Aufgestiegen zum Bauleiter

Vor allem in letzter Zeit geht es für Stefan Kretzler darum, den Überblick zu wahren: Er ist als Bauleiter parallel für drei Bauprojekte seines Arbeitgebers Goldbeck verantwortlich. Von Christoph Berger

Stefan Kretzlerstudierte Bauingenieurwesen an der Universität Karlsruhe …eingestiegen 2009 als Werkstudent bei Goldbeck …aufgestiegen 2010 zum Bauleiter bei Goldbeck
Bei dem größten Projekt handelt es sich um den Neubau eines Logistikzentrums mit angegliedertem Bürotrakt im Raum Stuttgart. Im Juni dieses Jahres erfolgte der erste Spatenstich. Kretzler stand damals zusammen mit den Auftraggebern der Halle sowie einigen Goldbeck-Managern mit dem obligatorischen Spaten vor den Kameras der Fotografen. Seitdem hat sich auf dem einst ebenen Baugrund viel getan. Bereits drei Monate später, im September, feierte man traditionsgemäß mit der Fertigstellung des Daches Richtfest. „Wir garantieren unseren Kunden, in sechs Monaten schlüsselfertig zu bauen. Diese Termine können wir prinzipiell immer halten – es sei denn, Auftraggeber wünschen mal besondere Extraleistungen. Oder das Wetter spielt überhaupt nicht mit“, erklärt der 29-Jährige. Kretzler hat Bauingenieurwesen an der Universität Karlsruhe mit Bachelorabschluss studiert. Während der Zeit entstand auch der erste Kontakt zu seinem künftigen Arbeitgeber. Erst absolvierte er dort sein Praxissemester, danach arbeitete er als Werkstudent in dem Unternehmen weiter. „Mir gefiel von Beginn an die Unternehmensstruktur und -kultur. Goldbeck ist ein inhabergeführtes Familienunternehmen. Das merke ich immer wieder in meiner täglichen Arbeit. Ich bin nicht nur eine Nummer, sondern das Konzept der ‚Großfamilie‘ ist tatsächlich zu spüren“, zählt er die für ihn wichtigen Vorzüge auf. Trotzdem arbeitete der junge Bauingenieur direkt nach seinem Studienabschluss erst einmal drei Monate in einem kleinen Ingenieurbüro für Straßenbau. Doch während dieser Zeit war ihm klar: „Ich will zurück.“ Sein erstes Projekt als Bauleiter war eine Produktionshalle. Die größte Herausforderung bestand damals darin, Solarpanel in das Dach zu integrieren. „Ich hatte einen erfahren Projektleiter an der Seite. Und mir halfen die Erfahrungen aus dem Praxissemester“, erinnert er sich. Außerdem hatte Kretzler vor seinem Studienstart bereits eine Schreinerausbildung abgeschlossen. Auch dieses Praxiswissen half ihm, das Projekt erfolgreich abzuschließen. „Gerade ältere Handwerker lassen sich nur ungern etwas von einem Jungspund sagen. Durch meine Ausbildung fand ich aber schnell den richtigen Umgangston“, sagt er. Schnell ist Kretzler mit den Handwerkern beim „Du“. Überhaupt bevorzugt er die Kommunikation auf gleicher Höhe. Das schließt jedoch nicht aus, dass er Entscheidungen auch mal energisch durchsetzt. Immerhin ist er letztendlich für die von ihm begleiteten Baustellen verantwortlich – gegenüber dem Bauherrn, den Nachunternehmern und der eigenen Firma. Natürlich auch gegenüber sich selbst, denn er möchte die Werte seines Unternehmens auch nach außen leben. Er steuert die einzelnen Gewerke, setzt die Termine, kontrolliert die geleisteten Arbeiten und nimmt sie ab. Ein internes IT-System hilft ihm bei der Leistungsfeststellung – so behält er den Überblick über die Kosten. Die Baustellenorganisation Bei seinem ersten Projekt kamen regelmäßig die Bauherren vorbei, um sich die Entwicklungen direkt vor Ort anzusehen. „Glücklicherweise bekam ich immer gutes Feedback“, erinnert er sich. Auf die Qualität vieler Materialien kann er sich grundsätzlich verlassen, denn die produziert Goldbeck in der Regel selbst. Das Unternehmen betreibt eine eigene Stahl- und Betonproduktion. „So können wir zum einen die Zeiten und die Qualität garantieren, zum anderen sind die Kommunikationswege kürzer, und individuelle Fertigungsteile können unkomplizierter hergestellt werden“, sagt er. Trotzdem gehört auch hier eine abschließende Kontrolle zu seinen Aufgaben – Fehler kommen schließlich immer mal vor. Um sich auf ein Projekt vorzubereiten und die Baustelle zu planen, hat Kretzler in der Regel zwei bis drei Wochen vor dem eigentlichen Baustart Zeit. Da bekommt er die Bauunterlagen vom Projektleiter und den Planern, die das Projekt vor Baubeginn mit den Kunden abstimmen und sämtliche Vereinbarungen vertraglich festhalten. Ist der erste Spatenstich getan, verfolgt er ein festes Ritual. Um sieben Uhr morgens ist er auf der Baustelle und läuft eine Stunde lang durch das Gebäude: „Ich spreche mit allen Beteiligten und frage, ob es irgendwelche Probleme gibt.“ Sind europäische Mitarbeiter beteiligt, die kein Englisch sprechen, können solche Besprechungen schon mal mit Händen und Füßen geführt werden. An der Logistikhalle beispielsweise, an der er momentan die Aufsicht hat, arbeiten zirka 50 Leute. Nach seinem Rundgang geht er an seinen Schreibtisch in einem Baucontainer. Dort erledigt er den Schriftverkehr und organisiert die nächsten Schritte beziehungsweise protokolliert erledigte Arbeiten. Auf den Dienstag setzt er in der Regel einen Jour-Fixe-Termin, an dem sämtliche Vereinbarungen mit den Nachunternehmern noch einmal durchgesprochen werden. „Jeder Bauleiter hat da seine eigene Vorgehensweise.“ Kretzler selbst darf Aufträge bis zu einer Höhe von 50.000 Euro vergeben. Alles, was über diesem Betrag angesiedelt ist, wird vom Projektleiter entschieden. Der ist Ketzlers direkter Vorgesetzter und auch derjenige, der mit den Bauherren verhandelt. Ketzler kann sich vorstellen, in einigen Jahren selbst Projektleiter zu werden. Doch jetzt möchte er erst noch weiter als Bauleiter arbeiten – mindestens fünf Jahre. Seine Projekte wachsen und werden mehr. Um seine momentan drei Baustellen gut und ausreichend betreuen zu können, hat er einen jungen Bauleiter ins Team bekommen. Nun gibt er seine Erfahrungen und sein Wissen weiter. Gleichzeitig lässt er ihm aber auch ausreichend Raum, damit sich der Neue selbst in die Arbeit einfinden kann. „Ich mag diesen Job“, sagt Ketzler. „Ich lerne ständig neue Menschen kennen und kann mich kreativ in die Arbeit einbringen. Das gefällt mir.“

Eventmanagement für Baggerballett

Matthias Wolf (26 Jahre, Bauleiter bei Wolff & Müller) strebte schon zu Beginn seines Studiums eine gewisse Flexibilität an: Durch die Verbindung von kaufmännischem mit technischem Wissen lernte er gleich zwei Ebenen kennen, was ihm in seiner heutigen Funktion als Bauleiter sehr hilfreich ist. Von Christoph Berger

Seit September dieses Jahres befindet sich Matthias Wolfs Arbeitsplatz direkt in der Kölner Innenstadt. Dort ist das Bauunternehmen Wolff & Müller mit der Bauausführung für den Neubau eines Hotels beauftragt worden – unweit des Hauptbahnhofs und fußläufig zum Rhein. Wolf ist innerhalb des Bauprojekts einer von zwei Bauleitern. Für ausgiebiges Flanieren an der Rheinpromenade dürfte dem 26-Jährigen jedoch wenig Zeit bleiben. Zusammen mit seinem Kollegen hat er auf der Baustelle vielfältige organisatorische und aufsichtsrelevante Aufgaben zu leisten. „Nach dem Abriss des Bestandgebäudes laufen nun die Verbau- und die Aushubarbeiten“, erklärt er den Stand der Arbeiten. Dann wird mit dem eigentlichen Bau begonnen. Wenn das Hotel Ende 2013 fertiggestellt ist, werden dort 205 Zimmer und zwei Suiten für Gäste zur Verfügung stehen. Das Kölner Hotel ist nicht das erste Projekt, an dem Wolf in der verantwortungsvollen Funktion eines Bauleiters mitarbeitet. Und das, obwohl er erst im Mai 2011 sein Wirtschaftsingenieurstudium mit Fachrichtung Bau an der RWTH Aachen abgeschlossen hat. „Den Kontakt zu Wolff & Müller hatte ich schon früh hergestellt. Bereits während des Studiums habe ich in dem Unternehmen ein 16-wöchiges technisches Praktikum absolviert, danach als Werkstudent weitergearbeitet. Und schließlich habe ich dort dann auch noch meine Diplomarbeit geschrieben“, beschreibt er seinen Start. Schon damals hat er auf Baustellen mitgearbeitet und die Abläufe mitbekommen. Dies kam ihm in dem anschließenden technischen Traineeprogramm und bei den ersten Projekten zugute. Er erklärt: „Nach dem Abschluss des Traineeprogramms ist der nächste logische Schritt die Weiterarbeit als Bauleiter.“ Das Traineeprogramm dauert ein Jahr. In der Zeit beschäftigen sich die Einsteiger mit unterschiedlichsten Querschnittsdisziplinen, die für ihre spätere Arbeit wichtig sind. Es geht zum Beispiel um Kalkulation und den technischen Innendienst. In ihrem ersten Projekt bekommen sie außerdem einen erfahrenen Bauleiter unterstützend zur Seite gestellt. Aber Wolf hat auch gelernt, dass außer dem Fachwissen für die erfolgreiche Projektdurchführung noch etwas anderes ganz entscheidend ist: „Man muss gut mit allen am Bau Beteiligten klarkommen.“
Matthias Wolf, Foto: Wolff & Müller
Matthias Wolf, Foto: Wolff & Müller
Eine gute Arbeitsatmosphäre herzustellen, ist nicht immer ganz einfach, schließlich sind bei Bauprojekten die Interessen vieler zu beachten: die des Bauherren, die der Nachunternehmer und letztlich auch die des eigenen Unternehmens. Hier zu vermitteln und einen Einklang zu erreichen, erfordert ein gehöriges Maß an Fingerspitzengefühl und Diplomatie – sowie auch an Durchsetzungsvermögen. „Der Ton ist manchmal hart“, weiß Wolf. „Aber auch immer fair.“ Während der Projektphasen verlegt Wolf sein gesamtes Büro auf die Baustelle – manchmal in einen Container mit Fenstern, manchmal in ein an die Baustelle angrenzendes Gebäude. So kann er schnell reagieren und auftretende Probleme direkt regeln. Denn trotz akribischer Vorbereitung: Jeder einzelne Tag ist schwer im Voraus planbar. So muss während eines Projekts immer wieder umdisponiert werden, um die Baustellenprozesse im Fluss zu halten und unnötige Kosten zu vermeiden. Wolf koordiniert als Bauleiter die Termine. Er weist außerdem Nachunternehmer ein, ist verantwortlich für die rechtzeitige Lieferung von Materialien, prüft die Qualität und korrekte Ausführung der geleisteten Arbeiten sowie die eingehenden Rechnungen. Und er organisiert die Gerätedisposition. „Im Prinzip ist jede einzelne Baustelle mit einem kleinen Unternehmen vergleichbar.“ Dafür ist organisatorisches Talent und technisches Wissen notwendig. Auch deshalb, um die vertraglich festgeschriebenen Leistungen korrekt zu erfüllen. Und manchmal schaut der Auftraggeber selbst auf der Baustelle vorbei. Dann läuft Wolf mit ihm über Gerüste und Balken und zeigt ihm die neuesten Entwicklungen. Außerdem freut er sich dabei über die Vielseitigkeit seines Jobs und darüber, dass er trotz seines Alters von allen Beteiligten ernst genommen wird. „Im Grunde genommen sind wir Eventmanager für Baggerballett.“

