karriereführer digital 2022.2023 – Grenzenlos digital: Gefragt sind Interdisziplinarität und digitales Mindset

0

cover karrierefuehrer digital 2022-2023

Grenzenlos digital: Gefragt sind Interdisziplinarität und digitales Mindset

Wer davon ausgeht, die Digitalisierung sei irgendwann abgeschlossen, begeht einen großen Denkfehler. Das Gegenteil ist der Fall: Je weiter ein Prozess fortschreitet, desto stärker verästelt er sich. Für die deutsche Vorgehensweise, die Sachen gerne abhakt, ist das ein Problem. Umso mehr ist ein Mindset gefragt, dass die transformative Dynamik immer weiter antreibt. Wohlwissend, dass dadurch die Lösungen entstehen, die Wirtschaft und Gesellschaft dringend benötigen.

Grenzenlos digital

Wer davon ausgeht, die Digitalisierung sei irgendwann abgeschlossen, begeht einen großen Denkfehler. Das Gegenteil ist der Fall: Je weiter der Prozess fortschreitet, desto stärker verästelt er sich. Für die deutsche Vorgehensweise, die Sachen gerne abhakt, ist das ein Problem. Umso mehr ist ein Mindset gefragt, dass die transformative Dynamik immer weiter antreibt. Wohlwissend, dass dadurch die Lösungen entstehen, die Wirtschaft und Gesellschaft dringend benötigen. Ein Essay von André Boße

Was als „digitalisiert“ gilt und was nicht, darüber gibt es verschiedene Auffassungen. In manch einer Schule oder Hochschule gelten Unterrichtsstunden oder Seminare schon dann als „hybrid“, wenn Lehrkraft oder Dozent*in mit ihrem Smartphone die Tafel abfilmen und anschließend Arbeitsblätter mailen, die man sich zu Haus ausdrucken soll. Und nicht wenige Verwaltungen verkaufen digitale Offensiven mit der neuen Möglichkeit, Vor-Ort-Termine nun auch online organisieren zu können – häufig mit Hilfe von Tools, die Erinnerungen an das Zeitalter des Uralt-Betriebssystems MS-DOS von Microsoft wecken.

Digitalisierung: Daten und Gesellschaft

Um auf einen Nenner zu kommen: Was also bedeutet Digitalisierung überhaupt? Bettina Distel ist Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Informationsmanagement an der Universität Münster, in einem Aufsatz für die Schriftenreihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung hat sie Digitalisierung wie folgt definiert: „Der Begriff der Digitalisierung bezieht sich einerseits auf die Umsetzung analoger Daten und Informationen in digitale Formate und andererseits auf die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die durch den Einsatz digitaler Informations- und Kommunikationstechnik entstehen.“ Ihr Text, erschienen im März 2022, trägt den Titel „Digitalwüste Deutschland? – Digitalisierung im internationalen Vergleich“. Beantworten will die Autorin darin die Frage, ob Deutschland tatsächlich in einer digitalen Krise steckt – eine Krise, die durch die Pandemie in absoluter Schonungslosigkeit offengelegt wurde, wie kritische Geister sagen. Haben diese Stimmen recht?
Digitale Spaltungen verlaufen in Deutschland sowohl entlang der Zugänglichkeit digitaler Infrastrukturen als auch entlang ihrer Nutzbarkeit für verschiedene Bevölkerungsgruppen.
Wie so oft, die Wahrheit liegt in der Mitte. Bewertet man die digitale Infrastruktur in Deutschland sowie die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung, stehe die Bundesrepublik nicht so schlecht da, schreibt Distel. Jedoch gelte dies nicht für alle Teile der Bevölkerung im gleichen Maße: „Digitale Spaltungen verlaufen in Deutschland sowohl entlang der Zugänglichkeit digitaler Infrastrukturen als auch entlang ihrer Nutzbarkeit für verschiedene Bevölkerungsgruppen.“ So zeigte sich zum Beispiel, dass Menschen mit einem niedrigeren Bildungsgrad das Internet im Allgemeinen sowie zentrale digitale Services wie E-Learning- Angebote oder die Online-Beteiligung an demokratischen Verfahren „im EU-weiten Vergleich unterdurchschnittlich oft nutzen, während Bürger*innen mit einem hohen formalen Bildungsgrad dies überdurchschnittlich häufig tun“, schreibt Bettina Distel.

Krisensymptom: Transformation verliert an Dynamik

Deutscher Digitalisierungsindex: Von 100 auf 108

Das Bundesministerium für Klimaschutz und Wirtschaft ermittelt jährlich den Digitalisierungsindex der deutschen Wirtschaft, der anhand externer und interner Faktoren wie Prozessen und Produkten, Geschäftsmodellen und Qualifizierungen, technischer Infrastruktur oder rechtlichen Rahmenbedingungen erstellt wird – aus Sicht der Unternehmen. Lag dieser 2020 noch bei 100 Punkten, ist er 2021 auf 108 Punkte gestiegen, heißt es in der Langfassung der Ergebnisse im Report „Digitalisierung der Wirtschaft in Deutschland“, veröffentlicht Anfang 2022. Den stärksten Zuwachs verzeichne demnach die unternehmensinterne Kategorie der „Prozesse“; sie beschreibt neben dem digitalen Reifegrad der unternehmensinternen Prozesse auch die digitale Vernetzung mit anderen Unternehmen. Ihr Kategorienwert steigt auf 121,1 Punkte. Den größten Rückgang gab es im Bereich Qualifizierung. Dieser Wert sank von 100 auf 87,5. „Der Rückgang in der Kategorie Qualifizierung ist ein deutlicher Dämpfer für die Digitalisierung der Wirtschaft in Deutschland“, so ein weiteres Ergebnis. Digitale Souveränität sei die Voraussetzung für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, sie beinhalte die „Befähigung der Menschen, handlungs- und entscheidungsfähig mit digitalen Technologien umzugehen“. Diese könne aber nur gegeben sein, wenn die Beschäftigten regelmäßig hinsichtlich ihrer IT-Kompetenzen weitergebildet werden, „unabhängig davon, ob sie IT-Anwendende oder IT-Fachkräfte sind“.
Mit Blick auf die Wirtschaft stellt sie fest: „Trotz des voranschreitenden Ausbaus digitaler Infrastruktur in Deutschland liegt ihre Nutzung in deutschen Unternehmen häufig unter dem EU-weiten Durchschnitt.“ Zwar liege die Nutzung von Künstlicher Intelligenz und Big Data leicht über dem Durchschnitt, doch sei der Grad der Robotisierung und Automatisierung gegenüber anderen EU-Staaten geringer. „Berücksichtigt wurden in der Auswertung nicht nur die Nutzung relevanter digitaler Technologien (3D-Druck, Robotics, Cloud Computing) durch Unternehmen, sondern auch die Anwendung von Big-Data-Analysen, die Unterstützung betrieblicher Prozesse durch Software, die Bereitstellung elektronischer Rechnungen sowie Aspekte der digitalen Infrastruktur“, schreibt Bettina Distel über die Kategorien. Ihr Urteil: Insgesamt bewege sich Deutschland im Mittelfeld, „doch zeigt die Analyse, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen schlechter abschneiden“. Mehr noch: „Digitalisierung der Wirtschaft scheint an Dynamik zu verlieren.“ Spaltung und Verlust an Dynamik – wenn das keine Krisensymptome sind, was dann? Bettina Distel schreibt in ihrem Fazit, dass zum einen die digitale Transformation nicht zu mehr Ungleichheit führen dürfe, zum anderen nicht „als ein geschlossener Prozess“ verstanden werden dürfe, der mit einigen Strategien und Digitalpaketen zu bewältigen sei. „Sie ist vielmehr ein andauernder Prozess ohne klar definierte Start- oder Endpunkte.“

Haken dran und fertig? Klappt bei der Digitalisierung nicht

Gut möglich, dass genau hier ein sehr für Deutschland typisches Problem liegt: Staat, Wirtschaft und Gesellschaft haben es in der Moderne so g elernt, dass Prozesse durch bestimmte Maßnahmen abzuarbeiten sind. Das gilt für Reformen in der Politik, Neuorganisationen in Unternehmen, Wandlungen in der Gesellschaft: Die Deutschen, so scheint es, haben es gerne, wenn etwas ein festes Ende hat. Haken dran – fertig, weiter zur nächsten Aufgabe.
Die Veränderungsprozesse sind stetig, die Krisen werden chronisch. Abhaken? Kaum möglich.
Jedoch haben wir es seit einigen Jahren auf vielen Ebenen mit Herausforderungen anderer Art zu tun. Ob die Globalisierung oder die Digitalisierung, ob Krisen wie die Covid-19-Pandemie, die drohende Klimakatastrophe oder die Rückkehr des Angriffskriegs im Herzen Europas: Alle diese Entwicklungen scheinen kein klares Ende zu finden. Die Veränderungsprozesse sind stetig, die Krisen werden chronisch. Abhaken? Kaum möglich. Wie sehr es aber genau danach eine Sehnsucht gibt, zeigte die Corona-Pandemie mit ihrer häufig gestellten Leitfrage, wann denn eine Rückkehr zur Normalität möglich sei. Irgendwann wurde aus der Frage eine Forderung: Die Rückkehr müsse jetzt bald vollzogen werden. Als ob sich das Virus darum schere. Und machen wir uns nichts vor: Das Klima auf der Erde wird sich auch nicht darum scheren, ob die Menschheit ab einem bestimmten Punkt findet, jetzt sei es aber genug mit den Einschränkungen.

