Die ehemalige Siemens-Personalvorständin Janina Kugel, eine der einflussreichsten Frauen in der deutschen Wirtschaft und prominente Mitinitiatorin der Initiative #ichwill, beschreibt in ihrem ersten Buch, wie wir unsere (Arbeits)Welt von morgen aktiv gestalten und neu denken können. Die technologischen Disruptionen, die gesellschaftlichen Umbrüche in der Welt und nicht zuletzt die Corona-Krise wirken hierbei wie ein Katalysator, der uns buchstäblich vor Augen führt, mit welcher Rasanz und Dynamik diese Veränderungen unser Leben auf den Kopf stellen. In dem Buch berichtet sie außerdem erstmals von ihren persönlichen Erfahrungen und liefert konkrete Vorschläge und Denkanstöße – ein Plädoyer, neue Wege zu gehen: mit Optimismus, Mut und Leidenschaft. Janina Kugel: It’s now. Ariston 2021, 22 Euro..
Die erste Linienflugkapitänin der Welt
Deutschland in den Siebzigerjahren. Katharina Berner stammt aus einer gut situierten Unternehmerfamilie, geht aber seit jeher ihren eigenen Weg. Dass sie Jura studieren wollte, statt eine Familie zu gründen, haben weder ihr Vater, der alte Patriarch, noch ihre Mutter oder Schwestern je verstanden. Doch sie hat sich durchgesetzt und arbeitet in einer großen Kanzlei in Köln – glücklich ist sie allerdings nicht. Die männlichen Kollegen machen ihr den Alltag zur Hölle, am liebsten würde sie sich selbstständig machen. Nur wie, wenn nicht einmal jemand Büroräume an sie vermieten will? Da bittet eine junge Frau Katharina um Hilfe: Rita Maiburg besitzt eine Pilotenlizenz, versucht jedoch vergeblich, eine Anstellung zu bekommen. Die Lufthansa hat ihre Bewerbung mit der Begründung abgelehnt, dass sie grundsätzlich keine Frauen als Piloten einstellt. Diese Ungerechtigkeit will Rita sich nicht gefallen lassen. Katharina nimmt den Fall an, und die beiden beschließen zu klagen – gegen die Lufthansa und die BRD. Einen Verbündeten findet Katharina in ihrem Vermieter Theo, der sie nach Kräften unterstützt. Doch wird es den beiden Frauen gelingen, Ritas Traum vom Fliegen endlich Wirklichkeit werden zu lassen? Christine Drews: Freiflug. Dumont 2021, 20 Euro.
Move
In diesem Buch eröffnet Parag Khanna, indisch-amerikanischer Politikwissenschaftler und in Singapur lebender Vordenker, einen anderen, neuen Blick auf die Welt. Er bringt Geschichte, Politik und die natürlichen Lebensbedingungen des Menschen, die sich gerade rasant verändern, zusammen und leitet daraus Voraussagen für die Zukunft ab. Seine Grundthese: Die Menschheit wird sich in den nächsten Jahrzehnten neu auf der Erde verteilen (müssen). Gebiete, die bislang von der Natur bevorzugt wurden, drohen unbewohnbar zu werden; alte Industrieregionen, die Millionen von Menschen angezogen haben, werden veröden, neue Zentren entstehen. All dies wird nicht auf ein Land beschränkt sein, sondern zum weltweiten Phänomen. Die Gründe, die Khanna für riesige Migrationsströme über die Kontinente hinwegsieht, sind vielfältig: von demographischen Schieflagen und unterschiedlichen Modernisierungsgeschwindigkeiten über Klimaveränderungen bis zu sich neu verteilenden Arbeitsmöglichkeiten. Parag Khanna: Move. Rowohlt 2021, 24 Euro.
Zukunftsrepublik
Um ein Land zukunftsfähig zu machen, braucht es vor allem eines: kreative Köpfe, die über das Morgen hinausdenken. Darum haben die Herausgeberinnen und Herausgeber des Buchs „Zukunftsrepublik“ 80 herausragende Persönlichkeiten zusammengebracht, die unsere Zukunft mit ihren Ideen entscheidend prägen werden. Das Buch ist ein Feuerwerk an Zukunftsvisionen, persönlichen Einschätzungen und Wegweisern für die sechs Kategorien Bildung, Wirtschaft, Arbeit, Gesundheit, Politik und Gesellschaft. Marie-Christine Ostermann, Celine Flores Willers, Miriam Wohlfarth, Daniel Krauss, Andreas Rickert, Hauke Schwiezer (alle Hrsg.): Zukunftsrepublik – 80 Vorausdenker*innen springen in das Jahr 2030. Campus 2021, 24,95 Euro.
Kapital und Ressentiment
Es zieht sich eine Spur der Zerstörung von der Herrschaft der Finanzmärkte über die neuen Netzgiganten bis hin zur dynamisierten Meinungsindustrie. Auf der Strecke bleiben dabei Demokratie, Freiheit und soziale Verantwortung. Joseph Vogl rekonstruiert in seiner Analyse, wie im digitalen Zeitalter ganz neue unternehmerische Machtformen entstanden sind, die unser vertrautes politisches Universum mit einer eigenen Bewertungslogik überschreiben und über nationale Grenzen hinweg immer massiver in die Entscheidungsprozesse von Regierungen, Gesellschaften und Volkswirtschaften eingreifen. Joseph Vogl: Kapital und Ressentiment. C.H. Beck 2021, 18 Euro.
Die Wildgans-Strategie
In vielen Unternehmen werden das geschäftliche Miteinander sowie die Arbeitsabläufe noch immer von Konkurrenzdenken und Egoismus dominiert. Dabei ist das, was vor hundert Jahren noch die Norm und erfolgversprechend war, schon längst überholt. Anhand einer Parabel, die veranschaulicht, wie wichtig Vertrauen und Teamwork für eine nachhaltige Unternehmenskultur und für eine erfolgreiches Personalmanagement sind, zeigt Sofie Klos, dass Kooperation und Vertrauen langfristig betrachtet deutlich erfolgreicher sind. Die Autorin stellt unterschiedliche Kooperationsstrategien vor, die sinnbildlich anhand des Verhaltens von Vögeln bei einem Wettflug betrachtet und analysiert werden. Sofie Klos: Die Wildgans-Strategie. Cherry Media 2020, 14,90 Euro.
Zusammen führen
Das Buch von Eva-Maria Kraus zeigt auf, wie Führungskräfte ein strategisches Netzwerk aufbauen. Krisen wie die Corona-Pandemie haben gezeigt, dass wir nur gemeinsam im Miteinander zu auch langfristig erfolgreichen Lösungen kommen können. Hier funktioniert kein Silodenken oder das Kleben an traditionellen Hierarchien. Eva-Maria Kraus ist überzeugt: Nur durch die Schaffung einer Kultur des Miteinander und Füreinander werden Unternehmen gerüstet in die Zukunft auch nach Corona gehen können. Hier sind die Dynamik und Kraft von strategisch vernetztem Arbeiten essenziell. Eva-Maria Kraus: Zusammen führen. Wiley-VCH 2021, 24,99 Euro.
Dein perfekter Unternehmertag
Mit Anfang 30 da sein, wo viele gern am Ende des Lebens wären: Rayk Hahne hat es geschafft. Er ist Unternehmensberater, BMX-Profisportler, Familienvater und Podcaster. Aus den über 100 Tools und Techniken, die seine Gäste wie Investor Frank Thelen oder Sportikone Marcell Jansen in seinem Podcast verraten haben, stellt er die Essenz vor. Von „Wie sieht ein perfekter (Unternehmer)Tag aus“ bis hin zu „Denke groß wie Frank Thelen“ zeigt Rayk Hahne, wie sich mit hartem Einsatz, Disziplin und einem klaren (Trainings)Plan Freiheit in allen Lebensbereichen, beruflich wie privat, erreichen lässt. Rayk Hahne: Dein perfekter Unternehmertag. FinanzBuch Verlag 2021, 17,99 Euro.
Prof. Dr. Burkhard Schwenker hat sich mit Leidenschaft der Beratung verschrieben. Nun hat er mit Mitstreiter*innen ein Plädoyer für die Betriebswirtschaftslehre verfasst. Oder: Das Strategieberatungskonzept für eine Wissenschaftsdisziplin. Im Interview erklärt er zudem, welche Rolle BWLer*innen in Beratungsunternehmen zukommt. Die Fragen stellte Christoph Berger
Zur Person
Prof. Dr. Schwenker, Foto: privat
Prof. Dr. Burkhard Schwenker, Jahrgang 1958, studierte Mathematik und Betriebswirtschaftslehre. Seine berufliche Karriere startete er bei der PWA Papierwerke Waldhof- Aschaffenburg AG. Später wurde er Berater bei Roland Berger. Dort stieg er bis zum Vorsitzenden des Executive Committee auf. Es folgte der Vorsitz im Aufsichtsrat. Heute besetzt er zahlreiche Posten in Unternehmen und Institutionen und widmet sich der Lehre.