Mein Bewerbungsgespräch bei: Arcadis

Bevor ich 2010 bei dem Projekt- und Ingenieurdienstleister Arcadis begann, hatte ich schon fünf Jahre in der Schweiz gearbeitet. Dort habe ich mich mit Baustoffen beschäftigt. Es war mir jedoch wichtig, in einem Ingenieurbüro Berufserfahrung in meinem Studienhauptfach Geotechnik zu sammeln.

Zur Person

Name: Sonja Paulsen Hochschulabschluss als: Bauingenieurin (Diplom) Warum Arcadis? international aufgestelltes Unternehmen, spannende und innovative Projekte, gute Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Bewerbung als: Projektingenieurin Geotechnik Bewerbungsweg: schriftliche Bewerbung per E-Mail Wann war das Vorstellungsgespräch? August 2009 Wann war Arbeitsbeginn? März 2010
Dieses sowie Massivbau und Statik waren meine Vertiefungen im Diplomstudiengang Bauingenieurwesen an der TU Darmstadt gewesen. Schon damals hatte ich einiges über Arcadis mitbekommen, denn das Unternehmen hatte zahlreiche spannende Projekte, die uns immer mal wieder in den Vorlesungen vorgestellt wurden. Daher schaute ich auf deren Webseite nach offenen Stellen und fand eine Position, die ziemlich genau meinen Vorstellungen entsprach. Es wurde eine Projektingenieurin Geotechnik gesucht, und ich bewarb mich. Kurze Zeit später wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch mit Vertretern der Personalabteilung eingeladen. Es folgten noch zwei weitere Termine: eines mit meinem heutigen Vorgesetzten, ein drittes mit dem Bereichsleiter. In den Gesprächen musste ich mich mit all meinen Vorkenntnissen, Erfahrungen und Zielen vorstellen. Mir gefiel, dass sich das Unternehmen selbst auch sehr genau präsentierte. Mich reizten dabei die abwechslungsreichen Projekte, die Möglichkeit, sowohl im Büro als auch auf der Baustelle zu arbeiten, sowie der direkte Kontakt mit Kunden, den ich haben würde. Arcadis ist zudem weltweit aufgestellt, sodass ich auf Wunsch auch mal Projekte im Ausland begleiten oder mich an dem angebotenen internationalen Austauschprogamm Quest beteiligen kann. Wichtig war mir außerdem, dass das Unternehmen flexible Arbeitszeiten anbietet und für die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern einsteht. Gerne wollte ich in dem Unternehmen beginnen. Und Arcadis wollte mich auch. Einige Tage nach dem letzten Vorstellungsgespräch erhielt ich einen Anruf, in dem mir die ausgeschriebene Stelle angeboten wurde. Natürlich sagte ich gerne zu. Da ich damals noch in der Schweiz lebte, stimmte man sich mit mir ab und richtete sich auf meine persönliche Situation ein. Ich hatte ausreichend Zeit, Umzug und Abschied zu organisieren. Seitdem beschäftige ich mich mit Baugrunderkundungen und Gründungsberatung. Ich erstelle Baugrundmodelle, führe Standsicherheitsberechnungen durch und berate Kunden baubegleitend hinsichtlich geotechnischer Fragestellungen. Anfangs waren es noch kleinere Projekte, die ich bearbeiten sollte und für die mir Kollegen als Ansprechpartner zur Seite gestellt wurden. Dann wurden die Projekte und die Verantwortung größer – natürlich wuchs auch mein Erfahrungsschatz. Und bei jedem Projekt gibt es neue Herausforderungen, die zu meistern sind. Das ist der ganz besondere Reiz der Projektarbeit, das macht meine Tätigkeit abwechslungsreich.

Technik plus Abenteuer

Wer als Bauingenieur bei dem in Nürnberg ansässigen Unternehmen Gauff Engineering einsteigt, für den ist Projektarbeit im Ausland früher oder später obligatorisch. Das Unternehmen ist weltweit aktiv – eine Kernregion ist Afrika. Von Christoph Berger

Sebastian Jung kann seit Juni 2012 nicht gerade behaupten, dass sein Arbeitsleben ruhiger verläuft. Auch wenn der 32-jährige Bauingenieur seitdem von Nürnberg aus arbeitet: Er wurde bei Gauff Engineering zum Leiter des Fachbereichs Energie befördert und ist außerdem Assistent des technischen Geschäftsführers geworden. „Jetzt werde ich wohl nur noch zehnmal pro Jahr in Afrika sein“, erzählt er. Das war bis zum Sommer noch anders: 2010 übernahm er die Oberbauleitung für die Wasserkraftanlage „Grand Poubara“ in Gabun. Vor Ort verantwortete er die Planprüfung und Bauüberwachung des Großprojekts am Ogooué-Fluss im Südosten des zentralafrikanischen Staates. Das Kraftwerk soll bei Fertigstellung im Jahr 2014 mit vier Francis-Turbinen 160 Megawatt Energie aus Wasser produzieren. „Generalunternehmer ist ein chinesisches Unternehmen. Ich pendelte also zwischen China und Gabun, um die Direktion des Gabuner Energieministeriums – die Besprechungen mit deren Vertretern fanden auch in China statt – über die Bauentwicklungen auf dem Laufenden zu halten und die fortlaufenden Arbeiten auf der Baustelle zu überwachen“, sagt Jung. Die Projektbetreuung in weit von Deutschland entfernten Ländern ist für Bauingenieure bei Gauff Normalität. „Wir sind ausschließlich im Ausland unterwegs. Nur unsere Zentrale ist in Deutschland. Von dort werden die Projekte vorbereitet und begleitet“, sagt Rainer Porzelt, Leiter der Personalabteilung des Unternehmens. „Wir sind viel in Asien, Osteuropa, Südamerika und Afrika aktiv, mit Schwerpunkten in Gabun und derzeit in Angola.“ Aufgrund dieser Ausrichtung sind Auslandserfahrungen bei Bewerbern gerne gesehen – zumindest sollte kulturelles Interesse vorhanden sein. Und natürlich ausreichend Sprachkenntnisse. „Englisch ist Grundvoraussetzung. Zudem brauchen wir Mitarbeiter, die Spanisch, Portugiesisch oder Französisch sprechen“, sagt Porzelt. Die Projekte drehen sich hauptsächlich um die Basisinfrastruktur in den aufgezählten Ländern – also um den Brücken- und Straßenbau –, die Themen Energie und Transportwesen. „Einsteiger starten in der Nürnberger Zentrale und bereiten von hier aus Bauprojekte vor. Und irgendwann werden sie dann ins Ausland entsendet“, sagt der Personalchef. Sebastian Jung brachte bei seinem Einstieg viele der gewünschten Voraussetzungen mit. Direkt nach seinem Studienabschluss 2008 an der Hochschule Wiesbaden arbeitete er für ein deutsches Bauunternehmen in Algerien. Danach betreute er für einen französischen Baukonzern ein Projekt in Deutschland. Damals wuchs auch wieder der Wunsch in ihm, erneut in Afrika zu arbeiten. So kam er zu Gauff und übernahm nach zwei Kurzmissionen direkt die Großbaustelle in Gabun. Das bedeutete für ihn eine große Verantwortung: Aber nicht alle seine Freunde verstanden diesen Schritt, so weit und lange weg von der Heimat zu leben. Doch Jung wollte auch Enthusiasmus und Idealismus leben, sein technisches Wissen mit Abenteuer verbinden. „Natürlich ist ein stabiles familiäres Umfeld von Vorteil“, sagt er. „Gauff unterstützt dies auch. Heimreisen sind mehrmals im Jahr möglich.“ Die Familie erde einen, es sei hilfreich, wenn man mit Vertrauten über seine Erlebnisse reden kann, erzählt er. Denn in der Fremde zu arbeiten, ist nicht immer leicht. „Es ist in gewisser Weise auch eine Zeit der Selbsterkenntnis. In neuen Situationen tauchen neue Verhaltensweisen auf, die man so von sich selbst vielleicht überhaupt nicht kannte“, erzählt er. Die Veränderungen betreffen auch den Arbeitsalltag. Jung hatte sich immer wieder auf unterschiedliche Kulturen und Wahrnehmungen einzustellen. Er hat festgestellt, dass es vor allem in den Bereichen Qualität, Zeit, Sauberkeit und Sicherheit unterschiedliche Auffassungen zu Deutschland gibt. „Da ist Improvisations- und Organisationsgeschick gefragt“, weiß er. Klar wurde ihm auch: Jung und seine Kollegen sind Weiße auf einem schwarzen Kontinent – da bleibt man immer der Fremde. Bereut hat er seine Entscheidung, für die Arbeit viel im Ausland unterwegs zu sein, jedoch niemals. In Afrika hatte er vielmehr die Möglichkeit, sich einen Kindheitstraum zu erfüllen: „Als ich klein war, habe ich Bernhard Grzimeks Dokumentarfilm ,Serengeti darf nicht sterben‘ gesehen. Grzimek flog darin mit einem kleinen Flugzeug über den Nationalpark. Das wollte ich auch immer machen. Während des Gabun-Projekts hatte ich dann die Möglichkeit, selbst einen Flugschein zu machen, sodass ich über das Land fliegen konnte.“ Dass gerade die Arbeit im außereuropäischen Ausland auch mit Risiken verbunden sein kann, bestätigt Personalleiter Porzelt: „Das Unfallrisiko auf afrikanischen Straßen steht dabei an erster Stelle. Hinzu kommen umfangreiche medizinische Vorsorgeuntersuchungen – gerade bei älteren Mitarbeitern kommt es aufgrund des Klimas auch manchmal zu Herz-Kreislauf- Problemen. Und wir achten natürlich auf das politische Umfeld in den jeweiligen Ländern. Überall haben wir zahlreiche Mitarbeiter mit ausreichend Erfahrung sitzen, die auch in brenzligen Situationen wissen, wie man sich zu verhalten hat.“
Im September 2011 startete das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung ein Forschungsvorhaben, mit dem eine einheitliche Statistik zur Struktur, Entwicklung und Bedeutung der Auslandstätigkeit deutscher Bauunternehmen geschaffen werden soll. Hintergrund ist die Tatsache, dass neben dem klassischen Auslandsbau vor allem das Geschäft über Tochter- und Beteiligungsgesellschaften deutscher Unternehmen im Ausland große Relevanz hat. Diese bleiben in Statistiken bisher unberücksichtigt, erfasst wird nur der traditionelle Auslandsbau über die Jahresbauleistung im Ausland.
www.bbsr.bund.de