Lieferkette: Je tiefer der Einblick, desto mehr gibt’s zu tun

Wie die Politik und die Gesellschaft, so müssen auch die deutschen Unternehmen lernen, dass es die Normalität – wenn es sie denn überhaupt gab – nicht mehr geben wird. Insbesondere die Digitalisierung ist ein Fass ohne Boden. Mehr noch, sie ergibt überhaupt erst Sinn, wenn man sie als eine Entwicklung begreift, die kein Ende finden wird, die immer wieder aufs Neue Geschäftsmodelle, Prozesse und den Purpose des Unternehmens auf den Prüfstand stellt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Blick auf die Lieferkette: Unternehmen, die es mit dem Klimaschutz und den Menschenrechten ernst nehmen, analysieren jetzt ihre Supply-Chains, um Teile zu identifizieren, in denen Defizite offensichtlich werden. In der Folge werden Geschäfte mit langjährigen Partner-Unternehmen hinterfragt, manchmal sogar beendet. Betrachtet man jedoch die Komplexität von Liefer- und Wertschöpfungsketten zum Beispiel von digitalen Geräten oder auch Dienstleistungen, wird schnell deutlich, dass es sich auch hier um eine Aufgabe unendlichen Ausmaßes handelt.

Digital Economy & Society Index

Wo steht die Bundesrepublik im europäischen Vergleich? Der Digital Economy & Society Index der Europäischen Kommission vergleicht seit 2014 die Daten der EU-Länder und bewertet zum Beispiel den Stand der Staaten in Sachen Konnektivität, Internetnutzung oder Integration digitaler Technologien. EU-weit liegt der Index bei 50,7; Deutschland verzeichnet den Wert 54,1 und liegt damit im EU-Ranking auf Platz elf. Ein großes Defizit laut Zusammenfassung des deutschen Ergebnisses: Weniger als ein Drittel der Unternehmen (29 %) tauschten Informationen auf elektronischem Wege aus, nur 18 Prozent der kleinen oder mittleren Unternehmen (KMU) stellten elektronische Rechnungen aus. „Bei beiden Indikatoren hat Deutschland in den letzten Jahren kaum Verbesserungen erzielt.“
Um das zu verdeutlichen, ein Sprung in die fraktale Geometrie: Der Mathematiker Benoît Mandelbrot machte 1968 mit einem Aufsatz auf sich aufmerksam, in dem er die banale Frage stellte, wie lang die Küste Großbritanniens sei. Seine Antwort: Kommt drauf an. Arbeitet man mit Mess-Abschnitten von 200 Kilometern, ergibt sich eine Gesamtlänge von rund 2350 Kilometern. Nutzt man 100-Kilometer-Abschnitte, kommt man auf 2775 Kilometer, sind die Mess-Abschnitte nur 50 Kilometer lang, ergeben sich 3425 Kilometer. Kurz gesagt: Je kleinteiliger man misst, desto mehr Küstenstrecke ergibt sich. Betreiben kann man dieses Mess-Spiel bis in die Unendlichkeit. Ganz ähnlich ist es bei Analyse der Lieferketten von komplizierten Produkten: Digitale Tools, die mit ihrer Untersuchung immer weiter in die Tiefe gehen, werden in den Supply-Chains immer neue dunkle Ecken oder zumindest Graubereiche finden. So ambitioniert das Nachhaltigkeitsmanagement eines Unternehmens im Verbund mit seinen Digital-Expert*innen auch an der „Optimierung von Lieferketten“ arbeiten mag – der Prozess endet nie.

Digitales Mindset der Fachkräfte nutzen

Wer als Nachwuchskraft in Unternehmen startet, hat echte Vorteile, wenn man dieses Mindset mitbringt und in die Teams einbringt. Digitalisierung ist kein Schalter, der eines Tages umgelegt sein wird. Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben. Was sich daher entwickeln muss, ist ein besseres „digitales Ökosystem“, wie Florenz Kasen, Digital-Spezialist beim Personalberatungsunternehmen TechMinds, schreibt. In seinem Fachbeitrag „Digitalisierung in Deutschland. Wie digital sind wir 2022?“, abzurufen auf der TechMinds-Homepage, stellt er fest, dass das heimische digitale Ökosystem starke Defizite verzeichnet: „Die schlechte Verfügbarkeit von Risikokapital ist in Deutschland im internationalen Vergleich deutlich stärker ausgeprägt – es wird kaum in junge Startups investiert.“ Dazu komme, dass die deutsche Bevölkerung grundsätzlich eher negativ gegenüber unternehmerischen Risiken eingestellt ist. „Zudem werden viel zu selten die Kompetenzen der verfügbaren Informations- und Kommunikations- Fachkräfte genutzt – hier liegt Deutschland ganz klar unter dem europäischen Durchschnitt.“
Der Fachkräftemangel wird nicht ansatzweise ausreichend bekämpft.
Verstärkt werde das Problem durch den Fachkräftemangel im IT-Sektor: „Der Fachkräftemangel wird nicht ansatzweise ausreichend bekämpft“, urteilt Florenz Klasen. Um die Digitalisierung in Angriff nehmen zu können, müssten nicht nur IT-Professionals aus dem Ausland rekrutiert werden, sondern auch einheimische Talente gefördert werden. „Deshalb sollte schon an den deutschen Schulen, Berufsschulen und Hochschulen eine bessere digitale Infrastruktur sowie Pädagogik etabliert werden“, fordert er. Das sei nicht nur wichtig für die Wirtschaft, sondern auch für die Gesellschaft. Seine These: „Digitale Rückständigkeit hinterlässt die Bürger müde und wütend.“ Die Digitalisierung Deutschlands ist also längst nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein gesellschaftliches Projekt. Wer es – ob in großen Unternehmen, dynamischen Start-ups oder Behörden – voranbringt, erfüllt einen Job mit einem Purpose, der weit über das Geldverdienen hinausgeht.

Bevölkerung setzt auf Zukunftstechnologie

Der „Digitalreport 2022“ des European Center for Digital Competitiveness zeigt, dass die deutsche Bevölkerung weder unbeteiligt noch pessimistisch, sondern größtenteils erwartungsvoll auf die digitale Innovationen schaut. Bei der Frage, welche Zukunftstechnologien große Bedeutung erlangen werden, nennt eine große Mehrheit der Befragten Drohnen, 3D-Drucker und Künstliche Intelligenz, gefolgt von Technologien, die autonomes Fahren, besseren Klimaschutz sowie Unterstützung bei der Pflege ermöglichen. „Die junge Generation ist generell bei allen Technologien überdurchschnittlich überzeugt, dass sie in Zukunft große Bedeutung haben werden“, heißt es im „Digitalreport 2022“.
     

