dr. Nadine Lilienthal gibt einen Über- und Einblick in Berufe der Zukunft.

Zur Person

Dr. Nadine Lilienthal ist Vordenkerin für einen zukunftsfähigen Rechtsmarkt. Sie ist Rechtsanwältin und Mitgründerin von Legaleap. Im „Zukunft Rechtsmarkt“ Podcast interviewt sie Persönlichkeiten der Rechtsbranche. Außerdem ist sie Mitgründerin des New Legal Network – dem Netzwerk für ganzheitliche Rechtsberater:innen. „Zukunft Rechtsmarkt“.
Nie gab es mehr Möglichkeiten, als Jurist*in das eigene Tätigkeitsfeld zu gestalten. Das Innovationstempo im Rechtsmarkt hat sich durch den Launch von ChatGPT und weiteren KI-Chatbots 2023 spürbar erhöht. Erste Großkanzleien wie Allen & Overy nutzen bereits die KI-basierte Plattform Harvey, die auf Funktionen von GPT-4 beruht. Große Wirtschaftprüfungsgesellschaften wie KPMG und Deloitte kündigten Milliardeninvestitionen in KI an. Eine wachsende Anzahl an Legal Tech Tools hat den Chatbot ChatGPT in ihr Angebot integriert. Revolutionieren solche KI-Tools schon jetzt den Rechtsmarkt? Stand heute gibt es nur eine kleine Anzahl an Kanzleien, die KI in ihrer täglichen juristischen Arbeit nutzen. Dass KI kommt, sollte aber nur eine Frage der Zeit sein – bereits zum Zeitpunkt eines späteren Lesens des Artikels kann die Situation anders sein. Momentan ist die Beratungsqualität durch KI-Tools noch fehleranfällig. Zugleich ist klar: Der Druck zur Nutzung von Technologien auf Jurist*innen erhöht sich stark. Diesen Veränderungsdruck zeigt die Studie „Generative AI and the future of the legal profession“ von LexisNexis, bei der über 1000 Jurist*innen im Mai und Juni 2023 zu den Auswirkungen von KI auf den Rechtsberuf befragt wurden. Während 70 % der Inhouse-Jurist*innen erwarten, dass ihre Kanzleien KI nutzen, glauben nur 55 % der Kanzleien, dass ihre Mandantschaft das von ihnen erwartet. Eine Diskrepanz, die zeigt, wie nötig das Engagement von Kanzleien bei KI ist. In einem Rechtsmarkt, in dem so viel in Bewegung ist, hilft es, Trends zu erkennen. Wer hierfür offen ist und sich schon neben dem juristischen Studium oder später on the Job relevante Skills aneignet, dem steht eine Vielzahl an neuen Berufsfeldern offen.

Wachsende Anzahl von Stellenprofilen im Rechtsmarkt an Schnittstellen zur Technologie:

Legal Engineer, der Klassiker unter den neuen Berufen

Legal Engineers sind an der Schnittstelle zwischen Recht und Informatik tätig. In der Praxis trifft man häufiger auf Jurist*innen mit einem ersten Staatsexamen, die sich im Bereich Coding weitergebildet oder Zusatzqualifikationen erworben haben; seltener sieht man Volljurist*innen mit Informatikstudium. Legal Engineers befassen sich überwiegend mit der Übertragung von rechtlichem Wissen in automatisierte Prozesse. Sie arbeiten üblicherweise mit der Erstellung von Entscheidungsbäumen, die auf Wenndann- Logiken beruhen. Hierbei können sie mit Hilfe ihres Wissens im rechtlichen Bereich Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten für bestimmte juristische Sachverhalte abbilden. Ihr Einsatzgebiet kann etwa in einem Start-up das Bauen von Legal Tech-Tools zur Erstellung eines bestimmten Vertragstyps umfassen oder in einer Kanzlei die Automatisierung des Fristenmanagements, inklusive Erinnerungen via E-Mail, sein.

Legal Prompt Engineer, the new kid on the block

Das Berufsbild des Legal Prompt Engineer ist noch relativ neu. In den USA und in Großbritannien sieht man seit einigen Monaten Stellenanzeigen von großen Kanzleien für diesen Bereich. In Deutschland scheint die Tätigkeit derzeit noch eine eher theoretische Rolle zu spielen, das könnte sich aber ändern. Beim Legal Prompt Engineering geht es darum, KIs zu trainieren, sodass sie die gewünschten juristischen Ergebnisse liefern. Das beginnt mit der Formulierung des Nutzungsbefehls (Prompt) im Suchfeld eines KI-Chatbots wie ChatGPT, Claude, Bard usw. Es geht darüber hinaus auch um das Anlernen einer KI mit relevanten Daten, sodass sie in der Lage ist, Ergebnisse in juristisch relevanter Qualität zu liefern. Für den Moment ist dies eher ein Berufsbild, das man bei Interesse im Blick behalten kann – wie schnell sich Chancen entwickeln, bleibt abzuwarten.