Herr Dr. Schwenker, vor welchen Herausforderungen steht die Disziplin Betriebswirtschaftslehre heute und auf welche Herausforderungen sollte sie Antworten finden?
Inhaltlich und von der Hauptzielgruppe kommend, den Unternehmen, wird Unternehmensführung schwieriger und anspruchsvoller. Kurzfristig hängt das mit den Corona- Effekten zusammen. Aber auch darüber hinaus können wir davon ausgehen, dass technologische Sprünge weiterhin extrem zunehmen werden. Damit verbunden sind die Vermischung von Branchengrenzen, die Abgrenzungen des Tätigkeitsfelds eines Unternehmens schwieriger machen. Wir können davon ausgehen, dass die politischen Konflikte zunehmen werden und selbstverständlich gibt es das gesamte Thema Nachhaltigkeit – sowohl auf Kundenseite als auch aus Richtung der Regulatorik. Die ganz große Überschrift für diese Phänomene ist: Ungewissheit. Wir wissen heute weder, welche Ereignisse vor uns liegen, noch wie ihre Wahrscheinlichkeiten aussehen. Das führt dazu, dass viele der klassischen betriebswirtschaftlichen Instrumente, die explizit oder implizit immer auf der Vorstellung beruhen, dass Wahrscheinlichkeiten bekannt sind, heute nicht mehr funktionieren. Man muss also neu denken.
In Ihrem Buch tauchen auch Schlagworte wie Purpose, New Work oder Agilität auf. Sind dies Themen, die umgesetzt werden müssen, um zu einer „guten“ BWL zu kommen, wie Sie sie nennen?
Die Herausforderung besteht darin, all dies in der Unternehmensführung umzusetzen. Mit der Zunahme des Anspruchs muss sich auch die BWL darauf ausrichten. Das muss der Anspruch sein: Sie muss die Forschung auf diese Themen ausrichten, die Lehre umstellen – es geht darum, die Instrumente zu reflektieren statt nur ihre Anwendung zu lehren. Das Paket ist groß. Andererseits wird BWL von den Unternehmensführungen sehr geschätzt. Sie setzt somit auf einer guten Basis auf, von der aus sie sich weiterentwickeln kann.
Damit steht die BWL genau vor dem Wandel, vor dem auch die Branchen und Unternehmen stehen.
Genau. Auch die BWL muss ihre Denkmuster überarbeiten. Dabei wäre es wünschenswert, wenn sie schneller als die Unternehmen wäre. Denn die Aufgabe jeder anwendungsorientierten Wissenschaft ist es, Entscheidungshilfen zu bieten.
Kann ein/eine Betriebswirt*in dieser komplexer werdenden Welt überhaupt noch den Überblick behalten?
Es geht immer darum, sich einen Überblick zu verschaffen, ein Gespür für mögliche Entwicklungen aufzubauen. Das bedeutet, dass man sich breit aufstellen muss, dass man als Betriebswirt Interesse daran haben muss, was in der Welt passiert, was geopolitisch läuft, was in der Politik eine Rolle spielt. Und, bezogen auf die Forschung, was in den Nachbarwissenschaften passiert. Es ist sehr deutlich geworden, dass ein Teil der Zukunft darin liegt, interdisziplinärer vorzugehen. Im Kern muss also die Fähigkeit gelehrt werden, zu denken, komplexe Sachverhalte versuchen zu durchdringen. Die Auseinandersetzung mit Theorien wird somit bedeutsam. Dies braucht man, um besser denken zu können.
Mit diesen Fähigkeiten und diesem Know-how ausgestattet: Welche Rolle können Betriebswirte dann in Strategieberatungen übernehmen?
Jede wichtige. Für exzellente Betriebswirte, Frauen oder Männer, stehen die Türen auf und die Karriereleitern offen. Vorausgesetzt, sie sind kreativ, weltoffen und bringen genau das Rüstzeug mit, über das wir gesprochen haben: hohe analytische Fähigkeiten, Reflexionsvermögen, Empathie – denn wer führen will, muss Menschen mögen – und Einsatzbereitschaft.
Der Fahrplan der EU in Richtung klimaneutrales Europa führt zur erhofften Dynamik: Die Investitionen in nachhaltige Technologien steigen, und Ingenieur*innen nehmen die Herausforderung an, Lösungen für die bekannten Probleme zu finden. Dies funktioniert im Himalaya genauso wie auf fränkischen Sportplätzen.
Der Fahrplan der EU in Richtung klimaneutrales Europa führt zur erhofften Dynamik: Die Investitionen in nachhaltige Technologien steigen, und Ingenieur*innen nehmen die Herausforderung an, Lösungen für die bekannten Probleme zu finden. Dies funktioniert im Himalaya genauso wie auf fränkischen Sportplätzen. Ein Essay von André Boße
Die EU hat Ende 2019 ihren Green Deal vorgestellt, einen „Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft“, wie es offiziell heißt. Dieser hat zwei Ziele: Erstens sollen bis 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden. Kurz gesagt: Die EU wäre dann klimaneutral. Zweitens soll das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt werden. Das bedeutet: Wachsen, ja, aber nicht mehr auf Kosten der Umwelt. Rund eineinhalb Jahre später kann man sagen: Der Green Deal ist definitiv ein „Big Deal“. Der Fahrplan ist keine kraftlose Forderung aus Brüssel an die Unternehmen, bitte etwas nachhaltiger zu wirtschaften. Die Maßgabe der EU hat sich zum Gamechanger entwickelt. Denn Unternehmen erkennen, dass das nachhaltige Wirtschaften der entscheidende Erfolgsfaktor der Zukunft ist. Zumal er sich koppeln lässt mit dem zweiten Megatrend von heute: der Digitalisierung.
Bill Gates investiert in nachhaltige Start-ups
Microsoft-Gründer Bill Gates ist bekannt als Akteur, der hohe Summen in Zukunftstechnologien zugunsten der Weltgesellschaft investiert. Mitte Februar kündigte er an, in den kommenden fünf Jahren zwei Milliarden USDollar in Start-ups und andere Projekte gegen den drohenden Klimawandel zu investieren. Dies berichtete er in einem Interview mit dem „Handelsblatt“. Es gelte, mit Innovation eine „Klimakatastrophe“ zu verhindern, sagte der Microsoft-Gründer. Gates forderte in dem Interview zusätzlich eine Verfünffachung der globalen staatlichen Forschungsinvestitionen in saubere Energien und andere Klimainnovationen innerhalb des nächsten Jahrzehnts. Dies wären dann jährlich mindestens 110 Milliarden US-Dollar, also rund 90 Milliarden Euro.
Corona stärkt Green Deal
Als die EU im Dezember 2019 den Green Deal vorstellte, wurden im chinesischen Wuhan die ersten Patient*innen mit einer ungewöhnlichen Lungenkrankheit gemeldet. Andere Länder wussten aber noch nichts über dieses Virus. Das änderte sich nur wenige Wochen später: Corona hat seitdem die Welt im Griff. Interessant ist, dass es dem Virus aber nicht gelingt, den Green Deal zu schwächen. Im Gegenteil: Die Krise zeigt, warum es gerade jetzt wichtiger denn je ist, Risiken abzuschätzen und Wachstumsstrategien zu überdenken. „Es ist kein Zufall, dass die Pandemie vor allem die überhitzten Branchen des alten Normal besonders hart getroffen hat – Fleischproduktion, Kreuzfahrtschiffe, Flugverkehr, exzessiver Tourismus, fossile Automobilität“, stellt Vorwärtsdenker Matthias Horx vom Zukunftsinstitut in seinem Kommentar „2021: Das Jahr der Entscheidungen“ fest. Was diese „Krisen-Branchen“ verbinde, sei ihr Streben nach schnellem Wachstum, sagt Horx. „Wo aber Wirtschaft zur reinen Effizienzmaschine wird, wird sie besonders fragil. Das haben Krisen so an sich: Sie beenden Exzesse. Sie konfrontieren uns mit unserer eigenen Dekadenz. Sie lösen festgefräste Denkmuster auf und zerstören das Überkommene. Sie erzwingen Innovationen, die vorher im Latenten stecken geblieben waren.“
Innovationen zielen häufig darauf, Risiken besser zu managen. Jedes Jahr zum Weltwirtschaftsforum veröffentlicht das veranstaltende Word Economic Forum einen Report über die „Globalen Risiken“, für den rund 650 Leiter weltweiter Unternehmen einschätzen, welche Gefährdungen für die Wirtschaft am relevantesten sind. Ganz oben auf der Liste der Risiken 2021: Wetterextreme, ein Scheitern beim Klimaschutz sowie die vom Menschen gemachte Ausbeutung und Verschmutzung der Umwelt. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren noch wurde das Risikoranking von Themen wie Fiskal-, Liquiditäts- und Preiskrisen dominiert. Als einziges „grünes“ Thema fand sich der Klimawandel in der oberen Hälfte der Liste, umgeben war es von ökonomischen Themen.
