Die 3 Trends: Zukunftsperspektiven, Klimawandel, Kompetenzen

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3 Trends – 3 Fragen an Peter Hübner, Präsident der BAUINDUSTRIE

Bleibt der Bau trotz der derzeitigen Herausforderungen – Preissteigerungen, Knappheit bei Rohstoffen oder dem Krieg in der Ukraine – weiterhin eine Zukunftsbranche für junge Bauingenieurinnen und Bauingenieure?
Ja, denn eines ist klar: Ohne uns geht es nicht. Wir bauen Krankenhäuser, Schulen, Wohnungen, Altenheime und Verkehrswege – wir begleiten die Bürgerinnen und Bürger ein Leben lang. Der Bau war und ist die Stütze der deutschen Volkswirtschaft. Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung auch weiter den notwendigen Fokus auf den Infrastrukturausbau und die Modernisierung setzt, damit unser Land vorankommt. Wir haben in den letzten 15 Jahren 200.000 Menschen (das ist nur der Nettowert bzgl. Rentenaustritte. Wir könnten sogar mit „über 460.000“ rangehen) eingestellt. Das hat keine andere Branche geschafft. In den letzten zwei Jahren gab es immer mehr Ausbildungsabsolventen. Wir haben einfach eine extrem gute Zukunftsperspektive zu bieten. In den kommenden Jahren müssen wir diese Perspektive noch stärker herausstellen, da wir allein auf Grund der Abgänge in die Rente viele neue Menschen beschäftigen wollen. Der Bau ist vielfältig, innovativ und schafft Arbeits- und Lebenswelten, die Generationen überdauern. Diese Faszination zu vermitteln, ist eine Zukunftsaufgabe, um im „war for talents“ zu bestehen. Der Fokus auf digitale Arbeitsmethoden und innovative Produkte wird wiederum Begeisterung bei jungen Menschen auslösen und neben der Produktivität auch die Branchenattraktivität steigern würden.

Welche Rolle ordnen Sie den Unternehmen der Bauindustrie in den für sie so zukunftsentscheidenden Themen Klima- und Umweltschutz sowie der digitalen Transformation zu?
Die Bauindustrie bekennt sich etwa klar zu den Klimaschutzzielen im Gebäudesektor, der rund 40 Prozent aller CO2-Emissionen bundesweit emittiert. Auch wenn wir als Bauindustrie nur einen Bruchteil dieser Emissionen selbst verantworten, können wir dem Gebäude- und auch anderen Sektoren helfen, ihre Emissionen langfristig zu senken. Wir sind eine Schlüsselbranche für den Klimaschutz, der enormen Bauaufgaben mit sich bringt. Doch wie gelingt nachhaltiges Bauen in der Praxis? Technisch sind wir bereits heute in der Lage, klimaschonend zu bauen. Wir sind allerdings auf einen Auftraggeber angewiesen, der diese Potentiale abruft und beauftragt. Gerade die öffentliche Hand nutzt dies bisher noch zu wenig. In fast allen öffentlichen Ausschreibungen zählt ausschließlich der Preis und nicht die beste Idee. Um dies zu ändern, braucht es einerseits Vergabekriterien, die eine Bewertung der nachhaltigsten und wirtschaftlichsten Idee transparent und nachvollziehbar möglich machen. Andererseits sollten bei Projektvergaben Emissionen über alle Phasen des Lebenszyklus berücksichtigt werden, damit wir ganzheitlich optimieren können. Digitalisierung wird uns dabei helfen: Building Information Modeling (BIM) spielt neben Technologien wie Robotik, dem Einsatz von Drohnen, Sensorik etc. bereits heute eine entscheidende Rolle, um Bauwerke ganzheitlich zu planen bzw. den Bauablauf zu verbessern. Unternehmen, Planer und Auftraggeber erkennen mehr und mehr die Vorteile dieses Ansatzes: weniger Fehlplanungen durch digitale Simulation des Bauvorhabens vor Baubeginn oder Zeit- und Kostenreduktion durch optimierte Personal-, Material-, Geräte- und Maschineneinsätze. Doch: Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern eine gemeinsame Aufgabe aller Bau-Beteiligten, um die Anforderungen der Kunden und Nutzer zu erfüllen, und die Komplexität durch die verändernden ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen zu meistern. Nachhaltiges Bauen, mehr Wohnungen, Sanierung der Brücken, Ausbau der Infrastruktur: Um all die vor uns liegenden Bauaufgaben bewältigen zu können, müssen wir unsere Produktivität durch Industrialisierung steigern. Auch hierbei wird uns die digitale Transformation helfen.

Ohne die Bauunternehmen werden auch die Mobilitätswende, die Energiewende oder bezahlbares Wohnen nicht klappen. Wächst das erforderliche Kompetenz-Set für Bauingenieurinnen und Bauingenieure damit erheblich an?
Wenn wir uns als Gesellschaft eine Nachhaltigkeitsagenda geben wollen, muss die praktische Planung und Ausführung mit innovativen Ideen und fachlich exzellent ins Werk gesetzt werden. Natürlich bedeutet das auch eine enorme Entwicklung der Themenvielfalt im Bauingenieurwesen und eine Potenzierung beruflicher Optionen. Für Studierende bringt das vor allem mehr Wahlmöglichkeiten mit sich. Sie können den klassischen Weg über ein generalistisch ausgelegtes Studium mit Anteilen von Baukonstruktion, Statik, Geotechnik, Verkehrs- und Wasserwesen oder Baumanagement wählen. Sie können ihr Interessengebiet aber auch schon im Bachelor, oder später im Master durch eine zunehmende Anzahl fachlicher Wahlmöglichkeiten klarer eingrenzen und sich stärker spezialisieren. Daneben treten immer mehr duale Studiengänge, die von Beginn an einen höheren Spezialisierungsgrad aufweisen, etwa im Projektmanagement oder der Fassadentechnik. Letztlich geht es also nicht darum, ob das notwendige Kompetenz-Set anwächst. Es geht vielmehr darum, ob die Möglichkeit der Kompetenzentwicklung sich erweitert, um neue gesellschaftlich relevante Aspekte mit dem Bauingenieurwesen zu verknüpfen. Und diese Frage ist eindeutig mit „Ja“ zu beantworten. Neue Aufgabenfelder machen den Beruf nicht schwieriger, den Weg durchs Studium nicht steiniger, sondern erfordern oft nur eine stärkere Spezialisierung im Studium oder im späteren Beruf, ohne dabei die nötigen Kernkompetenzen eines qualitativ hochwertigen Bauingenieur-Studiums zu vernachlässigen.

Peter Hübner auf dem Tag der Bauindustrie 2022 #TBI2022

Bauindustrie wird zentrale Meta-Branche

Die Digitalisierung mit Methoden wie BIM ist für den Bau der zentrale Hebel, um nachhaltig und klimaschonend zu bauen. Das weiß die Industrie – doch findet die Umsetzung weiterhin nur gebremst statt. Das muss sich ändern, denn nur eine hohe Transformationsdynamik lockt die Talente an. Und die sind nötig, damit die Bauindustrie ihr großes Ziel erreicht: Mit Innovationen dafür zu sorgen, dass sie Probleme löst. Ein Essay von André Boße

Urbane Resilienz – das klingt zunächst nach einem der vielen Buzzwords, die aktuell durchs Netz geistern, heute noch jeden zu interessieren haben, morgen aber schon wieder vergessen sind. Aber Vorsicht, man tut gut daran, sich diesen Begriff zu merken. Vor allem, wenn man als Nachwuchskraft mit einem Abschluss im Fach Bauingenieurwesen auf eine Karriere hinarbeitet, die zwei Dinge verbindet: Erfolg und Sinnhaftigkeit. Was also ist urbane Resilienz? Im großen Stil besprochen wurde die Begrifflichkeit beim von der Bundesregierung veranstalteten dreitägigen Bundeskongress für Nationale Stadtentwicklungspolitik, der Mitte September in Berlin stattfand. „Transformation gestalten – Aufbruch zur urbanen Resilienz“ lautete der Titel der Tagung. Es ging darum, Strategien zu entwickeln, um die Städte widerstandsfähig zu machen. Gegen soziale Problemlagen. Gegen Gentrifizierung und demografische Entwicklungen. Und gegen den Klimawandel. Wobei Resilienz bei Letzterem gleich zwei Bereiche betrifft: Zum einen muss die Stadt von morgen dafür sorgen, die Folgen des Klimawandels abzumildern. Zum anderen steht sie vor der Aufgabe dazu beizutragen, dass die CO2-Emmissionen signifikant sinken.

Smart City: die große Vernetzung

„Alles, was der Hoch- oder Tiefbau errichtet, wird eingebettet in eine Datenstruktur. Kein Gebäude, kein Abwasserkanal, keine Straße, keine Brücke steht mehr nur für sich.“
Wie das gelingen kann? Die Initiative Nationale Stadtentwicklungspolitik ist Mit-Initiatorin der Digitalplattform Smart Cities. Moment, Smart City – ist das nicht auch so ein viel genanntes Buzzword? Nach dem Motto, wenn das Handy smart ist, dann sollten es auch alle anderen Dinge sein, Häuser, Autos und eben auch Städte? Genau gegen dieses Vorurteil geht die Digitalplattform mit Hilfe einer Smart City Charta an, die konkrete Leitlinien dafür vorgibt, was eine Smart City leisten soll. „Die Digitalisierung wird viele Bereiche von Verwaltung, Wirtschaft und Stadtgesellschaft weiter verändern“, heißt es in der im Internet abrufbaren Charta. „Smart City nutzt Informations- und Kommunikationstechnologien, um auf der Basis von integrierten Entwicklungskonzepten kommunale Infrastrukturen, wie beispielsweise Energie, Gebäude, Verkehr, Wasser und Abwasser zu verknüpfen.“ Das bedeutet: Alles, was der Hoch- oder Tiefbau errichtet, wird eingebettet in eine Datenstruktur. Kein Gebäude, kein Abwasserkanal, keine Straße, keine Brücke steht mehr nur für sich. Alles, was gebaut wird, wird Teil eines digitalen Netzwerks. Mit dem Ziel, Ressourcen zu schonen, Mobilität neu zu denken, den Wohlfühlfaktor in den Städten zu erhöhen. Oder, auf ein Schlagwort gebracht: die urbane Resilienz zu erhöhen. Nun könnte ein wenig agil denkender Bauingenieur (oder eine wenig agil denkende Bauingenieurin) vermuten, dass diese Anforderungen an den Bau die Kapazitäten endgültig sprengen: Was soll der Bau denn noch alles leisten – zumal in Zeiten von Krisen und Kriegen, die steigende Preise und andere wirtschaftliche Sorgen auslösen. Darf sich das Bauwesen da nicht selbst genügen?

Studie zeigt Lücke bei digitaler Transformation

Nein, darf es nicht. Heute weniger denn je. Aber der Schritt der oben beschriebenen Vernetzung ist gar nicht so groß, wie er zunächst klingt. Schon jetzt vernetzen sich in einem modernen Bauprojekt die verschiedenen Akteure, sie arbeiten zusammen in digitalen Modellen, nutzen dafür verstärkt BIM, Building Information Modeling, eine smarte Lösung für digitale Vernetzungsansprüche in allen Phasen, von der Planung über den Bau sowie die Bewirtschaftung bis zum Rückbau. Das Projekt in einem zweiten Schritt an eine übergeordnete Dateninfrastruktur anzubinden, ist dann gar nicht mehr so komplex.

