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Psychologie – das große methodische Besteck der Juristen

Irren ist menschlich, aber gut gemeint ist in der Jurisprudenz nicht gut genug. Mit psychologischen Kenntnissen können Juristen systematische Denkfehler eindämmen, Informationen sachgerechter sondieren und zu faireren Entscheidungen gelangen, weiß Psychologin und Juristin Alica Mohnert.

Zur Person

Alica Mohnert (alica-mohnert.de) ist Diplom-Psychologin und Volljuristin. Studiert hat sie an der Universität zu Köln sowie der Chinesischen Universität für Politologie und Recht und dort in Peking einen Master of Laws erlangt. Als Dozentin für Psychologie im Recht gibt sie Schulungen an der Deutschen Richterakademie, für zahlreiche Landesjustizen, Fachanwaltsverbände, Kanzleien und Rechtsabteilungen von Bundesbehörden, Versicherungen, Banken und größeren Unternehmen. Außerdem ist sie universitäre Lehrbeauftragte in Düsseldorf, Speyer und Potsdam. Sie ist Co-Autorin des Standardwerks „Psychologie für Juristen“(Nomos 2019).

Wenn man etwas nicht kennt, weiß man nicht, was es darüber zu wissen gäbe. So verhält es sich auch mit Psychologiekenntnissen unter Juristinnen und Juristen. Was, noch mehr Pflichtfachstoff? Tatsächlich dient psychologische Kompetenz vielmehr als Werkzeug, um zu juristischen Entscheidungen zu kommen, die der Sache gerecht werden und mit möglichst wenigen Fehlern behaftet sind. Psychologie ist erweiterte Methodik.

Obwohl sich manch einer unter dem Schlagwort vor allem Metathemen wie Mandantengesprächsführung oder Stressabbau vorstellt, liegen die relevantesten Einsatzbereiche anderswo. Wenn ein Arbeitsrechtler um eine üppige Abfindung kämpft oder jemandem ein angemessenes Schmerzensgeld zugesprochen werden soll, sollte man der Erste sein, der eine Forderung in den Raum stellt – angesiedelt am oberen Ende.

Grund dafür ist der Ankereffekt. Er greift ein, wenn eine Zahl ausgeworfen werden soll, ohne dass von vorneherein ein „richtiges“ Ergebnis ersichtlich wäre. Dann nämlich neigen Menschen dazu, sich in ihrem Urteil an einem vorgegebenen Vergleichswert zu orientieren und ihn zur gedanklichen Ausgangsbasis zu machen. Bei einem relativ hohen Einstiegswert, vor allem wenn er noch plausibel genug klingt, ist die Chance gut, dass die weitere Verhandlung in diesem oberen Bereich bleibt. Umgekehrt sollte man auch bemerken und gegensteuern, wenn die Gegenseite versucht, mithilfe eines Ankers eine für sie günstige Summe zu erzielen.

Zu einem sachgerechten Verfahrensausgang tragen auch psychologisch validierte Kenntnisse über Zeugenvernehmung und Aussagewürdigung bei, wenn das Gericht herausfinden muss, ob ein Zeuge lügt. Im Referendariat hört man in erster Linie, es komme auf die Detailliertheit und Widerspruchsfreiheit der Aussage an. Das ist zwar nicht falsch, greift aber zu kurz. Die inhaltsorientierte Aussageanalyse klopft die Zeugenaussage auf ihre Glaubhaftigkeit anhand einer ganzen Reihe von sogenannten Realkennzeichen ab.

Neben sprachlichem Ausdruck interessieren Struktur und Brüche in der Erzählung. Für Juristinnen und Juristen ist es wichtig, unterscheiden zu können, was für Details typischerweise leicht vergessen werden und bei welchen man bei einer wahrheitsgemäßen Aussage eigentlich erwarten würde, dass sie auch einige Zeit später noch korrekt wiedergegeben werden können. Der unerlässliche zweite Schritt ist eine Kompetenzanalyse, mit der man untersucht, ob der Zeuge die Fähigkeiten hätte, sich eine solche wie die konkrete Aussage so auszudenken und vorzutragen. Erst dann ist eine solide Überzeugungsbildung des Gerichts möglich.

Sinnvollerweise sollte das juristische Curriculum Psychologie mehrfach berücksichtigen: früh im Studium, um die Grundlagen zu legen, erneut im Referendariat, wo die Praxisübung erfolgen kann, und dann berufsspezifisch, im Rahmen von Justiz- und Anwaltsfortbildungen, denn Wiederholung ist wirklich die Mutter des Lernens. Wem es an einer passenden Veranstaltung fehlt, kann derweil mit dem Lehrbuch „Psychologie für Juristen“ autodidaktisch einsteigen.

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