Leitlinien zu klimabezogenen Berichten
Die EU-Kommission hat im Juni 2019 unverbindliche Leitlinien zur Berichterstattung über klimabezogene Informationen veröffentlicht. Diese geben Unternehmen Empfehlungen, wie sie darüber berichten können, wie ihre Aktivitäten sich auf den Klimawandel auswirken und welchen Einfluss dieser auf das Geschäftsmodell nimmt. Hier stehen besonders potenzielle Risiken im Fokus. Die Leitlinien erhalten zudem Best Practice-Beispiele zur Berichterstattung über wesentliche Erfolgsfaktoren.
Ingenieurideen mildern „Grüne Risiken“
Was bedeutet diese Entwicklung für technische Innovationen und für die Arbeit der Ingenieur*innen? Mehr denn je kommt es darauf an, dass sie an Lösungen arbeiten, die nachhaltiges Wachstum generieren. Damit das Unternehmen weiter Umsätze generiert – das ist klar. Aber nicht länger auf Kosten der Umwelt. Sondern, mehr noch, mit Technologien, die dabei helfen, die „Grünen Risiken“ abzumildern. Die gute Nachricht: Den Ingenieur*innen kommt dieser Arbeitsauftrag wie gelegen. Er korrespondiert mit den digitalen Möglichkeiten, aber auch mit dem Bedürfnis der jungen Generation. Sie versteht unter dem Konzept New Work, Dinge zu tun, die gedankliche Freiräume garantieren und sinnvoll dazu beitragen, die Welt lebenswert zu erhalten sowie nachhaltig zu gestalten.
Wie wirksam an dieser Stelle der Hebel allein für den Maschinenbau ist, zeigt eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens Oliver Wyman. Unmittelbar sei der Maschinenbau zwar nur für rund ein Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich – etwa durch den Wärme- und Stromverbrauch bei der Fertigung von Maschinen. „Ungleich größer ist jedoch das Potenzial, anderen Sektoren wie etwa der Stahlverarbeitung oder der Zementbranche durch die Bereitstellung innovativer Technologien zu CO2-Einsparungen zu verhelfen: Fast 70 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen können durch den Maschinenbausektor beeinflusst werden“, heißt es in der Analyse. Dr. Daniel Kronenwett, Partner bei Oliver Wyman, nennt einen konkreten Anwendungsfall: „Ersetzen Stahlhersteller zukünftig beispielsweise Koksöfen durch Wasserstofftechnologie oder Fabriken extern bezogenen Kohlestrom durch dezentrale Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energien, ist das ein enormer Hebel.“ Wie groß der Markt ist, zeigt die Kalkulation des Beratungsunternehmens: Um die Ziele des Green Deal zu erreichen, müssten jährlich mehr als 120 Milliarden Euro investiert werden, davon der größte Teil in Technologien und Equipment, die Nachhaltigkeit erzeugen.
Um die Ziele des Green Deal zu erreichen, müssten jährlich mehr als 120 Milliarden Euro investiert werden, davon der größte Teil in Technologien und Equipment, die Nachhaltigkeit erzeugen.
Für die Ingenieur*innen im Maschinenbau zeigen die Berater drei Handlungspfade auf: Erstens gehe es darum, die Energieeffizienz des vorhandenen Maschinenportfolios zu erhöhen. Hier helfen das Industrial Internet of Things (IIoT) sowie neue IT-Management-Systeme. Zweitens raten die Studienautoren zu Investitionen in Brückentechnologien zur Abscheidung, Speicherung oder Weiterverarbeitung von vorhandenem CO2. Drittens sei es wichtig, den Ausbau vielversprechender Durchbruch-Technologien zur Vermeidung von CO2 voranzutreiben, zum Beispiel die industrielle Wasserstofftechnologie. „Die erst kürzlich verabschiedete nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung dürfte dem Thema einen weiteren Impuls nach vorn geben“, sagt Daniel Kronenwett.
Eis-Wasser-Speicher im Sommer
Alte Maschinen optimieren, in Überbrückungstechnologien investieren, Durchbruch-Technologien entwickeln – so lautet der anspruchsvolle Dreischritt, vor dem weltweit die Ingenieur* innen stehen. Nicht zuletzt in dieser Pandemie zeigt sich: Steigen die Anforderungen, steigt auch die Innovationskraft. Die Impfstoffforschung ist hier ein gutes Beispiel. Auch Ingenieur* innen belegen weltweit, was diese Berufsgruppe schon immer ausgezeichnet hat: Sie finden Lösungen für Probleme, die zunächst unlösbar scheinen. Werfen wir einen Blick in den Himalaya, wo auf einer Höhe von 3500 Metern über dem Meeresspiegel in den Bergen von Ladakh die Bauern unter einer akuten Wasserknappheit leiden: Fällt in der Region überhaupt Niederschlag, dann häufig Schnee, wobei die Wolken an den Berggipfeln hängenbleiben. Die Winter hier oben sind kalt, in den Sommern wird es wärmer und noch trockener.
Europäischer Erfinderpreis
Einmal im Jahr schreibt das Europäische Patentamt den Europäischen Erfinderpreis aus. Bewerben können sich kluge Köpfe aus Industrieunternehmen, aus kleinen und mittelständischen Betrieben oder aus der Forschung. Die Gewinner des letzten Wettbewerbs haben zum Beispiel ein Verfahren für ein verbessertes Kunststoffrecycling oder eine umweltfreundliche Verpackung aus Pilzen entwickelt.
Der Ingenieur Sonam Wangchuk entwickelte die Idee, moderne Pipelinetechnik mit einer uralten Tradition der Wasserspeicherung zu kombinieren: Schmelzen Schnee und Eis auf dem Gipfel, wird das Wasser die Hänge hinab auf die landwirtschaftlichen Gebiete geleitet. Dort „sprudelt“ das Wasser unter Druck senkrecht aus der Erde und geht auf einem künstlich angelegten Eishügel nieder – eine Art Mini-Gletscher, der durch seine besondere Form bei Plustemperaturen nur sehr langsam schmilzt. Die Eishügel funktionieren wie ein Speicher, der nach und nach Wasser abgibt und somit die Wasserversorgung sichert. Der 2015 gebaute Prototyp wurde mit Hilfe einer Crowdfunding- Kampagne finanziert, die alle Kosten der 2,3 Kilometer langen Pipeline von einem Schmelzwasserfluss bis hinunter zum Dorf deckte. Der Eishügel steht bis Anfang Juli und spendet jährlich rund 1,5 Millionen Liter Schmelzwasser – wohlgemerkt Wasser, das sonst versickert wäre. Sonam Wangchuk gewann für diese Entwicklung den „Rolex-Preis für Unternehmungsgeist“, wobei er den Eishügel am Hang als Pilotprojekt für weitere Investitionen betrachtet: Die Eishügel sollen eine wirksame Klimaanpassungsmaßnahme und Begrünungstechnologie für die Wüste sein. Mittelfristig möchte der studierte Maschinenbauer in seiner Heimatregion 50 noch größere Eishügel anlegen, von denen jeder rund zehn Millionen Liter für die Bewässerung von je zehn Hektar Land liefert, heißt es in einem Pressetext des „Rolex-Preises“.
Guter Platz, kein Mikroplastik
Während der Ingenieur Sonam Wangchuk also im Himalaya die Wasserversorgung garantiert, arbeiten Forschungsteams am Institut für angewandte Biopolymerforschung der Hochschule Hof daran, Kunststoffe auf biologischer Basis zu entwickeln – und diese auch einzusetzen. Gelungen ist dies bereits auf Sport- und Spielplätzen mit Kunststoffbelägen. Diese Beläge bieten grundsätzlich eine Menge Vorteile: Sie vermeiden Verletzungen, sind robust, schimmeln nicht. Das Problem: „Durch Abrieb aus Bodenbelägen, Kunstrasen und Spielplatzgeräten könnten kleinste Kunststoffteilchen in die Umwelt und somit in die Trinkwasserversorgung gelangen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Instituts. Nun gelang es den Forschern, abriebfeste Beläge aus rein natürlichen Biopolymeren zu entwickeln. Obwohl es sich um ein organisches Element handelt, könne dieses nicht schimmeln und sei witterungsbeständig. Eingesetzt wird er bereits auf zahlreichen Plätzen in Franken. „Dank künstlicher Intelligenz funktioniert der Belag darüber hinaus wie ein Wärmetauscher: Bei Hitze kühlt sich der Boden ab, im Winter lässt die eis- und schneefreie Oberfläche kein Training oder Spiel aufgrund eines unbespielbaren Platzes ausfallen“, informiert das Institut.
