Zeit der kreativen Technologen

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Denkende Menschen. Wie programmiert man eine superintelligente Maschine? Neben IT-Know-how kommt es darauf an, ihr zu vermitteln, was sie tun soll – und was auf keinen Fall. Dabei geht es auch um Werte und ethische Fragen, um Kreativität und Improvisation. Gesucht werden daher Menschen, die der Maschine wirklich nahekommen, sie formen und die Basis ihres Tuns legen. Alleine schon, um böse Überraschungen zu verhindern. Von André Boße

Die Maschinen werden immer klüger, die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz sind rasant. Ist das nun eine gute Gelegenheit für den Menschen, sich zurückzulehnen und künstliche Intelligenz mal machen zu lassen, wenn sie doch sowieso scheinbar alles besser kann? Schließlich ist sie um ein Vielfaches schneller, weniger anfällig für Fehler, ja beinahe: perfekt. Aber eben nur beinahe. Denn so smart eine Technologie auch immer sein mag, sie ist und bleibt nur eine Maschine – und damit von sich aus dumm. Sie braucht schon den Menschen. Sonst entsteht entweder nichts. Oder totales Chaos.

Büroklammer-Apokalypse

Es gibt unter den IT-Spezialisten im Silicon Valley eine Anekdote, die immer wieder erzählt wird. Der schwedische Philosoph und digitale Denker Nick Bostrom hat folgendes Szenario entworfen: Angenommen, man gibt einer künstlichen Intelligenz den Auftrag, die perfekte Büroklammer zu produzieren, so wird sie sich „brav“ an die Arbeit machen und immer bessere Büroklammern herstellen. Und sie wird nicht damit aufhören, weil sie ja nicht weiß, wann eine Büroklammer perfekt ist. Also nutzt sie jede Ressource der Erde für die Herstellung von immer perfekteren Büroklammern. Und wehe, jemand kommt auf die Idee, die Maschine abzustellen – dieser Mensch handelt dann entgegen des Auftrags. Und das wird der Maschine nicht gefallen. Am Ende des Szenarios gibt es dann auf der Erde keine Menschen mehr, sondern nur noch Büroklammern.

Wie viel ist KI Wert?

Die Wirtschaft setzt auf den Nutzen der künstlichen Intelligenz, doch wie viel sind diese Anwendungen heute schon wert? Das amerikanische Beratungsunternehmen Gartner hat nach einer Studie nun eine Summe beziffert: 1,2 Billionen Dollar. Schon im Jahr 2022 soll der Wert auf 3,2 Billionen Dollar steigen, so die Prognose. Das größte Wachstumsversprechen geben laut Gartner KI-Lösungen, die bei der Entscheidungsfindung helfen, also das Management tastsächlich strategisch unterstützen: Heute liegt der Anteil bei 36 Prozent, 2022 soll er auf 44 Prozent steigen, so die Studie. Quelle: www.gartner.com

Die Seele im digitalen Zeitalter

In Ausgabe 41 befasst sich das Journal für Philosophie „der blaue reiter“ unter anderem mit den Fragen: Ist die Seele eine Fiktion? Sind Maschinen das Andere unserer Existenz? Oder: Gibt es eine Kultur der Maschinen? der blaue reiter Ausgabe 41, Verlag für Philosophie, 16,90 Euro

Ein guter Gag. Aber in der Story liegt eine tiefe Wahrheit: Eine künstliche Intelligenz benötigt den Menschen, damit dieser ihr sagt, was zu tun ist. Und der Mensch wiederum darf nicht den Fehler machen, falsche Aufträge zu erteilen, denn eine Maschine weiß nun einmal von sich aus nicht, was eine perfekte Büroklammer ist. Und damit weiß sie eben auch nicht, wann die Büroklammer, die sie herstellt, perfekt genug ist.

Der Beststeller-Autor Frank Schätzing hat sich zu diesem Thema sehr viele Gedanken gemacht. Sein neuester Thriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“ erzählt von einer Maschine, deren Tun eine für große Teile der Menschheit katastrophale Eigendynamik entwickelt. Spricht man mit dem Kölner Schriftsteller über die Chancen und Herausforderungen von künstlicher Intelligenz, wird die Diskussion schnell philosophisch. Die Kernfrage lautet in seinen Augen: „Mit welchen Zielvorgaben statten wir Maschinen aus?“ Die Erschaffung einer perfekten Welt wäre eben keine gute Vorgabe. „Nicht einmal, weil die dazu nicht in der Lage wäre, sondern weil sie erkennen wird, dass die einzige Größe, die sich partout der Perfektionierung verweigert, wir sind: die Menschen.“

Aber kann man einer künstlichen Intelligenz das Verständnis für die Widersprüchlichkeit des menschlichen Lebens beibringen? Einen Algorithmus für diese Ambivalenz gibt es nicht. Also müsse es darum gehen, der künstlichen Intelligenz eine Basisprogrammierung vorzugeben. Schätzing: „Wir müssen jetzt die Weichen stellen, damit der künstliche Geist unser aller Freund wird. Noch geht das.“

Der Supercomputer gleicht einem Kleinkind

Nur: Wie geht das? Frank Schätzing verweist darauf, dass eine ganz ähnliche Arbeit von den Menschen seit jeher verrichtet wird. Man nennt sie Erziehung. „Als Eltern leben wir unseren Kindern Verhaltensmuster vor und geben ihnen damit Werte und Zielvorstellungen mit auf den Weg. In der Frühphase haben wir noch Einfluss, schicken das Kind zur Schule, füttern es mit Informationen und versuchen es zu einem empathisch empfindenden Wesen zu erziehen. Es folgt die Pubertät – das Kind wird zur Blackbox, die Synapsen spielen verrückt. Der junge Mensch beginnt durch eigene Erfahrung zu lernen, was gut und böse ist. Schließlich erwachsen, entzieht er sich unserer Kontrolle.“

Analog stellt sich die Frage, wie man der Maschine Werte beibringt. „Nicht durch Programmierung“, sagt der Bestseller- Autor. „Selbst der komplexeste Algorithmus ist nichts weiter als eine mathematische Handlungsanweisung: wenn dies – tue das. Ich muss der Maschine also klare Ziele geben – und zwar so, dass sie im Rahmen meiner Vorgaben von selbst rausfindet, was Werte und Gefühle sind und was sie für uns bedeuten. Sie muss auf unbewusste Weise verstehen, dass sie weder unethisch handeln noch sich in übersteigerter Befolgung ethischer Grundsätze gegen uns wenden darf.“

Folgt man diesem Gedanken, wird schnell klar, welche Rolle der Mensch in einer digitalen und von künstlichen Intelligenzen bestimmten Welt spielen wird. Er ist immer weniger Arbeiter im klassischen Sinn, denn in dieser Arbeit ist die Maschine einfach besser. Die neue Rolle des Menschen ist die des Konfigurators: Es geht darum, der künstlichen Intelligenz eine Basis ihrer Arbeit zu geben, damit sie versteht, worauf wir Menschen hinauswollen. Jemand, der das begriffen hat, ist der US-Amerikaner Ross Goodwin. Früher hätte man ihn als Poeten bezeichnet, denn am Ende seines kreativen Tages steht im besten Fall ein neues Gedicht.

Gesellschaft 5.0

Gemeinsam mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos hat das Beratungsunternehmen Capgemini die Auswirkungen der Digitalisierung auf die fünf Kernbereiche Arbeit, Mobilität, Migration und Integration, Gesundheit und Alter sowie die Anforderungen an das Ökosystem Gesellschaft 5.0 untersucht. Weitere Infos unter: https://www.capgemini.com/de-de/resources/studie-gesellschaft-5-0/

Embedded Brain Reading

Wie lassen sich unsere Gedanken für die Interaktion mit Robotern nutzen? Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler des Robotics Innovation Center am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und der Arbeitsgruppe Robotik der Universität Bremen. Gemeinsam entwickeln sie Schlüsseltechnologien, die echtzeitfähiges und adaptives embedded Brain Reading ermöglichen. Dadurch sind Roboter auf Basis der Gehirnaktivitäten des Menschen nicht nur intuitiv und effektiv steuerbar. Die Systeme können zugleich menschliche Gedanken interpretieren und daraus lernen. Weitere Infos unter:
https://robotik.dfki-bremen.de

Nur: Goodwin schreibt diese Werke nicht mehr selbst, wie er auf seinem Blog erklärt. Er sorgt dafür, dass eine künstliche Intelligenz sie erschafft. Soll er sich und seinen Job selbst beschreiben, sagt er daher erst einmal, dass er eines nicht ist, nämlich ein Dichter. Sondern: Künstler und kreativer Technologe. Angefangen, eine Maschine zum Schreiben zu nutzen, hat er in einer Phase, als er auf der Suche nach neuen Kunden war. Bei der Akquisition kam es darauf an, immer ähnliche Anschreiben zu formulieren, jeweils individuell auf den Adressaten zugespitzt. Nach und nach entwickelte er eine effiziente Methode für diese Arbeit – und so kam Goodwin auf die Idee, den Ansatz einer superintelligenten Schreibmaschine weiterzuentwickeln.

Er fütterte einen Computer mit Dialogszenen einer TV-Serie und ließ den Rechner daraufhin eigene Dialoge weiterführen; je bessere Vorlagen er der KI gab und je genauer er ihr auf den Weg gab, was sie daraus erschaffen soll, desto besser wurden die Ergebnisse. Irgendwann erhielt er einen Absatz, der „mir hochgradig poetisch erschien, zumindest im Vergleich zu anderen Computertexten, die ich zuvor gelesen hatte. Vor allem aber war der Text eines: ein Original“, schreibt Goodwin in seinem Blog, in dem er seine Methode vorstellt.

Später fütterte er dem Computer mit einem Lexikon, ließ die KI eigene Worte erfinden – mit fiktiven Definitionen, was diese bedeuten könnten. Auch verlangte er vom Computer neue Definitionen vorhandener Vokabeln – und war baff, als der Rechner „Liebe“ beschrieb als „das Ergebnis einer Reaktion eines Menschen auf ein Problem oder eine Schwierigkeit.“ Sein neuestes Projekt: KI-Filme, aufgenommen von Überwachungskameras, geschnitten und erzählt von einer Maschine.

