Super Sache! Wie Supertechnologien die Welt verbessern können
Naturwissenschaftler als Superhelden der Zukunft mit Superkräften durch Supertechnologien? Das wäre doch schön! Ein Blick auf die neuesten Erkenntnisse der Quantenforschung zeigt jedoch: Da ist was dran! Lassen sich Qubits robust machen, vervielfältigen sich die Möglichkeiten. Das Rennen darum, als Naturwissenschaftler die Welt zu retten, hat gerade erst begonnen.
Naturwissenschaftler als Superhelden der Zukunft mit Superkräften durch Supertechnologien? Das wäre doch schön! Ein Blick auf die neuesten Erkenntnisse der Quantenforschung zeigt jedoch: Da ist was dran! Lassen sich Qubits robust machen, vervielfältigen sich die Möglichkeiten. Das Rennen darum, als Naturwissenschaftler die Welt zu retten, hat gerade erst begonnen.
Und sie bewegt sich doch! Die Erde sowieso. Aber eben auch: die Naturwissenschaft. Angetrieben wird sie von einer Reihe von Motoren, drei davon sollen an dieser Stelle näher erläutert werden – wobei sie aneinandergekoppelt sind. Da ist einmal der Wille, Naturwissenschaft und Ästhetik zusammenzudenken: Wenn alles schön sein darf, vom menschlichen Körper und seinem Abbild über die Kunst bis hin zur politischen Rede – warum sollte sich die Naturwissenschaft der Schönheit verschließen?
Ein zweiter Treiber, der Bewegung in die Naturwissenschaft bringt, ist die klare Notwendigkeit, die Welt zu retten: Es wird immer offensichtlicher, dass dieser Planet nicht vom Kollaps geschützt werden kann, in dem wir unseren Müll noch besser trennen und elektrische Motorroller zulassen. Es steigt die Sehnsucht nach großen Formeln – sind die Naturwissenschaftler die Superhelden, die uns diese bieten? Ein dritter Motor sind die neuen Techniken, die genaugenommen die Grundlage für die Weltrettung bieten sollen: Supertechnologien für die Superkräfte der naturwissenschaftlichen Superhelden!
1. Schönheit
Beginnen wir mit der Ästhetik. Wie schön Naturwissenschaft sein kann, zeigt sie ausgerechnet mit einem Foto vom Nichts. Das im April dieses Jahres veröffentlichte Bild eines Schwarzen Lochs dürfte zum meistgezeigten Foto des Jahres zählen, es wird die Jahresrückblicke dominieren und schon bald in allen physikalischen Schul- und Lehrbüchern auftauchen. Man sieht im Grunde nur einen feuerfarbenen Donut mit sehr schwarzer Mitte, doch unsere Fantasie sowie die Erklärungen der Physiker machten aus diesem Schnappschuss aus dem Universum eine unglaublich schöne Sache: Ist das der Blick in die Unendlichkeit? Wenn der erste Wimbledon-Sieg von Boris Becker 1985 reihenweise Kinder und Jugendliche zum Tennis gebracht hat, dann wird dieses Foto vom Schwarzen Loch eine neue Generation zur Physik führen, was zeigt: Auch die Naturwissenschaft ist anfällig für Schönheit.
Der Philosoph Olaf L. Müller, Professor für Wissenschaftstheorie an der Humboldt-Universität Berlin, schreibt in seinem Buch „Zu schön, um falsch zu sein“: „Hinter dem Ausruf ‚Das ist schön!‘ steckt mehr als die Zufälligkeit der augenblicklichen Stimmung und des individuellen Geschmacks; zumindest kann mehr dahinterstecken. Es gibt immerhin so etwas wie geschulten Geschmack.“ Müller führt aus, dass in der Geschichte der Physik nicht selten die Ästhetik einer Theorie Grundlage der Leidenschaft war, diese aufzustellen und gegen Widerstände zu verteidigen. So habe Kopernikus sein Modell des heliozentrischen Weltbildes als außerordentlich schön empfunden. Recht damit hatte er obendrein. Newton wollte es zunächst nicht gelingen, den durch ein Prisma geschickten Lichtstrahl in viele verschiedene Farben aufzuteilen. Immer und immer wieder probierte er es – bis es ihm gelang und er durch die Schönheit des Ergebnisses belohnt wurde.
Das Fazit: Die Schönheit der Naturwissenschaften ist eine Kategorie, die den Forschenden motiviert und die Öffentlichkeit begeistert und vielleicht sogar vom Sinn der Forschung überzeugt. Denn was, wenn das Foto des Schwarzen Lochs eben genau nur das gezeigt hätte, ein Nichts? Der Boris-Becker-Effekt – dass ein einziger Erfolg schnell einen Sog erzeugt – würde ausbleiben.
2. Weltrettung
Nicht nur das Resultat einer Forschung oder die Klarheit einer naturwissenschaftlichen Theorie unterliegen der Ästhetik. Auch die Aufgabe, der man als Naturwissenschaftler seine Forschung widmet, kann mehr oder weniger schön sein. Als Pharmazeut an einer Substanz zu forschen, welche die Artenvielfalt weiter bedroht – das ist weniger schön. Hingegen an Ideen zu forschen, um die Gesundheit der Menschen zu erhalten, die Artenvielfalt zu schützen oder den Ausstoß von CO2 zu reduzieren – das hingegen ist eine schöne Aufgabe. Wer sich in den Unternehmen derjenigen Branchen, die naturwissenschaftliche Talente benötigen, umschaut, merkt schnell: Es geht an immer weniger Orten um den reinen Profit. Das Umdenken setzt ein – auch, weil es einsetzen muss.
„Wer über die Quantentheorie nicht entsetzt ist, der hat sie nicht verstanden.“ Niels Bohr, Physiker und Nobelpreisträger
Ganz oben auf der Agenda vieler Unternehmen steht die Nachhaltigkeit, und zwar als Dreiklang: Man will ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltig handeln. Unternehmen, die sich als Vordenker verstehen, gehen schon heute einen Schritt weiter: Sie stellen sich bewusst der größten Aufgabe, der man sich stellen kann, in dem sie der Gesellschaft und ihren Kunden das Angebot machen, aktiv an der Lösung der großen Probleme mitzuarbeiten. Wie bald 8 Milliarden Menschen auf der Erde ernähren, ohne dabei weiter den Planeten auszubeuten? Wie die Medizin und die Pharmabranche voranbringen? Wie Mobilität weniger zerstörerisch gestalten? Wie dafür Sorge tragen, dass die immer weiterwachsenden Städte nicht im Müll und ihrer schlechten Luft ersticken, sondern dass sie Innovationstreiber für eine gute Zukunft sind?