Studie zum „Image der deutschen Bauwirtschaft“

Wer den Fachkräftemangel beheben will, muss attraktiv für Talente sein. Wie aber ist es um das Image der deutschen Bauwirtschaft bestellt? Dieser Frage ging der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) in der „Imagestudie 2022“ nach. Das Fazit: „Das Image der Bauindustrie wandelt sich, und das zum Guten“, heißt es in der Studienzusammenfassung auf der Homepage des Hauptverbands. Keine andere Industrie oder Branche habe in den vergangenen Jahren so klare Imagezuwächse verzeichnet. „Die Studie zeigt allerdings auch, dass durchaus Kommunikationsbedarf besteht“, heißt es weiter. „Gerade jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zweifeln an der rasant voranschreitenden Modernisierung der Branche, der Innovationskraft, dem Beitrag zum Kampf gegen die Klimakrise und nicht zuletzt an den Verdienstmöglichkeiten.“ Die Studie, die der HDB zusammen mit dem Allensbacher Institut erstellt hat, ist als Zusammenfassung oder Komplettversion gratis im Netz über die Homepage des Verbandes verfügbar: www.bauindustrie.de
Jedoch muss selbstverständlich der erste vor dem zweiten Schritt gemacht werden, und hier gibt es immer noch genug zu tun. Eine Studie der Unternehmensberatung PwC aus dem Dezember 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass sich bei einer Umfrage in der deutschen Bauindustrie die Teilnehmenden einig darüber waren, dass die Digitalisierung „große Chancen“ bietet. Jedoch erkannten die Studienautor*innen bei den Einschätzungen der Befragten eine Lücke zwischen „dem Potenzial digitaler Lösungen und den eigenen Fähigkeiten“, wie es in der Studie heißt. Diese Lücke sei nicht neu, habe sich im Vergleich zu älteren Befragungen jedoch nicht verkleinert. Wo die Hindernisse für eine schnellere Entwicklung liegen? Auch hier liefert die PwC-Studie ein Ergebnis: „Die größte Herausforderung bei der Nutzung digitaler Lösungen ist nach wie vor der Fachkräftemangel.“

Das Henne-Ei-Dilemma

Die Lage ist ein wenig verzwickt: Der Bau benötigt digitale Talente, um den nächsten Schritt der Transformation zu gehen. Jedoch wirkt die Branche auf den Nachwuchs nur dann attraktiv, wenn sie in Sachen Digitalisierung Schritt halten kann. Das erinnert an die Frage, was denn zuerst da war, die Henne oder das Ei. Gefragt sind an dieser Stelle auch die Bauunternehmen: Sie müssen der jungen Generation zeigen, dass sie es mit der digitalen Transformation und ihrer zentralen Methode BIM ernst meinen. Die Talente wiederum stehen vor der Aufgabe, sich die großen Perspektiven der Branche vor Augen zu halten. Junge Menschen sollten die Chance sehen, als Digital Natives die Branche dabei zu unterstützen, ein neues Mindset zu entwickeln – ein Mindset nämlich, das Digitalisierung und Nachhaltigkeit ganz selbstverständlich zusammendenkt. Und wer als junger Mensch Interesse daran hat, mit seiner Arbeit in Sachen Nachhaltigkeit einen großen Hebel zu bedienen, der ist in der Bauwirtschaft sowieso richtig aufgehoben.
„Und wer als junger Mensch Interesse daran hat, mit seiner Arbeit in Sachen Nachhaltigkeit einen großen Hebel zu bedienen, der ist in der Bauwirtschaft sowieso richtig aufgehoben.“
Untersuchungen wie die Studie „Umweltfußabdruck von Gebäuden in Deutschland“ vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigen, dass die Herstellung, Errichtung, Modernisierung und Nutzung sowie der Betrieb von Wohn- und Nichtwohngebäuden einschließlich vor- und nachgelagerter Prozesse für rund 40 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich sind. Zwar besitzt der direkte Ausstoß der Bauunternehmen an diesen 40 Prozent nur einen Anteil von 2,6 Prozent, der Rest entfällt auf die Grund- und Baustoffhersteller, die Zulieferer und insbesondere, mit fast 75 Prozent, die Nutzung und den Betrieb der Gebäude. Jedoch stehen die Bauunternehmen in der Verantwortung, als zentrale Akteure der Bauwirtschaft alle anderen Akteure auf den Pfad für mehr Klima- und Umweltschutz mitzunehmen.

Vision 2035: Stark, schnell, klimafreundlich

Was möglich ist, zeigt ein Positionspapier der vom Fraunhofer Institut initiierten Fraunhofer Allianz-Bau. Die Task-Force hat Visionen für die Bauindustrie mit Bick auf das Jahr 2035 entworfen. Nach der Devise des US-Unternehmers John Rohn, nach der man sich nicht auf das Problem fokussieren sollte, sondern auf die Lösung, haben die Expert*innen von der Fraunhofer Allianz-Bau Meilensteine skizziert, die 2035 erreicht sein könnten. Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv. Aber: Diese Visionen sind kein reines Wunschdenken, sondern sie formulieren erreichbare Ziele. Zu diesen Visionen zählt eine Bauwirtschaft, die sich zu einem „Netzwerk der Agilität und Produktivität“ entwickelt hat, wie es im Internet abrufbaren Positionspapier der Task- Force mit dem Titel „Bauen der Zukunft“ heißt: „Dank digitalisierter Prozesse und einer Kultur der Zusammenarbeit ist es gelungen, die stark fragmentierte und kleinteilige Bauwirtschaft zu einem starken und agilen Leistungsnetzwerk umzuformen. Die bewahrte mittelständische Struktur ist nachhaltig gestärkt und hat sich zum internationalen Maßstab in Agilität, Umsetzungsqualität und Innovationsgeschwindigkeit entwickelt. Die Start-Up-Szene wächst und spricht viele engagierte Nachwuchskräfte an.“ Und weiter: „Dank der Digitalisierung konnten viele sonst sehr zeitraubende Genehmigungs- und Zulassungsprozesse automatisiert und deutlich beschleunigt werden.“ Auch eine starke Klimaschutzbilanz ist Teil der Vision 2025: „70 % der CO2-Ausstöße des Referenzjahres 2019 konnten durch die Bauwirtschaft dank der neuartigen modularen und individualisierbaren Sanierungssysteme bereits reduziert werden“, formulieren die Studienautor*innen. Stark, schnell, klimafreundlich – und damit absolut attraktiv für junge Talente. So kann sie sein, die deutsche Bauindustrie im Jahr 2035!

Gebäude im Bann des Klimawandels

Die Bauindustrie steht mit Blick auf die Klimakrise vor gleich zwei Aufgaben. Zum einen muss sie dringend ihren CO2- Fußabdruck verkleinern. Zum anderen muss sie Gebäude planen und bauen, die den jetzt schon erkennbaren Folgen des Wandels standhalten können – und zwar natürlich, ohne zusätzliche Emissionen zu verursachen. Wie das funktionieren kann, zeigt ein Papier mit Handlungsempfehlungen, das Forschende der Uni Stuttgart entwickelt haben. Demnach geht es darum, die Sommerhitze in den Gebäuden zu reduzieren. Faktoren hierfür sind Material und Farbe der Fassade, Ausrichtung und Qualität der Verglasung sowie viel Grün außerhalb des Gebäudes: das kühlt und schenkt im Sommer Schatten. Einen Blick richten die Forschenden auch auf Extremwetterereignisse, die in der Folge des Klimawandels zunehmen können. Um Schäden durch Starkregen oder Hagel zu vermeiden, empfehlen sich an stark beanspruchten Gebäude-Elementen robuste Materialien. Um einer Überflutung vorzubeugen, schlagen die Forschenden vor, urbane Freifläche zu entsiegeln, ober- oder unterirdisch Speicherbecken zu installieren sowie Gebäudeöffnungen in flutgefährdeten Bereichen besonders zu schützen. Die gesamten Handlungsempfehlungen sind im Internet auf der vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen betriebenen Seite zukunftbau.de abrufbar.

Viele Disziplinen – Bauingenieur*innen im Zentrum

Aber natürlich ist das kein Selbstläufer. Die Bauforscher* innen von der Fraunhofer Allianz-Bau stellen den möglichen Ergebnissen einen zentralen Handlungsbedarf in vielen Feldern entgegen. So fordern die Autor*innen des Positionspapiers eine ökologische und strukturelle Transformation, die zu einer Innovationsoffensive führt. Umsetzen könne man diese nur, wenn sich alle Akteure der Bauwirtschaft dem interdisziplinären Ansatz stellen – schon allein, „um der hohen Komplexität Herr zu werden“, wie es im Papier heißt. Sprich: Die Bauindustrie entwickelt sich zu einer Art zentraler Meta-Branche, in der die Talente und Expertisen ganz verschiedener Denkrichtungen zusammenkommen. Wobei die Bauingenieur*innen eine Schlüsselrolle übernehmen: Bei ihnen laufen die Fäden zusammen, sie stellen das Herz des interdisziplinären Netzwerks dar, in dem die technischen Belange der Gewerke genauso einfließen wie Nachhaltigkeitskriterien, digitale Methoden wie BIM, soziale, politische oder ethische Erwartungen sowie das Zusammenspiel des einen Bauvorhabens mit den digitalen Infrastrukturen des systemischen Netzwerks. Man erkennt hier die Vielfalt der Disziplinen: IT und Ethik, Sozialforschung und Politik, Umwelttechnik und Stadtplanung – mit Bauingenieur*innen an zentraler Stelle. Damit die Bauingenieur*innen diese Arbeit leisten können, muss die Bauindustrie weitere Änderungen anstoßen und verwirklichen. Benötigt werde, so heißt es im weiter in dem Papier, erstens, ein weiterer Schub bei der Digitalisierung – insbesondere, was Themen wie Prozessoptimierung, Transparenz, automatisierte und systemische Vernetzung aller Prozessbeteiligten betrifft. Zweitens sei die Weiterentwicklung von „vorzufertigenden, modularen Bausystemen“ wichtig, um am Bau agiler und flexibler tätig sein zu können – gerade auch mit Blick auf aktuelle Krisensymptome wie Verfügbarkeit und Preise von Roh- und Baustoffen sowie der Verletzlichkeit globaler und regionaler Lieferketten. Drittens fordert die Allianz- Bau eine echte „Materialinnovation“, die verstärkt biobasierte, nachwachsende und recyclingfähige Baustoffe einsetzt – „in Kombination mit neuen Verarbeitungsprozessen und besserer Trennbarkeit“, sodass im Vorfeld des Baus sowie beim Rückbau die Gedanken der Kreislaufwirtschaft eingehalten werden. Um diese großen Aufgaben zu stemmen, braucht das deutsche Bauwesen motivierte, engagierte und fachlich herausragende Talente. Um sie zu gewinnen, muss die Branche nicht nur attraktive Jobs bieten. Sie muss auch die Chance ergreifen, zu zeigen, was in diesem Segment möglich ist. Es geht wortwörtlich darum, die Zukunft zu bauen. Eine Zukunft, die vernetzt und komplex sein wird, nachhaltig und ressourcenschonend, krisenfest und resilient. Eine Zukunft, zu gut, um nicht daran mit anpacken zu wollen.

