„Juramama“ Nina Katrin Straßner im Interview

Mehr als zehn Jahre lang war Nina Katrin Straßner als Fachanwältin für Arbeitsrecht tätig. Parallel dazu entwickelte sie den Blog „Juramama“, auf dem sie über Gender-Vielfalt und Ungerechtigkeiten schrieb – ein Thema, das sie mit ihrem Buch „Keine Kinder sind auch keine Lösung“ vertiefte. Heute ist sie Diversity-Chefin bei SAP. Im Interview erzählt sie, was diese neue Position mit Jura zu tun hat, warum die großen Kanzleien sich mit Gender-Vielfalt schwertun und warum der Anwaltsberuf zu den schönsten Jobs der Welt zählt – obwohl sich das Fluchen vor Gericht verbietet. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Nina Straßner studierte Rechtswissenschaften in Dresden und Kiel, dazu außerdem in Sydney (Australien) und Stellenbosch (Südafrika). Seit 2008 ist sie Rechtsanwältin, seit 2015 Fachanwältin für Arbeitsrecht. Weil ihr das Thema Kommunikation liegt, absolvierte sie eine Zusatz- Ausbildung zur Anwaltsmediatorin. Nina Straßner tritt regelmäßig als Speakerin auf Karrieremessen und Podiumsdiskussionen zu gesellschaftspolitischen Rechtsfragen auf. Auf ihrer Homepage „Juramama“ (www.juramama.de) schreibt sie einen viel gelesenen Blog für Eltern im rechtlichen Bereich. Seit Mitte 2019 ist sie bei SAP als Head of Diversity tätig. Nina Straßner hat zwei Kinder. Sie sagt, sie schlafe nur wenig – aber wenn, dann gut.
Frau Straßner, Sie sind seit 2019 Head of Diversity & People Programs der SAP für Deutschland. Inwieweit hat diese Position noch etwas mit juristischem Arbeiten zu tun? Das habe ich mich vor dem Wechsel aus einer Kanzlei in ein Großunternehmen auch gefragt, bis ich feststellte, dass Human Ressources-Abteilungen ein wahrer Tummelplatz für Juristen sind. Nur brauchen diese eben einen ganz anderen Teil der erlernten Fähigkeiten – diesen aber öfter. Wir haben ein extrem gutes Handwerkzeug mitbekommen. Mit meiner anwaltlichen Arbeit und meinem Alltag hat das, was ich jetzt mache, aber tatsächlich kaum noch was zu tun. Ich zehre allerdings von den Mandaten und Problemlösungsstrategien, die ich in den vergangenen Jahren außerhalb eines Unternehmens bearbeitet habe. Im Klappentext Ihres Buches „Keine Kinder sind auch keine Lösung“ heißt es sehr schön: Als Anwältin könnten Sie vor Gericht nur sagen: „Diese Auffassung entbehrt jeglicher Grundlage“ – und leider nie: „F*ck you very much!“ Bei Ihrer Arbeit als Juristin mit Schwerpunkt Arbeitsrecht: Wann hätten Sie diesen Fluch regelmäßig besonders gerne ausgesprochen? Das kennt doch glaube ich jede*r in jedem Beruf: Manchmal sagen diese vier Worte alles, was an manchen Stellen zu sagen ist. Dann atmet man ein und aus – und schießt mit den juristischen Fakten sachlich zurück. Wobei man sich freut, als Anwalt oder Anwältin eben nicht hilflos zu sein. Regelmäßig wirklich aufgeregt habe ich mich eigentlich nur, wenn ich bei einem Mandat nicht mit der anwaltlichen Vertretung auf der Gegenseite zu tun hatte. Denn das sind Profis, alles ordnet sich, man kommt vorwärts. Davor ist es oft unfassbar nervig und teilweise schockierend, was manche Führungskräfte oder auch Arbeitnehmende meinen, sich in einem Arbeitsverhältnis erlauben zu können. Es raubt professionelle Zeit, um Lösungen zu finden, die rechtlich bereits glasklar sind. Wenn ich ein vierseitiges Antwortschreiben bekam, mit der Grundaussage: „Im Bewerbungsgespräch haben wir aber ganz klar gefragt, ob Frau Schultze schwanger ist. Hier hat sie bereits gelogen. Damit ist unser Vertrauensverhältnis erschüttert und die Kündigung in der Probezeit natürlich vollkommen okay.“ Nun, in einem solche Fall sagt man diese vier Worte aus dem Klappentext still und langsam. Dann reicht man eine Klage ein, die auf eine einzige Seite passt. Das ist ein gutes Gefühl. Das Buch erschien vor vier Jahren. Wie beurteilen Sie, was sich seit dieser Zeit entwickelt hat, gibt es heute mehr Recht und Beistand für Familien? Es tut sich schon viel, allerdings musste das Buch bis heute bei einer neuen Auflage noch nicht angepasst werden. Das stimmt schon nachdenklich. Der Fokus muss aus meiner Sicht viel stärker auf die Väter gerichtet werden, denn echte Vereinbarkeit geht nur gemeinsam. So lange Väter keine Elternzeit nehmen, weil sie befürchten, dann nicht mehr ernst genommen zu werden, oder aber wenn ihre Elternteilzeitanträge mit diskriminierenden Begründungen abgelehnt werden können, ohne arbeitsrechtliches Risiko, dann kommen wir nicht weiter.
Arbeitsrecht muss man praktizieren, sonst ist man schnell abgehängt. Es ist bereits unheimlich viel möglich und gleichzeitig viel regelbar – es fehlt nur an der Durchsetzungskraft.
Ist denn das Recht bei Themen wie Gender Gap und Vielfalt so aufgestellt, dass es den Wandel zu unterstützen vermag? Ja. Das Arbeitsrecht ist ja ein kaum kodifiziertes Rechtsgebiet, das macht es vermutlich zum agilsten unter seinen Geschwistern. Das ist Fluch und Segen. Arbeitsrecht muss man praktizieren, sonst ist man schnell abgehängt. Es ist bereits unheimlich viel möglich und gleichzeitig viel regelbar – es fehlt nur an der Durchsetzungskraft. Es hängt noch immer sehr viel davon ab, ob jemand rechtschutzversichert ist, um gerichtlich beispielsweise feststellen lassen zu können, ob eine Befristung tatsächlich rechtmäßig war. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz AGG ist eine gute Sache, wird aber in den Gerichtssälen sehr belächelt. Sollte es überhaupt die Aufgabe des Rechts sein, sozialen Wandel zu fördern? Ich glaube, es ist sogar eine wesentliche Aufgabe. Das, was wir innerhalb der Judikative machen, passiert ja nicht im luftleeren Raum, sondern ist immer ein Spiegel des Zeitgeistes und beeinflusst ihn auch. Es ist zutiefst menschlich, und wir sind soziale Wesen in einem gesellschaftlichen Konstrukt. Das Nachtarbeitsverbot für Frauen war ein rechtliches Konstrukt, auch die Entgelttransparenz oder arbeitgeber- oder arbeitnehmerische Auskunftspflichten. Das ist doch das, was unsere juristische Ausbildung so spannend und wichtig macht. Ich würde mich gerade wieder aus ganzem Herzen für dieses Studium entscheiden! Die Belegschaft großer Kanzleien ist – insbesondere in der Partnerstruktur – ähnlich männerdominiert wie das Top-Management in Unternehmen. Welche Strukturen und Begebenheiten begünstigen das? Hier spiegeln sich die starken Rollenklischees der Gesellschaft wider, die dann in einer unguten Spirale auf verkrustete Strukturen in den Kanzleien treffen. Junge Juristinnen spazieren 2021 in die Kanzleitüren, gründen eine Familie – und dann wird es halt haarig. So flexibel wie so manche große Unternehmen, sind die Kanzleien noch nicht, da sind keine Betriebsräte unterwegs, die mal ausprobieren, was so alles geht. Das Thema kommt heute aber auch dort an. Es werden Frauen gesucht und auch gezielt angesprochen. Nur wird selten der zweite Schritt gemacht, nämlich sich nach einer Ablehnung zu fragen: Warum lehnt sie denn ab? Welchen Teil des „Warum“ können wir beeinflussen? Sind wir ein attraktiver Arbeitgeber für die Strukturen, in denen wir leben, und fragen wir die Talente, die zwei Kinder haben: „Was brauchst du um dir die Partnerschaft hier zuzutrauen und daran Freude zu haben?“.
In Zeiten jedoch, in denen Kanzleien ihre wirtschaftliche Macht und den Erfolg aus Beratungen und Strategien ziehen, die eine ganz diverse Gesellschaft und komplexe Vorgänge in einem globalen Setting betreffen, ist es – sagen wir – unklug, auf eine vielfältige Perspektive zu verzichten.
Welche Folgen hat es für Unternehmen und Kanzleien, wenn die Führungsebenen in Sachen Vielfalt deutlich hinter der gesellschaftlichen Heterogenität zurückfallen? Homogene Teams wirken unheimlich effizient. Alle sind sich schnell einig, alle bewerten den Sachverhalt und die Lösungsstrategien aus einer ähnlichen Brille. In Zeiten jedoch, in denen Kanzleien ihre wirtschaftliche Macht und den Erfolg aus Beratungen und Strategien ziehen, die eine ganz diverse Gesellschaft und komplexe Vorgänge in einem globalen Setting betreffen, ist es – sagen wir – unklug, auf eine vielfältige Perspektive zu verzichten. Die Dienstleistung ist einfach qualitativ nicht so stabil, wie es bei einem heterogenen, hochqualifizierten Team der Fall wäre. Wenn Sie auf Ihren persönlichen Berufsweg schauen, an welche zentralen Entscheidungsmomente erinnern Sie sich zurück, und wer hat Ihnen damals Impulse gegeben, Ihren Weg zu gehen? Es war immer derselbe Moment, immer wieder, der eine Veränderung gebracht hat: Mich nicht für die konformen Alternativen zu entscheiden. Mir hat das gut getan. Ich war immer von guten Freunden umgeben, die mich so ehrlich es möglich war, liebevoll gespiegelt haben. Die mich angefeuert oder auch mal gebremst haben, sodass ich zwar Respekt, aber nie wirklich Angst hatte, mich zu verzocken. Mal sehen, wie lange das noch gut geht.