Digital-Work-Expertin Prof. Dr. Yasmin Mei-Yee Weiß im Interview

Prof. Dr. Yasmin Mei-Yee Weiß ist als BWL-Professorin, mehrfache Aufsichtsrätin und Start-up-Gründerin eine gefragte Expertin für die Zukunftsthemen New Work, Future Skills und digitale Bildung. Im Interview begründet sie, auf welche Kompetenzen es in einer immer stärker digitalisierten Arbeitswelt ankommt. Ihre These: Je stärker der Digitalisierungsgrad, desto mehr kommt es darauf an, Mensch zu sein. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Yasmin Mei-Yee Weiß, Jahrgang 1978, ist Professorin, Expertin für die Themen „Future Skills“, „Future of Work“ sowie für Digitale Bildung. Zu diesen Themen ist sie auch als Publizistin und Keynote Speakerin aktiv. Sie ist Mitglied in mehreren Aufsichtsräten und Gründerin des Start-Ups Yoloa. Tätig ist sie auch als Politikberaterin. 2014 wurde sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Innovationssteuerkreis der Bundesregierung und von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in den Außenwirtschaftsbeirat des Bundeswirtschaftsministeriums berufen. Laut Wirtschaftsmagazin „Strive“ zählt sie zu den Top 10 der weiblichen Business Influencer im Bereich Digitalisierung.
Frau Prof. Weiß, Sie sprechen von Tätigkeiten, die „dull, dumb & dangerous“ sind, verstärkt von Maschinen und Robotern übernommen werden können. Was wäre ein Beispiel für die Kategorie „dangerous“? Sprengkörper in Kriegsgebieten zu entschärfen oder zu sprengen, ist eine äußerst gefährliche Tätigkeit, also „dangerous“. Daher gibt es Anti-Minen-Roboter, die diese Aufgaben für menschliche Spezialisten übernehmen können. Und was wäre ein prägnantes Beispiel von Tätigkeiten der Kategorien „dull“ und „dumb“? Am Amtsgericht in Frankfurt wird zukünftig eine KI die Richter dabei assistieren, Urteile zu Fluggastrechten zu fällen. Hier gibt es zwischen 10.000 und 15.000 Fälle pro Jahr mit riesigen Datenmengen, die ausgewertet werden müssen. Die Software ist darauf spezialisiert, Bordkarten, Flugzeiten, Wetterdaten und vorangegangene Entscheidungen des Amtsgerichts zu analysieren und die Richter wirkungsvoll bei der Urteilsvorbereitung zu unterstützen. Das Urteil selbst wird aber weiterhin von Richtern gefällt werden. Wen betrachten Sie als entscheidende Gestalter*innen der neuen Arbeitswelt? Jeder kann die schöne neue Arbeitswelt mitgestalten, dazu muss man nicht Führungskraft sein. Wir stehen gerade an einem neuen Scheideweg, wie „New Work“ nach der Pandemie aussehen wird: Für welche Aufgaben kommen wir zukünftig noch ins Büro? Welche Aufgaben können wir örtlich flexibel an einem anderen Ort erledigen? Was ist hierbei eine gute Mischung? Ich persönlich glaube, dass Wissensarbeiter durchaus zu weiten Teilen örtlich flexibel und virtuell zusammenarbeiten können, dass jedoch für den kreativen Austausch, für die Entwicklung neuer Strategien sowie den Vertrauensaufbau und die Stärkung persönlicher Netzwerke das physische Zusammentreffen erforderlich ist. Hier allerdings scheiden sich in vielen Unternehmen die Geister, wie darüber gedacht wird. Wie kann es gelingen, die Änderungsdynamik zu nutzen? Bei jeder Veränderung gilt: Erfolg ist das beste Argument. Wenn jemand sich dafür einsetzen möchte, dass man auch 75 Prozent der Zeit remote arbeiten und dabei einen sehr guten Job machen kann, der sollte exzellente Leistung abliefern.
Grundsätzlich gilt: Je technologisierter die Welt um uns herum, desto menschlicher müssen wir selbst werden.
Was bedeutet das für die Führung im digitalen Zeitalter? Ich glaube, Führungskräfte müssen ein extrem gutes Gespür bei der Auswahl von Mitarbeitern an den Tag legen, denn die Bedeutung des Faktors Mensch sinkt im Zuge der Digitalisierung nicht – sie steigt. Dann gilt es, diesen Menschen zu vertrauen, Aufgaben zu delegieren, gut zuzuhören, anders lautende Meinungen zuzulassen, ein Team mit diversen Fähigkeiten und Sichtweisen zu orchestrieren und auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Gerade bei virtueller Zusammenarbeit steigt auch die Bedeutung von digitaler Empathie: Wie schaffe ich es als Führungskraft, Fingerspitzengefühl für meine Mitarbeiter, Kollegen, Partner, Kunden und Lieferanten zu entwickeln, wenn wir uns weniger physisch sehen? Wie also schaffe ich es, remote Vertrauen aufzubauen, tragfähige Beziehungen zu entwickeln und Wertschätzung zu vermitteln? Es klingt wie ein Paradoxon, aber in Zeiten, in denen Speed zum Erfolgsfaktor wird, müssen sich Führungskräfte noch mehr Zeit für gute Führung nehmen. Grundsätzlich gilt: Je technologisierter die Welt um uns herum, desto menschlicher müssen wir selbst werden. Auf welche weiteren Skills wird es für den Nachwuchs in digital geprägten Positionen besonders ankommen? Ich denke, dass die Mehrheit der Menschen begriffen hat, dass IT-Kompetenz und mindestens ein Grundlagenwissen in den neuen Schlüsseltechnologien wie KI oder Blockchain inzwischen zur Allgemeinbildung gehört und branchenübergreifend in verschiedenen Berufsfeldern relevant wird. Was oftmals von vielen unterschätzt wird, ist die Bedeutung von zeitbeständigen Metakompetenzen, die unheimlich wichtig sind, um erfolgreich in einer zunehmend digital-vernetzten und volatilen Zukunft agieren zu können. Gemeint sind Lernfähigkeit, Problemlösungskompetenz, Ambiguitätstoleranz oder Resilienz. Einen zusätzlichen Bedeutungsschub werden auch Sozialkompetenzen wie Empathie, Kommunikationsgeschick und Teamfähigkeit erfahren, denn diese unterscheiden uns von den immer intelligenter werdenden Maschinen. Letztlich gilt es, genau das zu stärken, was wir als Menschen einbringen können, um aus unserer humanen Intelligenz und der Zusammenarbeit mit einer Künstlichen Intelligenz eine „komplementäre Intelligenz“ zu formen.
Letztlich gilt es, genau das zu stärken, was wir als Menschen einbringen können, um aus unserer humanen Intelligenz und der Zusammenarbeit mit einer Künstlichen Intelligenz eine „komplementäre Intelligenz“ zu formen.
Sie sind aktuell in Elternzeit. Wie gelingt es Ihnen in dieser sehr besonderen Zeit, den „Nestbau“ als Mutter mit den Ansprüchen, die Sie an Ihre Jobs und an Ihre Wissensaneignung haben, in Einklang zu bringen? Ehrlich gesagt: Das ist nicht einfach und nicht nur ein organisatorischer, sondern auch ein emotionaler Spagat. Du kannst, wie ich, Aufsichtsrätin, Professorin, Start-up Gründerin sein, das ist alles gut und schön, doch der wichtigste Job steht nicht auf den Visitenkarten, und er bedeutet für mich: Mutter von zwei wunderbaren kleinen Kindern zu sein. Mir hilft es, dass ich viel zeitliche und örtliche Autonomie habe, um meinen Job zu erledigen und die finanziellen Mittel, um mir viel Unterstützung im Haushalt von extern zu holen. Und: Ich liebe es, zu lernen. Das fühlt sich nicht wie Arbeit an, sondern wie ein Privileg, und ich baue es, so häufig es geht, in meinen Alltag ein. Ich höre zum Beispiel beim Sport oder beim Reisen viele Technologie-Podcasts und stelle mir auf Blinkist täglich Bücherlisten zusammen, die ich mir in Audio-Zusammenfassungen anhöre, wenn ich zum Beispiel unterwegs zu einem Termin bin. Ich möchte auf einen Ansatz zurückgreifen, den Sie in Ihren Vorträgen oft nennen: Was würden Sie Ihrem 25 Jahre alten Ich raten, mit den Erfahrungen, die Sie seitdem gesammelt haben? Ich würde rückblickend vieles genauso machen, aber auch einiges anders. Ich hatte immer große Träume und Flausen im Kopf und würde meinem 25-jährigen Ich raten, jeden Tag ernsthaft an diesen Träumen zu arbeiten und gleichzeitig in Summe gelassener zu sein und daran zu glauben, meinen eigenen Weg gehen zu können – auch wenn viele Stimmen von außen sagen, das gehe nicht. Die Zukunft wird immer weniger linear verlaufen und unsere Werdegänge werden es auch nicht sein, sondern von viel mehr Individualität, Brüchen, Pausen und Neuanfängen geprägt sein. Und das ist völlig in Ordnung. Ich glaube zudem auch fest daran, dass man auch lachend ernsthaft sein kann und dass vieles dadurch auch besser gelingt. Das gelingt mir mit zunehmendem Alter immer besser. Wenn Ihre Kinder eines Tages sagen werden: „Ich gehe zur Arbeit“ – was werden sie damit meinen, wie wird sich „Arbeit“ im Jahr 2050 definieren? Arbeiten ist immer mehr das, was wir tun, nicht wohin wir gehen. Ich habe mir vorgenommen, meine eigenen Kinder nicht nur in der digitalen Bildung persönlich zu unterstützen, sondern auch dabei, sich selbst zu entdecken. Und damit meine ich ihre persönlichen Stärken, ihre Interessen, Werte und ihren Purpose. Und dann sollen sie selbst entscheiden, was „gute Arbeit“ für sie bedeutet.

 Buchtipp

cover weltbeste bildung„Weltbeste Bildung: Wie wir unsere digitale Zukunft sichern“ Mitte September erscheint im Campus- Verlag das neue Buch von Yasmin Weiß, in dem sie sich der Frage widmet, wie es gelingen kann, in einer immer stärker digitalisierten Welt alle Menschen mitzunehmen und für die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft fit zu machen. Dabei macht sie deutlich, warum dafür lebenslanges Lernen notwendig ist und wie sich dieses organisieren lässt. Den Schwerpunkt setzt sie dabei auf die digitale Bildung sowie auf die Stärkung jener Eigenschaften, die den Menschen nachhaltig von immer intelligenter werdenden Maschinen unterscheiden. Als Autorin liegt es ihr fern, allein die Politik in die Pflicht zu nehmen – vielmehr sieht sie die Verantwortung bei jedem Einzelnen sowie bei den Unternehmen. Yasmin Weiß: Weltbeste Bildung: Wie wir unsere digitale Zukunft sichern. Campus-Verlag September 2022, 28 Euro (ab September 2022)

BIM: Gebaut wie geplant

Am Bau kommt die Digitalisierung voran. Schritt für Schritt. Die Branche hat die Digitalisierungspotenziale erkannt und steht vor der riesigen Herausforderung, auf dem Weg in die Welt des Bauens 4.0 alle Akteure mitzunehmen. Von Christoph Berger

