Paradiesische Zeiten

Der Hochschulabschluss ist geschafft – die Arbeitswelt ruft. Was erwartet Absolventen auf dem Arbeitsmarkt, mit welchen Einstiegsgehältern können Bauingenieure rechnen? Der bauingenieur24 Informationsdienst erhebt regelmäßig über Umfragen die aktuelle Marktsituation. Das Online-Forum des Dienstes spiegelt zudem die aktuelle Situation der Branche wider. Von Michael Braun

„Wir erleben seit einigen Jahren geradezu paradiesische Zeiten für Hochschulabsolventen: Die Nachfrage nach qualifizierten Bauingenieuren war selten so hoch“, erklärt Christian Wieg, Betreiber des bauingenieur24 Informationsdienstes. Diese Einschätzung bestätigt die Branche: „Die Aussichten für Absolventen sind ungemein gut. Es gibt weit mehr offene Stellen als Bewerber. Absolventen sind Mangelware. Deswegen bemühen sich die Unternehmen schon früh, Zugang zu den Studierenden zu bekommen“, erklärt beispielsweise Thomas Marx vom Ingenieurbüro Obermayer Planen und Beraten aus München. Für die Ingenieurbüros selbst ist diese Situation ein Dilemma: „Wir bekommen heute auf eine Stellenausschreibung fünf bis zehn Bewerbungen. Vor einigen Jahren waren es manchmal noch über 100. Seit dem erneuten Boom der Baubranche vor ungefähr fünf Jahren zeichnet sich der Trend ab, dass es mehr Arbeit als Fachkräfte gibt“, führt Marx aus. Er geht davon aus, dass Absolventen mit 38.000 bis 41.000 Euro Jahresgehalt rechnen können. „Das hängt natürlich davon ab, ob der Bewerber einen Bachelor oder Master mitbringt“, sagt der Ingenieur. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung differenziert zudem zwischen Uni- und Fachhochschulabschluss: Während Uniabsolventen mit durchschnittlich 11,89 Euro Nettostundenlohn rechnen können, liegen Bauingenieure mit FH-Abschluss bei 10,75 Euro – bei beiden freilich mit Tendenz nach oben.
Weitere Informationen und Erfahrungsaustausch im Forum unter www.bauingenieur24.de
Im Onlineforum von bauingenieur24 lassen sich ähnliche Zahlen ablesen. User sprechen hier von zirka 40.000 Euro Einstiegsgehalt bei Bachelor- und etwa 45.000 Euro bei Masterabsolventen. Nach fünf Jahren Praxis steigt das Gehalt für Bachelorabsolventen auf 50.000 Euro. In den Statements zeigt sich allerdings auch, dass es immer noch ein deutliches Gehaltsgefälle zwischen einzelnen Regionen und Ballungsräumen gibt. Unterschiede von 10.000 Euro zugunsten Beschäftigter in den westlichen Bundesländern bei gleichwertigem Abschluss sind keine Seltenheit. Thomas Marx und Christian Wieg empfehlen angehenden Bauingenieuren, sich früh in der Praxis zu bewegen. „Das fängt beim Praktikum an, geht weiter über Werkstudententätigkeiten bis hin zum Schreiben der Abschlussarbeiten in den Unternehmen. So lernen die Studenten früh die Unternehmenskultur kennen. Wer sich dabei gut anstellt, der wird nach Abschluss des Studiums mit Kusshand übernommen“, sagt Marx. „Deswegen kommen natürlich viele Absolventen auch gar nicht erst auf den Bewerbermarkt, weil sie direkt angestellt werden“, ergänzt Christian Wieg.