„Keine Kinder sind auch keine Lösung“

Buch Keine KinderDurch den erfolgreichen Blog „Juramama“ wurde der Verlag Bastei Luebbe auf die Autorin Nina Straßner aufmerksam. 2017 entstand das Buch „Keine Kinder sind auch keine Lösung“, in dem sie aus persönlicher Sicht, aber mit politischer Sprengkraft über eine bis heute familienfeindliche Arbeitswelt schrieb, wobei das Buch nicht nur eine Problembeschreibung ist, sondern auch humorvolle Studie über das Themenfeld Kinder und Karriere. Das Buch wurde zum Bestseller; Nina Straßner erhielt daraufhin eine feste Kolumne im Magazin „Brigitte Mom“.

Akte Klimawandel

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Der Klimawandel ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, der sich alle zu stellen haben. Auch die Kanzleien beginnen, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen – nicht nur auf Mandantenbasis. Auch intern vermehren sie die Initiativen und Projekte, CO2-Emissionen und damit den ökologischen Footprint zu verkleinern. Von Christoph Berger

Seit Sommer 2020 ist die Wirtschaftskanzlei Audalis Partner der Stadt Dortmund im Projekt „Emissionsfreie Innenstadt“. Ziel des Projekts ist es, die Treibhausgasemissionen im Straßenverkehr zu mindern. Dazu sollen die Menschen motiviert werden, möglichst viele Wege in die Dortmunder Innenstadt zu Fuß, per Fahrrad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder elektrisch angetrieben zurückzulegen und durch die Verringerung des Kfz-Verkehrs erhebliche positive Effekte für den Klimaschutz zu erreichen. „Wir unterstützen diesen Ansatz sehr gern“, erzählt Rechtsanwalt Dr. Eric Sebastian Barg, der die Aktion federführend vonseiten der Kanzlei begleitet. Wobei das Thema Mobilität und Klimaschutz schon länger aktiv angegangen wird. „Wir bieten unseren Mitarbeitern nicht nur ein kostenfreies Jobticket für den täglichen Arbeitsweg in öffentlichen Verkehrsmitteln an, wir unterstützen auch den Kauf von E-Bikes“, sagt Barg. Auf diese Weise steigere man nicht nur die Arbeitgeber-Attraktivität, sondern liefere auch einen Anreiz zu mehr Umweltschutz. Die erste konkrete Maßnahme aus der Teilnahme an „Emissionsfreie Innenstadt“ hatte sich dann auch ziemlich schnell ergeben. „Wir haben mit der Wirtschaftsförderung Dortmund einen Leihvertrag für ein Lastenfahrrad abgeschlossen“, erzählt Dr. Barg. Damit könnten bis zu 60 Kilogramm transportiert werden, der Fahrer werde durch einen Pedelec- Antrieb beim Treten unterstützt. „Wir möchten das Rad zum Beispiel für Gerichtsfahrten nutzen – oder wenn wir Mandanten Unterlagen liefern“, beschreibt Dr. Barg die Einsatzmöglichkeiten. Außerdem sei die Parkplatzsituation in der Dortmunder Innenstadt häufig schwierig, da sei man mit dem Fahrrad oft entspannter unterwegs, so der Anwalt. Für potenzielle Nachahmer*innen dürfte interessant sein: Das Bundesumweltministerium fördert seit dem 1. März 2021 Mikro-Depots und E-Lastenfahrräder im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative. Unternehmen soll so beim Umstieg auf eine zukunftsfähige und klimafreundliche Logistik geholfen werden. Klimaschutzunterstützende Initiativen sind in der Welt der Kanzleien noch recht selten zu finden – zumindest was die Kommunikation derartiger Maßnahmen und Projekte betrifft. Und auch auf den Internetseiten der Kanzleien spielt das Thema des unternehmensinternen Klimaschutzes noch ein Schattendasein. Dabei, so heißt es vonseiten des Lösungsanbieters für Kanzleien, Soldan, würden in deutschen Büros jährlich rund 800.000 Tonnen Papier anfallen und etwa 26 Millionen Toner-Kartuschen verbraucht. Würden die Unternehmen konsequent auf Recyclingpapier zurückgreifen und wiederaufbereitete Kartuschen einsetzen, ließen sich zum Beispiel im Jahr 25,3 Milliarden Liter Wasser, 1,6 Milliarden Kilogramm Holz und 24.000 Tonnen Kunststoffmüll sparen. „Mit der Umstellung auf nachhaltige Produkte können Kanzleien relativ einfach einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dabei wollen wir ihnen helfen“, erklärt Soldan-Geschäftsführer René Dreske. Im Rahmen der „Soldan Initiative Nachhaltigkeit“ berät man daher Kanzleien, an welchen Stellen man im Kanzleialltag klug und wirtschaftlich auf umweltfreundliche Produkte umstellen und Ressourcen schonen kann. Bereits seit 2015 leistet die internationale Wirtschaftskanzlei Pinsent Masons einen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels durch einen verringerten kanzleiweiten Energieverbrauch. Damals wurden Ziele für 2020 beispielsweise zur Reduzierung des Stromverbrauchs formuliert. Oder wie Emissionen durch die Vielfliegerei reduziert werden können. Diese Ziele wurden bereits ein Jahr früher erreicht. „2020 sahen wir uns in der Lage, das Thema weiter auszubauen“, sagt Christian Lütkehaus, Rechtanwalt, Partner und Leiter der Praxisgruppe Finance & Projects von Pinsent Masons in Deutschland.Dazu wurde die Climate Change Mitigation & Sustainability Gruppe geschaffen. „Zum einen können wir so den eigenen Footprint weiter sinnvoll reduzieren und im Rahmen der eigenen Tätigkeit einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Gleichzeitig können wir so aber auch mehr und mehr gegenüber Mandanten als kompetenter Berater und Ansprechpartner für Themen rund um Klimawandel und Nachhaltigkeit zur Verfügung stehen“, erklärt Lütkehaus.
Bereits 2019 hatten wir eine No-Travel-Week organsiert, wo weltweit niemand geschäftlich reisen durfte – außer in besonders mandatsrelevanten Ausnahmefällen.
In die neugegründete Initiative wurden vor allem junge Kolleginnen und Kollegen eingebunden, die das Thema sehr positiv aufnehmen. So wurde vereinbart, nur die nötigsten Flugreisen zu unternehmen und nach Möglichkeit auf digitale Kommunikationskanäle auszuweichen. „Bereits 2019 hatten wir eine No-Travel-Week organsiert, wo weltweit niemand geschäftlich reisen durfte – außer in besonders mandatsrelevanten Ausnahmefällen“, erzählt Christian Lütkehaus. Darüber hinaus wurden in den englischen Büros intelligente Lichtsysteme zur Reduzierung des Stromverbrauchs installiert oder die Mitarbeiter* innen werden motiviert, mit dem Rad ins Büro zu fahren oder alle sind aufgefordert, möglichst papierlos zu arbeiten. „Seit zwei bis drei Jahren versuchen wir zudem, so wenig Büroraum wie möglich zu haben. Seitdem setzen wir auf „agile working“. Jetzt, in Corona-Zeiten, zahlt sich das natürlich aus“, sagt Lütkehaus. Dieses „agile working“ beinhalte nicht nur den Aspekt „Home Office“, sondern bedeute eher „Wo auch immer“. Dafür wurde in den letzten Jahren in entsprechende IT-Systeme investiert. Auch wenn die Initiative vor allem auf die jungen Menschen der Kanzlei setzt, initiiert ist sie von der ersten Führungsebene, auf Ebene des globalen Boards. „So sind wir auch Unterzeichner des United Nations Global Compact. Unternehmen bekennen sich dabei, die Nachhaltigkeitsziele der UN zu unterstützen“, so Christian Lütkehaus. Diese Verankerung im Arbeitsalltag ist es, die Klimaschutz voranbringt. Ebenso die Formulierung klarer Ziele, durch die die Bereitschaft zu Veränderungen sichtbar und Transparenz möglich werden. Explizit weißt so auch die Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt auf ihrer Website auf ihre Verantwortung hin: „Die Themen Umweltschutz und der nachhaltige Umgang mit Ressourcen sind fest in unserem Kanzleialltag verankert.“ Und bei Graf von Westphalen werden ebenso Flüge vermieden, Flug-Emissionen kompensiert, Jobtickets und Jobräder angeboten. Zudem werden sämtliche Standorte zu 100 Prozent aus Ökostrom versorgt. Die Akte „Klimawandel“ lässt sich durch all diese Maßnahmen nicht schließen, aber sie zeugen von einer Haltung. Und von Verantwortung – für nichts Geringeres als für uns Menschen und unsere Erde. „Seit zwei bis drei Jahren versuchen wir zudem, so wenig Büroraum wie möglich zu haben. Seitdem setzen wir auf „agile working“. Jetzt, in Corona-Zeiten, zahlt sich das natürlich aus“, sagt Lütkehaus. Dieses „agile working“ beinhalte nicht nur den Aspekt „Home Office“, sondern bedeute eher „Wo auch immer“.