Die Bauwirtschaft zählt zu einer der Schlüsselindustrien Deutschlands. Allerdings wird ihr immer wieder mangelnde Produktivität im Vergleich zu anderen Branchen zugeschrieben. Wofür es natürlich Ursachen gibt. So ist zum Beispiel jedes Bauwerk ein Unikat oder bei Tiefbauprojekten kommt es immer wieder zu unvorhersehbaren Ereignissen, die nur schwer planbar sind und Standardprozesse damit unmöglich machen. Trotzdem könnte die Branche im Hinblick auf die Digitalisierung weiter sein, gibt es doch viele Prozesse, die digital abgebildet werden könnten. So kommt eine im Dezember 2021 veröffentlichte Studie des Beratungsunternehmens PwC zu dem Ergebnis, dass der Digitalisierungsschub, den viele Branchenkenner erwartet hätten, bislang ausgeblieben sei. Zwar seien sich die Befragten einig, dass die Digitalisierung viele Chancen biete, allerdings habe sich die Diskrepanz zwischen den Potenzialen und den Fähigkeiten im Vergleich zum Vorjahr nur bei zwei von sieben digitalen Lösungen verkleinert. Häufig fehle es den Unternehmen an der dafür nötigen Expertise und der unternehmensinternen Akzeptanz. Knapp die Hälfte der Befragten, 47 Prozent, attestiert dem eigenen Unternehmen einen hohen Digitalisierungsgrad. Mit Blick auf die administrativen Prozesse wie Finanzen oder HR und die Projektprozesse – beispielsweise zur Planung und Kalkulation – sehen sogar rund sechs von zehn Unternehmen einen hohen Digitalisierungsgrad. Anders sieht es im Bereich digitaler Lösungen wie Cloud-Technologien aus: Hier sehen zwar 81 Prozent laut den Studienergebnissen hohes Potenzial, aber nur 44 Prozent bescheinigen sich einen hohen Digitalisierungsgrad. Wenn von Digitalisierungsgraden am Bau die Rede ist, kommt man an BIM nicht vorbei. BIM steht für Building Information Modeling und beschreibt eine Methode, in der sämtliche Bauwerksdaten digital modelliert, miteinander kombiniert und gemeinsam erfasst werden. Und dies über den gesamten Lebenszyklus des jeweiligen Bauprojekts. So entsteht ein digitaler Zwilling, der bis zu sieben Dimensionen abbilden kann: Zu dem dreidimensionalen Gebäudemodell können die Faktoren Zeit, Kosten, Nachhaltigkeit und Verwaltung, gemeint ist hier das Betreiben von Gebäuden beziehungsweise das Facility Management, hinzugefügt werden.

Eine Branche im Change

Diese Zusammenfassung eines Projekts in einem digitalen Modell fordert die Bau- und Immobilienbranche nicht nur technisch heraus, sondern auch kulturell, stellt sie doch eine ganz neue Form der Zusammenarbeit der bisher äußerst fragmentierten und meist getrennt voneinander arbeitenden Akteure dar. Inga Stein-Barthelmes, Geschäftsführerin der planen-bauen 4.0 – Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH, erklärt zu BIM: „Es ist definitiv eine bessere Zusammenarbeit. Das Planen und Bauen funktioniert reibungsloser. Deswegen wird Zeit und natürlich auch Geld gespart.“ Und sie betont bezüglich des Change in der Branche, dass der Faktor Mensch umdenken müsse: „Das tun die jungen Menschen aber bereits. Ihnen geht es um die Sache und nicht um die goldene Ananas, also den „Ruhm“ der eigenen Disziplin.“
Klar brauchen wir alle, die rund um das Thema Bau studieren. Aber zudem auch die Absolventinnen und Absolventen aus ganz anderen Fachrichtungen. Es muss umgedacht werden.
Doch wie weit ist die BIM-Einführung in den bauausführenden Unternehmen nach ihrer Einschätzung vorangeschritten? Sie sagt: „Wir merken Fortschritte. Vor allem auch bei den größeren bauausführenden Unternehmen. Die können in der Regel BIM. Allerdings kein open BIM. Deswegen ist es wichtig alle mitzunehmen. Und es müssen Standards für alle geschaffen werden, damit auch der Mittelstand und kleine Unternehmen mitgenommen werden. Es muss ja nicht immer jeder alles können. Das sollte man im Auge behalten.“ Große Fortschritte und gleichzeitig noch deutliches Ausbaupotenzial, so lässt sich die Situation wohl beschreiben. Dass aber schon viel passiert sei, wird auch von Planradar, einer plattform- und geräteunabhängigen sowie zudem webbasierten SaaS-Lösung (Software as a Service) für Dokumentation und Kommunikation in Bau- und Immobilienprojekten anerkannt. Das Unternehmen schreibt im Rahmen eines Länderverglichs, „dass BIM im europäischen Bauwesen noch nicht sein volles Potenzial erreicht hat. Während Großbritannien aktuell bei der Entwicklung und Implementation von BIM führend ist, sind es vor allem andere große Länder wie Deutschland, die bei der Adaption und der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen in den letzten Jahren große Sprünge verzeichnet haben“.

Interdisziplinarität ist gefragt

Für diesen Change werden natürlich Bauingenieurinnen und Bauingenieure gesucht, die einerseits das fachliche und technische Know-how mitbringen, das für den Bau Grundvoraussetzung ist. Doch nicht nur die. Inga Stein-Barthelmes ergänzt: „Klar brauchen wir alle, die rund um das Thema Bau studieren. Aber zudem auch die Absolventinnen und Absolventen aus ganz anderen Fachrichtungen. Es muss umgedacht werden. Man kann auch von anderen Bereichen profitieren und Effizienzgewinne erzielen. Gemischte Teams sind das A und O.“ Wie interdisziplinär die Herausforderungen angegangen werden, ist zum Beispiel im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Forschungsprojekt „intelligent Empowerment of Construction Industry“ (iECO) erkennbar. In dessen Zentrum steht die Schaffung eines Datenraums auf Basis von Gaia-X. „Gaia-X ist ein Projekt von Europa für Europa und darüber hinaus. Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aus Europa und der ganzen Welt arbeiten Hand in Hand zusammen, um eine vernetzte und sichere Dateninfrastruktur zu schaffen“, heißt es dazu auf der Website des BMWK. Auch im Rahmen von iECO arbeiten insgesamt elf Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft unter Konsortialführung der RIB Information Technologies AG unter anderem daran, den erwähnten Datenraum dafür zu nutzen, um einen Digitalen Zwilling des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks zu schaffen. Zum anderen soll dieser Datenraum dafür genutzt werden, um Advanced Smart Services zu entwickeln, mit denen sich der Bauprozess quer über die Wertschöpfungskette weiter optimieren lässt. Mit diesen Services sollen beispielsweise Prüf- und Genehmigungsverfahren digital vorbereitet, Terminpläne mit KI (teil)automatisiert erstellt, optimiert und angepasst werden, wie es in der Projektbeschreibung heißt. Zudem könnten Baustellen unter Einsatz entsprechender Services in Echtzeit überwacht und dadurch nicht nur Störungen frühzeitig identifiziert und antizipiert, sondern auch die Arbeitssicherheit erhöht, Projektfortschritte inkl. (Teil-)Abnahmen und Mängelidentifikation bzw. -behebung transparent und effizient in Smart Contracts dokumentiert werden. Oder die während Planung und Bau eines Bauwerks entstandenen Daten für seinen späteren Betreiber festgehalten werden. Gelingt das, rückt das anvisierte Projektziel näher: Die Bauwirtschaft will die 30 Prozentpunkte, die sie hinter anderen Industrien zurückliegt, durch die Schaffung dieser Wertschöpfungspotenziale schließen. Dass dafür verschiedenste Fachdisziplinen notwendig sind, erschließt sich aufgrund der Breite der Herausforderungen.

Podcast-Tipp

In Folge 39 beschäftigt sich der Podcast „Technik aufs Ohr“ mit BIM:  

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Spotify zu laden.