Forschende Unternehmen aus Branchen wie Pharma, Bionik oder Material Science stellen ihre Geschäftsmodelle in Teilen um, sie produzieren nicht mehr nur als „White Label“-Zulieferer für andere, sondern bringen sich proaktiv als „Good Companies“ ein, die zum Beispiel an Materialien forschen, die dabei helfen, Lösungen gegen den CO2-Ausstoß zu finden oder Alternativen für den Konsum von Fleisch entwickeln. Wer heute in diese Unternehmen einsteigt, darf sich durchaus als Weltenretter von morgen zeigen: Forschertalent und ökonomisches Denken sind weiterhin wichtig, aber motiviert zu sein, den Zustand der Erde zu verbessern, ist in vielen Unternehmen zu einer neuen Kernkompetenz für naturwissenschaftlichen Nachwuchs geworden. Wobei es durchaus eine Aufgabe der jungen Generation ist, sehr genau zu prüfen, ob der Arbeitgeber diese Agenda wirklich zielgerichtet verfolgt – oder er nur so tut.
3. Supertechnologie und Superkräfte
Um noch einmal auf die Ästhetik zurückzukommen, es gibt einen schönen Satz von Niels Bohr, Physiker aus Dänemark, Nobelpreisträger: „Wer über die Quantentheorie nicht entsetzt ist, der hat sie nicht verstanden.“ Was er meinte: Die Theorie bricht mit allem vermeintlich Faktischem, sie stellt allerlei Annahmen auf, die kaum vorstellbar erscheinen. Was, so Albert Einstein, gerade zur besonderen Ästhetik der Quantenphysik führe, denn: „Das Schönste, was wir entdecken können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht.“ Bei der Idee der „verschränkten Teilchen“ sprach selbst Einstein von einer „spukhaften Fernwirkung“. Denn was anderes als ein Spuk sollte es sein, wenn zwei Teilchen miteinander verschränkt sind, egal, wie weit sie voneinander entfernt sind?
Das Schönste, was wir entdecken können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht.
Die Sache mit dem Spuk hat die Quantentheorie lange verfolgt, Science-Fiction-Autoren und Filmemacher haben auf ihrer Basis irre Storys entwickelt, einige wenig seriöse Leute arbeiten mit dem Begriff der Quanten, um Hokuspokus-Produkte an den Mann zu bringen. Was aber nichts daran ändert, dass die Quantentheorie nach Ansicht vieler Naturwissenschaftler ihre spukhafte Abstraktheit verliert und damit weitere Anwendungen in der Technik von morgen immer konkreter werden.
Lars Jaeger ist promovierter Physiker, hat jahrelang zur Quantentheorie geforscht, als Investor gearbeitet. Heute ist er als Wissenschaftsjournalist und Autor tätig, sein jüngstes Buch trägt den Titel „Die zweite Quantenrevolution. Vom Spuk im Mikrokosmos zu neuen Supertechnologien“. In seinem Blog schreibt er: „Längst sind Anwendungen der Quantenphysik konkreter Bestandteil unseres Lebens geworden. Elektronik, Digitaltechnologien, Laser, Mobiltelefon, Satelliten, Fernseher, Radio, Nukleartechnik, die moderne Chemie, medizinische Diagnostik – all diese Technologien beruhen auf den Gesetzen der Quantentheorie. Von moderner Chemie bis zur Festkörperphysik, von der Signalverarbeitung bis zu den modernen bildgebenden Systemen in der Medizin – überall treffen wir heute auf sie.“
Entwicklungsstand von Quantencomputern
Mitte 2018 gab eine Publikation des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik eine Übersicht über den aktuellen Stand der Entwicklung von Quantencomputern. Danach seien Quantencomputer zunächst als hypothetische, theoretische Konstruktion eingeführt worden. Inzwischen werde der Zugriff auf Quantenprozessoren als Dienstleistung von mehreren Firmen angeboten, eine sehr spezielle Quantencomputerplattform werde auch kommerziell angeboten. „Diese Quantenprozessoren erlauben die Entwicklung und Evaluation von Quantenalgorithmen, sind aber noch in keiner Anwendung klassischen Rechnern überlegen. Führende Entwickler rechnen aber damit, dass dieser als Quantum Supremacy bezeichnete Schnittpunkt in wenigen Jahren erreicht wird“, so das Bundesamt.
So vertrauen wir tagtäglich ihren Gesetzen, „wenn wir in ein Auto steigen (und uns auf die Bordelektronik verlassen), unseren Computer hochfahren (der aus integrierten Schaltkreisen, also auf einer auf Quantenphänomenen beruhender Elektronik, besteht), Röntgen- oder MRT-Aufnahmen unseres Körpers machen, uns von GPS leiten lassen oder mittels unseres Handys kommunizieren“. Warum aber steht nun eine zweite Revolution an?
Jaeger macht deutlich, dass die erste Quantenrevolution darauf basierte, das Verhalten „großer Ensembles von Quantenteilchen“ kontrollieren zu können. „Konkrete Beispiele sind der Tunneleffekt in modernen Transistoren, die Kohärenz von Photonen beim Laser, die Spin-Eigenschafen der Atome bei der Magnetresonanztomographie, die Bose-Einstein-Kondensation oder die diskreten Quantensprünge in einer Atomuhr.“
Bei der zweiten Revolution gehe es nun darum, einzelne Teilchen und ihre Wechselwirkung zueinander gezielt zu präparieren, kontrollieren, manipulieren. Das führt zur Idee von Quantencomputern, die nicht mehr auf Bits basieren, die entweder den Zustand 0 oder 1 haben, sondern auf Quantenbits (kurz: Qubits), die beides sein können – 0 und 1. Oder alle Zustände dazwischen – weil sie sich in überlagerten „Superpositionen“ befinden können. Wobei sich die Qubits eben auch verschränken, „als seien sie mit einer unsichtbaren Feder aneinandergekoppelt“, so Jaeger. Die Qubits wissen also voneinander:
Man kann sich ausmalen, was ein Algorithmus zu leisten in der Lage ist, der mit diesen Informationseinheiten arbeitet. Noch seien solche Quantencomputer enorm kompliziert zu konstruieren, weil die verschränkten Zustände von Quanten sehr schnell wieder verfallen, wie Jaeger schreibt. Kurz: Noch sind Qubits nicht robust genug. Doch Teams aus Quantenphysikern und IT-Spezialisten haben sich auf den Weg gemacht – und könnten am Ende Supertechnologien entwickeln, die zum Beispiel neue Verbindungen für Pharma-Innovationen finden, wie Lars Jaeger schreibt: „Könnte man Moleküle und die Details der Vorgänge in chemischen Reaktionen besser vorausberechnen und verstehen als heute, wäre es denkbar, dass man neue Medikamente im Wochentakt findet oder viel bessere Batterietechnologien als heute innerhalb eines Monats entwickelt.“ Das sind alles in allem: sehr schöne Aussichten.