Die Beispiele zeigen, wie vielfältig der Green Deal ist: Nachhaltige Verbesserungen zum Wohle der Menschen sowie zum Schutz von Klima und Umwelt sind überall nötig. Was benötigt wird, sind erfinderische Ingenieur*innen, die vorwärts denken: in eine Zukunft, in der es mehr denn je darauf ankommt, das Wohl von Mensch, Welt und Unternehmen zusammenzudenken. Das Schöne an dieser Perspektive: Diese Arbeit erfüllt einen Sinn. Weil sie nicht mehr nur danach verlangt, jede Schraube so zu platzieren, dass die Maschine schneller läuft. Sondern weil es zum Job der Ingenieur*innen gehört, dem System der Nachhaltigkeitstechnologie immer wieder neue wirksame und ineinandergreifende Zahnräder hinzuzufügen.
Das grüne Paradoxon
Manche Beiträge zum Klimaschutz sind nicht nur sinnlos, sondern kontraproduktiv, sagt Hans-Werner Sinn, emeritierter Hochschullehrer an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ehemaliger Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Zum Beispiel habe die Beimischung von Biosprit fatale Folgen von globalem Ausmaß, so der Autor: Wenn wir Lebensmittel tanken, pfl egen wir unser grünes Gewissen zu Lasten der Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Die europäische Umweltpolitik unterliegt laut dem Professor der Illusion, dass sie durch einseitige Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen und damit der Nachfrage nach fossilen Rohstoffen die weltweite Produktion solcher Rohstoffe verringern kann. Doch was, wenn aus Angst vor einer Verschlechterung der Marktlage sogar noch mehr Rohstoffe gefördert werden? Der Autor zeigt in seinem Buch die gefährlichen Irrtümer der Umweltpolitik. Sein Plädoyer: Wenn wir unser Klima retten wollen, muss der blinde Aktionismus gestoppt und eine globale Strategie zur Verlangsamung des Ressourcenabbaus gefunden werden. Hans-Werner Sinn: Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik. Weltbuch Verlag 2020. 19,90 Euro
Every Day For Future
Die Buchreihe „Every Day For Future“ bietet den Leser*innen konkrete Tipps, um im Alltag das Klima zu schützen und weniger Ressourcen zu verbrauchen. Die Ausgabe „Digital & Technik“ zeigt, dass die scheinbar so saubere digitale Welt alles andere als klimaneutral ist. Bei den Ratschlägen für einen bewussteren Verbrauch blickt Autor Frerik Precht auf die Lebensdauer, Leistungsfähigkeit und Stromversorgung von digitalen Geräten. Nicht alle der 75 Tipps werden die Welt verbessern, aber für jeden sind einige nachhaltige Denkanstöße dabei. Frerik Precht: Every Day For Future – Digital & Technik. 75 Dinge, die du selbst tun kannst, um nachhaltiger online zu sein und Technik bewusst einzusetzen. Frech Verlag 2020. 8 Euro
Zeitsprung in eine bessere Welt
Menschen haben die Erde in den Klimakollaps gestürzt, und Menschen werden sie auch wieder aus dem Dreck ziehen. Eric Holthaus ist Meteorologe und Wissenschaftsjournalist. Er berichtet seit Jahren über Überschwemmungen, Hurrikans und Dürren. Auch er weiß: Weltweit ist das Wetter aus den Fugen geraten, die Extreme nehmen zu. Eine Klima-Apokalypse scheint unausweichlich. Doch Resignation, Ignoranz oder Zynismus sind für Holthaus keine Option. Stattdessen nimmt er uns mit in das Jahr 2050 und skizziert, wie es uns in drei Jahrzehnten gelungen sein könnte, den totalen Kollaps unserer Ökosysteme abzuwenden. Denn der erste Schritt zum Wandel, ist die Vorstellung, dass er möglich ist. Eric Holthaus: Die Erde der Zukunft. Wie wir die Klimakrise verhindern – und wie unsere Welt danach aussieht. HarperCollins 2021. 18 Euro
Jeder kennt Dirk Roßmann als Unternehmer und Gründer der Drogeriekette Rossmann. Mit 74 Jahren hat er Ende 2020 noch einmal ein Debüt gegeben: „Der neunte Arm des Oktopus“ ist sein erster Roman: ein fiktiver Öko-Thriller zum sehr realen Thema des Klimawandels. Im Interview erzählt Dirk Roßmann, warum ihn das Thema selbst nachts nicht mehr losließ und er große Hoffnungen in die junge Ingenieurgeneration setzt. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Dirk Roßmann eröffnete 1972 in seiner Geburtsstadt Hannover einen „Markt für Drogeriewaren“, es war der erste Drogerie- Discountmarkt in Deutschland überhaupt. Bis heute ist die Dirk Rossmann GmbH ein inhabergeführtes, international agierendes Familienunternehmen und befindet sich mehrheitlich im Besitz der Familie Roßmann. Dirk Roßmann setzt sich intensiv für den Klimaschutz ein. Dass der Klimawandel eine Bedrohung für die Menschheit, unsere Kinder und Kindeskinder ist, beschäftigt ihn nicht nur als Unternehmer und Schriftsteller, sondern auch als Vater und Großvater. Als Mitbegründer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (www.dsw.org) engagiert er sich seit 1991 für eine zukunftsfähige Bevölkerungsentwicklung. Der Autor ist verheiratet mit Alice Schardt-Roßmann und hat zwei Söhne, die ebenfalls im Unternehmen tätig sind.
Herr Roßmann, soll Ihr Öko-Thriller, „Der neunte Arm des Oktopus“, eher unterhalten oder eher zur Weltrettung beitragen?
Im besten Fall beides! Ich will Gehör finden für das Problem des Klimawandels und die gewaltige Aufgabe, die uns bevorsteht, um das Problem zu bewältigen. Sachbücher gibt es schon viele zu diesem Thema, aber ein Thriller bietet andere Möglichkeiten. Ich gehe den Weg der Fantasie, möchte den Leser fesseln. Beim Lesen eines Romans tauche ich bewusst in eine fremde Wirklichkeit ein. Die Schicksale der Menschen, die unmittelbar vom Klimawandel betroffen sind, bekommen ein Gesicht, sie werden dadurch viel stärker zur Realität als durch eine Nachrichtenmeldung.
Welche konkreten Erlebnisse haben Sie dazu gebracht, sich diesem Buchprojekt zu widmen?
Konkrete Erlebnisse gab es viele. Beispielsweise die verheerenden Brände in Australien, denen alleine zwischen Ende 2019 und Anfang 2020 über eine Milliarde Tiere zum Opfer gefallen sind. Aber auch die sichtbare Veränderung unseres europäischen Klimas – das können Sie direkt vor der eigenen Haustür sehen: Die Temperaturen steigen, die Sommer werden immer heißer, unsere Eichen schreien förmlich nach Wasser. Erst war es so, dass sich verschiedene Erlebnisse und Wahrnehmungen regelrecht in mir aufgestaut haben, was letztlich zu einer seltsamen Begebenheit geführt hat: Im Dezember 2019 habe ich 14 Tage lang, immer zur selben Zeit, frühmorgens gegen vier Uhr, in einem Zustand zwischen Wachen und Träumen einen Großteil der Handlung meines Romans geträumt. Und dann war er da – der Zwang, das auf Papier zu bringen.
Beim Schreiben des Buches haben Sie sich, wie man liest, eine hartnäckige Magenschleimhautentzündung zugezogen, die wohl auch etwas mit dem Stress zu tun hatte. Was hat Sie mehr gestresst: der für Sie ungewöhnliche Prozess des Schreibens oder die Dringlichkeit des Themas?
Das eine bedingte das andere. Ich habe den enormen Drang verspürt, das Geträumte aufzuschreiben. Das war mein Weg, mit der Bedrohung durch den Klimawandel umzugehen, die wie eine dunkle Wolke über uns schwebt. Ich habe mich mit den schrecklichen Folgen auseinandergesetzt, die der Klimawandel für die Menschen bedeutet, welches Leid und welche Not er mit sich bringt. Zugleich wollte ich, dass der Thriller richtig gut wird – denn eines war mir klar: Um zum Nachdenken anzuregen, musste das Buch zu einem Erfolg und von vielen Menschen gelesen werden.
Ihnen war die wissenschaftliche Präzision des Buches wichtig, gleich mehrere Experten haben Ihnen beim Recherchieren und Verfassen geholfen. Warum ist es wichtig, dass selbst eine fiktive Geschichte wie Ihre auf Fakten basiert?
Mein Roman handelt von einer realen Bedrohung! Auch wenn die Handlung fiktiv ist, so müssen wir uns doch der tatsächlichen Problematik und den Folgen des Klimawandels stellen. Da ist es enorm wichtig, dem Leser ein Szenario vor Augen zu führen, das so eintreten kann und möglicherweise auch eintreten wird, sollten wir nicht sehr bald das Ruder herumreißen. Dürren, Überschwemmungen, auftauende Permafrostböden: Alle diese Dinge sind ja leider heute schon Realität und werden mit steigender globaler Temperatur erschreckende Ausmaße annehmen.