Gezielte Vorbereitung

Christian Qualmann leitete für den Baukonzern Eurovia schon zahlreiche Baustellen im Ausland. Sein Spezialgebiet ist die Herstellung von Schutzeinrichtungen an Straßen in ganz Deutschland und Europa. Auf diese Aufgabe wurde er gezielt vorbereitet. Von Christoph Berger

Eine Woche bevor Christian Qualmann im letzten Jahr einen 18 Kilometer langen Streckenabschnitt der Straße R1 bei Nitra in der Slowakei mit Schutzeinrichtungen als Zweigstellenleiter verantwortete, reiste er schon einmal selbst an die Baustelle, um die Vorbereitungen für den Baustart zu überprüfen. „Auf Bilder und Zusagen ist nicht immer Verlass“, weiß er. Gibt es Probleme, kann er sie vielleicht in den letzten Tagen vor dem eigentlichen Baubeginn noch lösen. Das ist allemal besser, als wenn sein Team und die beauftragten Subunternehmer zum festgesetzten Termin kommen und nicht mit den Arbeiten starten können. „Die Motivation der Mitarbeiter gehört sowieso zu einer der herausforderndsten Aufgaben eines Bauleiters im Auslandseinsatz“, erklärt er. Dazu kann es vor allem bei ungeplanten Pausen kommen, wenn zum Beispiel gelieferte Baumaterialen nicht die geforderte Qualität aufweisen. Qualmann musste schon mehrmals neuen Beton für die Schutzeinrichtungen anliefern lassen, da die erste Fuhre nicht dem angeforderten Standard entsprach. „In solchen Situationen kann die Stimmung in der Kolonne sinken. Da muss man schnell mit Gesprächen gegensteuern“, erklärt er. Qualmann hat inzwischen Erfahrung mit solchen Projekten. Nachdem er 2001 sein bauingenieurwissenschaftliches Studium in Cottbus abgeschlossen hatte, durchlief er viele Stationen bei Eurovia. „Erst war ich technischer Trainee, dann Bauleiter. Später wurde ich Oberbauleiter und 2009 Zweigstellenleiter bei Eurovia Beton in Michendorf bei Berlin“, erzählt er. „Wir stellen Schutzeinrichtungen an Straßen her.“ Seinen erste Baustelle im Ausland leitete er 2006. „Es ging um den Ausbau von zehn Kilometern mit Schutzeinrichtungen an einer Autobahn in Tschechien, der D1“, erinnert er sich. Damit der damals 29-Jährige das Projekt erfolgreich durchführen konnte, wurde er von Eurovia intensiv auf die Aufgabe vorbereitet. „Erst durchlief ich ein speziell auf Hochschulabsolventen zugeschnittenes Trainneeprogramm. Teilnehmer werden darin unter anderem in ihren sozialen Kompetenzen sowie in technischen und in kaufmännischen Belangen geschult“, sagt er. Kommt es zu ersten Projekten, werden den jungen Bauleitern außerdem schon in der Baustellenvorbereitung erfahrene Kollegen zur Seite gestellt. Dabei werden sie auch zu wichtigen Kundenterminen mitgenommen. Qualmann sagt: „Das ist ein sehr wichtiges Ereignis für einen jungen Bauingenieur, da er dabei sehr viel lernen kann.“ Geht es um Schutzeinrichtungen, ist Qualmann inzwischen für fast jede Baustelle im an Deutschland angrenzenden Ausland verantwortlich.

Kontrollierte Mobilität

Für Bauingenieure, die hauptsächlich Auslandsprojekte betreuen, sind Flexibilität und Mobilität unerlässliche Voraussetzungen. Dies heißt jedoch nicht, dass man auf sein soziales Leben verzichten muss, wie das Beispiel von Jan Loosen zeigt. Von Christoph Berger

Selbst wenn das Gebäude im Süden von Katars Hauptstadt Doha schnurgerade verlaufen würde: Mit bloßem Auge wäre sein Ende wahrscheinlich nicht auszumachen. Über acht Kilometer lang ist der dort in den letzten fünf Jahren entstandene Gebäudekomplex, in dem sich Geschäfts-, Büro- und Wohneinheiten befinden. Seine Bruttogeschossfläche beträgt knapp 900.000 Quadratmeter – das entspricht etwa der Größe von 110 Fußballfeldern. Das Projekt trägt den Namen „Barwa Commercial Avenue“. Im Jahr 2009 war es mit einem Auftragsvolumen von 1,3 Milliarden Euro der bis dahin größte Einzelauftrag in der Unternehmensgeschichte von Hochtief. Der 33-jährige Bauingenieur Jan Loosen war von Beginn an in das Projekt involviert. 2006 hatte er sein Studium an der FH Biberach abgeschlossen und direkt bei dem Baukonzern seine erste Stelle begonnen. „Bereits während des Studiums hatte ich mir die für mich relevanten Einstiegsmöglichkeiten über Praktika angesehen: Ingenieurbüro und Bauunternehmen“, erzählt er. Die Wahl fiel auf Letzteres, da er dort einen umfassenderen Blick auf die Projekte bekomme, wie er sagt. Und: „Ich fühle mich auf der Baustelle wohl.“ Ihm gefällt außerdem, dass er sämtliche Phasen eines Projekts begleitet: die Angebotsvorbereitung, die Start-up-Phase, in der die Baustelle eingerichtet wird, sowie die Ausführungsphase. Nachdem er in den Bewerbungsgesprächen und einem ganztägigen Assessment Center überzeugt hatte, startete er direkt im Bereich Major International Projekts. Die Niederlassung bearbeitet weltweit Großprojekte. „Der Reiz liegt für mich dabei noch heute in den Projektgrößen“, sagt er. „Und dann ist da noch eine andere, allerdings schwer zu beschreibende Komponente, die fasziniert.“ Loosen meint ein gewisses Gefühl der Spannung, dass bei Auslandsprojekten immer mitschwingt – und das Leben in anderen Kulturen für bestimmte Zeit. Bereits im August 2007 flog er mit zehn Kollegen in den Golfstaat, um das dortige Umfeld zu erfassen und dem Auftraggeber ein Angebot zu unterbreiten. Später, in der Pre-Construction- Phase, wuchs das Team auf etwa 50 Kollegen an. „Zum Baustart folgten weitere 100 Kollegen aus Deutschland und 300 weitere lokale Angestellte. Dazu kamen etwa 15.000 Arbeiter auf der Baustelle“, schätzt er. Da gilt es, den Überblick zu wahren. Und die Arbeiten zu überwachen. Bauen im Ausland bedeutet besondere Rahmenbedingungen zu meistern: dazu zählen in Katar die klimatischen Bedingungen und die logistischen Voraussetzungen. „Bei dem Barwa- Commercial-Avenue-Komplex haben wir Produktionsunterschiede je nach Arbeitszeitraum in den Terminplan einkalkuliert“, sagt er. Nach drei Monaten folgte Loosens Familie nach Katar. Das war eine seiner Bedingungen, um bis Mitte 2012 dort zu bleiben. Der inzwischen zweifache Familienvater sagt: „Hochtief bietet einen Familienvertrag an. Der war mir enorm wichtig.“ Überhaupt versucht das Unternehmen, für die Mitarbeiter eine ausgewogene Balance zwischen Beruf und Privatleben zu organisieren, zum Beispiel unterstützte Hochtief maßgebend die Gründung einer deutschen Schule mit Kindergarten in Katar. Diesen Sommer schloss Loosen seine Arbeiten in Katar ab und kam mit seiner Familie zurück nach Deutschland. Doch an Stillstand ist nicht zu denken. Läuft alles nach Plan und gewinnt Hochtief den nächsten großen Auftrag, geht es für Jan Loosen, seine Familie und Kollegen wieder ins Ausland, voraussichtlich nach England. „Für Projekte ab einer Länge von zwei Jahren würden wir immer wieder ins Ausland gehen“, sagt er. Momentan steckt er mit seinem Team in der Angebotsphase für ein gewaltiges Brückenprojekt im Nordwesten der Insel – eines der Top-100-Infrastrukturprojekte weltweit. Es geht dabei nicht nur um den Bau einer sechsspurigen Brücke, sondern auch um deren anschließenden Betrieb. Und Loosen hat bereits wieder begonnen zu pendeln.

