Spielt und seid achtsam

Die moderne Hirnforschung kennt die Voraussetzungen dafür, dass die grauen Zellen in Schwung kommen. Zwar wirken Impro-Theater, musikalische Spiele oder Achtsamkeitsübungen im Geschäftsleben zunächst seltsam, aber die Wissenschaft belegt: Wer achtsam ist und im Austausch mit anderen Menschen steht, dessen Gehirn ist besonders kreativ und innovationsfreudig. Von André Boße

Sebastian Purps-Pardigol ist als Coach für Führungskräfte tätig. Er besucht Unternehmen und durchleuchtet sie, spricht mit Mitarbeitern und Top- Managern. Dabei treibt ihn die Frage an: Wie kann es gelingen, dass die Menschen, die für das Unternehmen arbeiten, zufriedener sind? Manchmal ist dieser Job nicht einfach. Vor kurzem war er bei einem Konzern zu Gast, und als die Geschäftsleitung ihn vorstellte, tat sie das mit den Worten „Dieser Herr ist unsere letzte Chance!“. Er hat den Auftrag dann nicht angenommen, denn wenn ein Coach die letzte Chance ist, dann kann die Geschichte nicht gut ausgehen. Dann ist die Chance zum Kulturwandel schon vertan. Häufig bekommt es Sebastian Purps-Pardigol zudem mit Managern zu tun, die den Begriff des „Wandels“ sehr lange vor allem technokratisch betrachteten. Veränderungen, ja. Aber bitte nur solche, die nichts mit Menschen zu tun haben. Also werden Effizienzprogramme aufgelegt, um auch noch das letzte Schräubchen zu optimieren. Das bringt zwar am Ende kaum noch zählbare Verbesserung, ist aber bequemer, als sich mit den Menschen auseinanderzusetzen. „Was in der deutschen Arbeitswelt lange fehlte, war die Notwendigkeit, sich mit dem Denken anderer zu beschäftigen“, sagt Purps-Pardigol. „Stattdessen wurden immer weitere technische Projekte gestartet, um die Effizienz zu optimieren.“

Burnout bleibt Thema
Was die Optimierungen betrifft, ist in vielen Fällen also das Ende der Fahnenstange erreicht. Zeitgleich wird deutlich, dass in einem anderen Feld einiges im Argen ist. „Mitarbeiter melden sich immer häufiger krank, das Thema Burnout verschwindet nicht, die Überlastungen lassen sich nicht mehr mit Hilfe von Programmen zur Work-Life- Balance abfangen“, erläutert der Coach. Nach und nach setzt sich daher bei den Unternehmen die Erkenntnis durch: Wandeln muss sich der generelle Umgang mit Menschen im Unternehmen. Damit das gelingt, benötigen die Unternehmen Führungskräfte, die in der Lage sind, bei ihren Leuten Begeisterung zu entfachen und aus Teams lebendige Gemeinschaften zu machen. Warum dies so wichtig ist, zeigt die Hirnforschung: Ist ein Mensch leidenschaftlich und mit anderen zusammen bei der Sache, läuft das Gehirn zur Hochform auf. Dann entfaltet sich das gesamte kreative Potenzial der Mitarbeiter. Und das ist für Unternehmen viel wertvoller als das hundertste Effizienzprogramm. „Gelingt der Wandel in der Unternehmenskultur, dann kommen die Mitarbeiter wieder gerne zur Arbeit“, fasst Sebastian Purps-Pardigol zusammen und prognostiziert, dass die Zahl der psychisch bedingten Krankheitsfälle dann deutlich zurückgehen werde: „Wir erleben das heute schon bei Unternehmen, die man als Best-Practice-Beispiele bezeichnen kann: Den Menschen dort geht es einfach besser.“

Aber wie funktioniert Führung mit Hirn? „Zum Beispiel, indem man Achtsamkeit ins Unternehmen bringt“, sagt Purps-Pardigol. Übungen zur „Mindfulness-based Stress Reduction“ – kurz MBSR, auf Deutsch „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“ – geben dem Gehirn Impulse, damit ein Mensch Dinge anders wahrnimmt als gewöhnlich. Sich selbst. Die anderen. Aber auch die anstehenden Aufgaben. „Es kann somit gelingen, Menschen aus einem subjektiv erlebten permanenten Bedrohungszustand zu befreien“, sagt Purps-Pardigol. „Der Mensch kann sein Gehirn also darin trainieren, Impulsen von außen nicht mehr automatisch eine ungünstig behaftete Bedeutung zu geben, sondern sie auf eine günstige Art neu zu bewerten.“ Der Coach weiß: Dieser Ansatz klingt beinahe esoterisch – doch selbst harte Managertypen begreifen so langsam, wie wichtig das Thema ist. „Wenn ich Investmentbankern zu Beginn eines Trainings auf wissenschaftlicher Ebene erläutere, dass Menschen ein inneres Bedürfnis nach Verbundenheit in sich tragen, erlebe ich häufig, dass sich diese Business- Menschen tatsächlich trauen, Verbundenheit zueinander zu entwickeln. Sie sind dann selbst von sich überrascht und geben offen zu, dass sie einen Begriff wie Verbundenheit im Business- Meeting niemals gebrauchen würden, weil er eben zu esoterisch klingt.“

Feuerwerk fürs Hirn
Dass es bei der Führung mit Hirn um sehr einfache und bekannte Dinge geht, zeigt Christoph Quarch. Gemeinsam mit dem Hirnforscher Gerhard Hüther (siehe Interview ab Seite 14) widmet sich der Philosoph in seinem neuesten Buch, das 2016 erscheinen wird, dem Spiel. „Ich beobachte in den Unternehmen ein wachsendes Interesse am Geist. Gute Führungskräfte brennen darauf zu erfahren: Was sind das eigentlich für Menschen, die ich führe? Und wie kann ich sie darin unterstützen, ihre Potenziale zu entfalten? Wir stehen zwar noch am Anfang einer Bewegung, doch gehe ich fest davon aus, dass Themen wie Führung und Spiel weiter an Bedeutung gewinnen.“ Der Grund dafür liegt auf der Hand. In engen Märkten mit globaler Konkurrenz sind Unternehmen auf kreative Mitarbeiter angewiesen. Diese machen den Unterschied, sie sind Garanten für Innovationen. „Philosophie und Hirnforschung lehren uns in erstaunlicher Einheit, dass sich das kreative Potenzial eines Menschen am besten im Spiel entfaltet“, sagt Quarch. Als Spieler könne der Mensch neue Optionen erproben. „Er kann sich öffnen und zeigen, wie es im normalen operativen Geschäft gar nicht möglich wäre.“

Quarch plädiert tatsächlich für Spielzeit in Unternehmen. Beispiele dafür sind Impro-Theater-Runden oder auch musikalische Spiele. „Ich erlebe immer wieder, wie Menschen im Spiel neue Kommunikationsformen erproben. Für das Gehirn ist das wie ein Feuerwerk, weil dadurch vollkommen neue Verschaltungen und Verbindungen entstehen.“ Wichtig sei jedoch, dass das Spiel nicht für wirtschaftliche Zwecke missbraucht wird. „Es darf nicht für das Geschäft instrumentalisiert werden“, sagt Quarch, der es daher als „Oase der Zwecklosigkeit“ definiert. „Man spielt um des Spielens willen, das Spiel bleibt folgenlos.“ Nur, wenn das Gehirn weiß, dass diese Regel eingehalten wird, läuft es zur Hochform auf.

