Wie kann KI zu mehr Nachhaltigkeit führen?

KI kann unter passenden Bedingungen zu mehr Nachhaltigkeit in unterschiedlichsten Bereichen führen. Allerdings muss sie sich selbst auch an den dafür festgelegten Kriterien messen lassen. von Christoph Berger

Eine Ende Januar 2023 veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass die globale Erwärmung wahrscheinlich in den frühen 2030er-Jahren 1,5 Grad Celsius über dem Industrieniveau liegen wird. Zudem bestehe eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Zwei-Grad- Marke, die von der Wissenschaft als kritischer Punkt identifiziert wurde, bis zur Mitte des Jahrhunderts überschritten werde. Diese Ergebnisse sind die Antwort einer Künstlichen Intelligenz. Wissenschaftler* innen der Universitäten Stanford und Colorado State, beide USA, hatten diese im Rahmen ihrer Studie eingesetzt, um den kritischen Zeitpunkt der Erderwärmung vorherzusagen. Künstliche Intelligenz kann aber nicht nur Vorhersagen darüber treffen, wie sich zum Beispiel das Klima in der Zukunft unter bestimmten Prämissen entwickeln könnte, sie kann auch ganz konkret Einfluss nehmen. So zeigt zum Beispiel ein Policy Brief des Fraunhofer- Instituts für System- und Innovationsforschung ISI, dass insbesondere KI-Systeme dabei helfen können, Prozesse in Energieanlagen zu optimieren. Insofern die infrastrukturellen Voraussetzungen stimmen. Tun sie das, kann KI m Energiesystem der Zukunft, das von vielen kleinen Solaranlagen, Stromspeichern und flexiblen Stromanwendungen wie Wärmepumpen oder Elektrofahrzeugen geprägt sein wird, etwa die Auslastung sowie die Zusammenführung von Energieerzeugung und -bedarf optimieren. Ebenso lassen sich mit ihr Entscheidungsgrundlagen für den Betrieb und die Organisation des Energiesystems erstellen und Energieinfrastrukturen planen. Hierbei ist allerdings Voraussetzung, dass jederzeit genügend Daten zur Verfügung stehen, etwa von den Stromerzeugern oder den nachfragenden Haushalten.

KIs für Abfall- und Landwirtschaft

Im Forschungsprojekt „Smart Recycling Up“ untersuchen das Institut für Energie und Kreislaufwirtschaft der Hochschule Bremen, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg sowie vier Abfallverwertungsbetriebe aus Norddeutschland, wie großstückige Abfälle mithilfe von moderner Sensorik, KI-Methoden und Robotik effizienter wiederverwertet werden können. Bisher können nur kleinere Abfälle automatisiert getrennt werden. Größere Abfälle wie Sperrmüll oder Bauschutt müssen dafür zunächst aufwendig zerkleinert werden. Ziel des Projekts ist es, Materialien vollautomatisch zu identifizieren, zu klassifizieren und zu sortieren.

Studie KI und Nachhaltigkeit

Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und das Fraunhofer IPA haben eine Studie für produzierende Unternehmen mit Potenzialen und einem Handlungsleitfaden mit Schwerpunkt KI und Nachhaltigkeit veröffentlicht.
Auch in der Landwirtschat kommt KI vermehrt zum Einsatz. Eine Bitkom- Befragung hat ergeben, dass bereits jeder siebte Betrieb (14 %) Künstliche Intelligenz oder die Verarbeitung großer Daten – Big Data – im Einsatz hat. Algorithmen werten etwa Satellitenbilder von Feldern aus, erstellen Ernteprognosen und berechnen den spezifischen Düngeraufwand, damit die Nährstoffe bei der Pflanze und nicht im Grundwasser ankommen. In anderen Fällen analysieren Sensoren oder Künstliche Intelligenz Pflanzen auf dem Feld und können Unkraut von Nutzpflanzen unterscheiden. Eine großflächige Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln ist damit nicht mehr nötig. „Landwirtschaftliche Produktionsprozesse sind von vielen Umwelt- und Klimafaktoren beeinflusst und haben immer mit Naturstoffen zu tun. Dies prädestiniert sie zum Einsatz digitaler Methoden auf der Basis von Künstlicher Intelligenz und Big Data“, sagt Prof. Dr. Till Meinel vom Institut für Bau- und Landmaschinentechnik in Köln, der zudem Vizepräsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft ist.

Der Ressourcenverbrauch von KI

Nicht zu vergessen der Einsatz von KI in smarten Verkehrssystemen und Smart City-Konzepten. Ein Beispiel: Forschende am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, Institutsteil für industrielle Automation INA realisieren in Lemgo eine intelligente Ampelsteuerung mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Dabei ermitteln trainierte Algorithmen das beste Ampel-Schaltverhalten und die beste Phasenfolge, um die Wartezeiten an der Kreuzung zu verkürzen, Fahrzeiten zu senken und den durch Staus entstehenden Lärm und die CO2-Belastung zu senken. Die KI-Algorithmen laufen auf einem Edge-Computer im Schaltkasten an der Kreuzung. Bei all den Vorteilen, die KI in Bezug auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz bringen kann, bleiben zwei Fragen. Erstens: Wie sieht es mit dem Ressourcenverbrauch Künstlicher Intelligenzen selbst aus? Denn tatsächlich ist es so, dass die Entwicklung und Nutzung von KI einige Nachhaltigkeitsprobleme verursachen kann. Dazu zählen beispielsweise das Training und der Betrieb von KI-Systemen, die sehr energieintensiv sein können und damit einen großen Energieverbrauch erfordern. Insbesondere gilt das für Deep Learning-Systeme. Ein zweiter Aspekt in diesem Zusammenhang spielt die schnelle Entwicklung der KI-Technologie, die die schnelle Ablösung von Geräten und Systemen zur Folge hat. Das führt zu einer erhöhten Menge an Elektronikschrott. Und drittens ist da die Datenbelastung: KI-Systeme erfordern große Mengen an Daten, um zu trainieren und zu funktionieren. Das zusammen führt zu einer erhöhten Datenbelastung und -verschmutzung.

Grüne KI als Qualitätssiegel

Was die Frage nach dem Ressourcenverbrauch Künstlicher Intelligenz betrifft, sagt Oliver Zielinski, Leiter des Kompetenzzentrums KI für Umwelt und Nachhaltigkeit (DFKI4planet) und Mitglied der Plattform Lernende Systeme, dass wir mehr Nachhaltigkeit durch KI und mehr Nachhaltigkeit in der KI bräuchten. Und auf die Frage was zu tun sei, damit die ökologische Bilanz des KI-Einsatzes im Auftrag des Klimaschutzes positiv ausfalle, antwortet er: „Einiges wird bereits gemacht, aber das reicht noch nicht aus. Gerade in der Forschungsförderung haben verschiedene Bundesministerien (BMUV, BMBF, BMWK) Programme entwickelt und veröffentlicht, die Grundlagen schaffen und in exemplarische Anwendungen überführen.
Am Ende kann Grüne KI so zum Qualitätssiegel für klimaförderliche KI-Technologien werden und gleichzeitig zu einem ökologischen Wettbewerbsvorteil für Europa.
Diese Vorhaben werden gerne als Leuchttürme bezeichnet. Das ist ein Anfang, aber wir brauchen ein ganzes Lichtermeer.“ Erfolgreiche Ansätze müssten in die Breite gebracht werden, wozu gesellschaftliche Akzeptanz, rechtliche Rahmenbedingungen und nicht zuletzt Investoren notwendig seien. Breitere Akzeptanz werde durch Partizipation und Transparenz erreicht. Rechtsrahmen und Normen würden helfen, ökologische Nachhaltigkeit zum Standard zu machen, was wiederum auch positive Impulse für die Finanzierung von neuen Geschäftsmodellen und Unternehmungen mit sich bringe. „Am Ende kann Grüne KI so zum Qualitätssiegel für klimaförderliche KI-Technologien werden und gleichzeitig zu einem ökologischen Wettbewerbsvorteil für Europa“, ist sich Oliver Zielinski sicher. Die zweite Frage betrifft die dritte Komponente des Nachhaltigkeitsbegriffs, das Soziale. So heißt es zum Beispiel bei AlgorithmWatch, einer gemeinnützigen Forschungs- und Advocacy-Organisation, dass „Menschen als sogenannte Clickworker unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen Trainingsdatensätze für KI-Systeme bearbeiten und diese nicht selten bestehende Diskriminierungsmuster verstärken“ würden. Ein Grund für das Verbundprojekt „SustAIn“: AlgorithmWatch, das Distributed Artificial Intelligence Labor (DAI-Labor) an der Technischen Universität Berlin und das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung erarbeiten darin unter anderem Richtlinien für eine nachhaltige KI-Entwicklung.