Buchtipps Naturwissenschaft und Ästhetik
Olaf L. Müller: Zu schön, um falsch zu sein. Über die Ästhetik in der Naturwissenschaft. S. Fischer, 2019.
Sabine Hossenfelder: Das hässliche Universum: Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt. S. Fischer, 2018.
Anthony Zee: Magische Symmetrie: Die Ästhetik in der modernen Physik. Birkhäuser, 2014
Buchtipps Quantenrevolution und Qubits
Lars Jaeger: Die zweite Quantenrevolution. Vom Spuk im Mikrokosmos zu neuen Supertechnologien. Springer, 2018.
Christian J. Meier: Eine kurze Geschichte des Quantencomputers. Heise, 2015.
Kurt Martin: Vom Bit zum Qubit. Eine kleine Einführung in die Quantencomputer. Create Space Publishing, 2018.
Anton Zeilinger: Einsteins Spuk. Teleportation und weitere Mysterien der Quantenphysik. Goldmann, 2007.
Als promovierter Chemiker ist Dr. Markus Steilemann fasziniert davon, was sich mit Hightech-Polymerwerkstoffen heute alles machen lässt. Der Vorstandsvorsitzende von Covestro ist sich sicher: Innovative Kunststoffe helfen dabei, die globalen Herausforderungen zu meistern. Dabei setzt er im Unternehmen auf flache Hierarchien und experimentierfreudige Forscher. Das Interview führte André Boße.
Zur Person
Dr. Markus Steilemann ist seit Juni 2018 Vorstandsvorsitzender von Covestro. Geboren 1970 in Geilenkirchen studierte Steilemann Chemie an der RWTH Aachen University und schloss mit der Promotion ab. 1999 begann er seine berufliche Karriere beim Bayer-Konzern. Ab 2008 bekleidete Steilemann Führungspositionen im Geschäftsbereich Polycarbonates von Bayer MaterialScience, der Vorgängergesellschaft von Covestro. Von 2013 bis 2015 stand er an der Spitze des gesamten Segments mit Hauptsitz in China, wo er mehrere Jahre lebte. Zurück in Deutschland wurde Steilemann 2015 Mitglied des Vorstandes von Covestro mit Verantwortung für den Bereich Innovation. Zusätzlich übernahm er im folgenden Jahr die Führung des Geschäftsbereichs Polyurethanes. In 2017 übernahm er als Chief Commercial Officer (CCO) die Verantwortung für die drei Segmente inklusive Innovation, Marketing und Vertrieb.
Herr Dr. Steilemann, auf den Punkt gebracht, warum sind die Produkte und Stoffe, die Sie herstellen, wichtige Bausteine für die Zukunft? Die Welt steckt voller Herausforderungen und die Werkstoffindustrie ist unverzichtbar, um sie zu lösen. Im Raum stehen zu einem großen Teil ganz elementare Aufgaben wie Hunger und Armut zu bekämpfen und für menschenwürdige Behausungen zu sorgen. Über solche grundlegenden Bedürfnisse hinaus gilt es zum Beispiel, das Wachstum der Städte in nachhaltige Bahnen zu lenken, smarte Wege für die zunehmende Mobilität zu finden und die Vernetzung der Gesellschaft voranzutreiben. Und über allem wölbt sich die Frage nach einem klimafreundlichen Leben und Arbeiten, mit sauberen Technologien und grüner Energie. Bei all dem tragen hochwertige Kunststoffe, wie sie von uns entwickelt und produziert werden, zur Lösung bei. Zwar blicken derzeit viele Menschen mit Sorge auf Themen wie Plastikmüll, völlig zu Recht. Doch geht es hier meiner Meinung nach in erster Linie um einen besseren Umgang mit Abfällen insgesamt. Kunststoffe an sich sind und bleiben Teil der Lösung.
Das, was in Zukunft an Stoffen benötigt wird, ändert sich stetig. Wie gelingt es Ihnen, bei den Entwicklungen Schritt zu halten? Was sind die Kernelemente Ihrer Innovationskultur? Wir haben die Antennen besonders weit ausgefahren, um zu lernen, was die Welt braucht – heute, morgen und in ferner Zukunft. Dazu sind unsere Forscher, Entwickler, Vertriebsexperten und viele andere Mitarbeiter in stetem Austausch mit ihren Kollegen in anderen Industriezweigen wie der Auto-, Bau oder Elektronikbranche. Zusammen suchen wir nach Antworten. Was uns dabei antreibt, ist ein ganz besonderes Wertesystem: Neugier, Mut und bunte Vielfalt liegen uns ganz besonders am Herzen. Auf dieser Basis haben wir den Willen, etwas zu bewegen, Grenzen zu verschieben. Dieser spezielle Spirit fasziniert mich, wir tragen ihn auch nach außen und in unsere Partnerschaften mit Hochschulen, Forschungseinrichtungen und anderen Unternehmen. Im Übrigen bezieht sich bei uns Innovation nicht nur auf klassische Forschung und Entwicklung. Wir finden: Jeder kann in seinem Bereich Ideen haben, die das Unternehmen weiter voranbringen. Unsere Mitarbeiter sollen sich möglichst gut entfalten können.
Mal zu scheitern, ist nicht tragisch, das Scheitern sollte dazu motivieren, weiterzumachen.
Welche Rolle spielte dabei die Führungskultur im Unternehmen? Wir haben nicht besonders viele Hierarchien und legen Wert darauf, dass unsere Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen, dass sie helfen, motivieren, befähigen. Potenziale heben, Freiräume gewähren – das sind Verhaltensweisen, die uns nach vorn bringen. Zugegeben, es ist noch längst nicht alles ausgereift. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir zu einer umfassenden Kultur gelangen müssen, die überall in unserem weltweit tätigen Unternehmen und ganz besonders bei den Führungskräften verankert ist. Dazu gehört in meinen Augen auch eine gewisse Fehlertoleranz: Mal zu scheitern, ist nicht tragisch, das Scheitern sollte dazu motivieren, weiterzumachen. Wir haben früher an der Uni immer gesagt: Versuch macht klug.