Interview mit Jörg Rösler und Lothar Schulz

Ein Interview, zwei Gesprächspartner: Jörg Rösler und Lothar Schulz sitzen im Vorstand der deutschen Strabag und berichten über ihre Branche und die Karrierewege eines Bauingenieurs. Ihr Rat an Nachwuchskräfte: das Grundlagenwissen nicht vergessen – und sich die Freude an einem Beruf bewahren, der sehr viel Glücksgefühle bietet. Die Fragen stellte André Boße.

Lothar Schulz

Lothar Schulz wurde 1964 in Staaken/ Berlin geboren. Nach Abitur und technischer Berufsausbildung studierte er an der Technischen Universität Magdeburg mit Abschluss Diplom-Ingenieur. Seine berufliche Laufbahn begann Schulz bei dem Berliner Bauunternehmen Reh & Co. Straßenbau. Im Jahr 1997 wechselte er in die Strabag-Gruppe, wo er zuletzt als technischer Direktionsleiter des Unternehmens für den Verkehrswegebau in Berlin und Brandenburg verantwortlich war. Als Mitglied des Vorstands ist Schulz zuständig für die technische Leitung des Unternehmensbereichs Nord, der die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Nordrhein- Westfalen, Schleswig-Holstein, Hamburg sowie einige angrenzende europäische Nachbarländer umfasst. Der Vater zweier Töchter ist Vizepräsident und Mitglied des Vorstands des Bauindustrieverbands NRW.
Herr Rösler, Herr Schulz, in der Bauwirtschaft ist derzeit viel vom Wandel und von Umbrüchen die Rede. Auf was für eine Branche trifft ein Bauingenieur, der jetzt einsteigt?
Schulz: Es findet derzeit eine erneute Konsolidierung statt. Viele Unternehmen, vor allem Großkonzerne, sind auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern, wobei sie vor der Entscheidung stehen, sich weiter auf den baulichen Sektor zu fokussieren oder stärker Felder wie Industriedienstleistungen, Projektmanagement oder Facility Management zu erobern. Wie hat sich Ihr Konzern entschieden? Schulz: Für beides. Die Strabag AG wird auch weiterhin vorrangig den reinen Bauleistungssektor bedienen. Aber innerhalb des Strabag SE Konzerns, unserer Muttergesellschaft in Wien, entwickeln wir auch die Geschäfte auf den eben genannten anderen Säulen weiter und sind somit in der Lage, die gesamte Wertschöpfungskette abzudecken. Wie hat der Energiewandel die Branche verändert? Rösler: Dieser Wandel beginnt ja jetzt erst, und er wird uns in den nächsten 10 bis 15 Jahren massiv beschäftigen, da hinter dem politischen Willen eine Vielzahl von Bauprojekten hängt. Da geht es zum Beispiel um die Fragen, wie wir den Strom aus Offshore-Projekten von Nord nach Süd transportieren oder welche Speicherkapazitäten für regenerative Energien gebaut werden. Das sind alles hochaktuelle Themen, wobei auch die Dauerbrenner nicht vernachlässigt werden dürfen. Bei der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zum Beispiel hat sich ein enormer Investitionsstau aufgebaut. Dazu fällt mir ein alter Werbespruch ein: Es gibt viel zu tun, packen wir’s an. Schulz: So einfach ist es aber leider nicht, weil zu jedem Projekt ein Budget gehört und die Bereitstellung von Geldern aus öffentlichen Haushalten sehr angespannt ist. Folgt daraus eine höhere Ausrichtung auf Privatkunden? Schulz: Durchaus. Daher ist das Baumarketing heute zum Schlüsselbegriff geworden. Die Frage ist also: Wie erreiche ich den Kunden? Welche Methoden helfen mir dabei, mich besser als der Wettbewerber zu positionieren? Rösler: Wobei es für uns darauf ankommt, bei der Ausrichtung sehr flexibel zu reagieren. Zieht die Konjunktur an, sind Privatkunden eher bereit, Bauvorhaben zu stemmen. Gibt es Anzeichen für geringes Wachstum, sinkt diese Bereitschaft häufig wieder.

Jörg Rösler

Jörg Rösler wurde 1964 in Gotha geboren. Nach Abitur und Armeedienst studierte er von 1984 bis 1987 an der Ingenieurschule für Bauwesen in Gotha mit Abschluss Diplom-Ingenieur. Sein Berufseinstieg als Ingenieur erfolgte 1987 in der Kommunalen Einrichtung für Straßenwesen der Stadt Gotha. Zur Strabag-Gruppe kam er 2001. Dort übte er bis zu seiner Berufung in den Vorstand der Kölner Strabag AG im Januar 2011 in verschiedenen Konzerngesellschaften Führungspositionen aus. Als Mitglied des Vorstands ist Rösler zuständig für die technische Leitung des Unternehmensbereichs Süd: Der Bereich umfasst die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Thüringen und Sachsen. Rösler ist Mitglied im Vorstand der Bundesfachabteilung Straßenbau des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e. V. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.
Muss sich ein Bauingenieur, der jetzt einsteigt, Sorgen machen, wenn er auf die Konjunkturaussichten der kommenden Monate blickt? Rösler: Er muss flexibel sein. Aber Sorgen muss er sich nicht machen: Es hat in den vergangenen Jahren deutlich wildere Aufs und Abs gegeben, wobei sich gezeigt hat, dass sich in jeder Phase neue Dinge ergeben haben, die unsere Entwicklung gefördert haben. Das zeigt sich übrigens auch an der Zahl unserer Mitarbeiter, die seit Jahren und unabhängig von der Konjunktur stabil bleibt oder wächst. Es gibt also keinen Grund zur Sorge. Vor vier, fünf Jahren haben sich viele junge Leute verrückt machen lassen. Da hieß es: „Der Bau geht nach unten.“ Heute zeigt sich, dass der Bedarf an Bauingenieuren so massiv ist, dass wir vor der Aufgabe stehen, die neue Generation zu umwerben, wenn sie noch an den Hochschulen studiert. Wobei ich feststelle, dass in den letzten 20 Jahren zu jeder Zeit eher zu wenige als zu viele Bauingenieure auf dem Markt waren. Wie bewerten Sie die Qualifikationen der Absolventen? Schulz: Wir beobachten tendenziell einen leichten Rückgang von Grundlagenwissen. Dieses Grundlagenwissen ist jedoch die Voraussetzung einer guten Karriere in der Bauwirtschaft. Zwar kann die moderne Software viele Ergebnisse liefern, aber interpretieren muss diese der Bauingenieur selbst. Und das geht nicht ohne anwendungsbereites Wissen in Mathematik, Physik, technischer Mechanik, Statik, Baustofflehre oder Konstruktion. Um es auf den Punkt zu bringen: Unsere Branche lebt von der Fachkompetenz. Wer glaubt, alleine mit Skills wie sozialer Kompetenz, Kommunikation und Teamfähigkeit Karriere machen zu können, wird früher oder später Schwierigkeiten bekommen. Rösler: Das A und O ist heute ein möglichst optimales Bauprozessmanagement. Große Bauprojekte, besonders im Bereich der Infrastrukturmaßnahmen, sind heute deutlich komplexer als früher, das Zeitfenster ist dagegen wesentlich kleiner. Nehmen Sie den Ausbau der A9: Rund 35 Millionen Euro Leistung in 100 Tagen bei vollem Verkehr. Früher gab es Vollsperrungen, wenigstens halbseitige Sperrungen. Heute wird der Kunde Autofahrer geschont, sodass wir den Bau unter wesentlich schwierigeren Umständen durchführen müssen. Für Bauingenieure bedeutet das: Gebaut wird teilweise Tag und Nacht, 24 Stunden, sieben Tage die Woche – und besonders häufig in der Ferienzeit. Welches an der Hochschule erlernte Wissen erweist sich im Berufsalltag als besonders wichtig? Schulz: Der gesamte Kalkulationsund Planungsprozess hat sich in den vergangenen zehn Jahren komplett digitalisiert. Auch im Bauablauf gibt es heute eine Vielzahl an Methoden des Controllings, um den Bauprozess im Griff zu behalten. Absolventen, die an den Hochschulen hierzu erste Erfahrungen sammeln konnten, besitzen natürlich einen Vorteil. Der Einstieg in die Welt des realen Baualltags gelingt dadurch deutlich besser. Welche Optionen bieten sich jungen Bauingenieuren, die sich für eine Fachkarriere in der Forschung und Entwicklung interessieren? Rösler: Wir entwickeln neben Bautechnologien auch Baugeräte, zum Beispiel Betondeckenfertiger oder Asphaltdeckenfertiger, wobei wir die Prototypen für uns erarbeiten und diese Entwicklungen dann an die Maschinenbauindustrie weitergeben. Wir forschen aber auch an neuen Baustoffen oder arbeiten gemeinsam mit der Bundesanstalt für Straßenwesen an Innovationen wie zum Beispiel Datenchips in der Asphaltdecke, die uns unzählige nützliche Informationen über den Zustand einer Straße geben können. Sie sprachen gerade von der hohen Komplexität und dem Zeitdruck des Geschäfts. Wie wichtig ist es in Ihrer Branche, von Beginn an auf eine gute Balance aus Arbeit und Freizeit zu achten? Schulz: Das ist in der Tat ein wichtiges Thema, gerade mit Blick auf Projekte, die rund um die Uhr und mit kleinem Zeitfenster laufen. Ich denke, jeder sollte ein ausgewogenes Verhältnis aus Beruf und Freizeit finden. Es wird Zeiten geben, in denen das aktuelle Projekt im absoluten Fokus steht. Demgegenüber müssen verlässliche Bedingungen zum Freizeitausgleich vorliegen. Eine ist der verlässlich planbare Urlaub mit Familie und Freunden. Wir bieten aber auch im Unternehmen Fitnessprogramme an, zu denen auch Coachings für Stressbewältigung gehören. Wobei ich persönlich sagen muss, dass die Betätigung als Bauingenieur durch ihre Vielfältigkeit Auflockerung erfährt. Man ist in der Regel viel unterwegs, erlebt die Dynamik eines Teams und regelmäßig freudige Ereignisse, wenn ein Projekt abgeschlossen ist. Welche Bauprojekte haben Ihnen besonders viel Freude bereitet? Rösler: Das Bauprojekt A2 von Frankfurt/Oder nach Posen kurz vor der Europameisterschaft in Polen. Das waren 100 Kilometer Autobahn in zwei Jahren – da konnten wir als Konzern mal zeigen, was in uns steckt. Wobei wir sogar vor der Frist fertig geworden sind. Schulz: Meine Antwort wird Sie vielleicht überraschen: Aber es waren diverse Teilprojekte zum Aus- und Neubau zahlreicher Roll- und Vorfeldflächen am neuen Flughafen Berlin-Brandenburg. Wir haben dort unsere Pojekte erfolgreich beendet – und zwar pünktlich und zur Zufriedenheit des Kunden. Es ist zwar schade, dass das Projekt heute äußerst negativ bewertet wird, aber es gehört für einen Bauingenieur eben auch dazu, die verzerrte oder stark verkürzte öffentliche Meinung zu ertragen – was natürlich dann einfacher ist, wenn der Kunde mit der Arbeit zufrieden ist, wie es bei uns der Fall war. Zum Abschluss: Welche Themen werden Ihrer Meinung nach die Bauingenieure in Zukunft beschäftigen? Schulz: Mit Blick auf den weiteren Ausbau unserer Seehäfen wird es um die Erschließung des Hinterlandes gehen. Gewaltige Containerfrachten müssen abgewickelt werden, und dafür muss natürlich die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehen. Mit Blick auf Nordrhein-Westfalen, unserem bevölkerungsreichsten Bundesland, muss der Ausbau des Infrastrukturnetzes deutlich vorangetrieben werden – wobei wir hier von einem Jahrzehnteprojekt reden. Ein wesentliches Thema ist dabei die dynamische Verkehrsführung, also die Frage, wie der Verkehr zu unterschiedlichen Tageszeiten optimal über die Hauptschlagadern unseres Verkehrsnetzes gesteuert wird. Rösler: Dabei geht es nicht nur darum, dass der Verkehr läuft, sondern auch, dass die Umwelt- und Lärmschutzbedingungen eingehalten werden. Die Schweiz ist da viel weiter und verlegt den Verkehr mehr und mehr auf unterirdische Straßen. In Deutschland ist in dieser Hinsicht noch sehr viel zu tun. Wir müssen die Verkehrsinfrastruktur so ausbauen, dass die Menschen künftig möglichst wenig von dem Verkehr mitbekommen.