Kein Plug and Play für KI in der Industrie

Während die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz (KI) mit der Veröffentlichung von ChatGPT für die Allgemeinheit erst seit Kurzem so richtig wahrnehmbar sind, wird in der Industrie schon länger am KI-Einsatz gearbeitet – auch wenn viele Unternehmen dort ebenso noch am Anfang stehen. Doch manche Unternehmen sind schon weiter und haben unterschiedlichste KIAnwendungen bereits in ihre Prozesse integriert. Von Christoph Berger

Auch wenn die meisten Unternehmen, 64 Prozent, noch am Anfang ihrer digitalen Transformation stehen und sich ihre digitalen Initiativen bisher nicht skalieren lassen, treffen die Autor*innen der PwC-Studie „Digital Factory Transformation Survey 2022“ eine klare Aussage: Die effektivsten Unternehmen implementieren eine ganze Reihe digitaler Technologien auf Werksebene, um die Flexibilität und Resilienz der Fertigung zu erhöhen und die Betriebskosten durch digitale Fertigung und Fabrikautomatisierung zu senken. Ein weiteres Ergebnis: Industrieunternehmen investieren weltweit jährlich über eine Billion Euro in digitale Transformationslösungen auf dem Weg zur Industrie 4.0. Wie so eine Investition aussehen kann, lässt sich am Beispiel des schweizerischen Konzerns ABB beschreiben. Das Unternehmen eröffnete im Dezember 2022 in China eine vollständig automatisierte und flexible Roboterfabrik. In dem 67.000 Quadratmeter großen Produktions- und Forschungsstandort wird die physische und digitale Welt vereint, die Rede ist von einem digitalen Ökosystem für die Produktion. Zum Einsatz kommen darin virtuelle Planungs- und Produktionsmanagementsysteme, um die Leistung zu verbessern und die Produktivität durch die Erfassung und Analyse von Daten zu maximieren. Feste Montagelinien sucht man dort vergebens, zu finden sind stattdessen flexible, modulare Fertigungszellen, die digital vernetzt sind und von intelligenten, autonomen und mobilen Robotern bedient werden. KI-gestützte Robotersysteme übernehmen Aufgaben wie Schrauben, Montage und Materialhandhabung, sodass Mitarbeitende entlastet werden.
Für den Übergang in die Datenökonomie brauchen wir breite Datenkompetenzen: Expertinnen und Experten, die vielversprechende Anwendungsgebiete für KI identifizieren, solche, die Daten aufbereiten und KI-Systeme entwickeln und trainieren. Vergessen dürfen wir jedoch nicht, dass die Nutzer, die später mit KI-Systemen arbeiten, ein grundlegendes Verständnis haben sollten.
Im angeschlossenen Forschungs- und Entwicklungszentrum des Standorts wird zudem an der weiteren Zukunft gearbeitet, an Innovationen in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Software, darunter Technologien wie autonome Mobilität, digitale Zwillinge, maschinelle Bildverarbeitung und Low-Code-Programmiersoftware, um Roboter intelligenter, flexibler, sicherer und benutzerfreundlicher zu machen. Die zunehmende Bedeutung von KI für die Industrie zeigt sich auch in einer eigens geschaffenen Plattform für Künstliche Intelligenz auf der im April 2023 stattfindenden Hannover Messe. In einer dazugehörigen Mitteilung wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass sich der KI-Einsatz in Industrie und Fertigung von anderen Branchen unterscheidet. Zwar sei ein Prototyp oft schnell entwickelt, die Herausforderung in industriellen KI-Projekten liege aber neben der Datengewinnung und deren Verarbeitung meist in der Integration der Anwendung in einer Anlage, Zelle, Fördertechnik, Produktionsstraße – KI Plug and Play funktioniere nur selten. Einsatzmöglichkeiten für KI gibt es demnach viele. Doch bei all dem Potenzial gibt es eine weitere Herausforderung. Auf die wies Reinhard Ploss, Co- Vorsitzender der Plattform Lernende Systeme, im Rahmen des Digital-Gipfels, der im Dezember 2022 stattfand, im Gespräch mit Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hin: „Für den Übergang in die Datenökonomie brauchen wir breite Datenkompetenzen: Expertinnen und Experten, die vielversprechende Anwendungsgebiete für KI identifizieren, solche, die Daten aufbereiten und KI-Systeme entwickeln und trainieren. Vergessen dürfen wir jedoch nicht, dass die Nutzer, die später mit KI-Systemen arbeiten, ein grundlegendes Verständnis haben sollten.“ Ein grundlegendes Verständnis von KI.

Kuratiert

KI lernt Stratego auf Basis von Reinforcement Learning Algorithmus

Laut der im Dezember 2022 in der Fachzeitschrift „Science“ vorgestellten Studie „Mastering the game of Stratego with model-free multiagent reinforcement learning“ hat eine Künstliche Intelligenz des Unternehmens DeepMind erstmals das Niveau sehr guter menschlicher Spieler bei der digitalen Variante des Brettspiels Stratego erreicht. Aufgrund der bei dem Spiel erforderlichen Weitsicht, dem Fällen von Entscheidungen auf unvollständigen Informationen sowie der meist sehr vielen Optionen und Züge war dieses Niveau bislang nicht erreichbar. Das besondere an der KI mit dem Namen „DeepNash“ ist zudem, dass sie ohne menschliche Demonstration gelernt hat. Stattdessen basiert sie auf einem Reinforcement Learning Algorithmus. Bedeutet: Sie hat beim Spielen gegen sich selbst gelernt. Auf diesem Weg hat sie sich auch ein Verhalten angeeignet, das als Täuschung oder Bluffen interpretiert werden kann.

Die Hemmschwelle für den KI-Einsatz in Unternehmen sinkt

31 Prozent der vom ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft für das Trendbarometer „Arbeitswelt“ befragten Führungskräfte gaben an, dass KI 2023 eine höhere Bedeutung erlangen wird. Außerdem kam dabei heraus, dass während KI in die Arbeitswelt zurzeit schleichend eindringt, vernetzte Digitalisierung und Industrie 4.0 schon seit vielen Jahren großflächig in den Unternehmen angewendet werden. Beschäftigte ohne Führungsverantwortung sehen diese Themen auch in der Zukunft weiter ansteigen. An erster Stelle allerdings steht die arbeitsbezogene psychische Belastung – wegen der vielfältigen Sorgen der Beschäftigten, was den Umgang mit der Technik und deren Folgen auch für sie persönlich betrifft. „Diese Bewertung zeigt unserer Meinung nach, dass der Fokus allein auf technische Konzepte nicht reicht. Gleichzeitig sind insbesondere Transparenz, Beteiligung der Betroffenen und der Einsatz von Lernkonzepten notwendig“, kommentiert Prof. Dr.-Ing. Sascha Stowasser, Direktor des ifaa dieses Ergebnis.

Zweite Ausgabe der Normungsroadmap KI

Am 9. Dezember 2022 wurde im Rahmen des Digital-Gipfels der Bundesregierung die 2. Ausgabe der Normungsroadmap KI an Bundesminister Robert Habeck übergeben und anschließend veröffentlicht. Die Normungsroadmap KI ist Teil der KI-Strategie der Bundesregierung und gibt konkrete Handlungsempfehlungen für die Normung und Standardisierung im Bereich Künstlicher Intelligenz. Das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) und die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE) haben sie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erstellt – sie ist eine Weiterentwicklung der Ergebnisse aus der ersten Ausgabe. Neben den bisherigen Themen Grundlagen, Sicherheit, Prüfung und Zertifizierung, Industrielle Automation, Mobilität sowie Medizin lag der Fokus der zweiten Ausgabe zusätzlich auf den Themenbereichen Soziotechnische Systeme, Finanzdienstleistungen und Energie/Umwelt. Insgesamt umfasst das Dokument nun 116 Normungs- und Standardisierungsbedarfe zu neun Schwerpunktthemen und liefert sechs zentrale Handlungsempfehlungen. Von Christoph Berger

ChatGPT: Eine Evolution mit unermesslicher Zukunft

Im November 2022 machte das KI-Unternehmen OpenAI seinen Chatbot ChatGPT für die Öffentlichkeit zugänglich. Schnell überhäuften sich daraufhin die Meldungen, was mit dem Bot alles möglich ist – und wo Schwächen liegen. Erahnen lässt sich bei all dem schon heute, und wir befinden uns irgendwie noch am Anfang der Entwicklung, welche Bedeutung und welches Potenzial in der Technologie steckt. Von Christoph Berger

Starten wir, wie es derzeit viele tun. Befragen wir ChatGPT direkt: „Was kann Chat GPT?“. Die Antwort: „ChatGPT ist ein von OpenAI entwickeltes KI-Sprachmodell, das eine Vielzahl von Aufgaben zur Verarbeitung natürlicher Sprache ausführen kann, z. B. Fragen beantworten, Text generieren, Text übersetzen, Text zusammenfassen und mehr. Es wurde anhand eines großen Datensatzes von Texten aus dem Internet trainiert und verfügt daher über ein breites Spektrum an Allgemeinwissen, aber seine Genauigkeit kann variieren.
Es ist schwer, die genauen Fähigkeiten von ChatGPT oder jeder anderen KI-Technologie in zehn Jahren vorherzusagen, da dies von vielen Faktoren abhängt“
„Und was wird mit ChatGPT in zehn Jahren möglich sein?“ Antwort: „Es ist schwer, die genauen Fähigkeiten von ChatGPT oder jeder anderen KI-Technologie in zehn Jahren vorherzusagen, da dies von vielen Faktoren abhängt, z. B. von Fortschritten auf dem Gebiet der KI, der Verfügbarkeit größerer und vielfältigerer Trainingsdaten und der Menge der verfügbaren Rechenressourcen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass KI-Modelle wie ChatGPT noch ausgefeilter werden, ein tieferes Verständnis der natürlichen Sprache entwickeln und ein breiteres Spektrum an Aufgaben mit höherer Genauigkeit ausführen können. Darüber hinaus könnte es Entwicklungen in Bereichen wie dem unüberwachten Lernen, dem Transferlernen und dem Verstärkungslernen geben, die es KI-Modellen ermöglichen, in realen Umgebungen zu lernen und sich anzupassen.“ Dr. Thilo Hagendorff, Post-Doc am Exzellenzcluster „Machine Learning: New Perspectives for Science“ an der Eberhard Karls Universität Tübingen, ist sich zumindest sicher, dass andere Firmen nachziehen und ihre Sprachmodelle der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen werden. Er sagt außerdem „Und ich glaube, das kreative Potenzial, das dann freigesetzt wird, der gesellschaftliche Impact, den es haben wird, da machen wir uns überhaupt kein Bild von. Ich halte das für massiv, was dort passiert, wenngleich meine Fantasie, glaube ich, noch nicht zulässt, alles zu sehen, was da in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren passieren wird.“ Zu bedenken gebe es nur eine Sache: „Man überlege sich nur einmal, was passiert, wenn wir jetzt KI-Systeme wie diese mächtigen Sprachmodelle mit anderen KI-Systemen kombinieren. Also wenn wir so ein Sprachmodell in einen Roboter einbauen oder wenn wir sie mit Bildgenerierungs- KIs kombinieren oder Ähn liches. Da wird sich so viel verändern, nicht nur was Medien anbelangt, sondern auch was das menschliche Zusammenleben, was die Wirtschaft angeht, dass dort einiges auf uns zukommt.“ Auch Dr. Oliver Brock, Professor am Robotics and Biology Laboratory und Sprecher des Clusters „Science of Intelligence“ an der Technische Universität Berlin, glaubt, dass sich die Menschheit auf einem Weg in eine neue Ära in der künstlichen Intelligenz befindet: „Und wenn ich künstliche Intelligenz sage, dann meine ich maschinelles Lernen –, die immer schneller vorangeht und immer mehr Bereiche unseres Alltags berühren und dort Relevanz zeigen wird.“ Er glaubt aber auch, dass es wesentlich länger dauern wird, bis diese Entwicklung sich auf die biologische Art von Intelligenz auswirken werde: „Da wird es sicherlich Auswirkungen geben. Aber ich glaube, dass da noch viel größere, fundamentalere Probleme auf uns warten, von denen wir noch nicht wissen, was da die Lösung sein könnte.“
Das, was Menschen schon wissen, lernen sie ja auch nicht dauernd immer wieder. Je mehr ich an Wissen schon nutzen kann, desto weiter kann ich kommen.
Die derzeitige Aufmerksamkeit um ChatGPT bewertet Oliver Brock allerdings als Hype. Ein Hype in dem Sinne, dass der Grad der Aufregung durch die Sache nicht gerechtfertigt sei. Allerdings würde dieser Hype ganz viele Nebeneffekte auslösen: Es werde sehr viel mehr Geld investiert und sehr viel mehr Aufmerksamkeit auf diesen Bereich der KI-Forschung gelenkt. So viel mehr, dass wahrscheinlich viele junge Forscherinnen und Forscher sagen, ebenfalls an so etwas forschen zu wollen. Auch wenn abzuwarten sei, was dann tatsächlich alles passiere. Wellen von abflachendem und aufsteigendem Hype werde es auch weiterhin geben. Professorin Dr. Ute Schmid, Leiterin der Arbeitsgruppe Kognitive Systeme an der Fakultät Wirtschaftsinformatik und Angewandte Informatik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, bewertet das öffentliche zur Verfügung stellen von ChatGPT durch OpenAI als einen guten Schachzug. Meint aber: „Ich würde sagen, es ist eine Evolution und keine Revolution.“ Gleichzeitig ist laut ihren Beobachtungen so viel Bewegung in der KI.Forschung wie selten zuvor. Und sie findet es spannend, dass aktuell ein ganz neues und großes Interesse an den klassischen wissensbasierten Methoden und Technologien erkennbar wird: „Das fällt unter den etwas schöner klingenden Begriff neuro-symbolic AI, neuro-symbolische KI. Es wurde doch erkannt, dass man eigentlich beides braucht. Das, was Menschen schon wissen, lernen sie ja auch nicht dauernd immer wieder. Je mehr ich an Wissen schon nutzen kann, desto weiter kann ich kommen. Das wird zunehmend auch erkannt im Bereich der Machine-Learning-Forschung.“