Buchtipp

Nachhaltige und digitale Baukonzepte

Cover Nachhaltige und digitale BaukonzepteIn Anbetracht der Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Umwelt müssen bestehende Prozesse in vielen Bereichen unserer Gesellschaft überdacht werden. Damit einhergehend ist es wichtig, innovative und vor allem auch ökologische Konzepte vermehrt in den Fokus zu rücken. Da die Baubranche einen massiven Anteil an den negativen Effekten auf unsere Umwelt hat, liegt es nahe, erfolgsversprechende Ansätze genau in diesem Bereich ausfindig zu machen. Mithilfe digitaler Konzepte sind verschiedene Zusammenhänge so modifizierbar, dass Abläufe nicht nur effektiver, sondern insbesondere auch nachhaltiger werden. So stellt sich im Hinblick auf die anstehenden Herausforderungen infolge des Klimawandels die Frage, welche zusätzlichen Potenziale sich durch innovative Herangehensweisen ergeben. Das vorliegende Sammelwerk präsentiert diesbezüglich aktuelle und zukunftsweisende Konzepte aus verschiedenen Bereichen der Baubranche. Thomas Kölzer (Hrsg.): Nachhaltige und digitale Baukonzepte: Methoden und Wege zu einer ökologisch ausgerichteten Baubranche. Springer Vieweg 2022, 49,99 Euro

Der Generationendialog

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Die Faktenlage ist klar: Bis 2045 will Deutschland klimaneutral werden, was für die Bauindustrie eine besondere Herausforderung darstellt: EU-weit ist sie für 36 Prozent der Emissionen von CO₂ sowie für 40 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich. Wie schnell geht es in Sachen Klimaschutz voran? Wie kann das Tempo erhöht werden – und welche Rolle spielen dabei die Bauingenieur*innen? Wir haben Vertreter zweier Generationen zu einer Diskussion zu diesen Themen eingeladen: Dr.-Ing. Lars Meyer, geboren 1973, ist seit 2007 Geschäftsführer des Deutschen Beton- und Bautechnik-Vereins, Sebastian Lederer, Jahrgang 1996, ist Aktivist bei Architects for Future und hier auf Bundesebene im Kernteam Politik. Was beide eint, ist die Gewissheit, dass es die Bauingenieur*innen sind, die den Schlüssel für eine lebenswerte Zukunft in den Händen halten. Die Fragen stellte André Boße

Zu den Personen

Sebastian Lederer, Foto: Sophie Tichonenko
Sebastian Lederer, Foto: Sophie Tichonenko
  „Es reicht nicht mehr aus, an den Einzelnen zu appellieren. Es müssen entweder die Bauweisen, die besonders zukunftsfähig sind, gefördert werden. Oder diejenigen, die besonders schädlich sind, verteuert werden.“ Sebastian Lederer   Sebastian Lederer, Jahrgang 1996, begann nach dem Abitur ein Studium der Elektro- und Informationstechnik. Dem Wunsch nach Praxisbezug folgend, entschloss er sich, stattdessen eine Schreinerausbildung zu absolvieren. Nach dem Abschluss bewarb er sich für ein Arbeitsvisum in Kanada, wo er zwei Jahre lang lebte, als Schreiner und Zimmermann arbeitete und mit der Zeit auch Bauleitungsaufgaben übernahm. Seit 2019 studiert er Architektur an der HTWG Konstanz. Er ist Gruppensprecher von Architects for Future Konstanz sowie aktiv im Verein Foodsharing.    
Lars Meyer, Foto: © DBV / Ulf Büschleb
Lars Meyer, Foto: © DBV / Ulf Büschleb
Dr.-Ing. Lars Meyer, Jahrgang 1973, trat nach seinem Bauingenieurstudium an der Universität Hannover 1999 in die Dienste des Deutschen Beton- und Bautechnik-Vereins (DBV) ein. Nach Übernahme der Geschäftsführung im Schwesterverband Gemeinschaft für Überwachung im Bauwesen e.V. (GÜB) im Jahr 2002 und seiner Promotion an der RWTH Aachen 2007 wurde Dr. Meyer im gleichen Jahr zum DBV-Geschäftsführer bestellt. Zweck des DBV ist u.a. die Förderung von Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet des Bauwesens und insbesondere des Betonbaus.   „Das Tempo muss drastisch zunehmen, und die Klimakrise ist das Problem unserer Generation.“ Lars Meyer
Herr Lederer, Herr Meyer, wie beurteilen Sie aktuell die Dynamik und das Tempo im Bauwesen, mehr für den Klimaschutz zu tun? Sebastian Lederer (S.L.): Es geht zu langsam voran, zumal die wesentlichen Erkenntnisse bereits seit 1972 vorliegen, als die Wissenschaftler*innen vom Club of Rome erklärten: Wir haben ein Problem, denn die Ressourcen der Erde sind endlich – und damit müssen wir uns auseinandersetzen. 50 Jahre sind seit dieser Analyse vergangen, doch das Problem ist immer noch nicht gelöst. Im Gegenteil, es hat sich dramatisch verschärft. Das liegt auch am zu geringen Tempo des Bauwesens, das sich jetzt dringend erhöhen muss. Lars Meyer (L.M): Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, Herr Lederer. Es ist zutreffend, dass wir zu langsam sind, obwohl die Erkenntnisse vorliegen. Das Tempo muss drastisch zunehmen, und die Klimakrise ist das Problem unserer Generation. Wobei ich befürchte, dass der Blick auf diese Krise bei den vielen Krisen, denen wir aktuell gegenüberstehen, an Schärfe verlieren könnte. Das darf aber nicht passieren. Hier stehen alle Generationen in der Verantwortung – auch die, die zu lange zu wenig getan haben. Was muss passieren, damit jetzt schneller gehandelt wird? L.M.: Es geht zum Beispiel darum, viel offener, ehrlicher und ganzheitlicher über die Kosten von Bauvorhaben zu sprechen. So lange die Anreize, so zu bauen, wie wir es immer getan haben, größer sind, als die Anreize, klimaschonend zu bauen, werden wir das Problem nicht lösen. Bisher wurde akzeptiert, dass das Verbrauchen von Ressourcen, das Freisetzen von CO2 oder das Verschmutzen unseres Planeten monetär nicht abgebildet werden muss. Die Folgen erkennen wir jetzt und sehen – neben humanitären – auch wirtschaftliche Schäden. S.L.: Wobei die Kosten der Klimakrise ja nur zu einem kleinen Anteil in Europa auftreten, also bei uns als Verursachern, sondern im globalen Süden, bei den Menschen, die nichts dafürkönnen. Auch diese Schuld tragen wir, sie wird jedoch ökonomisch noch weniger abgebildet, weil die Kosten ja nicht bei uns anfallen. L.M.: Ich bin Vater von zwei Kindern, und wenn ich mir klar mache, was für eine Welt wir der jüngeren Generation auch hierzulande überlassen und wie wir ihnen – im doppelten Wortsinn – ihre Zukunft „verbauen“, dann spüre ich einen Kloß im Hals. Weil ich mich mit verantwortlich dafür fühle, dass zu lange zu wenig passiert ist. Ganz konkret: Welche Stellschrauben sehen Sie, um die Dynamik des Klimaschutzes in der Bauwirtschaft zu erhöhen? S.L.: Herr Meyer hat bereits den marktwirtschaftlichen Ansatz anklingen lassen, den ich unterstützen möchte: Lasst uns doch die Kosten, die momentan noch die Gesellschaft trägt, die also externalisiert werden, einpreisen – was bedeutet, dass zum Beispiel die Folgekosten der CO2-Belastung von Baustoffen für Ziegel oder Beton im Preis abgebildet werden. Und lasst uns das auch beim Abbruch von Gebäuden machen. Sprich: Investor*innen haben von Beginn an den Preis für den Rückbau vor Augen – was zur Folge hat, dass sie erkennen, wie viel besser sich ein Baustoff rechnet, der nicht auf der Deponie landet, sondern den man als Sekundärbaustoff wiederverwenden kann. Folgt man diesem Ansatz, kostet der Baustoff Beton bald wesentlich mehr. Sehen Sie als Geschäftsführer des Betonvereins hier ein Problem, Herr Meyer? L.M.: Die steigenden Preise, die wir aktuell erleben, ausgelöst insbesondere von der Energiekrise durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sind erst der Anfang. Ein Problem ergibt sich daraus insbesondere dann, wenn man denkt, man könnte so weiterbauen, wie bisher. Das darf aber sowieso keine Option sein, wie wir bereits festgestellt haben. Sie fragten nach den Stellschrauben, ich denke, es gibt drei, die ich auch von ihrer Dringlichkeit wie folgt priorisieren würde: Erstens müssen wir in kürzester Zeit die CO2-Emissionen im Bauwesen reduzieren, zweitens müssen wir unsere Gebäude und Infrastruktur auf Klimaresilienz trimmen, drittens müssen wir in eine Kreislaufwirtschaft hineinfinden. Die oberste Priorität hat also der Klimaschutz, und hier geht es meiner Auffassung nach darum, dass man für den Verbrauch von Emissionsrechten mehr bezahlen muss, als es heute der Fall ist. Denn noch hat der CO2-Preis keine lenkende Wirkung für das Bauwesen, weil er im Rahmen der Gesamtkosten untergeht.
„Eine Zementherstellung ohne CO₂-Emissionen wird es nicht geben, – aber die Zukunft des Baus muss genau das sein: emissionsfrei.“ Sebastian Lederer
Was ein Problem ist, weil die Branche bis 2045 dekarbonisiert sein soll. L.M.: Mit Maßnahmen wie Einsparungen oder dem Einsatz von erneuerbaren Energien wird man es beispielsweise in der Zementindustrie in Deutschland schaffen, von etwa 20 Millionen Tonnen auf rund 10 Millionen Tonnen CO2-Äquvalente pro Jahr herunterzukommen, sprich: Die Hälfte bleibt. Und diese zweiten 10 Millionen Tonnen müssen aufgefangen und genutzt oder an geeigneter Stelle dauerhaft und sicher gespeichert werden. Damit das gelingt, benötigen wir eine Carbon Capture Utilisation & Storage-Infrastruktur, kurz CCUS. Diese gibt es heute noch nicht – und erst recht nicht flächendeckend. Wir müssen sie aufbauen, was Kosten verursacht, sodass die Kosten von Beton auf ein Vielfaches steigen. Die Botschaft ist also klar: Beton wird um ein Vielfaches teurer. Herr Lederer, wäre die Abkehr vom Beton nicht sinnvoller, als den Baustoff für viel Geld auf die Nettonull zu bringen? S.L.: Eine Zementherstellung ohne CO2-Emissionen wird es nicht geben, – aber die Zukunft des Baus muss genau das sein: emissionsfrei. Die logische Folge daraus ist, dass wir Alternativen zum herkömmlichen Beton finden müssen. Ein erster Schritt ist es, auf ihn in Feldern zu verzichten, in denen wir ihn nicht unbedingt benötigen. Heute nutzen wir Beton inflationär, zum Bespiel beim Bau von Einfamilienhäusern. Welche alternativen Baustoffe haben Sie im Sinn? S.L.: Zum Beispiel Lehm, der in großen Mengen vorhanden ist. Und auch das Bauen mit Holz oder anderen nachwachsenden Rohstoffen muss intensiviert werden, sodass wir in Gebäuden sogar CO2 speichern können. L.M.: Wobei das Holz zwar ein nachwachsender Rohstoff, aber trotzdem knapp ist. Zumal abgeholzte Wälder die Klimakrise noch beschleunigen. Daher muss auch bei alternativen Baustoffen gefragt werden: Welche Konsequenzen hat es, wenn wir mit ihnen bauen? Ich denke, das muss die zentrale Frage für alle Bauvorhaben sein: Jeder Bau ist ein Eingriff in die Umwelt, und wir müssen uns eingehend damit beschäftigen, was für Folgen dieser Eingriff hat und welche Kosten durch ihn entstehen.
„Bauunternehmen sind in der Lage ihre Geschäftsmodelle anzupassen und mit allen Baustoffen zu bauen. Klar ist aber, dass nicht die Bauunternehmen entscheiden, was und womit gebaut wird. Das entscheiden der Bauherr und der Planende.“ Lars Meyer
S.L.: Kurz zum Holz: Viele Wälder werden heute abgeholzt, um an die Kiesvorkommen zu gelangen, die unter dem Waldboden liegen, wobei dieser Kies dann wiederum für die Betonherstellung genutzt wird. Und auch für das ebenfalls notwendige Kalk werden in Indonesien Bäume gefällt. Das finde ich problematisch. Eine Lösung wäre es, Baustoffe zu regionalisieren: Überall dort, wo wir in Deutschland eine gesunde Forstwirtschaft haben, ist es möglich, Holz als einen von mehreren Pfeilern der deutschen Bauwirtschaft zu betrachten. L.M.: Wir sind als Betonverein sehr daran interessiert, den Beton neu zu denken, ihn zum Beispiel mit anderen Baustoffen zu kombinieren. Da gibt es Potenziale, die wir durch die Forschung und Entwicklung heben wollen. Wobei auch an dieser Stelle klar sein muss, dass durch solche Verbindungen von Baustoffen die Sache komplexer wird – und damit aufwendiger und teurer. Diese Wahrheit muss man immer mitkommunizieren: Verfolgen wir das Ziel, in Deutschland 400.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, um dem Bedarf gerecht zu werden, um Wohnraum bezahlbar zu halten, dann müssen die Baustoffe für diese Gebäude ja irgendwo herkommen. Setzen wir auf Klimaneutralität – und das ist alternativlos –, dann gelingt das nicht mehr zu einem Preis von beispielsweise 2.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Billig und klimaneutral bauen – das funktioniert nicht. Es ist die Aufgabe der Politik, diesen Widerspruch aufzulösen. Bauunternehmen sind in der Lage ihre Geschäftsmodelle anzupassen und mit allen Baustoffen zu bauen. Klar ist aber, dass nicht die Bauunternehmen entscheiden, was und womit gebaut wird. Das entscheiden der Bauherr und der Planende.