Sie sind in erster Linie als erfolgreicher Unternehmer bekannt. Welche Rolle spielen Unternehmen, wenn es darum geht, die Weichenstellungen für eine bessere Zukunft vorzunehmen?
Als Unternehmen schauen wir natürlich, wie wir uns nachhaltiger aufstellen können. Und: Wir haben die Möglichkeit, Menschen zu erreichen. Entscheidungsmacht besitzen wir aber nicht. Letztendlich liegt es bei den Staaten – insbesondere den großen –, Maßnahmen durchzusetzen, die weitreichend sind und den rasch fortschreitenden Klimawandel stoppen oder zumindest verlangsamen können.
Wir sollten unsere Hoffnung nicht allein auf eine rein technische Lösung setzen. Technik ist wichtig. Sie wird vieles möglich machen. Und auch möglich machen müssen, zum Beispiel in der Automobilindustrie oder dem Energie-Sektor. Am Ende ist es aber an uns allen, umzudenken und unsere Lebensweise zu verändern.
Es sieht so aus, als rette uns in dieser Pandemie eine medizintechnische Forschungsleistung, nämlich der Impfstoff. Was kann die Technik beitragen, um die Klimakrise zu lösen?
Wir sollten unsere Hoffnung nicht allein auf eine rein technische Lösung setzen. Technik ist wichtig. Sie wird vieles möglich machen. Und auch möglich machen müssen, zum Beispiel in der Automobilindustrie oder dem Energie-Sektor. Am Ende ist es aber an uns allen, umzudenken und unsere Lebensweise zu verändern. Dazu gehört zum Beispiel, unseren Fleischkonsum deutlich zu reduzieren, weniger zu reisen und erneuerbare Energien zu fördern. Wir sehen doch aktuell in der Pandemie, was möglich ist, wenn uns eine Situation zwingt umzudenken. Nur ist der Klimawandel für viele zu abstrakt, zu unwirklich, zu weit entfernt, als dass sie zum Handeln bereit sind.
In welcher Rolle sehen Sie junge Ingenieure und Ingenieurinnen, die jetzt mit ihrer Karriere beginnen: Welche Rolle werden sie in naher Zukunft spielen?
Eine sehr wichtige! Denn ihr Ideenreichtum wird Entwicklungen vorantreiben. Sie steigen mit einem anderen Bewusstsein in ihr Berufsleben ein: mit einem Bewusstsein für Nachhaltigkeit und für den Klimawandel. Dieser Blick wird es ihnen ermöglichen, Wege zu finden, die wir jetzt vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm haben. Ich setze große Hoffnungen in sie und in ihre Innovationen.
An welchen technischen Stellschrauben könnten Sie in Ihrem Unternehmen drehen, um Rossmann noch nachhaltiger wirtschaften zu lassen?
Das Spannende an der Nachhaltigkeit ist doch, dass wir stetig dabei sind, uns zu verbessern. Denken Sie nur zehn Jahre zurück, wer kannte da das Thema Mikroplastik? Lange hieß es, Mikroplastik könne nicht ersetzt werden. Heute haben wir allein 1000 mikroplastikfreie Produkte im Sortiment. Das Beispiel zeigt: Es gibt noch viele Stellschrauben, sowohl auf Produkt- als auch auf Verpackungsebene. Aktuell beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema Klimaneutralität. Unsere Naturkosmetik der Eigenmarke ist bereits klimaneutral, da ist sicherlich noch Einiges mehr möglich.
Wenn Sie jetzt nachts wachliegen, müssen Sie sich ja keine Thriller-Geschichte mehr erträumen. Wenn Sie sich stattdessen eine technische Erfindung erträumen dürften, welche wäre das?
Natürlich wäre eine technische Erfindung großartig, die die Erderwärmung stoppt oder in Teilen sogar umkehren könnte. Aber mit solchen Träumen sollte man immer mit Bedacht umgehen. Denn ein so großer, gravierender Eingriff in das Welt-Klima hätte sicherlich nicht nur positive Folgen. Ich denke daher, dass unser Leben und unser Planet für die eine, große Erfindung einfach zu komplex sind.
Zum Buch
Was es mit dem Buchtitel auf sich hat? Das will Dirk Roßmann nicht verraten: „Das erfahren Sie, wenn Sie mein Buch lesen.“ Nur eines wolle er verraten: Der Oktopus habe ihn sehr fasziniert: „Er steht für das Wunder der Natur, das wir schützen müssen. Ein Oktopus ist perfekt, wie er ist, er braucht keinen weiteren Arm, er ist im Einklang mit sich, seiner Umwelt, den weiten Ozeanen, die alles verbinden und unseren Planeten zum blauen Planeten machen.“ Der Roman startet an dem Punkt, an dem die drei Supermächte China, Russland und die USA einen radikalen Weg einschlagen, um den Klimawandel noch in den Griff zu bekommen. Wobei die Maßnahmen der Allianz gravierend in das Leben der Menschen eingreifen – und nicht jeder diese neue Wirklichkeit kampflos akzeptieren will.
Dirk Roßmann: Der neunte Arm des Oktopus. Lübbe Verlag 2021. 20 Euro
Das Bundesforschungsministerium (BMBF) fördert 16 Projekte der Wasserstoff- Grundlagenforschung mit 56 Millionen Euro. Weitere Partner können sich bewerben. Von Sabine Olschner
Die Gewinner der ersten Runde des BMBF-Ideenwettbewerbs „Wasserstoffrepublik Deutschland“ stehen fest und erhalten staatliche Förderungen für ihre Grundlagenforschungen im Bereich Wasserstoff. Die Grundlagenprojekte beschäftigen sich mit der nächsten und der übernächsten Technologiegeneration. Sie sollen dazu beitragen, Antworten auf grundlegende Fragen der Wasserstoffwirtschaft zu finden und damit die wissenschaftliche Basis für neue Produkte und Anwendungen legen. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek möchte Deutschland weltweit zur größten Wissensquelle für den Grünen Wasserstoff machen – dem zentraler Baustein zur Energiesicherheit des Hochtechnologielandes Deutschland. Der Grundlagenforschung für Wasserstofftechnologien als Hochtechnologien kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. An den 16 ausgewählten Projekten des Wettbewerbs arbeiten insgesamt 71 Partner. 48 der Partner stammen aus der Wissenschaft, 23 aus der Wirtschaft. Mehr als 100 weitere Projektideen befinden sich in der Begutachtung für eine zweite Förderrunde. Die Bewerbung für eine dritte Runde ist weiterhin möglich.
Ein Projekt der Wasserstoff-Grundlagenforschung nennt sich AEMready: Hier sollen bessere Elektroden- und Katalysatoren- Materialien für die AEM-Elektrolyse entwickelt werden, die die Wasserstoffgestehungskosten künftig deutlich senken. Ein weiteres Projekt ist CORAL-HD, das sich mit Brennstoffzellen-Elektroden mit langer Lebensdauer für Nutzfahrzeuge beschäftigt. Wasserstoffbrennstoffzellen sind eine vielversprechende Option für den nachhaltigen Güter- und Schwerlastverkehr: Um auch Lkw und Busse klimafreundlich anzutreiben, wandeln Brennstoffzellen Wasserstoff in elektrische Energie für den Antrieb um. Dabei müssen sie den vielfältigen Belastungen des Alltags gewachsen sein. Ein drittes Beispiel ist CarbonCycleMeOH, die eine Machbarkeitsstudie zur Methanol-Herstellung aus CO2-Abgasen und Grünem Wasserstoff erstellt.
Die stoffliche Verwertung von industriellen CO2-Emissionen mit der Hilfe von Grünem Wasserstoff kann einen wichtigen Beitrag dazu liefern, den CO2-Fußabdruck wichtiger Kernbranchen zu reduzieren. Die Machbarkeitsstudie richtet ihr Augenmerk auf die Chemiebranche.
Grüner und Grauer Wasserstoff
Die Herstellung von Wasserstoff erfolgt aktuell vorwiegend auf Basis von fossilen Energiequellen. Dies wird als Grauer Wasserstoff bezeichnet. Grüner Wasserstoff hingegen wird CO2-neutral mit Hilfe von erneuerbaren Energien hergestellt. Ein Green Tech Cluster in Österreich hat sich die Potenziale von Grünem Wasserstoff in erster Linie für Europa angeschaut.