Nachhaltigkeit bedeutet Zukunftsfähigkeit

Jule Bosch ist Zukunftsforscherin, ihr Mann Lukas Y. Bosch arbeitet als Unternehmensberater, Coach und Speaker. Gemeinsam haben sie zuerst das Startup HOLYCRAB! gegründet und kürzlich ihr erstes Buch veröffentlicht: Für „ÖKOnomie“ haben sie erfolgreiche Unternehmensaktivist*innen weltweit interviewt und analysiert. In ihrem Gastartikel schildern sie, wie Unternehmen schon heute ökonomisches und ökologisches Wachstum verbinden, welche Denkweisen dem zugrunde liegen und welche Erfolgsstrategien sich Berufseinsteiger*innen davon abschauen können.

Jule Bosch, Lukas Y. Bosch, Foto: Abbi Wensyel
Jule Bosch, Lukas Y. Bosch, Foto: Abbi Wensyel
Für den Berufseinstieg ist 2021 das wohl gleichzeitig entmutigendste und vielversprechendste Jahr aller Zeiten. In vielen Unternehmen herrschen Kurzarbeit, Einstellungsstops und Insolvenzängste. Gleichzeitig hat die digitale Vernetzung einen derartigen Push bekommen, dass ein Job theoretisch von so gut wie jedem Land auf der Welt ausgeübt werden kann. Im Zuge der Corona-Krise wird die globale Wirtschaft allerdings kräftig durchgeschüttelt – mit unbekanntem Ausgang. Doch es steht eine noch viel größere Frage im Raum. Eine, deren Beantwortung in einem sehr viel größeren Maße als Corona darüber bestimmt, wie unsere Zukunft aussehen wird. Nämlich: Wie werden Unternehmen, Politik und Individuen gemeinsam die Klima- und Umweltkrise bewältigen? Und natürlich auch die Frage danach, ob sie es schaffen. Und wenn ja, ob es schnell genug passieren wird. Es scheint, als stünde hinter jedem Problem eigentlich ein weiteres, das noch größer und noch komplexer ist. Und bei dem wir noch viel weniger wissen, wie wir damit eigentlich klarkommen sollen. Das ist jetzt erstmal ein denkbar deprimierender Rahmen für die Planung des eigenen Lebenswegs. Was ist überhaupt wirklich planbar? Ganz ehrlich? So gut wie nichts! Aber das war eigentlich schon immer so. Hätten wir Jeff Bezos an seinem letzten Tag an der Uni gefragt, was er wohl in den nächsten 20 bis 30 Jahren machen würde, hätte er wahrscheinlich nie geahnt, dass er eines Tages den Handel revolutioniert haben wird. Doch keine Planbarkeit heißt noch lange nicht, dass es keinen Gestaltungsspielraum gibt. Ganz im Gegenteil. In der Transformationsforschung geht man davon aus, dass jede Unsicherheit, jedes Chaos bedeutet, dass alte Regeln ad acta gelegt werden und neue sich etablieren. Der Berufseinstieg im Jahr 2021 fällt also in eine Zeit, in der genau diese neuen Regeln geschrieben werden. Die Berufseinsteiger*innen von heute sind die Gesellschafts- und Unternehmensgestalter*innen von morgen. Und zwar wirklich gleich morgen. Oder nächste Woche – kurz: ab dem ersten Arbeitstag. Gerade jetzt entsteht das Grundgerüst einer neuen Wirtschaftsordnung. Jede*r von uns ist ein Teil davon, kann Verantwortung übernehmen, Regeln mitschreiben und Zukunft machen. Wer die Weichen der beruflichen Zukunft in diesem Sinne bewusst stellen möchte, kann sich folgende Frage stellen: Welche Wirtschaftszweige und potenziellen Arbeitgeber sind langfristig zukunftsfähig? Mit welchen Ideen lohnt es sich, mit einem eigenen Start-up unternehmerisch tätig zu werden? Im Rahmen der Interviews für unser neues Buch “ÖKOnomie – So retten führende Unternehmensaktivist*innen unsere Zukunft” haben wir unter anderem mit Jürg Knoll, Gründer des Lebensmittelunternehmens followfood, über seine Vision für die Wirtschaft gesprochen. Jürg ist überzeugt: „In 20 Jahren wird keiner mehr Produkte kaufen, die unseren Planeten und damit unsere Lebensgrundlage zerstören.“ Die Herleitung dieser Aussage ist simpel: immer mehr Kund*innen hinterfragen die durch sie konsumierten Produkte. Da Menschen nicht gerne verzichten, entsteht ein wachsendes Angebot an nachhaltige(re)n Produkten, was durch Skaleneffekte zwangsläufig dazu führt, dass diese für mehr und mehr Kund*innen immer erschwinglicher und so zum Mainstream, zum „New Normal“ werden.
Nicht zuletzt werden Mitarbeiter*innen immer stärker darauf hinwirken, Unternehmen anhand von öko-sozialen Maßstäben neu aufzustellen. Oder sie kündigen.
Laurin Hahn, Gründer von Sono Motors, berichtete uns, dass ihr mit Sonnenenergie betriebenes Auto schon für knapp 25 500 Euro zu haben sein wird. Andererseits werden politische Rahmenbedingungen diese Entwicklungen weiter vorantreiben. Nicht zuletzt werden Mitarbeiter*innen immer stärker darauf hinwirken, Unternehmen anhand von öko-sozialen Maßstäben neu aufzustellen. Oder sie kündigen. All das bedeutet im Kern, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sich nicht (mehr) ausschließen. Nachhaltigkeit und Karriere auch nicht. Die Entscheidung darüber, ob jemand lieber Geld verdienen oder etwas Gutes bewirken will, stellt sich immer weniger – ganz im Gegenteil: Beides geht Hand in Hand. In 20 Jahren wird niemand mehr in einem Job arbeiten, der in seiner Konsequenz unsere Lebensgrundlagen zerstört. Und zwar nicht, weil man das nicht möchte, sondern weil es diese Jobs und diese Unternehmen dann einfach nicht mehr gibt. Die Frage, die sich daraus für Absolvent*innen ergibt, ist, ob ihr Karriereeinstieg in einem schon heute planetar positiv wirtschaftenden Unternehmen sein wird, das echte Probleme löst, anstatt neue zu erschaffen. Nur Unternehmen, die gerade dabei sind, sich anhand von Nachhaltigkeitsaspekten zu transformieren, können potenziellen Mitarbeiter*innen langfristige Perspektiven bieten, wohingegen solche, die die Nachhaltigkeits- Transformation verschlafen wohl eher schlechte Kandidaten für die planbare Zukunft ihrer Mitarbeiter*innen darstellen. Wenn man so über den Berufseinstieg nachdenkt, wird klar: Das Beste für eure Karriere ist, schon heute Wissen zu erlangen, Kompetenzen aufzubauen und Netzwerke in Umfeldern zu knüpfen, die für die Zukunft mitdenken. Auch wenn wir manchmal vom Gefühl der Unsicherheit über die Zukunft überwältigt werden: Unser Einfluss ist größer, als wir denken. Wir treffen jeden Tag unzählige konkrete Entscheidungen über die Zukunft – durch die Produkte, die wir (nicht) kaufen, die Politiker*innen, die wir wählen und nicht zuletzt eben auch die Unternehmen, die wir gründen. Oder für die wir arbeiten. Cover ÖkonomieJule und Lukas Bosch: ÖKOnomie. So retten führende Unternehmensaktivist* innen unsere Zukunft: Erfolgsstrategien aus der Praxis. Campus 2021. 34.95 Euro (inklusive E-Book!)