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Die Strabag AG, mit Hauptsitz in Köln, blickt als Marktführer im deutschen Verkehrswegebau auf eine fast 90-jährige Tradition zurück – das Unternehmen wurde 1923 gegründet. Im Konzernverbund der österreichischen Strabag SE, die heute zu den größten europäischen Baukonzernen zählt, bearbeitet die Strabag AG mit rund 12.000 Mitarbeitern und zahlreichen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften vorwiegend die Fläche Deutschland. Das Leistungsspektrum des Unternehmens erstreckt sich vom Asphalt- und Betonstraßenbau, Gleisbau, Kanal- und Rohrleitungsbau sowie Sportstättenbau über Umwelttechnik bis hin zu Sonderbauweisen und Dienstleistungen im Bauwesen. Das Unternehmen verfügt zudem über ein flächendeckendes Netz von Asphaltmischanlagen, Steinbrüchen, Schotterwerken sowie Sand- und Kiesgruben.

„Es wird immer interdisziplinärer“

Dr. Rainer Schofer ist Präsident des Deutschen Verbands der Projektmanager in der Bau- und Immobilienwirtschaft (DVP). Seine Botschaft an Bauingenieure, die sich für eine Karriere im Projektmanagement interessieren: Nicht allein das Interesse gibt einen Startvorteil gegenüber anderen Absolventen, ohne vielfältiges Know-how geht es nicht. Die Fragen stellte André Boße

Dr. Rainer Schofer, Foto: SMV
Dr. Rainer Schofer, Foto: SMV
Dr. Rainer Schofer ist Gesellschafter des Berliner Bau-Projektmanagerunternehmens SMV und Präsident des Fachverbandes DVP. Sein Studium als Bauingenieur absolvierte er an der TU Berlin, wo er 1981 auch promovierte.
Herr Dr. Schofer, was sollten Bauingenieure mitbringen, wenn sie ins Projektmanagement einsteigen möchten? Ein gut absolviertes Grundlagenstudium ist die Voraussetzung. Wobei Bauingenieure gegenüber Wirtschaftsingenieuren und Betriebswirtschaftlern einen Vorteil haben, weil diese in ihrem Studium oft zu geringe technische Grundkenntnisse vermittelt bekommen haben. Danach wäre ein spezielles Projektmanagement-Aufbaustudium ideal. Wer Zeit sparen möchte, kann auch entsprechende Seminare belegen, die zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement oder der Berliner Akademie der Immobilienwirtschaft angeboten werden. Ein wesentliches Know-how besteht heute in interdisziplinären Fachkenntnissen. Dazu gehören das Bauordnungs- und Vertragsrecht, die Technische Gebäudeausrüstung oder Produktkenntnisse bei Baustoffen und ihren Zertifikaten. Wie hat sich das Projektmanagement großer Bauvorhaben gewandelt? Die Entwicklung geht hin zu interdisziplinären Ansätzen. Kein Gewerk ist mehr für sich abgrenzbar. Zum Beispiel umfassen energetische Optimierungen nicht nur alle Gebäudebestandteile und Anlagen, sondern gleichermaßen auch das kommunale Umfeld sowie die Versorgungs- und Anbindungsmöglichkeiten. Die Folge ist eine immer größere Komplexität: Wo wir vor 15 Jahren die Projektsteuerung weitgehend auf die konkrete Planungs- und Ausführungsphase beschränken konnten, müssen wir heute bereits in der Projektentwicklung damit beginnen, Lösungskonzepte zu prüfen und Ziele zu definieren. Mit Blick auf die Finanzkrise ist festzustellen, dass nach Maßgabe der Banken ein höherer Controlling- Bedarf entstanden ist – wobei das Controlling auch die Aufgabe des Projektmanagers ist. Welche Rolle spielt der Projektmanager nach der Übergabe des Objekts an den Bauherrn oder Entwickler? Früher war das Projekt damit abgeschlossen. Heute gibt es eine Vielzahl von Aufgaben, die zum Teil noch Monate nach der Abnahme anstehen, da das Projektmanagement fest in den Ablauf der Inbetriebnahme integriert ist. Zu den Aufgaben zählen zum Beispiel die Mängelbeseitigung und die Erfassung von Nutzungskosten, die Sanierung der Altstandorte und die Koordination von notwendigen Nachhaltigkeitszertifizierungen.

Elektronische Bauprozesse

Studierende der Fachhochschule Regensburg haben Kriterien für eine umfassende Prozessoptimierung evaluiert – auf Basis einer elektronischen Vergabeplattform. Von Verena Mikeleit