Inhalt laden

Digitale Technologien für Städte

Nicht nur Unternehmen, auch Städte und Gemeinden können digitale Technologien so nutzen, dass sie zu sogenannten Smart Cities werden. Kommt es dann noch zu einer segmentübergreifenden Vernetzung, kann die Digitalisierung einen maßgeblichen Anteil zur Erreichung der Klimaziele leisten. Von Christoph Berger

Käme es zur Einführung gigabitfähiger Infrastrukturen, könnten massiv CO2- Emissionen eingespart werden. Dies ist ein Ergebnis der im Herbst 2021 veröffentlichten Studie „Der Smart City Markt in Deutschland, 2021-2026“, die Arthur D. Little in Partnerschaft mit dem eco Verband und der Unterstützung des Vodafone Instituts für Gesellschaft und Kommunikation sowie den Unternehmen Uber, NetCologne und Cloudflare erarbeitet hat. Demnach könnten beim Datentransport bis 2026 um 270.000 Tonnen und bei smarten Gebäuden 275 Millionen Tonnen CO2- Emissionen eingespart werden. Sharing- Konzepte und die Verbesserung von Verkehrsflüssen, unter anderem durch Smart Parking, könnten bis 2030 bis zu 50 Prozent der CO2-Emissionen im städtischen Pkw-Verkehr reduzieren, Bürger*innen bis zu 34 Milliarden Euro an Kosten allein für die Parkplatz-Suche sparen. Auch Car-Sharing-Angebote hätten mit rund 0,52 Millionen Tonnen weniger CO2 bis 2026 einen direkten Nachhaltigkeitseffekt.
Es muss in Metropolen weltweit das Ziel sein, Potentiale der Digitalisierung voll auszuschöpfen.
Damit ist für die Studienautor*innen klar: Digitale Technologien und Anwendungen leisten einen unverzichtbaren Beitrag, das deutsche Klimaziel von 55 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 zu erreichen. „Städte müssen segmentübergreifend denken, eine ganzheitliche Anwendung von Smart- City-Konzepten ist der Schlüssel für eine nachhaltige Digitalisierung“, betont Lars Riegel, Partner bei Arthur D. Little und Studienautor. So zeige die Analyse, dass dies nur mit intelligenter Nutzung digitaler Technologien funktionieren werde. Riegel ergänzt: „Es muss in Metropolen weltweit das Ziel sein, Potentiale der Digitalisierung voll auszuschöpfen. So verbessert sich nicht nur die Lebensqualität signifikant – vielmehr können Städte somit ihren Beitrag zu Klima- und Umweltschutz leisten.“ Dass sektorenübergreifend gedacht werden müsse und eine ganzheitliche Anwendung von Smart City-Konzepten notwendig sei, um eine nachhaltige Digitalisierung zu erlangen, betont auch Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender im eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. Dazu gehöre für ihn beispielsweise auch die Förderung energieeffizienter Rechenzentren und die verstärkte Nutzung der Abwärme. Sowie die Einführung ressourcenarmer Kommunikationsdienste. „Es braucht beispielsweise Anreize für den Einsatz von Wärmepumpen zur Aufbereitung der Abwärme für kommunale Nah- und Fernwärmenetze. Gleichzeitig empfiehlt sich ein professioneller Schutz des Ökosystems durch Investitionen in Cybersicherheit“, so Süme weiter. Unternehmensberater Riegel gibt ein Beispiel, anhand dessen die segmentübergreifende Wirkung deutlich wird: „Viele Städte und Kommunen ersetzen ihre Straßenbeleuchtung durch moderne LED-Technologien, die bis zu 70 Prozent weniger Strom verbrauchen. Der große Nachhaltigkeitseffekt zeigt sich allerdings erst, wenn man die Straßenlaternen intelligent vernetzt, mit Sensoren ausstattet und zusätzlich die damit entstehende Infrastruktur für Smart- Parking-Systeme verwendet. In diesem Fall wird die Brenndauer um weitere 50 Prozent reduziert.“ Es kommt also auf die effiziente Nutzung der Synergien zwischen den Segmenten an.

Digital Life! Kultur-, Buch- und Linktipps

0

Roman: RCE

Cover RCESibylle Bergs neuer Roman setzt in der neoliberalen Absurdität an, in der der Einzelne machtlos scheint. Der Kapitalismus ist alternativlos geworden. Das beste aller Systeme hat wenigen zu absurdem Reichtum verholfen und sehr vielen ein menschenwürdiges Dasein genommen. Die Krise ist der Normalzustand, Ausbeutung heißt nicht mehr „Kolonialismus“, sondern „Förderung strukturschwacher Länder“. Inflation, Seuchen, Kriege, Diktatoren, Naturkatastrophen, Müllberge. Und die Menschheit vereint nur noch in ihrer Todessehnsucht. Die Lage scheint ausweglos. Aber in einem abhörsicheren Container brennt noch Licht. Fünf Hacker programmieren die Weltrettung. Sibylle Berg: RCE – #RemoteCodeExecution. Kiepenheuer&Witsch 2022, 26 Euro

Ausstellung: Deutschland digital

Studenten der Informatik an der Technischen Universität Braunschweig 1973. Foto: UB Braunschweig, Universitätsarchiv J IV 1-2
Studenten der Informatik an der Technischen
Universität Braunschweig 1973. Foto: UB Braunschweig, Universitätsarchiv J IV 1-2
World Wide Web, Big Data, Künstliche Intelligenz – Die Digitalisierung hat in den letzten Jahrzehnten einen radikalen, alle Lebensbereiche umfassenden Wandel ausgelöst, dessen ambivalente Auswirkungen zunehmend Menschen in aller Welt betreffen. Mit mehr als 400 Objekten, Fotos und zahlreichen interaktiven Medienstationen beleuchtet das Zeitgeschicht liche Forum Leipzig die Entwicklungen und die tiefgreifenden Auswirkungen der Digitalisierung in Deutschland. Das vielschichtige Thema und seine komplexe Dynamik sollen anhand von Alltagserfahrungen deutlich werden. Mit einer Chipkarte eröffnen sich die Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung Portale, durch die sie zentrale Aspekte entdecken können. Ein „Open Space“ bietet Gelegenheit, das eigene digitale Selbstverständnis zu reflektieren und unmittelbar mit Expertinnen und Experten ins Gespräch zu kommen. Die Ausstellung ist bis 3. Oktober 2022 zu sehen. Weitere Infos unter: www.hdg.de/zeitgeschichtliches-forum

Gegenwartsroman: Automation

Cover AutomatonDer aktuelle Roman „Automaton“ von Berit Glanz wird als visionärer Gegenwartsroman gepriesen, der zwischen der Klaustrophobie der eigenen vier Wände und den Hanffeldern Kaliforniens spielt und von neuen Ausbeutungsverhältnissen und den Chancen virtueller Solidarität erzählt. Es geht um die junge Mutter Tiff, die sich mit schlecht bezahlten Online-Jobs für die Plattform Automa durchschlägt, da sie wegen einer Angststörung ihre Wohnung kaum verlassen kann. Ihre zermürbende Akkordarbeit wird als angebliche Überwachungsleistung einer KI teuer verkauft, weshalb sie zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Doch dann wird sie am Bildschirm Zeugin eines Verbrechens. Berit Glanz: Automaton. Berlin Verlag 2022, 22 Euro.

Sammelband: 10 Minuten Soziologie: Digitalisierung

Cover 10 Minuten SoziologieVom Algorithmus bis zum Sensor umfasst die Digitalisierung eine Vielfalt technologischer Innovationen. Ebenso facettenreich sind die Dimensionen, in denen sie die Gesellschaft transformiert und gleichzeitig von ihr geprägt wird. Die Auswirkungen auf die Kommunikation im öffentlichen Raum, auf die Wissenschaft und Landwirtschaft sowie die Wechselwirkungen mit dem Recht, der Wirtschaft und der Ökologie – die Beitragenden des Bandes gehen diesen und anderen Aspekten von Digitalisierung aus verschiedenen theoretischen Blickwinkeln nach. Damit eröffnen sie Perspektiven, die Digitalisierung als sozio-technischen Wandel verstehen und erklären lassen. Katharina Block, Anne Deremetz, Anna Henkel, Malte Rehbein (Hg.): 10 Minuten Soziologie: Digitalisierung. Transcript 2022, 18 Euro.

Thriller: Systemfehler

Cover SystemfehlerMitten in der Urlaubszeit bricht in ganz Europa das Internet zusammen. Flugzeuge können nicht mehr landen, Ärzte nicht mehr operieren, der Verkehr versinkt im Chaos. Bald sind alle Kommunikationswege gekappt. Ganz Europa befindet sich im Ausnahmezustand, die Menschen geraten in Panik, die Versorgung bricht zusammen. BND-Ermittler Nelson Carius vermutet ein hochkomplexes Computervirus hinter den Internetausfällen. Eine Spur führt ihn ausgerechnet zum IT-Experten Daniel Faber aus München, einem unbescholtenen Familienvater. Während das ganze Land gegen das Chaos kämpft, muss Daniel nicht nur seine Familie retten, sondern auch seine Unschuld beweisen. Wolf Harlander: Systemfehler. Rowohlt 2021, 12 Euro

Essay: Träge Transformation

Cover Träge TransformationDeutschland investiert Milliarden in prestigeträchtige Leuchtturmprojekte und Pseudo- Veränderungen – und ist trotzdem digital weit abgeschlagen. Das liegt auch daran, dass Digitalisierung nicht als Transformation verstanden wird: Es geht eben nicht darum, Gegenstände oder Strukturen einfach ins Digitale zu überführen. Transformationsprozesse müssen die Gegenstände und Strukturen selbst hinterfragen und wandlungsfähig sein. Und selbst da, wo man dies erkannt hat, verhindern Missverständnisse die Entwicklung. Digitale Transformation ist ein komplexer Vorgang, der nicht dann abrupt endet, wenn irgendein neuer Dienst eingeführt wurde. Dieser Essay stellt heraus, dass isolierte Blicke auf Gesellschaft oder Technik nicht zielführend sind, und entlarvt dabei stets bemühte Buzzwords und die wichtigsten Denkfehler. Sascha Friesike, Johanna Sprondel: Träge Transformation. Welche Denkfehler den digitalen Wandel blockieren. Reclam 2022, 6 Euro.