Ein Hoch auf Absolventen

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hat in dem Bericht „Der Arbeitsmarkt im Bausektor“ die Entwicklung der Branche von 2000 bis 2011 untersuchen lassen. Wir stellen die wichtigsten Ergebnisse vor. Von Christoph Berger

Es wird an der demografischen Entwicklung und dem damit einhergehenden Fachkräftemangel liegen: Seit Jahren sendet die Branche das Signal aus, dass Bauingenieure dringend benötigt werden: Daher ist das Interesse an einem Bauingenieurstudium seit 2007 stark gestiegen. Die Zahl der Studienanfänger im Bauingenieurwesen verzeichnet seitdem jährliche Zuwachsraten zwischen 11 und 20 Prozent. Mit einem Gesamtanstieg zwischen 2006 und 2010 um 79 Prozent liegt die Zunahme der Anfängerzahlen im Bauingenieurwesen deutlich über denen aller Studiengänge, welche im gleichen Zeitraum nur rund 28 Prozent betrug. Im Jahr 2010 begannen 14.500 Personen ein Studium des Bauingenieurwesens. Dabei lag der Fachhochschulanteil der Studienanfänger bei rund 58 Prozent und damit deutlich über dem Durchschnitt aller Studienfächer von knapp 35 Prozent. Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Bedarf an Bauingenieuren 2011 den höchsten Stand seit Beginn des Jahrtausends erreichte, eine positive Entwicklung. 2010 schlossen 5400 Studierende ein Bauingenieurstudium ab. Allerdings stieg nach einer rückläufigen Phase auch wieder die Abbruchquote. Dabei lag die Abbruchhäufigkeit unter Bachelor-Studierenden über der von Studierenden traditioneller Abschlüsse, insbesondere an Universitäten. Wie wichtig qualifizierter Nachwuchs ist, zeigt auch ein Blick auf die Altersstruktur in den Unternehmen: Im Vergleich zum Ausgangsjahr 2000 haben sich Veränderungen in der Alterszusammensetzung bei den Bauingenieuren ergeben. Mehr als ein Drittel aller Bauingenieure ist 50 Jahre und älter. Fünf Prozent sind unter 30, 25 Prozent zwischen 30 bis 40 Jahre alt. 33 Prozent liegen im Alter zwischen 40 und 50. Es ist also dringend notwendig, junge Menschen anzusprechen und für den Beruf zu begeistern. Bauingenieure finden sich in Unternehmen jeder Betriebsgröße. Nach einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wies der deutsche Arbeitsmarkt im 4. Quartal 2011 rund 72.400 offene Stellen im Baugewerbe auf. Im Bauhauptgewerbe, einem Segment des Baugewerbes, gab es rund 22.000 offene Stellen. Zusammen mit den 31.800 offenen Stellen in Architektur- und Ingenieurbüros ergibt das für den gesamten Bausektor ein Volumen offener Arbeitsstellen von 104.200. Dabei nahm die Zahl der offenen Stellen vor allem im Baugewerbe insgesamt zu, wo sie sich innerhalb eines Jahres annähernd verdoppelte (+97,3 Prozent). Im Bauhauptgewerbe stieg sie hingegen um knapp 61,8 Prozent, in den Architektur- und Ingenieurbüros um 57,4 Prozent. Im Vergleich zum gesamtwirtschaftlichen Anstieg über alle Branchen (+13,5 Prozent) fiel die Nachfragesteigerung zwischen dem jeweils 4. Quartal der Jahre 2010 und 2011 in der Bauwirtschaft somit deutlich überdurchschnittlich aus. Frauen konnten vor diesem Hintergrund jedoch noch nicht nachhaltig überzeugt werden. Im stark vollzeitorientierten Baugewerbe betrug der Frauenanteil 2011 12,9 Prozent und somit deutlich weniger als in der Gesamtwirtschaft, in der 45,9 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weiblich waren. Im Bauhauptgewerbe als Teilbereich des Baugewerbes waren mit 9,4 Prozent anteilig sogar noch weniger Frauen beschäftigt. Demgegenüber wiesen die Architekturund Ingenieurbüros eine mit 34,9 Prozent für den Bausektor vergleichsweise hohe Frauenquote auf. Interessant ist an dem Bericht auch, dass 2010 unter den Bauingenieuren rund 22 Prozent der Erwerbstätigen selbstständig tätig waren. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den akademischen Bauberufen der Architekten und Bauingenieure entfällt der größte arbeitgebende Wirtschaftsbereich nicht auf das Baugewerbe, sondern auf Architektur- und Ingenieurbüros (44,4 Prozent). Weiterhin arbeiteten im Jahr 2011 17,4 Prozent der Bauingenieure und Architekten im Baugewerbe, womit auch für die akademischen Bauberufe gilt, dass sich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überwiegend auf Bereiche der Bauwirtschaft konzentriert (61,7 Prozent). Abseits dieses Sektors arbeiten viele Architekten und Bauingenieure im Öffentlichen Dienst (17,7 Prozent), weitere 14,5 Prozent verteilen sich heterogen über diverse andere Wirtschaftszweige. Zeitarbeit spielt praktisch keine Rolle, nur jede achte gemeldete Stelle kam aus diesem Bereich. Und: Jeder zweite Bauingenieur verdiente 2010 mehr als 4000 Euro brutto.