Die Consumer-Branche machte es vor, nun will die Baubranche bei der Digitalisierung von Prozessen nachziehen. Während der Handel schon voll auf das Internet setzt, hinken die Bauunternehmen noch hinterher. So hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln mit seiner Tochter, der IW Consult, in Kooperation mit dem Branchenverband BITKOM untersucht, wie bedeutsam das Internet für die deutsche Wirtschaft ist. Im IW-Zukunfts panel, einer für Deutschland repräsentativen Unternehmensbefragung, wurden Unternehmen erstmals dazu befragt, welche Bedeutung das Internet innerhalb ihres Geschäftsmodells innehat. In dem Bericht heißt es unter anderem: „Betrachtet man die Vorreiter im Baugewerbe in Deutschland, so zeigt sich, dass bei diesen Unternehmen im Vergleich zu den anderen Branchenvorreitern das Internet die am wenigsten dominante Rolle in den Geschäftsmodellen spielt. Insgesamt 15 Prozent der Unternehmen im Baugewerbe haben Geschäftsmodelle, die nur sehr schwach internetabhängig sind, 23 Prozent sind schwach internetabhängig. Mit nur 20 Prozent ist die Gruppe der Unternehmen, in denen das Internet eine zentrale Rolle spielt, aus dem Baugewerbe, verglichen mit den anderen Branchen, am kleinsten.“ Dies scheint erst einmal nicht verwunderlich, ist das Geschäftsmodell der Unternehmen doch der Bau, also die Planung, Durchführung und das Betreiben von Bauprojekten. Gleichzeitig ist die Branche jedoch auch geprägt von multidimensionalen und komplexen Prozessen. Und genau hier liegen enorme Potenziale. Die Studie „ForBAU“ empfiehlt beispielsweise die Einführung von Projektplattformen, die alle projektrelevanten Informationen unabhängig von Zeit und Ort für alle verfügbar machen. Dazu zählt übrigens nicht der rege Austausch von E-Mails – der sei kein adäquater Ersatz für moderne IT-Systeme. Die Autoren der Studie haben festgestellt, dass ein unstrukturierter Datenaustausch per E-Mail zu Redundanz und Verwirrung statt zur Transparenz führt. An dem Beispiel der e-Vergabe haben Studierende der Fachhochschule nun unsere e-Vergabe-Plattform im Rahmen ihrer BA-Thesis tiefgehend untersucht. Ziel war es, die elektronische Vergabe speziell an die Anforderungen der privaten Bauwirtschaft zu adaptieren. Im März dieses Jahres wurde auf Initiative und unter Leitung der Firmengruppe Max Bögl die Abschlussarbeit fertiggestellt. „Die Studierenden haben die spezifischen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einsatz einer e-Vergabe- Plattform in der Bauindustrie im Rahmen ihrer Bachelorthesis definiert, damit diese auch von Generalunternehmern möglichst effizient genutzt werden kann“, erklärt Mathias A. Bartl von der Unternehmensentwicklung bei Bögl. Hintergrund der Bachelorthesis ist eine umfassende Prozessoptimierung innerhalb der Bauwirtschaft. „Die Bauindustrie befindet sich aktuell in einem fortdauernden Veränderungsprozess hin zum digitalen Planen und Bauen mit modernsten IT-Systemen“, so Erik von Stebut von RIB Software. Innovative Vertreter der Branche zählen hier zu den Vorreitern, die ihre Wertschöpfungspotenziale mit BIMERP- Technologie (BIM=Building Information Modelling, ERP=Enterprise- Resource-Planning) in den Bereichen Kalkulation, Angebotswesen, Ausführung und Abrechnung bereits signifikant erhöhen konnten.

Enterprise-Resource-Planning

Mithilfe von Enterprise-Resource-Planning (ERP) sollen alle in einem Unternehmen vorhandenen Ressourcen möglichst effizient eingesetzt werden – auch mit dem Ziel, die Geschäftsprozesse zu optimieren.
So agieren Bauunternehmen gewöhnlich gleichzeitig als Auftraggeber und als Auftragnehmer. Daraus resultieren Preisanfragen bei mehreren Tausend Nachunternehmern innerhalb der Kalkulationsphase bei großen Baukonzernen sowie auch innerhalb des Mittelstands. Das stellt einen unglaublichen Aufwand dar – gerade dann, wenn dieser Prozess manuell erfolgt: beispielsweise per E-Mail, Fax oder Post. Da bei privaten Bauunternehmen in der Regel verschiedene Unternehmensbereiche und Abteilungen Nachunternehmerleistungen und in unterschiedlichen Projektphasen Preisanfragen bearbeiten, sind bei manuellen Arbeitsschritten außerdem Fehler bei der Eingabe nicht auszuschließen. Bei elektronischen Prozessen können diese Fehler vermieden werden. Zudem beschleunigt er das gesamte Verfahren. So bleibt mehr Zeit für die eigentlichen Aufgaben im Unternehmen. Die Studierenden der FH Regensburg evaluierten nun auf Basis von Befragungen einen branchenweiten Wunsch nach durchgängiger Prozessund damit Kostensicherheit, wie er durch den Einsatz einer e-Vergabe- Plattform möglich werden könnte. Der Wunsch der Befragten ist es, einen standardisierten, phasen- und divisionenübergreifenden Ausschreibungsprozess für Nachunternehmerleistungen auf der Plattform zu konzipieren, der eine enorme Zeit- und damit Kostenersparnis bei Bauunternehmen möglich machen soll. Mit Hilfe einer speziellen Schnittstelle zwischen der BIM-ERP-Lösung und der e-Vergabe-Plattform soll dieser möglichst digital generiert werden.

Building Information Modelling

Beim Building Information Modelling (BIM) werden Gebäude mithilfe von Computermodellen visualisiert. Dies ist in allen Phasen einer Immobilie sinnvoll: in der Bauplanung, der -ausführung und im späteren Betrieb. In den Modellen können zudem alle zum Gebäude relevanten Daten digital hinterlegt werden.

Garanten für Transparenz

Für Projektmanager am Bau sind der Zeit- und Kostendruck sowie die hohe Komplexität der Projekte keine Probleme, sondern der Ansporn für eine erfolgreiche Arbeit. Experten raten Nachwuchskräften, professionell zu kommunizieren, die digitale Technik zu nutzen und gar nicht erst zu versuchen, jedermanns Liebling zu sein. Stattdessen kommt es darauf an, unternehmerisch zu denken und klare Linie zu zeigen. Von André Boße

Der Fernsehfilm „Einmal im Leben“ ist schon ein wenig älter, aber die Botschaft ist top-aktuell: Erzählt wird die Geschichte der Familie Semmeling aus Hamburg, die ihren Traum vom Eigenheim wahr machen möchte. Familienvater Bruno ist zwar Diplom-Ingenieur, hat vom Bauwesen aber keine Ahnung. Also kommt, was kommen muss: Als Bauherr verstrickt er sich im Geflecht der Geschäftsinteressen der verschiedenen Beteiligten: Architekt und Bauunternehmer, Elektriker und Maurer, Anstreicher und Bankberater – sie alle setzen ihre eigenen Interessen durch. Und die Semmelings? Ziehen neun Monate später als geplant in ihr Eigenheim ein, das am Ende auch noch deutlich teurer gerät als gedacht. Was Bauherr Bruno fehlt, ist jemand, der die Fäden in der Hand hat: Den Semmelings fehlt ein Baumanager. Einer, der das Projekt lenkt und für Transparenz sorgt, und zwar im Sinne des Bauherrn. Heute sind solche Projektmanager bei großen Bauvorhaben nicht mehr wegzudenken. Sie sind Garanten für Transparenz, und damit auch für einen erfolgreichen Abschluss des Projekts. Immer häufiger nehmen Bauingenieure die Rolle eines Projektmanagers ein – entweder mit Verantwortung für das Gesamtprojekt oder für eines der vielen Subprojekte, in die große Bauvorhaben unterteilt werden. „Gesucht werden daher heute vor allem Generalisten, die auch ökonomisch denken und sich aufs Teamplay verstehen“, sagt Professor Bernhard Hort, der an der Hochschule Heidelberg den Masterstudiengang Projektmanagement Bau leitet.

Drei Herausforderungen

Wer ein Bauprojekt managt, bewegt sich immer in einem Spannungsfeld, das von drei großen Einflüssen erzeugt wird: erstens der Komplexität, zweitens dem Zeitdruck und drittens dem Kostendruck. Erfolgreiche Projektmanager im Bauwesen stellen sich der Herausforderung, diese drei Einflüsse anzunehmen und dafür zu sorgen, dass das Projektziel im Sinne des Bauherrn oder des Projektentwicklers erreicht wird. „Es ist Aufgabe eines Projektmanagers, die zahlreichen Anforderungen, die sich aus einem großen Bauvorhaben ergeben, in den Griff zu bekommen und zu organisieren“, sagt Dierk Mutschler, Vorstandsmitglied beim Ingenieurdienstleiter für Bau- und Immobilienprojekte Drees & Sommer aus Stuttgart und dort zuständig für das Projektmanagement. Aber wie kann das funktionieren? Und wo liegen die Vorteile von Bauingenieuren im direkten Vergleich mit Architekten oder Wirtschaftsingenieuren, die sich ebenfalls für Projektmanagementstellen in der Bauindustrie bewerben? 1. Komplexität Man hat den Eindruck, dass die Schilder mit den Firmen, die an einem großen Bauvorhaben beteiligt sind, immer größer werden. Doch nicht nur die unternehmerische Vielfalt steigt, auch die Zahl der beteiligten Behörden. Mal, weil die Bauprojekte über Public-Private-Partnership- Modelle (PPP) finanziert werden, mal, weil durch die hohen Anforderungen an nachhaltiges und ökologisches Bauen neue Vorgaben hinzugekommen sind. „Projektmanager müssen die vielen Disziplinen integrieren“, sagt Mutschler. Hierfür sind Kommunikationstalent und diplomatisches Geschick genauso gefragt wie die Fähigkeit, die Interessen von Architekten, Fassaden- und Haustechnikplanern oder Behörden zu verstehen. Doch ein Projektmanager ist mehr als ein Sprecher aller am Bauvorhaben beteiligten Unternehmen. „Ganz zentral ist, dass er die Anforderungen erfüllt, die Bauherren und Entwickler an ihr Bauprojekt stellen“, sagt Mutschler. Projektmanager denken und handeln im Grunde wie die Geschäftsführung des Auftraggebers. „Wichtig ist eine Empathie für Bauherren: Der Projektmanager muss sich in die Auftraggeber hineinversetzen können, um zu wissen, was ihre Ziele sind. Nur so lässt sich eine für den Kunden optimale Immobilie umsetzen.“ Der Vorteil von Bauingenieuren im Vergleich zu anderen Berufsgruppen liegt dabei darin, dass sie neben ihrem Grundlagenwissen aus dem Studium auch die praktischen Erfahrungen mitbringen, um zu wissen, wie es am Bau zugeht. Dennoch: Wer fachlich hochqualifiziert ist, darf nicht die Bedeutung von Projektmanagementkenntnissen unterschätzen, um in dem Job erfolgreich zu sein. 2. Zeitdruck Das Beispiel des Berliner Großflughafens zeigt: Kann der Zeitplan für ein Bauvorhaben nicht eingehalten werden, ist schnell die Öffentlichkeit alarmiert. Erfolgreiche Projektmanager sorgen dafür, dass es erst gar nicht so weit kommt. Dies gelingt einerseits mithilfe von schnellen Korrekturmaßnahmen, sobald Schieflagen erkennbar sind. Treten in einem Projekt Schwierigkeiten auf, ist es die Aufgabe des Projektmanagers, eine umfangreiche Projektanalyse durchzuführen und Alternativen aufzuzeigen. Wer jedoch schon einmal in einem Team gearbeitet hat, weiß, wie schwierig es sein kann, Änderungen durchzusetzen. Änderungen sind unbequem, häufig erzeugen sie Unsicherheit. „Deshalb ist es wichtig, Kenntnisse über die professionellen Werkzeuge des Change Managements mitzubringen“, sagt Professor Hort. Andererseits spielt der Projektmanager bei Bauvorhaben mit öffentlichen Auftraggebern auch die Rolle des Kommunikationsprofis: Wer frühzeitig über ein Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit verfügt, kann die Medien und die Bevölkerung transparent über die Entwicklungen informieren, ohne dabei falsche Hoffnungen zu schüren. Drees & Sommer-Vorstand Mutschler ist dabei wichtig, dass die Projektmanager in seinem Unternehmen nicht „jedermanns Lieblinge“ sind. Sein Rat an Einsteiger: „Man darf sich in diesem Job nie verbiegen lassen.“ Zeitdruck und Kommunikationsbedarf führen besonders bei großen Bauprojekten dazu, dass Management- und Kommunikationskompetenzen in den Vordergrund rücken. „In solchen Fällen“, so Hort, „kann eine Qualifikation in professionellem Projektmanagement durchaus wichtiger sein als vertiefte Fachkenntnisse.“ 3. Kostendruck „Baukosten explodieren“ – eine oft gelesene Schlagzeile, wenn Großbauten mit den Monaten immer teurer werden. Solche Kostenspiralen nach oben können nur verhindert werden, wenn sich Bauingenieure und Ökonomen von Beginn an gegenseitig mit ihrem fachlichen Know-how unterstützen. Im Masterstudium Projektmanagement an der Hochschule Heidelberg bilden sich schon früh gemischte Teams, in denen Bauingenieure und Betriebswirte kooperieren. „Nur so findet ein Lernen voneinander statt“, sagt Studienleiter Hort. Für Bauingenieure kommt es darauf an, sich möglichst schnell die Grundbegriffe und Prinzipien der Betriebswirtschaftslehre anzueignen. Dazu gehört zum Beispiel Grundwissen über das Rechnungswesen oder Know-how im Controlling, um im Auge zu behalten, ob das Projektziel auch weiterhin mit dem verfügbaren Budget zu realisieren ist.