Roman: TICK TACK

Cover Tick-TackBevor sie sich auf die U-Bahngleise legt, kündigt Mette, 15, in TikTok-Videos ihr Vorhaben an. Niemand reagiert – gerettet wird sie trotzdem. Der Suizidversuch verwirrt ihr privilegiertes Umfeld: Bislang hat sie professionell die Leistung des hochbegabten Kindes abgeliefert – Mettes Strategie, um unter dem Radar einer Welt zu bleiben, deren Verlogenheit sie frustriert. Dann lernt sie Jo kennen, zehn Jahre älter, brillant und voller Wut, ein Verbündeter. Als Anti-Influencer hat er sich ein Following aufgebaut und rekrutiert Mette für den Kampf gegen den Mainstream. Ein Spiel beginnt, dessen Regeln sie nicht durchschaut. Mit gleißender Klarheit und schneidendem Witz zeigt Julia von Lucadou einen Ausschnitt unserer Gegenwart, in der die digitale und reale Wirklichkeit sich komplett durchdringen. Julia von Lucadou: Tick Tack. Hanser 2022, 23 Euro.

Augmented Reality: Kunstspaziergang durch Basel

Foto: ARTour (©Andy Picci)
Foto: ARTour (©Andy Picci)
Mit der kostenlosen App „ARTour“ erwachen digitale Kunstwerke an unterschiedlichen Orten in Basel auf dem Handybildschirm zum Leben. Die Tour führt an zehn Kunstwerken vorbei, dauert insgesamt rund 90 Minuten und kann jederzeit absolviert werden. Gemeinsam mit der Kuratorin des Projekts, der Direktorin des HEK Sabine Himmelsbach, wurden nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler ausgewählt, die eigens für die ARTour digitale Kunstwerke zum Thema „Celebrate Life“ kreiert haben. Das Unternehmen Roche hat die ARTour in Kooperation mit dem HEK (Haus der Elektronischen Künste), dem Präsidialdepartement und Basel Tourismus konzipiert und schenkt sie anlässlich ihres 125-Jahr-Jubiläums der Bevölkerung der Stadt Basel. Weitere Infos unter: https://artour.basel.com/de

Das letzte Wort hat: Alexander Türk, CEO & Co-Founder Aeditive

0

Alexander Türk ist studierter Mathematiker und ehemaliger Strategieberater. 2019 gründete er mit Hendrik Lindemann, Roman Gerbers und Niklas Nolte das ConTech-Unternehmen Aeditive. Dort ist er verantwortlich für Strategie und Finanzen. Der von dem Start-up entwickelte Concrete Aeditor kommt in diesem Jahr erstmals bei Pilotkunden zum Produktionseinsatz. Seine Freizeit verbringt Alexander Türk gerne in den Bergen oder auf dem Wasser. Die Fragen stellte Christoph Berger

Herr Türk, Sie und Ihre Kolleg*innen haben eine Roboter-Spritzbeton-Drucktechnologie entwickelt, die das Herz Ihrer 3D-Drucklösungen für die schalungsfreie Betonteilfertigung ist – einen 3D-Großdrucker. Können Sie das kurz erklären? Die Bauindustrie ist eine sehr traditionelle Industrie, in der noch viel manuell gearbeitet wird und wenig automatisiert wurde. Das gilt insbesondere für den Betonbau. Hier muss händisch eine Schalung aus Holz produziert werden, in die dann der Beton reinfließt – wobei die Schalung die spätere Form vorgibt. Mit der 3D-Drucktechnologie haben wir die Möglichkeit, auf diese Schalung komplett zu verzichten. Der Beton wird stattdessen schichtweise aufgedruckt, danach werden die Oberflächen bearbeitet. Das Bauteil ist somit schalungsfrei und automatisiert produziert worden. Das bedeutet also höhere Effizienz sowie weniger Personal- und Materialeinsatz? Genau. In erster Linie ist unsere Lösung eine Antwort auf den Fachkräftemangel in einer wachsenden Branche: Es gibt Wohnraumknappheit und einen Sanierungsstau bei großen Infrastrukturprojekten. All diese Herausforderungen können aufgrund fehlender Fachkräfte kaum noch bedient werden. Deswegen Automatisierung. Zudem produzieren wir mit dem Verfahren nachhaltiger. Da der Roboter den Beton nur dort aufträgt, wo er im Bauteil benötigt wird – zum Beispiel zur Lastaufnahme oder Schallisolation, sparen wir Beton ein. Welche Herausforderungen haben Sie bei der Entwicklung Ihres 3D-Produkts zu meistern? Die 3D-Technologie ist äußerst komplex. Die Technologie kann nur dadurch entstehen, dass Ingenieur*innen und Fachkräfte verschiedenster Fachrichtungen zusammenarbeiten. In unserem Team sind Architekten und Bauingenieure, Sie finden Betonspezialisten, Maschinenbauer, Automatisierungstechniker und Softwareentwickler. Diese Spannbreite an Disziplinen und deren Zusammenarbeit ist notwendig, um eine Automatisierungslösung für den Bau zu entwickeln. Sie selbst sind Mathematiker. Wie sind Sie dazu gekommen, an einer Innovation für den Bau zu arbeiten? Ja, ich bin Mathematiker. Aber vor allem bin ich ein technologiebegeisterter Mensch. Nach dem Studium habe ich für eine große Strategieberatung gearbeitet und mich dort mit der Digitalisierung beschäftigt: Wie verändert Technologie eine Industrie oder ein Geschäftsmodell? Oder die Strategie eines Unternehmens? Zu der Idee der Unternehmensgründung bin ich gekommen, weil einer meiner drei Mitgründer ein Freund aus der Kindheit ist, der das Thema mit zwei anderen Kollegen in einem Forschungsprojekt an der Uni bearbeitet hat. Zusammen haben wir dann überlegt, wie man die Technologie an den Markt bringen könnte. Wie wichtig ist in der Gründungsphase der Kontakt und die Kommunikation mit Unternehmen der Branche? Beides ist extrem wichtig. In der Start-up-Sprache nennt sich das „Product Market Fit“. Hier wird sichergestellt, dass das Produkt auch tatsächlich zu den Anforderungen der Kunden passt. Ein Beispiel: Es liegt auf der Hand, mit unserer Technologie das Bauteil 3D zu drucken und, dass es am Ende eine schöne Oberfläche hat und die Bewehrung darin enthalten ist. Eine andere Frage ist dann aber, wie ich die Anlage wieder gereinigt bekomme. Hierfür ist die Kommunikation mit den Kunden essentiell. Die ConTech-Branche wächst. Was ist Ihr Tipp für Gründer*innen? Manchmal muss man genau hinhören, manches Mal aber auch genau weghören. Wichtig ist, Kunden und Investoren zuzuhören und darauf zu achten, was sinnvolles Feedback ist. Manchmal muss man aber auch weghören, weil es Menschen gibt, die sagen: Das wird nicht funktionieren. Würde man immer darauf hören, traut man sich am Ende nicht, etwas zu machen.

Zum Unternehmen

Das Unternehmen Aeditive hat eine digitale Automatisierungslösung für die Baubranche entwickelt. Im Interview erklärt Co-Founder Alexander Türk, wie es zu der Idee für die 3D-Drucklösung kam und, auf was es bei der Entwicklung einer solch komplexen Lösung ankommt.

Kuratiert

0

Zertifikatskurs „Digitale Transformation: Tech Innovation“

Die FOM Hochschule und der Digital Campus Zollverein bieten Berufstätigen und Studierenden im neu konzipierten Zertifikatskurs „Digitale Transformation: Tech Innovation“ an, sich innerhalb von vier Monaten aktuelles Wissen zu Technologiekonzepten und Anwendungssystemen anzueignen. In dieser Zeit werden praxisrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, um IT-Prozesse betriebswirtschaftlich kompetent zu begleiten und so die Voraussetzungen für Markt- und Unternehmenserfolge im digitalen Wettbewerb schaffen zu können. Im Fokus stehen unter anderem digitale Schlüsseltechnologien wie Cloud-Computing, Big Data oder IoT, also Internet of Things. Zudem werden mit Hilfe der Kreativitätsmethode „Design Thinking“ innovative kundenzentrierte Lösungsansätze für verschiedene Problemstellungen entwickelt.

Master-Major „Music and Digital Creation“

Ob als Künstler*in, als Musiklehrer*in, als Komponist*in oder als Musikwissenschaftler*in – digitale Werkzeuge braucht es inzwischen in beinahe allen musikalischen Feldern. Um dieser Entwicklung bereits in der Ausbildung stärker Rechnung zu tragen, lancieren die beiden Departements Musik und Informatik der Hochschule Luzern, Schweiz, ab Herbst 2022 den neuen Major auf Master-Stufe „Music and Digital Creation“. Vermittelt werden dabei grundlegende Kompetenzen in den Bereichen digitale Entwicklung und Datenanalyse – das reicht von Programmierkenntnissen bis hin zum gekonnten Umgang mit Software und Applikationen für Auftritts-, Unterrichts- oder Forschungstätigkeiten. Andererseits bietet das neue Angebot aber auch Potenzial für jüngere und stark wachsende Bereiche wie etwa das Komponieren und Programmieren von Musik für Computerspiele oder Online-Anwendungen.