Stichwort Nachhaltigkeit: Wie interpretieren Sie diesen Begriff mit Blick auf das, was Sie als Unternehmen tun? Wir wollen helfen, die Umwelt zu bewahren und die Gesellschaft voranzubringen, und wir wollen gleichzeitig Wert schaffen. Richtschnur sind dabei die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, die sich in meinen Augen immer mehr zu einem globalen Kompass auch für Wirtschaft und Industrie entwickeln. Wir bei Covestro nehmen sie zum Beispiel als Maßstab für Forschung und Entwicklung: Bis 2025 wollen wir vier Fünftel unserer Ausgaben auf diesem Gebiet in Bereiche lenken, die auf die Nachhaltigkeitsziele einzahlen. Um ein Beispiel zu geben: Mit dem UN-Ziel Nummer 7 soll bezahlbare und saubere Energie gefördert werden. Wir haben in diesem Bereich einen Werkstoff entwickelt, mit dem Rotorblätter von Windkraftanlagen länger und stabiler werden können – was sie viel ergiebiger macht. Gleichzeitig lassen sich die Rotoren schneller und preiswerter herstellen. So verleihen wir der Windenergie im wahrsten Sinne des Wortes Flügel.
Bemerken Sie, dass junge Menschen, die bei Ihnen mit ihrer Laufbahn starten, eine andere Sichtweise auf die Karriere haben, als Sie damals? Covestro ist ein ziemlich junges Unternehmen und von den jüngeren Leuten, die erfreulicherweise zu uns kommen, legen viele vielleicht mehr Wert auf immaterielle Dinge. Ihnen ist besonders eine sinnstiftende Arbeit wichtig, gewissermaßen ein höherer Zweck, ein gesellschaftlicher Nutzen. Andere große Themen sind Freiräume, Abwechslungsreichtum und Flexibilität. Klassische lineare Karrieren werden jedenfalls seltener, und das nicht nur bei uns. Auf der anderen Seite hat Covestro auch viele langjährige Mitarbeiter, äußerst kompetent, loyal, hochgeschätzt – und unbedingt benötigt.
Die Welt steckt voller Herausforderungen und die Werkstoffindustrie ist unverzichtbar, um sie zu lösen.
Sie haben in Aachen Chemie studiert und promoviert. Welches Know-how, das Ihnen damals an der Hochschule vermittelt wurde, ist für Sie als Vorstandsvorsitzender weiterhin unverzichtbar? Mein Studium ist natürlich schon etwas her und vieles, was unsere Nachwuchswissenschaftler inzwischen draufhaben, lag damals in weiter Ferne und lässt mich staunen. Die Grundlagen, die mir seinerzeit vermittelt wurden, bereichern mich aber bis heute: das rein fachliche Basiswissen, das Durchhaltevermögen und der lange Atem des Wissenschaftlers, die Wertschätzung von Offenheit und Partnerschaften, der rationale Diskurs, die Begeisterung für technischen Fortschritt. Ich möchte mithelfen, die Fackel der Naturwissenschaften hoch zu halten, und es ist mir ein Anliegen, dass der Funke bei nachfolgenden Generationen überspringt. Ohne Wissenschaft und Technik kommt die Menschheit nicht weiter. Und auch nicht ohne eine sachliche, an Fakten orientierte, konstruktive Auseinandersetzung.
„Die Welt lebenswerter machen“ – so lautet die Vision des Unternehmens. Wann haben Sie zuletzt ganz konkret gedacht: „Da ist uns das auch wirklich gelungen!“? Die großen Schlagzeilen des Weltgeschehens stimmen einen derzeit nicht froh. Aber es sind häufig kleine Dinge, die zeigen, dass es auf der Welt auch in eine positive Richtung geht: Wenn ich erfahre, dass Bauern in Indien nicht zuletzt durch unsere Materiallösungen besser über die Runden kommen und dass weniger Ernte verdirbt. Wenn ich beobachte, wie wir dank der Leistung unserer Forscher und Entwickler auf einmal CO2 als Rohstoff nutzen können und so Erdöl einsparen. Dann denke ich: Ein paar Puzzlesteinchen für eine lebenswertere Welt kommen da schon zusammen.
Zum Unternehmen
Covestro zählt zu den weltweit führenden Herstellern von Hightech-Polymerwerkstoffen. Die Produkte und Anwendungslösungen des Unternehmens finden sich in vielen Bereichen des modernen Lebens. Innovation und Nachhaltigkeit treiben den Konzern zu immer neuen Entwicklungen an – sowohl in seinen Produkten als auch in seinen Prozessen und Anlagen. Covestro ging vor rund vier Jahren aus der Bayer- Tochtergesellschaft Bayer MaterialScience hervor. Seit der Lösung vom Konzern kann das Unternehmen seine Planungen und Entscheidungen nun voll und ganz auf die speziellen eigenen Bedürfnisse ausrichten. Derzeit baut das Unternehmen in den USA am Golf von Mexiko für 1,5 Milliarden Euro eine weitere riesige Produktionsanlage – die größte Einzelinvestition in der Geschichte des Unternehmens.
Ich will mit meiner Arbeit etwas bewegen und Menschen helfen. In meiner Rolle als Leiterin der Abteilung Site Compliance am Pfizer- Produktionsstandort in Freiburg trage ich dazu bei, teilweise schwer kranken Patienten wichtige Medikamente schnell zugänglich zu machen.
Zur Person
Dr. Cindy Wechsler, Foto: Conny Ehm
Name: Dr. Cindy Wechsler Position: Team Lead Site Compliance Stadt: Freiburg
Studiengang: Chemie auf Diplom, Dr. rer. nat.
Abschlusszeitpunkt: 2009/2014
Interessen: Familie und Freunde, Reisen, Wandern, Joggen, Bodypump
Berufliches Ziel: neue Medikamente schnellstmöglich den Patienten zur Verfügung zu stellen
Ich bin Chemikerin und arbeite bei Pfizer im Bereich der Compliance bzw. Zulassung von Arzneimitteln. Zusammen mit meinem Team betreue ich rund 60 Arzneimittel, die in über 150 Länder dieser Welt geliefert werden. Unsere Aufgabe ist es sicherzustellen, dass die Medikamente exakt so hergestellt, getestet, verpackt und freigeben werden, wie es die Vorschriften der jeweiligen Länder verlangen. Aber auch die Neueinführung von Produkten, die gerade aus der Entwicklung kommen und in die kommerzielle Fertigung übergehen und erstmalig in den Ländern eingereicht werden, gehört zu unseren Aufgaben. Des Weiteren arbeiten wir an der Implementierung neuer Länderanforderungen und ich plane entsprechend auch das Budget der Abteilung.