Über den Moderator:

Foto: Marcus Pietrek
Foto: Marcus Pietrek
André Boße ist Journalist, Buch-Autor, Dozent und Kritiker. Seine Interviews, Reportagen und Essays veröffentlicht er u.a. in der Süddeutschen Zeitung, Spiegel, Die Zeit, Musikepxress und GALORE. Er hat ausführlich Persönlichkeiten wie Tom Schilling, Rapper Kontra K., Mai Thi Nguyen-Kim, Beyoncé und Dirk Nowitzki interviewt. Als Dozent für Journalismus ist er überdies an Akademien und Hochschulen tätig. Seit 2009 schreibt er für karriereführer Trendthemen und interviewt Top-Manager*innen. Aktuell gibt er ausnahmsweise auch mal selbst Interviews zu seinem neuen Buch über „Die drei ???“ in der Reclam-Reihe „100 Seiten“. Unterwegs ist er an liebsten in pünktlichen Zügen, auf grünen Hundewiesen und in europäischen Städten, wo er eine perfekt eingestellte Antenne dafür hat, die besten Plattenläden zu finden.
Also ist der Bauherr die zentrale Stelle: Er muss sich für ein klimaneutrales Gebäude entscheiden. L.M: Genau. Wobei ihm die Politik die Anreize dafür geben muss. Zum Beispiel, indem sie ihn verpflichtet, nicht nur auf die tatsächlichen Baukosten zu schauen, sondern auch die Folgekosten für das Klima und die Umwelt zu berücksichtigen. Aber noch ist das Mindset der Bauherren preisgetrieben. L.M.: Umso wichtiger ist es, dass die sicherlich unbequeme Wahrheit der Gesamt- und Folgekosten benannt wird. S.L: Einige Landesregierungen haben diesen Schritt gemacht, indem sie CO2-Schattenpreise errechnen, mit denen man die Folgen für das Klima transparent macht. L.M.: Das ist ein erster guter Schritt, wobei diese Landesregierungen bisher am Ende doch zumeist herkömmlich bauen, weil für die klimaschonende Alternative die Haushaltsmittel nicht ausreichen. S.L.: Umso wichtiger ist es, dass wir eine ordnungsrechtlichemarktwirtschaftliche systemische Lösung entwickeln, die klare Vorgaben macht. Es reicht nicht mehr aus, an den Einzelnen zu appellieren. Es müssen entweder die Bauweisen, die besonders zukunftsfähig sind, gefördert werden. Oder diejenigen, die besonders schädlich sind, verteuert werden. Bauingenieur*innen brauchen also den systemischen Blick. Wird der an den Hochschulen genügend gelehrt? S.L.: Noch nicht, wie ich glaube. Hier stehen die Hochschulen in der Verantwortung, das Thema möglichst ab jetzt ganzheitlich zu vermitteln, damit die Bauingenieur*innen und Bauschaffenden die Komplexität verstehen – und damit wissen, was die Konsequenzen und Folgekosten sind, wenn sie diese oder jene Bauweise empfehlen. Genauso müssen Themen wie Bauen im Bestand und die statische Betrachtung von Umbauten stärker in den Fokus der Hochschulen rücken. Denn wenn ich den Bauherren die Verantwortung für ihr Tun geben will, dann muss es Bauingenieur*innen geben, die in der Lage sind, hier Unterstützung zu leisten. L.M: In meiner akademischen Ausbildung zum Bauingenieur habe ich dieses Denken nicht gelernt, wobei ich das meiner Hochschule nicht ankreiden will, weil diese Werkzeuge erst in den vergangenen 20 Jahren entstanden sind – sodass ich mir dieses Wissen selbst erarbeitet habe. Nun gibt es die Methoden jedoch, weshalb ich mich Ihrem Appell, Herr Lederer, anschließen möchte: Wir müssen für jedes Bauwerk, das wir errichten, eine Lebenszyklusanalyse erstellen. Die Digitalisierung schenkt uns die Möglichkeit, in allen Lebenszyklusphasen Daten zu erhalten und mit ihnen zu arbeiten. Das müssen wir nutzen, um Emissionen zu bestimmen, Alternativen zu erarbeiten, das Bauprojekt in Richtung Klimaneutralität zu steuern. Es darf in Zukunft nicht mehr passieren, dass Bauherren ohne solche Lebenszyklusanalysen und die Sichtung von alternativen Modellen mit ihren Vorhaben beginnen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Bauingenieurinnen und Bauingenieure den Schlüssel für das weitere Wohlergehen unseres Planeten in der Hand haben – weil sie es sind, die mit ihrem Wissen das Bauen in eine neue, klimafreundliche Richtung bringen.
Das sagt die BAUINDUSTRIE zum Thema erforderliche Kompetenzen für Bauingenieur* innen auf die Frage „Wächst das erforderliche Kompetenz-Set für Bauingenieurinnen und Bauingenieure bei all den Herausforderungen an?“: „Es geht nicht darum, ob das notwendige Kompetenz-Set anwächst. Es geht vielmehr darum, ob die Möglichkeit der Kompetenzentwicklung sich erweitert, um neue gesellschaftlich relevante Aspekte mit dem Bauingenieurwesen zu verknüpfen. Und diese Frage ist eindeutig mit „Ja“ zu beantworten. Neue Aufgabenfelder machen den Beruf nicht schwieriger, den Weg durchs Studium nicht steiniger, sondern erfordern oft nur eine stärkere Spezialisierung im Studium oder im späteren Beruf, ohne dabei die nötigen Kernkompetenzen eines qualitativ hochwertigen Bauingenieur-Studiums zu vernachlässigen.“

„Das Klimabewusstsein der Generation, die jetzt ins Berufsleben startet, ist enorm groß.“

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Jana Nowak ist Tragwerksplanerin und Head of Sustainable Structures beim Ingenieurbüro knippershelbig. Im Interview erklärt sie, welchen Beitrag Bauingenieur*innen auf dem Weg zu klimaneutralem Bauen leisten können. Die Fragen stellte Christoph Berger

Wie schätzen Sie die Anstrengungen der Baubranche derzeit in Bezug auf Klimaschutz und klimaneutrales Bauen ein? In den letzten zwei Jahren ist das Bewusstsein stark angestiegen, dass die Branche für einen Großteil der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist und wir deshalb auch einen großen Hebelarm im Kampf gegen den Klimawandel haben. Doch leider sind die tatsächlichen Veränderungen noch viel zu gering. Emissionen werden oft nur dort eingespart, wo durch eine gute Ökobilanz eine bestimmte Zertifizierung wie DGNB oder LEED erreicht werden kann oder die ESG-Kriterien eingehalten werden. Leider geht es dabei oft um Greenwashing, um ein Projekt damit zu bewerben oder in einen nachhaltigen Immobilienfonds zu packen. Welchen Beitrag können Bauingenieure*innen leisten, um hier eine Absenkung, vor allem im Bereich der grauen Energie, zu erzielen? Als Tragwerksplanerin bin ich für die Planung der tragenden Struktur verantwortlich – und die macht bei Gebäuden etwa die Hälfte der grauen Emissionen aus. In erster Linie kann das Senken der grauen Emissionen durch eine Reduzierung des Baumaterials erreicht werden. Dafür muss hinsichtlich des Ausnutzungsgrads von Bauteilen effizient geplant werden. Zudem geht es um die Nutzung emissionsarmer Materialien, also um Baustoffe, die regional verfügbar sind und damit kurze Transportwege haben, es geht um organische nachwachsende Materialien und Re-Use-Materialien. Außerdem müssen wir Bauingenieur*innen uns mit den anderen Planungsbeteiligten, mit Architekt*innen oder Bauherr*innen, abstimmen. Das erfordert Kompromissbereitschaft. Doch das Ziel ist nicht nur, graue Emissionen zu reduzieren. Als Bauingenieur*in hat man zusätzlich großen Einfluss auf die Kreislauffähigkeit der gebauten Welt.
„Wir machen uns Gedanken darüber, welche Auswirkungen unsere Bauwerke auf die Gesellschaft und das Klima haben. Daher haben wir ein Interesse daran, ganzheitlich nachhaltig zu bauen.“
Gibt es alternative Baustoffe, die nach dem Stand der Technik emissionsfreies Bauen möglich machen? Ganz emissionsfrei geht es Stand heute leider noch nicht. Solange der Strommix nicht vollständig dekarbonisiert ist, werden Herstellungsprozesse immer zu Emissionen führen. Und auch der Transport der Baumaterialien wird noch lange nicht emissionsfrei passieren. Aber Baumaterialien wie Holz oder Lehm haben im Vergleich zu Beton, Stahl und Kalksandstein keine prozessbedingten Emissionen, also Emissionen, die aus chemischen Reaktionen in der Herstellung entstehen. Bis weitere alternative Baustoffe entwickelt und genormt einsetzbar sind, ist der nachhaltigste Weg häufig eine Hybridlösung: Der Einsatz emissionsarmer Materialien wo möglich in Kombination mit emissionsintensiveren Materialien nur dort, wo nötig. Und dies alles am besten demontierbar. Sehen Sie einen Unterschied in der Einstellung von jungen Bauingenieur*innen zum Thema gegenüber den „Etablierten“? Ja. Das Klimabewusstsein der Generation, die jetzt ins Berufsleben startet, ist enorm groß. Gleichzeitig gibt es den Wunsch, Selbstwirksamkeit im Job zu erfahren und etwas Sinnvolles mit der täglichen Arbeit zu leisten. Das macht den Unterschied, denn daraus entwickeln wir eine Haltung zu dem, was wir planen und bauen. Wir machen uns Gedanken darüber, welche Auswirkungen unsere Bauwerke auf die Gesellschaft und das Klima haben. Daher haben wir ein Interesse daran, ganzheitlich nachhaltig zu bauen. Diese Haltung erkenne ich bei den Bauingenieur*innen meiner Generation. Und da bin ich sehr froh darüber, denn das Erreichen von Klimaneutralität für die gesamte Gesellschaft hängt wesentlich davon ab, wie wir Bauingenieur*innen unseren Job machen!

Die große Reise einer kleinen Bauschraube

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Aufbruch ins Abenteuer der Lieferketten: In Köln, kann sich das deutsche Bauwesen – wie in vielen andere Städten und Regionen auch – über mangelnde Aufträge nicht beschweren. Neue Rheinbrücken und Quartiere für Büro- und Wohngebäude, dazu Sanierungen und Erschließung neuer Baugrundstücke, im Tiefbau Straßen- und Kanalsanierungen. Alle diese Maßnahmen funktionieren nicht ohne Bauingenieur*innen, die sie planen und managen. Was aber auch benötigt wird, sind die passenden Materialien zur richtigen Zeit am korrekten Ort. Manche von ihnen, und seien sie noch so klein, haben einen weiten Weg hinter sich gebracht. Zum Beispiel eine Bauschraube. Wir zeichnen den Weg um die Welt nach – und zeigen, welche Herausforderungen und Chancen sich auf dem langen Weg von West-Australien bis nach Köln ergeben. Von André Boße

1. Western Australia

Foto: AdobeStock/Rafael-Ben-Ari
Foto: AdobeStock/Rafael-Ben-Ari
Australien zählt neben China zu den größten Produzenten von Eisenerz weltweit, das Rohmaterial für die Schraube wird in Minen gefördert, die meisten von ihnen befinden sich im Westen des fünften Kontinents. Problem: Der Abbau von Eisenerz schadet der Umwelt: Wälder verschwinden, Transportwege werden gebaut, Wasser und Luft werden verschmutzt.

2. Port Herdland australische Küste

Mit der Bahn wird das Eisenerz vom Landesinneren an die Küste transportiert. Manche Züge haben eine Länge von mehr als sieben Kilometern.

3. Kaohsiung, taiwanische Küste

Foto: AdobeStock /kamontad123
Foto: AdobeStock /kamontad123
Neben China, dem weltgrößten Stahlproduzenten, oder Südkorea nimmt Taiwan bei der Verarbeitung des Rohstoffes Eisenerz eine zentrale Rolle ein. Vom Hafen von Kaohsiung wird das Eisenerz in ein Stahlwerk transportiert, wo es im Hochofen zunächst in Roheisen und schließlich in verformbaren Stahl umgewandelt wird. Problem: Globale Lieferketten stehen unter politischem Druck. Zölle werden zum Instrument, Taiwan könnte zum Brennpunkt eines kriegerischen Konfliktes mit China werden.