Thema der Zukunft: Datenmanagement

Das Bauwesen ist ein komplexes Geschäft, bei dem Zeit- und Kostendruck an der Tagesordnung sind. Keine Frage: Die Rahmenbedingungen sind schwerer als in den meisten anderen Industrien. Hinzu kommt, dass die Bauindustrie nicht in wohltemperierten Hallen, sondern draußen tätig ist und damit vom Wetter abhängig. Zudem ist jedes Bauvorhaben ein Unikat mit jeweils ganz speziellen Herausforderungen und Eigenschaften. Serienproduktionen kennt die Baubranche kaum. Kurz: Es ist nicht einfach, den Prozess eines Bauvorhabens zu steuern. Exzellent sind daher die Karrierechancen für Bauingenieure, die sich auf das Lenken von Prozessen verstehen. Dazu gehört auch eine hohe Kompetenz in Sachen Datenmanagement: Hochschulen in München, Erlangen-Nürnberg und Regensburg haben im Rahmen des Projekts „ForBAU“ Methoden und Konzepte für das Bauen im 21. Jahrhundert erforscht und festgestellt, dass „vor allem in der Verbesserung des Datenflusses und damit der Weiterverwendung bestehender digitaler Daten erhebliches Potenzial für eine Effizienz- und Qualitätssteigerung im Bauwesen besteht“. Dabei gehe es vor allem darum, Bauvorhaben digital vorzuplanen und dafür zu sorgen, dass während der Bauphase ein durchgängiger Informationsfluss garantiert wird. So können unnötige Fehler vermieden werden, die Zeit und Geld kosten.

Change Management

Die Betriebswirtschaftslehre kennt diverse Change-Management-Instrumente. Dazu gehört zum Beispiel das Drei-Phasen-Modell nach Kurt Lewin: In der Auftauphase erfolgt die Einsicht, dass die Erwartungen nicht mehr der Realität entsprechen; in der Bewegungsphase werden neue Lösungen erarbeitet und neue Verhaltensweisen ausprobiert; in der Einfrierphase werden schließlich die neuen Lösungen implementiert.

Masterstudiengang Projektmanagement Bau

Der Masterstudiengang Projektmanagement Bau an der privaten SHR Hochschule Heidelberg wird in Teilzeit angeboten: Die meisten Studenten sind berufstätig und nutzen das Studium, um ins Projektmanagement zu wechseln. Das Studium betrachtet den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie – von der Entwicklung und Realisierung eines Projekts bis hin zum Facility Management. www.hochschule-heidelberg.de/master/projektmanagement-bau/

Gesund essen: Bloß kein Stress!

Das Motto für alle, die fit und leistungsfähig bleiben wollen, lautet: Gesund und mit Genuss essen. Aber wie geht das? Wir zeigen Ihnen in diesem Special-Artikel, wie man die Work-Life-Balance hält und was man dazu braucht – zum Beispiel ein wenig Zeit und Ruhe, aber auch gute Produkte, die viele Handelsunternehmen anbieten. Von Ulrike Gonder, Ernährungswissenschaftlerin und Autorin

Ulrike Gonder ist Diplom-Ökotrophologin. Sie arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin, Referentin und Dozentin und hat zahlreiche Bücher geschrieben. Eine Übersicht über ihre Veröffentlichungen sowie Infos und Artikel finden Sie auf ihrer Website und bei Facebook
„Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“ heißt es in einem Opernlibretto von 1690 – mittlerweile ist daraus ein bekanntes Sprichwort geworden. Und die Ernährungswissenschaft bestätigt: Es stimmt. Essen entspannt. Die gütige Natur hat das Essen mit Lustgefühlen gekoppelt, die dafür sorgen, dass wir es immer wieder tun. Zur Entspannung kommt die Aktivierung der Belohnungszentren in unserem Hirn, die besonders auf süß und fettig stehen. Dass in stressigen und frustrierenden Zeiten vermehrt zur Schokolade gegriffen wird, erklärt sich damit von selbst. Doch wollten wir nicht auch gesund essen? Wer kleine Mengen Süßes oder Salziges knabbert, braucht sich nicht zu sorgen. Das ist völlig in Ordnung. Wer jedoch von Schokolade, Gummibärchen, Rosinenschnecken, Pizza oder Chips lebt, versorgt seinen Körper nicht gut. Selbst wenn die Kalorienbilanz stimmt, kommen damit zu wenige wichtige Nährstoffe rein: zu wenig Magnesium, ein Mineralstoff, der bei Stress vermehrt verbraucht wird. Zu wenig Eiweiß, das die nötigen Bausteine für stimmungsaufhellende und leistungsfördernde Botenstoffe liefert. Zu wenig hochwertige Fette, die unser Hirn zur Signalverarbeitung braucht. Um es kurz zu machen: Vor allem bei hoher Arbeitsbelastung sollte die Nährstoffversorgung exzellent sein. Lebensmittel, die besonders viele Nährstoffe enthalten, sind nicht etwa nur Gemüse, Salate und Obst, sondern auch Fisch, Fleisch, Nüsse, Eier, Milch und Milchprodukte, Butter und gute Öle. Ideal ist es, täglich drei Handvoll Gemüse und Salat, zubereitet mit gutem Öl, zwei Handvoll Obst und zu jeder Mahlzeit eine Portion Eiweiß in Form von Fisch, Fleisch, Eiern, Käse oder Nüssen zu essen. Das ist die Basis für nährstoffreiche Mahlzeiten. Alles, was dazu kommt, sind „Luxuskalorien“. Und bitte das Wassertrinken nicht vergessen, es ist die einfachste und billigste Maßnahme gegen Kopfschmerzen und Leistungseinbußen. Wer Glück hat, kann dort, wo er arbeitet, eine gute Kantine besuchen. Kommt nach dem Mittagessen die „Fressnarkose“, hat man zu üppig gegessen. Dann kann es hilfreich sein, weniger Nudeln, Kartoffeln, Reis, Knödel und Pudding zu essen und dafür mehr Gemüse, Milchprodukte oder Obst zu nehmen. Wem das Kantinenessen nicht schmeckt, der sollte sich etwas Leckeres von zu Hause oder unterwegs mitbringen und sich ein ruhiges Plätzchen zum Essen suchen. Denn vor dem PC Verschlungenes rauscht an den Geschmackspapillen fast unerkannt vorbei. Man merkt auch nicht richtig, wann und ob man satt ist. Für Notfälle sollten in irgendeiner Schublade Nüsse, Studentenfutter, Eiweißriegel oder Eiweißpulver für einen schnellen Drink liegen. Diese „Notlösungen“ sind allemal besser als Weingummis oder Kekse. Sie sind nahrhafter und nährstoffreicher, sättigen besser und länger und sind doch ebenso schnell gefuttert. Sein Gemüse kann man dann auch abends noch essen, denn es ist egal, ob abends oder mittags warm gegessen wird. Zum Abendessen passt dann auch ein Glas Wein oder Bier. Alkoholisches entspannt, die Kunst liegt jedoch gerade hier im Maßhalten. Viele Studien haben gezeigt, dass maßvoller Genuss mit einer besseren Herz- und Gefäßgesundheit einhergeht. Maßvoll bedeutet für Männer eine Alkoholmenge, wie sie etwa in 0,2 bis 0,4 Litern Wein steckt, und für Frauen entsprechend 0,1 bis 0,2 Liter Wein. Mehr ist schädlich, auch das ist gut untersucht. Und wem der Stress bereits den Blutdruck in die Höhe getrieben hat, muss ganz besonders aufpassen und weniger trinken. Übrigens ist Alkohol kein gutes Schlafmittel. Er mag beim Einschlafen helfen, stört aber das Durchschlafen und damit einen der besten Stresskiller, den wir haben: einen erholsamen Nachtschlaf. Wer morgens keinen Bissen runterbekommt, sollte wenigstens etwas Nahrhaftes trinken, also einen Kakao, ein Milchmixgetränk, ein paar Instanthaferflocken mit Saft oder einen Smoothie. Außerdem ist es wichtig, etwas Nahrhaftes zur Hand zu haben, wenn der Hunger dann zuschlägt, sonst wird man unleidlich. Womit wir beim Thema Planung wären: Wer weiß, dass stressige Zeiten kommen, sollte vorher einkaufen gehen und sich Kühl- und Tiefkühlschrank vollpacken: mit Gemüse, Obst und Fisch, Milchprodukten und Selbstgekochtem. Auch gute Fertigprodukte sind sinnvoll, wenn sie aus Grundnahrungsmitteln hergestellt sind und ohne Aromen und Geschmacksverstärker auskommen – und die eine oder andere Pizza ist auch in Ordnung. Übrigens ist Stress ein schlechter Begleiter bei Tisch: Ein gestresster Körper ist hormonell auf Flucht oder Kampf eingestellt, wie soll er da eine Mahlzeit verdauen? Stresshormone blockieren die Verdauung und sorgen dafür, dass die Muskeln gut mit Energie und Sauerstoff versorgt werden. Deswegen ist körperliche Bewegung ideal zum Stressabbau, es ist die effektivste und natürlichste Antistressmaßnahme. Also: Erst einmal eine Runde um den Block marschieren oder beim Sport abreagieren und dann in Ruhe essen – mit Genuss und ohne schlechtes Gewissen.