Redaktionstipps:

In seinem neuen Buch berichtet der Coach Sebastian Purps-Pardigol von seiner Arbeit mit Führungskräften. Er zeigt Best-Practice-Beispiele aus Unternehmen, die den Kulturwandel bereits geschafft haben, und kombiniert dabei wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Hirnforschung mit konkreten Fragen aus der Arbeitswelt.
Sebastian Purps-Pardigol: Führen mit Hirn. Mitarbeiter begeistern und Unternehmenserfolg steigern.
Campus, September 2015. ISBN 978-3593503394. 34 Euro

Dr. Henning Beck ist Neurobiologe, Biochemiker und Deutscher Meister im Science Slam. Er stellt auf humorvolle Art die neuesten Erkenntnisse aus der Hirnforschung vor.
Henning Beck: Hirnrissig. Die 20,5 größten Neuromythen – und wie unser Gehirn wirklich tickt.
Carl Hanser Verlag 2014. ISBN 978-3446440388. 16,90 Euro.
Website des Autors

Witzige Rätsel und Tests liefern interessante Erkenntnisse über die eigene Persönlichkeit, Intelligenz, moralische Werte und vieles mehr.
Ben Ambridge: Das Psycho-Test-Buch.
Knaur 2015. ISBN 978-3426655641. 19,99 Euro

Interview mit Rolf Sellin

Rolf Sellin ist hochsensibel. Das heißt: Er nimmt Dinge wahr, die anderen verborgen bleiben. Eigene Gefühle und die der anderen. Aber auch riskante Folgen von Entscheidungen. Man schätzt, dass bis zu 20 Prozent aller Menschen zu den Hochsensiblen zählen. Sellin unterstützt sie als Coach und weiß: In Unternehmen haben es Hochsensible nicht immer einfach. Dabei sind ihre Fähigkeiten sehr wertvoll. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Rolf Sellin, geboren 1948, studierte Architektur in Darmstadt und schloss das Studium als Diplom-Ingenieur ab. 13 Jahre lang war er als Redakteur für architektonische Fachzeitschriften tätig, dann nutzt er seine eigene Hochsensibilität, um als Heilpraktiker für Psychotherapie anderen hochsensiblen Menschen (highly sensitive persons, HSP) zu helfen. Er betreibt dafür in Stuttgart das HSP-Institut und ist Autor von drei Büchern zu dem Thema.
www.hsp-institut.de

Herr Sellin, was zeichnet einen hochsensiblen Menschen aus?
Hochsensible Menschen nehmen mehr Dinge wahr als andere Menschen – und haben damit auch mehr zu verarbeiten. Als Hochsensibler schaue ich nicht nur weiter über den Tellerrand hinaus, sondern auch tiefer in die Suppe hinein. In die eigene, aber oft auch in die Suppen der anderen – selbst, wenn das gar nicht erforderlich ist. Das hat zur Folge, dass ein Hochsensibler sich manchmal mit Problemen belastet, die über seine eigenen Belange weit hinausgehen. Das kann auch positiv sein, weil Hochsensible dadurch andere sehr gut verstehen und Trends oder Gefahren frühzeitig erkennen.

Eine Kompetenz, die in den Unternehmen heute sehr wichtig ist.
Und nicht nur dort. Ursprünglich waren die Hochsensiblen diejenigen, die in der Steinzeit Gefahren aus der Natur besser und früher erkannten als andere. Ihre Überlebensstrategie war dann der vorsichtige und umsichtige Rückzug. Während andere weiter nach vorne preschten, waren Hochsensible die Warner der Horde.

Kann man diese Rollen aus der Steinzeit auf die Berufswelt übertragen?
Durchaus. In den Unternehmen sind die Hochsensiblen häufig die Bedenkenträger, die Hindernisse identifizieren. Sie erkennen zum Beispiel die für andere kaum ersichtlichen negativen Begleiterscheinungen von neuen Strategien.

Damit machen sich Hochsensible in Teams nicht unbedingt beliebt, oder?
Stimmt, denn während die anderen enthusiastisch bei der Sache sind, bringen die Hochsensiblen Dinge ins Spiel, die schiefgehen könnten. Das kommt nicht immer gut an. Klar ist aber: Wenn ein Team diese Bedenken aufgreift und in ihre Strategien mit einbezieht, dann ist es flexibler und für alle Eventualitäten besser gerüstet.

Wie kommen die Hochsensiblen mit dieser Rolle zurecht?
Ein Hochsensibler muss lernen, mit seiner Wahrnehmung umzugehen, um sich nicht alle möglichen Probleme auf die Schultern zu laden. Er muss lernen, Prioritäten zu setzen. Und er muss damit umgehen, dass nicht alles, was er tut und anstößt, bis ins Detail vollkommen sein muss. Hochsensible machen sich Aufgaben häufig schwerer, als sie sind. Sie wollen es so gut erledigen, dass keinerlei Kritik möglich ist. Interessant ist: An der Uni kommt eine solche Arbeitsweise häufig gut an. In Unternehmen jedoch nicht mehr. Da heißt es dann: Verzettele dich nicht! Denn in der Wirtschaft ist Effektivität gefordert.

Dennoch: Die Empathie der Hochsensiblen ist auch gefragt.
Auf jeden Fall. Es gibt Unternehmen, die sehr viel Geld für Marktuntersuchungen, für eine Verbesserung der Schnittstelle zwischen Produkt und Benutzer oder eine optimale Kundenbeziehung ausgeben – die Potenziale ihrer Hochsensiblen aber gar nicht einbeziehen. Diese spüren nämlich sehr genau, was die Kunden wünschen, wo sich Probleme aufbauen, wohin der Trend geht. Man schätzt, dass 15 bis 20 Prozent aller Menschen zu den Hochsensiblen zählen. Es gibt also in jedem Unternehmen garantiert solche Mitarbeiter. Die Hochsensiblen müssen lernen, sich verständlich zu machen und ihre Erkenntnisse so zu kommunizieren, dass sie auch von den anderen angenommen werden. Erst wenn sie ihre Fähigkeiten bewusst und zielgerichtet einsetzen, zeigen sich ihre Qualitäten. Und dann werden die Eigenschaften der Hochsensiblen für ein Unternehmen zu einem Vorteil.