Und was sagt der Chatbot selbst zu den Anforderungen, die KI-Expert* innen benötigen?

Frage: „ChatGPT, welches Wissen brauchen KI-Experten, um große KI-Sprachmodelle zu entwickeln?“ Die Antwort von ChatGPT: „Die Entwicklung großer KI-Sprachmodelle wie ChatGPT erfordert ein tiefes Verständnis verschiedener Bereiche der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens. Dazu zählen:
  1. Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP): Der Schlüssel zur Entwicklung von KI-Sprachmodellen ist das Verständnis der Struktur und Bedeutung der menschlichen Sprache. Dies erfordert Kenntnisse von NLP-Techniken wie Tokenisierung, Part-of-Speech- Tagging, Named Entity Recognition und Parsing.
  2. Tiefes Lernen: Große KI-Sprachmodelle basieren auf tiefen neuronalen Netzen, so dass ein umfassendes Verständnis von Deep Learning unerlässlich ist. Dazu gehören Kenntnisse über gängige neuronale Netzwerkarchitekturen wie rekurrente neuronale Netzwerke (RNNs), Transformatoren und Faltungsneuronale Netzwerke (CNNs).
  3. Maschinelles Lernen in großem Maßstab: Das Trainieren großer KISprachmodelle erfordert viele Rechenressourcen, weshalb Fachwissen über verteiltes und paralleles Rechnen wichtig ist. Dazu gehören Kenntnisse über Techniken wie Gradientenabstieg, Mini-Batch-Training und Modellparallelität.
  4. Modell-Optimierung: Große KISprachmodelle sind komplex und erfordern eine große Menge an Daten zum Trainieren, so dass die Optimierung ihrer Leistung eine zentrale Herausforderung darstellt. Dies erfordert Kenntnisse über Techniken wie Regularisierung, frühzeitiges Stoppen und Abstimmung der Hyperparameter.
  5. Datenmanagement und Vorverarbeitung: Die Handhabung und Vorverarbeitung großer Datensätze ist ein entscheidender Aspekt beim Training von KISprachmodellen. Dies erfordert Kenntnisse in den Bereichen Datenbereinigung, Normalisierung und Datenerweiterung sowie Kenntnisse über Tools für die Arbeit mit großen Datensätzen, wie z. B. Apache Spark oder Dask. Zusätzlich zu diesen technischen Fähigkeiten benötigen KI-Experten auch starke Problemlösungskompetenzen, die Fähigkeit, effektiv in einem Team zu arbeiten, und starke Kommunikationsfähigkeiten, um effektiv mit anderen Forschern und Interessenvertretern zusammenzuarbeiten.“ „Danke, ChatGPT!“

Culturedata: Kultur-, Buch- und Linktipps

Ein von ChatGPT verfasstes Weisheitsbuch?

Cover Was euch zu Menschen machtDieses Buch enthält Weisheitstexte, die durch KI im Bereich der Spracherkennung verfasst wurden. Es ist die GPT-3, die durch die Technikerin Jasmine Wang gesteuert wird. Die originären Texte von GPT-3 werden von dem international bekannten Dichter Iain S. Thomas kuratiert. Die Basis von GPT-3 reicht von den Weisheitsbüchern der Menschheit bis hin zu modernen Texten. GPT-3 antwortet auf Fragen wie: Was macht den Mensch zum Menschen? Was bedeutet es zu lieben? Wie führen wir ein erfülltes Leben? und ist in der Lage, eigene Sätze zu kreieren. So wird eine zeitgenössische und noch nie dagewesene Erforschung von Sinn und Spiritualität geschaffen, die zu einem neuen Verständnis dessen inspiriert, was uns zu Menschen macht. Iain S. Thomas, Jasmine Wang, GPT-3: Was euch zu Menschen macht. Diederichs 2022, 18 Euro.

ABBA-Musiker Björn Ulvaeus: Musikproduktion mit KI

Im Rahmen der Innovationskonferenz DLD in München sagte Abba-Musiker Björn Ulvaeus gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, dass er glaube, dass Künstliche Intelligenz mit der Zeit bessere Musik als viele Menschen schreiben werde. In der Musikproduktion komme bereits heute Software zum Einsatz, die zumindest Teile von Songs automatisiert generieren könne. Bisher werde sie aber vor allem als Werkzeug zum Unterstützen der Komponist*innen gesehen. Ulvaeus ist auch an einem Songwriting-Tool namens Session beteiligt, das während des Songschreibens Metadaten zu diesem kreativen Prozesses erfasst.

Roman: Mind Gap

Cover Mind Gap„Wir stehen an der Schwelle zu einer technischen Revolution, die unser Denken und Handeln für immer verändern wird.“ Das verspricht Erik Grote bei der Vorstellung des NINK. Ursprünglich in der Militärforschung entwickelt, sollte der NINK-Chip ein Auslöschen traumatischer Kampferinnerungen ermöglichen. Die Journalistin Silvie wird Opfer dieser Realitätsveränderungen, als es heißt, ihr Bruder habe zwei Menschen ermordet und sich danach in den Kopf geschossen. Nichts von all dem ergibt einen Sinn. Also beginnt Silvie zu recherchieren und schnell wird klar, dass jeder noch so bahnbrechende Fortschritt in den falschen Händen aufs Schrecklichste pervertiert werden kann. Anne Freytag: Mind Gap. dtv 2023, 16,95 Euro

Der Mann, der aus dem 3D-Drucker kam

Cover Der Mann der aus dem 3D-Drucker kamMünchen, 2059: Walter Fabricius, einst gefeierter, nun vergessener und verwitweter Schauspieler, ist entschlossen, sein Leben an seinem 70. Geburtstag im Kreise seiner Kinder zu beenden. Bei den Vorbereitungen für seinen Abgang erfährt er von einer fast unglaublichen Möglichkeit: Eine mysteriöse Schweizer Firma bietet an, eine jüngere, optimierte Version von sich selbst mithilfe eines 3D-Bio-Druckers in Asien zu produzieren. Walter zögert nicht lang. Er lässt sich in Zürich einscannen und um 35 Jahre verjüngt in Bangkok ausdrucken. Dabei geschieht ein verhängnisvoller Fehler, der alles auf den Kopf stellt und sein junges Alter Ego auf einen atemlosen Trip durch ein Thailand der Zukunft und zu Walter selbst führt. Max Claro: Der Mann, der aus dem 3D-Drucker kam. Heller 2022, 16,90 Euro

Betriebswirtschaftliche KI-Anwendungen

Cover Betriebswirtschaftliche KI-AnwendungenDigitalisierung und Künstliche Intelligenz ermöglichen Unternehmen disruptive Erweiterungen ihrer Geschäftsmodelle. Wer rechtzeitig digitale KI-Geschäftsmodelle einführt, wird seinen Erfolg nachhaltig sichern können. Aber wie und wo können solche Modelle Anwendung finden? Diese Publikation gibt Antworten, wo KI-Geschäftsmodelle greifen können, und wie diese von der ersten Idee bis zur produktiven Anwendung realisiert werden können. Christian Aichele, Jörg Herrmann (Hrsg.): Betriebswirtschaftliche KI-Anwendungen. Springer 2023, 64,99 Euro

Von ChatGPT: Humorvolle Kurzgeschichten

Cover Humorvolle KurzgeschichtenDie drei Autoren Dr. Dierk Fricke, Tim Kämpfer und Johannes Lindmüller nutzen in ihrem Buch humoristische Kurzgeschichten, die von einer KI geschrieben wurden, um die Möglichkeiten und den aktuellen Stand intelligenter Algorithmen für eine breite Masse erfahrbar zu machen. Die witzigen Geschichten zeigen auf erstaunliche Weise, inwieweit eine KI eine Autorin sein kann, jedoch auch, welche Grenzen bestehen. Dabei wurden die Kurzgeschichten vollständig durch die KI geschrieben. Lediglich der schriftliche Auftrag an die künstliche Intelligenz entstammt der menschlichen Kreativität. Was der Chatbot ChatGPT hieraus erschafft, ist absolut erstaunlich. Dr. Dierk Fricke, Johannes Lindmüller, Tim Kämpfer: Die humorvollsten Kurzgeschichten, die K I jemals geschrieben hat. Avocado Verlag 2023, 15 Euro

KI erzeugt „leichte Sprache“

Nach Aussage der SUMM AI GmbH sind in Deutschland mehr als zehn Millionen Menschen darauf angewiesen, dass ihnen Informationen in Leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden – einem definierten Sprachstil mit einfacher Satzstruktur und zusätzlichen Erklärungen. Nur mit so zur Verfügung gestellten Informationen können Menschen mit Lernschwierigkeiten, ältere oder kranke Menschen oder Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, ihren Alltag meistern. Das Start-up hat vor diesem Hintergrund ein KI-basiertes Tool entwickelt, dass Texte in Leichte Sprache übersetzt.

