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Mit Servitization wettbewerbsfähig bleiben

Viele Branchen stehen im Zeitalter der Digitalisierung an einem Scheideweg. Immer wieder ist von disruptiven Zeiten die Rede. Am Beispiel des Maschinenbaus wird deutlich, in welch unterschiedliche Richtungen sich eine Branche zukünftig entwickeln kann. Und was helfen kann, wettbewerbsfähig zu bleiben. Zum Beispiel: Servitization. Für die Beratungsunternehmen bedeutet die Entwicklung, ihre Kunden auf dem Weg in die Zukunft zu begleiten, ihnen klarzumachen, dass sich Industrien noch mehr als bisher verflechten. Die Projekte werden damit übergreifender, komplexer und internationaler. Von Christoph Berger

In der 2021 veröffentlichten Studie „Maschinenbau 2030“ zeichnet das Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte vier Zukunftsszenarien für den deutschen Maschinenbau und zeigt damit, in welche Richtungen sich die von Hidden Champions gespickte Branche entwickeln kann. Da ist zum einen das Szenario „Fragile Paradise“. In dem bleiben die von den Maschinenbauern entwickelten Produkte die beste Lösung für die Kunden. Und die Unternehmen behalten die Führungsrolle innerhalb ihrer Ökosysteme. Dabei sind Kundennähe und Kundenkenntnis die entscheidenden Erfolgsfaktoren. Doch das System ist fragil, denn Standardmaschinen sorgen für starken Wettbewerb am Markt, Tech- Unternehmen versuchen, die Dominanz der Industrieunternehmen zu brechen und die asiatischen Wettbewerber bleiben eine ernstzunehmende Konkurrenz.

Im zweiten Szenario, „Success at the Price of Transformation“, setzen sich standardisierte Maschinen gegenüber Spezialmaschinen durch, wobei große Teile der dabei eingesetzten Software von den Maschinenbauern selbst entwickelt werden und nicht von den Tech-Unternehmen kommen. Die Branchenunternehmen werden so zu den unangefochtenen Marktführern der automatisierten Produktion und dominieren die Wertschöpfung in ihren Ökosystemen. Wobei der Wettbewerbsfaktor „Kundenkenntnis“ und „Kundenzugang“ zunehmend an Bedeutung gewinnt. Neue, standardisierte und modulare Maschinen ermöglichen den Kunden hierbei eine hoch effiziente und gleichzeitig flexible Produktion, die von breiten, nahtlosen Serviceangeboten unterstützt wird.

Zwar auch erfolgreich, doch nicht mehr von den Unternehmen der Branche geprägt, sieht die Zukunft für die Maschinenbauer im Szenario „Paradise Lost“ aus. In dem setzen sich die großen Tech-Konzerne mit ihrer Vision für das industrielle Internet der Dinge durch. Sie sind es, die führende B2B-Plattformen betreiben und die die Maschinenund Kundendaten exklusiv besitzen. Das führt dazu, dass sie es auch sind, die die Softwarestandards setzen und automatisierte Fertigungsprozesse optimieren. Die Maschinenbauunternehmen werden hier zu Technik-Zulieferern. Und im Szenario „Played by the Ecosystem“ steuert von den großen Software- Anbietern entwickelte Maschinen- Software mehr zur Wertschöpfung bei als die Maschine selbst. Hierbei kontrollieren die B2B-Plattform-Anbieter den Kundenzugang, sie sind es, die die Maschinendaten besitzen und kundenspezifische Software schreiben. Mit der Folge, dass die Maschinenbauer deutlich geringere Wertschöpfung erbringen.

Ändern der Perspektive

Der Maschinenbau muss weiterhin radikal auf Innovation setzen und die konkreten Kundenbedürfnisse dabei in den Mittelpunkt stellen.

Anhand aller vier beschriebenen Szenarien wird deutlich, welche ausschlaggebende Rolle die Digitalisierung, Daten, der Aufbau von Ökosystemen und ein direkter Kundenzugang spielen. Oliver Bendig, Partner bei Deloitte und für den Bereich Strategy & Business Design, sagte dazu in einem Interview: „Aus meiner Sicht ist Szenario D „Played by the Ecosystem“ die größte Herausforderung. In dieser Welt ist der deutschsprachige Maschinenbau weiterhin mit spezialisierten und hochinnovativen Maschinen erfolgreich – aber: Spezifikationen dieser Maschinen werden zunehmend durch Dritte festgelegt. Dies stellt eine deutliche Parallele zur Automobilindustrie dar: Bereits heute machen sich viele OEMs (Original Equipment Manufacturer) Sorgen, dass Google in einigen Jahren definiert, welches Auto gebaut werden soll – egal ob ein Stern, vier Ringe oder ein anderes Emblem auf der Kühlerhaube ist.“ Der Maschinenbau müsse daher weiterhin radikal auf Innovation setzen und die konkreten Kundenbedürfnisse dabei in den Mittelpunkt stellen.