Angeklickt

Studierendenstatistik Bau unter www.bauindustrie.de Downloads und Informationen zum Beruf Bauingenieur unter www.werde-bauingenieur.de Orientierungshilfen Bachelor/Master Bauingenieurwesen für Studieninteressierte www.asbau.org Studienstandards Bauingenieurwesen unter www.asbau.org

Karriereturbo

Bauingenieure benötigen nicht nur technisches, sondern auch betriebswirtschaftliches Wissen sowie Kenntnisse in Recht, in Projekt- und Prozessmanagement. Nicht zu vergessen all die Soft Skills, die für eine erfolgreiche Karriere vonnöten sind. Wir stellen Ihnen drei Aufbaustudiengänge vor, die dieses Wissen vermitteln. Von Christoph Berger

Die Aufgaben für Bauingenieure befinden sich in einem ständigen Veränderungs- und Erweiterungsprozess. Längst sind die großen Unternehmen der Baubranche aus den klassischen bauausführenden Tätigkeiten herausgewachsen. Sie bieten Dienstleistungen und Services, haben ihre Portfolios um die Themen Generalunternehmerprojekte, Projektentwicklung, Betreibermodelle und das technische und kaufmännische Facility Management erweitert. Doch selbst wenn sich das Unternehmen weiterhin auf das klassische Baugeschäft konzentriert, also auf die Lösung von technischen Aufgaben, den Entwurf, die Planung und die Herstellung von Bauwerken, gilt: Volle Auftragsbücher bedeuten nicht immer auch hohe Gewinne. Gerade für die Absolventen des Bauingenieurwesens, die den Wunsch haben, eines Tages in Führungsverantwortung hineinzuwachsen, heißt es spätestens dann, Unternehmensstrategien zu entwickeln, die sich am Markt orientieren, und die Kreativität mit angemessenem Risikobewusstsein kombinieren. Um sich auf solche Aufgaben vorzubereiten, können Absolventen zum einen allein auf die Erfahrungen in den ersten Berufsjahren setzen. Sie können sich aber auch gezielt darauf vorbereiten und die Praxis mit der Theorie strukturiert verbinden. Zum Beispiel durch die Teilnahme an einem MBA-Programm. „Technisches Wissen in ökonomische Erfolge umzusetzen, erfordert ein umfassendes Verständnis der Prozessketten. Effiziente Abläufe, Controlling, Logistik sowie die Fähigkeit, Verträge klug zu verhandeln und umzusetzen, sind heute wesentliche Erfolgsfaktoren im Bauunternehmen. Deshalb suchen die Unternehmen für Führungsaufgaben Mitarbeiter mit technischen und betriebswirtschaftlichen Qualifikationen“, sagte Professor Thomas Bauer, Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie und Vorstand der Bauer Gruppe, vor Absolventen des berufsbegleitenden Masterstudiengangs „Unternehmensführung Bau“ an der Akademie der Hochschule Biberach. Das MBA-Programm in Biberach erfüllt all die von Bauer formulierten Anforderungen. Der von der FIBAA akkreditierte Studiengang dauert drei Jahre und wird berufsbegleitend angeboten. In jedem Jahr findet im Januar und Februar ein sechswöchiger Intensivblock statt: Betriebswirtschaft, Recht sowie Organisation und Management sind die Themenschwerpunkte. Abgeschlossen wird mit dem Titel Master of Business Administration. Mit dem Abschluss wird bereits schwarz auf weiß deutlich, dass die Absolventen in mindestens zwei Disziplinen tiefgehende Kenntnisse mitbringen: durch die Kombination von Ingenieur- und Businesswissen. Vorteilhaft an dem Biberacher Angebot ist, dass es rein auf den Bau ausgerichtet. Zugang finden nur Bewerber, die bereits einen Abschluss in einer bauingenieurwissenschaftlichen Disziplin oder Architektur sowie mindestens ein Jahr Berufserfahrung nachweisen können. Das garantiert ein branchenausgerichtetes Arbeiten und eine interessante Kombination von anwendungsorientiertem Wissen und Theorie. Viele der Dozenten sind Geschäftsführer aus Bauunternehmen. Mit externen Experten werden zudem gezielt Soft Skills wie zum Beispiel Überzeugungsfähigkeit, Konflikt- und Change Management sowie Gesprächs- und Mitarbeiterführung trainiert. Ähnlich interessant wie der Biberacher MBA dürfte für Bauingenieure der Aufbaustudiengang „MBA and Engineering“ der Hochschule München sein. Auch er setzt auf die Vernetzung von wirtschaftswissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Modulen in Verbindung mit Managementdisziplinen. Für Bauingenieure werden dabei folgende Vertiefungsrichtungen angeboten: Europäisches Bauvertragsund Vergaberecht, Projektentwicklung, Public Private Partnership sowie das Wahlpflichtfach „Spezielle BWL und betriebliches Controlling im Bauwesen“. Die Vorlesungen finden abends und am Wochenende statt. Das dritte Programm: Die Professional School der Leuphana Universität Lüneburg bietet seit Oktober 2012 den berufsbegleitenden Masterstudiengang Baurecht und Baumanagement an. Auch dieser Studiengang ist auf die Managementpraxis ausgerichtet und verbindet die Themen Baurecht, Bauökonomie und Bautechnik. Allerdings ist dieses Angebot auch für Bewerber offen, die in einem branchenfremden Fach einen ersten Abschluss haben.