Welche Chancen haben Hochschulabsolvent*innen in der Windenergiebranche? Felix Tobias, Inhaber von WindPersonal, eine auf die Windenergie spezialisierte Personalberatung, gibt Tipps für den Einstieg. Aufgezeichnet von Sabine Olschner
Die derzeitige Situation ist etwas ungewöhnlich: Aufgrund eines Systemwechsels innerhalb des Erneuerbaren-Energien- Gesetzes (EEG) im Jahr 2017 ging der Zubau an neuen Windkraftanlagen in Deutschland zurück, da sich bedingt durch den Systemwechsel hin zu Ausschreibungsverfahren die Vergütung für Strom aus Windenergie stark gesenkt hat. Obwohl sich dies insgesamt negativ auf die Branche ausgewirkt hat, merken wir keinen Rückgang bei der Nachfrage nach neuen Mitarbeiter*innen. Der Bedarf in der Branche steigt aus unserer Sicht weiterhin. Auch die Corona-Pandemie hat daran nichts geändert. Aufgrund der neuen politischen Ausrichtung in Sachen Windkraft haben sich natürlich die Schwerpunkte verschoben. Bis 2017 rekrutierten verstärkt Projektierungsbüros Mitarbeiter*innen, die sich zum Beispiel mit der Flächensuche, der Genehmigung und dem Bau von neuen Windkraftanlagen beschäftigten. Heute steht eher die Betreuung bestehender Anlagen, also die kaufmännische und technische Betriebsführung, die Wartung und die Entstörung sowie das sogenannte Repowering, also der Austausch von alten Anlagen gegen modernere, im Vordergrund. Auch Gutachtertätigkeiten nehmen zu.
Der höchste Bedarf an neuem Personal besteht im Norden und im Nordosten Deutschlands, wo die meisten Anlagen stehen und neu gebaut werden. Wer hingegen im Bereich der kaufmännischen und technischen Verwaltung der Anlagen arbeiten will, wird bundesweit fündig. Die Qualifikationen, die Unternehmen suchen, unterscheiden sich je nach Aufgabe: Für die Entwicklung von elektronischen und mechanischen Komponenten und deren Optimierung sind Ingenieur*innen gefragt, die gern tüfteln und nach innovativen und effizi enteren Lösungen suchen. Projektentwickler* innen benötigen technisches und kaufmännisches Know-how sowie Projektmanagementfähigkeiten. Und wer im Vertrieb von ganzen Anlagen oder deren Komponenten arbeiten will, sollte technisches Wissen sowie Vertriebskompetenz mitbringen.
Die Karrierechancen stehen gut, sofern man sich auf die Besonderheiten der Branche einlässt und etwas bewegen will.
Ob Ingenieur*innen einen Bachelor oder einen Masterabschluss mitbringen, ist erst einmal zweitrangig. Viel wichtiger ist Praxiserfahrung in der Windenergiebranche oder die Spezialisierung auf diesen Bereich. Mitarbeiter*innen mit viel Erfahrung sind in der noch relativ jungen Branche nicht besonders zahlreich zu finden – erst Anfang/Mitte der 1990er-Jahre wurden die ersten Windkraftunternehmen gegründet. Daher greifen die Arbeitgeber oft auch auf Quereinsteiger*innen zurück. Als Personalberatung suchen wir eher Leute mit Erfahrung, um Stellen zu besetzen, die ein bestimmtes Know-how erfordern.
Fachlich ist ein Quereinstieg aus anderen Branchen meist kein großes Problem. Allerdings tickt die Windenergiebranche anders als viele andere technische Industriezweige. Die ersten Unternehmen sind in den 90er-Jahren mit viel Idealismus und Pioniergeist gestartet. Dieser besondere Flair ist auch heute noch in vielen Unternehmen spürbar: Es gibt oft keine starren Strukturen, und man muss Lust haben, sich mit seinen Ideen einzubringen. Die politischen Rahmenbedingungen ändern sich im Bereich der Erneuerbaren Energien schnell, sodass sich die Unternehmen und ihre Mitarbeiter*innen immer wieder auf Neues einstellen und flexibel reagieren müssen. Das bedeutet aber auch, dass Einsteiger*innen schnell aufsteigen können, wenn sie sich engagieren. Die Karrierechancen stehen gut, sofern man sich auf die Besonderheiten der Branche einlässt und etwas bewegen will.
Insgesamt sehe ich in der Windenergiebranche ein hohes Zukunftspotenzial. Schon allein die steigenden Zulassungszahlen von Elektrofahrzeugen wird den Bedarf an Strom erhöhen. Auf lange Sicht werden wir also um die Windkraft als Stromerzeugung nicht herumkommen. Wer überzeugt ist, bei den erneuerbaren Energien gut aufgehoben zu sein, wird seinen Weg finden.
Windenergie schafft Arbeitsplätze
2016 waren 160.200 Menschen in der Windbranche beschäftigt: 27.200 im Offshore-, 133.000 im Onshore- Bereich. 2017 wurden zahlreiche Arbeitsplätze in der Branche abgebaut, zum Jahresende gab es nur noch 135.100 Beschäftigte. Derzeit liegen keine aktuelleren Zahlen vor. Die Branchenverbände BWE und VDMA gehen von gut 100.000 Beschäftigten im Jahr 2020 aus. Quelle: Bundesverband WindEnergie
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Laut des Reports „KI-Zukunftskompass“ von Bosch befürworten mehr als zwei Drittel der Deutschen KI-basierte Lösungen bei der Fehlerdiagnose von Maschinen, bei der industriellen Produktion von Waren und Maschinen sowie in der Raumfahrt und anderen High-Tech-Bereichen. Hier sei das Vertrauen in die Möglichkeiten der KI vonseiten der Bevölkerung bereits groß. In Einsatzgebieten, die eher mit Menschenkontakten zu tun haben, etwa in der Krankenpflege oder bei der finanziellen Anlageberatung, seien die Zustimmungsraten für den KI-Einsatz laut Studie mit 40 Prozent bzw. 31 Prozent deutlich geringer.
UniRanking:
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Wo studieren die meisten Frauen? Die WBS GRUPPE hat untersucht, wie hoch der Frauenanteil an Deutschlands Hochschulen ist – die Studie vergleicht den Anteil an 44 der größten deutschen Hochschulen und Universitäten. Es zeigt sich: In Sachen Geschlechtergerechtigkeit ist weiterhin Luft nach oben. So ist zwar die Hälfte aller immatrikulierten Studierenden weiblich, doch der Anteil an Professorinnen beträgt im Durchschnitt nur etwas über 25 Prozent, und nur rund 18 Prozent der Dekanate stehen unter weiblicher Leitung. Besonders gering ist der Anteil weiblicher Professorinnen am Karlsruher Institut für Technologie (nur knapp 14 Prozent) und der RWTH Aachen. An den Technischen Hochschulen ist auch der Anteil weiblicher Studierender besonders niedrig, zeigt eine weitere Studie, durchgeführt von der digitalen Bildungsplattform charly.education: Von den acht Universitäten mit den wenigsten weiblichen Studierenden sind sechs Technische Hochschulen.
Corporate Foresight, Technology Foresight und Technology Intelligence
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Im Masterstudiengang Innovations- und Technologiemanagement (ITM) am Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen und Technologiemanagement der Wilhelm Büchner Hochschule werden seit diesem Jahr drei neue Vertiefungen angeboten: Corporate Foresight, Technology Foresight und Technology Intelligence. Sie stehen ganz im Zeichen des Zukunftsmanagements und ergänzen das bestehende Portfolio der vier bewährten Vertiefungen Innovationsmanagement, Technologiemanagement, Qualitätsmanagement und Entrepreneurship. Während die Vertiefung Corporate Foresight, also Geschäftsmodell-Management, auf Generalisten, Entscheider sowie Entrepreneure und Intrapreneure abzielt, wendet sich das Vertiefungsmodul an Technologie-Expert*innen. Die Vertiefung Patentmanagement ist darauf ausgerichtet, die Potenziale moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zur Beschaffung, Analyse und Nutzung von Information über Technologien und die zugrunde liegenden technisch-gewerblichen Schutzrechte in Form von Patenten einzusetzen.
Eine Studie von Capgemini Invent zeigt, wie gezielte Investitionen die Bekämpfung des Klimawandels beschleunigen, 12,7 Millionen Arbeitsplätze in Europa schaffen und eine Bruttowertschöpfung von fast 800 Milliarden Euro generieren können. von Sabine Olschner
Capgemini Invent, die weltweite Beratungseinheit der Capgemini-Gruppe für digitale Innovation und Transformation, hat 55 Technologieprojekte identifiziert, die Europa dabei unterstützen können, bis 2050 klimaneutral zu werden. Im Rahmen der Untersuchung wurden 55 saubere Technologie-Initiativen identifiziert, mit denen der CO2-Ausstoß in Europa signifikant reduziert und gleichzeitig der wirtschaftliche Aufschwung initiiert werden kann.