Dass Wettbewerbsfähigkeit für die Branche nicht allein durch die Entwicklung des Next-Best-Produkts gehalten werden kann, sondern dass sich herstellende Unternehmen weiterentwickeln müssen, ist auch nach Ansicht von Markus Brandes essentiell. Der Senior Partner bei IBM Consulting im Bereich Digital Transformation Value Consulting Lead sagt: „Sich rein über Engineering und Manufactoring zu differenzieren, wird schwer.“ Er empfiehlt den Unternehmen daher, den Fokus von einer „Product-dominant-logic“ hin zu einer „Service-dominant-logic“ zu verändern, was als „Servitization“ bezeichnet wird. „Als herstellendes Unternehmen sollte man sich nicht nur auf das eigene Produkt konzentrieren, sondern sich überlegen, was die Kunden mit den Produkten eigentlich erreichen wollen“, erklärt er.

Legt man diese Methode streng aus, gibt es bei ihrer Anwendung überhaupt keine Produkte mehr, sondern alles ist ein Service, da Produkte an sich keinen Selbstwert haben – es sei denn, es sind Statussymbole. Doch auch bei dieser Neuausrichtung dürfte die Engineering- und Designexpertise nicht außer Acht gelassen werden, so Markus Brandes: „Das bedeutet, dass ich als herstellendes Unternehmen neben meinen Engineering- und Manufacturing-Fähigkeiten neues lernen muss. Drei Dinge stechen dabei heraus: User Experience Design, erweiterte Service-Fähigkeiten sowie die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells weg vom reinen Produktverkauf.“ Laut Markus Brandes könnten bei diesem Change die Tech-Konzerne als Vorbild genommen werden: „Da sie viel über uns wissen, können sie viel zielgerichtetere Angebote machen, die mich in meinen Aufgaben unterstützen.“

„Gerade die jüngere Zielgruppe will überhaupt nicht mehr permanent ein Auto zur Verfügung haben.“

Demnach könne auch „Servitization“ ohne die Digitalisierung nicht funktionieren – zum Beispiel Sensorik an den Maschinen zur Datenerhebung oder die konsequente Anwendung von datengetriebenen Entscheidungsprozessen. Und es brauche Industriedesigner in den Entwicklungsabteilungen, die die Frage stellen: „Was will der Kunde mit unserem Produkt eigentlich erreichen?“ Markus Brandes nennt aber auch Nicht-Tech-Unternehmen, die den Servitization-Gedanken zumindest in Teilen schon sehr gut umsetzen. Zum Beispiel Ikea, um dessen Produkte ein Ökosystem mit Services entstanden ist, die über den eigentlichen Produktverkauf hinausgehen und daher den Gesichtspunkt „erweiterte Servicefähigkeiten“ erfüllen: Es gibt Unternehmen, die die Möbel aufbauen oder eine Kreativszene, die aus den Produkten neue Nutzungsmöglichkeiten entwickelt. Ein anderes Beispiel ist Volkswagen, das Abo-Angebote für die ID.X Familie bietet. „Gerade die jüngere Zielgruppe will überhaupt nicht mehr permanent ein Auto zur Verfügung haben, die Abo- Modelle bieten ein „Rund-um-Sorglos“- Paket und mit Europcar hat sich VW die notwendigen Service-Fähigkeit dafür ins Haus geholt.“

Und, last but not least: Servitization bedient laut Markus Brandes auch den Nachhaltigkeitsgedanken, da sowohl die Hersteller als auch deren Kunden dem Druck ausgesetzt sind, weniger zu konsumieren bzw. zu verbrauchen. „So werden mit dem „Servitization“-Ansatz zwar weniger Produkte verkauft, dafür aber mehr komplementäre Services“, erklärt der Unternehmensberater. Außerdem bestehe der Anreiz, Maschinen komplett zu recyceln. Also: Win-win für alle. Und was bedeutet das für die Consulting- Unternehmen? Oliver Bendig von Deloitte sagt: „Mit dem Eintritt neuer Anbieter und Wettbewerber in den Maschinenbaumarkt werden Industriegrenzen mehr noch als bisher verschwimmen. Damit werden unsere Projekte übergreifender, komplexer und internationaler. Unser interdisziplinärer Ansatz kommt also voll zum Tragen.“

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