Soziale Robotik

Cover Soziale RobotikDas Lehrbuch bietet eine systematische, sozialwissenschaftliche Einführung in die Soziale Robotik. Dieser Teilbereich der Erforschung Künstlicher Intelligenz zielt darauf ab, menschenähnliche Roboter zu entwickeln, die in soziale Beziehungen mit Menschen treten sollen. In drei Teilen werden die wichtigsten Aspekte der Sozialen Robotik beleuchtet. Der erste Teil fokussiert die Geschichte der KI-Forschung, beleuchtet den „Traum“ vom künstlichen Menschen und zeichnet schließlich nach, wie die Soziologie seit den 1980er-Jahren das Thema beobachtet. Im zweiten Teil wird eine techniksoziologische Perspektive eröffnet, die sich mit der Herstellung sozialer Roboter in den Laboren der Technikwissenschaften sowie den gesellschaftlichen Folgen der Entwicklung und Etablierung sozialer Roboter befasst. Im Zentrum des dritten Teils schließlich stehen sozialtheoretische Perspektiven, die der Frage der Sozialität sozialer Roboter nachgehen und anhand exemplarischer Fallstudien zeigen, wie diese Frage beantwortet werden kann. Florian Muhle (Hrsg.): Soziale Robotik. De Gruyter 2023, Kindl 29,95 Euro

Das letzte Wort hat: Kenza Ait Si Abbou, Managerin für Robotik und Künstliche Intelligenz, Speakerin, Autorin

Kenza, in deinem gerade erschienenen Buch „Menschenversteher“ geht es um Emotionale Künstliche Intelligenz. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Emotionale Künstliche Intelligenz ist ein Forschungsbereich, bei dem es darum geht, dass Maschinen lernen, unsere menschlichen Emotionen zu erkennen, analysieren und auf sie zu reagieren. Momentan handelt es sich bei Emotionalen Künstlichen Intelligenzen, die bereits angewendet werden, häufig um Chatbots. Chatbots, die zum Beispiel mit Sentiment Analysis ausgestattet sind, können nicht nur Informationen wiedergeben, sondern auch auf menschliche Befindlichkeiten eingehen.

Zur Person

Kenza Ait Si Abbou wurde 1981 in Marokko geboren. Ihr Abitur im Spezialzweig „Wissenschaft“ schloss sie 1999 in Fès/ Marokko ab. Anschließend studierte sie in Valencia und Barcelona Elektrotechnik und Telekommunikation. 2019 schloss sie den Masterstudiengang in Berlin ab. Von 2011 bis 2021 war sie für die Deutsche Telekom tätig, seit 2018 als Senior Managerin für Robotik und Künstliche Intelligenz. Seit 2021 ist sie bei IBM Deutschland für den Vertrieb von KI-Produkten zuständig. Für ihre Arbeit an der Schnittstelle zwischen Technik und Gesellschaftspolitik wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Digital Female Leader Award sowie dem Deutschen Demografie Preis 2022. 2020 erschien ihr erstes Buch, der Spiegel-Bestseller „Keine Panik, ist nur Technik“ (GU). Kenza Ait Si Aboou ist verheiratet und Mutter eines Sohnes. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin. iamkenza.de
Was nimmt eine solche Emotionale Künstliche Intelligenz alles wahr? Sie kann eine ganze Menge wahrnehmen. Zum Beispiel kann sie Gesichtsausdrücke lesen und darin Stimmungen erkennen. Sie kann aus Augenbewegungen, Herzfrequenz und Puls Schlüsse ziehen und auch Stimmen auf zugrundeliegende Emotionen analysieren. Für was können solche Analysen hilfreich sein? Gerade im Gesundheitsbereich können solche Analysen enorm helfen. Weil die Emotionale Künstliche Intelligenz zum Beispiel die kleinsten Veränderungen in unserer Mimik identifizieren kann, kann sie bei der frühen Diagnose mancher Gehirnerkrankungen wie Parkinson oder psychischer Erkrankungen wie Depressionen immer zuverlässiger eingesetzt werden. Die EKI kann auch neurodiversen Menschen helfen, die Emotionen eines Gegenübers besser zu deuten. Wird der Moment kommen, an dem wir Menschen Künstlicher Intelligenz nichts mehr vormachen können, an dem KI unsere Gefühle und Gedanken umfassend analysieren und eventuell auch darauf reagieren kann? Unsere menschliche Fähigkeit zu schauspielern, zu phantasieren oder zu lügen, zu schmeicheln oder zu manipulieren wird uns sicher erhalten bleiben. Das macht uns Menschen ja aus. Mein Fokus lag eher auf der Fähigkeit der Maschinen. Dass Maschinen lernen, unsere Emotionen zu analysieren und darauf zu reagieren, das passiert gerade bereits, da sind wir mittendrin. Wenn KI immer weiter in das Gefühlsleben der Menschen hineingezogen wird: Auf was muss der Mensch bei der Entwicklung derartiger Mensch-Maschine-Interaktionen achten, was sind die damit verbundenen Herausforderungen? Unser Wertesystem und auch unser Bildungssystem sind immer noch auf Erfassen und Wiedergabe von Informationen fokussiert – das, was wir Wissen nennen. Dass wir Menschen emotionale Wesen sind, als solche lernen, arbeiten mit anderen interagieren, das sollte viel mehr in unserem Bewusstsein ankommen. Die Emotion ist nicht die hässliche kleine Schwester der Information. Sondern sie ist das, worauf unser Zusammenleben fusst. Emotionale Intelligenz zu stärken, in allen Bereichen des Zusammenlebens, wird daher die Herausforderung sein – nicht nur für künftige Mensch-Maschine Interaktionen, sondern auch für bessere und zielgerichtetere Mensch-Mensch Interaktionen. Welche Rolle wird der Mensch im Zwischenmenschlichen zukünftig einnehmen, wird seine Empathie noch für das soziale Miteinander „ausreichen“ – oder wird ihn die Maschine ersetzen? Maschinen können keine Menschen ersetzen. Denn Emotionen zu identifizieren und zu imitieren ist nicht das Gleiche, wie wenn man Emotionen selbst spürt. Wir können auf unsere Empathie stolz sein. Die große und erstrebenswerte Fähigkeit der Zukunft ist in meinen Augen nicht etwa das Programmieren, sondern die emotionale Intelligenz. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zum Buch:

Cover MenschenversteherKenza Ait Si Abbou: Menschenversteher – Wie Emotionale Künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert. Droemer 2023, 20 Euro

karriereführer recht 1.2023 – 3 x P ≙ People, Planet, Profit: Die Anforderungen an die Kanzleikulturen steigen

0

Cover karriereführer recht 1.2023

3 x P ≙ People, Planet, Profit – Die Anforderungen an die Kanzleikulturen steigen

Längst ist es nicht nur eine wirtschaftliche Fragestellung, Mandate anzunehmen oder sie abzulehnen. Der kritische Blick der großen Wirtschaftskanzleien darauf, wie Unternehmen, also die Mandanten, ihr Geld verdienen, wird bald zum Standard werden. Laut einer Studie wird die Mandatsauswahl als erheblicher Faktor für den ökologischen Fußabdruck der Kanzleien wahrgenommen. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der jungen Generation einfordert, ethisch fragwürdige Mandate abzulehnen. Die Studienautorinnen fordern somit von den Kanzleien, drei Elemente in einen besseren Ausgleich zu bringen: People, Planet und Profit.

Der Auftrag: Ethik ernst nehmen

0

Der juristische Nachwuchs erwartet von den Kanzleien, dass sie ethische Standards entwickeln und diese auch einhalten. Und zwar mit der Konsequenz, bestimmte Mandate dann abzulehnen, wenn sie gegen die Kriterien verstoßen. Für die Kanzleien entscheidet sich bei diesem Thema, ob es ihnen gelingt, die besten Talente für sich zu gewinnen. Ein Essay von André Boße

Das US-amerikanische Portal law.com, das über Nachrichten und Trends aus der Welt der Anwaltskanzleien berichtet, machte vor wenigen Monaten mit einem ungewöhnlichen Ranking auf sich aufmerksam. Statt die bei Mandanten beliebtesten oder fachspezifisch besten Law Firms zu listen, befragte die Autorin Hannah Walker international tätige Kanzleien, ob sie Mandate aus ethischen Gründen ablehnen – und wenn ja, aus welchen Gründen. Es ist ein ungewöhnlicher Ansatz für ein solches Ranking, in dem es eigentlich darum geht, zu zeigen, für wen man arbeitet – und nicht umgekehrt. Doch ungewöhnliche Zeiten verlangen nach ungewöhnlichen Studien.