Buchtipps

Sogenanntes „Functional Food“ tut nicht nur Gutes. Hans-Ulrich Grimm zeigt in seinem neuen Buch, wann Kalzium, Vitamine und andere Zusatzstoffe der Gesundheit wirklich nutzen und wann sie eher schaden. Hans-Ulrich Grimm: Vom Verzehr wird abgeraten: Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht. Droemer 2012. ISBN 978-3426275566. 18,00 Euro www.food-detektiv.de
Als Allgemeinarzt kennt Dr. Gunter Frank die Probleme, die viele Menschen mit ihrem Gewicht haben. In seinem Buch zeigt er: Am gesündesten und am besten für die Figur ist es, das zu essen, worauf man am meisten Appetit hat. Gunter Frank: Lizenz zum Essen. Stressfrei essen, Gewichtssorgen vergessen. Piper 2009. ISBN 978-3492253703. 9,99 Euro www.lizenz-zum-essen.de
Christian Rach ist Koch, Coach, Restauranttester und Buchautor. In seinem neuesten Kochbuch hat er Rezepte für eine gesunde und ausgewogene Ernährung zusammengestellt. Auf www.christianrach.de und bei Facebook unter „Rach getestet“ leistet er zusammen mit dem SGS Institut Fresenius einen Beitrag zu gesünderer Ernährung und hilft Verbrauchern bei der Auswahl hochwertiger Lebensmittel. Christian Rach: Besser: besser essen. Edel 2011. ISBN 978-3841901354. 19,99 Euro

„Ein Vorreiter für Bio-Produkte“

Thomas Gutberlet führt in dritter Generation das Handelsunternehmen Tegut, das rund 300 Lebensmittelmärkte betreibt. Das Besondere: ein reichhaltiges Bio-Sortiment. Über die Tegut-Philosophie, die dahintersteckt, sprach mit ihm Christiane Siemann.

Zur Person

Der Enkel von Theo Gutberlet ist seit Ende August 2009 Vorstandsvorsitzender der Tegut Gutberlet Stiftung & Co. KG. Ins Unternehmen stieg er vor rund 15 Jahren mit der Leitung des Bereichs „Marketing & Merchandising“ ein, später verantwortete er „Finanzen & Rechnungswesen“ und seit November 2002 als Vorstand den Bereich Sortiment & Marketing. Thomas Gutberlet ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Herr Gutberlet, Sie führen die Handelsgruppe Tegut, die als erste Produkte aus der biologischdynamischen Landwirtschaft vertrieb. Wie kam es dazu?
In der Nachkriegszeit hat mein Großvater das Unternehmen gegründet, und seine christlich-katholischen Werte sind in die Unternehmenskultur eingegangen. Mein Vater hat 30 Jahre später diese Werte in moderner anthroposophischer Form interpretiert. Das heißt unter anderem: Ein denkender und handelnder Mensch ist auch für die Entwicklung von Körper und Geist verantwortlich. Auf der Suche nach Lebensmitteln, die den Lebensbedingungen der Menschen entsprechen, ist mein Vater dann auf das gestoßen, was man heute kurz als „Bio“ bezeichnet. Er begann, sich für die Grundlagen zu interessieren, und hat ein Bio-Sortiment etabliert. Auf diesem Weg wurden wir ein echter Vorreiter für Bio-Produkte. Haben die Verbraucher von damals „Bio“ akzeptiert? Obwohl die biologisch-dynamische Landwirtschaft bereits mehr als 100 Jahre alt ist, hat sie für den Verbraucher viele Jahrzehnte keine maßgebliche Rolle gespielt. Das Angebot von Tegut wurde als sehr exotisch empfunden. Das war die Zeit, als in Großstädten die ersten Müsli-Läden eröffneten, die häufig belächelt wurden. Damals wussten wenige Kunden Bio-Produkte zu schätzen, aber sie haben dann jedes Jahr mehr Freunde gefunden. Heute beträgt unser Umsatzanteil aus dem Bio-Sortiment rund 25 Prozent. Machen Ihnen die Bio-Sortimente anderer Supermärkte heute Konkurrenz? Nein, nicht wirklich. Uns unterscheidet von anderen, dass wir absolute Spezialisten beim Handel mit nachhaltigen Lebensmitteln sind. Von unseren 3000 Bio-Artikeln gibt es viele, die auch in den nächsten zehn Jahren in keinem Supermarkt, die in der Regel zehn Prozent davon führen, zu finden sein werden. Es ist jedoch nicht nur eine Frage der Menge: Zu unserer Philosophie gehört beispielsweise auch, dass wir Wert auf Saatgut aus biologischer Züchtung legen. Für uns bedeutet biologische Nachhaltigkeit überdies der Verzicht auf Gentechnik, die Förderung des ökologischen und traditionellen Landbaus und die Schonung natürlicher Ressourcen. Beispielsweise nutzen wir seit mehr als zehn Jahren FSCzertifiziertes Papier. Das Logo des Forest Stewardship Council – kurz FSC – signalisiert, dass es sich um Holzprodukte handelt, die aus nachhaltiger Waldnutzung stammen. Die Ressourcen werden geschont, und bei der Waldbewirtschaftung wird das soziale und ökonomische Wohlergehen der Waldarbeiter und der lokalen Bevölkerung langfristig erhalten und vergrößert. Bei der Herstellung von Recyclingpapier lassen sich im Vergleich zu Frischfaserpapier jeweils rund 60 Prozent Energie und Wasser einsparen. Durch die Verwendung von Recyclingpapier kann Tegut pro Jahr 359 Tonnen Frischholz einsparen. Müssen BWL-Absolventen, die bei Tegut arbeiten wollen, die Grundsätze der Nachhaltigkeit „inhaliert“ haben? Wir ziehen als Unternehmen Mitarbeitende an, die eine Affinität zum Thema Bio und Nachhaltigkeit haben. Es kommen natürlich auch andere, die erst bei uns darauf aufmerksam werden und sich in Schulungen und Weiterbildungen damit auseinandersetzen. Genauso wichtig wie die Anerkennung unserer Philosophie ist für uns als Handelsunternehmen generell Reaktionsschnelligkeit und Freude am selbstständigen Arbeiten mit der Lust, Ideen einzubringen, für die es auch den Freiraum zur Umsetzung gibt. Natürlich müssen unsere Mitarbeitenden den Kontakt mit Menschen lieben. Handel bedeutet nicht, im stillen Kämmerlein Analysen zu erstellen, sondern mit Kunden ebenso wie mit den Kolleginnen und Kollegen der zentralen Dienste, der Produktionsbetriebe und der Märkte zu arbeiten. Zeigt sich die Nachhaltigkeit auch in der Personalentwicklung? Mit dem Eintrittsdatum ins Unternehmen werden Absolventen in das Tegut-Förderprogramm aufgenommen. Der Förderzeitraum ist abhängig von der Funktion, die sie anstreben. Sie werden vor Ort von einem Ausbilder begleitet, und die Weiterbildung erfolgt in der Tegut-Akademie. Wer den Weg als Nachwuchsführungskraft gehen möchte, wird gründlich vorbereitet und qualifiziert. Beispielsweise lernen Berufseinsteiger in Seminaren Führungskultur, Mitarbeiterkoordination, betriebswirtschaftliche Kennziffern, Warensteuerung sowie Verantwortung für Warenfächer.

Über Tegut

Das Handelsunternehmen wurde 1947 von Theo Gutberlet unter dem Namen „Thegu“ gegründet. Sein Sohn Wolfgang erweiterte als einer der ersten Unternehmer im großen Stil die Warenpalette der Supermärkte um Bio-Produkte. Heute hat die Handelsgruppe rund 300 Märkte und ist in Hessen, Thüringen, Nordbayern sowie in Göttingen und Mainz zu finden. Derzeit sind 6353 Mitarbeitende für Tegut tätig. Das Unternehmen befindet sich in dritter Generation im Besitz der Familie Gutberlet sowie der Gutberlet-Familienstiftung. Im Oktober 2012 wurde vereinbart, dass die Migros Genossenschaft Zürich das Handelsgeschäft der Tegut Gutberlet Stiftung & Co. KG zum 1. Januar 2013 übernehmen wird. Tegut wird weiterhin mit seinem Namen und derselben strategischen Ausrichtung sowie unter der Leitung von Thomas Gutberlet weitergeführt werden.