4. Tainan City

In der Metropolregion um den Hafen von Kaohsiung befinden sich eine Reihe von Schraubenherstellern, viele davon in der Millionenstadt Tainan. Hier werden die Bauschrauben nach den Vorgaben der Kunden geformt.

5. Hamburg, Hafen

Foto: AdobeStock/Marco2811
Foto: AdobeStock/Marco2811
Mit einem Containerschiff gelangt die Bauschraube in den Hamburger Hafen. Problem: Die Folgen der Pandemie haben weiterhin Auswirkungen auf die Hafen- und Container-Logistik, eine erneute Verschärfung oder gar ein neues Virus kann niemand ausschließen.

6. Ruhrgebiet

Foto: AdobeStock/Marina-Ignatova
Foto: AdobeStock/Marina-Ignatova
Zumeist im gleichen Container geht die Reise mit dem Güterzug oder einem Lkw weiter zu einem der Großhändler für Schrauben in Deutschland, von wo aus sie direkt zum Kunden oder in den Baustoffhandel gehen – in unserem Beispiel: ins Ruhrgebiet. Chance: Nichts ist schlimmer, als wenn’s am Bau nicht voran geht, weil ein einfaches Teil fehlt. Zum Beispiel eine bestimmte Bauschraube. Ein digitales Beschaffungsmanagement – in Verbund mit einfachen KI-Systemen – sorgt dafür, dass das nicht passiert.

7. Köln

Das verantwortliche Bauunternehmen bestellt die für die Errichtung des Bauvorhabens notwendigen Teile und verschraubt diese. Das fertige Gebäude fungiert nun auch als eine Art Rohstofflager. Chance: Digitale Baupläne und Tracking- Systeme sorgen dafür, dass jedes wiederverwertbare Teil in einem Gebäude erfasst werden kann.

8. Köln

Foto: AdobeStock/Franz
Foto: AdobeStock/Franz
Steht der Rückbau an, ist die Bauschraube Teil der Ansammlung von Altmetall. Damit ist sie kein Müll, sondern ein wertvoller Rohstoff: Jedes Kilo Altmetall, das durch Urban Mining Teil eines Verwertungskreislaufes ist, muss nicht von Australien aus den langen Weg nach Deutschland starten. Chance: Urban Mining schützt die Umwelt, spart Wasser, verringert den CO2-Fußabdruck von Bauprojekten.

Was sich ändern muss!

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Christian H. D. Haak ist ein gefragter Redner, wenn es um die Transformation des Bauwesens geht. Zudem ist er Mitherausgeber des führenden Branchenpodcastst #Zukunft. Bauen. In seinem Gastbeitrag erklärt er, vor welchen gewaltigen Herausforderungen die Bauindustrie steht: Ihr muss eine Transformation in Richtung Nachhaltigkeit und Digitalisierung gelingen – und das im Bann von Krisen und eines Mangels an Fachkräften. Wie das gelingen kann? Zum Beispiel damit, das eigene Tun besser zu verkaufen. Von Christian Haak, Experte für die Entwicklung und Umsetzung von Zukunftsstrategien für Unternehmen aus der Bauindustrie.

Zur Person

Christian Haak, Foto: Haak
Christian Haak, Foto: Haak
Christian H. D. Haak, studierte in Hamburg BWL mit den Schwerpunkten Personalwirtschaftslehre, Organisation und Wirtschaftspsychologie. 1991 gründete er seine eigene Unternehmensberatung, hier berät er mit dem Schwerpunkt Strategie und Strategische Transformation Großund mittelständische Unternehmen, viele davon aus dem Segment der Bauindustrie. Er ist ebenso als Keynote-Speaker präsent und Mitherausgeber des führenden Branchenpodcastst #Zukunft.Bauen. An diversen Hochschulen (u.a. an der HAW Hamburg) ist er als Dozent zu Themen wie Personalführung oder Projektmanagement tätig. www.christianhaak.de
Wenn über die größten Herausforderungen der Baubranche gesprochen wird, fallen schnell zwei Begriffe: Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Beide sind zentral, keine Frage. Doch möchte ich eine dritte Herausforderung ins Spiel bringen, die mindestens genauso essenziell ist: der Fachkräftemangel. Es muss dringend gelingen, die Branche für potenzielle Mitarbeiter*innen sichtbarer zu machen. Mit allen ihren spannenden Facetten, die sie zu bieten hat. Denn benötigt werden nicht nur die Menschen, die sowieso schon in der Bauindustrie tätig sind. Attraktiv sein müssen die Unternehmen auch für Talente, die noch gar nicht wissen, welche interessanten Job-Profile die Branche zu bieten hat. Wie das gelingen kann? Zum Beispiel, indem man endlich über das Thema „Sinn“ spricht. Was philosophisch klingt, hat einen ökonomischen Hintergrund: Unternehmen, die in 10 bis 15 Jahren nicht nachhaltig wirtschaften, werden vom Markt verschwinden. Dieser Druck ist Motor für Veränderungen: Sobald Unternehmen die wirtschaftlichen Vorteile nachhaltiger Geschäftsmodelle erkennen, ergibt es für sie überhaupt keinen Sinn mehr, das Thema nur halbherzig anzugehen. „Sinn“ hat aber noch eine zweite Bedeutung, und hier kommen wir wieder auf die Menschen zu sprechen: Alle Unternehmen stehen heute vor der Aufgabe, ihren Mitarbeiter*innen den Sinn ihres Tuns zu verdeutlichen. Und hier hat der Bau gegenüber anderen Branchen einen großen Vorteil. Schließlich geht es darum, die Lebenswelten der Zukunft positiv mitzugestalten. Ganz konkret, mit Häusern und Straßen, Brücken und Parks, Plätzen und Trassen. Es gibt Branchen, die sehr gut darin sind, ihre Wirksamkeit zu verkaufen. Die Bauindustrie hat hier noch Nachholbedarf. Mein Eindruck ist, dass sich die Branche bis vor wenigen Jahren nie gefragt hat, warum es wichtig sein sollte, zu vermitteln, wie faszinierend und wichtig die eigene Arbeit ist. Woran’s liegt? Auf dem Bau herrscht häufig eine besondere Kultur. Man ist eher bescheiden, arbeitet sachbezogen an technischen Lösungen. Doch das reicht heute nicht mehr aus. Es ist notwendig, den Sinn, den man als Bauingenieur*in mit der Arbeit erfüllt, wahrnehmbarer zu machen. Wer Gutes tut, sollte das auch nach außen verkaufen! Der Fachkräftemangel führt uns vor Augen, wie wichtig das ist. Nach und nach beginnen die Unternehmen, die guten Dinge, die sie früher ganz selbstverständlich getan haben, selbstbewusst ins Schaufenster zu stellen. Nicht übertrieben. Aber schon so, dass man sie sieht.
„Es muss dringend gelingen, die Branche für potenzielle Mitarbeiter*innen sichtbarer zu machen. Mit allen ihren spannenden Facetten, die sie zu bieten hat.“
Der Vorteil der Baubranche: Sie muss dabei keine Schaumschlägerei betreiben. Sie muss eigentlich nur zeigen, was sie tut, was sie kann. Das beginnt in meinen Augen schon bei der Sprache. Schon heute nutzt das Bauwesen Zukunftstechniken wie Automatisierung, Künstliche Intelligenz und Robotik. Bau – das ist digitales Hi-Tech. Es gibt auf Baustellen mit Tablets gesteuerte Baumaschinen, die mit smarter Sensorik ausgerüstet sind und von Satellitentechnik gestützt werden. Und wie nennt man diese Maschinen vor Ort? Weiterhin Bagger oder Raupe. Noch ein Beispiel: In der Baubranche wird die in den Baustoffen eines Gebäudes gebundene Energie weiterhin als „graue Energie“ bezeichnet. Klar, das ist der korrekte Fachbegriff aus dem Studium, aber er klingt nicht besonders werthaltig. In der Abfallwirtschaft ist man bereits weiter, da spricht man nicht mehr über Müll, sondern von Wertstoffen. Also: Weg von der „grauen Energie“, hin zu einem Begriff, der diese Energie aufwertet. Sprache ist keine Nebensächlichkeit. Sie prägt die Attraktivität der Branche. Gefragt sind hier auch die Hochschulen. Sie müssen dem Nachwuchs vermitteln, dass es dazugehört, den eigenen Marktwert sichtbar zu machen. Das ist auch wichtig für die eigene Karriere, denn wenn ich das nicht für mich selbst kann, dann kann ich es auch nicht für meine Produkte oder meinen Arbeitgeber. Jeder ist ein Unternehmer seiner eigenen Talente! Ich habe als junger Bauingenieur schon selbst die Aufgabe, sichtbar zu machen, warum es sich lohnt, mich einzustellen, mir ein Projekt anzuvertrauen oder mich zu beauftragen. Jedoch gibt es in den Studiengängen häufig überhaupt kein Bewusstsein für diese Kompetenz. Das muss sich ändern. Denn der Skill, anderen zu zeigen, was man kann, lässt sich nicht über Nacht einfach abrufen – den muss man trainieren.

Für die Ohren

Zusammen mit Bauingenieur Martin Ferger, einem Experten für Baumanagement und Technologien im Baubereich, gibt Christian Haak den Podcast „Zukunft.Bauen. | Der Haak & Ferger Zukunftspodcast für die Bauindustrie!“ heraus.  

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Vier Bauingenieur*innen, vier Länder

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Foto: GOLDBECK

Name: Birgit Schneider
Unternehmen: Goldbeck
Land: UK – England

Spezialgebiet: Nachhaltiges Bauen

Geschäftssprache: Englisch

Hauptherausforderung im Alltagsgeschäft: Sicherlich eine große Herausforderung war und ist mit deutschen Wurzeln und Ausbildung bzw. Berufserfahrung in einem fremden Markt mit anderer Sprache und anderer Baukultur Fuß zu fassen und richtig zu handeln, um ans Ziel zu kommen. In England wird nicht nur auf der anderen Straßenseite gefahren.

Hilfreiche Skills: Mehrsprachigkeit, offene Kommunikation, aufgeschlossen gegenüber Neuem, Teamplayer, Lust, sich auf Neues einzulassen

Spannendstes Bauprojekt an dessen Bau ich beteiligt war: Jedes meiner Projekte war und ist spannend, denn auch wenn Goldbeck mit seiner Systembauweise erfolgreich ist, bei der viele Abläufe und Prozesse optimiert sind, so ist doch jedes Projekt anders spannend – sei es ein neuer Kunde, ein besonders spannender Bauort, tolle Projektteams oder besondere Projektanforderungen

Ein Projekt an dessen Bau ich gern beteiligt gewesen wäre: Abgesehen von Goldbeck- Projekten, wäre das der Bau des Eurotunnels zwischen Calais und Folkestone. Wir benutzen diesen Verkehrsweg so häufig und die Ingenieurskunst, wie sie uns überall in unserem Alltag begegnet, ist einfach fantastisch. Es gibt aber kaum ein schöneres Gefühl als an einem Bauwerk vorbeizufahren, an dessen Realisierung man aktiv mit eingebunden war – klein oder groß spielt da keine Rolle

Name: Jennifer Krüger
Unternehmen: Implenia
Land: Ich komme aus Deutschland, wohne und arbeite aber mittlerweile in der Schweiz

Spezialgebiet: Hochbau (Modernisierung)

Derzeitiges Bauprojekt: Arealentwicklung Lokstadt in Winterthur, Projekt „Elefant“ (Bürogebäude aus Holz)

Geschäftssprache: Deutsch

Hauptherausforderung im Alltagsgeschäft: Kritische Schnittstellen zwischen Planung und Ausführung frühzeitig erkennen sowie die Koordination aller Schnittstellen während der Ausführung.

Hilfreiche Skills: Offene und starke Kommunikationsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Verhandlungsgeschick, Belastbarkeit, Empathie, Durchsetzungsvermögen

Spannendstes Bauprojekt, an dessen Bau ich beteiligt war: Da der „Elefant“ meine erste Baustelle als Bauleiterin ist, ist dieses Projekt bisher auch das spannendste!