Maschinen werden zu Sterneköchen

Bei einem Auftritt auf der Doclab Interacitve Conference, einem kreativen Forum für digitale Innovationen, erklärte Goodwin, wo der Unterschied zwischen der Digitalisierung, wie wir sie heute schon anwenden, und der KI der Zukunft liegt: Bislang arbeiten Computer Rezepte ab, wir sagen ihnen, welche Zutaten gebraucht werden und was sie damit tun müssen. Die Rechner befolgen unsere Anweisungen. Die künstliche Intelligenz der nahen Zukunft hingegen werde wie ein Sternekoch tätig sein: Sie wird improvisieren, immer neue Kombinationen finden – und am Ende ein Resultat servieren, dass wir uns in seiner Qualität gar nicht ausmalen konnten. Aber auch hier gilt: die Maschine wird nicht von selbst zum Chefkoch, sie benötigt „kreative Technologen“ wie Goodwin, die ihr die Fülle der kulinarischen Möglichkeiten beibringen – aber auch die Gefahren bestimmter Gifte oder von zu viel Zucker.

Übrigens, dieser Ross Goodwin ist kein Nerd, der auf dem Arbeitsmarkt schwer zu vermitteln wäre. Im Gegenteil. Bevor Goodwin damit begann, Maschinen das Gedichte schreiben oder das Filmemachen beizubringen, war er als Ghostwriter für US-Präsident Obama tätig.

Auch Menschen lernen „deep“

Fest steht: Der Mensch, der sich damit beschäftigt, die künstliche Intelligenz so zu trimmen, dass sie uns gute Dienste erweist, muss in der Lage sein, zu verstehen, wie Maschinen lernen. Das ist natürlich ein technischer Prozess. Jedoch gibt es heute viele Stimmen, die dazu raten, sich auch einer KI zu nähern, als handele es sich um ein organisch denkendes Wesen.

KI-Durchbruch schafft neue Schadensszenarien

Auch in der Versicherungsbranche ergeben sich durch die künstliche Intelligenz neue Tätigkeitsfelder. Unternehmen sehen sich mit neuartigen Haftungsfragen konfrontiert, da sich die Verantwortung für Handlungen vom Menschen auf die Maschine verlagert, heißt es in einer Studie der Allianz Global Corparate & Speciality (AGCS). „Egal ob für Wirtschaft, Politik, Mobilität, Gesundheit, Verteidigung oder Umwelt: KI bringt vielfältige Vorteile, aber auch potenzielle Risiken mit sich. Wir brauchen dringend vorbeugende Maßnahmen zur Risikominderung, um den Nettonutzen bei der breiten Einführung von KI-Anwendungen zu maximieren und unbeabsichtigte Nebenwirkungen zu reduzieren“, erklärt Michael Bruch, Head of Emerging Trends bei der AGCS. Quelle: www.agcs.allianz.com

KI Sophia

Die künstliche Intelligenz Sophia soll das Lieben lernen: „But I’m more than just technology. I’m a real, live electronic girl.“
http://sophiabot.com

Gestützt werden diese Gedanken von einer Studie des digitalen Analyseunternehmens Lightspeed Research im Auftrag des Technikkonzerns Huawei: 10.000 Europäer wurden gefragt, was sie glauben, wie viele Entscheidungen sie pro Tag fällen. Die durchschnittliche Antwort: 92. Die 1000 deutschen Teilnehmer waren noch bescheidener, sie glauben an 82 Entscheidungen pro Tag. „Doch diese unbewusste Wahrnehmung trügt, denn das menschliche Gehirn trifft nach aktuellen Erkenntnissen täglich etwa 35.000 Entscheidungen“, heißt es. Die Studie verdeutliche damit, dass die befragten Deutschen 99,76 Prozent ihrer täglichen Entscheidungen nicht bewusst treffen – die allermeisten Vorgänge laufen in der Tiefe ab, dem „Deep Learning“ der künstlichen Intelligenz nicht unähnlich.

„Die Studie zeigt, dass menschliche Intelligenz genauso funktioniert wie künstliche Intelligenz, nämlich meist im Hintergrund, um unser Leben dadurch zu vereinfachen“, sagt Walter Ji, Präsident der Huawei Western Europe Consumer Business Group. „Unsere Ergebnisse belegen nicht nur einen signifikanten Unterschied zwischen der Menge der Entscheidungen, die wir unserer Meinung nach täglich treffen, und der tatsächlichen Anzahl. Sie verdeutlichen auch eine Diskrepanz bezüglich unserer Wahrnehmung, wie wir unsere Zeit verbringen und der Art und Weise, wie wir es tatsächlich tun.“

Für diese Annahme findet die Studie folgenden Beleg: „Laut Befragung glaubt der Durchschnittseuropäer, dass er pro Tag 22 Mal auf sein Smartphone schaut – der Durchschnittsdeutsche geht hier sogar nur von neun Mal aus. Tatsächlich checken Konsumenten ihr Gerät täglich jedoch um die 76 Mal, bei technisch affinen Menschen sollte diese Zahl durchaus höher liegen“, schreiben die Autoren der Studie.

Emotionale Intelligenz ist gefragt

Im Alltag und im Beruf haben wir Menschen also längst gelernt, unsere eigene Denkleistung immer wieder mit einer digitalen Hilfe zu koppeln. Der nächste Schritt wäre nun, dies nicht nur mehr als User zu tun, sondern – im Austausch mit einer künstlichen Intelligenz – als Mensch, der einer Maschine sagt, wofür sie ihre Superintelligenz einsetzen soll und welche Zielvorgaben sie dabei nicht außer Acht lassen darf. Diese Ziele zu formulieren und sie der künstlichen Intelligenz so zu vermitteln, dass sie weder Unmengen an Büroklammern produziert noch wohlschmeckende aber giftige Pilze serviert, zählt zu den Kernaufgaben der digitalen Arbeitswelt. Sie hat sehr viel mit emotionaler Intelligenz und auch mit dem gesunden Menschenverstand zu tun – und zeigt, dass die Entwicklung der künstlichen Intelligenz den Menschen zu neuen Höchstleistungen antreiben wird.

„Die Tyrannei des Schmetterlings“

Cover-TyranneiIn seinem neuen Roman entwickelt Schätzing ein bedrohliches Szenario um einen Supercomputer, dessen künstliche Intelligenz aus dem Ruder läuft und die Menschheit bedroht. Mit gut 700 Seiten ist der Thriller weniger dick als die Vorgängerbücher wie zum Beispiel „Der Schwarm“, dennoch findet der Leser alle Bestandteile, die Schätzing-Fans lieben: einen komplexen Plot an vielen Orten, der sich in einem actionreichen Finale verdichtet. Wie auch seine Thriller zuvor, setzte sich das neue Buch direkt nach der Veröffentlichung auf dem ersten Platz der Spiegel-Bestsellerliste fest. Frank Schätzing: Die Tyrannei des Schmetterlings. Kiepenheuer & Witsch 2018, 26 Euro.

Digitalen Humanisten: Bettina Volkens und Kai Anderson

Bettina Volkens ist Personalvorstand bei der Lufthansa, Kai Anderson ein gefragter Experte für Change-Management. Zusammen haben die beiden ein Buch geschrieben, das Wege in eine humane Digitalisierung aufzeigt. Im Interview erklären sie, warum emotionale Intelligenz wichtiger denn je sein wird und die junge Generation ihren digitalen Lifestyle in der Arbeitswelt unbedingt beibehalten sollte. Die Fragen stellte André Boße.

Zu den Autoren

Dr. Bettina Volkens ist seit dem 1. Juli 2013 Arbeitsdirektorin der Deutschen Lufthansa und als Vorstandsmitglied verantwortlich für das Ressort Personal und Recht. Sie ist promovierte Juristin und war zuvor Top-Personalerin bei der Deutschen Bahn. Kai Anderson ist Gründer der Unternehmensberatung Promerit, die Unternehmen bei der digitalen Transformation begleitet. Sein Spezialgebiet ist die Entwicklung und Begleitung von Veränderungsprozessen in Unternehmen – insbesondere in der Digitalisierung.

Frau Volkens, Herr Anderson, wohin geht der Weg, wird unser Leben immer digitaler – oder die digitale Welt immer menschlicher?
Volkens: Digitalisierung beeinflusst sämtliche Lebensbereiche. Im privaten sowie im unternehmerischen Umfeld. Insbesondere die jetzt nachrückenden Generationen sind viel natürlicher mit dieser Entwicklung aufgewachsen und wurden von ihr geprägt. Wenn wir uns weiter darauf einlassen und es gelingt, diese Entwicklung selbst mitzugestalten, dann kommen wir auf den Weg einer menschlichen, einer durch uns gesteuerten und beeinflussten Digitalisierung.
Anderson: Die digitale Prägung können wir nicht aufhalten – man kann von seinem Umfeld nicht nicht geprägt werden. Die Frage ist tatsächlich, ob und wie wir diese Prägung beeinflussen können. Das fängt sehr früh in der Schule an und hört im Berufsleben noch lange nicht auf. Bildung ist der Schlüssel, nur mir ihr schaffen wir das, was wir eine humane Digitalisierung nennen.

Warum führt eigentlich die Digitalisierung in den Unternehmen bis heute zu einer so großen Unsicherheit? Was macht diese Veränderung so besonders, warum begegnet man ihr mit so viel Sorge?
Anderson: Beim Begriff Digitalisierung startet sehr schnell das Kopfkino: Digitalisierung ist Automatisierung ist Rationalisierung ist Arbeitsplatzabbau. Dass diese Gleichung aufgemacht wird, erleben wir in vielen Unternehmen, egal in welcher Branche. Diese Reaktion ist menschlich – ganz persönlich beim Einzelnen, aber auch im Kollektiv. Dort ist sie Ausdruck einer Unternehmenskultur, die nicht offen genug ist gegenüber Veränderungen. Das ist auch ein Ausdruck von Unwissenheit: Viele Mitarbeiter in Unternehmen verstehen zu wenig von dem Thema, das auch weiterhin erstmal in der IT-Ecke verortet wird.

Bildung ist der Schlüssel, nur mit ihr schaffen wir das, was wir eine humane Digitalisierung nennen.

Frau Volkens, Sie sind Personalvorstand bei der Lufthansa, wie blickt Ihr Konzern auf das Thema?
Volkens: Wenn wir Digitalisierung bei uns im Unternehmen anschauen, sehen wir nicht nur die Prozess- und Effizienzseite. Wir betrachten, welchen Einfluss Digitalisierung auf Arbeit generell hat, beispielsweise auf den Arbeitsplatz, auf Arbeitsmethoden, auf Führung, auf Kommunikation, auf Haltung und Kultur. Jahrelang war es aber tatsächlich die oberste Aufgabe der Unternehmen, immer besser und effizienter zu werden. Nun gilt es, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die Beziehung zum Kunden neu zu definieren.