Die Analyse„Fit for Net-Zero: 55 Tech Quests to Accelerate Europe‘s Recovery and Pave the Way to Climate Neutrality“ zeigt Wege auf, die europäische Wirtschaft umzuge-stalten und Europa zu unterstützen, bis 2050 der erste Netto-Null- Kontinent der Welt zu werden. Sie untersuchte und analysierte bestehende und zukünftige Technologien in fünf miteinander verbundenen Wirtschaftsbereichen: Energie, Gebäude und Bauwesen, Industrie, Transport sowie Nahrungsmittel und Landwirtschaft. Die identifizierten Technologien und Investitionsbereiche haben das Potenzial, einen Markt für Netto-Null-Güter und -Dienstleistungen von bis zu 790 Milliarden Euro pro Jahr zu schaffen, die Emissionen um 871 Megatonnen CO2 zu reduzieren und bis 2030 fast 13 Millionen Arbeitsplätze sowohl durch neue als auch durch die Transformation bestehender Arbeitsplätze zu schaffen. Die Projekte könnten auch dazu beitragen, die Luftqualität und Lebensmittelsicherheit zu verbessern und die Energieunabhängigkeit Europas zu erhöhen.
Netto-Null
Netto-Null-2050 ist eine Klima-Initiative des Helmholtz-Zentrums Geesthacht Zentrum für Material- und Küstenforschung. Ihr Ziel: ein CO2-neutrales Deutschland bis zum Jahr 2050.
Viele vielversprechende Klimatechnologien seien in der Pipeline, so die Studie, müssten aber jetzt skaliert werden – und zwar schnell. Dazu brauche es eine handlungsstärkere EU-Politik, die den Innovationszyklus und die Einführung sauberer Technologien beschleunigen kann. Sie müsse Unternehmen im Spätstadium der Entwicklung unterstützen, um die Umsetzung und Marktakzeptanz von kohlenstoffarmen und -freien Technologien drastisch zu steigern. Analysen sollten aufzeigen, wo öffentliche Investitionen und private Partnerschaften jungen Technologien helfen können, sich in neuen Märkten zu etablieren und sie zu erschließen. Die Wettbewerbsfähigkeit kohlenstoffarmer Technologien auf dem Markt müsse erhöht und Investitionen in bahnbrechende Technologien gefördert werden.
Für die Studie hat Capgemini Invent über 200 Technologieprojekte in allen 27 EU-Mitgliedstaaten analysiert. Hinzu kamen strukturierte Interviews mit 90 Innovationsführer*innen aus Unternehmen, Berufs- und Technologieverbänden sowie mit Vertreter*innen aus der EU und den Mitgliedstaaten.
Deutschland verbraucht zu viele Rohstoffe. Wie sich das ändern kann, erklärt Hannah Pilgrim, Leiterin des Koordinierungsbüros des AK Rohstoffe bei PowerShift e.V. Das Interview führte Sabine Olschner
Warum ist Rohstoffeinsparung oder – wiederverwertung eigentlich so wichtig?
Deutschland ist Exportweltmeister. Aber: Um viel exportieren zu können, importieren deutsche Unternehmen für die Produktion auch enorm viele Rohstoffe. Wir gehören weltweit zu den größten Verbrauchern von metallischen Rohstoffen. Diese importieren wir hauptsächlich aus Lateinamerika, dem südlichen Afrika oder Asien. Wir importieren aber nicht nur die Metalle, sondern wir verbrauchen auch das Land und das Wasser vor Ort und emittieren CO2. Bergbau zerstört enorm große Flächen, führt somit sehr häufig zu Landkonflikten, Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverletzungen, beispielsweise durch Kinderarbeit, die Nichteinhaltung von internationalem Arbeitsrechten, Repression oder die Kriminalisierung von Umweltschützer*innen. Gleichzeitig sind wir eine wahre Wegwerfgesellschaft, vor allem im Elektronikbereich. Dadurch gehen enorme Mengen an Rohstoffen verloren oder werden nicht weiter genutzt. Allein in elektronischen Geräten wie Handys oder Laptops sind bis zu 50 oder 60 unterschiedliche metallische Rohstoffe verarbeitet.
Was will der Arbeitskreis Rohstoffe erreichen?
Was es braucht, ist eine Rohstoffwende, die unseren Rohstoffverbrauch absolut reduziert, Menschenrechte entlang der Wertschöpfungskette durchsetzt und die Rechte der Betroffenen vor Ort schützt. Unser Hauptadressat ist ganz klar die Politik. Strukturen müssen sich verändern, und das ist vor allem durch den Gesetzgeber möglich. Wir haben im vergangenen Jahr ein Positionspapier veröffentlicht, das von mehr als 40 Organisationen getragen wird. Dieses senden wir an politische Entscheidungsträger und führen Gespräche mit ihnen. Wir erhoffen uns, dass unsere Forderungen in die Wahlprogramme und Koalitionsverhandlungen bei den nächsten Bundestagswahlen Einzug finden. Gleichzeitig machen wir viel Öffentlichkeitsarbeit: Studien, Podcasts, Broschüren oder Veranstaltungen, um das Thema weiter in die Gesellschaft zu tragen.
Wer kann sich bei Ihnen engagieren?
In erster Linie arbeiten die Referent*innen aus den unterschiedlichen Organisationen in unserem Netzwerk. Aber wir suchen immer wieder Unterstützung, zum Beispiel in Form von Praktika in den einzelnen Organisationen. Grundsätzlich freuen wir uns aber über alle, die das Thema metallische Rohstoffe in ihren Beruf mitnehmen und sich dort den drängenden Fragen der Rohstoffpolitik annehmen.
Können Sie bereits Erfolge verzeichnen?
Ja, aber meines Erachtens natürlich immer noch viel zu wenig. In welchem Ausmaß wir auf Kosten von Menschen, Tieren, ja ganzen Ökosystemen anderenorts leben, sollte noch stärker problematisiert werden. Dennoch: Grundsätzlich ist das Bewusstsein für die ökologischen Auswirkungen unserer Lebensweise auch in der Öffentlichkeit angekommen, etwa durch soziale Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder zunehmende Medienberichte aus den Abbaugebieten. Vielen ist klargeworden, dass wir so nicht weitermachen können. Die Stimmen, die eine Wende fordern, werden immer lauter. Was jedoch noch fehlt, sind konkrete politische Maßnahmen. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen sich die politischen Strukturen verändern. Auf europäischer Ebene sehen wir momentan recht positive Signale, zum Beispiel das geplante Lieferkettengesetz. Das besagt, dass Menschenrechte und Umweltstandards entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Rohstoffen eingehalten werden müssen und Unternehmen bei Verstößen haften. Der deutsche Entwurf für ein Lieferkettengesetz hat dagegen an vielen Stellen noch Schwachstellen. Außerdem haben Abgeordnete des EU-Parlaments kürzlich die EU-Kommission aufgefordert, verbindliche Ziele für 2030 festzulegen, um den Material- und Verbrauchsfußabdruck in Europa deutlich zu reduzieren. Das ist wirklich ein enormer Erfolg, denn wir brauchen vor allem Verbindlichkeiten und klare Ziele.
AK Rohstoffe
Der AK Rohstoffe wurde vor über zehn Jahren gegründet. Das zivilgesellschaftliche Netzwerk, dem zahlreiche Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sowie die großen kirchlichen Hilfswerke angehören, setzt sich für Menschenrechte, soziale Standards und Umweltschutz im Rohstoffabbau sowie eine Wende der Rohstoffpolitik ein. Der Fokus liegt auf der Reduzierung des Verbrauchs von metallischen Rohstoffen, zum Beispiel Kupfer, Lithium, Bauxit und Platin.
Wie ließe sich der Verbrauch von metallischen Rohstoffen reduzieren?
Schon im Design eines Produkts muss es das Ziel sein, Rohstoffe einzusparen. Beispielsweise sollten Elektrogeräte modular aufgebaut sein, so dass man Einzelteile herausnehmen und sie ersetzen kann. Derzeit sind die meisten Teile verklebt, sodass man Geräte wegwerfen muss, wenn ein Bestandteil kaputt ist. Hier müssten viel häufiger Reparaturen möglich sein. Und auch im Recycling muss sich Einiges tun: So müssen beispielsweise die Wiederverwertungsquoten erhöht werden. All diese Fragen sind auch für Ingenieur*innen interessant: Wo können wir Rohstoffe einsparen, indem wir zum Beispiel Technologien verändern? Wie können wir den Anteil von sekundären Rohstoffen erhöhen? Wie denken wir überhaupt über unsere Materialien nach, mit denen wir arbeiten? Ingenieur*innen können wichtige Treiber der Veränderung sein. Dazu gehört, die politische Dimension von Rohstoffnutzung mitzudenken. Das sollte auch Thema im Studium sein.
Welche Ingenieurbereiche könnten konkret etwas verändern?