MBA-Fernstudiengang „Digital Finance, Strategie & Accounting“

In dem vom Zentrum für Fernstudien im Hochschulverbund – zfh angebotenen Fernstudiengang „Digital Finance, Strategie & Accounting (MBA)“ geht es im Kern um eine verantwortungsvolle Unternehmenssteuerung in der Arbeitswelt 4.0. Das Studium vermittelt Schlüsselqualifikationen in zentralen Fragen der finanzwirtschaftlichen Unternehmenssteuerung. Zu den Studieninhalten zählen Rechnungslegung & Kapitalmarktkommunikation, Change- & Projektmanagement sowie Entwicklung, Implementierung & Überwachung von Unternehmensstrategien. Fachübergreifende Kompetenzen wie Problemlösung, Gesprächs- und Verhandlungsführung, Digitalkompetenz und Coaching runden das Studienkonzept ab. Zielgruppe des Angebots sind Hochschulabsolvent*innen mit mindestens einjähriger Berufserfahrung nach dem Erststudium. Auch beruflich Qualifizierte ohne Erststudium, aber mit einschlägiger Berufserfahrung, können über eine Eignungsprüfung zum Studium zugelassen werden. Der Studiengang ist akkreditiert und der Abschluss international anerkannt. von Christoph Berger    

karriereführer consulting 2022.2023 – Trotz VUKA: Wachstum. Berater*innen für eine nachhaltig wachsende Unternehmenswelt

0

Cover karriereführer consulting 2022-2023

Trotz VUKA: Wachstum. Berater*innen für eine nachhaltig wachsende Unternehmenswelt

Vier Buchstaben beschreiben, in welcher Situation sich unsere Gesellschaften und Ökonomien in der globalisierten Welt derzeit befinden: VUKA. Die Abkürzung steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Und dabei gab es ja auch schon vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg ausreichend Herausforderungen, mit denen sich Unternehmen konfrontiert sahen und die einer kompetenten Beratung bedurften. Durch die aktuellen Ereignisse wird diese nun noch mehr gesucht. Jedoch verbunden mit der Erwartung, rasch den Beweis zu erbringen, dass gewinnbringende Versprechen auch eingehalten werden.

Wachstum in der VUKA-Welt

Was tun, wenn kriegerische Konflikte, Pandemie und die Mammutaufgaben Digitalisierung und Klimaschutz die Unternehmenspläne auf den Kopf stellen? In dieser Situation ist strategische Beratung gefragt wie nie. Wobei die Mandanten im Krisenmodus überzeugt werden müssen, warum sich diese lohnt. Zeit für ein Consulting, das Wachstum neu definiert: als perfekten Mix aus Purpose, Klimaschutz, Resilienz und Zahlen. Ein Essay von André Boße

Was die Consulting-Branche auf Wachstumskurs bringt, sind komplexe Marktumfelder, die trotz ihrer Herausforderungen den Unternehmen eine Reihe von Perspektiven bieten, ihrerseits zu wachsen. In solchen ökonomischen Szenarien entwickeln die Mandanten nicht nur einen hohen Beratungsbedarf, sie sind zudem willens und in der Lage, in die Beratung zu investieren. Wovon wiederum Consultants profitieren, wenn sich die mit Hilfe der Beratung erzielten Erfolge als nachhaltig erweisen: Wachstum baut auf Wachstum auf – so lautet das Erfolgsrezept der Branche.

Aufholeffekt nach Pandemie gestartet

Ob ein solches positives Beratungs-Umfeld im Jahr 2022 gegeben ist? Niemand kann das sagen. Die Sache ist höchstkompliziert, die Unsicherheiten zahlreich. Was feststeht: Nach der Coronakrise mit ihren erheblichen Einbrüchen ist die „Consultingbranche im Geschäftsjahr 2021 wieder gut durchgestartet“, wie es in der Pressemeldung des Branchenreports „Facts & Figures zum Beratungsmarkt 2022“ des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberaters (BDU) heißt. Der Gesamtumsatz der beratenden Unternehmen stieg von 34,6 Milliarden Euro (2020) auf 38,1 Milliarden Euro; die Verluste des Corona-Pandemie-Jahres 2020 konnten dank eines „Nachhol-Effekts“ sowie eines „Marktwachstums von plus 10,3 Prozent aufgeholt werden“, wie es in der Mitteilung heißt. Zum Vergleich: Der Umsatz der gesamten deutschen Gastronomie-Branche in Deutschland war 2020 im Zuge der Pandemie auf knapp 45 Milliarden Euro gesunken. Was nun, im Ausklang der Pandemie, vielen Unternehmen und Beratungen gutgetan hätte, wäre eine Phase der relativen Ruhe. Doch die VUKA-Welt verhindert das – und zwar mit einer Wucht, die sich niemand hätte ausmalen können. Wenn man so will, beweist das VUKA-Prinzip gerade, welche Dynamik in ihm steckt.

VUKA-Welt zeigt, was in ihr steckt

VUKA, das steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, also für Doppeldeutigkeit. Diese vier Begriffe beschreiben sehr umfassend das, was der globalisierten Welt mit ihren Gesellschaften und Ökonomien gerade passiert.
VUKA, das steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, also für Doppeldeutigkeit. Diese vier Begriffe beschreiben sehr umfassend das, was der globalisierten Welt mit ihren Gesellschaften und Ökonomien gerade passiert. Selbst ohne „Sonderereignisse“ wie Pandemien oder dem russischen Angriffskrieg mit seinen entsetzlichen Folgen für die Menschen in der Ukraine würde das VUKA-Prinzip die globale Wirtschaft vor enorme Herausforderungen stellen. Diese zwei „Sonderereignisse“ potenzieren die Dynamik noch einmal, wobei wohl weitere solcher nicht vorhersehbaren Ereignisse folgen werden – darunter auch wieder welche, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können oder wollen. Das VUKA-Prinzip steht stellvertretend dafür, dass zu jeder Zeit etwas komplett Unvorhergesehenes geschehen kann – mit kaum fassbaren Auswirkungen auf Lieferketten, Auftragslagen, Businessbeziehungen, Geschäftsmodelle. Wobei es sich bei einem solchen Ereignis auch um ein Schiff handeln kann, dass quer im Suezkanal steckt und durch dieses Manöver den Puls des Welthandels für einige Wochen komplett aus dem Rhythmus bringt.

Strategische Beratung: ist gefragt, aber ein Investment

In der Theorie sorgen die Auswüchse des VUKA-Prinzips dafür, dass der Rat der Consultants mehr denn je gefragt ist. Die Unternehmen stehen heute vor der Aufgabe, sich für die Folgen dieser ungeahnten Dynamiken zu wappnen. Konkret: Für dramatisch steigende Energiekosten. Für Rohstoff- und Materialknappheit. Für wegbrechende Märkte. Für nicht mehr reibungslos funktionierende Lieferketten. Selbst das Szenario, dass für die Produktion in bestimmten Branchen die grundlegenden Dinge fehlen – nämlich Energie, Rohstoffe und Produkte der Zulieferer – ist nicht auszuschließen. Und das in einem Umfeld, in dem die digitale Transformation weiter an Bedeutung gewinnt sowie mit dem Klimaschutz eine Mammutaufgabe auf der Agenda steht, die danach verlangt, etablierte Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle komplett umzudenken. Was wäre in einem solchen Umfeld wichtiger als eine strategische Beratung? Ein Consulting, das den Unternehmen die Wendigkeit und Resilienz gibt, die nötig ist, um diese Situationen nicht nur zu meistern, sondern um an ihnen zu wachsen – und damit eine neue Art von resilientem Wachstum zu generieren?

Wer braucht Beratung?

Laut der aktuellen Studie „Managementberatung in Deutschland“ des Markt-Analyse- Unternehmens Lünendonk, erschienen Ende 2021, stammen die mit Abstand wichtigsten Kunden für Managementberatungsunternehmen aus zwei Branchen: der Automobilindustrie und den Banken. „Beide Branchen haben mit starkem Digitalisierungs-, Transformations- und Regulierungsdruck zu kämpfen“, heißt es in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Studie. Die Automobilbranche hat zudem besonders mit den Folgen des Krieges in der Ukraine zu tun. „Wir unterstützen ausdrücklich die Sanktionen der EU“, wird Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), in einem Statement zitiert. Betroffen davon seien aber auch die deutschen Unternehmen der Branche. „Wir erwarten empfindliche Effekte auf Liefer- und Logistikketten mit Rückwirkungen auf Fabriken in Deutschland und Europa aber auch andernorts. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Sanktionen nicht kurzfristig angelegt sind“, wird Müller zitiert. Zudem fällt für die Branche der Absatzmarkt Russland weg. Auch sei absehbar, dass es zu Problemen bei der Energieversorgung kommen werde.
Jedoch führt das VUKA-Prinzip eben auch dazu, dass für die Unternehmen Umsatzprognosen schwerer zu treffen und Investitions-Strategien schwerer zu entscheiden sind. Verschärft wird diese Unsicherheit noch dadurch, dass durch die Sanktionen im Zuge des Krieges in der Ukraine für nicht wenige Unternehmen der deutschen Wirtschaft Märkte und Lieferanten wegfallen. „Wir sehen im Moment, dass Kundenbranchen zum Teil schon sehr betroffen sind, beispielsweise Energieversorger, IT-Servicedienstleister, Holzproduzenten, Landwirtschaft oder Fahrzeugbau“, heißt es in der Pressemeldung zu der „Facts & Figures“-Studie des BDU. Und die Beratungsgesellschaft KPMG formuliert in einem Fachbeitrag auf der Unternehmenshomepage mit dem Titel „Orientierung und Empfehlungen für den Umgang mit dem Russland-Ukraine-Krieg“: „Unsere Kundenrückmeldungen zeigen, dass nahezu alle Unternehmen auf die ein oder andere Weise vom Ukraine-Krieg betroffen sind. Viele haben vor Kriegsbeginn direkt Waren mit Russland und der Ukraine ausgetauscht – oder über Lieferanten von dort bezogen. Entsprechend stark treiben die Unternehmen der Umsatzverlust mit Russland und die Preissteigerungen im Einkauf um. Übertroffen werden diese Herausforderungen noch vom komplexen Sanktions-Management.“