Welche Art von Denkern werden für diese Schritte benötigt?
Volkens: Am Ende ist digitales Denken eine Haltung und Sichtweise, die wir in allen Bereichen benötigen. Im Vordergrund stehen für mich analytische und soziale Kompetenzen, etwa die Fähigkeit, in virtuellen internationalen Teams zu arbeiten sowie ein Umgang mit Komplexität und Agilität. Auch neue kreative Arbeitsmethoden werden zunehmend wichtiger, zum Beispiel aus dem Umfeld Design-Thinking, dazu echte Kollaboration über Bereichsgrenzen hinweg sowie die Gestaltung persönlicher Beziehungen. Ich bin fest überzeugt, dass wir hier die Balance brauchen: Je datenbasierter und automatisierter das Arbeiten wird, desto mehr werden wir Räume für persönliche Begegnungen benötigen.
Anderson: Das Mantra der Digitalisierung ist die absolute Kundenorientierung. Dafür müssen wir raus aus den Kästen, die uns die Organisation oder wir uns selbst in unserem Selbstverständnis auferlegen.

Welche Rolle spielen dabei die Digital Natives in den Unternehmen, welches wertvolle Denken bringt diese junge Generation in die Unternehmen?
Volkens: Im Idealfall die gerade beschriebenen Kompetenzen. Dazu sicher auch die Unbefangenheit, mit Neuem umzugehen. Diese Generation ist natürlicher mit Technologie in Kontakt gekommen und aufgewachsen, als zum Beispiel noch meine Generation. Dadurch hat sie erfahren, wie schnell sich Technologie verändert, welche neuen Möglichkeiten bei der Einführung einer neuen Rechnergeneration, eines neuen Handymodells, neuer Prozessortechnologien oder bei der Entwicklung der sozialen Medien entstehen. Diese Veränderungen als Chance erfahren zu haben, führt zu einer Haltung, die positiv auf Neues reagiert und Innovation ermöglicht. Wenn diese Generation diese Haltung in die Unternehmen trägt, kommen wir voran.
Anderson: Neben dieser größeren Technologie- Affinität ist der wichtigste Beitrag der Digital Natives das Hinterfragen und Feedback geben. Generation Y und folgende sind es gewohnt, in sozialen Medien zu liken oder disliken. Das müssen sie in den Job-Kontext übertragen: Bloß nicht den Mund halten und sich vom System vereinnahmen lassen. Hier liegt der Schlüssel für eine Revolution von unten! Viele halten die digitale Transformation noch immer für eine notwendige technische Aufrüstung.

Das ist die eine Seite, die andere ist die Herausbildung einer digitalen Unternehmems- und Führungskultur. Können Sie beschreiben, wie sich diese von anderen Kulturen unterscheidet?
Volkens: Wenn wir Führungskultur weiterentwickeln, können wir nicht nur die Digitalisierung bemühen, das wäre zu kurz gesprungen. Uns beschäftigen eine Reihe weiterer großer Trends wie Globalisierung, der Wandel in Demografie, die Flexibilisierung der Arbeitswelten, individuellere Zeitgestaltung, eine stärkere Eigenständigkeit und Werteorientierung von Menschen oder auch die massive Komplexitätszunahme in dynamischen Handlungssituationen.

Wie sieht eine Führungskultur aus, die darauf reagieren kann?
Anderson: Die Kultur für das Zeitalter der Digitalisierung lässt sich am besten mit dem Schlagwort agil beschreiben. Wenn Kultur und Führung nicht aufs Bewahren ausgerichtet sind, sondern auf Veränderungsfähigkeit, dann können die großen Herausforderungen wie Digitalisierung und Globalisierung bewältigt werden.
Volkens: Für mich gehört es dazu, eine adäquate Risikobereitschaft zu zeigen, Nachhaltigkeit zu fördern, Freude an Veränderung zu vermitteln und die Gestaltungsfähigkeit bei stetigem Wandel zu erhalten. Führungskräfte sollten Empathie, Neugier, Inspiration und individuelle Wertschätzung vorleben und Internationalität und Toleranz als zentrale Werte installieren. Gerade mit Blick auf den notwendigen Umgang mit Komplexität müssen wir alle lernen, professionell mit Ambiguitäten und Dilemmata umzugehen. Will heißen: Auch Fehler zuzulassen und aus diesen zu lernen.

Gibt es einen Königsweg diese agile Kultur in den Unternehmen zu definieren und zu etablieren?
Anderson: Es gibt erstmal keinen Königsweg, jedes Unternehmen muss seinen eigenen Ansatz finden. Allerdings haben viele Organisationen vor ein paar Jahren versucht, die digitale Transformation an Digital Labs oder CDO-Organisationen zu delegieren. Die Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. Es setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass die digitale Transformation von innen passieren muss und jeder Mitarbeiter im Unternehmen mitgenommen werden sollte. Damit sind wir wieder bei digitalen Kompetenzen für alle – also einer digitalen Kultur und Führung sowie der Ausgestaltung der neuen Arbeitswelt.

Ich bleibe dabei: Wir haben die Macht zu gestalten, weil uns unsere Fähigkeiten einzigartig machen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, der technische Fortschritt sei Teil der menschlichen Evolution. Stößt dieser Gedanke nun an eine Grenze, wenn durch die künstliche Intelligenz eine Technik Einzug erhält, die dem Menschen geistig hochüberlegen sein wird?
Volkens: Wir haben die Digitalisierung in den Evolutionskontext gesetzt, weil wir fest davon überzeugt sind, dass dieser Fortschritt mit seinem Ausmaß und seiner Geschwindigkeit uns als Menschen grundlegend verändern wird. Wir sagen aber auch, dass weder Technologie noch künstliche Intelligenz den Menschen ersetzen werden. Ich bleibe dabei: Wir haben die Macht zu gestalten, weil uns unsere Fähigkeiten einzigartig machen. Das sind Fähigkeiten die keine Maschine ersetzen kann: Empathie und emotionale Intelligenz.
Der Mensch ist eben nicht nur in der Lage, zu beobachten und zu analysieren, er kann sich auch in andere Menschen hineinversetzen. Intuition, Mimik und Gestik – das muss uns erst mal eine Maschine nachmachen. Weil wir mit diesen Fähigkeiten Zukunft gestalten und Treiber des Fortschritts sind, liegt die Zukunft des Digitalen in einer lebendigen Hand. Deshalb muss die Technologie notwendig dem Menschen dienen. Wir sind der Herr im eigenen Haus, das Digitale nur Knecht …
Anderson: … beziehungsweise ein Werkzeug: eine Verlängerung unserer eigenen Gestaltungskompetenz. Wir reden in meinen Augen zu wenig über die unglaublichen Möglichkeiten, die uns zum Beispiel die künstliche Intelligenz eröffnet. Wir sollten sehr selbstbewusst eine neue Stufe der menschlichen Evolution in Angriff nehmen.

Zum Buch

Cover Digital humanIn der Lebenswelt der Menschen ist die digitale Technik längst angekommen, das zeigt ein Blick auf die Mitreisenden im Zug oder Wartende am Flughafen: Ohne Smartphone geht da nichts. Erstaunlich dagegen ist, dass sich ausgerechnet Unternehmen weiterhin schwer damit tun, die digitalen Veränderungsprozesse anzugehen. Wohl auch, weil Führungskräfte und Mitarbeiter Angst haben, die neue Technik könnte den Menschen ins Abseits drängen. „Digital human“ funktioniert wie ein Mutmacher: Das Buch zeigt Wege auf, wie es gelingen kann, den Menschen in den Mittelpunkt der Digitalisierung zu stellen. Bettina Volkens, Kai Anderson: Digital human. Der Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung. Campus Verlag, 2017, 39,95 Euro.

 

 

Gleichberechtigung durch Digitalisierung?

Kollaboration und Vernetzung, Agilität und Flexibilität, mehr Souveränität und mehr Gestaltungsspielräume: Die Argumente, warum die Digitalisierung zu mehr Gleichberechtigung führen kann, sind vielfältig. Ein Blick auf BIM und die Baubranche zeigt, wie es gelingen kann. Von Christoph Berger

Frauen könnten die großen Gewinnerinnen des kommenden digitalen Zeitalters sein, weil sie häufig über eine höhere Sozialkompetenz verfügen als Männer. Soziale Fähigkeiten wie Empathie oder Führungskompetenzen werden künftig auf dem Arbeitsmarkt entscheidend sein, da sie auf absehbare Zeit nicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden können. Zu diesem Schluss kommen Alina Sorgner, Christiane Krieger-Boden und Eckhardt Bode, die am Institut für Weltwirtschaft (IfW) im Bereich Internationale Arbeitsteilung forschen, in einer 2017 veröffentlichten Studie für die G20-Engagement- Group Women 20.

Entscheidend bei dieser Feststellung ist allerdings der verwendete Konjunktiv. Denn nicht nur die Wissenschaftler des IfW kommen zu dem Schluss, dass die G20 jetzt die richtigen Weichenstellungen vornehmen müssen, damit Frauen die Chancen, die ihnen die Digitalisierung bietet, auch nutzen können. „Andernfalls droht sogar der umgekehrte Effekt, dass Geschlechterungleichheiten durch die Digitalisierung noch weiter zunehmen“, sagte Sorgner.

Auch Christiane Schildmann, Leiterin der Forschungsstelle „Arbeit der Zukunft“ in der Hans- Böckler-Stiftung, sagt zu einem im Jahr 2017 veröffentlichten Arbeitspapier mit dem Titel „Genderaspekte der Digitalisierung der Arbeitswelt“, dass trotz der riesigen Potenziale, der Automatismus genau in die andere Richtung gehe. Sie kommt zu dem Schluss, dass wenn wir die Digitalisierung nicht gestalten, Frauen die Verliererinnen werden könnten. Denn: „Dabei geht es nicht nur um mobiles Arbeiten, sondern um geschlechtergerechte Arbeitsplatzbewertung, um eine Weiterbildungsrevolution und Spielregeln für die Arbeit auf digitalen Plattformen.“

Wie wichtig das Thema Weiterbildung beispielsweise ist, zeigen die Forscherinnen der Hans-Böckler-Stiftung auch anhand eines Exkurses in die Welt des Bauens. So weisen sie darauf hin, dass sich durch den Einsatz der BIM-Methode ganze Berufsbilder ändern und auch die Bewertung von Tätigkeiten angepasst werden müssten – neue Qualifikationen seien gefordert und insbesondere einfachere Aufgaben würden wegfallen. Daher ihr Fazit: „Für Frauen (und Männer) in diesen Arbeitsbereichen, für Architektinnen, Ingenieurinnen, Bautechnikerinnen oder Bauleiterinnen, ist es wichtig, durch Schulungen und Weiterbildung in diese Entwicklungsprozesse von Anfang an einbezogen zu werden.“

Doch prinzipiell, so hat Schildmann mit ihren Kollegen festgestellt, müsse zur Erreichung der Geschlechtergerechtigkeit der digitale Wandel auch als ein sozialer Prozess betrachtet und gestaltet werden, der politischer Unterstützung bedürfe: Dazu zählen nicht nur die Qualifizierungsnotwendigkeiten, sondern zum Beispiel auch die Verbesserung der Work-Life Balance durch flexibles Arbeiten und Veränderungen der Tätigkeiten mit Personenbezug. Bei sämtlichen Maßnahmen müsse allerdings darauf geachtet werden, dass nicht wieder neue Barrieren bei der Gleichberechtigung entstünden.