5 Gründe für eine CSR-Strategie

In der Studie „Die Relevanz von CSR für die Zukunft“ vom Bucerius Center on the Legal Profession definieren die Studienautorinnen fünf Gründe, warum Kanzleien jetzt eine umfassende CSR-Strategie erarbeiten sollten:
  1. Um im Recruiting Personal zu gewinnen.
  2. Um im HR-Bereich Personal langfristig zu binden.
  3. Um mit den Nachhaltigkeitsstandards der Mandanten übereinzustimmen.
  4. Um der Kanzlei eine zukunftsweisende Reputation zu geben.
  5. Um der Verantwortung für die Gesellschaft gerecht zu werden.
Quelle: Die Studie ist im Internet über die Homepage der Bucerius Law School abrufbar.
„Anwaltskanzleien taten sich traditionell schwer darin, ethische Linien zu benennen“, schreibt die Autorin. Schließlich stehe das Berufsfeld für die Devise, dass jede und jeder ein Anrecht auf juristische Beratung habe. „Jüngste Entwicklungen haben aber dafür gesorgt, ethische Haltungen zu entwickeln, wo es vorher keine gab.“ Konkret benennt Hannah Walker den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit den damit verbundenen Sanktionen, aber auch die weiter steigende Bedeutung des Klima- und Umweltschutzes sowie die Einhaltung von Menschen- und Kinderrechten. In ihrer Studienzusammenfassung hält die Autorin fest, dass die Sozietäten in der Regel nicht prinzipiell Sektoren ausschließen, sondern Entscheidungen von Fall zu Fall treffen würden. „Viele der befragten Kanzleien gaben an, dass sie spezifische Komitees, Boards und Teams installiert haben, die sich der Prüfung der Mandate mit Blick auf verantwortungsvolle Geschäfte widmen.“ Diese Organisationen innerhalb der großen Kanzleien seien dabei von großer Bedeutung, da es in diesen Law Firms mit ihren Partnerstrukturen sowie Büros in verschiedenen Staaten mit jeweils unterschiedlichen Regularien ein komplexes Unterfangen darstellt, einheitliche ethische Standards zu entwickeln. Wobei diese Kriterien wichtig sind, um über ein Werkzeug zur Prüfung von Mandaten zu verfügen.

Geld zu bieten, reicht nicht mehr

Dass die Kanzleien im Rahmen dieser Befragung selbstbewusst angegeben haben, welche Art von Mandaten sie ablehnen, hat nach Argumentation der Autorin Hannah Walker vor allem damit zu tun, dass die junge Generation der Jurist*innen diese Haltung und Transparenz einfordert: Ein „lauter werdender Chor der jüngeren Anwält*innen“ treibe die Kanzleien dazu, das Thema Ethik nicht länger zu negieren, sondern dazu eine Haltung zu entwickeln und aus dieser heraus auch Konsequenzen abzuleiten, wenn ein Mandat offensichtlich den Kriterien entgegensteht. Diesen „Chor“ genauer zu beschreiben, ist der Anspruch der Studie „Die Relevanz von CSR für die Zukunft“, veröffentlicht vom Bucerius Center on the Legal Profession, das regelmäßig Analysen zu rechtsmarktrelevanten Themen durchführt.

Verein „Recht und Nachhaltigkeit”

2021 gründeten Studierende, Promovierende und junge Wissenschaftler:innen, die sich den rechtlichen Fragestellungen des innovationsgeprägten Rechts- und Interessengebiets „Recht und Nachhaltigkeit“ widmen, den Verein „Recht und Nachhaltigkeit e.V. – RuN“. „Der Nachhaltigkeitsbegriff kennt viele Definitionen”, heißt es auf der Website des Vereins. Nachhaltigkeit sei das Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden dürfe, als künftig wieder bereitgestellt werden könne. Das Herzstück des Vereins sind interne und öffentliche Diskussionsrunden, Vortragsreihen, Workshops, Studienfahrten und weitere Events. Um, wie es heißt, die Rechtswelt von morgen mitzugestalten.
Dabei steht CSR für Corporate Social Responsibility, also der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens. Warum dieses Thema für Kanzleien eine zentrale Bedeutung besitzt, schreiben die Studienautorinnen Franziska Adelmann und Emma Ziercke im Vorwort: Handlungsbedarf bestehe bei den Kanzleien nicht nur, um der ethischen Verantwortung gerecht zu werden, sondern auch, um im Umfeld einer „Knappheit an Talenten“ für eben jenen begehrten Nachwuchs attraktiv zu sein: „Es ist für Anwaltskanzleien an der Zeit, CSR ernst zu nehmen“, heißt es. „Finanzielle Anreize reichen nicht mehr aus, um Talente nachhaltig für sich zu gewinnen.“ Zwar bleibe das Gehalt direkt nach dem Rechtsgebiet einer Kanzlei sowie der in der Kanzleikultur verankerten Work-Life-Balance der drittwichtigste Faktor bei der Auswahl einer Kanzlei als Arbeitgeber, doch folgten direkt danach ethische Kategorien wie die „Vereinbarkeit meiner Werte mit den nach außen kommunizierten Werten der Kanzlei“, die „ökologische Nachhaltigkeit der Kanzlei“ oder dem „Vorhandensein einer Corporate Responsibility Strategie“. Franziska Adelmann und Emma Ziercke interpretieren das Ergebnis so, dass in dem Moment, in dem junge Talente die Wahl zwischen Kanzleien haben, die eine fachlich interessante Arbeit und ein vergleichbares Gehalt bieten, sie sich dann für einen Arbeitgeber entscheiden, „der zu ihnen passt“ – und berücksichtigten dann Faktoren wie die Übereinstimmung der Werte und die soziale Verantwortung des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitenden „in besonderem Maße“, wie es in der Studie heißt.

CSR in Kanzleien: Viel Luft nach oben

Dass der jungen Generation CSR-Aspekte bei der Auswahl ihres Arbeitgebers wichtig sind, ist ein zentrales Ergebnis der Studie. Ein weiteres dreht sich um die Frage, was die Kanzleien bei diesem Thema zu bieten haben. Und hier zeigen die Daten: Es ist noch sehr viel Luft nach oben. „Fragt man Studierende und Young Professionals, wie gut deutsche Kanzleien ihre Ansprüche an die Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung eines Arbeitgebers erfüllen, vergeben sie auf einer Skala von 0 bis 5 im Durchschnitt 2,1 von 5 Punkten“, fassen die beiden Studienautorinnen das Ergebnis ihrer Befragung zusammen – und interpretieren: „Die durchschnittliche Kanzlei scheint bisher nicht erfolgreich erkannt zu haben, welche Erwartungen die junge Generation hat oder sich jedenfalls nicht ausreichend mit den Elementen der CSR beschäftigt zu haben.“

ESG in Rechtsabteilungen von Unternehmen

Die „Wolters Kluwer Future Ready Lawyer Studie 2022: Den Wandel anführen“ hat unter anderem hervorgebracht, dass der Bedarf an Erstellung und Verbreitung von ESG-Richtlinien und -Prozedere steigt: Demnach berichten „84 Prozent aller Rechtsabteilungen, ihre Kanzleien hätten im vergangenen Jahr verstärkt nach den ESG-Richtlinien ihres Unternehmens gefragt; 67 Prozent aller Rechtsabteilungen verlangen derzeit von Kanzleien deren Nachhaltigkeitsnachweise beziehungsweise die ESG-Richtlinien; weitere 30 Prozent planen dies innerhalb der nächsten drei Jahre“.
So hätten sich im Rahmen der Studie viele Studierende und Young Professionals enttäuscht darüber geäußert, „dass die im Vorhinein vermittelten Vorstellungen nicht der Realität entsprächen und gesetzte Ziele nicht erfüllt würden“. Entsprechend wichtig sei eine transparente Kommunikation, die es den Bewerbenden ermögliche, „zu entscheiden, ob ihre Werte mit den Werten der Kanzlei vereinbar sind“. Und noch einen Rat für die Kanzleien haben die Studienautorinnen an die potenziellen Arbeitgeber: „Nur, weil sich die Bewerbenden im Bewerbungsprozess nicht explizit danach erkundigen, bedeutet das nicht, dass CSR für sie nicht relevant ist.“ Das Gegenteil ist der Fall: Für viele Vertreter*innen der jungen Generation sind Themen wie Klimaschutz oder soziales Engagement heute ganz einfach eine Selbstverständlichkeit. Kanzleien, die hier wenig bis gar nichts zu bieten haben, enttäuschen ihre Talente und gefährden damit ein nachhaltiges Arbeitsverhältnis.

Ethisch fragwürdige Mandate ablehnen

Die Studie des Bucerius Center on the Legal Profession zeigt, dass 94,6 Prozent der Befragten der Auffassung sind, dass Kanzleien nicht jedes Mandat annehmen sollten.
Womit wir bei der Frage sind, was der juristische Nachwuchs darüber denkt, bestimmte Mandate abzulehnen, wenn sie nicht mit den ethischen Standards der Kanzlei in Einklang zu bringen sind. Die Studie des Bucerius Center on the Legal Profession zeigt, dass 94,6 Prozent der Befragten der Auffassung sind, dass Kanzleien nicht jedes Mandat annehmen sollten. Die Option, für die Abwägung über Annahme oder Ablehnung potenziell problematischer Mandate einen Kriterienkatalog zu erstellen, wird von einer deutlichen Mehrheit der Befragten befürwortet. Interessant ist dabei, dass viele Teilnehmenden die „Mandatsauswahl als erheblichen Faktor für den ökologischen Fußabdruck der Kanzleien wahrnehmen“, wie es in der Studie heißt. „Sie erwarten von Kanzleien also, auch die Tätigkeit ihrer Mandant*innen beziehungsweise den Einfluss ihrer Mandate auf die Umwelt als Teil ihrer Verantwortung zu betrachten.“

People, Planet und Profit in Einklang bringen

Der kritische Blick darauf, womit diese Unternehmen ihr Geld verdienen und auf welche Weise sie es mit welchen Folgen erwirtschaften, dürfte für die großen Wirtschaftskanzleien sehr bald zum Standard werden.
In ihrem Studienfazit fordern Franziska Adelmann und Emma Ziercke: „People – Planet – Profit: Alle drei Elemente müssen in einen besseren Ausgleich gebracht werden als bisher.“ Zwar sei das Ziel einer Kanzlei natürlich auch weiterhin, möglichst gute anwaltliche Dienstleistungen für Mandant*innen zu erbringen. „Maßgeblich für den Erfolg der Kanzlei ist dabei jedoch das Engagement und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden. Gerade deshalb muss eine exzellente Kanzleikultur angestrebt werden, die auf überzeugenden Werten basiert. Sie muss die Bedürfnisse von derzeitigen und zukünftigen Mitarbeitenden erfüllen.“ Wobei eines sicher sein dürfte: Die kommenden Nachwuchsgenerationen werden den CSR-Themen nicht weniger Bedeutung geben als es bei der jetzigen der Fall ist. Insbesondere beim Thema Klimaschutz darf es auch für Kanzleien keine Ausreden mehr geben. Weder bei der eigenen Arbeit – zum Beispiel mit Blick auf Dienstreisen mit dem Flugzeug oder dem Energie- und Ressourcenmanagement in der Kanzlei –, noch bei der anwaltlichen Arbeit für die Mandanten aus der freien Wirtschaft: Der kritische Blick darauf, womit diese Unternehmen ihr Geld verdienen und auf welche Weise sie es mit welchen Folgen erwirtschaften, dürfte für die großen Wirtschaftskanzleien sehr bald zum Standard werden.