Ein Projekt, an dessen Bau ich gern beteiligt gewesen wäre: „New Century Global Center“ in China

Foto: Implenia
Foto: Alexis Pantaleon

Name: Alexis Pantaleon
Unternehmen: Arcadis Philippines, Inc.
Land: Philippinen

Spezialgebiet: Mengenermittlung, Projektkalkulation und Kostenmanagement, Vorvertrags- und Nachvertragsleistungen

Derzeitiges Bauprojekt: Zurzeit bin ich an dem Projekt Rockwell Nepo beteiligt. Dabei handelt es sich um ein Gesamtprojekt, das aus drei Wohntürmen besteht, die auf einer mehrstöckigen Tiefgarage stehen. Diese ist mit einem Einkaufszentrum verbunden und grenzt an einen Bürokomplex.

Geschäftssprache: Englisch, Philippinisch

Hauptherausforderung im Alltagsgeschäft: Anpassung an die hybriden Arbeitsformen bei gleichzeitiger Beibehaltung der besten Arbeitsqualität

Hilfreiche Skills: Die grundlegendste Fähigkeit ist das Führen einer To-Do-Liste, um den Überblick über Ihren Zeitplan zu behalten und zu vermeiden, dass man wichtige Aufgaben übersieht. Darüber hinaus sind die Zusammenarbeit und die Wahrung eines ansprechenden Arbeitsplatzes hilfreiche Fähigkeiten in einem schnelllebigen Umfeld. Und schließlich sollte man immer neugierig auf Technologie und die neuesten Entwicklungen in der digitalen Welt sein – egal, ob es sich um eine Software für das Baugewerbe oder um einen einfachen digitalen Organizer handelt.

Spannendstes Bauprojekt, an dessen Bau ich beteiligt war: Das Proscenium at Rockwell; mein vorheriges Projekt ist ein gemischt genutztes Wohnprojekt mit fünf Hochhäusern gewesen, die mit einem Theater für darstellende Künste und anderen Einrichtungen verbunden sind. Bei diesem Projekt lernte ich den größten Teil des Leistungsspektrums des Vermessungswesens kennen.

Ein Projekt, an dessen Bau ich gern beteiligt gewesen wäre: Der Cebu Cordova Link Expressway stünde ganz oben auf meiner Liste, da es sich um eines der Vorzeigeprojekte von Arcadis Philippinen und eines der größten Infrastrukturprojekte des Landes handelt.

Name: Severine
Unternehmen: BAUER Spezialtiefbau GmbH
Land: Australien

Spezialgebiet: Schlitzwände im Bereich Spezialtiefbau

Derzeitiges Bauprojekt: Hobsons Bay Main Sewer – das Herstellen von zwei 40 Meter tiefen Schächten mit Durchmessern von 8 Metern und 12 Metern mittels überschnittener Schlitzwände.

Geschäftssprache: Englisch, Deutsch

Hauptherausforderung im Alltagsgeschäft: Vorrausschauendes Planen, um sicherzustellen, dass tägliche Aufgaben reibungslos ausgeführt werden können und gleichzeitig praktikable Lösungen für kurzfristig auftretende Herausforderungen finden

Hilfreiche Skills: Teamfähigkeit und Offenheit gegenüber Kollegen und anderen Kulturen, insbesondere bei Baustelleneinsätzen im Ausland; flexibel sein und innere Ruhe bewahren, wenn Baustellensituationen an veränderte Gegebenheiten angepasst werden müssen

Spannendstes Bauprojekt, an dessen Bau ich beteiligt war: Dubai Expo 2020 – Metro extension – die Herstellung von Schlitzwänden für Ein- und Ausfahrtsrampen neu errichteter Metrostationen

Ein Projekt, an dessen Bau ich gern beteiligt gewesen wäre: Errichtung des Eurotunnels von Frankreich nach England

Foto: BAUER-Gruppe

In vollem Gang: die Digitalisierung am Bau

Die Zukunft am Bau hat längst begonnen – auch, wenn sie noch nicht für alle sichtbar ist. Aber die Digitalisierung wandelt die Baubranche mit Methoden und Technologien wie BIM, KI, AR & VR, Robotik, IoT und 3D-Druck und lässt sie zu einer Hightech-Branche werden. Für die es dringend Fachkräfte braucht. Von Christoph Berger

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie veröffentlichte im April dieses Jahres Ergebnisse einer durch das Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführten Umfrage zum Image der Bauwirtschaft in Deutschland. Dabei kam heraus, dass gerade mal 50 Prozent der Teilnehmenden den Begriff Innovation mit der Branche verbinden, nur 24 Prozent tun dies im Bezug auf die Digitalisierung. Dabei, so heißt es in der Studienzusammenfassung, werde die Bauwirtschaft gerade aufgrund der fehlenden Fachkräfte sowie der Dramatik bei der Klimakrise regelrecht zu Innovationsleistungen gezwungen. Dazu gehörten auch die Digitalisierung und die Automatisierung – die Bauwirtschaft muss modern sein und befindet sich auf dem besten Weg dorthin. Mehr Investitionen in Technologien, vernetzte Bauprozesse und BIM-Standards sind unter anderem weltweite Trends für die Bauindustrie, die René Wolf, CEO der RIB Software Gruppe, im Rahmen eines Vortrags am Tag der Deutschen Bauindustrie aufzählte. Darin betonte er ebenso das „Muss“ als Voraussetzung für den Wandel – gerade vor dem Hintergrund, dass die Branche in den letzten 20 Jahren nur 1 Prozent Produktivitätssteigerung pro Jahr hätte erzielen können: „Wir brauchen eine nachhaltige Produktivitätsspritze, ein verbessertes Kosten- und Risikomanagement, neue, nachhaltige und kundenzentrierte Geschäftsmodelle und mehr Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt. Die Digitalisierung aller Prozesse kann und muss zu einem Booster der Produktivität in unserer Branche werden. Hinzu kommt: Mit Hilfe von digitalen Werkzeugen und angepassten Prozessen können wir geschätzt bis zu 50 Prozent der CO2-Emissionen in der Branche einsparen. Diese hält leider mit 38 Prozent- Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß derzeit einen Negativrekord.“ Zudem würden sich die Unternehmen eine kooperative und flexible Projektkoordination über mehrere Standorte hinweg wünschen, ebenso einen unternehmensübergreifenden Zugriff auf ein zentrales Bauprojektmodell und beispielsweise eine mobile und digitale Leistungsmeldung direkt von der Baustelle. Bei all diesen Anforderungen helfe Software, sie stelle aber mehr als nur neue digitale Tools dar.

Software, Cloud, BIM und ESG

Für Wolf besteht die Digitalisierung im Wesentlichen aus vier Elementen: Software, Cloud, BIM und ESG. Bausoftware ist und bleibt dabei der Eckfeiler der Digitalisierung, alle Kernprozesse würden über sie abgebildet, von der Akquisition bis hin zum Controlling. Wer sich zudem auf seine wirtschaftliche Kernkompetenz fokussieren wolle, komme an der Cloud nicht vorbei. Die Technologie ermögliche es, Informationen in Echtzeit abzurufen, verhindere eine informationelle Fragmentierung und stehe damit für Agilität. Zu BIM sagte Wolf, dass die Methode im Bewusstsein aller Bauakteure angekommen sei und in alle bauspezifischen Normierungen Eingang finde. Zum Beispiel sei BIM im Fernstraßenbau als Regelprozess und ab 2025 flächendeckend im Straßenbau anzuwenden. Er merkte aber auch an, dass viele Unternehmen bei der Umsetzung von BIM noch am Anfang stünden.

Das BIM-Portal des Bundes

Am 11.10.2022 wurde das Portal für Building- Information-Modeling (BIM) freigeschaltet. Es unterstützt öffentliche Auftraggeber bei der BIM-gerechten Definition ihres Informationsbedarfs sowie andere Auftragnehmer bei der qualitätsgesicherten Übermittelung entsprechender Informationsmodelle.

Die korrekten BIM-Begriffe

Was ist eine BIM-Reifegradstufe? Welche Aspekte umfasst ein Fachmodell und wofür ist eigentlich ein BIM-Koordinator zuständig? Die VDI 2552 Blatt 2 „Building Information Modeling – Begriffe“ erläutert und regelt Ausdrücke bei der Anwendung der BIM-Methodik zwischen den an Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken Beteiligten.

BIM-Anwendung klar definiert

Mit der VDI/DIN-Expertenempfehlung können Auftraggeber*innen von BIMProjekten Anforderungen an ihr Vorhaben verständlich und standardisiert festlegen. Das Dokument haben 30 BIMExpert* innen aus Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam erarbeitet. VDI/ DIN EE 2552 Blatt 12.1 „Struktur zur Beschreibung von BIM-Anwendungsfällen“ ist beim Beuth Verlag erhältlich.
Letzteres bestätigt auch BIM-Experten Matthias Uhl, laut dem der Digitalisierungsgrad der Bauindustrie in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße anderen Branchen hinterherhinkt. Der CEO der in Österreich ansässigen Die Werkbank IT GmbH sagt: „BIM stellt eine der größten Chancen der letzten Jahrzehnte dar. Vom Entwurf bis hin zum Betrieb des Bauwerks lassen sich Prozesse und Schritte effizienter, günstiger und transparenter abbilden.“ Und im vom Beratungsunternehmen Dr. Wieselhuber & Partner veröffentlichten „Trendometer 2022: Bau-/Bauzulieferindustrie“ heißt es, dass erst mit integrativen Gebäudemodellen, die in einem frühen Stadion der Planung bereits die verschiedenen zu optimierenden Parameter (z.B. Ressourceneinsatz in Erstellung und Betrieb) berücksichtigen, Nachhaltigkeit mehr als eine Worthülse werde.

Sichere Datenräume mit voller Kontrolle

Die in der Bauwirtschaft noch weit verbreiteten Datensilos aufzubrechen, die eine effiziente Zusammenarbeit der einzelnen Akteure eines Bauprojekts immer wieder verhindern, ist erklärtes Ziel des im Gaia-X-Förderwettbewerb angesiedelten Leuchtturmprojekts „Intelligent Empowerment of Construction Industry“, kurz: iECO. Im europäischen Gaia-X-Projekt geht es darum, eine vernetzte und sichere Dateninfrastruktur zu schaffen: Unternehmen sowie Nutzerinnen und Nutzer sollen Daten sammeln und miteinander teilen können – und zwar so, dass sie darüber die Kontrolle behalten. Das gilt demnach auch auch für iECO: Das Projekt hat einen gemeinsamen Datenraum für die Bauwirtschaft zum Ziel, um die bereits angesprochene Produktivitätslücke zu schließen. Dazu soll ein fälschungssicherer Digitaler Zwilling geschaffen werden, der den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes beinhaltet.
„Die Digitalisierung aller Prozesse kann und muss zu einem Booster der Produktivität in unserer Branche werden.“ René Wolf, CEO der RIB Software Gruppe
Es geht damit also um den Aufbau eines Ökosystems, um Kollaboration bei Beibehaltung der eigenen Datenhoheit. Und um Cloud-Technologie. Schließlich sollen so eine erhöhte Effizienz erreicht und optimierte Prozesse geschaffen werden, genauso wie die Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette Bau verbessert werden. „Damit sorgen wir für eine viel engere Integration der Abläufe in der Bauindustrie. Mit dem Digital Twin, der Vernetzung wichtiger Komponenten auf der Baustelle und der Schaffung eines gemeinsamen Datenraums gehen wir weit über bereits existierende Prozesse und Lösungen hinaus. Es geht um die logische und notwendige Fortführung des Building Information Modelling (BIM)“, erläutert Korbinian Röhrl, Project Delivery Manager bei A1 Digital, einem iECO-Projektpartner. Röhrl sagt weiter: „Außerdem wird nicht mehr nur das Gebäude betrachtet, sondern alle vor- und nachgelagerten Prozesse und Daten, welche auch für das Lean- Management und u.a. Predictive Maintenance genutzt werden können.“ Um die Digitalisierung und deren Auswirkungen auf den Menschen geht es im von der Europäischen Union geförderten Projekt „Human Centered Technologies for a Safer and Greener European Construction Industry“. Darin werden menschzentrierte Konzepte der Zusammenarbeit von Arbeitenden und Maschinen, digitale Zwillinge, intelligente Schutz- und Unterstützungsausrüstung für Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Robotertechnologien entwickelt, die eine umweltfreundliche und harmonische Zusammenarbeit von Mensch und autonomen Baumaschinen ermöglichen und gleichzeitig einen Beitrag zum ökologischen Wandel der Branche leisten sollen. Technisch geht es um Exoskelette, tragbare Körperpositions- und Belastungssensoren, Bilderkennungssoftware, Kameras und XR-Brillen für Extended Reality- Anwendungen und Baustellenbegehungen. Kurz: die Baustelle der Zukunft.