Redaktionstipp:

Hochsensibilität
Deutscher Informations- und Forschungsverbund Hochsensibilität
www.hochsensibel.org

Online-Tests: Bin ich hochsensibel?
www.hochsensibilitaet.org/online-test.html

Kompetenzzentrum für Hochsensibilität
www.aurum-cordis.de

Interview mit Prof. Dr. Gerald Hüther

Ein Hirn ist gut, zwei und mehr sind besser. Der Neurobiologe Prof. Gerald Hüther glaubt fest daran, dass es sich in Gemeinschaft besser denkt. Wie Co-Kreativität entsteht und welcher Führungsstil wichtig ist, damit sich Potenziale entfalten, erklärt er im Gespräch mit André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Gerald Hüther, geboren 1951 in Gotha, studierte in Leipzig Biologie und absolvierte dort nach seinem Diplom ein dreijähriges Forschungsstudium in Neurobiologie. Nach seiner Promotion 1977 zog es ihn von der DDR in die BRD, wo er von 1979 bis 1989 am Max-Planck-Institut in Göttingen ein Forschungsprojekt zur Entwicklungsneurologie leitete. Heute ist Gerald Hüther Professor für Neurobiologie an der Uni Göttingen, Autor von Sachbüchern zum Thema Hirnforschung und Leiter der Akademie für Potentialentfaltung.
www.gerald-huether.de
www.facebook.com/geraldhuether
www.akademiefuerpotentialentfaltung.org
www.kulturwandel.org

Herr Professor Hüther, warum entfaltet unser Gehirn sein ganzes Potenzial vor allem in der Begegnung mit anderen Menschen?
Das Gehirn selbst ist eine Art Netzwerk. Gut vergleichen kann man es mit einer großen Stadt. Dort existieren Straßen und Straßenbahnlinien. Es gibt Stadtviertel und Szenen, die mal mehr, mal weniger ins Stadtleben integriert sind. Wer eine lebendige Großstadt betrachtet, merkt schnell: Es gibt hier keine Zentrale, es handelt sich vielmehr um ein sich selbst organisierendes System, das von Individuen gestaltet wird.

Und etwas Ähnliches geschieht im Gehirn?
Genau. Nur, dass man dort keine Personen antrifft, sondern individuelle Nervenzellen. Aber auch diese kommunizieren miteinander. Sie bilden Bahnen und Vernetzungsmuster. Auch im Gehirn gibt es Bereiche, die stark in die Kommunikationsstrukturen eingebunden sind und einen großen Einfluss auf andere Bereiche besitzen.

Städte entwickeln sich. Gehirne auch?
Ja. Wobei wir das häufig nicht mitbekommen, man sieht es ja nicht. Wenn in einer Stadt wie Leipzig innerhalb weniger Jahre viele neue und lebendige Szenen entstehen, erkennt das der Besucher sofort. Beim Gehirn ist der Deckel drauf. Daher sind diese Entwicklungen nicht so offensichtlich.

Können sich Gehirne – wie Städte – auch in eine negative Richtung verändern? Brach liegen, aussterben?
Natürlich, zum Beispiel, wenn ein Mensch nach vielen Jahren in den Ruhestand geht, nachdem sich sein ganzes Leben um den Beruf gedreht hat. Nun sitzt dieser Mensch tagsüber auf der Couch, und er fühlt sich dabei ziemlich nutzlos.

Einsteiger erleben im Idealfall das Gegenteil: Es gibt viele neue Impulse und Herausforderungen.
Genau, und es handelt sich um eine sehr spannende Phase, wenn sich viele Dinge neu formieren. Im besten Fall kann daraus eine Begeisterung für den neuen Lebensabschnitt entstehen, ein enormer Schwung, der den jungen Menschen dabei hilft, neue Aufgaben zu meistern. Kurz gesagt: Man erlebt einen Flow.

Was passiert da im Gehirn?
Begeisterung stellt sich immer dann ein, wenn man etwas richtig gut hinbekommen hat. Im Gehirn werden dann die emotionalen Zentren aktiviert und schütten bestimmte Botenstoffe aus. Der wichtigste und bekannteste ist Dopamin. Es folgt eine positive Kettenreaktion – und am Ende befindet man sich tatsächlich in einer Art Rauschzustand.

Nun erfährt man diese Begeisterung im Alltag nicht sehr häufig. Wer oder was hindert unser Gehirn daran, uns häufiger zu begeistern?
Da würde ich gerne etwas weiter ausholen. Die Menschen haben sehr lange in repressiven und autoritären Systemen gelebt, in Monarchien oder Feudalsystemen, später in Diktaturen aller Art. Den größten Teil unserer Geschichte haben wir mit Kriegen zugebracht. Die meisten Menschen waren Opfer der Verhältnisse und besaßen kaum Möglichkeiten, ihre Situation zu verändern. Das hat sich seit gut 50 Jahren in Westeuropa und den USA sehr gewandelt. Die Menschen erleben sich heute als Gestalter ihres eigenen Lebens. Aus Objekten sind Subjekte geworden. Diese Subjekte begegnen sich nun – und die Wissenschaft hat erkannt, dass diese Begegnung die Voraussetzung dafür ist, dass sich Menschen weiterentwickeln und ihr Potenzial entfalten.

Was passiert denn, wenn sich Subjekte begegnen?
Es entsteht eine Co-Kreativität, eine Co-Evolution: Wenn Menschen einander als Subjekte begegnen, teilen sie ihr Wissen und Können. Sie verbinden sich im Denken. Auf diese Art entfalten die beiden Subjekte jeweils ihr ganzes kreatives Potenzial. Es entsteht eine Dynamik, die nicht nur die Individuen voranbringt, sondern auch die Organisationen, in denen sie tätig sind.

Dazu zählen auch Unternehmen.
Genau. Es ist daher die Aufgabe eines Unternehmens, eine Kultur zu schaffen, die solche Begegnungen von Subjekten fördert.