Betreuungsrecht

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Rechtsanwälte, die im Bereich Betreuungsrecht tätig sind, führen oft neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit Berufsbetreuungen durch, werden als Verfahrenspfleger eingesetzt, vertreten Betreuer in Regressangelegenheiten oder helfen Menschen, die gegen ihren Willen einen gerichtlich bestellten Betreuer bekommen haben. Von Rechtsanwältin Kathrin Lindner, Fachanwältin für Sozialrecht und Berufsbetreuerin.

Eine Berufsbetreuung beginnt oft mit dem Anruf der Betreuungsbehörde, dass eine Betreuung erforderlich ist. Dabei wurde die oder der Betroffene in ein Krankenhaus eingeliefert, ist jedoch verwirrt und kann keinerlei Angaben machen. Somit beginnt zunächst eine Art „Detektivarbeit“. Es ist herauszufinden, wo der Betroffene lebt, wo er versichert ist und ob die Existenz abgesichert ist. Dann müssen Behörden und Versicherungen angeschrieben werden und die entsprechenden Anträge gestellt werden. Hier sind Kenntnisse im Sozialrecht unumgänglich. Die weitere Betreuung ist dann abhängig vom jeweiligen Betreuten. Hier ist außer der rechtlichen auch soziale Kompetenz gefragt. Das gilt insbesondere dann, wenn der Betreute an einer psychischen Erkrankung leidet. Einerseits sind die Menschen auf Hilfe angewiesen, andererseits wollen sie sich nicht entmündigt fühlen und ihre Entscheidungen weiterhin allein treffen. Da sie weiterhin geschäftsfähig sind, ist dies auch möglich. Im Bereich Betreuungen gilt es sich bewusst zu machen, dass man Menschen unterstützt, die krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Sei es wegen einer Behinderung oder weil das Leben – aus welchen Gründen auch immer – völlig aus den Fugen geraten ist. Je nach Krankheitseinsicht der Betroffenen kann die Arbeit hilfreich, aber auch sehr anstrengend sein. Ein weiterer Bereich ist die Vertretung von Betreuern in Regressangelegenheiten. Der typische Mandant ist hierbei ein(e) Sozialarbeiter(in), der von seinem ehemaligen Betreuten auf Schadensersatz verklagt wird. Dem vorausgegangen ist meistens ein Betreuerwechsel wegen Vertrauensverlust. Hier muss sorgfältig vorgetragen werden, inwieweit hier eine eigene Entscheidung des Betreuten ausschlaggebend für einen finanziellen Verlust war und ob der Betreuer hier hätte eingreifen müssen. Denn auch ein unter Betreuung stehender Mensch darf – so wie jeder andere auch – zu seinem eigenen Nachteil entscheiden. Spezialisten im Betreuungsrecht werden darüber hinaus von Gerichten gerne als Verfahrenspfleger eingesetzt. Denn viele Rechtsgeschäfte/Handlungen von Betreuer(innen) sind genehmigungsbedürftig. Sofern ein Betreuer diese Genehmigung beantragt, wird für den Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, ob eine Mietwohnung gekündigt werden darf. Oft geht es aber auch um freiheitsentziehende Maßnahmen. Soll ein Betroffener gegen seinen Willen auf einer geschlossen Station der Psychiatrie festgehalten werden? Dürfen Medikamente gegen den Willen gegeben werden? Darf die Hofeingangstür gegen den Willen des Betroffenen abgeschlossen werden? Diese rechtliche Vertretung ist daher eine äußert verantwortungsvolle Aufagbe.

Virtuelle Gerichtsverfahren

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Mit dem ZPO-Reformgesetz aus dem Jahr 2002 und der Aufnahme von § 128a ZPO hat der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage für Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung geschaffen. Seitdem führte § 128a ZPO ein Schattendasein und wurde erst im Zuge der Corona-Pandemie wiederentdeckt. Von Isla Brose, Rechtsanwältin bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland, spezialisiert auf Dispute Resolution und Vertreterin von Mandanten sowohl in staatlichen Gerichtsverfahren als auch in nationalen und internationalen Schiedsverfahren

128a Abs. 1 ZPO ermächtigt die Gerichte, den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen zu gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem „anderen Ort“ als dem Gerichtssaal aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Dies ist auf Antrag der beteiligten Parteien oder von Amts wegen möglich. Trifft das Gericht die Entscheidung, die Verhandlung als Videoverhandlung durchzuführen, wird diese in Bild und Ton zeitgleich an den „anderen Ort“ sowie in das (weiterhin öffentlich zugängliche) Sitzungszimmer des Richters übertragen. So wird sichergestellt, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz gewahrt bleibt.

Virtuelle Gerichtsverhandlungen auf dem Vormarsch

Die Gerichte haben in der Vergangenheit von diesen Möglichkeiten zurückhaltenden Gebrauch gemacht. Das lag zum einen an der mangelnden technischen Ausstattung der Gerichte und zum anderen an einer gewissen Unsicherheit im Umgang mit den rechtlichen und technischen Herausforderungen im Zusammenhang mit virtuellen Verhandlungen. Mit dem Beginn der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Einschränkung des Gerichtsbetriebs hat sich die Videoverhandlung als probates Mittel etabliert, um auch in Krisenzeiten die Funktionsfähigkeit der Justiz sicherzustellen. Der zunächst notgedrungene Rückgriff auf § 128a ZPO hat der Videoverhandlung zum endgültigen Durchbruch verholfen, sodass davon auszugehen ist, dass viele Gerichte auch nach Rückkehr zum Regelbetrieb hiervon Gebrauch machen werden.

Vor- und Nachteile virtueller Verhandlungen

Die Vorteile der virtuellen Verhandlung liegen auf der Hand: Den Beteiligten wird eine unter Umständen weite Anreise zum Gerichtsort erspart. Das spart nicht nur Zeit, sondern auch die Kosten der Anreise, Übernachtung, Verpflegung und Anwaltshonorar. Ein Nachteil liegt aber darin, dass virtuelle Verhandlungen störanfällig sein können. Ihre erfolgreiche Durchführung hängt in vielen Fällen von der Technikaffinität und sorgfältigen Vorbereitung durch die Beteiligten ab. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass virtuelle Verhandlungen auf die unmittelbare persönliche Wahrnehmung der Parteien und Zeugen verzichten. Dies ist eine Lockerung des für Zivilverhandlungen geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatzes. Eine virtuelle Verhandlungssituation kann daher unter Umständen nicht jeder Art von gerichtlicher Auseinandersetzung, bei der es zum Beispiel auf die Glaubhaftigkeit widerstreitender Zeugenaussagen ankommt, gerecht werden. Dennoch dürften Videoverhandlungen fortan einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Zivilprozess künftig effizienter und moderner zu gestalten.

Automatisiertes Vertrauen

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Rechtsinformatiker der Universität des Saarlandes arbeiten mit Kollegen anderer Universitäten und weiterer Forschungseinrichtungen an einem „Vertrauensagenten für Industrie 4.0“. Eine Software bewertet dabei automatisiert die Vertrauenswürdigkeit potenzieller Geschäftspartner. So sollen unter anderem die Kosten für Vertragsanbahnungen gesenkt und der Kreis möglicher Geschäftspartner vergrößert werden. Von Christoph Berger

