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Bauindustrie wird zentrale Meta-Branche

Die Digitalisierung mit Methoden wie BIM ist für den Bau der zentrale Hebel, um nachhaltig und klimaschonend zu bauen. Das weiß die Industrie – doch findet die Umsetzung weiterhin nur gebremst statt. Das muss sich ändern, denn nur eine hohe Transformationsdynamik lockt die Talente an. Und die sind nötig, damit die Bauindustrie ihr großes Ziel erreicht: Mit Innovationen dafür zu sorgen, dass sie Probleme löst. Ein Essay von André Boße

Urbane Resilienz – das klingt zunächst nach einem der vielen Buzzwords, die aktuell durchs Netz geistern, heute noch jeden zu interessieren haben, morgen aber schon wieder vergessen sind. Aber Vorsicht, man tut gut daran, sich diesen Begriff zu merken. Vor allem, wenn man als Nachwuchskraft mit einem Abschluss im Fach Bauingenieurwesen auf eine Karriere hinarbeitet, die zwei Dinge verbindet: Erfolg und Sinnhaftigkeit. Was also ist urbane Resilienz? Im großen Stil besprochen wurde die Begrifflichkeit beim von der Bundesregierung veranstalteten dreitägigen Bundeskongress für Nationale Stadtentwicklungspolitik, der Mitte September in Berlin stattfand. „Transformation gestalten – Aufbruch zur urbanen Resilienz“ lautete der Titel der Tagung. Es ging darum, Strategien zu entwickeln, um die Städte widerstandsfähig zu machen. Gegen soziale Problemlagen. Gegen Gentrifizierung und demografische Entwicklungen. Und gegen den Klimawandel. Wobei Resilienz bei Letzterem gleich zwei Bereiche betrifft: Zum einen muss die Stadt von morgen dafür sorgen, die Folgen des Klimawandels abzumildern. Zum anderen steht sie vor der Aufgabe dazu beizutragen, dass die CO2-Emmissionen signifikant sinken.

Smart City: die große Vernetzung

„Alles, was der Hoch- oder Tiefbau errichtet, wird eingebettet in eine Datenstruktur. Kein Gebäude, kein Abwasserkanal, keine Straße, keine Brücke steht mehr nur für sich.“

Wie das gelingen kann? Die Initiative Nationale Stadtentwicklungspolitik ist Mit-Initiatorin der Digitalplattform Smart Cities. Moment, Smart City – ist das nicht auch so ein viel genanntes Buzzword? Nach dem Motto, wenn das Handy smart ist, dann sollten es auch alle anderen Dinge sein, Häuser, Autos und eben auch Städte? Genau gegen dieses Vorurteil geht die Digitalplattform mit Hilfe einer Smart City Charta an, die konkrete Leitlinien dafür vorgibt, was eine Smart City leisten soll. „Die Digitalisierung wird viele Bereiche von Verwaltung, Wirtschaft und Stadtgesellschaft weiter verändern“, heißt es in der im Internet abrufbaren Charta. „Smart City nutzt Informations- und Kommunikationstechnologien, um auf der Basis von integrierten Entwicklungskonzepten kommunale Infrastrukturen, wie beispielsweise Energie, Gebäude, Verkehr, Wasser und Abwasser zu verknüpfen.“ Das bedeutet: Alles, was der Hoch- oder Tiefbau errichtet, wird eingebettet in eine Datenstruktur. Kein Gebäude, kein Abwasserkanal, keine Straße, keine Brücke steht mehr nur für sich. Alles, was gebaut wird, wird Teil eines digitalen Netzwerks. Mit dem Ziel, Ressourcen zu schonen, Mobilität neu zu denken, den Wohlfühlfaktor in den Städten zu erhöhen. Oder, auf ein Schlagwort gebracht: die urbane Resilienz zu erhöhen.

Nun könnte ein wenig agil denkender Bauingenieur (oder eine wenig agil denkende Bauingenieurin) vermuten, dass diese Anforderungen an den Bau die Kapazitäten endgültig sprengen: Was soll der Bau denn noch alles leisten – zumal in Zeiten von Krisen und Kriegen, die steigende Preise und andere wirtschaftliche Sorgen auslösen. Darf sich das Bauwesen da nicht selbst genügen?