Wie weit sind die Unternehmen in dieser Hinsicht?
Der historische Umstand, dass wir in Deutschland seit mehr als fünf Jahrzehnten in einer Demokratie leben, bedeutet nicht, dass die alten hierarchischen Objekt-Subjekt-Beziehungen keine Rolle mehr spielen. Es gibt sie noch. Auch in der Wirtschaft, wo Führungskräfte weiterhin Machtpositionen einnehmen und ihre Autorität ausspielen. Zum Beispiel, indem sie ihren Leuten vorschreiben, was sie zu tun haben, um sie dann später zu belohnen oder zu bestrafen. Bonus und Kündigung – das sind zwei Seiten derselben Medaille.

Zuckerbrot und Peitsche – schon Bismarck hat so gedacht…
… und an den Unis nennt man das heute neudeutsch Credit Points. Diese Art von Dressur mag sinnvoll sein, wenn es ums bloße Funktionieren geht. Doch die Unternehmen haben heute andere Themen. Sie benötigen keine Leute mehr, die brav auf ihre Chefs hören. Sie brauchen stattdessen engagierte Einsteiger und junge Führungskräfte, die Lust haben, sich eigene Gedanken zu machen – und diese dann gemeinsam mit anderen umsetzen. Denn dann erhalten die Unternehmen das, was sie von ihren Mitarbeitern am dringendsten benötigen: ihre Kreativität und ihr Mitdenken, ihre Empathie und Freundlichkeit, ihre Loyalität und ihr Verantwortungsbewusstsein.

Wie können Unternehmen ihre Talente in dieser Hinsicht fördern?
Es gilt, eine Kultur zu schaffen, in der sich die Mitarbeiter als wertgeschätzt und geachtet erleben. Jeder, der schon einmal verliebt war, weiß, wie sich das anfühlt: Man entdeckt plötzlich eine neue Kraft in sich als Subjekt, und käme es darauf an, für eine neue Liebe eine weitere Fremdsprache zu lernen, würde man das auch in Rekordzeit hinbekommen. Sprich: Das eigene Potenzial wird um ein Vielfaches erhöht, wenn man Subjekt sein darf – und nicht wie ein Objekt unter Autoritäten und Hierarchien leidet.

Wie sollte man führen, damit sich diese Potenziale entfalten?
Jede junge Führungskraft sollte sich klarmachen: Will ich in meinem Team den Chef spielen? Oder will ich als Teil des Teams mit meinen Leuten zusammenarbeiten? Das sind zwei völlig verschiedene Haltungen, aus denen sich jeweils andere Führungsstile ergeben. Beglückender ist natürlich die zweite Variante. Es entsteht eine Kultur des gegenseitigen Einladens innerhalb der Gemeinschaft. Man wächst als Gruppe von Subjekten zusammen. Keiner wird in eine Tonne gesteckt und gedeckelt, alle fühlen sich inspiriert, aus sich selbst heraus etwas Neues zu entwickeln. Diese Teams kommen häufig zu fantastischen Ergebnissen.

Das neue Buch: „Etwas mehr Hirn, bitte“

Cover
Gerald Hüther: Etwas mehr Hirn, bitte.

In seinem aktuellen Buch spricht Gerald Hüther eine „Einladung zur Wiederentdeckung der Freude am eigenen Denken und der Lust am gemeinsamen Gestalten“ aus, wie es im Untertitel heißt. Hüther plädiert für die Freiheit des denkenden Menschen – und gegen eine gehorsame Anpassung an die häufig hierarchisch und autoritär gestaltete Welt. Sein Credo: Sein ganzes kreatives Potenzial entfaltet der Mensch nur dann, wenn er sich in einer Gemeinschaft erlebt. Durch einen Kulturwandel diese Gemeinschaften zu fördern – das ist nach Hüther eine der großen Aufgaben von Unternehmen.
Gerald Hüther: Etwas mehr Hirn, bitte.
Vandenhoeck & Ruprecht 2015. ISBN 978-3525404645. 19,99 Euro

Interview Jörg Will

Jörg Will ist Geschäftsführer der Kölner Unternehmens- und Personalberatung ifp. Für das Buchprojekt „Haltung zeigen. Gut führen“ beschäftigte er sich intensiv mit dem Thema Haltung – in seinen Augen ein wesentlicher Aspekt, um den Erfolg von Führungskräften zu verstehen. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Jörg Will übernahm 1996 die Leitung des Kölner Instituts für Personal- und Unternehmensberatung (ifp). Das Unternehmen für die Suche, Auswahl und Beurteilung von Führungskräften wurde von seinem Vater Horst Will gegründet. Jörg Will hat eine Lehre als Bankkaufmann gemacht und im Anschluss BWL an der Universität Passau studiert, bevor er sich mit dem Unternehmen seines Vaters selbstständig machte. Mehr zum Buch „Haltung zeigen. Gut führen“: www.ifp-online.de/50-jahre-ifp/haltung-zeigen-gut-fuehren

Herr Will, Sie haben ein Interviewbuch zum Thema Haltung veröffentlicht. Wie kamen Sie auf diesen Begriff?
Bei der Frage, was eine gute Führungskraft auszeichnet, befassen wir uns in der Regel mit Kompetenzen und Potenzialen. Doch allein damit lässt sich der Erfolg einer Führungskraft nicht herleiten. Wir stellten fest, wie wichtig die Grundeinstellung ist, wie bedeutsam es ist, wie ein Mensch den Sachverhalten und anderen Menschen gegenübersteht. Kurz: welche Haltung er mitbringt.

Welche Formen von Haltung gibt es?
Haltung besitzt drei Dimensionen: Es gibt die Haltung gegenüber der Funktion und Aufgabe. Dann die Haltung gegenüber den Menschen, die einem im Beruf begegnen. Und schließlich noch die Haltung sich selbst gegenüber. Dabei ist Haltung in meinen Augen nicht angeboren und nicht unveränderlich. Sie bestimmt den Kern eines Menschen und wird geformt durch seine Erfahrungen. Es ist fast unmöglich, seine Haltung zu verstellen.

Warum ist Haltung eine wichtige Kompetenz für Führungskräfte?
Wer in Unternehmen Verantwortung für Menschen und Aufgaben trägt, der muss sich zeigen. Haltung äußert sich in Handlungen. Ein Top-Manager zum Beispiel muss vorangehen und zum Ausdruck bringen, wofür er persönlich, aber auch wofür das Unternehmen steht. Wer Führungskraft werden will, muss sich daher damit auseinandersetzen, wie er mit Menschen umgehen will. Das funktioniert häufig automatisch, aber es lohnt sich, sich das bewusst zu machen. Wobei dieser Prozess auch zur Folge haben kann, dass man erkennt: Eigentlich liegt mir das Führen nicht. Oder noch nicht.