Auf technischer Ebene ist bereits vieles möglich. Auch die Kommunikation und Vertragsverhandlung zwischen Maschinen. Doch technisch machbar bedeutet noch nicht rechtssicher. Im Projekt „Recht-Testbed“ arbeiten Wissenschaftler daher an einer Software, die ein automatisiertes Vertrauensmanagement für die Industrie 4.0 zum Ziel hat. „Die Vertrauensprüfung, die heute im Einzelfall von Hand erledigt wird, ist ein sehr aufwändiger Prozess und denkbar langwierig, komplex und teuer. Das führt zu hohen Vertragsanbahnungskosten und hält auch die Zahl der Lieferanten und Kunden klein, limitiert also zugleich die Vertragspartner. Statt der tatsächlich möglichen Tausend Lieferanten, sind also nur zehn gelistet. Diesen Kreis zu erweitern, ist teuer“, sagt Professor Georg Borges, Direktor des Instituts für Rechtsinformatik der Universität des Saarlandes. Es müssen Normen und Standards wie DIN-, EN-, ISO- und IEC und eine mannigfache Vielfalt an sonstigen Zertifikaten und Bonitätsauskünften geprüft werden – immer geht es darum, zu prüfen und zu bewerten, ob der andere das in ihn gesetzte Vertrauen auch verdient. Borges erklärt daher: „Wir wollen das Vertrauensmanagement automatisieren, dadurch die Kosten der Vertragsanbahnung senken und hierdurch für Unternehmen den Kreis ihrer Geschäftspartner, also Lieferanten und Kunden, erheblich erweitern.“ Das System eines automatisierten Vertrauensmanagements, an dem Borges mit seinen Kolleginnen und Kollegen von den Fraunhofer-Instituten für Materialfluss und Logistik sowie für Software und Systems Engineering und dem Horst Görtz Institut für IT-Sicherheit der Ruhr-Uni Bochum arbeitet, schließt eine Software in Form eines „dynamischen Vertrauensagenten“ ein, der standardisierte vertrauensrelevante Informationen automatisch beschafft und die Vertrauenswürdigkeit potenzieller Geschäftspartner automatisiert bewertet. „Hierzu erforschen wir, wie und welche relevanten Informationen bestimmt werden sollen, welche Vertrauensanforderungen in Bezug auf die jeweilige Vertragsbeziehung gestellt werden und wie die Bewertung der Information erfolgt“, erläutert Borges.
Weitere Informationen zum „Recht-Testbed
Neben der Frage des Vertrauensmanagements bearbeiten die Forscherinnen und Forscher im Projekt „Recht Testbed Industrie 4.0“ zahlreiche Themen des automatisierten Vertragsabschlusses und der smart contracts auf der Basis von Blockchain- Technologie sowie Fragen des Datenschutzes und der IT-Sicherheit. Um die gesteckten Ziele zu erreichen, bauten die Projektpartner eine juristische und technische Testumgebung für Geschäftsvorfälle der Industrie 4.0 auf, die valide Funktionalitäten bietet, die es insbesondere auch kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) ermöglicht, Geschäftsvorfälle in Wertschöpfungsnetzwerken der Industrie 4.0 zu testen und den rechtssicheren Einsatz in ihren produktiven Geschäftsprozessen anzugehen. So können zum Beispiel Vertragsverhandlungen mittels Computerprogrammen als sogenannte Verhandlungsagenten geführt werden. Mittels wirksamer und nachweisbarer Maschinenerklärungen könnten dann vollwertige Verträge automatisiert geschlossen und zur Ausführung gebracht werden, heißt es vonseiten der Projektbeteiligten.

Ghosting im Job

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„Ghosting“ ist ursprünglich ein Phänomen aus dem Bereich des Online-Dating. Gemeint sind Situationen, in denen eine Datepartei sich unvermittelt nicht mehr meldet. Auch beruflich kommt es zu „Ghosting“. Potenzielle Arbeitgeber melden sich nach einem Bewerbungsgespräch nicht mehr oder Bewerber geben auf ein Jobangebot keine Rückmeldung. Welche rechtlichen Risiken und Handlungsmöglichkeiten gibt es dabei? Von Pascal Verma, Partner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der nbs partners Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Hamburg

Opfer von beruflichem „Ghosting“ können Arbeitnehmer oder Arbeitgeber gleichermaßen sein, und es kann in verschiedenen Phasen des Arbeitsverhältnisses zu „Ghosting“ kommen. Bewerber/ Arbeitnehmer „ghosten“ zum Beispiel, indem sie trotz Einladung und Abstimmung nicht zum Vorstellungsgespräch erscheinen, wenn sie sich auf ein Angebot im Anschluss an ein Vorstellgespräch nicht zurückmelden, wenn sie trotz unterzeichnetem Arbeitsvertrag ihre Arbeitstätigkeit nicht aufnehmen oder wenn sie, ohne Ausspruch einer Kündigung, ihre Arbeit einstellen. Auf Arbeitgeberseite spricht man von Ghosting, wenn der potenzielle Arbeitgeber im Anschluss an ein Bewerbungsgespräch den Kontakt einfach abbricht und sich weder positiv noch negativ äußert. Zieht Ghosting im privaten Umgang keinerlei rechtlichen Konsequenzen nach sich, kann sich die Situation im Berufsleben ganz anders darstellen – je nachdem, in welcher Phase der Kontaktabbruch stattfindet. Erscheint ein Bewerber ohne Absage nicht zu einem vereinbarten Vorstellungsgespräch, ärgert das möglicherweise den potenziellen Arbeitgeber. Allerdings besteht noch kein Vertrag zwischen den Parteien, sodass der potenzielle Arbeitgeber in diesem Stadium noch keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen ergreifen kann. Anders stellt sich die Situation schon im Anschluss an ein Vorstellungsgespräch dar, nach dem es von beiden Seiten zu Ghosting kommen kann. In dieser Phase ist eine Schadensersatzpflicht nämlich dann denkbar, wenn die ghostende Partei in zurechenbarer Weise bei der anderen Partei ein berechtigtes Vertrauen begründet hat, dass es zu einem baldigen Vertragsschluss kommt und die Vertragsverhandlungen von der ghostenden Partei ohne triftigen Grund abgebrochen werden. An den triftigen Grund für den Abbruch der Vertragsverhandlung setzt die Rechtsprechung keine allzu hohen Anforderungen und lässt jede vernünftige Erwägung ausreichen. Die Höhe des Schadensersatzanspruchs beschränkt sich darauf, dass der pflichtwidrige Abbruch der Vertragsverhandlung ausgeglichen wird. Bestand hingegen noch kein berechtigtes Vertrauen auf einen Vertragsabschluss bzw. bestand ein triftiger Grund für den Abbruch der Vertragsverhandlungen, scheiden Schadensersatzansprüche sowohl vonseiten des potenziellen Arbeitgebers als auch aus Sicht des Bewerbers aus. Und wie stellt sich die Situation dar, wenn die Arbeit trotz abgeschlossenem Arbeitsvertrag nicht aufgenommen wird oder der Arbeitnehmer seine Tätigkeit einstellt, ohne die Kündigungsfrist einzuhalten? Beides stellt eine grundlegende Verletzung der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers dar. Zwar hat der Arbeitgeber einen Anspruch auf die Arbeitsleistung, er kann die Erbringung der Arbeitsleistung jedoch nicht zwangsweise durchsetzen (§ 888 ZPO). Jedoch kann er einen Anspruch auf Schadenersatz geltend machen, wobei dessen Höhe begrenzt ist, sodass das Ghosting-Opfer so zu stellen ist, wie es ohne die Pflichtverletzung stehen würde. Ferner ist in der Praxis nur schwer nachweisbar, dass Schadenspositionen auf der unterlassenen Arbeitsaufnahme bzw. der faktischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung der Kündigungsfrist beruhen. Abhängig von der konkreten Vertragsgestaltung ist schließlich noch zu prüfen, ob im Arbeitsvertrag für den Fall der Nichtaufnahme der vereinbarten Tätigkeit bzw. für den Fall der Einstellung der Arbeit ohne Einhaltung der Kündigungsfrist eine Vertragsstrafe vereinbart ist. Ist das der Fall und die Vertragsstrafe damit dem Grunde nach verwirkt, kann noch in Frage stehen, ob die Höhe der Vertragsstrafe zulässig ist. Nach der Rechtsprechung gibt es dafür enge Grenzen.

Inklusion durch Sprache

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Warum wir Sprache nicht als Minenfeld sehen sollten, wie Sprache Frauen und marginalisierten Gruppen in unserer Gesellschaft gerecht werden kann und wie eine Verständigung über inklusive Sprache einen Beitrag für mehr Inklusion leisten wird. Von Dr. Constanze Ulmer-Eilfort LL.M., Mitglied des Global Executive Committee und Chair des Global Diversity & Inclusion Committee von Baker McKenzie, von 2012 bis 2017 war sie Managing Partnerin der deutschen und österreichischen Büros von Baker McKenzie