BIM up!

Das Bauwesen steht vor den Herausforderungen der Digitalisierung. Eng damit verknüpft ist die Einführung der Building Information Modeling-Methode, die weit mehr als die Installation neuer Software ist. Es geht um einen radikalen Kulturwandel. Von Christoph Berger

Beim Klinikum Sindelfingen-Böblingen handelt es sich um ein Haus an zwei Standorten. Diese Trennung führt zu erheblichen Nachteilen für das Personal und die Patienten. Hinzu kommt, dass die beiden Gebäude über 50 Jahre alt sind, Sanierungen und Modernisierungen unerlässlich geworden sind. Ein Gutachten kam somit zu dem Ergebnis, dass die Zusammenlegung der beiden Gebäude in einen Neubau die wirtschaftlich einzig sinnvolle Variante ist. Entstehen wird das Flugfeldklinikum – als eines der ersten Krankenhäuser bundesweit von Anfang an mit der Methode des Building Information Modeling, kurz BIM, geplant und gebaut.

Bereits in den Auswahlverfahren wurden bei allen Planern Erfahrungen im Umgang mit BIM abgefragt: vom Architekten über den Tragwerkplaner bis zum Medizintechnikplaner – alle Beteiligten sollen zukünftig ihre Planungen digital zur Verfügung stellen. Ein BIM-Manager wird eingesetzt, um die einzelnen Teilmodelle der Objekt- und Fachplaner zu kontrollieren und diese in einem gemeinsamen Modell zusammenzuführen. Die Fertigstellung der Klinik ist für Dezember 2023 geplant, in Betrieb genommen werden soll sie dann im September 2024.

Bei BIM handelt es sich um eine digitale Planungsmethode. Das bedeutet, dass Bauwerke im Optimalfall vom Entwurf bis hinein in die Inbetriebnahme und Bewirtschaftung digital beschrieben werden – ein virtueller Zwilling des eigentlichen Bauwerks sozusagen. Erfasst werden dazu alle baurelevanten Daten, die mithilfe von Software verknüpft werden. So erwächst das digitale Modell.

Darstellbar sind dabei inzwischen bis zu sieben Dimensionen: Zu der dreidimensionalen Darstellung eines Bauwerks kann als vierte Ebene die Zeit hinzugefügt werden. Das 5-D-Modell beinhaltet Kosten, in der 6-D-Darstellung wird das virtuelle Bauwerk zudem mit Lebenszyklusaspekten bestückt. Und im 7-D-Modell werden schließlich noch Aspekte der Gebäudenutzung berücksichtigt.

Noch mangelnde Nutzung trotz vieler Vorteile

Die Vorteile bei Anwendung der BIM-Methode liegen dabei klar auf der Hand – Ergebnisse in zahlreichen Studien haben bereits darauf hingewiesen. Bauprojekte lassen sich schneller und effizienter steuern, sodass Firmen Kosten sparen können ist beispielsweise ein Ergebnis der Roland Berger-Studie „Turning point for the construction industry – The disruptive impact of Building Information Modeling (BIM)“.

PwC hat in der Kurzstudie 2018 „Baubranche aktuell: Wachstum 2020 – Digitalisierung und BIM“ festgestellt, dass die Zeitersparnis aufgrund reduzierter Koordinations- und Abstimmungstätigkeiten sowie eine generell effizientere Zeitplanung unter den befragten Unternehmen als die größten Vorteile im BIM-Einsatz bewertet werden.

Weitere Vorteile sind eine höhere Flexibilität sowie mögliche Kostenersparnisse. Würde das neue Verfahren auf breiter Flur eingesetzt, könnte die deutsche Baubranche laut Einschätzung der Befragten sogar mit einem zusätzlichen Wachstumsimpuls von rund drei Prozentpunkten pro Jahr rechnen. Doch, auch dies haben die Wirtschaftsprüfer und Berater festgestellt: Bislang nutzt nur knapp jedes zehnte deutsche Bauunternehmen BIM.

„Obwohl die Vorteile von Building Information Modeling auf der Hand liegen, schrecken viele Unternehmen vor Investitionen in ihre digitalen Fähigkeiten zurück. Damit verzichten sie nicht nur auf ein erhebliches Wachstumspotenzial, sondern drohen mittelfristig auch ihre digitale Zukunft aufs Spiel zu setzten“, sagt Ralph Niederdrenk, Partner und Leiter der Deals Strategy Group bei PwC in Deutschland. Denn wer in der digitalen Arena nicht mitspielen könne, werde es in Zukunft schwer haben – gerade bei öffentlichen Aufträgen.

Niederdrenk spricht damit indirekt beispielsweise den Stufenplan zur Einführung von BIM an. Nach dem soll ab 2020 bei allen neu zu planenden Projekten, die im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur liegen, BIM regelmäßig angewendet werden. Und auch die Bahn gab im Mai 2017 bekannt, dass bis zum Jahr 2020 sämtliche Bauprojekte mit BIM umgesetzt werden sollen. Dort verbindet man, ebenso wie in den aufgeführten Studien, mit der Methode eine bessere Planungsqualität, eine höhere Terminsicherheit, Kostensicherheit und Effizienzsteigerungen. Ebenso soll BIM zu Akzeptanzsteigerungen für die Projekte sowie bessere Lebenszyklusbetrachtungen führen.

Neue Branchenkultur

Allerdings darf man auch beim digitalen Bauen nicht vergessen, dass es mit der Einführung entsprechender Software alleine längst nicht getan ist. Vielmehr ist unter BIM eine neue Arbeitsmethode zu verstehen, „bei der die ganzheitliche Betrachtung des Planens, Bauens und Bewirtschaftens im Fokus steht“, wie es beim BIM Institut der Bergischen Universität Wuppertal heißt. Es kommt zu einem Kulturwandel im Bauwesen, alle Beteiligten arbeiten an demselben Datenmodell. So erfolgt eine Reduzierung der Schnittstellen – mit Folgen für die Geschäftsprozesse sowie die Gewohnheiten der einzelnen Projektbeteiligten. Und mit der Einführung neuer Rollen: beispielsweise der des BIM-Managers, BIM-Koordinators oder BIM-Modellierers.

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BIM-Wissen

Weiterlesen: Fach- und Expertenartikel sowie Interviews und Weiterbildungsangebote gibt es unter: www.karrierefuehrer.de/bim

Webchannel:

Der karriereführer bauingenieure informiert umfassend über den Einstieg in die Baubranche: www.karrierefuehrer.de/bauingenieure

Schwerpunktthema Digitalisierung

Auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hat die Digitalisierung zu einem seiner Schwerpunktthemen erhoben und informiert über Trends auf:
www.bauindustrie.de/themen/innovation-und-digitalisierung

Weiter mit Digitalem

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Alles wird digital, fast jede Branche und jedes Unternehmen steht vor der Herausforderung, sich mit der digitalen Transformation auseinanderzusetzen. Das gilt auch für Mitarbeiter. Master- und Aufbaustudiengänge können da ein geeignetes Mittel sein, um sich optimal auf die Zukunft vorzubereiten. Der karriereführer digital stellt hier eine Auswahl von Studiengängen in einem im größer werdenden Angebot vor, mit denen dies gelingen kann. Von Christoph Berger

Digital Life! Kultur-, Buch- und Linktipps

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BUSINESS ETHICS 3.0

Cover Business EthicsDer deutsche Chemiker und einstige Industriemanager Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow beschäftigt sich in seinem neuen Buch „Business Ethics 3.0“ mit den Herausforderungen für Wirtschaftsstudierende nach ihrem Studienabschluss. Ihnen werde während des Studiums nur technisches Wissen beigebracht, doch mit dem Eintritt in die Wirtschaft hätten sie schwierige, persönliche und herausfordernde Entscheidungen zu treffen, für die das erworbene Wissen nicht ausreiche. Erhard Meyer-Galow: Business Ethics 3.0. De Gruyter Oldenbourg 2018, 23,99 Euro.

VIDEO MINING

ProSiebenSat.1 arbeitet zusammen mit der Technischen Universität München an Lösungen zum sogenannten Video-Mining. Dabei werden Videos in Daten aufgeschlüsselt, sodass sie schließlich wie Text durchsucht werden können – zum Beispiel nach Schauspielern, wie Johannes Wechsler, CIO des Konzerns gegenüber einer Informations plattform der IDG Business Media GmbH erklärte. Der Medienkonzern wolle so den Nutzern unter anderem gezielter Filme vorschlagen können.