Studie zeigt Lücke bei digitaler Transformation

Nein, darf es nicht. Heute weniger denn je. Aber der Schritt der oben beschriebenen Vernetzung ist gar nicht so groß, wie er zunächst klingt. Schon jetzt vernetzen sich in einem modernen Bauprojekt die verschiedenen Akteure, sie arbeiten zusammen in digitalen Modellen, nutzen dafür verstärkt BIM, Building Information Modeling, eine smarte Lösung für digitale Vernetzungsansprüche in allen Phasen, von der Planung über den Bau sowie die Bewirtschaftung bis zum Rückbau. Das Projekt in einem zweiten Schritt an eine übergeordnete Dateninfrastruktur anzubinden, ist dann gar nicht mehr so komplex.

Studie zum „Image der deutschen Bauwirtschaft“

Wer den Fachkräftemangel beheben will, muss attraktiv für Talente sein. Wie aber ist es um das Image der deutschen Bauwirtschaft bestellt? Dieser Frage ging der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) in der „Imagestudie 2022“ nach. Das Fazit: „Das Image der Bauindustrie wandelt sich, und das zum Guten“, heißt es in der Studienzusammenfassung auf der Homepage des Hauptverbands. Keine andere Industrie oder Branche habe in den vergangenen Jahren so klare Imagezuwächse verzeichnet. „Die Studie zeigt allerdings auch, dass durchaus Kommunikationsbedarf besteht“, heißt es weiter. „Gerade jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zweifeln an der rasant voranschreitenden Modernisierung der Branche, der Innovationskraft, dem Beitrag zum Kampf gegen die Klimakrise und nicht zuletzt an den Verdienstmöglichkeiten.“ Die Studie, die der HDB zusammen mit dem Allensbacher Institut erstellt hat, ist als Zusammenfassung oder Komplettversion gratis im Netz über die Homepage des Verbandes verfügbar: www.bauindustrie.de

Jedoch muss selbstverständlich der erste vor dem zweiten Schritt gemacht werden, und hier gibt es immer noch genug zu tun. Eine Studie der Unternehmensberatung PwC aus dem Dezember 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass sich bei einer Umfrage in der deutschen Bauindustrie die Teilnehmenden einig darüber waren, dass die Digitalisierung „große Chancen“ bietet. Jedoch erkannten die Studienautor*innen bei den Einschätzungen der Befragten eine Lücke zwischen „dem Potenzial digitaler Lösungen und den eigenen Fähigkeiten“, wie es in der Studie heißt. Diese Lücke sei nicht neu, habe sich im Vergleich zu älteren Befragungen jedoch nicht verkleinert. Wo die Hindernisse für eine schnellere Entwicklung liegen? Auch hier liefert die PwC-Studie ein Ergebnis: „Die größte Herausforderung bei der Nutzung digitaler Lösungen ist nach wie vor der Fachkräftemangel.“

Das Henne-Ei-Dilemma

Die Lage ist ein wenig verzwickt: Der Bau benötigt digitale Talente, um den nächsten Schritt der Transformation zu gehen. Jedoch wirkt die Branche auf den Nachwuchs nur dann attraktiv, wenn sie in Sachen Digitalisierung Schritt halten kann. Das erinnert an die Frage, was denn zuerst da war, die Henne oder das Ei. Gefragt sind an dieser Stelle auch die Bauunternehmen: Sie müssen der jungen Generation zeigen, dass sie es mit der digitalen Transformation und ihrer zentralen Methode BIM ernst meinen. Die Talente wiederum stehen vor der Aufgabe, sich die großen Perspektiven der Branche vor Augen zu halten. Junge Menschen sollten die Chance sehen, als Digital Natives die Branche dabei zu unterstützen, ein neues Mindset zu entwickeln – ein Mindset nämlich, das Digitalisierung und Nachhaltigkeit ganz selbstverständlich zusammendenkt. Und wer als junger Mensch Interesse daran hat, mit seiner Arbeit in Sachen Nachhaltigkeit einen großen Hebel zu bedienen, der ist in der Bauwirtschaft sowieso richtig aufgehoben.

„Und wer als junger Mensch Interesse daran hat, mit seiner Arbeit in Sachen Nachhaltigkeit einen großen Hebel zu bedienen, der ist in der Bauwirtschaft sowieso richtig aufgehoben.“

Untersuchungen wie die Studie „Umweltfußabdruck von Gebäuden in Deutschland“ vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigen, dass die Herstellung, Errichtung, Modernisierung und Nutzung sowie der Betrieb von Wohn- und Nichtwohngebäuden einschließlich vor- und nachgelagerter Prozesse für rund 40 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich sind. Zwar besitzt der direkte Ausstoß der Bauunternehmen an diesen 40 Prozent nur einen Anteil von 2,6 Prozent, der Rest entfällt auf die Grund- und Baustoffhersteller, die Zulieferer und insbesondere, mit fast 75 Prozent, die Nutzung und den Betrieb der Gebäude. Jedoch stehen die Bauunternehmen in der Verantwortung, als zentrale Akteure der Bauwirtschaft alle anderen Akteure auf den Pfad für mehr Klima- und Umweltschutz mitzunehmen.