In der beruflichen Kommunikation wird noch immer häufig die Anrede „Liebe Kollegen“, „Liebe Mitarbeiter“ oder „Liebe Partner“ gewählt, gelegentlich versehen mit einer Fußnote, mit Kollegen sei m/w/d gemeint. Begründet wird dies damit, dass „Liebe Kolleginnen und Kollegen“ zu umständlich sei. Jeder wisse doch, dass mit der maskulinen Form auch die Frauen gemeint sind. Verkannt wird, dass wir bei Nutzung der männlichen Form unbewusst zunächst Männer vor Augen haben. Lesen wir zum Beispiel in der Zeitung: „Drei Rechtsanwälte haben die Kanzlei Müller verlassen, um sich der Kanzlei Meier anzuschließen“, haben wir automatisch drei Männer vor Augen. Eine Stellenanzeige, mit der ein IT-Fachmann gesucht wird, spricht Frauen jedenfalls zunächst nicht an. Ich selbst war und bin in meiner beruflichen Karriere immer in der Minderheit gewesen. In meiner jeweiligen “Peer”- Gruppe war der Frauenanteil oft unter zehn Prozent. Eine Außenseiterin zu sein, ist einsam, und die Einsamkeit am Arbeitsplatz für viele Frauen ein Grund, den Arbeitsplatz zu wechseln. Ein inklusiver Sprachgebrauch ist ein einfacher, effektiver Weg, zumindest den Willen zur Inklusion zu zeigen. Mir hätte es geholfen. Sprache prägt, wie wir denken, was wir sehen und für möglich halten. Sprache verfestigt stereotypisches Verhalten und Vorurteile. Da Frauen im generischen Maskulin nicht repräsentiert sind, werden sie unsichtbar. Veränderung findet auch über Sprache statt. Die bewusste Nutzung der weiblichen Form und die Inklusion von nicht-binären Menschen durch den Buchstaben „d“ [für divers] bezieht aktiv ein. Auch der Duden hat die weibliche Form aufgewertet und jeweils gleichberechtigt neben die männliche Form gestellt, um Frauen und ihre Profession sichtbar zu machen. Worte wie „Milchmädchenrechnung“, „N*küsse“ und „Z*schnitzel“ verletzen, diskriminieren und sind aus unserem Sprachgebrauch zu streichen. Gewohnheit und Unbedachtheit müssen weichen, wenn unser Verhalten Mitmenschen verletzt und ausschließt.
Wenn wir nicht ganz sicher sind, welche Begriffe angemessen und anständig sind, schweigen wir, um keine Fehler zu machen.
Häufig trifft man auf Unsicherheiten bei der Wahl der richtigen Worte. Wir wissen, dass man das N-Wort nicht mehr nutzt, aber darf man „Schwarzer“ sagen [ja, man darf, immer mit großem „S“], und was ist die Übersetzung des im Englischen etablierten Begriffs der “People of Color” [es gibt keine Übersetzung, wir verwenden den englischen Begriff]? Das Wort “race” hat im Englischen eine starke soziale Bedeutung, im Deutschen dagegen benutzen wir das Wort „Rasse“ nicht, da es biologisch verstanden wird und die Existenz von Menschenrassen suggeriert. Etabliert und akzeptiert sind lediglich die Begriffe „Rassismus” und „rassistisches Verhalten”. Unsicherheit besteht auch zu den Worten „schwul”, „lesbisch” und „homosexuell”: Wir sind uns oft nicht sicher, ob und wie diese Begriffe genutzt werden dürfen, weil sie uns auch als Schimpfworte bekannt sind [sie dürfen alle genutzt werden]. Wenn wir nicht ganz sicher sind, welche Begriffe angemessen und anständig sind, schweigen wir, um keine Fehler zu machen. Zugegeben, es ist nicht immer ganz einfach zu wissen, was man sagen darf, und was nicht, auch weil sich der korrekte Sprachgebrauch mit der Zeit ändern kann. Aber Schweigen ist der falsche, der feige Weg. Denn indem wir schweigen, werden die Themen, die z.B. Schwarze in unserer Gesellschaft tangieren, unsichtbar. Wir können einen wertvollen Beitrag zur Inklusion in unserer Gesellschaft leisten, wenn wir mit Sprache sensibel umgehen, und Sprache zum Thema machen. So empfiehlt sich schlicht zu fragen – statt zu schweigen –, wenn wir nicht wissen, wie man sich korrekt ausdrückt. Eine Schwarze Kollegin, ein schwuler Kollege werden dankbar sein, hierauf angesprochen zu werden. Die Frage eröffnet eine Diskussion, signalisiert Bewusstsein für die Herausforderungen einer diversen Gesellschaft. Und sie beseitigt Hürden.

„Nulltoleranz-Strategie gegenüber jeder Form von Gewalt“ am Arbeitsplatz

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Gewalt am Arbeitsplatz kann unterschiedlichste Formen und Ausprägungen haben. Dr. Holger Pressel erklärt im Interview, ab wann von Gewalt gesprochen werden kann, wie man ihr begegnen sollte und welche Rolle Juristinnen und Juristen dabei übernehmen können. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Dr. Holger Pressel, Foto: Jochen Kubik
Dr. Holger Pressel, Foto: Jochen Kubik
Dr. Holger Pressel, studierter Politik- und Verwaltungswissenschaftler mit den Schwerpunkten „Management“ und „Arbeit und Soziales“, ist stellvertretender Leiter der Stabsstelle Unternehmenskommunikation/ Politik bei der AOK Baden-Württemberg. Nebenberuflich ist er Lehrbeauftragter an mehreren Hochschulen.
Herr Dr. Pressel, Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Gewalt am Arbeitsplatz. Welche Formen der Gewalt identifizierten Sie dabei? Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) definiert „Gewalt am Arbeitsplatz“ als Vorkommnisse, bei denen Be schäftigte bei ihrer Arbeit beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen werden. An diesem umfassenden Verständnis von Gewalt orientiere ich mich: Es geht also um Dinge wie Beleidigungen, Kränkungen, Bedrohungen, Mobbing, Diskriminierung, Stalking, sexuelle Belästigung, aber auch um körperliche Übergriffe. Kurz gesagt: Um alle Formen von Gewalt, um psychische und physische. Ab wann kann überhaupt von Gewalt gesprochen werden? Das ist eine gute Frage! Das Empfinden von Gewalt ist sehr unterschiedlich. Insbesondere was Phänomene wie etwa Kränkungen, aber auch Bedrohungen angeht: Was eine Person als Kränkung oder Bedrohung wahrnimmt, kann für eine andere „nicht der Rede wert“ sein. Anders sieht es natürlich bei körperlichen Übergriffen aus: Wenn etwa in einem Jobcenter oder einer anderen Behörde ein Messer oder ein Hammer zum Einsatz kommt, dann ist der Fall eindeutig. Gibt es einen Zeitpunkt, an dem man ‚hellhörig‘ werden sollte, an dem Grenzen überschritten werden? Spätestens wenn Beschäftigte Angst haben oder nicht respektvoll behandelt werden, sind Grenzen überschritten. Kann jede/jeder Opfer solcher Gewaltformen werden oder gibt es besonders gefährdete Menschen? Theoretisch kann natürlich jeder Mensch Opfer werden. Tatsächlich hängt das Risiko stark davon ab, in welchem Wirtschaftszweig bzw. welcher Branche man arbeitet. Tendenziell ist der öffentliche Dienst eine Gefahrenzone. Vor allem Polizistinnen und Polizisten, aber auch Vollstreckungsbeamte sowie Beschäftigte von Behörden sind nicht selten Opfer von Gewalt: Im Jahr 2019 gab es 36.959 Fälle von „Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf die Staatsgewalt“. Dies entspricht einer Zunahme binnen eines Jahres um über acht Prozent! Auch im Gesundheitsund Sozialwesen gibt es vergleichsweise viele Fälle von Gewalt: Bei psychiatrischen Krankenhäusern entfällt mehr als jeder zweite Arbeitsunfall auf einen Gewaltunfall! In Pflege- und Altenheimen sind es etwa 16 Prozent in allgemeinen Krankenhäusern 5 Prozent.
Bei den meisten Übergriffen stehen nicht körperliche, sondern psychische Folgen im Vordergrund. Das können Schlafstörungen, Angst, Stress und Verunsicherung sein, aber auch Depressionen, Selbstzweifel, Ohnmacht und der Wunsch, die Tätigkeit oder auch den Arbeitgeber zu wechseln.
Und gibt es die typische Täterin/den typischen Täter? Vor allem bei Fällen von körperlicher Gewalt, aber auch bei sexueller Belästigung und Stalking ist der Täter zumeist männlich. Welche Folgen haben diese Formen der Gewalt für die Betroffenen? Die Folgen von Gewalt am Arbeitsplatz können vielfaltig sein und hängen natürlich auch von der Form der Gewalt ab: Ein Messerangriff hat andere Auswirkungen als ‚nur‘ eine Beleidigung. Bei den meisten Übergriffen stehen nicht körperliche, sondern psychische Folgen im Vordergrund. Das können Schlafstörungen, Angst, Stress und Verunsicherung sein, aber auch Depressionen, Selbstzweifel, Ohnmacht und der Wunsch, die Tätigkeit oder auch den Arbeitgeber zu wechseln. Sie haben zudem festgestellt, dass Gewalt am Arbeitsplatz zunimmt. Haben Sie für diese Zunahme Erklärungen? Die Gewalt in der Arbeitswelt ist auch ein Ausdruck der ‚Verrohung‘ der Gesellschaft. Viele Menschen sind in Folge zahlreicher Veränderungen ihres Lebens verunsichert. Dies führt bei einigen zu einem Gefühl von Bedrohung und der Suche nach einem Sündenbock als Ventil für ihre Frustrationen. Auch das Internet und die sozialen Medien spielen eine wesentliche Rolle: Dort ist die Sprache häufig viel aggressiver als in der persönlichen Kommunikation. Bei intensiver Nutzung dieser Medien sinkt dann auch die Hemmschwelle, tatsächlich Gewalt anzuwenden. Dies gilt auch im Falle des übermäßigen Konsums von Alkohol.
Cover Gewalt am Arbeitsplatz Holger Pressel: Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz. Haufe 2020, 39,95 Euro.
Was kann unternommen werden, damit es überhaupt nicht erst zu solchen gewalttätigen Situationen kommt? Maßnahmen der Gewaltprävention sollten sich an dem sogenannten ‚TOP-Prinzip‘ orientieren, wobei das ‚T‘ für technische, das ‚O‘ für organisatorische und das ‚P‘ für personenbezogene Schutz- beziehungsweise Präventionsmaßnahmen steht. Dabei sollten die einzelnen Maßnahmen nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern vielmehr intelligent kombiniert werden. Die relative Bedeutung der einzelnen Dimensionen hängt von der Form der Gewalt ab: So hilft etwa bei Mobbing ein vorhandener Alarmknopf wenig. Aspekte der Deeskalation sollten bereits bei der Unternehmenskultur beginnen. Nur wenn das Thema „Gewalt am Arbeitsplatz“ in all seinen Facetten enttabuisiert wird, können Präventionsmaßnahmen auf den Ebenen von Technik, Organisation und Personal tatsächlich greifen. Wenn Beschäftigte beispielsweise den Eindruck haben, von Vorgesetzten als ängstlich, überempfindlich oder überfordert angesehen zu werden, wenn sie Fälle von Gewalt melden, dann fehlt die Basis sowohl für künftige Meldungen als auch für erfolgversprechendes Präventionshandeln. Bestandteil einer sicherheits- beziehungsweise präventionsorientierten Unternehmenskultur sollte auch ein klares Bekenntnis zu einer Nulltoleranz-Strategie gegenüber jeder Form von Gewalt sein. Kommt es zu Gewalt am Arbeitsplatz: Wie sollten Betroffene vorgehen, an wen können sie sich wenden? Da wie schon ausgeführt die psychischen Auswirkungen dominieren, ist die psychologische Erstbetreuung etwa durch Kolleginnen und Kollegen oder durch Vorgesetzte besonders wichtig. Die Betroffenen dürfen nicht allein gelassen werden. Welche Rolle können Juristinnen und Juristen dabei übernehmen, ab wann sollten sie zum Einsatz kommen? Für Juristinnen und Juristen sehe ich mehrere Einsatzmöglichkeiten: Im Akutfall können auch sie – wie grundsätzlich alle Beschäftigte – im oben beschriebenen Sinne als kollegiale Ersthelferinnen beziehungsweise -helfer behilflich sein. Darüber hinaus können sie aber auch durch ihre spezielle Qualifikation auch andere wichtige Aufgaben übernehmen wie etwa die Formulierung von wichtigen Schriftsätzen im Kontext von Arbeitsrecht. Ein Beispiel: Geht die Gewalt von einer betriebsinternen Person aus und ist diese nicht einsichtig, dann sollte eine Juristin oder ein Jurist ins Spiel kommen und beispielsweise eine Abmahnung oder auch eine Kündigung formulieren. Kann die sogenannte CSR-Richtlinie auch einen Beitrag zur unternehmensinternen Bekämpfung von Gewalt am Arbeitsplatz leisten – ist sie nicht auch ein Instrument zur Schaffung von Transparenz? Ja, auch solche Instrumente können zumindest indirekt einen wertvollen Beitrag leisten. Allein schon deswegen, weil Unternehmen, die das Thema „CSR“ – also die soziale und gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – ernst nehmen, in aller Regel auch eine andere, eine bessere Unternehmenskultur haben als andere Unternehmen. Gewalt am Arbeitsplatz kann man nur durch ein Maßnahmenbündel eindämmen.