Wie sollte eine Führungskraft Haltung für sich interpretieren?
Eine spannende Aussage in unserem Buch ist, dass eine Führungskraft weniger Halt geben als vielmehr zur Haltung bevollmächtigen sollte. Dieser Ansatz führt zu einem ganz anderen Rollenverständnis und auch Menschenbild, als es die gängigen Führungstheorien vermitteln. Ich finde, es lohnt sich, diesem Gedanken zu folgen.

Ihr Rat an eine junge Führungskraft: Wie zeigt man Haltung?
Man sollte versuchen, als junge Führungskraft für seine Überzeugungen einzustehen und sich nicht von den Unternehmen und Konzernen einschüchtern zu lassen. Große Organisationen neigen dazu, immer die gleichen Typen auszusuchen. Es ist aber lohnenswert, eigene Überzeugungen auszutesten, um zu erfahren, was für eine Reaktion sie auslösen.

Kommunikation ist, wenn man trotzdem spricht

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Von Thomas Rose, Business Coach und Europameister im Redewettbewerb von Toastmasters International

Die Welt dreht sich definitiv schneller als noch vor ein paar Jahren, und an einem einzigen Tag geschieht heute mehr als im ganzen Leben unserer Großeltern. Wir rennen von einer Aufgabe zur nächsten, haben hier ein Meeting, dort einen Jour Fixe, und zwischendurch führen wir die wichtigsten Telefonate im Laufen: „Hast Du kurz Zeit?“ – „Ja, ja. Aber nur zwei Minuten. Ich habe einen harten Anschlusstermin und muss dann in eine TelKo …“

Willkommen auf der Erde.

Zur Person:

Rede-Europameister Thomas Rose, Foto: Thomas Rose
Rede-Europameister Thomas Rose, Foto: Thomas Rose

Thomas Rose ist freiberuflicher Unternehmensberater und Business Coach, der seinen Kunden in Konflikt- und Krisensituationen hilft. Außerdem spricht er als Hauptredner bei Veranstaltungen großer Unternehmen über Themen wie Mitarbeitermotivation oder persönliche Entwicklung. Seit 2008 ist Thomas Rose Mitglied bei Toastmasters International, einer internationalen Non-Profit-Organisation mit aktuell 313.000 Mitgliedern in 14.650 Clubs in 126 Ländern. Die Clubmitglieder treffen sich regelmäßig, um ihre Redefähigkeiten zu verbessern und Führungsfähigkeiten zu entwickeln.
Weitere Infos zu Toastmasters International: www.toastmasters.org

Sind die langen und ausführlichen Gespräche passé? Gehören spannende Präsentationen der Vergangenheit an? Werden wir nie wieder am Lagerfeuer sitzen und uns Geschichten erzählen? Ich glaube, die Welt braucht bessere Redner und Erzähler. Menschen, die fesseln können. Moderatoren, die ihre Gesprächspartner als wertvolle Quellen des Wissens wahrnehmen. Teamleiter, die motivieren. Visionäre, die inspirieren. Oder schlicht: Menschen, die mit Worten begeistern.

Und wenn wir uns schon darüber einig sind, was dieses Universum braucht – warum nicht selbst einen Beitrag zu einer besseren Welt der Rhetorik leisten? Warum nicht selbst die Änderung sein, die wir in dieser Welt sehen wollen? Warum nicht selbst motivieren, inspirieren und begeistern?

Gelegenheiten gibt es genug. Wie wäre es mit dem nächsten Bewerbungsgespräch, der nächsten Powerpoint-Präsentation oder der nächsten Afterwork-Party?

Das Bewerbungsgespräch

Viele Unternehmen haben Probleme: zu wenig Umsatz, zu wenig Gewinn, zu geringe Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen, zu hoher Krankenstand, zu viele Rückläufer oder zu hohe Kündigungsquoten. Zur Lösung dieser Probleme benötigen Unternehmen Problemlöser.

Ihr Lebenslauf und Ihre Zeugnisse dienen dem Unternehmen nur als Mittel zum Zweck, um eine einzige Frage zu beantworten: Sind Sie ein Problemlöser – oder würde sich das Unternehmen mit Ihrer Einstellung nur ein weiteres Problem einhandeln? Ihre einzige Aufgabe im Bewerbungsgespräch besteht also darin, Ihren Gesprächspartner davon zu überzeugen, dass Sie ein Problemlöser sind. Nur aus diesem einen Grund fragt Sie der Personaler nach Ihrem größten Erfolg und nach Ihrem größten Misserfolg. Wie sind Sie damit umgegangen, und was haben Sie daraus gelernt?

Im Gespräch mit Ihrem künftigen Arbeitgeber zeigen Sie sich also interessiert und stellen Sie viele kluge Fragen. Verpacken Sie Ihre Erfahrungen in Geschichten und halten Sie diese kurz und knackig. Kommen Sie auf den Punkt und enden Sie Ihre Ausführungen immer mal wieder mit einer anschließenden Frage, zum Beispiel: „Wäre eine solche Erfahrung für Ihr Unternehmen interessant?“ Wenn Sie Ihrem Gesprächpartner zuhören, nicken Sie hin und wieder. Lehnen Sie sich eher nach vorne als nach hinten und halten Sie Augenkontakt, ohne Ihr Gegenüber anzustarren. Sie wollen ja nicht als Psycho rüberkommen …

Die Powerpoint-Präsentation

Geschafft! Sie haben den Job und wollen Ihre Kollegen zu einem Meeting einzuladen. Hier präsentieren Sie Ihre neuesten Ideen, Analysen und Schlussfolgerungen. Und natürlich zeigen Sie sich State-of-the-Art und kommunizieren nicht einfach Ihre Einsichten. Nein, Sie geben eine Powerpoint-Präsentation.

Welche Schriftgröße Sie verwenden, können Sie an vielen anderen Stellen nachlesen. Mir geht es hier vor allem um eines: Benutzen Sie Ihre Präsentation nicht als Krücke, um sich an Ihren Text zu erinnern. Schreiben Sie so wenige Wörter wie möglich auf die Folien. Wer liest, hört nicht zu, und Sie sind als Redner das Transportmedium für das gesprochene Wort. Wenn Sie Zahlen, Daten, Fakten präsentieren müssen, dann zeigen Sie auf der Folie allenfalls ein Diagramm. Die genauen Daten bieten Sie als Handout oder zum Download an. Oft ist es auch klug, solche Details im Vorfeld zu verschicken, und in der kurzen Zeit, die Ihnen zur Verfügung steht, nur das große Bild zu zeichnen.