Schon früh wusste ich, dass ein naturwissenschaftliches Studium genau das Richtige für mich ist. Mich hat die Welt der Chemie fasziniert. Der Fachbereich ist so vielfältig, man kann von Wirkmechanismen von Arzneistoffen bis hin zu den Leuchteigenschaften von Glühwürmchen alles erklären. Mein Studium an der Universität Göttingen war sehr praktisch ausgerichtet und ich habe viel Zeit im Labor verbracht – von den Erfahrungen profitiere ich noch heute. Auch wenn das Studium insgesamt sehr intensiv und herausfordernd ist: Es lohnt sich.
Schon während meiner Promotion hatte ich über eine Forschergruppe Kontakte zur Universität in Freiburg geknüpft. Nach meiner Dissertation führte mich diese Kooperation in eben jene Arbeitsgruppe nach Freiburg für einen Postdoc. Hier hatte ich noch einmal die Möglichkeit, mich analytisch in Sachen Methodenentwicklung auszuleben. Danach stand für mich aber auch fest: Ich wollte weg von der Grundlagenforschung und hin zu etwas, was wirklich in der Welt ankommt und einen Unterschied macht. Da kam das Stellengesuch von Pfizer wie gerufen. Ende 2015 startete ich als Manager Site Compliance in der Qualitätsorganisation. Hier ergaben sich für mich innerhalb kürzester Zeit viele Möglichkeiten: Ich konnte mich beweisen, habe rasch Verantwortung übernehmen dürfen und leite inzwischen eine Abteilung im Bereich Regulatory Compliance.
Bei Pfizer in Freiburg sowie global gibt es bereits sehr gute Vorbilder für erfolgreiche und starke Frauen in hohen Positionen. Das ist sehr inspirierend. Für die Zukunft aber wünsche ich mir, dass es noch mehr Frauen auch in naturwissenschaftlich oder technisch geprägten Bereichen in Führungspositionen schaffen. Deshalb engagiere ich mich in meiner Freizeit auch als Vorstand eines Mentoring- Vereins von Frauen für Frauen. Wir bringen spannendende Frauen zusammen, begleiten sie auf ihrem Weg von der Uni in den Job oder in Situationen der Veränderung. Ich denke, wir Frauen müssen lernen, noch besser von diesen Netzwerken zu profitieren, wenn wir uns verwirklichen wollen.
Einer der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland ist die chemischpharmazeutische Industrie. Gute Gehälter, spannende Aufgaben – und vor allem jede Menge Zukunft. Wer in der Chemie arbeitet, hat gute Aussichten, an den großen Innovationen der Gegenwart mitzuwirken. Er wird Teil einer Branche, die sich einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben hat. Von Dr. Gerd Romanowski, Geschäftsführer Wissenschaft, Technik und Umwelt im VCI
Die Branche befindet sich zurzeit im Übergang zu einer neuen Entwicklungsphase, die wir als „Chemie 4.0“ bezeichnen. Schlüsselthemen sind hierbei die Digitalisierung und die zirkuläre Wirtschaft sowie deren Zusammenspiel. Die Umsetzung dieser Megatrends erfordert eine grundlegende Weiterentwicklung der Chemieunternehmen vom reinen Werkstofflieferanten zum Anbieter umfassender und nachhaltiger Lösungen für Kunden und Umwelt.
Arbeiten in interdisziplinären Netzwerken
In Bezug auf die zirkuläre Wirtschaft werden Naturwissenschaftler (das gilt auch für Chemiker) in Zukunft vermehrt in interdisziplinären Netzwerken arbeiten und zum Beispiel über eine alternative Rohstoffbasis forschen, Kreisläufe mitdenken und von Anfang an die Nachhaltigkeit im Blick haben müssen. Die Digitalisierung ist ein Treiber für die Entwicklung vernetzter und automatisierter Produktionsprozesse. Dadurch werden Geschäftsmodelle mit Daten als neuem Rohstoff entstehen. Das effiziente Wissensmanagement, basierend auf großen Datenmengen und interdisziplinären Netzwerken, ermöglicht kundenorientierte ganzheitliche Problemlösungen. Der Umgang mit und die Analyse von digitalen Daten werden daher künftig eine immer wichtigere Rolle einnehmen.
Attraktive und abwechslungsreiche Arbeitsplätze
Für natur- und ingenieurwissenschaftlich qualifizierte Hochschulabsolventen und Fachkräfte sind die Berufschancen in der Branche weiter insgesamt positiv. In den vergangenen drei Jahren haben die Unternehmen von Deutschlands drittgrößtem Industriezweig durchschnittlich rund 400 promovierte Hochschulabsolventen aus der Chemie jährlich eingestellt. Wegen der gestiegenen Absolventenzahlen wird der Wettbewerb unter den Absolventen allerdings intensiver. So sucht die Chemieindustrie auch Ingenieure – hauptsächlich aus chemienahen Ingenieurdisziplinen. Die Branche bietet ihnen attraktive und abwechslungsreiche Arbeitsplätze mit anspruchsvollen Aufgaben. Mit einer breit gefächerten naturwissenschaftlich-technischen Hochschulausbildung sind Ingenieure gut gerüstet.
Hier können junge Menschen einen Beitrag zur Forschung an wichtigen Zukunftsthemen leisten – zum Beispiel der Elektromobilität, der Energieerzeugung sowie der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auf der Basis von Big Data.
So sind sie für alle technisch-chemischen Verfahren der Stoffumwandlung verantwortlich: Sie arbeiten in Forschung und Entwicklung, planen und konzipieren die Auslegung und den Bau von Technikums-, Pilot- und Produktionsanlagen. Sie optimieren und betreiben Anlagen, die zur Herstellung von Arzneimitteln, Kunststoffen, Farben und Lacken, Klebstoffen, Waschmitteln und anderen Chemieprodukten tagtäglich in den Chemiebetrieben verwendet werden.
Zu ihren Aufgaben gehört auch der Umweltschutz, dessen steigende Anforderungen nur mit ausgeklügelten chemisch-verfahrenstechnischen Prozessen erfüllt werden können. Dazu gehört beispielsweise das Entfernen von Reststoffen, die in der Produktion anfallen, aus Abluft und Abwasser sowie deren Wiederverwertung in geschlossenen nachhaltigen Stoffkreisläufen. Besonders wichtig ist der produktionsintegrierte Umweltschutz. Er korrespondiert mit der weltweiten Responsible-Care-Initiative der Branche. Mit diesem Programm verpflichtet sich die Branche, Sicherheits-, Gesundheitsund Umweltschutz kontinuierlich zu verbessern – unabhängig von gesetzlichen Vorgaben. Dies bietet auch jungen Ingenieuren besonders reizvolle Aufgaben.