Legal Analyst: Wegweiser im Datenlabyrinth

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Während meines Studiums der Rechtswissenschaft in Frankfurt am Main habe ich als Legal Analyst bei reThinkLegal gearbeitet, einem auf juristisch-technische Projekte spezialisierten Unternehmen. Bis zum Abschluss meines 1. Staatsexamens und einschließlich der Übergangszeit bis zum Beginn meines LL.M.- Studiums in Amsterdam war ich dort an verschiedenen Projekten beteiligt. Von Felix Busold, heute Rechtsreferendar beim Auswärtigen Amt

Beworben hatte ich mich bei reThinkLegal, weil sich für mich als Student die Projektarbeit in Vollzeit in absehbaren Zeiträumen gut mit den Klausuren und Hausarbeiten vereinbaren ließ. Da ich bereits in verschiedenen Kanzleien gejobbt hatte, hatte ich konkrete Erwartungen an die Arbeit als studentische Hilfskraft in der Rechtsbranche. Diese Erwartungen haben sich bei dem in Frankfurt ansässigen Legal Tech-Unternehmen jedoch glücklicherweise nicht erfüllt. Ich musste meine Zeit nicht mit Kaffeekochen oder als Botengänger verbringen. Vielmehr war ich sofort Mitglied eines Projektteams, das mit Hochdruck an der Bearbeitung einer enormen Datenmenge arbeitete. Dies ist eine der Expertisen des Unternehmens: Aus riesigen Datenmengen sucht es genau die für den jeweiligen Fall relevanten Daten heraus uns stellt sie seinen Mandanten zur Verfügung. Nach der Einarbeitung durch den Projektleiter wurde ich schnell ins sogenannte kalte Wasser geworfen und durfte Verantwortung übernehmen. Nachdem ich mit der Software sowie mit dem Sachverhalt des Projekts vertraut gemacht worden war, wurde selbstständiges Arbeiten als vollwertiges Teammitglied von mir erwartet. Das Team empfing mich sehr aufgeschlossen, was die Kommunikation erleichterte und ein offenes Klima für Fragen schuf. Diese Integrationsbereitschaft war für mich das prägende Element der Mitarbeit. Zu den Herausforderungen gehörten neben der Arbeit im Team vor allem der Umgang mit der komplexen Software und die schnelle Einarbeitung in teilweise nicht nur rechtlich, sondern auch technisch anspruchsvolle Themen. Die engagierten und zielstrebigen Projektleiter nehmen zudem jeden Einzelnen in die Verantwortung, wodurch eine Dynamik entsteht, die mir bereits früh die Möglichkeit bot, Verantwortung für neue Mitarbeiter zu übernehmen. Dies geschieht in einer professionellen und erfolgsorientierten, aber gleichzeitig respektvollen Atmosphäre. Ich konnte in dieser Zeit neben zahlreichen weiteren Softskills vor allem meine Teamfähigkeit verbessern. Und ich bekam Einblicke in verschiedenste juristische Arbeitsfelder, die über den klassischen Anwaltsberuf hinausgehen. Diverse Schulungen in den Rechtsgebieten der jeweiligen Projekte haben zudem mein Interesse an den behandelten Themen gestärkt und mir ein Verständnis von der Materie verschafft, das über das für die Bearbeitung der Aufgaben unbedingt notwendige Maß ragte. Drei Jahre war ich schließlich neben meinen Studienaktivitäten als Legal Analyst bei reThinkLegal beschäftigt, eine Zeit, die mich persönlich weiterbrachte und von deren Erfahrungen ich noch heute zehre. Außerdem hatte ich durch die Arbeit die Möglichkeit, ein modernes und ambitioniertes Arbeitsumfeld mit einer jungen und zeitgemäßen Unternehmenskultur kennenzulernen, über das ich zudem noch Einblicke in verschiedene Rechtsgebiete vermittelt bekam.

Weiter mobil erreichbar?

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Das mobile Arbeiten ist für viele, deren Arbeit das zulässt, in Corona-Zeiten ein Teil des Arbeitsalltags geworden. Und hat durchaus seine Vorteile für Unternehmen mit sich gebracht. Doch alles gut zu nennen, wäre übertrieben. Daher werden Lösungen für das zukünftige mobile Arbeiten gesucht. Von Christoph Berger