Wirtschaft und Moral – ein Widerstreit?

Cover Wirtschaft und MoralUnter dem Titel „Wirtschaft und Moral – Ein Widerstreit? Denkanstöße zu Ökonomie und Ethik“ haben die zwei Geisteswissenschaftler Mathias Lindenau und Marcel Meier Kressing ein einführendes Buch herausgegeben, das zusammenbringt, was scheinbar unvereinbaren Sphären angehört: Ökonomie und Ethik. Aus einer sachlichen Perspektive heraus beleuchten die Texte unterschiedliche Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ethik, abseits der Vorurteile, nach denen die Ethik eine moralisierende und weltfremde Instanz sei, während die Ökonomie mit Profitsucht und Gier gleichzusetzen sei. Mathias Lindenau, Marcel Meier Kressing (Hrsg.): „Wirtschaft und Moral – Ein Widerstreit? Denkanstöße zu Ökonomie und Ethik“, transcript, 2022, 19 Euro

Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Kliemt im Interview

Die Arbeit wandelt sich – und damit auch das Arbeitsrecht. Prof. Dr. Michael Kliemt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Managing Partner der Kanzlei Kliemt Arbeitsrecht, erzählt im Interview, wie sich der Rechtsbereich dadurch verändert, dass New Work zur Selbstverständlichkeit wird und Systeme mit Künstlicher Intelligenz bei Recruiting-Prozessen helfen. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Professor Dr. Michael Kliemt gehört ausweislich der einschlägigen Ranking-Handbücher und Wirtschaftsmagazine zu den führenden Arbeitsrechtlern in Deutschland. Er berät internationale und nationale Unternehmen zu allen Facetten des Arbeitsrechts und verfügt über einen immensen Erfahrungsschatz bei der Beratung von Restrukturierungen, Transformations-, Outsourcing- und Integrationsprojekten, der Flexibilisierung, Vereinheitlichung und Optimierung von Arbeitsbedingungen (v.a. Arbeitszeit, Vergütung) sowie der Implementierung von IT-Systemen. Dabei übernimmt er für die Mandanten sowohl die strategische Konzeptionierung als auch die Verhandlungen mit Gewerkschaften und Betriebsräten. Zudem begleitet er regelmäßig komplexe Complianceund Whistleblower-Fälle. Die von ihm 2002 gegründete Kanzlei Kliemt. Arbeitsrecht hat ihren Stammsitz in Düsseldorf.
Herr Prof. Dr. Kliemt, die Digitalisierung ändert die Arbeitswelt, die Pandemie war ein Boost für diese Transformation. Was sind in Ihren Augen die bestimmenden Elemente von New Work – und wie verändern diese die Themen des Arbeitsrechts? Die bestimmenden Elemente aus arbeitsrechtlicher Sicht sind Flexibilität, Arbeitszeit, Arbeitssicherheit und insbesondere die etwas angestaubte, aber weiter wichtige Mitbestimmung des Betriebsrats. Die Überwindung des traditionellen Rollenverständnisses der Betriebsräte im Sinne eines umsichtigen Change-Managements ist häufig ein wichtiger Erfolgsfaktor. Dabei ist für die Unternehmen eine zukunftsgerichtete, aber auch arbeitsrechtlich flankierte Digitalisierungsstrategie unverzichtbar. Das Thema New Work betrifft dabei den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses. Denn Arbeitnehmer ist per Definition nur derjenige, der auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags in den Diensten eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Gerade die Ausgestaltung des Weisungsrechtes muss bei New Work-Konzepten völlig neu gedacht werden. Inwiefern? Es muss zum Beispiel das von vielen Unternehmen forcierte Konzept eines Intrapreneurs – also von Mitarbeitenden, die selbst ein unternehmerisches Mindset und Handeln entwickeln – überhaupt erst mit den Grundprinzipien des Arbeitsrechts in Einklang gebracht werden. Hierzu ist neben Innovationskraft und Fingerspitzengefühl auch viel Erfahrung notwendig. Vor einigen Jahren war die Work-Life- Balance ein Buzzword, heute hat man es eher mit einer Work-Life-Verschmelzung zu tun. Wie kann das Arbeitsrecht auf diesen Wandel reagieren, damit es auch weiterhin für Unternehmen und ihre Mitarbeitenden einen rechtlichen Rahmen gibt, der auch in der Praxis funktioniert? Notwendig ist insbesondere eine Modernisierung des Arbeitszeitrechts, das noch sehr starr ausgestaltet ist und sich mit modernen Formen flexiblen Arbeitens nur bedingt vereinbaren lässt. Flexible Arbeitszeitmodelle sind ein wesentlicher Aspekt der Verschmelzung von Work und Life. Dies zeigt sich verstärkt bei Themen wie „Workation“, also der Verbindung von Work und Vacation, oder „Mobile Work“. Eine trennscharfe Unterscheidung ist bei vielen Jobs kaum noch möglich. In der anwaltlichen Beratung bedeutet dies, dass die Grenzen des Arbeitsrechts teils neu ausgelotet und mit sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Aspekten austariert werden müssen. Gab es im Bereich Home-Office oder Mobile Working zuletzt ein in Ihren Augen besonders Urteil, das großen Einfluss auf dieses Thema nehmen wird? Eine entscheidende Rolle spielt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung aus September 2022. Daran anknüpfend erwarten wir noch in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf zur Novellierung des Arbeitszeitrechts. Auch prägen immer wieder neue Entscheidungen zum Datenschutz und zur Mitbestimmung rund um IT-Systeme die moderne Arbeitswelt, nicht selten erweisen sich diese als Digitalisierungs- und Flexibilisierungs-Hemmnisse.
Wir erleben, insbesondere bei Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften, derzeit eine leichte Tendenz einer Digitalisierungsüberdrüssigkeit bei Belegschaften.
Wie beurteilen Sie aktuell den Stand der Digitalisierung in der Arbeitswelt, wie sehr bestimmt sie bereits das Arbeiten in Unternehmen? Wir erleben, insbesondere bei Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften, derzeit eine leichte Tendenz einer Digitalisierungsüberdrüssigkeit bei Belegschaften. Teils dürften die Folgen der Corona-Pandemie dazu beigetragen haben. Daher treten bestimmte Aspekte der Digitalisierung wie Datenschutz aber auch Gesundheitsschutz zunehmend in den Vordergrund. Dies steht nach meiner Beobachtung im Einklang mit Entwicklungen bei der Personalarbeit und IT, wonach zunehmend ein stärkerer Fokus auf Usability, störungsfreies Arbeiten oder Absenkung von Überforderungen gelegt wird. Hier ist das Arbeitsrecht einerseits gut gerüstet, andererseits muss man ganz klar sagen, dass es in der Tendenz digitalisierungsfeindlich ist. Thema Künstliche Intelligenz: Welche rechtlichen Probleme ergeben sich, wenn KI-Systeme zum „Robo-Recruiting“ eingesetzt werden? Die DSGVO beschränkt den Einsatz von KI im Personalwesen vor und nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses. Sie schützt beispielsweise Bewerber*innen davor, durch Profiling aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert zu werden, ohne dass sich eine natürliche Person mit den Bewerber*innen beschäftigt hat. Die Nutzung von KI als Entscheidungshilfe ist aber möglich, wenn die menschliche Befassung mit den Bewerbungen nicht komplett ersetzt wird. Teils haben solche Systeme jedoch an Akzeptanz verloren, weil in der Vergangenheit durch „falsche“ oder nicht vorurteilsfreie Lerndatensätze bestimmte – verbotene – Diskriminierungsformen vorgekommen sind.
Die DSGVO beschränkt den Einsatz von KI im Personalwesen vor und nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses. Sie schützt beispielsweise Bewerber*innen davor, durch Profiling aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert zu werden, ohne dass sich eine natürliche Person mit den Bewerber*innen beschäftigt hat.
Neben der Erfüllung datenschutzrechtlicher Standards müssen Unternehmen vor dem Einsatz von KI-Systemen mit dem Betriebsrat – sofern im Unternehmen bestehend – das „Wie“ des Einsatzes verhandeln. Hierbei werden häufig interne Spielregeln festgesetzt. In solchen Verhandlungen sehe ich häufig die starke Tendenz der Betriebsräte, den Einsatz von KI zu beschränken – insbesondere dann, wenn die KI auch zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle des Recruitingteams genutzt werden soll. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach ein Kontroll- und Anpassungsdruck der Belegschaft vermieden werden soll. Ein zentrales Thema für Unternehmen sind die neuen Bestimmungen, um Whistleblowern Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, Hinweise zu geben. Wie schwer tun sich Unternehmen dabei, diese Kanäle einzurichten? Wir sehen ein großes Interesse von Unternehmen, solche Kanäle einzurichten. Auch, wenn die Gesetzgebungsarbeiten stockend verlaufen: Es besteht für viele Unternehmen demnächst eine gesetzliche Pflicht zur Unterhaltung von Whistleblowing-Systemen. Ob dadurch die Unternehmenskultur gestört oder verbessert wird, ist sicher eine Frage der Perspektive. Immerhin dürften Befürworter des Whistleblowings einwenden, dass positive Effekte in Bezug auf die Einhaltung von Compliance- Standards erzielt werden können. Unabhängig davon können Unternehmen Whistleblowing-Systeme auch extern betreiben und betreuen lassen. Dies führt – neben weiteren Vorteilen – in der Regel dazu, dass Vorwürfe professioneller und objektiver geprüft werden können. Inwieweit erleben Sie als Partner der Kanzlei und Fachanwalt selbst die Transformation in der Arbeitswelt – und sind Jurist*innen Ihrer Ansicht nach generell gut genug auf diesen Wandel in Richtung New Work vorbereitet? Neben der Digitalisierung, die wir seit Jahren mit hoher Priorität vorantreiben, sehen wir Änderungen in den Anforderungen an die Bewerber*innen und unsere angestellten Anwält*innen. Home-Office, flexible Arbeitszeiten, flexible Workspaces und modernste Büroausstattung sind für uns heute Selbstverständlichkeiten. Wir streben darüber hinaus in modernen Arbeitsformen höchste Standards auch bei der Ausund Weiterbildung unserer Anwälte an. Hierzu haben wir beispielsweise spezielle Ausbildungskonzepte implementiert, die wir fortlaufend weiterentwickeln. Neben erfahrenen Praktikern und Richtern profitieren unsere Anwält*innen mittlerweile auch von Vorträgen erfahrenen Verhandlungsprofis, Spitzensportler* innen, Resilienz-Coaches oder Expert*innen für Digitalisierung und Legal Design. Bei der Entwicklung eigener Legal Tech-Lösungen ist – neben juristischer Exzellenz – natürlich auch eine gewisse Neugierde und ein technisches Grundverständnis gefragt.