INTELLIGENTE EUROPALETTEN

Forscher am Fraunhofer Institut für Materialwirtschaft und Logistik haben eine Palette entwickelt, die nicht nur als Ladungs-, sondern als Informationsträger dient. Die Paletten kommunizieren mithilfe von NarrowBand IoT der Deutschen Telekom über Smart Devices in einem dezentralen Netzwerk. Weitere Infos unter: www.iml.fraunhofer.de

ZUKUNFTSPROJEKT „HOMO DIGITALIS“

Foto: BR
Foto: BR

Moderatorin Helen Fares macht sich in dem Transmedia-Projekt „Homo Digitalis“ von BR, ARTE und ORF seit Herbst 2017 auf eine Reise durch die Technologien der Zukunft. Sie trifft virtuelle Freunde, lernt eine Drohne mit ihrem Gehirn zu steuern und ihre eigene DNA zu hacken. Zugleich ist Homo Digitalis aber auch ein wissenschaftliches Experiment: Denn gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO haben die beteiligten Sender einen spielerischen Zukunftstest mit Echtzeitanalyse entwickelt. User können dabei individuell für sich die Frage beantworten: Wie wird die Digitalisierung mich verändern? Und: Wie lange bin ich eigentlich noch Mensch? Weitere Informationen unter: www.br.de/br-fernsehen/sendungen/homo-digitalis/index.html

KI IM KLASSENZIMMER

An einem Beispiel aus den USA zeigt sich, worin die Potenziale von künstlicher Intelligenz im Schul- beziehungsweise Studienalltag unter anderem liegen können. So wird eine Vorlesung von Sandra Connelly, Assistant Professor an der Thomas H. Gosnell School of Life Sciences in Rochester, direkt in eine PowerPoint-Präsentation umgewandelt, sodass gehörlose und stark schwerhörige Studierende problemlos den Ausführungen folgen können. Möglich macht das der Microsoft Translator, eine KI-gestützte Kommunikationstechnologie, die gesprochene Sprache in einen geschriebenen Text umwandelt oder eine direkte Übersetzung in eine andere Sprache möglich macht. Weitere Informationen unter: https://translator.microsoft.com

WARUM UNSERE CHEFS PLÖTZLICH SO NETT ZU UNS SIND

Cover Warum Chefs nettWer immer noch auf Anweisungen, Kontrolle und Effizienz setzt, sollte schleunigst in sich gehen. Denn: Wer führen will, muss Menschen mögen, sagt Wolfgang Jenewein, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte sind „Transaktionale und Transformationale Führung“, „Positive Leadership“ sowie die „Führung von Change“. Seine Erkenntnisse verknüpft er mit Einsichten aus Hochleistungsteams im Sport. Auf dieser einzigartigen Grundlage coacht und trainiert er unter anderem viele Großkonzerne auf Vorstandsebene. Wolfgang Jenewein: Warum unsere Chefs plötzlich so nett zu uns sind. Ecowin 2018, 20 Euro.

MASTERSTUDIENGANG VERBINDET KUNST UND TECHNOLOGIE

Foto: cemfi
Foto: cemfi

In Kooperation mit der Hochschule für Musik Detmold und dem Zentrum für Musik- und Filminformatik (ZeMFI) bietet die Hochschule Ostwestfalen-Lippe den neuen Masterstudiengang „Audiovisual Arts Computing“ an. Der Studiengang lotet die Möglichkeiten der Informatik und der Mensch-Maschine-Interaktion im Anwendungsfeld der audiovisuellen Künste aus, sowohl auf technologischer als auch auf künstlerischer Ebene. Er richtet sich an Studierende mit Bachelorabschluss in den Bereichen Informatik, audiovisuelle Künste, Medien- oder Musikproduktion. Weitere Informationen unter: www.cemfi.de/aac

BEWERBEN 4.0

Cover Bewerben 4.0Karriere-Coach Vincent G. A. Zeylmans van Emmichoven zeigt, wie Bewerben 4.0 funktioniert und man sich im digitalen Dickicht sichtbar macht. Er leitet bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen sowie Jobprofilen an und weist den Weg in ein erfülltes und gesundes Arbeitsleben. Denn in einer Zukunft, in der wir länger arbeiten und lebenslang lernen müssen, werden Netzwerke und Resilienz zu Erfolgsfaktoren. Vincent G. A. Zeylmans van Emmichoven: Bewerben 4.0. Metropolitan 2018, 29,95 Euro. www.metropolitan.de

WETTBEWERB „DIGITAL SHAPERS“

Foto: McKinsey & Company
Foto: McKinsey & Company

Die Studenten Auryn Engel, Stefan Faistenauer, Christian Pfeifer, Marc Schneider und die Absolventin und Gründerin Estelle Zanga haben Ende April 2018 das Finale des Talentwettbewerbs „Digital Shapers“ gewonnen. Sie hatten für BMG/Bertelsmann ein Tool entwickelt, das Künstlern hilft, mehr über ihre Fans zu erfahren, ihre Konzerttouren besser zu planen und nebenbei der Plattenfirma einen Datenvorsprung beschert. Bei „Digital Shapers“ nehmen sich junge Talente die digitalen Herausforderungen von Unternehmenslenkern vor. Weitere Informationen unter: www.digital-shapers.com

WAS IM LEBEN WICHTIG IST

Cover was im Leben wichtig istDavid Attenborough, Annie Lennox, Jude Law, Marina Abramović, Andy Murray, Bill Gates, Judi Dench, Stephen Fry, Margaret Atwood, , Patrisse Khan-Cullors – das sind nur einige von über sechzig faszinierenden Persönlichkeiten, die Richard Reed für sein Buch „Was im Leben wichtig ist“ getroffen hat. Reed hat sie gebeten, ihren wertvollsten Ratschlag fürs Leben mit seinen Lesern zu teilen. Richard Reed: Was im Leben wichtig ist. Random House 2018, 22 Euro.

Das letzte Wort hat: Susanne Mitschke, MindMate

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Susanne Mitschke hat einen Bachelor-Abschluss in „Business, Economics and Social Sciences“ (Wirtschaftsuniversität Wien) erworben und das Master-Studium „International Management, Leadership & Business Growth“ abgeschlossen – mit Auszeichnung. Sie arbeitete für mehrere Unternehmensberatungen und gründete 2015 das Start-up MindMate, eine App, die in 17 Ländern kontinuierlich auf Rang 1 der Gesundheits-Apps gelistet wird. 2018 wurde die heute 28-Jährige, die in Kaiserslautern geboren wurde und heute in Los Angeles, USA, lebt, in die Liste „30 zukunftsweisende Menschen unter 30“des US-Magazins „Forbes“ aufgenommen. Die Fragen stellte Christoph Berger

Frau Mitschke, herzlichen Glückwunsch – Sie wurden von Forbes in die Liste „30 Under 30“ in der Kategorie „Soziales Unternehmen“ aufgenommen! Was bedeutet es für Sie, in dieser Liste aufgeführt zu werden?
Vielen Dank für die Glückwünsche. Von einem Magazin wie Forbes ausgezeichnet zu werden, ist natürlich ein super Gefühl. Als ich von der Nominierung erfuhr, habe ich mir nur gedacht: ‚Wow – Forbes weiß, was MindMate ist und was wir machen?!‘ Als ich mich dann mit meinen zwei Mitgründern auf der Liste gefunden habe, war das natürlich ein sehr großer Moment für uns, da Forbes international das Wirtschaftsmagazin Nummer 1 ist!

Beflügelt so eine Auszeichnung den geschäftlichen Erfolg Ihres Start-ups MindMate, einer App für ältere Menschen und Menschen mit Gedächtnisschwierigkeiten?
Eine solche Auszeichnung hilft natürlich bei der Glaubwürdigkeit. Leider gibt es einige Menschen, vor allem in Europa, die neuen Technologien erst einmal sehr skeptisch gegenüberstehen und nach Gründen suchen, warum eine Idee nicht funktioniert. Wenn man dann beiläufig bei einem ersten Gespräch erwähnt, dass man eine Auszeichnung vom Forbes Magazin bekommen hat, hilft das natürlich. Abgesehen davon, finden es unsere derzeitigen Firmenkunden natürlich auch super, mit „young potentials“ zusammenzuarbeiten. Und es hilft auch dabei, neue Kunden zu gewinnen.

Was können Nutzer mit der App alles machen?
Die App ist dazu designed, die Gehirnfitness von älteren Menschen zu unterstützen und im besten Fall zu fördern. Unsere Nutzer haben Zugriff auf einen Aktivitätenplan, der sich jeden Tag ändert und verschiedene Übungen für Körper und Geist beinhaltet, sowie Tipps und Tricks und Rezepte rund um das Thema gesunde Ernährung bereitstellt. Die Nutzer können dann auch ihren Fortschritt sehen, zum Beispiel, wie viele Minuten oder gar Stunden sie körperlich aktiv waren. Oder, wie sich ihre geistigen Fähigkeiten entwickeln.

Sie haben in Schottland studiert und leben derzeit im US-Bundesstaat Kalifornien. Ist es im angelsächsischen Bereich leichter, ein Unternehmen zu gründen oder hätten Sie sich eine Gründung auch in Deutschland vorstellen können?
Die Unternehmensgründung in Großbritannien beziehungsweise in den USA ist um einiges einfacher als in Deutschland. Vor allem der bürokratische Aufwand und die Kosten der Unternehmensgründung sind viel geringer. Was noch dazu kommt: Leute einzustellen und wieder gehen zu lassen, ist ebenfalls wesentlich einfacher im angelsächsischen Bereich. Sehr viele Dinge, bei denen in Deutschland noch Stift, Papier und Amtsgänge benötigt werden, sind in UK und den USA automatisiert und online verfügbar – ohne großen Aufwand.

Ältere Menschen sind nicht gerade die bevorzugte Zielgruppe von App-Entwicklern – so scheint es zumindest auf den ersten Blick. Was veranlasste Sie dazu, trotzdem in dem Bereich eine App zu entwickeln?
Ältere Menschen sind die am stärksten wachsende Gruppe, wenn es um Technologie geht. Die American Association of Retired People hat neulich eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass 70 Prozent aller Leute über 50 und 55 Prozent der über 70-Jährigen in den USA ein Smartphone besitzen und nutzen. Zudem sind ältere Menschen sehr loyal. Wir haben sogar mitbekommen, dass MindMate häufig die einzige App ist, die die Menschen benutzen – abgesehen von den vorinstallierten Apps natürlich. Und, zumindest in den USA, ist „Grey Tech“ gerade sehr im Kommen, gerade weil die Verbreitung von Technologie in der Generation 50+ oder sogar 60+ sehr stark zunimmt.

Wie wichtig war für die MindMate-Gründung der private Hintergrund eines Ihrer Mit-Gründer, Roger Arellano, dessen Großvater an Alzheimer erkrankt war und von ihm gepflegt wurde?
Roger war quasi unsere Inspiration und der Grund, warum wir in diesem Bereich angefangen haben. Allerdings hat sich die App in den drei Jahren sehr geändert und verfolgt inzwischen eher die proaktive Herangehensweise an Demenz oder Alzheimer. Wir wissen, dass viele Menschen MindMate zusammen mit ihren Angehörigen, die an Demenz erkrankt sind, benutzen. Allerdings ist Demenz sehr komplex. Menschen in frühen Stadien haben oft gar kein Problem, unsere App zu benutzen, sofern sie vorher schon einmal Technologie benutzt haben. Bei Menschen in späteren Stadien ist das eher schwieriger. Hierfür haben wir Musik eingeführt, die den Zweck einer sogenannten Remeniszenztherapie hat. Damit lassen sich längst vergessene Erinnerungen wiederentdecken. Die Mehrheit unsere Nutzer ist jedoch gesund oder habt leichte Gedächtnisprobleme.