Reden Sie zum Publikum, nicht zur Leinwand. In einer Präsentation spielen Sie als Redner immer die Hauptrolle. Transportieren Sie Ihr Wissen in Form von Geschichten. Ihre Zuhöher vergessen sehr schnell, was Sie sagen. Aber sie vergessen nie, wie sie sich während Ihrer Präsentation gefühlt haben. Spielen Sie mit Emotionen, auch – und gerade wenn – Sie Zahlen, Daten und Fakten präsentieren.

Die Afterwork-Party

Feierabend – ab in den Club. Jetzt machen Sie sich zunutze, was Geschichtenerzähler schon immer wussten: Erzählen Sie nur die Hälfte. Natürlich sollten Sie hauptsächlich Fragen stellen, aber wenn Sie selbst mit Reden dran sind, bleiben Sie für andere interessant, indem Sie immer ein bisschen mysteriös bleiben. Freizeit ist wie Business: Wer fragt, der führt. Und wollen wir nicht alle in der ersten Reihe stehen? Das schafft man aber nicht mit einem großen Mundwerk. Jedenfalls nicht dauerhaft.

Serviceliste

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@Service: Buch- und Linktipps, Messen, Netzwerke zur Ausgabe des karriereführer recht 2.2015

Recruitingmessen für Juristen

ALICE | Europas erste LGBTI Karrieremesse für Juristen und Juristinnen
30.10.2015 in Frankfurt am Main
http://juristenmesse.com

JURAcon
27.10.2015 Hamburg
12.11.2015 in Frankfurt am Main
01.12.2015 in München
08.12.2015 in Berlin
www.iqb.de/web/bewerber1/juracon

JurStart
19.05.2016 in Münster
www.jurstart.de

Netzwerke für Juristen

Deutsch-Amerikanische Juristenvereinigung (DAJV)

DIRO – das Europäische Kanzleinetzwerk

INSOL – Netzwerk von Spezialisten für die Bereiche Insolvenz und Unternehmenssanierungen

ALICE: Das schwul-lesbische Jurist_innen-Netzwerk

Seminartipps

Kostenloses Onlineseminar für junge Rechtsanwälte: So starten Sie erfolgreich in den Anwaltsberuf

Linktipps

Kostenlose Fachmedienrecherche
Registrierung auf www.soldan.de/fachsuche. Anschließend können Sie in den Rechtsprechungsarchiven der Bundesgerichte ab dem Jahr 2000 sowie in lokal auf dem Rechner gespeicherten Dateien recherchieren.

Spurensicherung 2.0
Im Forschungsprojekt HUSSA wurde ein neues Verfahren für die Sicherung von genetischen Spuren entwickelt. Mehr Infos

Buchtipps

Aktuell:
Julia Enxing: Schuld. Theologische Erkundungen eines unbequemen Phänomens

Fast schon ein Klassiker:
Ferdinand von Schirach: Schuld

Spiegel-Bestseller:
Gila Lustiger: Die Schuld der anderen

Austausch- und Mentorenprogramme für Juristen

Deutsch-Amerikanische Juristenvereinigung (DAJV)

Clavisto

DAAD/Erasmus

karriereführer recht 2.2015

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Cover karriereführer recht 2.2015

Moot Courts – Im Wettbewerb Prozesse lernen

So echt wie möglich. Bei den Moot Courts simulieren angehende Juristen echte Verhandlungen. Dabei ist das Aufsetzen von Schriftsätzen und das Einüben von Plädoyers viel mehr als eine Spielerei. Die teilnehmenden Talente entwickeln wichtige Fähigkeiten und stellen Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern her. So wird der Moot Court zum Karriere-Kickstart.

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E-Paper karriereführer naturwissenschaften 2015.2016

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Gut mit Moot

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Ob bei deutschen Moot Courts zum Arbeits- oder Anwaltsrecht oder bei internationalen Wettbewerben: Wer als Talent daran teilnimmt, bildet sich nicht nur inhaltlich weiter, sondern fügt seiner Vita einen wertvollen Baustein hinzu. Zumal viele Kanzleien zu den Förderern der Moot Courts zählen. Von André Boße

Rechtsanwalt Carsten Janus klagt für seine Mandantin, die Kfz-Werkstatt Günstig und Schnell, beim Werkstattkunden Timo Blank die Begleichung einer Rechnung für die Reparatur seines Maserati ein. Jedoch gab es bei der Auftragsabwicklung einige Ungereimtheiten, und nun soll Timo Blank auch noch das Honorar des Anwalts Janus bezahlen. Also sucht sich der Maserati-Besitzer selbst anwaltliche Beratung. Er findet sie bei der Kanzlei Schlau und Fair, die schließlich eine Feststellungsklage gegen den Kollegen Janus erstellt und diese beim Landgericht einreicht. Der Fall Janus geht vor Gericht. Die Namen der Protagonisten legen es nahe: Diese Geschichte ist fiktiv. Doch die im Internet abrufbare Akte zu dem Fall zeigt bereits, dass es sich nicht nur um eine kleine Spielerei handelt. Der komplizierte Hergang einer suspekten Autoreparatur ist ein verwinkelter juristischer Rechtsfall, entwickelt wurde er von den Organisatoren des Soldan Moot Court. Der Fall behandelt, eingekleidet in einen Zivilprozess, eine Menge berufsrechtlicher Fragen für Anwälte. Bei der anstehenden Verhandlung schlüpfen die Studierenden schließlich in die Rollen der Vertreter von Klägern und Beklagten und verhandeln vor dem fiktiven Landgericht einen erfundenen zivilrechtlichen Prozess mit Bezug zum anwaltlichen Berufsrecht. Von Juni bis Oktober 2015 haben sich rund ein Dutzend Teams mit der Lösung der Sache „Janus“ beschäftigt. Die Teilnehmenden sind Studierende der Rechtswissenschaften, die sich intensiv mit den Sachverhalten auseinandersetzten, um schließlich vor einem unechten Gericht, jedoch besetzt mit echten Richtern, die beste juristische Leistung zu bieten – und damit die Fachjury zu überzeugen.