Ganzheitliche Beratung ist gewünscht

An dieser Stelle wird das „A“ von VUKA besonders deutlich, also die Ambiguität: Neue Absatzmärke zu erschließen oder alternative Lieferketten aufzubauen, ist im Grunde eine Kernkompetenz des strategischen Consultings, also der Königsdisziplin der Unternehmensberatung. Da durch die Realität der Sanktionen, Knappheiten und wegen der steigenden Preise den Unternehmen jedoch schon jetzt Umsätze entgehen, wird sich in naher Zukunft zeigen, ob sie als Mandanten bereit sind, in diese Beratungsleistungen zu investieren. Die Consultants stehen hier vor der Aufgabe, den Unternehmen klarzumachen, warum es sich gerade jetzt lohnt, auf Beratung zu setzen. Erhalten sie das Mandat, müssen sie wiederum rasch beweisen, dass das Consulting die gewinnbringenden Versprechen einhält. Nur, wer in der Beratung in dieser – gefühlt – „permanenten Sondersituation“ nicht nach Schema F vorgeht, sondern speziell mit den Kunden an Lösungen arbeitet, wird in diesem komplexen Umfeld erfolgreich sein. Wie sich das Consulting in der VUKA-Welt positionieren muss? Ganzheitlich. Die BDU-Zahlen zeigen, dass 80 Prozent der befragten Führungskräfte in den Unternehmen der Aussage zustimmen, „dass das Profil eines erfolgreichen Consultants zukünftig ein Mix aus Digitalisierungsskills, Industriewissen und sozialen und kommunikativen Kompetenzen sein wird.“ Bleibt damit kein Platz mehr für Ethik und Nachhaltigkeit? Doch! „71 Prozent stimmen der Aussage stark zu, dass Bewerbende und eigene Mitarbeiter eine Erwartungshaltung in Bezug auf Haltung und verantwortlichem Handeln haben, denen Consulting-Unternehmen gerecht werden müssen“, heißt es im BDU-Papier. Sprich: Die Berater*innen müssen sich intensiv mit Purpose und Nachhaltigkeitsstrategien ihrer Mandanten beschäftigen.

Wandel im Miteinander

Die Beratungsgesellschaft Accenture spricht in diesem Zusammenhang von der „Nachhaltigkeits-DNA“ von Unternehmen, die diese dazu befähige, höhere Gewinne als ihre Wettbewerber zu erzielen und eine langfristige positive Veränderung bewirke, wie es in der deutschen Zusammenfassung der englischsprachigen Studie „Shaping the Sustainable Organizsation“ heißt, die Accenture Ende 2021 in Kollaboration mit dem Weltwirtschaftsforum erstellt hat. Im Kern geht es darum, die Nachhaltigkeit des Handelns nicht länger danach zu bewerten, ob oberflächlich die Erwartungen der Menschen, die für das Unternehmen tätig sind, erfüllt werden. Diese Erwartungen seien nämlich mittlerweile so stark gestiegen, dass „grundlegende Verhaltensänderungen notwendig sind“, wie es in der deutschen Fassung der Studie heißt.

Perspektive Unternehmensberatung 2022

Cover Perspektive-UnternehemnsberatungDas Handbuch „Perspektive Unternehmensberatung 2022: Case Studies, Branchenüberblick und Erfahrungsberichte zum Einstieg ins Consulting“ bietet dem Nachwuchs einen ersten Überblick über Themen und Fragen der Beratung. Das Buch beinhaltet eine Reihe von Case- Studies und widmet sich den Fragen: Welche Beratungsbereiche und Player gibt es? Mit welchen Einstiegsgehältern kann man rechnen? Was sollte man bei der Bewerbung beachten? Wie bereitet man sich am besten auf das Auswahlverfahren und die Case Studies vor? Das Buch ist sowohl in gedruckter Form als auch als E-Book erhältlich. Perspektive Unternehmensberatung 2022: Case Studies, Branchenüberblick und Erfahrungsberichte zum Einstieg ins Consulting. e-fellows.net 2021, 19,90 Euro
Zu diesem Wandel komme es, wenn es gelingt, „ihn im gesamten Unternehmen zu verankern“. Erster Schritt auf diesem Weg: Ein Unternehmen muss gegen den Irrglauben ankämpfen, Gewinn und Purpose stünden im Widerspruch zueinander. Wobei immer mehr Unternehmen verstehen, „dass nachhaltiges Wirtschaften nicht im Widerspruch zu finanziellem Erfolg stehen muss und auch erst die Grundlage für ‚Purpose‘ bildet“, wie Alexander Holst, Managing Director Accenture Strategy, Sustainability, in der Zusammenfassung zitiert wird. „In der nächsten Dekade geht es daher nun darum, die selbst gesetzten Nachhaltigkeits-Ziele kraftvoll umzusetzen und auch – falls notwendig – nachzujustieren.“ Woran sich diese Nachhaltigkeits-DNA festmachen lässt? Accenture nennt in der englischen Original-Studie drei Kernaspekte: „Human connections“, also starke und auf gemeinsames Handeln basierende Beziehungen zu den Menschen, die zu einer Wertschätzung im gesamten Ökosystem des Unternehmens führen. „Collective intelligence“, also spezielle Entscheidungs-Mechanismen, die dafür sorgen, dass die Bedürfnisse, Wünsche und Stärken der Menschen zum Tragen kommen. „Accountability at all levels“, sprich eine ganzheitliche Verhaltensänderung auf allen Ebenen, die dazu führt, dass die kommende Generation an Führungskräften diesen Wandel bereits in ihrer Leadership-DNA hat.

Angebliche softe Themen retten harte Bilanz

Dieses Wissen ist die Grundlage dafür, dass sich die Mandanten erstens durch die Phasen der Unsicherheiten navigieren und zweitens einen Wachstumskurs finden, der nachhaltig ist. Gefragt ist eine Strategie, die die VUKAWelt weder verdrängt noch zu bekämpfen versucht (was sowieso sinnlos wäre), sondern die diese Unsicherheiten einpreist und dennoch weiterhin auf Wachstum bauen kann – jedoch auf ein nachhaltiges Wachstum, das nicht allein auf Umsätze und Gewinne blickt (was in der VUKAWelt für Enttäuschungen sorgen kann), sondern Aspekte wie Purpose, Klimabilanz und Resilienz genau so ernst nimmt. Diese früher als „soft“ bezeichneten Themen sind es, die ab morgen die „harten“ Bilanzen retten. Aufgabe der Consultants ist es, diesen Wandel zu vermitteln und den Unternehmen bei der Umsetzung zu helfen. Das klingt nach einer echten Herausforderung – und ist daher wie gemacht für eine junge Consultinggeneration, die Lust darauf hat, die neue Richtung einer nachhaltig wachsenden Unternehmenswelt in komplexen ökonomischen Umfeldern mitzubestimmen.

Wachstum: nicht grenzenlos

Cover Grenzen des WachstumsVor 50 Jahren veröffentlichte der Club of Rome seinen einflussreichen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“, in dem die Autor*innen bereits 1972 darauf hinwiesen, dass eine auf ständiges Wachstum ausgelegte Welt ihre eigene lebenswerte Zukunft aufs Spiel setze. 20 Jahre später, im Jahr 1992, erneuerten die Autor*innen ihre Warnung. Nun, 50 Jahre nach dem ersten und 30 Jahre nach dem zweiten Bericht, legen sie mit „Grenzen des Wachstums – das 30-Jahre Update“ noch einmal nach. Das Buch sei als „Signal zum Kurswechsel“ zu verstehen: „In den Szenarien des 30-Jahre-Update mit aktuellen Daten wird deutlich, dass wir den großen Kurswechsel dringend brauchen – eine Wende zur Nachhaltigkeit mit drastischen materiellen und strukturellen Veränderungen.“ Donella Meadows, Jorgen Randers Dennis Meadows, Ernst Ulrich von Weizäcker (Geleitwort): Grenzen des Wachstums – Das 30-Jahre-Update: Signal zum Kurswechsel. S. Hirzel 2020, 20 Euro