Legal Designer, für viele ein Skill, selten auch ein Vollzeitjob

Legal Design hat sich in den letzten Jahren im Markt etabliert. Es gibt bislang schon ein paar Anbieter im Rechtsmarkt, bei denen dieser Beruf ausgeübt werden kann. Darüber hinaus gewinnt Legal Design als Skill für Jurist*innen mit der steigenden Digitalisierung der Rechtsbranche an Bedeutung. Elemente von Legal Design können nämlich in viele juristische Tätigkeiten einfließen. Beim Legal Design geht es im Kern darum, eine Rechtsdienstleistung oder ein Legal Tech-Tool nutzerzentriert zu denken. Eine kollaborative Zusammenarbeit mit den relevanten Stakeholdern, meistens in interdisziplinären Teams, unter Berücksichtigung des gesamten Systems (Unternehmen, Gesellschaft, Ökologie) spielt beim Legal Design eine Rolle. Die Ergebnisse reichen von nutzerfreundlich gestalteten AGBs über Guidelines, die für Mitarbeiter*innen leichter verständlich sind, bis zur Gestaltung von Legal Tech-Tools, die ein genau identifiziertes Kundenproblem adressieren. Ferner können an der Schnittstelle zu neuen Technologien die Tätigkeitsbereiche von Legal Operations und Legal Project Management genannt werden. Beide Bereiche sind schon seit Längerem im Rechtsmarkt etabliert und bieten ebenfalls eine stetig wachsende Anzahl von Einstiegsmöglichkeiten für Absolvent* innen.

Weiterbildung – viele Wege führen zum Ziel.

Die beschriebenen Berufsbilder erfordern neben juristischen Qualifikationen besondere Skills, die durch Weiterbildung erworben werden können. Auf die zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten für Jurist*innen einzugehen, würde den Rahmen des Artikels sprengen. Aber ich möchte unbedingt einige Möglichkeiten nennen, um Inspiration zu bieten den eigenen Weg zu gehen. Neben einem klassischen Zweitstudium sind Zusatzqualifikationen im Bereich Coding, Legal Prompting oder Design Thinking denkbar. An vielen Universitäten können Studierende Kurse zu Legal Tech absolvieren, eine gute Möglichkeit für erste Kontakte mit der Materie. Die Universität Bayreuth bietet ein Zusatzstudium Informatik und Digitalisierung. Weiterhin kann es den Horizont erweitern, sich einer der vielen engagierten Studierenden-Initiativen im Bereich Legal Tech anzuschließen. Stellvertretend seien hier genannt eLegal, die zum Beispiel regelmäßig den Legal Hackathon veranstaltet, recode.law und fruit- Freiburg Recht und IT sowie das Legal Tech Lab Cologne. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, sich mit Praktiker*innen auszutauschen, etwa bei den Events des Legal Tech Stammtischs von Dr. Gernot Halbleib in Berlin, den Munich Legal Hackers oder im Rahmen von zahlreichen Events, die von Kanzleien oder Legal Tech-Anbietern veranstaltet werden und wo es für Interessierte auf Nachfrage fast immer möglich ist, einen Einblick zu bekommen. Den Studierenden, die einen juristischen Beruf an der Schnittstelle zu Tech ergreifen möchten, stehen viele Türen offen – sei es in Legal Tech Start-ups, Kanzleien oder Unternehmen, aber auch in der Justiz. Neben den in diesem Bereich sichtbar engagierten Bundesländern wie etwa NRW oder Bayern hat kürzlich das Bundesministerium für Justiz ein Innovation Hub mit Fokus auf KI gegründet. Interessierten ist zu empfehlen, in KI und Legal Tech bereits zu Zeiten der universitären Ausbildung einzutauchen. Wer die Möglichkeiten nutzt, kann so mit einem vorhandenen Netzwerk und einer Vorstellung von der individuell passenden Position ins Berufsleben starten. Das sind Voraussetzungen dafür, dass du genau den juristischen Job an der Schnittstelle zu Tech findest, der zu dir passt!

Podcast von Dr. Nadine Lilienthal

Podcast Zukunft RechtsmarktIn ihrem Podcast spricht Dr. Nadine Lilienthal mit Persönlichkeiten aus der Rechtsbranche und aus anderen Bereichen. Dabei zeigt sie, wie Jurist*innen mit Blick auf Natur, Fortschritt und Gesellschaft einen Beitrag zu einer lebenswerten Welt leisten.