Beitrag zur Forschung an wichtigen Zukunftsthemen
Gute Chancen haben auch promovierte Chemiker mit entsprechendem fachlichem Hintergrund in Elektrochemie, in Materialwissenschaften und Grenzflächenwissenschaften, Biochemie sowie der Theoretischen Chemie. Hier können junge Menschen einen Beitrag zur Forschung an wichtigen Zukunftsthemen leisten – zum Beispiel der Elektromobilität, der Energieerzeugung sowie der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auf der Basis von Big Data.
Der Verband der Chemischen Industrie e. V. (VCI) vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen von rund 1700 Chemie- und Pharmaunternehmen in Deutschland. Als Stimme der Branche kommuniziert der Verband mit Politik und Behörden sowie anderen Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien.
Hans-Hennig von Grünberg ist Professor und im zehnten Jahr Präsident der Hochschule Niederrhein – eine naturwissenschaftliche Karriere wie im Bilderbuch. Doch die ersten Schritte hinein in die Physik waren mühsam und voller Zweifel. Wie der Hochschulmanager aus dem Tal herauskam und was er angehenden Naturwissenschaftlern mit Zweifeln rät, erklärt er im Gespräch. Die Fragen stellte André Bosse.
Zur Person
Hans-Hennig von Grünberg (geboren 1965 in Eckernförde) studierte von 1985 bis 1993 Physik an der RWTH Aachen sowie später an der FU Berlin. Er promovierte 1994 mit einer Arbeit in der theoretischen Festkörperphysik. Nach Assistenzjahren in Oxford und Konstanz wurde er 2004 zum Professor für Theoretische Physikalische Chemie an die Uni Graz berufen. Seit 2009 ist er Präsident der Hochschule Niederrhein mit Sitz in Krefeld und Mönchengladbach, zum Ende seiner zweiten Amtszeit 2020 wird er sich auf eigenen Wunsch eine neue Herausforderung suchen. 2017 wählte eine Jury ihn zum Hochschulmanager des Jahres.
Herr von Grünberg, Sie sind heute Professor für Physikalische Chemie und leidenschaftlicher Naturwissenschaftler. Hätten Sie als junger Student darauf gewettet, dass es einmal so kommen wird? Nein, eher nicht, denn ich habe meinen Studienstart an der RWTH Aachen als wirklich sehr beschwerlich empfunden. Zum einen fiel es mir recht schwer, in diesen Kosmos einer Universität einzutauchen. Zum anderen haben mir die ersten Semester meines Physikstudiums extrem zugesetzt.
Warum? Weil sie zu wenig mit Physik zu tun hatten. Ich wollte ran an dieses Fach, darum hatte ich es ja ausgewählt. Stattdessen ging es in den Vorlesungen zunächst vor allem um abstrakte Mathematik – und zwar ohne, dass jemand uns mal den Sinn erklärte, warum das für die Physik wichtig ist. Also ging ich im zweiten Semester in eine Theoretische Mechanikvorlesung, um endlich echte Physik zu lernen. Doch dort habe ich nichts verstanden, also wirklich: null-komma-null. Ich war entsetzt, ich hatte mich als guten Abiturienten betrachtet – doch nun war ich an der Uni, belegte ein Fach, das mich durchaus interessierte, doch ich verstand nur Bahnhof.
Hatten Sie Zweifel, die richtige Wahl getroffen zu haben? Und ob! Und diese Erkenntnis hat mich erheblich aus der Bahn geworfen, ich fragte mich fortlaufend: Wie doof musst du sein, dass du hier einfach nichts verstehst? Ich erinnere mich noch an die Briefe, die ich damals an meine Eltern geschrieben habe, da war von der Begeisterung eines Studenten nichts zu spüren, das waren die Briefe eines Zweifelnden. Beneidet habe ich die Kommilitonen, die Jura oder Medizin gewählt hatten, denn die beschäftigten sich in ihrem Studium mit diesseitigen Dingen, da ging es um den menschlichen Körper und echte strafgerichtliche Fälle. Ich mit meiner Physik dagegen kam mir wie einer aus dem Jenseits vor. Meine damalige Freundin studierte Medizin, und ich bekam jeden Abend mit, mit wie viel Praxisbezug sie auf ihren späteren Beruf als Ärztin hin lernte. Ich hingegen kam mit meiner abstrakten Mathematik um die Ecke – bei der Physik war ich ja noch gar nicht angekommen. Das hat mich wirklich extrem genervt.
Weil es so langsam voranging. Ja, und weil mir die Grundbedingungen an einer Hochschule gewöhnungsbedürftig vorkamen. Unis sind ein seltsamer Ort, man geht dorthin, um sich von Professoren oder Dozenten bestimmte fachwissenschaftliche Themen ganz genau erklären zu lassen. Bei mir war das die Physik – da blieb dann kein Raum mehr für die Politik oder fürs Recht. Man verortet sich intellektuell in nur einem Fach, das ist bei Naturwissenschaftlern sicher noch stärker der Fall als in anderen Wissenschaften. Wie erwähnt: Die Physik kam mir jenseitig vor, ich sah zunächst keinerlei Anknüpfungspunkt an die wirkliche Welt. Insofern zog ich mich als junger Mensch aus dem eigentlichen Leben zurück. Und das ironischerweise in einer Lebensphase Anfang und Mitte 20, in der man eigentlich voll im Leben stehen möchte, was man ja zum Ende seiner Teenagerzeit noch getan hat. Bis zum Abi war man Teil einer großen Gruppe, man hat gemeinsam gelernt, hat zusammen Dinge auf die Beine gestellt. Das Physikstudium zu beginnen, war dann eine der ersten grundeigenen Entscheidungen. Die Folgen davon zu spüren – das war für mich nicht ohne, denn ich wusste sehr genau, dass es meine Entscheidung gewesen war, Physik zu studieren.
Hatten Ihre Mitstudenten die gleichen Zweifel? Nicht alle, nein, es gab zum Beispiel einen, der sagte von Beginn an: Ich kann gar nichts anderes als Physiker werden. Das war für ihn ganz klar, und er ist dann auch tatsächlich Physikprofessor geworden.
So wie auch Sie. Ja, ich bin gerne und leidenschaftlich Physiker, aber eigentlich bin ich ein noch leidenschaftlicherer Naturwissenschaftler. Ich hätte vielleicht in den ersten Semestern eine Suchbewegung in andere Fächer hinein zulassen sollen, zum Beispiel in die Biologie oder Chemie. Ich bin aber streng bei der Physik geblieben, so bin ich erzogen worden, recht preußisch, nach dem Motto: Wer A sagt muss auch B sagen.