Vision 2035: Stark, schnell, klimafreundlich

Was möglich ist, zeigt ein Positionspapier der vom Fraunhofer Institut initiierten Fraunhofer Allianz-Bau. Die Task-Force hat Visionen für die Bauindustrie mit Bick auf das Jahr 2035 entworfen. Nach der Devise des US-Unternehmers John Rohn, nach der man sich nicht auf das Problem fokussieren sollte, sondern auf die Lösung, haben die Expert*innen von der Fraunhofer Allianz-Bau Meilensteine skizziert, die 2035 erreicht sein könnten. Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv. Aber: Diese Visionen sind kein reines Wunschdenken, sondern sie formulieren erreichbare Ziele.

Zu diesen Visionen zählt eine Bauwirtschaft, die sich zu einem „Netzwerk der Agilität und Produktivität“ entwickelt hat, wie es im Internet abrufbaren Positionspapier der Task- Force mit dem Titel „Bauen der Zukunft“ heißt: „Dank digitalisierter Prozesse und einer Kultur der Zusammenarbeit ist es gelungen, die stark fragmentierte und kleinteilige Bauwirtschaft zu einem starken und agilen Leistungsnetzwerk umzuformen. Die bewahrte mittelständische Struktur ist nachhaltig gestärkt und hat sich zum internationalen Maßstab in Agilität, Umsetzungsqualität und Innovationsgeschwindigkeit entwickelt. Die Start-Up-Szene wächst und spricht viele engagierte Nachwuchskräfte an.“ Und weiter: „Dank der Digitalisierung konnten viele sonst sehr zeitraubende Genehmigungs- und Zulassungsprozesse automatisiert und deutlich beschleunigt werden.“ Auch eine starke Klimaschutzbilanz ist Teil der Vision 2025: „70 % der CO2-Ausstöße des Referenzjahres 2019 konnten durch die Bauwirtschaft dank der neuartigen modularen und individualisierbaren Sanierungssysteme bereits reduziert werden“, formulieren die Studienautor*innen. Stark, schnell, klimafreundlich – und damit absolut attraktiv für junge Talente. So kann sie sein, die deutsche Bauindustrie im Jahr 2035!

Gebäude im Bann des Klimawandels

Die Bauindustrie steht mit Blick auf die Klimakrise vor gleich zwei Aufgaben. Zum einen muss sie dringend ihren CO2- Fußabdruck verkleinern. Zum anderen muss sie Gebäude planen und bauen, die den jetzt schon erkennbaren Folgen des Wandels standhalten können – und zwar natürlich, ohne zusätzliche Emissionen zu verursachen. Wie das funktionieren kann, zeigt ein Papier mit Handlungsempfehlungen, das Forschende der Uni Stuttgart entwickelt haben. Demnach geht es darum, die Sommerhitze in den Gebäuden zu reduzieren. Faktoren hierfür sind Material und Farbe der Fassade, Ausrichtung und Qualität der Verglasung sowie viel Grün außerhalb des Gebäudes: das kühlt und schenkt im Sommer Schatten. Einen Blick richten die Forschenden auch auf Extremwetterereignisse, die in der Folge des Klimawandels zunehmen können. Um Schäden durch Starkregen oder Hagel zu vermeiden, empfehlen sich an stark beanspruchten Gebäude-Elementen robuste Materialien. Um einer Überflutung vorzubeugen, schlagen die Forschenden vor, urbane Freifläche zu entsiegeln, ober- oder unterirdisch Speicherbecken zu installieren sowie Gebäudeöffnungen in flutgefährdeten Bereichen besonders zu schützen. Die gesamten Handlungsempfehlungen sind im Internet auf der vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen betriebenen Seite zukunftbau.de abrufbar.