kliemt.blog

Auf der Homepage der Kanzlei bietet das Anwaltsteam um Managing Partner Dr. Michael Kliemt einen Blog- Bereich, in dem die Arbeitsrechtler*innen eine Reihe von Trends und Themen aus dem Fachbereich analysieren und bewerten. So gibt es fachliche Informationen über Fokusthemen wie Digitalisierung, Video-Tutorials oder juristische Einordnungen zu aktuellen Urteilen oder Regularien. https://kliemt.blog

Innovationen sind facettenreich

0

Innovationen in Kanzleien zeigen sich auf vielen Ebenen. Klar: Vor allem in der Einführung von technologischen und automatisierten Lösungen. Doch dieser Technologie-Change strahlt in zahlreiche weitere Bereiche, die von dem Wandel mitgezogen werden. Von Christoph Berger

Kommt man in der Rechtsbranche auf Innovationen zu sprechen, fallen schnell die Begriffe Digitalisierung und Legal Tech. Zu Recht, wie Dr. Daniel Halft, einst Richter, heute Anwalt, Kanzleiberater und Autor, auf die Frage „Was zeichnet für Sie eine innovative Kanzlei aus?“ antwortet: „An erster Stelle steht natürlich die Nutzung digitaler Werkzeuge zur Effektivitätssteigerung und Arbeitserleichterung.“ Ähnlich sieht es Ava A. Moussavi, die seit Oktober 2022 die Position Head of Legal Operations & Tech in der Kanzlei GvW Graf von Westphalen besetzt. Eine ihrer Aufgaben ist es, digitale Lösungen zur Erweiterung der Beratungsleistungen auf den Weg zu bringen und mit ihrem überörtlichen, interdisziplinären Team sogar eigene Tools zu entwickeln. Gegenüber dem karriereführer sagt sie: „Sämtliche Aufgaben im Bereich der Digitalisierung gehören zu meinen Aufgaben. Dabei geht es sowohl um die interne Digitalisierung bei GvW als auch um den externen Bereich, darum, wie wir unsere Mandanten beraten. Meinen Fokus richte ich darauf zu schauen, wo die jeweiligen Herausforderungen in der Arbeit liegen und wie diese Stellen sich mit Hilfe der Digitalisierung optimieren lassen. Bei der Optimierung ist es wichtig, eine herausfordernde Stelle in einem Arbeitsprozess nicht getrennt zu betrachten. Sie ist Teil eines gesamten Arbeitsprozesses, der insgesamt optimiert werden soll.“ Werden derartige Maßnahmen zielgerichtet umgesetzt, kommt es laut einer 2022 in den USA durchgeführten Studie zu einer ganzen Reihe von Vorteilen. Der „2022 Trends in Legal Transformation and Technology Report“ zählt Produktivitätssteigerungen, eine Verringerung von Datenschutz- und Sicherheitsrisiken, Kostensenkungen und bessere Chancen auf einen günstigen Ausgang von Rechtsstreitigkeiten auf.

Schritt für Schritt-Einführung

Doch um was geht es bei der Digitalisierung genau, wie erleichtert sie die Arbeit der Anwälte, was führt zu den anvisierten Effizienzsteigerungen? Konkret nennt Ava A. Moussavi zum Beispiel digitale Lösungen, die Anwälte in ihrem Alltag oder Mandanten selbst ohne anwaltliche Unterstützung bedienen können. Beispiele sind Dokumentengeneratoren, Analysesoftware, Projektmanagementsysteme oder auch Plattformen, auf denen die Anwälte und Mandanten kollaborieren können, beispielsweise in Massenverfahren oder Transaktionen. Dafür kommen diverse Technologien zum Einsatz – von sogenannten Low-Code Technologien hin bis zu Künstlicher Intelligenz. Oder die Kombination mehrerer. Dafür brauche es eine Offenheit gegenüber Technologien, weiß Moussavi. Die sollte in der Partnerschaft beginnen und sich von dort über die gesamte Kanzlei ziehen. Die Digital-Expertin fügt an: „Man muss die Kanzleien natürlich auch Schritt für Schritt in diese Richtung bringen. Das gilt auch für die Einführung von neuen Technologien, die neue Arbeitsmethoden und komplexe Systeme mit sich bringen. Wandel bedeutet, dass er Schritt für Schritt durchgeführt wird. Auf dieser Weise wird der Erfolg davon sichergestellt.“ Doch es sind längst nicht nur Softwaretools und Technologien, die den Weg hin zu einer auf die Zukunft ausgerichteten Kanzlei ebnen. Daniel Halft führt als weiteren Baustein den Begriff Legal Design aufs Feld. Der hat zwar Schnittmengen zur Digitalisierung, fokussiert sich aber vorrangig auf Prozesse. „Anwaltskanzleien haben sich das nie so richtig bewusst gemacht. Oft lohnt sich aber die Frage: Wie können wir unsere Prozesse besser designen?“

Neue Kanzleistrukturen und -kulturen

Klar ist bei all dem: Ändern sich die Arbeitsweisen, Prozesse und Kommunikationsformen, verändert sich auch die Arbeitskultur in den Kanzleien. Mal abgesehen von den Wünschen und Anforderungen der jungen Generationen an die Profile ihrer Arbeitgeber, die längst nicht mehr nur das Gehalt in den Mittelpunkt ihrer Arbeitgeberwahl stellen, sondern auch Sinn oder die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. So treten junge Kanzleien auf den Markt, die neben dem hochprofessionellen Beratungsansatz das menschliche und verantwortungsvolle Arbeitsumfeld in den Mittelpunkt heben. Das machen auch etablierte Großkanzleien, doch gehen manche jungen Kanzleien noch weiter: Sie brechen die klassische Kanzleistruktur auf. Auf der Internetseite von PXR heißt es beispielsweise: „So hat PXR keine traditionellen Kanzleihierarchien, lebt eine offene, diverse und wertegetriebene Kanzleikultur und ist in agilen Teams organisiert.“ Das Partnerprinzip gehört bei dieser gewählten Struktur der Vergangenheit an. Für Daniel Halft zeigt diese Entwicklung nicht nur Innovationsbereitschaft, sie führt regelrecht zu neuen, weiteren Innovationen: „Sie beflügelt das unternehmerische Denken, das sich alle auf die Fahnen schreiben, ermöglicht ein Agieren und Kommunizieren auf Augenhöhe, schafft Vertrauen, führt zu verantwortungsvollem Handeln und motiviert, sich an der Entwicklung von Lösungen zu beteiligen.“ Er fügt an: „Dieser Schritt ist schon extrem mutig.“ Weniger mutig, aber ebenso innovativ und zeitgemäß ist die Einführung variabler Arbeitszeitmodelle. Auch hier spielen Vertrauen und die Übergabe von Verantwortung an die Beschäftigen eine entscheidende Rolle. „Allerdings reicht es nicht, die 40-Stunden-Woche anzubieten, wenn damit der Aufstieg in den Partnerstatus verschlossen und weniger Gehalt verbunden ist“, sagt Halft. Es gehe um tatsächliche Alternativen zur Vollzeitstelle, um Sabbaticals und vielleicht sogar um work from anywhere. Bei gleichbleibenden Karrierechancen.