War das rückblickend eine Fehlentscheidung? Nein, ich habe längst meinen Frieden mit der Physik gemacht. Aber dennoch wäre das Suchen nach anderen naturwissenschaftlichen Möglichkeiten damals durchaus sinnvoll gewesen. In diesem Sinne besitzt der Zweifel ja auch eine steuernde Funktion, er motiviert einen Menschen dazu, mit der Suche nach weiteren Optionen zu beginnen, statt sich hängen zu lassen oder sich seinem Schicksal zu ergeben.
Wann kam es zur Wende, wann entstand die Leidenschaft für die Physik? Als ich sie nach all der Mathematik endlich erreicht hatte, im fünften Semester. Es ging dann um die geliebte Quantenmechanik, das ist ja beileibe auch kein einfaches Thema, aber ich als ich die verstanden hatte, war ich endlich in der Physik angekommen.
Welche Strategie raten Sie Studierenden von naturwissenschaftlichen Fächern, die wie Sie damals Zweifel haben? Zwei Dinge sind wichtig, erstens helfen Nein-Entscheidungen. So neidisch ich auf meine Freundin und andere Leute aus meiner Peer-Group auch war, aber für mich wäre ein Medizin- oder Jura-Studium nie infrage gekommen, ich hatte mich früh bewusst dagegen entschieden, und es hat mir geholfen, hier Klarheit zu haben. Zweitens ist es wichtig, sich in seinem Bereich oder auch abseits davon die Themen zu suchen, die einen begeistern. Bei mir waren das zum Beispiel die Computer, die gab es Ende der 1980er-Jahre an der Uni nur in speziellen Räumen, aber mich hat das begeistert. Indem ich für mich feststellte, was mich wirklich begeistern konnte und was ich auf gar keinen Fall machen wollte, habe ich Stück für Stück Puzzlesteine zu meinem Lebensentwurf hinzugefügt, andere hingegen habe ich weggelegt – und irgendwann ergab sich dann der für mich richtige Weg. Wie hat Goethe im „Faust“ geschrieben: „Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, ist sich des rechten Weges wohl bewusst.“ Das hat sich bei mir tatsächlich bewahrheitet.
Die Deutschen Biotechnologietage – kurz DBT – werden vom Branchenverband BIO Deutschland organisiert und sind Treffpunkt für Unternehmer, Forscher, Politiker, Förderinstitutionen und Verwaltung. Die Konferenz befasst sich in Plenarvorträgen, Podiumsdiskussionen und Frühstücksrunden mit den Rahmenbedingungen und den vielfältigen Anwendungsfeldern der Biotechnologie und findet im Jahr 2020 am 27. und 28. Mai in Wiesbaden statt. Mehr Infos: www.biotechnologietage.de
BEWERBEN MIT DER MICRO-LEARNING-METHODE
Der Ratgeber „Bewerbung to go“ ist für alle, die keine Zeit haben, sich stundenlang mit ihren Berwerbungsunterlagen zu beschäftigen. Sandra Gehde: Bewerbung to go. Entspannt und zeitgemäß zum neuen Job. Erfolgreich bewerben mit der Micro- Learning-Methode. metropolitan 2019. ISBN 978-3-96186-030-2. 14,95 Euro.
„UNVERFRORENE FREUNDE“
Seit fast 30 Jahren erforscht Klemens Pütz das Leben von Pinguinen. Dafür reist er jedes Jahr für mehrere Monate in die Antarktis und in andere Regionen, in denen die Tiere leben. Nun gewährt er erstmals umfassend Einblick in den Alltag dieser faszinierenden Vögel und erklärt, was wir tun müssen, um sie zu schützen. Klemens Pütz, Dunja Batarilo: Unverforene Freunde. Mein Leben unter Pinguinen. Ullstein 2019. ISBN 978-3-55005-034-3. 20,00 Euro.
SPEKTRUM-PODCAST
Aktuelles aus der Welt der Wissenschaft bietet detektor.fm monatlich im Spektrum-Podcast, der gemeinsam mit den Redakteuren vom rennomierten „Spektrum der Wissenschaft“ gemacht wird.
GEHEIMNISSE ENTDECKEN
Chemie ist alles – was wir tun, was uns umgibt, was wir fühlen, alles hat mit Chemie zu tun. Die junge Wissenschaftlerin und Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim tritt in diesem spannenden Pop-Science-Buch den munteren Beweis dafür an und zerlegt Alltagsphänomene in ihre chemischen Elemente. Witzig und originell erklärt sie, welche chemischen Reaktionen in und um uns herum insgeheim ablaufen, und macht vor allem eins: Lust auf Chemie. Mai Thi Nguyen-Kim: Komisch, alles chemisch! Droemer 2019. ISBN 978-3-426-27767-6. 16,99 Euro.
„DAS GRÜNE WUNDER“
Im kleinen Kosmos „Garten“ ereignen sich ziemlich viele erstaunliche Dinge: Im Boden sorgen Kleinstlebewesen dafür, dass Nährstoffe von den Pflanzen aufgenommen werden können. Manche Pflanzen geben Stoffe in den Boden ab, um sich Konkurrenz vom Leib zu halten. Andere Pflanzen wiederum fördern sich gegenseitig im Wachstum. Im Buch „Das grüne Wunder“ erklärt die Gartenexpertin Ina Sperl auf lockere Weise das faszinierende Zusammenspiel von Bodenleben, Pflanzen- und Tierwelt im eigenen Garten. Ina Sperl: Das grüne Wunder. Das geheime Zusammenspiel der Tier- und Pflanzenwelt im Garten entdecken. Gräfe & Unzer 2019. ISBN: 978-3-8338-6953-2. 17,99 Euro.