Zum Beispiel der Automobilsektor. Die Automobilindustrie als größtes verarbeitendes Gewerbe in Deutschland verbraucht am meisten Primärrohstoffe. Zugleich beobachten wir, dass Autos immer größer und damit schwerer werden. Das heißt auch: Mehr metallische Rohstoffe werden verbaut. Hier gäbe es zum Beispiel enorme Einsparpotenziale, wenn Autos wieder kleiner und leichter würden. Ein weiteres Beispiel ist der Elektronikbereich: Durch die zunehmende Digitalisierung brauchen wir immer mehr elektronische Geräte, die viele unterschiedliche Metalle notwendig machen. Gleichzeitig werfen wir aber weiterhin viele Geräte schon nach kurzer Zeit weg, und die Rückgewinnungsquoten sind zu gering. Hier muss weiter an Recyclingtechnologien gearbeitet werden, an nachhaltiger Software, an der Modularität von Bauteilen etc. All das sind Fragen, die mir für Ingenieur* innen hochinteressant erscheinen.
Rohstoffe immer wieder verwenden – das ist die Idee der Kreislaufwirtschaft. Der Großraum Rhein-Ruhr von Bonn bis Münster soll zum Circular Valley werden. Von Sabine Olschner
„Grow the Economy – Protect the Environment“ lautet das Motto, das sich die Initiative Circular Valley auf die Fahnen schreibt. Ihr Ziel: Wirtschaftswachstum und Umweltschutz in Balance zu bringen – ganz im Sinne des European Green Deals, der umweltschädliche Emissionen verringern oder sogar vermeiden will (siehe auch Top-Thema ab Seite 8). Initiator des Circular Valley ist Dr. Carsten Gerhardt mit seinem 2006 gegründeten Verein Wuppertalbewegung e.V. im Bergischen Land. Er ist seit 2008 Partner und Mitglied der erweiterten Geschäftsführung der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Dort ist er für den Bereich Nachhaltigkeit verantwortlich. Zuvor arbeitete er als Unternehmensberater für die Boston Consulting Group.
Carsten Gerhardt hat bereits 50 Unternehmen und Institutionen sowie mehrere Ministerien für sein Vorhaben gewonnen. Unterstützt wird die Idee des Circular Valley von mehreren Ministerien sowie NRW-Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart als Schirmherrn. Die erste Stufe ist bereits angelaufen: 15 Start-ups sollen sich im Circular Valley – also im Großraum Rheinland und Ruhrgebiet – ansiedeln. Gemeinsam sollen sie Geschäftsideen und Technologien für die Kreislaufwirtschaft entwickeln und sich gegenseitig mit ihren Ideen befruchten. Die Bewerbungsfrist für die erste Runde an Start-ups endete am 30. April 2021, weitere Runden für noch mehr Start-ups sollen folgen.
Hilfreich sind den jungen Firmen die Kontakte zu vielen Wissenschaftseinrichtungen in der Region und zu Unternehmen, die an Kreislauflösungen interessiert sind. Zahlreiche führende Unternehmen aus der Recycling-Wirtschaft sind an Rhein und Ruhr ansässig. Hinzu kommt eine Vielzahl von Universitäten und Forschungseinrichtungen – so viel wie nirgendwo sonst auf der Welt auf so engem Raum. Das Ruhrgebiet ist zudem eine historisch bedeutende Industrieregion und mit Menschen aus 150 Nationen eine weltoffene Umgebung für die anzusiedelnden Start-ups.
Das Circular Valley will eine Antwort auf das Silicon Valley sein: ein Zentrum und Anziehungspunkt für junge Forscher und Unternehmer sowie für Firmen aus dem In- und Ausland, deren Schwerpunkt auf hochwertigen Wiederverwendungs- und Recyclinglösungen liegt.
Foto: efeuCampus Bruchsal
Ein autonom fahrender Fahrzeugroboter beliefert Anwohner auf der letzten Meile mit Paketen und nimmt auf dem Rückweg Retouren oder Abfälle mit. Ziel des Projektes ist, die Lieferung mit digitalen Technologien deutlich effizienter und klimaschonend zu gestalten. Den innovativen Lieferroboter hat die efeuCampus Bruchsal GmbH gemeinsam mit der SEW-Eurodrive sowie weiteren Projektpartnern, etwa der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft, entwickelt. Im Innovationszentrum efeuCampus werden innovative Verkehrskonzepte und -technologien im Rahmen von Smar t-City-Konzepten getestet und entwickelt. Die Forscher wollen ein Bewusstsein für die CO2-Problematik schaffen, die Lebensqualität in Städten verbessern und der Industrie sowie Kommunen konkrete Lösungsansätze bieten.
Kalt duschen fürs Klima
Foto: AdobeStock/ artbokeh
Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) messen sich in einem Klimaduell: Wem gelingt es, am Ende mehr CO2- Emissionen einzusparen und das eigene Verhalten nachhaltig zu verändern? Mit verschiedenen Aktionen machen die Studierenden und Mitarbeitenden vor, wie man klimafreundlicher durch den Alltag kommt und unkompliziert CO2-Emissionen einsparen kann. Die Challenges reichen von „eine Woche lang kalt duschen“ über „Geflügel statt Rind oder Schwein essen“ bis zu „lesen statt streamen“. Die Einsparungen durch die Challenges werden von der ZHAW auf Basis sogenannter Lebenszyklusanalysen für die verschiedenen Verhaltensbereiche ermittelt. Die Aktion läuft bis 19. Mai 2021, die Ergebnisse sind in den sozialen Medien unter dem Hashtag #klimaduell21 zu finden.
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Jahrbuch Nachhaltigkeit 2021
Das Jahrbuch Nachhaltigkeit 2021 gibt Impulse, um sich den wachsenden Herausforderungen der Gegenwart zu stellen: Die Erdüberlastungstag, also der Tag, an dem alle nutzbaren Ressourcen für das Jahr erschöpft sind, verlagert sich jedes Jahr nach vorn. Die Menschheit verbraucht zu viel Energie, Wasser und Rohstoffe. Beispiele aus der Praxis zeigen Pioniere im Gebiet des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements. Das Buch enthält Beiträge über neue Entwicklungen zu den Themen Kreislaufwirtschaft, Recycling, Lieferkettengesetz, Biodiversität und Wirtschaft. Relevante Netzwerke und Organisationen stellen sich vor, und es gibt eine Übersicht über wichtige Wettbewerbe und sinnvolle Zertifikate. Jahrbuch Nachhaltigkeit 2021. Nachhaltig wirtschaften: Einführung, Themen, Beispiele. Metropolitan. www.metropolitan.de/buch/jahrbuch-nachhaltigkeit-2021/
Größte Windkraftanlage der Welt
Foto: GE Renewable Energy
Der amerikanische Technikkonzern GE Renewable Energy hat mit der „Haliade-X 13 MW“ die bislang größte Windkraftanlage der Welt gebaut. Sie wird derzeit als Prototyp betrieben und soll 2021 in die Serienfertigung gehen. Die Windkraftanlage ist für Windparks im Meer konstruiert. Ihre Rotorblätter sind 107 Meter lang, das Maschinenhaus wiegt 675 Tonnen. Allein der Aufbau mit zwei Spezialkränen war ein Kraftakt. Die Turbine, die seit November 2019 in Rotterdam erfolgreich in Betrieb ist, arbeitet mit einer Leistung von 13 Megawatt. Sie produziert 288 Megawattstunden Strom an einem einzigen Tag – ein neuer Weltrekord. Ab dem Jahr 2023 sollen 190 Einheiten im größten Offshore-Windpark der Welt in Großbritannien installiert werden. Quelle: www.ge.com
Romane und Lieder über Cradle-to-cradle
Künstler aus verschiedenen Ländern – von den USA über Europa bis nach Argentinien – haben Action-Comedy-Jugendromane und Pop-Songs geschrieben, die sich mit dem Thema Cradle-to-Cradle beschäftigen. Cradle-to-Cradle bezeichnet eine durchgängige Kreislaufwirtschaft, bei der Produkte keinerlei Abfall hinterlassen und alle Bestandteile wiederverwertet werden können. Der Ansatz stammt von Prof. Dr. Michael Braungart. Die Romane und Pop-Songs sollen bei jungen Menschen das Interesse für Umweltprobleme wecken und generationenübergreifende Diskussionen zwischen Kindern, Eltern und Großeltern anregen. Beispiele sind der Roman „Michael & Mia“ für Leser zwischen 6 und 12 Jahren und Lieder auf Youtube.
Gigafactory in Brandenburg
Foto: AdobeStock/ navee
Das Unternehmen Tesla, das Elektroautos, aber auch Stromspeicher- und Photovoltaikanlagen produziert, baut seine erste europäische Gigafactory in Grünheide in Brandenburg. Im Juli 2021 sollen die ersten Fahrzeuge in Deutschland produziert werden, sofern die umweltrechtlichen Genehmigungen für die Fabrik rechtzeitig vorliegen. Tesla will auf dem Gelände auch die größte Batteriefabrik der Welt errichten. Bis zu 500.000 E-Autos könnten ab Sommer in Brandenburg vom Band laufen. Mehrere Tausend Beschäftigte sollen eingestellt werden.