Links zu den beschriebenen Aufbaustudiengängen

Hochschule München Leuphana Professional School

Neubau eines Blocks für ein Großkraftwerk

2015 soll er ans Netz gehen, der neue Block 9 des Großkraftwerks Mannheim. 911 Megawatt brutto soll es dann produzieren. Das Besondere daran ist: Der Brennstoffbedarf wird mit Steinkohle gedeckt. Protokolliert von Christoph Berger

Aus Gründen der Versorgungssicherheit, Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit sei dies notwendig, sagt der Betreiber, die Großkraftwerk Mannheim AG. Der Wirkungsgrad bei der Stromerzeugung soll bei 46 Prozent liegen. Mit der angeschlossenen effizienten Kraft-Wärme-Kopplung wird die Brennstoffausnutzung sogar noch bis auf 70 Prozent gesteigert, so die Prognosen. Das ist eine Innovation: Der Wirkungsgrad der Kohleverstromung liegt global gerade einmal bei 30 Prozent. Block 9 bildet damit die Basis für den geplanten Ausbau des regionalen Fernwärmenetzes, das bereits heute zu den größten in Europa zählt. Mit seiner Leistung wird er rund 25 Prozent des Strombedarfs der Metropolregion Rhein-Neckar abdecken. Bilfinger Berger Spezialtiefbau erhielt den Auftrag, die Gründungsarbeiten des neuen Kraftwerkblocks für zirka 23 Millionen Euro zu realisieren. Das Unternehmen stellte 820 Gründungspfähle mit Durchmessern von 0,90 bis 2,00 Metern mit einer Gesamtlänge von etwa 10.600 Metern her. Außerdem wurden wasserdichte Baugruben mit Spundwandumschließungen von zirka 9200 Quadratmetern Fläche und Unterwasserbetonsohlen gebaut sowie eine Weichgelsohle mit einer Fläche von knapp 7000 Quadratmetern für die größte Baugrube des Blocks, das Maschinenhaus. Und es wurde eine Uferspundwand mit etwa 6400 Quadratmetern Fläche für die Kaianlage zur Entladung von Kohlebinnenschiffen errichtet – denn das Kraftwerk liegt direkt am Rhein. Inzwischen sind die Arbeiten weiter fortgeschritten. Außer dem Maschinenhaus sind für den Block ein Kühlwasserbauwerk, Schornstein, zwei Flugaschesilos, die Warte, das Kesselhaus, zwei Rauchgasreinigungsanlagen und zwei Kohlelagerplätze für die Vor- und Entsorgung notwendig. Der Schornstein ist 180 Meter, das Kesselhaus 120 Meter hoch. Das Maschinenhaus ist von außen fertig, innen werden bereits die zahlreichen Maschinen montiert. Weit fortgeschritten sind auch die Arbeiten an der Rauchgasentschwefelungsanlage (REA). Es entsteht ein kreisrundes Wäscherfundament. Als „Wäscher“ bezeichnet man den Teil der REA, in dem das bei der Verbrennung von Kohle freigesetzte Schwefeldioxid mit Hilfe einer Kalksteinsuspension aus dem Rauchgas ausgewaschen wird. Im Rahmen der Planungen wurde zudem eine Fläche für die Errichtung einer CCS-Anlage (Carvon Capture and Storage) zur Abscheidung von CO2 vorgesehen. Sobald diese Technologie zur Verfügung steht, ist damit eine Nachrüstung möglich. Allerdings wird die großtechnische Anwendung dieser Technologie nicht vor 2020 erwartet.