Ernster Wettbewerb
Die Theorie in die Praxis umzusetzen – das ist die große Herausforderung für alle juristischen Einsteiger. Und genau das schulen die Moot Courts. Die Idee der Wettbewerbe vor fiktiven Gerichten stammt aus den USA, wo diese Veranstaltungen schon einige Jahre lang Tradition besitzen. Doch auch in Deutschland entwickelt sich derzeit eine stärkere Moot-Court-Kultur, der Soldan Moot Court zählt dabei zu den Pionieren. Während die Teilnahme an internationalen Wettbewerben wie dem Willem C. Vis Moot Court, einer Art Moot-Weltmeisterschaft, für deutsche Hochschulteams einen großen finanziellen und organisatorischen Aufwand bedeutet, verfolgt der Soldan Moot Court das Ziel, allen Standorten eine niederschwellige Moot-Erfahrung zu ermöglichen. Verantwortlich für die Durchführung ist Prof. Dr. Christian Wolf, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht an der Leibniz Universität Hannover. „Ein Moot Court ist ein harter Wettbewerb, bei dem die Teilnehmenden Leistungen erbringen, die denen der Berufsträger ebenbürtig sind“, macht er klar. Wer erfolgreich an einem Moot Court teilgenommen hat, habe damit unter Beweis gestellt, dass er das Zeug zu einem erfolgreichen Rechtsanwalt hat. „Das Abschneiden in einem Moot Court halte ich übrigens für deutlich aussagekräftiger als diverse Rankings, zum Beispiel die von Personalchefs erstellten Listen über die besten Fakultäten der Rechtswissenschaft“, so Wolf.

Talent trifft Profi
Besonders attraktiv sind die Veranstaltungen, wenn viele Vertreter aus der Praxis dabei sind – also potenzielle Arbeitgeber. „Die mündlichen Verhandlungen eines Moot Court bilden die ideale Gelegenheit, um auf informelle Art und Weise in Kontakt mit Praktikern zu kommen. Das kann eine richtige Praktikabörse werden – und wer weiß, was sich aus einem solchen Praktikum alles entwickeln kann.“ Besonders faszinierend, so Christian Wolf, sei, dass die Teilnehmenden bei der Arbeit mit dem Fall immer wieder neue Wendungen und Aspekte finden, die er als Entwickler des Sachverhalts gar nicht im Kopf gehabt habe. „Während des Wettbewerbs verschieben sich damit immer wieder die Argumentationslinien – und das überrascht auch diejenigen, die den Fall im Vorfeld entwickelt haben.“ Neben dem Soldan Moot Court gibt es in Deutschland mittlerweile eine Reihe weiterer Wettbewerbe. So richtet das Bundesarbeitsgericht alle zwei Jahre den Arbeitsrechtlichen Moot Court aus: Den Studenten wird darin die Aufgabe gestellt, in einem vorgegebenen Sachverhalt aus dem Arbeitsrecht fiktive Prozessparteien mit ihren gegensätzlichen Anliegen vor Gericht zu vertreten. Regelmäßig sind bei diesem Wettbewerb Teams der Bucerius Law School vertreten, Betreuer dort ist Prof. Matthias Jacobs. „Bei den Moot Courts wird das gemacht, was man später als Jurist auch tun wird: Schriftsätze schreiben und in mündlichen Verhandlungen plädieren“, sagt er. Dies sei die Praxis – und von dieser bekomme man im Studium in der Regel nur mittelbar etwas mit.

Soldan Moot Court

Wer auf den Moot Court neugierig geworden ist, kann sich auf der Homepage des Wettbewerbs in die Geschichte einlesen. Hier finden sich auch die Fälle der vergangenen Wettbewerbe sowie weitere Informationen über den Veranstalter, die Hans Soldan Stiftung, die über das Soldan Institut weitere interessante Informationen bereithält. So ist bei den Publikationen zuletzt der Band „Die junge Anwaltschaft: Ausbildung, Berufseinstieg und Berufskarrieren“ erschienen.

Termine 2016
Das Finale des Moot Courts 2016 findet vom 6. bis 8. Oktober 2016 statt. Die Fallausgabe wird Ende Juni/Anfang Juli sein. Genaue Termine auf www.soldanmoot.de
Weitere Infos unter:
www.facebook.com/SoldanMoot und www.soldaninstitut.de

Erfolg durch Spaß an der Sache
Die Teams der Bucerius Law School schneiden beim Arbeitsrechtlichen Moot Court häufig sehr gut ab, bei der ersten Auflage belegten sie sogar die Plätze eins, zwei und drei. Jacobs: „Das war einfach sensationell.“ Der Betreuer hat die Erfahrung gemacht, dass Moot- Court-Teams vor allem dann erfolgreich waren, wenn sie mit großem Spaß an den Wettbewerb herangegangen sind. „Ausgezeichnete Teams hatten Lust, das gelernte Arbeitsrecht auf einen praktischen Fall anzuwenden. Außerdem hat es sie sehr motiviert, mal nicht eine Klausur zu schreiben, sondern an einem Schriftsatz zu feilen, sich mit Probeplädoyers intensiv auf die mündliche Verhandlung vorzubereiten und schließlich vor echten Richtern des Bundesarbeitsgerichts zu plädieren.“ Wie bedeutsam die Erkenntnisse und Erfahrungen sind, die angehende Juristen bei den Moot Courts sammeln, zeigen die Gespräche, die Matthias Jacobs mit den Kanzleien führt. „Hier höre ich immer wieder, für wie wichtig die Moot Courts gehalten werden.“ Damit werde die Teilnahme an den Wettbewerben – unabhängig vom Erfolg – zu einem wichtigen Pluspunkt im Bewerbungsprozess. Absolventen sollten ihre Moot-Court-Erfahrungen also unbedingt in die Vita aufnehmen, zumal immer mehr Kanzleien diese Wettbewerbe fördern sowie fachlich unterstützen.

Dazu zählt auch die wirtschaftsrechtliche Kanzlei BMH Bräutigam & Partner mit Sitz in Berlin. Die Sozietät unterstützt das Moot-Court-Team der Humboldt Universität, das seit Mitte der 1990er Jahre regelmäßig beim internationalen Willem C. Vis Moot Court dabei ist. „Die Teilnehmer beweisen großartigen Einsatz und – nicht nur juristisch – hervorragende Leistungen. Daher freuen wir uns über die Gelegenheit, sie hierbei zu unterstützen“, sagt Dr. Gero Ludwig, Partner bei BMH und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Gleichzeitig sei das Sponsoring auch für das Recruiting der Kanzlei sehr interessant. „Der Moot Court bietet uns die Möglichkeit, noch früher und gezielter mit hochqualifizierten Nachwuchsjuristen in Kontakt zu treten.“ Dies geschehe auf informelle Art auch rund um den Wettbewerb: So sei zum Beispiel die Abschlussfeier nach dem Moot Court in den Kanzleiräumen ein fester Bestandteil der Förderung, wobei dieses Treffen zwischen Talenten und Praktikern für beide Seiten gewinnbringend ist.