Sehen Sie Ihre App somit auch als einen Beitrag zur Kommunikation zwischen „Jung“ und „Alt“ – und kommt die Kommunikation zwischen Generationen Ihrer Meinung nach oftmals zu kurz?
Ich erwische mich selbst dabei, dass ich mit meiner Familie hauptsächlich „Texte“ – also SMS schreibe, statt anzurufen. Wenn man dann keine „Technik“ benutzt oder benutzen kann, ist das natürlich ein großer Nachteil in der Kommunikation.

Meiner Meinung nach fördert MindMate absolut die Kommunikation zwischen Jung und Alt. Wir hören oft von Nutzern, dass die App ihnen dabei geholfen hat, einen besseren Draht zu ihren Enkelkindern aufzubauen. Wenn Oma und Opa jetzt auch ein Tablet oder Smartphone benutzen können und man gemeinsam Spiele spielen kann, oder sich durch ein technisches Gerät austauschen kann, fördert das natürlich die Beziehung, da die Großeltern doch nicht so „uncool“ sind wie gedacht.

Welchen Beitrag können digitale Lösungen hier beitragen?
Vor allem in der globalisierten Welt, in der man nicht mehr in der gleichen Stadt wohnt wie die Familie, sind digitale Lösungen nicht zu unterschätzen. Ein Telefonat ist toll. Aber ist es nicht besser, wenn man sich dabei noch sehen kann? Vor allem auch, um gemeinsame Themen zu finden mit der „Jungen Generation“, den „Digital Natives“. Und es ist natürlich super, wenn man sich ein bisschen auskennt und mitreden kann.

Auf was kommt es im stark zunehmenden Markt der Gesundheits- und Trainings-Apps vor allem an, was braucht es, um mit einer App erfolgreich zu sein?
Erst einmal ist es wichtig die Entwicklung einer App nicht zu unterschätzen. Viele Leuten denken, dass es sehr einfach ist, eine App zu entwickeln und damit schnell reich zu werden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir haben in drei Jahren viele Apps gesehen, die uns kopiert haben oder etwas sehr Ähnliches gemacht haben, die es nun aber alle nicht mehr gibt. Oft wenden sich auch Menschen an mich, die mich um Rat fragen bezüglich ihres Technologieunternehmens. Wenn dann keiner der Gründer programmieren kann, ist das immer schwierig. Im Markt der Gesundheits- und Trainings-Apps ist es wichtig, die Nutzer regelmäßig zu motivieren, sie zu erinnern, warum sie die App überhaupt erst runtergeladen haben, was ihr Ziel ist. Ein benutzerfreundliches und intuitives Design ist dabei genauso wichtig wie das richtige Branding. Und um ehrlich zu sein, gehört wie überall, natürlich auch eine Portion Glück dazu, erfolgreich zu sein.

Weitere Infos unter:
www.mindmate-app.com

karriereführer consulting 2018.2019 – Transformation, Kollaboration, Innovation

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Transformation, Kollaboration, Innovation: Wie die Generation Z das Consulting prägen wird

Neue Leute aus der Generation Z, neue Techniken wie Big Data und Künstliche Intelligenz: Das Consulting stellt sich neu auf. Gefragt sind einerseits operative IT-Lösungen für mehr Effizienz und Transparenz. Doch danach kommt es mehr denn je auf die persönliche Beraterleistung an.

Generation Z wie Zukunft

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Neue Leute aus der Generation Z, neue Techniken wie Big Data und Künstliche Intelligenz: Das Consulting stellt sich neu auf. Gefragt sind einerseits operative IT-Lösungen für mehr Effizienz und Transparenz. Doch danach kommt es mehr denn je auf die persönliche Beraterleistung an. Übrigens gerade bei den Führungskräften der Zukunft, die auf Gespräche großen Wert legen. Von André Boße

Die Generation Z kommt! Dazu zählen Absolventen und Einsteiger, die ab Ende der Mitte der 1990er-Jahre geboren wurden. Nun sind die ersten Mitglieder dieser Generation Mitte 20, haben ihre akademischen Abschlüsse in der Tasche oder sind kurz davor und starten ihre Berufskarrieren. Wie jede andere Generation zuvor bringt die Generation Z Eigenarten und Merkmale mit. Diese werden die Unternehmen verändern, in denen sie tätig sein werden – was wiederum auch den Anspruch an die Beratung der nahen Zukunft beeinflusst: Consultants müssen schon jetzt die Besonderheiten der Generation Z mitdenken.

X bis Z: So unterscheiden sich die Generationen

Aber was genau steht hinter der Z – und wie unterscheidet sie sich von ihren Vorgänger-Generationen X und Y? Der Ökonom Prof. Dr. Christian Scholz hat die verschiedenen Generationen analysiert, angefangen bei den Baby-Boomern, also den Menschen aus den besonders geburtenstarken Jahrgängen zwischen 1955 und 1969. Diese Generation sitzt heute vielfach in den Chefetagen. Doch ihr Ruhestand rückt näher.

„Die Baby-Boomer waren in mancher Hinsicht idealistisch und wollten eine bessere Welt, sie agierten aber zunehmend opportunistisch und nutzten ihre Karrierechancen“, formuliert Scholz. Auf sie folgte die pragmatische Generation X: „Anders als ihre Vorgängergeneration machte sie sich keine Illusionen über die Gesellschaft oder die eigene Zukunft. Visionen und Utopien spielten keine Rolle, es gab auch kaum eigene Aufstiegserwartungen.“ Die Generation Y – geboren in den 1980er- und bis Mitte der 1990er- Jahre – bestimmte zuletzt den Wandel in vielen Unternehmen. Scholz: „Sie besinnt sich auf Begriffe wie Sinn und Werte, strebt auch in der Arbeitswelt die persönliche Weiterentwicklung und Selbstentfaltung an, wird geprägt von Chancen und Gefahren, von Globalisierung und Digitalisierung.“

Nun rückt die Generation Z nach – „eine Generation, die erkennt, dass der Plan der Generation Y nach Sinnhaftigkeit und persönlicher Entfaltung nicht immer aufgegangen ist“, so Scholz. Daher trenne die Generation Z wieder klar zwischen Arbeits- und Privatleben, lege Wert auf Harmonie. Wandel hingegen wolle sie nur begrenzt, weshalb er eher mit einer „Optimierung von Strukturen und Sicherheit“ begründet werden sollte, um die Generation Z zu motivieren, wie Christian Scholz sagt.

Lust auf Menschen und große Unternehmen

Doch was heißt das konkret für die Karriereplanung der Generation Z? Welche Typen von Einsteigern gehen nun in die Unternehmen – und wie muss die Consultingbranche darauf reagieren? Die Unternehmensberatung Accenture hat mit der Studie „Gen Z Rising“ ein umfassendes Profil der neuen Kräfte vorgelegt. Für Unternehmensberater sind die Erkenntnisse besonders wertvoll, denn sie zeigen auf, worauf es dem Nachwuchs im Unternehmen ankommt – und wie es gelingen kann, sein beträchtliches Potenzial in den Unternehmen zur Entfaltung zu bringen. Eine Kernaussage der Studie lautet: „Obwohl die diesjährigen Hochschulabsolventen in Deutschland mit digitaler Kommunikation groß geworden sind, halten sie die zwischenmenschliche Interaktion im Beruf für besonders wichtig.“

Generation Z

Bloss nicht unterfordern Häufig stellt sich in den Unternehmen die Frage, wie sehr man die Einsteiger in die Arbeit einbeziehen darf, wie viel Verantwortung man ihnen gibt. Auch für Consultants ist das ein Thema. Die Accenture-Studie „Gen Z Rising“ zeigt nun, dass für die Einsteiger selbst nicht die Über-, sondern die Unterforderung das größte Problem darstellt: Mehr als zwei Drittel aller Berufseinsteiger fühlen sich im Job nicht genügend ausgelastet. Hier gibt es also noch Potenzial, das es zu nutzen gilt.

Die Digital Natives der Generation Z stehen also keineswegs aufs Dauer-Display, persönliche Kontakte bleiben bedeutsam: „30 Prozent der befragten Berufseinsteiger präferieren persönliche Meetings, während Tools zur Online-Kommunikation mit 20 Prozent deutlich dahinter an zweiter Stelle rangieren“, heißt es in der Studie. Besonderen Wert legten Absolventen auf eine gute Beziehung zu ihren Führungskräften: „Ein potenziell schlechtes Verhältnis zum Chef ergab sich bei unserer Umfrage als eine ihrer größten Sorgen.“

Interessant in dieser Hinsicht ist der Hang der neuen Absolventen und Einsteiger zu größeren Arbeitgebern: „Der Wunsch, für ein Großunternehmen zu arbeiten, nimmt immer mehr zu“, heißt es in der Accenture-Studie. „25 Prozent der Absolventen, die dieses Jahr den Abschluss machten, möchten demnach für ein großes Unternehmen arbeiten. 23 Prozent bevorzugen dagegen eine mittelständische Firma, und 15 Prozent könnten sich vorstellen, bei einem Start-up anzufangen.“ Haben die Einsteiger erste Berufserfahrungen gesammelt, steige der Wunsch, bei einem großen Unternehmen tätig zu sein, sogar noch, so die Studie. „Berufseinsteiger kehren damit zu den traditionellen Werten des Berufslebens zurück: ein klarer Karriereweg, Stabilität, Weiterbildungen und Mentoring sowie ein angemessenes Gehalt.“

Also genauso, wie es Christian Scholz in seinem 2014 veröffetlichten Buch „Generation Z: Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt“ prognostizierte.

Foto: Fotolia/chombosan
Foto: Fotolia/chombosan

Digital Natives an der Seite der Top-Berater

Die Frage ist nur, ob es diese Klarheit und Stabilität heute überhaupt noch geben kann. Beinahe alle großen Unternehmen stehen weiterhin vor der immensen Aufgabe, sich der digitalen Transformation zu stellen und die Digitalisierung umzusetzen – Veränderungen in der Art der Arbeit und der Unternehmenskultur inklusive. Entwicklungen wie künstliche Intelligenz und Deep Learning, 3-D-Druck und Big Data stehen für grundlegende Veränderungen der gesamten Arbeitsprozesse, und zwar über alle Abteilungen hinweg. Gerade bei diesen Transformationen ist die gegenwärtige Absolventen-Generation besonders gefragt: Schließlich ist sie es gewohnt, digitale Tools sowie vor allem digitale Denkmuster in ihre Lebenswelt zu integrieren.