Bauen im Bestand

Zu der großen gesellschaftlichen Herausforderung der Energiewende gehört auch die Sanierung oder Modernisierung von Bestandsgebäuden – bekannt unter dem Begriff: „Bauen im Bestand“. Mit gezielten Fort- und Weiterbildungen ergeben sich in dem Segment vielfältige Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten für Bauingenieure. Von Dipl.-Phys. Ing. und Dipl.-Wirtsch. Ing. (FH) Michael Kenski www.pl2-pluralis.de

Die Zahlen verdeutlichen die Brisanz des Themas: 40 bis 50 Prozent des Ressourcenverbrauchs ist auf den Bau und den Betrieb von Bauwerken zurückzuführen. 80 Prozent der Kosten im Immobilienlebenszyklus fallen dabei in der Nutzungsphase an – nur fünf Prozent in der Planung und etwa 15 Prozent während des Baus. Berechnungen haben ergeben, dass sich durch eine Sanierung von Gebäuden der CO2-Ausstoß um etwa 50 Prozent reduzieren lässt. Das entspricht zirka 200 Millionen Tonnen weniger CO2 im Jahr. Es ist also sinnvoll, beim Bauen im Bestand die Hebel anzusetzen, um erfolgreich auf die von der Politik formulierten Ziele bezüglich der Energiewende hinzuarbeiten. Hauptakteure können dabei Bauingenieure sein – insofern sie sich auf die spezifischen Herausforderungen des Bereichs einlassen. Bauen im Bestand ist sehr facettenreich. Es geht dabei zum Beispiel um Schadstoff- und energetische Sanierungen, den Rückbau von Bauten, Standsicherheitsfragen, Gebäudeschäden und den baulichen Brandschutz. Doch anders als beim Neubau ist beim Bauen im Bestand die Gestaltung bereits vorgeben. Wir starten mit einer intensiven Grundlagenermittlung und Bestandsaufnahme von bereits Gebautem. In diese Planungsphase werden viel Zeit und Kapazitäten investiert, um die Gebäude ganzheitlich betrachten zu können. Schließlich hängen viele Dinge miteinander zusammen, sodass sich womöglich Synergien ergeben, die schließlich zu einem optimaleren Ergebnis führen. Beispielsweise durchläuft eine Lüftungsanlage ein gesamtes Gebäude und kommt damit zwangsläufig auch mit Brandschutzmaßnahmen in Kontakt. Da schadstoffhaltige Bauprodukte in der Vergangenheit häufig aus brandschutztechnischen Gründen eingebracht wurden, besteht auch hier ein unmittelbarer Zusammenhang. Nach einer Gesamtbetrachtung lassen sich daher meist durch die Kombination der Einzelmaßnahmen und die sinnvolle Integration in den Bauablauf gleich an mehreren Punkten Kosten einsparen. Bei der Betrachtung von energetischen Maßnahmen, wie zum Beispiel dem Anbringen einer neuen Dämmung an der Außenfassade oder dem Austausch der Fenster, sollten immer auch die Auswirkungen auf Einsparungen im Bereich von ohnehin anstehenden Unterhaltsmaßnahmen sowie die Kosten für Wartung und Reinigung berücksichtigt werden. Zusätzliche Investitionen kosten zwar zu Beginn mehr Geld, haben sich aber oft schon in absehbarer Zeit amortisiert. Für Bauingenieure bedeuten diese Aufgaben vor allem ingenieurtechnischen Sachverstand, Wissen in unterschiedlichsten Bereichen und die Fähigkeit, in interdisziplinären Teams zu arbeiten, um gemeinsam die bestmögliche Lösung für den Kunden zu entwickeln. Viele der für die Arbeit notwendigen Punkte werden in einem bauingenieurwissenschaftlichen Studium zwar angesprochen, gezielte Fort- und Weiterbildungen sind jedoch eine elementare Voraussetzung, um derartige Projekte schließlich erfolgreich bearbeiten zu können. Am besten ist es dabei, sich auf ein Gebiet zu spezialisieren – bis hin zum Status eines Sachverständigen, der Bauten hinsichtlich bestimmter Kriterien begutachten darf. Dieses fundierte Mehrwissen führt erfahrungsgemäß zu einer sicheren Anstellung und ist Voraussetzung, um eines Tages Gesamtprojekte zu koordinieren.