„DIE KUNST DES LÄSSIGEN ANSTANDS“ – ALS HÖRBUCH
Wir leben in einem Zeitalter der Rüpelhaftigkeit und Selbstsucht. Überall gilt „ich zuerst“, es geht ständig ums Selbstoptimieren und den größtmöglichen eigenen Vorteil, so wird gedrängelt, gerempelt, auf Facebook gepöbelt. Aber auf diese Weise kommt niemand wirklich weit, im Gegenteil, das Zusammenleben mit seinen Mitmenschen wird höchst unangenehm. Alexander von Schönburg plädiert deshalb für mehr Anstand im Alltag. Dem „anything goes“ der hedonistischen Selbstverwirklichung stellt er die Ritterlichkeit gegenüber, in die man nicht hineingeboren werden muss, sondern zu der sich jeder selbst entscheiden kann. So bietet er in seinem neuen Buch konkrete Handlungsanweisungen und zeigt, warum nobles Verhalten das Leben schöner macht. Alexander von Schönburg: Die Kunst des lässigen Anstands. 27 altmodische Tugenden für heute. Download des Hörbuchs: hoerbuch-hamburg.hoebu.de
DIGITALE WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION
Ein Blog zu Wissenschaft, Wissenschaftskommunikation und weiteren zeitgenössischen Sachverhalten mit Texten über Naturwissenschaften, Medizin, Soziologie, Philosophie und anderes findet sich unter: www.wissenswerkstatt.net
VON BIRKEN, BUCHEN UND ANDEREN BÄUMEN
Baumexperte Andreas Roloff porträtiert in diesem Buch liebevoll und ausführlich 40 Stadt-, Park- und Waldbäume, viele davon einst Baum des Jahres. Schnelllebige Baumpioniere wie die Birke, bekannte Waldarten wie die Rot-Buche, ehrwürdige Baumveteranen wie Eiche und Ginkgo – die Vielfalt ist enorm. Ausführliche Porträts vermitteln Spannendes über Geschichte, Aussehen und Wirkung, Biologie, Nutzung und vieles mehr, kurz: das wirklich ganz Besondere jeder einzelnen Baumart, fundiert und unterhaltsam zugleich. Andreas Roloff: Der Charakter unserer Bäume. Ihre Eigenschaften und Besonderheiten. Ulmer 2017. ISBN 978-3-8001-0929-6. 19,90 Euro.
NATURWISSENSCHAFTEN UND MUSIK
Musik und Naturwissenschaften beeinflussen sich gegenseitig. Die Liaison von Naturwissenschaft und Musik wurzelt in der Steinzeit, lässt sich über Pythagoras, Bach und Messiaen bis in die Gegenwart verfolgen und bringt aktuell sogar neue Forschungsbereiche hervor. Das und einiges mehr kann man in einem Podcast des Hessischen Rundfunks hören.
Der 31-jährige Lukas Irmler tut, wovon viele träumen: Er machte sein Hobby zum Beruf und wurde 2011 nach seinem Abschluss als Bachelor of Science in Chemie zum Profi-Slackliner. Seitdem hat er mehrere Weltrekorde aufgestellt und überquerte zum Beispiel in schwindelerregender Höhe die Victoriafälle. 2016 absolvierte er den Master in Wirtschaftswissenschaften und arbeitet heute als selbstständiger Artist, Berater bzw. Speaker und Event-Koordinator. Die Fragen stellte Christiane Martin.
Herr Irmler, Sie lieben offensichtlich das Risiko. Im Februar dieses Jahres haben Sie in den Alpen eine 430 Meter lange und 170 Meter hohe Highline zwischen zwei gefrorenen Wasserfällen überquert. Was reizt Sie an diesem gefährlichen Hobby? Das Risiko liebe ich nicht direkt, würde ich sagen, aber ich mag es meine Komfortzone zu verlassen und Neues zu wagen. Das Highlinen ist per se eigentlich auch gar nicht so gefährlich, wie es aussieht. Es steckt viel Vorbereitung und Technik dahinter, was sogar ein Unterfangen wie die Highline zwischen den Eisfällen kontrollierbar macht. Vor allem reizt mich daran die Herausforderung, etwas als Erster zu versuchen und Neuland zu betreten – das weckt meinen Pioniergeist, denke ich.
Und haben Sie niemals Angst? Doch natürlich habe ich auch ab und zu Angst bei dem, was ich tue! Viel wichtiger, als keine Angst zu verspüren, ist es, seine Emotionen kontrollieren zu können, das Risiko rational einzuschätzen und mit der verbleibenden Angst positiv umzugehen. Angst ist in erster Linie ein wertvoller Ratgeber, eine Motivationsquelle für Kraft und Ausdauer und ohne die Angst wären das Erlebnis und der Erfolg nur halb so viel wert. Es geht mir ja in erster Linie immer darum, mich weiterzuentwickeln, Neues zu lernen und meine Grenzen zu überwinden, da gehört Angst schlicht dazu!
Sie arbeiten auch als Berater bzw. Speaker und halten Vorträge über Motivation. Was ist Ihre wichtigste Botschaft? Man sollte jeden Tag etwas tun, das einem Angst macht. Damit meine ich nicht ein extremes Erlebnis, wie Bungee-Jumpen oder Skydiven, sondern vielmehr ist das meine Aufforderung, sich den vielen kleinen Dingen zu stellen, die uns im Alltag Angst machen und sich bewusst auf die Situationen einzulassen, in denen wir uns unwohl fühlen und die wir normalerweise so gern vermeiden. Nur so, glaube ich, sind eine Persönlichkeitsentwicklung und ein Wachstum der Fähigkeiten nachhaltig möglich – die Angst ist hier oftmals ein guter Wegweiser!
Was können Sie speziell jungen Naturwissenschaftlern mit auf den Weg geben, die am Anfang Ihrer beruflichen Laufbahn stehen? Mich persönlich hat mein Studium der Chemie weit gebracht und ich habe viel gelernt. Besonders habe ich eine gewisse Stressresistenz entwickelt und gelernt, dass es normal ist, auf dem Weg zum Erfolg in 99 Prozent der Versuche zu scheitern. Wichtig ist, dass man trotzdem nicht aufgibt, an seine Idee glaubt und weiter dafür kämpft. Das Studium der Chemie ist in vielerlei Hinsicht wie eine lange Slackline. Es erscheint als unüberwindlich als Ganzes betrachtet, aber man muss sich darauf konzentrieren, einfach nur den nächsten Schritt zu bewältigen. Das ist alles, was nötig ist für den Erfolg – volle Konzentration auf den nächsten wichtigen Schritt.
Was ist ihr nächstes Ziel – welche Herausforderung wollen Sie als Nächstes meistern? Ich habe noch viele Ziele und Pläne, die mich antreiben. Als Nächstes geht es nach Montreal, Kanada, um die längste Slackline der Welt zu versuchen – eine 2 Kilometer lange Line.
Update für die Arbeitswelt – in der digitalen Ära verändern sich Berufsbilder
„Wirtschaftsprüfer 2.0“ – das sind analytisch starke und digital fitte Denker, die tief in die Netzwerke ihrer Mandanten eintauchen. Sie nutzen Big Data und Blockchain, erstellen mit ihren Prüfungen Mehrwert für den Kunden und schaffen Vertrauen durch persönliche Beratungen. Durch diese Entwicklung steigt der Anspruch an den Beruf. Technik hilft – man muss aber auch mit ihr umgehen können.