Das sagt die BAUINDUSTRIE zur Digitalisierung:

„Building Information Modeling (BIM) spielt neben Technologien wie Robotik, dem Einsatz von Drohnen, Sensorik etc. bereits heute eine entscheidende Rolle, um Bauwerke ganzheitlich zu planen bzw. den Bauablauf zu verbessern: weniger Fehlplanungen durch digitale Simulation des Bauvorhabens vor Baubeginn oder Zeit- und Kostenreduktion durch optimierte Personal-, Material-, Geräte- und Maschineneinsätze. Doch: Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern eine gemeinsame Aufgabe aller Bau-Beteiligten, um die Anforderungen der Kunden und Nutzer zu erfüllen, und die Komplexität durch die verändernden ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen zu meistern.“

Roboterplattformen für die Vorfertigung

Der Exzellenzcluster „Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur“ (IntCDC) der Universität Stuttgart hat Mitte 2022 vier Roboterplattformen für die automatisierte Herstellung von Holz- und Faserbauelementen erhalten. Die Anlagen sind ein Meilenstein für die Erforschung der mobilen, flexiblen Vorfertigungstechnik und sollen das Bauen der Zukunft nachhaltiger und effizienter machen.

Baustelle 4.0 ist Realität

Wie genau so eine Baustelle der Zukunft aussehen kann, zeigten Wissenschaftler* innen der Verbundforschungsprojekte Bauen 4.0 und 5G Lab Germany Forschungsfeld Lausitz Ende September 2022 auf dem Gelände der Versorgungsbetriebe Hoyerswerda. Ein Highlight bildete ein reales Bauszenario im Tiefbau, eine Kanalbaustelle, in der verschiedene Baumaschinen wie Mobilbagger, Radlader und Ladekran mit neu entwickelten Automatisierungsfunktionen zum Einsatz kamen. Mit Tracking & Tracing für Baumaterial und -geräte, 5G-basierte baustellengerechte Campusnetze und Connectivity-Module sowie Fernsteuerungen von Baumaschinen wurden Lösungen vorgestellt, die die Digitalisierung von Baustellenabläufen ermöglichen. Ein interaktives Baustellenleitsystem ermöglicht es, die Überwachung der Baustelle in Echtzeit abzubilden und visuell den Baustellenfortschritt live zu verfolgen. Mit dem Fazit: Wenn von der Bauplanung, der Logistik bis zur Umsetzung alles digitalisiert und miteinander vernetzt wäre, könnte die Produktivität und Effizienz auf Baustellen gesteigert, das Baupersonal entlastet und dem Fachkräftemangel in der Branche entgegengewirkt werden.

Digitale Bauanträge

In Wien ist man vom „wäre“ bereits in die Testphase gewechselt. Dort werden Bauanträge erstmals probeweise mit einem digitalen System bearbeitet. Zum Einsatz kommen dabei computergestützte Datenanalysen, Prüfroutinen, künstliche Intelligenz und Augmented Reality. Basis dafür: das BIM-Modell, in dem alle relevanten Bauwerksdaten digital erfasst werden. Dass der Antrags- und Genehmigungsprozess durchgehend digital funktioniert und alle Beteiligten entlasten kann, hat auch das Projekt „BIM-basierte Baugenehmigung in NRW“ gezeigt. Nach Durchführung eines weiteren Evaluierungsprojekts ist nun klar, dass Bauherren ihre Bauanträge künftig auf Basis eines 3D-Modells bei den zuständigen Behörden einreichen können.

Bauingenieur*innen für die digitale Transformation

All diese Beispiele zeigen, dass sich das Bauwesen auf dem Weg hin zu einer Hightech- Branche befindet. Teils kommen Zukunftstechnologien längst zum Einsatz – man denke dabei auch an erste mit 3D-Druck produzierte Gebäude, teils finden sich Technologien noch am Übergang von Test- in konkrete Einsatzphasen. Doch bleibt eine Frage offen. Ähnlich wie die Bauindustrie mit ihrer zu Beginn erwähnten Image-Studie kommt auch die Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) mit seinem „Digitalisation in construction report 2022“ zu dem Schluss, dass die Digitalisierung im Bauwesen immer weiter Fahrt aufnimmt und die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen muss, um die tiefgreifenden Auswirkungen des Bauens auf die Welt zu bewältigen. Allerdings, und hier ist die Krux: Neben den steigenden Kosten ist es laut der RICS gerade der Mangel an qualifizierten Fachkräften, der eine schnellere Digitalisierung und die Entwicklung hin zu einer Hightech-Branche ausbremst. Somit steht fest: Es braucht eine schnellere Digitalisierung wegen des Fachkräftemangels, gleichzeitig werden dingend Fachkräfte für den Wandel benötigt. Beste Aussichten also für junge Bauingenieur*innen, die neben dem technischen Know-how auch über das sogenannte Digital Mindset verfügen.

Wie es zum digitalen Zwilling der Baustelle kommt

„Die 3D-Technologie ist äußerst komplex.“

Manchmal kann schon der Sandkasten aus Kindestagen der Ursprungsort für eine Erfolgsgeschichte sein. So auch beim ConTech-Unternhemen Aeditive, wie dessen Co-Founder Alexander Türk im Interview erzählt. Zusammen mit einem Freund aus der Kindheit und zwei von dessen Uni- Kollegen gründete er 2019 das Hochtechnologie-Start-up, das eine digitale Automatisierungslösung für die Baubranche entwickelt: ein spezielles 3D-Druckverfahren, das das Bauen um ein Vielfaches effizienter machen soll. Die Fragen stellte Christoph Berger

Herr Türk, Sie und Ihre Kolleg*innen haben eine Roboter-Spritzbeton- Drucktechnologie entwickelt, die das Herz Ihrer 3D-Drucklösungen für die schalungsfreie Betonteilfertigung ist – einen 3D-Großdrucker. Können Sie das kurz erklären? Die Bauindustrie ist eine sehr traditionelle Industrie, in der noch viel manuell gearbeitet wird und wenig automatisiert wurde. Das gilt insbesondere für den Betonbau. Hier muss händisch eine Schalung aus Holz produziert werden, in die dann der Beton reinfließt – wobei die Schalung die spätere Form vorgibt. Mit der 3D-Drucktechnologie haben wir die Möglichkeit, auf diese Schalung komplett zu verzichten. Der Beton wird stattdessen schichtweise aufgedruckt, danach werden die Oberflächen bearbeitet. Das Bauteil ist somit schalungsfrei und automatisiert produziert worden. Das bedeutet also höhere Effizienz sowie weniger Personal- und Materialeinsatz? Genau. In erster Linie ist unsere Lösung eine Antwort auf den Fachkräftemangel in einer wachsenden Branche: Es gibt Wohnraumknappheit und einen Sanierungsstau bei großen Infrastrukturprojekten, zum Beispiel beim Brücken- und Straßenbau. All diese Herausforderungen können aufgrund fehlender Fachkräfte kaum noch bedient werden. Deswegen Automatisierung. Zudem produzieren wir mit dem Verfahren nachhaltiger. Da der Roboter den Beton nur dort aufträgt, wo er im Bauteil benötigt wird – zum Beispiel zur Lastaufnahme oder Schallisolation, sparen wir Beton ein.

Zur Person

Alexander Türk ist studierter Mathematiker und ehemaliger Strategieberater. 2019 gründete er mit Hendrik Lindemann, Roman Gerbers und Niklas Nolte das ConTech- Unternehmen Aeditive. Dort ist er verantwortlich für Strategie und Finanzen. Der von dem Start-up entwickelte Concrete Aeditor kommt in diesem Jahr erstmals bei Pilotkunden zum Produktionseinsatz. www.aeditive.de
Welche Herausforderungen haben Sie bei der Entwicklung Ihres 3D-Produkts zu meistern? Die 3D-Technologie ist äußerst komplex. Die Technologie kann nur dadurch entstehen, dass Ingenieur*innen und Fachkräfte verschiedenster Fachrichtungen zusammenarbeiten. In unserem Team sind Architekten und Bauingenieure, Sie finden Betonspezialisten, Maschinenbauer, Automatisierungstechniker und Softwareentwickler. Diese Spannbreite an Disziplinen und deren Zusammenarbeit ist notwendig, um eine Automatisierungslösung für den Bau zu entwickeln. Sie selbst sind Mathematiker. Wie sind Sie dazu gekommen, an einer Innovation für den Bau zu arbeiten? Ja, ich bin Mathematiker. Aber vor allem bin ich ein technologiebegeisterter Mensch. Nach dem Studium habe ich für eine große Strategieberatung gearbeitet und mich dort mit der Digitalisierung beschäftigt: Wie verändert Technologie eine Industrie oder ein Geschäftsmodell? Oder die Strategie eines Unternehmens? Zu der Idee der Unternehmensgründung bin ich gekommen, weil einer meiner drei Mitgründer ein Freund aus der Kindheit ist, der das Thema mit zwei anderen Kollegen in einen Forschungsprojekt an der Uni bearbeitet hat. Zusammen haben wir dann überlegt, wie man die Technologie an den Markt bringen könnte. Das Thema 3D-Druck ist für das Bauwesen insgesamt groß – letztes Jahr wurde beispielsweise das erste Wohnhaus in Deutschland gedruckt. Entsprechend wächst auch das Angebot an Lösungen und Verfahren. Was macht die von Ihnen entwickelte Lösung aus? Der wesentliche Unterschied zu anderen Lösungen ist, dass wir mit Spritzbeton arbeiten. Das im letzten Jahr gedruckte Haus wurde beispielsweise im Extrusionsverfahren hergestellt. Dabei wird der Beton aus einer Düse quasi herausgequetscht und in Filamenten aufeinander abgelegt. Beim Spritzbeton haben wir jedoch den Vorteil, dass wir Bewehrung in den Beton integrieren können. Zum Beispiel Carbonfasern. Hinzu kommt, dass die Spritzbetontechnologie in einfacherer Form bereits zum Beispiel im Tunnelbau seit Jahrzehnten zum Einsatz kommt. Es gibt also einen regulatorischen Rahmen dafür. Bedeutet: Wenn mir mit Spritzbeton ein Bauteil drucken, können wir auf die existierende Normenlandschaft zurückgreifen.
Wir nehmen großes Interesse im Markt wahr, sich auf einen BIM-Standard zu einigen, damit künftig leichter Daten ausgetauscht werden können.
Eine große Methode im Rahmen der Bau-Transformation ist Building Information Modeling, BIM. Wird diese Methode mit dem 3D-Druck kombiniert? Absolut – in beide Richtungen. Wir nehmen großes Interesse im Markt wahr, sich auf einen BIM-Standard zu einigen, damit künftig leichter Daten ausgetauscht werden können. Diese Daten, die 3D-Modelle von Bauteilen, sollen von unseren 3D-Druckern eingelesen und dann automatisch gedruckt werden können. Die Schnittstelle zu BIM spielt somit eine Rolle bei der Erstellung von Druckaufträgen. Aber auch umgekehrt: im Rahmen der Dokumentation der Qualitätsdaten zum gedruckten Bauteil. Die automatisch im Prozess generierten Daten können zurück an das BIM-Modell übertragen und beim jeweiligen Bauteil digital hinterlegt werden. Im Vertrieb gehen Sie auch neue Wege. Genau. Das Stichwort ist: Equipment as a Service. Wir stellen unseren Kunden unsere Technologie mit Drucker, Software, Services und Support zur Verfügung und der Kunde zahlt rein für die Nutzung der Technologie, pro Output- Einheit. Das gibt unseren Kunden Flexibilität. Wobei alle Beteiligten das Ziel haben, dass der Drucker möglichst viel genutzt wird, weil dies die Stückkosten senkt. So hat man gemeinsam Erfolg. Die ConTech-Branche wächst. Was ist Ihr Tipp für Gründer*innen? Manchmal muss man genau hinhören, manches Mal aber auch genau weghören. Wichtig ist, Kunden und Investoren zuzuhören und darauf zu achten, was sinnvolles Feedback ist. Manchmal muss man aber auch weghören, weil es Menschen gibt, die sagen: Das wird nicht funktionieren. Würde man immer darauf hören, traut man sich am Ende nicht, etwas zu machen.