Studiengang

Die Hochschule Regensburg bietet für Bauingenieure seit 2008 den Masterstudiengang „Bauen im Bestand“ an. Er kann als Vollzeitstudium (3 Semester) oder als Teilzeitstudium (5 Semester) absolviert werden. Abgeschlossen wird mit dem Titel Master of Engineering. www.hs-regensburg.de
Nicht zu vernachlässigen ist bei derartigen Projekten die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit Experten aus anderen Spezialgebieten. Zusammen entwickeln sie ein auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittenes Lösungskonzept. Und es ist wichtig zu wissen: Beim Bauen im Bestand gibt es keine Standardlösungen. Jedes Gebäude muss individuell betrachtet werden, darauf aufbauend nicht nur eine technische, sondern auch wirtschaftliche Lösung gefunden werden. Auf Bauingenieure kommen somit auch beratende Aufgaben zu. Die Motivation und der Entschluss eines Bauherrn zu einer Modernisierung oder Sanierung können ganz unterschiedlich sein. Es kann zum Beispiel sein, dass die Baustruktur nicht mehr den gesetzlichen Regelungen entspricht, etwa im Bereich des Brandschutzes. Oder es wurden Innenraumschadstoffe gefunden, die nun ausgetauscht werden müssen. Es kann auch sein, dass die Nutzungsqualität und das Behaglichkeitsempfinden nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht, sodass Mieter und Nutzer Druck auf den Besitzer ausüben. Überhaupt ändert sich der Anspruch der Nutzer in den letzten Jahren. So wollen Unternehmen die Umgebung für ihre Mitarbeiter bestmöglich gestalten – dazu gehört auch das Raumklima – und sie wollen Mieter in einem Gebäude sein, das möglichst wenig Energie verbraucht. Das Aufgabengebiet für Bauingenieure ist groß. Doch mit dem nötigen Wissen können sie nicht nur erfolgreich in ihrem Beruf arbeiten, sondern auch sinnvoll auf die Umwelt einwirken.

Literatur

TSP Theißen, Stollhoff & Partner: Bauen im Bestand: Sanierung – Modernisierung – Umbau. Rechtsleitfaden für die Bau- und Immobilienwirtschaft. Fraunhofer Irb 2012. ISBN 978-3816787181. 39,80 Euro Institut für Bauforschung, Bundesarbeitskreis, Arbeitskreis Altbauerneuerung (Hrsg.): Bauen im Bestand: Schäden, Maßnahmen und Bauteile – Katalog für Altbauerneuerung. Verlagsgesellschaft Müller 2008. ISBN 978-3481024307. 89 Euro

„Sparen fängt beim Ausgeben an“

Moritz Zielke ist nicht nur der „Momo“ aus der „Lindenstraße“. Zusammen mit Wibke Schaeffer bietet er ökologische Umbauten und Renovierungen an – und leistet Überzeugungsarbeit. Das Interview führte Petrina Engelke