„Für digitale Exzellenz benötigen Unternehmen Menschen mit digitaler, fachlicher und persönlicher Kompetenz“, bringt es Hanna Kranz, Human Resources Recruit ing & Development bei Sopra Steria Consulting, auf den Punkt. Die Sichtweise und Denke der Digital Natives sei daher für das Top-Management eine wertvolle Quelle. Um beides zu nutzen, hat das Beratungsunternehmen ein „Consultant Advisory Council eingerichtet“: „Zehn Mitarbeiter aus allen Unternehmensbereichen, alle jünger als 30 Jahre, diskutieren hier mit der Unternehmensführung über Zukunftsthemen und Bedürfnisse der jungen Generation.“

Sopra Steria hat sich auf Consultant- Projekte zum Thema Digitale Transformation spezialisiert, zu tun haben es die Consultants dabei zum Beispiel mit Kunden, die auf oberster Ebene an der richtigen Strategie feilen. „Die Unternehmen wollen Entscheidungshilfen, wie sie den Umbau in Richtung eines digitalen Unternehmens stemmen sollen, beispielsweise wer im Management die Digitalisierung vorantreibt, welche kulturellen und organisatorischen Veränderungen nötig sind und wie ein funktionierender Fahrplan für die Transformation aussieht.“ Demgegenüber gebe es Unternehmen, die sich mit konkreten Projekten beschäftigen. „Diese Kunden wollen Antworten, wie sie mit der Blockchain-Technologie ihr Geschäft sicherer und komfortabler für ihre Kunden abwickeln. Oder sie arbeiten an praktischen Anwendungsfällen für Automatisierungen und künstlicher Intelligenz, damit ihre Mitarbeiter mehr wertschöpfende Aufgaben übernehmen können.“

An der Vielfalt der Themen zeigt sich, worauf es in der Beratung heute ankommt: Einerseits muss der digitale Wandel gestaltet und mit Inhalt gefüllt werden, andererseits gilt es, die Mitarbeiter mitzunehmen, sie zu motivieren. Und das gelingt mit Blick auf die Generation Z eben am besten, wenn der Wandel nicht als Abenteuer bezeichnet wird, sondern als notwenige Veränderung, die Strukturen stärkt und Sicherheit gibt.

KI, erweiterte Realität, Vertrauen

Im Research-Report „Eng verbunden mit dem Kunden“ hat die Beratung Accenture große Technikthemen identifiziert, die auf alle Branchen große Auswirkungen haben werden. Zum einen ist das die künstliche Intelligenz mit ihrer Auswirkung auf alle Teile von Wirtschaft und Gesellschaft. Die erweiterte Realität, versetzt die Menschen an andere Orte und minimiert Distanz nicht nur, sondern schafft sie ganz ab. Große Bedeutung besitzen auch die Datenkorrektheit, also das Vertrauen in die Sicherheit, sowie die Grenzenlosigkeit des Geschäfts, denn die Digitalisierung befähige die Unternehmen, „schneller und in mehr Ökosysteme zu expandieren als je zuvor“, heißt es in der Studie. Da die alten Geschäftssysteme für diese Grenzenlosigkeit nicht gemacht seien, komme es darauf an, neue Partnerschaften zu schließen.

KI ersetzt Beratung nicht

Dies gelingt zum Beispiel durch eine höhere Transparenz. Und genau hier setzen Projekte von Beratungsunternehmen an, die ihren Kunden dabei helfen, mit Hilfe von Big Data-Analysen ihr eigenes Unternehmen ganz neu kennenzulernen. „Das Entscheidende ist, in der Unmenge an Daten jene zu finden, auf die es tatsächlich ankommt“, sagt Bastian Nominacher, Co-CEO und Mitgründer des Beratungsunternehmens Celonis, das eine eigene Methode für diese Arbeit anbietet: Das Tool „Process Mining“ legt den Fokus der Analyse auf transaktionale Prozessdaten, die sowieso schon in den IT-Systemen vorhanden sind. „Für einen frei auswählbaren Unternehmensbereich zeigt die Software in Echtzeit auf, welche Prozesse wie ablaufen und eröffnet damit einen Röntgenblick auf alle Unternehmensaktivitäten – beispielsweise auf einen Einkaufsprozess von der Vorarbeit über die Bestellung bis hin zur Zahlung“, so Nominacher.

Dabei begreifen die Machine-Learning-Algorithmen hinter der künstlichen Intelligenz auch, wie dieser Prozess idealerweise ablaufen sollte – und warum Abweichungen von diesem Idealzustand auftreten. „Die Software kann so direkte Handlungsempfehlungen geben: Welche Maßnahmen hätten bei ähnlichen Problemen welchen Effekt? Und was verspricht heute Erfolg?“ Hier gibt die Software also Impulse für den Berater. Da stellt sich natürlich die Frage: Übernimmt hier die künstliche Intelligenz irgendwann ganz die Arbeit des Consultants, weil sie Ist-Zustände analysiert, Soll-Zustände entwickelt und dabei genau die notwendigen Arbeitsschritte vorgibt? Nein, sagt Nominacher, zwar werde der Beratungsprozess mit Hilfe solcher Digital-Tools beschleunigt, doch verbessere sich damit vor allem die Entscheidungsgrundlage für die spätere persönliche Beratung. „Die Software ersetzt keine Berater, sie hilft Consultants, ihren Job schneller und effizienter zu machen. Sie gibt ihnen somit den Freiraum, ihre Kompetenz einzusetzen, und befreit sie von der aufwändigen Spuren- und Ursachensuche. Damit hat der Berater die Zeit, das zu tun, was seine Kernkompetenz ist: beraten.“

Und genau hier treffen neue Consulting-Methoden den Nerv der Generation Z, die eben besonders großen Wert auf persönliche Kontakte legt. Digitale Berateransätze sind mit Blick auf den Nachwuchs in den Unternehmen also vor allem dann Erfolg versprechend, wenn die Software technische Leistungen automatisiert und Raum gibt für Beratergespräche. Klar ist aber auch, dass in auf Software-Lösungen spezialisierten Unternehmensberatungen wie Celonis die Kompetenzen von IT-Kräften und Consultants miteinander verschmelzen: Die Berater benötigen Einblicke in die digitalen IT-Operationen und Security-Architekturen, müssen aber auch strategische Anwendungsszenarien aufstellen und Erfolge beziffern. „Dann sind sie in der Lage, die Vorteile der Technologie in Pilotprojekten aufzuzeigen und Empfehlungen für weitere Optimierungen zu geben“, sagt der CEO Bastian Nominacher. Und genau diese Optimierungen sind es eben, die der Generation Z ein besonders gutes Gefühl geben.

Buchtipps

Cover_Leben3_0

Leben 3.0

Es ist ein Charakteristikum der ZukLeben 3.0unft, dass sie ungewiss ist. So wundert es auch nicht, dass Physikprofessor Max Tegmark in seinem Buch „Leben 3.0“ unterschiedlichste Szenarien über das aufzeigt, was die Menschheit erwartet – obwohl er mit den weltweit führenden Entwicklern künstlicher Intelligenz zusammenarbeitet, die ihm exklusive Einblicke in ihre Labors gewähren.

Max Tegmark: Leben 3.0. Ullstein 2017, E-Book 19,99 Euro. Jetzt kaufen Jetzt kaufen bei Amazon

Cover Emotionale Intelligenz

Emotionale Intelligenz

Seit Daniel Golemans Bestseller „Emotionale Intelligenz“ vor 20 Jahren sind Emotionen in aller Munde. Trotzdem scheint es, dass wir keinesfalls emotional intelligenter geworden sind – obwohl es gerade jetzt, in Zeiten der Transformation, so dringend notwendig wäre, wie Dr. Willms Buhse und Nicole Brandes erklären.

EQ. Emotionale Intelligenz. dtv 27. Auflage 2017, 9,90 Euro. Jetzt kaufen Jetzt kaufen bei Amazon
Markus Hornung: Der Abschied von der Sachlichkeit. Business Village 2018, 24,80 Euro. Jetzt kaufen Jetzt kaufen bei Amazon

Cover Generation Z

Das Buch zur Generation Z

Früh erforschte Prof. Dr. Christian Scholz die Gen Z. Christian Scholz: Generation Z: Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt. Wiley 2014, 19,99 Euro.

Jetzt kaufen Jetzt kaufen bei Amazon

Cover D.Quarks

d.quarksX

Digitalisierung ist für Unternehmen und Manager eine zentrale Herausforderung. Aber wie können kleine und mittlere Unternehmen (KMU) digital werden? Mit den d.quarks, die die Digitalexperten Carsten Hentrich und Michael Pachmajer von PwC entwickelt haben; sie sind Bausteine für den digitalen Wandel. Ein d.quark beschreibt eine Fähigkeit, die ein Unternehmen bei der Realisierung digitaler Geschäftsmodelle organisieren, beschaffen und entwickeln muss. Es sind Teilchen, die jedes für sich dazu beitragen, die digitale Transformation in Unternehmen zu beschleunigen.

Michael Pachmajer, Carsten Hentrich: d.quarksX – Auf den Punkt zum digitalen Unternehmen. Murmann 2017, 10 Euro.

Jetzt kaufen Jetzt kaufen bei Amazon

Der Transformationsberater Dr. Willms Buhse

Wie bringt man die Innovationskraft des Silicon Valley in das deutsche Top-Management? Dieser Frage widmet sich Dr. Willms Buhse in seinen Vorträgen, Büchern und Coachings zum Thema Digitale Transformation. Im Interview erklärt er, warum das Veränderungstempo gefährlich langsam ist und wie es Consultants gelingen kann, es zu verschärfen. Nicht, um Kasse zu machen. Sondern um den Unternehmen wirklich zu helfen. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Willms Buhse, 1970 in Langenhagen geboren, besitzt ein Diplom in Maschinenbau sowie in Wirtschaftswissenschaften. 1994 wird er an der Uni Hannover Leiter eines der ersten internationalen Internetprojekte. Seine Doktorarbeit verfasste er über das Musikgeschäft im digitalen Zeitalter. Für den Bertelsmann- Konzern gründete er in New York ein Tochter-Start-up. Und er war an der Entwicklung und Vermarktung von globalen Standards für Mobiltelefone beteiligt. Als Autor bloggt er für die Wirtschaftswoche und schreibt Bücher. Als Trainer coachte er nicht nur Top-Manager, sondern auch ein Basketballteam in Deutschland und ein Soccer-Team in New York. Willms Buhse lebt in Hamburg.