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Nachhaltigkeit: Ein Thema vor allem für Junganwältinnen und -anwälte?

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Die 17 Nachhaltigkeitsziele bis 2030 der United Nations beinhalten unter Ziel 13 die Beherrschung des Klimawandels. Schon seit 2004 arbeitet die sogenannte „Global Compact Initiative“ der UN für nachhaltiges, verantwortungsbewusstes Investieren. Dr. Geertje Tutschka nennt einige Ansätze, wie jeder Einzelne als Anwältin oder Anwalt einen nachhaltigen Unterschied machen kann.

Zur Person Dr. Geertje Tutschka, MCC (Master Certified Coach der International Coaching Federation ICF) ist Rechtsanwältin für Deutschland und Österreich mit Kanzleien in München und Salzburg. Sie ist Kanzleiberaterin und Legal Coach Ausbilder bei CLP – Consulting for Legal Professionals. Diese Erfahrung hat sie als Fachbuchautorin in ihre Bücher „Strategische Kanzleientwicklung“ (De Gruyter, 2. Aufl. 2022) und „Kanzleigründung und Kanzleimanagement“ sowie „Digitalisierung und Zivilverfahren“ eingebracht. Dort beschreibt sie auch, wie das Thema Nachhaltigkeit heute zwingender Bestandteil jeder strategischen Kanzleientwicklung sein muss.
Das Regelwerk zur Bewertung der nachhaltigen und ethischen Praxis – ESG – meint Environment, Social und Governance. Daraus abgeleitet wurde in der Wirtschaft die CSR (Corporate Social Responsibility). Die Umgestaltung der EU-Wirtschaft mit dem sogenannten Green Deal und den Klimazielen für 2030 und 2050 soll die EU zum Vorreiter für den Klimapakt machen. Die Anwaltschaft hat sich lange neutral verhalten bei dem Thema und war ganz mit der Digitalisierung ihrer Arbeitswelt und dem Fachkräftemangel beschäftigt. Dabei stehen diese Themenfelder durchaus nicht unabhängig nebeneinander. Und auch die anwaltliche Berufsordnung und -ethik könnte hier eine Rolle spielen.

Ansatzpunkte

Aber wo setzen Anwältinnen und Anwälte an, wenn es um nachhaltiges Arbeiten geht? Verantwortungsbewusstes nachhaltiges Arbeiten hat vier Dimensionen:
  1. Der eigene höchstpersönliche Verantwortungsbereich beruflich und privat.
  2. Mandatsauswahl, Positionierung und Akquisition.
  3. Kanzlei- und Mandatsmanagement und Prozesse.
  4. Kanzlei als Arbeitgeber und Karriereziele.
Es beginnt mit dem persönlichen Verantwortungsbereich. Natürlich kann man seinen eigenen ökologischen Fußabdruck bestimmen – auch in Bezug auf die eigene Arbeitswelt und für eine ganze Kanzlei. Eine Studie hat ergeben, dass die Umstellung auf grünen Strom, die Vermeidung von Fahrten zur und für die Arbeit und die Mandatsauswahl am effektivsten dazu beitragen, Klimaziele zu verwirklichen. Was aber ist mit dem ehrenamtlichen Engagement, z. B. bei den Lawyers for Future? Was ist mit dem Einfordern von Transparenz in Bezug auf Investitionen in grüne und nachhaltige Unternehmen für die Anlagemodelle des eigenen Rentenversicherungsträgers? Was ist mit der Verantwortung unseres Berufsverbandes Deutscher Anwaltverein oder unserer Berufskammer für eine grüne Trendwende im Berufsstand, z. B. bei der Begleitung zur klimaneutralen Kanzlei?

Vorbilder

In den USA haben Kanzleien die „Law Firm Climate Change Scorecard“ entwickelt, die ESG-Themen mit Kennziffern versieht. Moderne Zertifikate und Standards, wie „B Corporate“, Gemeinwohlbilanz/Gemeinwohlökonomie oder der BMU-Leitfaden zu DIN ISO 26000 erleichtern das Umstellen der internen Prozesse. Hogan Lovells hat sich zu einer nachhaltigen, ökologie- und umweltbewussten Unternehmensführung verpflichtet und Klimaneutralität bis 2030. Die Kanzlei Graf von Westphalen hat eine ESG-Bilanz für einzelne Mandate eingeführt. Und auch in unseren Beratungen und Workshops wird Nachhaltigkeit zunehmend selbst bei allgemeinen Themen angefragt und einbezogen. Das zeigt: Nachhaltigkeit ist als Thema in der Anwaltschaft angekommen.