Das mobile Arbeiten, auch Remote-Arbeit genannt, hat bei der Mehrheit der Unternehmen im dritten Quartal 2020 zu erheblichen Produktivitätssteigerungen geführt. Das geht aus der im Dezember 2020 vom Capgemini Research Institute veröffentlichten Studie „The Future of Work: From remote to hybrid“ hervor. Aufgrund geringerer Pendlerzeiten, flexibler Arbeitszeiten und der Einführung wirksamer Tools für die virtuelle Zusammenarbeit sei in 63 Prozent der befragten Unternehmen die Produktivität der Mitarbeiter im besagten Zeitraum stark gestiegen. Diese Steigerungen will man nachhaltig sichern. Der Studie zufolge rechnen die Unternehmen in den nächsten zwei bis drei Jahren mit einer allgemeinen Produktivitätssteigerung von 17 Prozent. Und das mobile Arbeiten brachte noch einen Vorteil mit sich: So haben 88 Prozent der Befragten in den letzten drei bis vier Monaten bei den Immobilienkosten Einsparungen erzielen können. Die Kehrseite der flexiblen und ortsunabhängigen Arbeitsform: Mitarbeiter*innen werden zunehmend durch das Gefühl belastet, immer erreichbar zu sein. Gerade in der Altersgruppe der 26- bis 35-Jährigen ist diese Sorge mit 60 Prozent besonders hoch. Ein weiteres Problem: Neu eingestellte Mitarbeiter*innen kommen sich in einer Remote-Umgebung abgekoppelt vor; 54 Prozent der in der Pandemie neu eingestellten Mitarbeiter*innen haben sich in den ersten Tagen im neuen Unternehmen verwirrt und verloren gefühlt. Und 55 Prozent waren sich nicht einmal der Werte und Leistungen des Unternehmens bewusst. Diese Problematik lasse sich auch bei bestehenden Mitarbeitern beobachten, schreiben die Autoren: 38 Prozent fanden es schwieriger, virtuell mit den neuen Kollegen zusammenzuarbeiten. Die Studienverfasser*innen ziehen aus den gewonnenen Ergebnissen das Fazit, dass der Ansatz des mobilen Arbeitens langfristig zu kurz greife. In Zukunft werde es darum gehen, ein hybrides Modell zu etablieren, das ein Gleichgewicht zwischen der Arbeit zu Hause und im Büro herstellt. Ziel der Unternehmen werde es daher sein, sich zu differenzieren und das Angebot für die Mitarbeiter*innen auszubauen, es brauche die richtige Balance für einen hybriden Ansatz, und Führungskräfte müssten bestehende Strukturen in Frage stellen, die Wirksamkeit von Betriebsmodellen überdenken und organisatorische Silos und Barrieren zwischen Teams abbauen. Möglich sei dies unter anderem durch ein Überdenken der Beschaffungsmodelle, bei denen die Arbeitsleistung unabhängig vom Ort erbracht werden kann, eine Neudefinition von Führung sowie die Förderung von Autonomie, Empathie und Transparenz. Zudem brauche es eine vertrauensbasierte Arbeitskultur mit neuen gemeinsamen Ritualen und die Installation einer robusten digitalen Infrastruktur, um ein nahtloses digitales Arbeiten zu ermöglichen. Auf dass sich Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit zusammentun.

Schrift-Sätze: Kultur-, Buch- und Linktipps

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Spiel-App lehrt zitieren

Zum wissenschaftlichen Arbeiten gehört auch korrektes Zitieren. Im juristischen Bereich der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) wurde deshalb eine App entwickelt, mit deren Hilfe Jura-Studierende dies auf spielerische Art quasi nebenbei lernen können. „CitApp: Das Jura-Zitierspiel“ ist für Android und Windows 10 verfügbar und kann bundesweit genutzt werden. Weitere Infos unter: www.jura.uni-halle.de/citapp

Gegen die Diktatur der Gewinner

Cover Diktatur der GewinnerTim Leberecht, scharfsinniger Vordenker für einen neuen Humanismus in Wirtschaft und Gesellschaft, prophezeit: In Zeiten der Digitalisierung und der ständigen Optimierung müssen wir neu lernen, mit Niederlagen umzugehen. Verlieren wird sogar zur unerlässlichen Kernkompetenz. Welche Arten des Verlierens es gibt und wie wir gut damit zurechtkommen, verrät er in diesem leidenschaftlichen, gesellschaftskritischen Aufruf zu mehr Menschlichkeit. Tim Leberecht: Gegen die Diktatur der Gewinner. Droemer 2020, 20Euro.

Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

Cover Juristen jüdischer HerkunftPeter Landau gehört zu den renommiertesten deutschen Rechtshistorikern des 20. Jahrhunderts. Seine Darstellung über das Wirken deutscher Juristen jüdischer Herkunft in der Blütezeit ihrer Tätigkeit vom Kaiserreich bis zum Ende der Weimarer Republik zeigt ihn auf der Höhe seines Könnens. Die Abhandlung erschien zuerst in einem umfassenden Sammelwerk, doch sie hat durchaus monographischen Charakter und darf zum Besten zählen, was über das Thema geschrieben worden ist. Deshalb legte der Verlag sie nun noch einmal als eigenständige Publikation vor und folgte damit einer Anregung von Michael Stolleis, ebenfalls Jurist und Rechtshistoriker, der auch ein Nachwort für den Band verfasst hat. Peter Landau: Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. C.H.Beck 2020, 22 Euro.

Charisma

Cover CharismaBarack Obama und Willy Brandt. Diese dienen ihr als Role Models für den Charisma-Code 5 ¾In einer komplexen Welt voller Veränderungen und Widersprüche brauchen Führungskräfte eine besondere Stärke: eine Ausstrahlung, die auf andere inspirierend, orientierend und anziehend wirkt. Doch was macht eine charismatische Persönlichkeit aus? Um dem Phänomen Charisma auf die Spur zu kommen, beschäftigt sich Christiane Deters mit dem Leben und Wirken sechs bekannter Persönlichkeiten: Coco Chanel, Elisabeth Selbert und Ruth Bader Ginsburg sowie Martin Luther King, , der zugleich die Marschroute für die Entdeckungsreise zum eigenen charismatischen Potenzial bildet. Deters selbst arbeitete als Rechtsanwältin, Unternehmensjuristin und HR-Verantwortliche, heute ist sie Trainerin, systemischer Coach und Rednerin. Christiane Deters: It’s all about Charisma. Metropolitan 2020, 29,95 Euro

Grundrechte in Quarantäne

Cover Not und GebotIm Kampf gegen die Corona-Pandemie ergreifen Staaten Maßnahmen, die sonst nur in Kriegszeiten denkbar wären. Ohne Parlament werden beispiellose Einschränkungen der Freiheit beschlossen und umgesetzt. Nicht nur Menschen, auch Grundrechte sind in Quarantäne. Not kennt kein Gebot? Falsch! Not braucht das Gebot des Grundgesetzes. Heribert Prantls Buch ist eine Streitschrift für die Grundrechte: Wir müssen uns vor dem Virus schützen, zugleich aber auch vor Schäden am Betriebssystem Demokratie. Heribert Prantl: Not und Gebot. C.H.Beck 2021, 18 Euro

Böses Verhalten

Am 27. Januar 2021 hielt Dr. Britta Bannenberg, Professorin für Kriminologie an der Universität Gießen, im Rahmen der Vortragsreihe „Das Böse“ des Jungen Kollegs Greifswald den Vortrag „Böses Verhalten. Attentate durch Amoktäter und terroristische Einzeltäter–Ursachen und Hintergründe“. Darin ging es um seltene, aber schwerwiegende Gewalttaten und deren Ursachen, aber auch Entwicklungen. Dargestellt wurden Taten, Täter und ihre Entwicklung sowie mediale Einflüsse auf terroristische Einzeltäter der letzten Zeit.

Der neunte Arm des Oktopus

Cover Der neunte Arm des OktopusDer Betreiber der Unternehmensgruppe Rossmann, Dirk Rossmann, gilt als engagierter Klimaschützer. Nun hat er das Thema in dem Thriller „Der neunte Arm des Oktopus“ verarbeitet. Wie in der Realität steht auch darin der Erde mit dem Klimawandel eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes bevor. Das Fiasko scheint unaufhaltsam. Bis die drei Supermächte China, Russland und die USA einen radikalen Weg einschlagen. Doch wird diese starke Klima-Allianz das Ruder noch herumreißen? Die Maßnahmen der Allianz greifen gravierend in das Leben der Menschen ein, und nicht jeder will diese neue Wirklichkeit kampflos akzeptieren. Alle Mittel sind den Gegnern recht, um ihre ökonomischen und machtpolitischen Interessen zu verteidigen. Die Situation spitzt sich dramatisch zu, und plötzlich liegt das Schicksal der Erde in den Händen eines schüchternen Kochs und einer unscheinbaren Geheimagentin. Dirk Rossmann: Der neunte Arm des Oktopus. Bastei Lübbe 2020, 20 Euro.

DDR-Juristen zwischen Recht und Macht

Cover Diener zweier HerrenWaren Juristen in der DDR „ideologieanfälliger“ als die Vertreter anderer Berufe? Dienten die Rechtswissenschaftler einem „Unrechtsstaat“? Wie ging die SED mit den Juraprofessoren um, wie brav befolgten diese die Parteibeschlüsse? Die US-amerikanische Rechtshistorikerin Inga Markovits benutzt die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Labor, um zu beschreiben, wie sich Juristen in der DDR im Spannungsfeld zwischen Macht und Recht bewegten. Sie erzählt die 40-jährige Geschichte der Fakultät aus drei verschiedenen Perspektiven: als Anpassung und Unterwerfung unter die SED, als mürrisches Ausweichen und Unterwandern von Parteibeschlüssen sowie als Verschleiß des politischen Glaubens an den Sozialismus oder zumindest an die Partei. Markovits resümiert: Die DDR wurde nie zum „Rechtsstaat“ im technischen Sinn des Wortes, aber sie war auch kein „Unrechtsstaat“, sondern bewegte sich im Laufe der Jahrzehnte vom „Nicht-Rechtsstaat“ allmählich auf den Rechtsstaat zu. Inga Markovits: Diener zweier Herren. Ch.Links 2020, 20 Euro.