Herr Dr. Buhse, Themen wie 3-D-Druck oder Künstliche Intelligenz führen dazu, dass die Dynamik der digitalen Transformation weiter steigen wird. Sind die deutschen Unternehmen in der Mehrzahl darauf vorbereitet?
Stimmt, diese Themen sind Verstärker. Die digitale Transformation von Unternehmen ist aber mehr eine ganzheitliche Geisteshaltung. Und genau hier sehe ich den größten Nachholbedarf für Unternehmen. Erst kürzlich veröffentlichte die Gesellschaft für Konsumforschung eine Studie unter deutschen Großunternehmen. Darin sagt jeder zweite Unternehmer, dass die eigene Branche massiv transformiert werde. Beim jeweils eigenen Geschäftsmodell hingegen sehen nur 21 Prozent einen solchen starken Wandel. Hier spiegelt sich eine bedenkliche Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung wider, die wir auch selbst vor zwei Jahren in einer Studie erhoben haben. Und die Herausforderungen an das eigene Unternehmen so zu unterschätzen, ist ökonomisch hochgradig gefährlich.

Welche Rolle spielen hier die Unternehmensberater? Sollten sie aufs Tempo drücken, weil der Wandel jetzt vorangetrieben werden muss?
Unternehmensberater werden jetzt und in Zukunft hauptsächlich für zwei Dinge gebraucht: Zum einen für ihr Expertenwissen, zum anderen als Lotse und Begleiter im Transformationsprozess. Natürlich muss der Unternehmensberater wissen, wovon er redet. Aber vorrangig muss er Lust auf Veränderung machen. Er muss diesen Wandel moderieren und das dafür notwendige Handwerk vermitteln. Zur Not kann er auch mal als verlängerte Werkbank herhalten, klar. Aber ich halte nichts davon, wenn Berater mit einem Bus an Leuten vorfahren, einen Konferenzraum besetzen und am Ende mit einem Fertigrezept für den Wandel des Unternehmens wieder herauskommen.

Viel wichtiger als die künstliche Intelligenz wird aber die emotionale Intelligenz sein, also die Fähigkeit, die Menschen im Wandel mitzunehmen.

Es ist viel über Digital Leadership geschrieben worden, jedoch verändern sich die Voraussetzungen dafür ja auch mit jeder Innovation und jeder Zukunftsvision. Wie definieren Sie Digital Leadership heute?
Was mir an den meisten Definitionen fehlt, die man aus dem Markt so hört, ist die Einbettung in das große Ganze: in die digitale Transformation. Diese besitzt nämlich in jedem Unternehmen viele Dimensionen. Wir haben dafür das „Rad der Transformation“ entwickelt, das die acht typischen Dimensionen dieses Wandels beinhaltet: Digital Strategy, Digital Customer Relationships, Digital Products & Services, Digitale Prozesse, Social Collaboration, das Digitale Mindset, das Digital-Transformationsmanagement sowie – im Kern des Ganzen, alles zusammenhaltend – Digital Leadership. Es handelt sich hier also um eine neue Führungskultur, in der Führungskräfte von heute sich die Erfolgsmodelle der Digitalisierung in ihrer täglichen Führung zu Eigen machen.

Was erfordert dieses Führungsmodell?
Maximale Transparenz sowie Führen unter Unsicherheit, die sich durch die Vernetzung digital gesteuerter Entwicklungen ergibt. Dann: Offenheit für neue Produkte, Herangehensweisen, Werkzeuge und Werthaltungen sowie Partizipation der Mitarbeiter an relevanten Entscheidungsprozessen. Und Agilität in der Planung ihrer Prozesse. Zusammengefasst also: Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität – ich nenne es das VOPA-Prinzip. Und ohne dieses ist Führung nicht mehr denkbar. Dieses Prinzip bedeutet nicht, dass klassische, hierarchische, langfristige und auf Kontrolle basierende Prozesse grundsätzlich unbrauchbar sind. Aber es erfordert, dass jede Führungskraft auswählen können muss zwischen „alter“ und „neuer“ Führung. Das ist Digital Leadership.

Denken Sie, dass die Consultants heute mehrheitlich fit genug sind für bahnbrechende und hochinnovative Themen wie Künstliche Intelligenz oder Big Data?
Manche ja, viele nein. Aus meiner Sicht jedoch ein wesentlich größeres Problem ist, dass die meisten Beratungen sich nur allzu bereitwillig auf diese Hype-Themen stürzen. Weil sie aufgrund ihrer Komplexität prädestiniert für den großen Beraterbus und den extragroßen Retainer sind.

Natürlich muss der Unternehmensberater wissen, wovon er redet. Aber vorrangig muss er Lust auf Veränderung machen.

Sprich: Sie sind gut fürs Beratergeschäft?
Ja, aber die oben skizzierten Themen, die sie zuerst angehen müssten, weil in ihnen ein echtes Potenzial für die Weiterentwicklung eines Geschäfts steckt, treten in den Hintergrund. Einfach, weil sie weniger attraktiv für die Beratungen sind.

Wie kann es den Consultants gelingen, die Themen der digitalen Transformation in die Unternehmen zu tragen?
Indem sie sich in die Rolle des Lotsen begeben statt in die des allwissenden Optimierers. Mit dem Klemmbrett durch den Laden zu gehen und zu schauen, wer wie noch effizienter werden und mit Technologie noch ein wenig mehr aus sich herausholen kann – ein solches Vorgehen holt die Leute nicht ab. Mir geht es immer darum, die Unternehmen zu inspirieren, ihnen Lust zu machen auf die Veränderung sowie die Partizipation der Mitarbeiter. Und diese Energie im Unternehmen, diese Aufbruchstimmung dann zu nutzen, um sie bei der Veränderung zu begleiten. Dafür braucht es Berater und auch Trainer, die Lust haben, neue Methoden anhand individueller Beispiele zu vermitteln.

Welchen Stellenwert werden neue Methoden wie Künstliche Intelligenz oder Big Data in der Beratung selbst haben, wird die digitale Technik dafür sorgen, dass Beratung nicht nur effizienter, sondern auch zielgenauer und qualitativ besser wird?
Diese Technologien werden hier und da sicher auch zum Tragen kommen. Für uns Berater ist es ein Muss, mit modernen Werkzeugen und Methoden den angestrebten Wandel vorzuleben. Viel wichtiger als die künstliche Intelligenz wird aber die emotionale Intelligenz sein, also die Fähigkeit, die Menschen im Wandel mitzunehmen. Für alles andere wird es Tools geben. Diese emotionale Intelligenz fördern wir bei den Consultants in unserem Unternehmen. Wir setzen bei „DoubleYUU“ auf ein selbstorganisiertes Beraternetzwerk mit festen und freien Beratern, in dem jeder selbstbestimmt, flexibel und eigenverantwortlich arbeitet. Denn von Hierarchien und Berater-Sidekicks, die nur zusätzliche Stühle füllen, halte ich nichts. Viel cooler ist es doch, wenn ein Berater mit seiner Begeisterung für einen Kunden so einsteigt, dass er diesen auch überzeugen kann. Da kann es schon passieren, dass der Juniorberater dann auch im Vorstandstermin landet.

Zum Unternehmen

Willms Buhses Beratungsunternehmen Doubleyuu mit Sitz in Hamburg wurde 2009 gegründet und sieht sich als Begleiter von Unternehmen in allen Phasen der digitalen Transformation. Ziel ist dabei ein Wandel in der Unternehmenskultur, der sich nur bewerkstelligen lässt, wenn alle Bereiche vom digitalen Wandel erfasst werden. Die rund 20 festen und freien Consultants arbeiten für viele große DAX-Unternehmen, geben Leadership-Impulse oder bringen Digital-Leadership in die verschiedenen Managementebenen.

Herausforderung digitale Transformation

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Die Umsätze der Consultingbranche wachsen – inzwischen eine Erfolgsgeschichte im achten Jahr. Und sie könnten noch höher ausfallen. Allein der Mangel an qualifizierten Beratertalenten begrenzt einen noch stärken Kurvenverlauf nach oben. Haupttreiber der Entwicklung ist die Digitalisierung. Von Christoph Berger

Es ist fast schon egal, welche Internetseite von welcher Unternehmensberatung man derzeit aufruft: Fast immer springt einem das Thema Digitalisierung entgegen. „Die ‚Digitale Transformation‘ ist das Buzzword der Stunde“, heißt es dann auch auf einer der Seiten. Allerdings hat diese Fokussierung auch ihre Gründe: Laut der aktuellen McKinsey- Studie „Disruptive forces in the industrial sector – a global executive survey“ erwarten Vorstände und Unternehmensentscheider aus der Industrie, dass sich ihre Branchen in den nächsten fünf Jahren stärker verändern als in allen vergangenen Jahrzehnten. 85 Prozent der Verantwortlichen aus der Automobilindustrie, dem Maschinenbau sowie der Luftfahrt- und Verteidigungsbranche gehen davon aus, dass technologische Durchbrüche wie künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge und datenbasierte Geschäftsmodelle ihr Unternehmen komplett verändern werden.

Auch das Marktforschungsunternehmen Gartner hat sich auf die Suche nach technologischen Trends für 2018 gemacht. Folgende zehn, strategisch bedeutsamen Technologie-Trends wurden dabei von den Analysten identifiziert – unter Berücksichtigung der bereits erwähnten: intelligente Apps und Analytik, digitale Zwillinge, EDGE-Computing aus der Cloud, Konversations- Plattformen, erweiterte und virtuelle Realität, Blockchain, Reaktionsschnelligkeit sowie ein anpassungsfähiges Risiko- und Vertrauensmanagement.

Das Besondere bei alldem, auch dies wurde über die McKinsey-Studie noch einmal bestätigt: Fast jeder Zweite hält das Ausmaß der Veränderung für noch nie dagewesen. Gleichzeitig fühlen sich die traditionellen Unternehmen schlecht auf den Wandel vorbereitet. Vor allem gehe es darum, neue digitale Geschäftsmodelle aufzubauen und die dafür notwendigen Talente zu gewinnen.

Und: „Natürlich gab es auch früher Entwicklungssprünge in der Industrie. Doch diesmal verändert sich nicht nur die Technologie, sondern für alle Unternehmen auch das fundamentale Geschäftsmodell“, sagt Thomas Baumgartner, Leiter der europäischen Beratung für Industrieunternehmen bei McKinsey.

Da wundert es nicht, dass sowohl die deutsche Wirtschaft als auch der Öffentliche Sektor vermehrt nach Consultingleistungen fragen. Taktgeber ist, so die BDU-Studie „Facts & Figures zum Beratermarkt 2018“, die laufende digitale Transformation. In der gaben 93 Prozent der Befragten auch an, dass Beratungsprojekte mit Digitalisierungshintergrund ein wesentlicher Wachstumstreiber bleiben werden.