Die Automobilindustrie zum Vorbild

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Neben einer Branchenkonsolidierung und der Digitalisierung nennt eine Studie die Industrialisierung des Bauens als einen der Haupttreiber für den Change in der Branche. Dies liegt vor allem daran, dass eine serielle und modulare Fertigung zu ressourceneffizienterem und kostengünstigerem Bauen führt. Von Christoph Berger

Im Oktober 2021 richteten die Hauptgeschäftsführer der Spitzenverbände der Bauund Immobilienwirtschaft einen Appell an die Politik. In dem sprachen sie sich für eine weitere Förderung industrieller Bauverfahren aus – immerhin seien eine serielle und modulare Fertigung ein entscheidender Hebel, um ressourceneffizientes und kostengünstiges Bauen enorm nach vorne zu bringen. Diese Form der Industrialisierung, also die Einführung neuer Produktions- und Fertigungsverfahren, die es ermöglichen, ganze Bauteile und -abschnitte nicht mehr an der Baustelle, sondern industriell und modular vorab herzustellen, wird auch in der McKinsey-Studie „The next normal in construction – how disruption is reshaping the world’s largest ecosystem“ als einer von drei Treibern aufgezählt, die die Baubranche grundlegend verändern werden. Die Industrialisierung nach dem Vorbild des Automatisierungsgrads in der Automobilindustrie führe auch am Bau zu einer billigeren und schnelleren Produktion. Inklusive der Anmerkung, dass die Individualisierung mittels Industrie 4.0 dennoch eine Vielfalt beim Bauen erlaube. Viele Bauunternehmen haben diesen Trend bereits erkannt. Beispielsweise betreibt die Firmengruppe Max Bögl aktuell schon so eine moderne Fertigungsstätte für eine wirtschaftlichere Produktion der modularen Wohnungsbau-Komponenten ihres Produkts maxmodul sowie von Betonfertigteilen für den Wohnungs- und Gewerbebau. Im brandenburgischen Eberswalde baut die Renggli Deutschland GmbH Deutschlands größtes Holzmodul-Werk für die Errichtung mehrgeschossiger Gebäude. In dem Werk sollen ab 2024 auf rund 20.000 Quadratmetern Produktionsfläche Holzmodule für nachhaltige und klimagerechte, mehrgeschossige Gebäude hergestellt werden.

Linktipp

Die Hochschule für angewandtes Management bietet den Studiengang „Industrielles Bauen“ an, der mit dem Titel „Master of Engineering“ abschließt.
Das auf Bau-Marktinformationen spezialisierte Unternehmen BauInfoConsult erwartete im Februar dieses Jahres für 2022 ein Wachstum von rund fünf Prozent bei den Fertigwohnhäusern, bis 2030 sei ein Marktanteil von einem Viertel ein durchaus wahrscheinliches Szenario. Die Marktforscher haben zudem Holz als dominanten Wandbaustoff ausgemacht, wenn es um den Einsatz von industriell vorgefertigten Bauteilen im Wohnungsbausegment geht. Der mit großem Abstand dahinter liegende Stahlbeton werde laut der Untersuchung in den kommenden Jahren indes mit einer negativen Fertigstellungsbilanz bei der Fertigteilbauweise im Wohnungsbau zu kämpfen haben. Dies liege zum Teil daran, dass Stahlbetonfertigteile im Vergleich zu Holz als Baustoff bei einigen Bauherren an Attraktivität eingebüßt hätten. So könnten mittlerweile auch Mehrfamilienhäuser rentabel in der Holzständerbauweise errichtet werden – früher war der Einsatz von Stahlbetonfertigteilen eher eine Domäne im Fertigteile-Mehrfamilienhausbau. Dennoch: Das deutsche Wohnungsbausegment sei und bleibe vorerst von der konventionellen „Stein-Auf-Stein-Bauweise“ dominiert, so BauInfoConsult. Auch wenn bereits 2020 die 20.000er-Marke bei neuen Wohngebäuden in Fertigteilbauweise überschritten worden sei. Der Anteil von Fertighäusern aller in 2020 fertiggestellten Neubauprojekte im Wohnungsbau lag damit bei rund 18 Prozent.

Energie-Plus-Quartier in modularer Holzbauweise: „Triple-Zero-Prinzip“ in Stuttgart

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Für Mitarbeiter*innen des Klinikums Stuttgart lässt die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft mbH (SWSG) 329 Personalwohnungen in sechs Gebäuden in Bad Cannstatt bauen. In nachhaltiger, modularer Holzbauweise entsteht dort ein Energie-Plus-Quartier mit dringend benötigtem und bezahlbarem Wohnraum. Von Christoph Berger

Zeitsparende Bauabwicklung, maximale Energieeffizienz und hohe Aufenthaltsqualität: All diese Attribute soll das Bauprojekt am Prießnitzweg in Stuttgart in sich vereinen, das zu den größten Holzmodul-Wohnprojekten Deutschlands zählt. Die Gebäude entstehen in nachhaltiger Holzbauweise und aus seriellen Modulen. Durch die Energieeffizienzklasse 40 Plus werden sie im Jahresmittel einen Energieüberschuss aus regenerativen Quellen erzeugen, wobei die effiziente Energieerzeugung auf Basis von Sole-Wasser-Wärmepumpen, Photovoltaikmodulen und Solar-Hybridkollektoren geplant ist. Zudem ist ein Lüftungssystem mit Wärmerückgewinnung zur Optimierung des Heizbedarfs vorgesehen. Eine gute Belichtung, großzügig gestaltete Grün- und Gemeinschaftsflächen sowie kühlende Frischluftzufuhr zwischen den Gebäuden sind weitere Aspekte, die eine hohe Aufenthaltsqualität schaffen sollen. Bei der Grundsteinlegung im Oktober 2021, die Kellerrohbauarbeiten hatten bereits im August des Jahres begonnen, sagte Samir M. Sidgi, Vorsitzender der Geschäftsführung der SWSG: „Das Projekt ist höchst anspruchsvoll, innovativ und repräsentiert sehr gute Lösungsansätze für aktuelle und zukünftige Herausforderungen.“ Schon im Dezember 2021 wurden die ersten Module auf der Baustelle angeliefert.
Wir konnten die drei Wohngebäude in nur sechs Monaten von der Anlieferung des ersten Moduls bis zur Fertigstellung errichten.
Angefertigt wurden diese im AH-Aktiv-Haus-Werk – die AH Aktiv-Haus GmbH ist im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft zusammen mit dem Bauunternehmen Wolff & Müller für die Umsetzung des Bauvorhabens verantwortlich. Bei der Logistik kommt es auf eine Just-in-time-Anlieferung der in Leichtbauweise vorgefertigten Wohnmodule an, die nach dem Eintreffen auf der Baustelle direkt montiert werden. Dadurch, wie auch durch die serielle Vorfertigung, wird laut Berechnungen eine Zeitersparnis von etwa zwölf Monaten im Vergleich zu einem konventionellen Stahlbetonbau erreicht. Im Mai 2022 wurde der erste Bauabschnitt abgeschlossen, im Juli fand die Bauabnahme durch die SWSG statt. „Wir konnten die drei Wohngebäude in nur sechs Monaten von der Anlieferung des ersten Moduls bis zur Fertigstellung errichten“, sagt Thomas Schmierer, Projektleiter beim Bauunternehmen Wolff & Müller. Ende 2023 soll die zweite Bauphase mit 172 Wohneinheiten und einer Tiefgarage abgeschlossen werden. Was den reibungslosen Ablauf ebenfalls unterstützt: Der Neubau wird komplett mit der BIM-Methode realisiert – das heißt: Gebaut wurde erst digital, dann real. Das hinter dem Projekt stehende Prinzip nennt sich übrigens „Triple-Zero-Prinzip“, formuliert und entwickelt wurde es von Werner Sobek. Bedeutet: Ein Gebäude benötigt nur die Energie, die es aus nachhaltigen Quellen selber erzeugt (Zero Energy), ein Gebäude produziert keine schädlichen Emissionen (Zero Emission) und alle Bauteile werden wieder vollständig in technische oder biologische Kreisläufe zurückgeführt (Zero Waste).

EDGE East Side in Berlin: Ein Beispiel für die Kombination von Nachhaltigkeit und Digitalisierung

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In Berlin entsteht derzeit ein Hochhaus, das all die Attribute vereint, die ein zeitgemäßes Bauen verlangt: EDGE East Side. In dem Bauprojekt vereinen sich Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Teilvorfertigung und just-in-time-Arbeiten. Von Christoph Berger

Wenn EDGE East Side an der Warschauer Brücke im Berliner Bezirk Friedrichshain- Kreuzberg 2023 fertiggestellt und übergeben sein wird, hat Berlin ein neues höchstes Bürohaus. Rund 140 Meter wird es mit seinen 37 Geschossen in die Höhe ragen. Doch nicht nur aufgrund dieser Zahlen wird das Gebäude einen neuen Milestone in der Hauptstadt setzen. Da ist zum Beispiel die nahezu vollständig bebaute Fläche rund um das 2905 Quadratmeter große Grundstück, die einen einwandfrei abgestimmten Projektablauf erfordert. Es gibt kaum Fläche für Zwischenlagerungen, daher muss angeliefertes Baumaterial im Regelfall just-in-time an die vorgesehene Position gebracht und eingebaut werden. Die Baustellenlogistik ist digital und minutiös getaktet, der Status eines jeden Bauteils kann 1:1 nachverfolgt werden. Damit alle Bauteile wie geplant an die richtigen Stellen der Baustelle gebracht werden können, wurden ein selbstkletternder Kran an der Nordfassade und einer in einem Aufzugsschacht, drei Bauaufzüge und eine Ausfahrbühne sowie ein hydraulisch kletternder Betonverteilermast in der Mitte des Gebäudekerns installiert. Das Hochhaus beinhaltet zudem ein Pilotprojekt. Für zwei Obergeschosse des Büroturms entwickelte das bauausführende Unternehmen Züblin zusammen mit Edge Technologies und dem Software-Start-up Alcemy einen stark CO2-reduzierten Transportbeton. Aufgrund seiner guten bauphysikalischen Eigenschaften ist Beton einer der wichtigsten Baustoffe und aus der Baubranche kaum wegzudenken. Allerdings enthält herkömmlicher Beton als Bindemittel Zementklinker, bei dessen Produktion größere Mengen CO2 ausgestoßen werden. Durch eine Absenkung des Zementklinkeranteils sinken auch die CO2-Emissionen.

Linktipp

Warum setzen Züblin und Strabag auf CO2-reduzierten Beton?
Bei der Produktion des Betons für das 32. und 33. Obergeschoss von EDGE wurde, im Vergleich zu herkömmlichem Beton, rund 50 Prozent weniger CO2 ausgestoßen. Möglich macht dies die Verwendung von Kalkstein – ein reichlich verfügbarer und klimafreundlicher Ersatz für Klinker. Das 2018 gegründete Unternehmen Alcemy nutzt maschinelles Lernen und Regelungstechnik zur Vorhersage der Qualitätseigenschaften von Zement und Beton. Durch belastbare Daten und smarte Algorithmen wird in Echtzeit die gesamte Wertschöpfungskette beobachtet – von der Wiege bei der Zementmahlung bis zur Verarbeitung des Betons auf der Baustelle. So wird das Naturprodukt zum datenbasierten Hightech-Produkt. Dies hat – neben der beschriebenen CO2-Reduktion – einen weiteren Vorteil: Die Qualität steigt. Zum Projekterfolg trägt auch die Anwendung von BIM maßgeblich bei: Bereits seit den ersten Planungen setzen die am Bau Beteiligten auf die digitale Arbeitsweise.