Viele Disziplinen – Bauingenieur*innen im Zentrum

Aber natürlich ist das kein Selbstläufer. Die Bauforscher* innen von der Fraunhofer Allianz-Bau stellen den möglichen Ergebnissen einen zentralen Handlungsbedarf in vielen Feldern entgegen. So fordern die Autor*innen des Positionspapiers eine ökologische und strukturelle Transformation, die zu einer Innovationsoffensive führt. Umsetzen könne man diese nur, wenn sich alle Akteure der Bauwirtschaft dem interdisziplinären Ansatz stellen – schon allein, „um der hohen Komplexität Herr zu werden“, wie es im Papier heißt. Sprich: Die Bauindustrie entwickelt sich zu einer Art zentraler Meta-Branche, in der die Talente und Expertisen ganz verschiedener Denkrichtungen zusammenkommen. Wobei die Bauingenieur*innen eine Schlüsselrolle übernehmen: Bei ihnen laufen die Fäden zusammen, sie stellen das Herz des interdisziplinären Netzwerks dar, in dem die technischen Belange der Gewerke genauso einfließen wie Nachhaltigkeitskriterien, digitale Methoden wie BIM, soziale, politische oder ethische Erwartungen sowie das Zusammenspiel des einen Bauvorhabens mit den digitalen Infrastrukturen des systemischen Netzwerks. Man erkennt hier die Vielfalt der Disziplinen: IT und Ethik, Sozialforschung und Politik, Umwelttechnik und Stadtplanung – mit Bauingenieur*innen an zentraler Stelle.

Damit die Bauingenieur*innen diese Arbeit leisten können, muss die Bauindustrie weitere Änderungen anstoßen und verwirklichen. Benötigt werde, so heißt es im weiter in dem Papier, erstens, ein weiterer Schub bei der Digitalisierung – insbesondere, was Themen wie Prozessoptimierung, Transparenz, automatisierte und systemische Vernetzung aller Prozessbeteiligten betrifft. Zweitens sei die Weiterentwicklung von „vorzufertigenden, modularen Bausystemen“ wichtig, um am Bau agiler und flexibler tätig sein zu können – gerade auch mit Blick auf aktuelle Krisensymptome wie Verfügbarkeit und Preise von Roh- und Baustoffen sowie der Verletzlichkeit globaler und regionaler Lieferketten. Drittens fordert die Allianz- Bau eine echte „Materialinnovation“, die verstärkt biobasierte, nachwachsende und recyclingfähige Baustoffe einsetzt – „in Kombination mit neuen Verarbeitungsprozessen und besserer Trennbarkeit“, sodass im Vorfeld des Baus sowie beim Rückbau die Gedanken der Kreislaufwirtschaft eingehalten werden. Um diese großen Aufgaben zu stemmen, braucht das deutsche Bauwesen motivierte, engagierte und fachlich herausragende Talente. Um sie zu gewinnen, muss die Branche nicht nur attraktive Jobs bieten. Sie muss auch die Chance ergreifen, zu zeigen, was in diesem Segment möglich ist. Es geht wortwörtlich darum, die Zukunft zu bauen. Eine Zukunft, die vernetzt und komplex sein wird, nachhaltig und ressourcenschonend, krisenfest und resilient. Eine Zukunft, zu gut, um nicht daran mit anpacken zu wollen.

Buchtipp

Nachhaltige und digitale Baukonzepte

Cover Nachhaltige und digitale BaukonzepteIn Anbetracht der Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Umwelt müssen bestehende Prozesse in vielen Bereichen unserer Gesellschaft überdacht werden. Damit einhergehend ist es wichtig, innovative und vor allem auch ökologische Konzepte vermehrt in den Fokus zu rücken. Da die Baubranche einen massiven Anteil an den negativen Effekten auf unsere Umwelt hat, liegt es nahe, erfolgsversprechende Ansätze genau in diesem Bereich ausfindig zu machen. Mithilfe digitaler Konzepte sind verschiedene Zusammenhänge so modifizierbar, dass Abläufe nicht nur effektiver, sondern insbesondere auch nachhaltiger werden. So stellt sich im Hinblick auf die anstehenden Herausforderungen infolge des Klimawandels die Frage, welche zusätzlichen Potenziale sich durch innovative Herangehensweisen ergeben. Das vorliegende Sammelwerk präsentiert diesbezüglich aktuelle und zukunftsweisende Konzepte aus verschiedenen Bereichen der Baubranche. Thomas Kölzer (Hrsg.): Nachhaltige und digitale Baukonzepte: Methoden und Wege zu einer ökologisch ausgerichteten Baubranche. Springer Vieweg 2022, 49,99 Euro

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