Pluspunkt für die Vita
Das Besondere am Willem C. Vis Moot Court ist die Internationalität des Wettbewerbs: Das Team der HU Berlin misst sich mit Teams aus der ganzen Welt, wobei es auch darauf ankommt, das deutsche mit dem internationalen Recht zu vergleichen. „Daher zählen das gezielte und konzentrierte Einarbeiten in einen komplexen Sachverhalt ohne intensive Vorkenntnisse des Rechtsgebiets sowie das Zurechtfinden in unbekannten Rechtsordnungen zu den bedeutsamen Fähigkeiten, die geschult werden“, sagt Gero Ludwig. Hinzu komme, dass die Teams mit einem möglichst sicheren Auftritt die eigene Rechtsauffassung vertreten – noch dazu auf Englisch, also in der international relevanten Fremdsprache. Dass man mit den Moot-Court-Erfahrungen als Einsteiger punkten kann, steht für den BMH-Partner außer Frage. „Die Teilnahme am Moot Court ist in jedem Fall eine besondere Leistung, die selbstverständlich im Rahmen einer Bewerbung Erwähnung finden muss“, sagt Gero Ludwig. Sie könne wie jede relevante Erfahrung – insbesondere fremdsprachlicher und interkultureller Art – ein entscheidender Pluspunkt gegenüber anderen Bewerbern sein. „Da die fachliche Qualifikation, sprich Prädikatsexamina, ohnehin Grundvoraussetzung für eine Bewerbung in unserer Kanzlei ist, machen solche Erfahrungen sowie das persönliche Auftreten, das durch die Teilnahme am Moot Court ja ebenfalls gefördert wird, den Unterschied.“ Die Teilnahme an einem Wettbewerb als Kickstart für die eigene Karriere: Die Erkenntnis, dass ein Moot Court deutlich mehr als nur ein spannender Zeitvertreib für angehende Juristen ist, hat sich auch in Deutschland durchgesetzt.

Eine Auswahl an Moot Courts

International
· Willem C. Vis Moot Court (Zivilrecht)
· Phillip C. Jessup Moot Court (Völkerrecht)
· European Tax College Moot Court Competition (Steuerrecht)
· European Law Moot Court (Verfassungsrecht)

National:
· Soldan Moot Court (Anwaltsrecht)
· Arbeitsrechtlicher Moot Court Wettbewerb (Arbeitsrecht)
· ELSA Moot Court Competition (Zivilrecht)
· Moot Court des Bundesfinanzhofs

Quelle: eigene Recherche

Autismus: Besondere Begabungen

Es begann 2011 in Indien: Eine Organisation, die sich für autistische Kinder einsetzt, bittet SAP um ausrangierte Tablet-Computer. Das Software-Unternehmen spendet die Tablets – und aus diesem Kontakt erwächst ein Programm mit dem Titel „Autism at Work“: Mittlerweile stellt SAP gezielt Menschen mit Autismus ein. Von Kerstin Neurohr

„Menschen mit Autismus sind häufig besonders detailgenau, sie können sich hervorragend konzentrieren und ihr logisch-analytisches Denkvermögen ist besonders ausgeprägt“, erklärt Stefanie Nennstiel, Personaldirektorin bei SAP. „Wir stellen diese Mitarbeiter ein, weil sie unserem Unternehmen mit ihren Fähigkeiten nutzen“, betont sie, „nicht, um die Behindertenquote zu erhöhen – die meisten Mitarbeiter mit Autismus haben ohnehin keinen Schwerbehindertenausweis.“ Bis 2020 soll der Anteil der autistischen Mitarbeiter bei einem Prozent liegen – so hoch ist auch der Anteil von Autisten an der Weltbevölkerung. „Autism at Work“ ist Teil des Diversity-Programms, mit dem der Konzern sich zukunftsgerecht positionieren möchte. Dahinter steht zum einen die Idee, dass man der Vielfalt der Kunden am besten gerecht werden kann, wenn man eine vielfältige Belegschaft hat. Zum anderen sollen angesichts des Fachkräftemangels Talente und hochqualifizierte Mitarbeiter gewonnen werden, die bisher wenig gefragt sind.

Um diesen Talentpool zu erschließen, arbeitet SAP mit einem Unternehmen zusammen, das den Recruitingprozess verantwortet. „Unsere üblichen Auswahlverfahren sind hier nicht anwendbar“, erklärt Stefanie Nennstiel. „Mit Menschen, die Schwierigkeiten mit sozialen Interaktionen haben, können wir keine Interviews führen, wie wir es sonst tun.“ Stattdessen beantworten die Bewerber einen Fragenkatalog per E-Mail. Schaffen sie es in die nächste Runde, werden sie eingeladen und bekommen die Aufgabe, aus Legosteinen einen Roboter zusammenzubauen und kleinere Programmierprobleme zu lösen. „Wir beobachten sie dabei und erfahren viel über Genauigkeit, Teamfähigkeit und Kreativität“, sagt die SAP-Personalerin. Im Anschluss durchlaufen die Bewerber ein sechswöchiges Programm, bei dem soziale Fähigkeiten geschult und das Unternehmen und seine Kultur vorgestellt werden. Um die Integration in bestehende Teams zu erleichtern, gibt es spezielle Veranstaltungen, in denen die Kollegen auf den Umgang mit den autistischen Mitarbeitern vorbereitet werden.

Bisher hat SAP 70 Mitarbeiter mit Autismus weltweit eingestellt – 18 davon in Deutschland. Dass es deutlich mehr werden sollen, liegt an den positiven Erfahrungen. Zum einen erzielen die Autisten hervorragende Arbeitsergebnisse und haben bereits Fehler in der Software entdeckt, die vorher jahrelang nicht aufgefallen waren. „Außerdem haben wir erkannt, dass die autistischen Mitarbeiter viel zu einer verbesserten Kultur in unserem Unternehmen beitragen“, berichtet Stefanie Nennstiel. So habe sich die Kommunikation innerhalb der Teams verbessert: Autisten brauchen klare Strukturen und Ansagen. Davon profitieren alle Kollegen, genauso wie von einer reizarmen und ruhigeren Arbeitsumgebung sowie einer verbesserten Meetingkultur. „Insgesamt gibt es in den Teams mit autistischen Mitarbeitern viel Solidarität, Respekt und Achtsamkeit füreinander“, fasst die Personaldirektorin zusammen.

Buchtipp

Peter Schmidt ist Autist und Spiegel-Bestseller-Autor. In seinem neuesten Buch berichtet er von seiner Karriere in der IT-Branche.
Peter Schmidt: Kein Anschluss unter diesem Kollegen.
Patmos 2014.
ISBN 978-3843605175.
19,99 Euro.