Gemeinsam zu Innovationen

Dass innovative Konzepte in der heutigen Zeit schließlich auch Kollaboration und Plattformökonomie bedeuten, zeigt eine Mitteilung aus dem Januar 2023. Darin kündigen die Kanzleien Ebner Stolz, Lutz Abel, Menold Bezler und Thümmel Schütze eine strategische Zusammenarbeit im Legal Automation & innovation (Legal Ai) Network unter der Koordination von OMM Solutions an. Ziel sei es, die zukünftigen Bedürfnisse der Mandanten über einen offenen Innovationsprozess vor dem Hintergrund der Digitalisierung systematisch zu identifizieren, erste Prototypen zu testen und marktnahe Lösungsansätze im Segment Legal Tech zu entwickeln oder zu finden, heißt es. Dabei würde die effiziente und gezielte Einbindung verschiedener Akteure – in das Netzwerk sind Vertreter*innen aus den Bereichen Recht, Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft integriert – eine intensive Kollaboration und ein besseres Verständnis für die Rechtsberatung der Zukunft ermöglichen. Außerdem: „Für die Aufnahme weiterer Kanzleien ist das Legal Ai Network ausdrücklich offen.“ Es reicht demnach nicht mehr, still und heimlich vor sich hinzutüfteln, um so Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Eine vernetzte Welt verlangt Vernetzung – zumal gilt: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser das Ergebnis. Schon allein dafür ist in der heutigen Zeit Kollaboration unerlässlich. Wobei ein Grundsatz niemals vergessen werden sollte: Egal um welche Innovationsform es auch geht, für Daniel Halft gehört im Vorfeld einer jeden Umsetzung von Innovation die Frage nach deren Sinn: „Brauchen wir das überhaupt – und hilft es uns weiter?“

Kanzlei im Metaverse: „Wir wollen nahe bei unseren Mandanten sein.“

0

Gleiss Lutz eröffnete 2022 als erste große Wirtschaftskanzlei ein Büro im Metaverse. Mit Prof. Dr. Eric Wagner und Dr. Moritz Holm-Hadulla unterhielt sich der karriereführer über Gründe für diese Eröffnung und erste Erfahrungen. Die Fragen stellte Christoph Berger

Die Interviewpartner

Prof. Dr. Eric Wagner, Foto: Gleiss Lutz
Prof. Dr. Eric Wagner, Foto: Gleiss Lutz
Prof. Dr. Eric Wagner ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz. Er ist spezialisiert auf den Bereich Commercial einschließlich Produkthaftung und der Gebiete e-commerce, autonomes Fahren, connectivity und Industrie 4.0. Er vertritt Mandanten in diesem Bereich sowohl vertragsgestaltend wie auch in streitigen Verfahren vor staatlichen Gerichten und internationalen Schiedsgerichten. Darüber hinaus zählt er zu den weltweit führenden Experten im Bereich des Produkthaftungsrechts. Er berät Mandanten bei der präventiven Gestaltung und der Entwicklung von Risikovermeidungsstrategien und hat umfangreiche Expertise und Erfahrung im Umgang mit Krisensituationen und potentiellen Rückrufszenarien beim Mandanten.  
Dr. Moritz Holm-Hadulla, Foto: Gleiss Lutz
Dr. Moritz Holm-Hadulla, Foto: Gleiss Lutz
Dr. Moritz Holm-Hadulla ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz. Er berät Mandanten zu allen Fragen des deutschen und europäischen Kartellrechts. Seine Tätigkeit umfasst Fusionskontrollverfahren, die Beratung bei Kartellermittlungen und die Vertretung in kartellrechtlichen Schadensersatzprozessen. Außerdem unterstützt Moritz Holm-Hadulla regelmäßig beim Design und der Implementierung kartellrechtlicher Compliance Programme und bei der Compliance Due Diligence im Transaktionskontext. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in Bereichen der Digitalisierung sowie neuer Technologien und Medien. Er ist Head der Branchengruppe Digital Economy.
Gleiss Lutz hat im Juli 2022 ein Büro im Metaverse eröffnet. Was waren die Gründe dafür? Moritz Holm-Hadulla: Unsere Präsenz im Metaverse fügt sich nahtlos in unsere Gesamtstrategie ein. Wir wollen nahe bei unseren Mandanten sein, heute und in der Zukunft, gerade auch im sich verändernden und immer digitaler werdenden Geschäftsumfeld der Rechtsberatung. Daher beraten wir unsere Mandanten nicht nur umfassend zu den vielfältigen Rechtsfragen, die in diesem digitalen Raum entstehen, sondern wollen dort auch gleichzeitig als Ansprechpartner präsent sein. Mit unserem virtuellen Büro schaffen wir zudem eine weitere zentrale Kontaktmöglichkeit für unsere Mandanten, neben Telefon, E-Mail und Social-Media. Darüber hinaus ist es uns wichtig, aus erster Hand Erfahrungen im Metaverse zu sammeln und damit unsere Beratungspraxis zukünftig noch besser auf die Anforderungen unserer Kunden zu optimieren. Second Life Anfang der 2000er-Jahre verlor schnell an Relevanz – ist das Metaverse mehr als ein Hype für die Kanzlei? Eric Wagner: Digitalisierung und das Agieren im digitalen Raum sind als Querschnittsthemen im gesamten Wirtschaftsleben relevanter denn je. Web3, Blockchain, Metaverse etc. haben sich zu einem attraktiven Wachstumsmarkt für Unternehmen und Investoren auf der ganzen Welt entwickelt. Urheber-, Marken- und Patentrechte spielen beispielsweise eine noch zentralere Rolle als bisher. Damit wächst auch der rechtliche Beratungsbedarf diesbezüglich kontinuierlich. Mit ihrer Präsenz im Metaverse unterstreicht unsere Kanzlei nachhaltig den Anspruch, in den Zukunftsthemen der Rechtsberatung – sei es bei Legal Tech, Digital Future oder ESG – stets als Thought Leader zu agieren. Wie wird das virtuelle Büro bisher angenommen? Eric Wagner: Seit der Eröffnung wurden über 50 Beratungsgespräche rund um das Thema Metaverse geführt – Tendenz steigend, insbesondere mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Rechtsabteilungen von Unternehmen. Mit welchen Anliegen kommen Mandantinnen und Mandanten in Ihr Metaverse-Büro? Moritz Holm-Hadulla: Das Metaverse als Megatrend der Digitalisierung bietet Unternehmen zahlreiche neue Geschäftsfelder und führt sie in ein völlig neues, virtuelles Umfeld. Die Rechtsfragen und individuellen Anliegen rund um digitale Handlungsräume sind daher vielfältig, der Beratungsbedarf hoch. Von datenschutz- und arbeitsrechtlichen Fragestellungen im Unternehmensalltag über den gesamten Bereich der Product Compliance, der funktionalen Sicherheit von künstlicher Intelligenz, virtuellen Produkten und der Blockchaintechnik bis hin zur rechtlichen Einordnung dezentralisierter autonomer Organisationen als besondere Gesellschaftsform. Braucht es für die Beratung auf einer virtuellen Plattform andere oder weitere Skills von Seiten der Anwälte, um die Tätigkeit im Sinne der Mandantschaft erledigen zu können – und wenn ja, welche Skills sind das? Moritz Holm-Hadulla: Exzellente Beratung quer durch alle Rechtsgebiete ist stets unser Anspruch. Die digitale Transformation beeinflusst mittlerweile fast alle wirtschaftsrechtlichen Themengebiete. Wenn wir Mandanten im oder zum digitalen Raum beraten, sind digitale Kompetenzen daher besonders wichtig. Neben einer hohen Digitalaffinität sind ein persönliches Interesse an Zukunftsthemen sowie die Neugier auf innovative Beratungsansätze Grundvoraussetzung. Digitalisierung erfordert aber auch lebenslanges und berufsbegleitendes Lernen und Weiterbildung – als Berater und als Kanzlei insgesamt. Unsere Kanzlei verfügt bereits über eine etablierte Branchengruppe Digital Economy und wird das Metaverse – ähnlich wie bereits Legal-Tech – künftig in das Ausbildungscurriculum unserer Nachwuchsjuristen aufnehmen. Welche Rolle spielt die persönliche Beziehung zwischen Mandanten und Anwälten in der virtuellen Welt? Eric Wagner: Die persönliche, kontinuierliche Betreuung von Mandat und Mandant ist seit jeher ein Grundprinzip unserer Beratung – in der analogen ebenso wie in der digitalen Welt. Wir wollen unsere Mandanten, ihren Beratungsbedarf und das jeweilige Marktumfeld bestmöglich verstehen, um umfassende und in jeder Hinsicht optimale Lösungen für sie zu entwickeln. Aus diesem Grund investieren wir Zeit und Aufmerksamkeit in intensive und persönliche Beziehungen – ganz gleich ob bei Präsenzmeetings oder im digitalen Austausch. Ich könnte mir vorstellen, dass durch die Nutzung einer virtuellen Plattform durch die Mandantschaft auch eine schnellere Reaktionsfähigkeit erwartet wird. Stichwort 24/7. Ist das so oder gibt es auch im virtuellen Büro offizielle Geschäftszeiten? Moritz Holm-Hadulla: Das virtuelle Büro bietet eine weitere Möglichkeit mit uns Kontakt aufzunehmen. Dieser ist digital und zeitlich unabhängig und ständig möglich – wie auch z.B. über E-Mail. Die Anfrage wird gespeichert und wir vereinbaren zeitnah einen Termin oder verfassen eine Antwort. Das bedeutet, wie auch an den anderen Standorten, nicht zwangsläufig, dass 24/7 eine Ansprechperson im Metaverse anwesend ist. Arbeiten Sie in diesem Zusammenhang auch mit Chatbots? Eric Wagner: Bisher noch nicht. Rechtsberatung ist primär ein „People Business“. An erster Stelle steht für uns das Verständnis für den Mandanten. Diesen wollen wir individuell nach seinen jeweiligen Wünschen und Anforderungen optimal beraten und ihm diesen passgenauen Rechtsrat geben können. Wir prüfen aber ständig neue Nutzungsmöglichkeiten von technischen Innovationen. Sollte der Einsatz von Chatbots bei bestimmten Abläufen im Metaverse sinnvoll sein, können wir uns einen Einsatz durchaus vorstellen. Welche Auseinandersetzung mit der Thematik Metaverse braucht es, um ein Büro professionell führen zu können – das geht über „einfach mal ausprobieren“ mit Sicherheit hinaus? Moritz Holm-Hadulla: Mit unserer Metaverse-Präsenz sammeln wir laufend neue Erfahrungen, die wir professionell analysieren und aufarbeiten, um sie in unsere tägliche Arbeitsorganisation mit einfließen zu lassen und damit unseren Mandanten die bestmögliche Beratung und Betreuung bieten zu können. Welches Potenzial sehen Sie noch im Metaverse, welche Möglichkeiten werden sich für Kanzleien – oder auch die gesamte Rechtsbranche – daraus noch ergeben? Eric Wagner: Mittel- bis langfristig bietet die weltweite mehrdimensionale Vernetzung im Metaverse ungeahnte und heute noch nicht vollständig prognostizierbare Chancen und Handlungsspielräume – gesellschaftlich, wirtschaftlich und interkulturell. Daher haben wir als Full Service-Kanzlei den Anspruch, diesen Schritt als erste Kanzlei zu gehen und von Beginn an im Metaverse Erfahrungen zu sammeln und unsere Angebote zukunftsorientiert zu optimieren.