Zwischen Baustelle und TV-Kulisse

Zielke, Jahrgang 1973, stand mit zehn Jahren das erste Mal vor der Kamera. In einer Medienfamilie groß geworden, wuchs er in den Beruf hinein und wurde bekannt als „Momo“ in der „Lindenstraße“. Weil er sich schon immer für Gestaltung interessierte, studierte er in Köln Design. Vor anderthalb Jahren gründete er zusammen mit der Architektin Wibke Schaeffer das Planungsbüro Wiederverwandt und kümmert sich dort um ökologische Innenarchitektur und nachhaltiges Design. Auch das hat ihn vor die Kamera gebracht: Für die ARD haben die beiden an mehreren Ratgebersendungen mitgewirkt. Zudem hat Zielke eine Castingagentur und spielt Schlagzeug in mehreren Bands. Doch so oft er die Aufgaben auch wechselt: Ganz oben auf seiner Prioritätenliste stehen seine beiden Kinder. www.wiederverwandt.de
Herr Zielke, man hört bei Ihnen oft das Wort „Quark“. Was hat das mit Bauen zu tun? Wir wollen den Menschen nahebringen, wie man ökologisch sinnvoll saniert, renoviert und gestaltet, wir beschäftigen uns mit Recycling und Upcycling und bieten Seminare zu Wand- und Bodengestaltung an. Dafür haben wir eine sogenannte Kaseinfarbe ausgegraben. In Ökobaukreisen ist das ein alter Hut: Man stellt aus Quark einen Binder für eine Farbe her, indem man ihn mit Hirschhornsalz vermischt. Das reagiert mit dem Quark und wird zu einer klebrigen Masse, einem Binder also. Dort hinein rührt man Titanweiß, Kreide oder bunte Pigmente. Damit hat man eine selbstgemachte Farbe, die ökologisch sinnvoll und für das Raumklima gut ist. Sie löst keine Allergien aus und enthält keine Konservierungsmittel. Eben haben Sie es erwähnt: Was ist denn Upcycling? Es gibt Recycling, Downcycling und Upcycling. Recycling ist zum Beispiel, Altpapier wieder zu Schreibpapier zu machen. Downcycling wäre zum Beispiel, dass man alte Fahrradschläuche schreddert und daraus eine Bautenschutzmatte macht. Denn Kautschuk kann man nicht einschmelzen, das muss man kleinschreddern und dann mit einem Kleber verarbeiten. Und Upcycling heißt, dass man Müll in eine höhere Nutzung überführt. Zum Beispiel aus ausgedienten Müllcontainern ein Sofa baut oder aus alten Ampelgläsern eine Lampe macht. Dabei muss man aber immer schauen, ob es Sinn macht. Alte Fahrradschläuche etwa sind bei Designern sehr angesagt, doch darüber kann man geteilter Meinung sein, weil das Material polyaromatische Kohlenstoffe freisetzt. Beim Renovieren, Umbauen und Ausbauen denkt man in erster Linie an Dreck. Wie schlagen Sie die Brücke zu Ästhetik und Design? Klar assoziiert man mit Umbauen Dreck, aber Wohnraumplanung ist auch immer Gestaltung. Man kann vorhandene Räume umgestalten, zum Beispiel mit einer neuen Farbgebung, einem neuen Lichtkonzept, selbstgebauten Möbeln, oder man kann von Grund auf Häuser aufbauen oder Wände einreißen. Dabei müssen wir den Menschen vermitteln: Sparen fängt beim Ausgeben an. Es ist nicht damit getan, einen relativ günstigen Boden zu verlegen, den man aber nach drei Jahren wieder hinauswerfen kann, weil er dann schäbig aussieht. Stattdessen kann man in einen vernünftigen Holzboden investieren, den man über 50 Jahre immer wieder abschleifen, wischen oder laugen kann. Das ist nicht immer möglich, da muss man dann kleine Lösungen finden. Was würden Sie jemandem raten, der Bauingenieurwesen studiert? Auf jeden Fall, sich mit solchen Techniken beschäftigen. Und zwar für die gesamte Baukette, angefangen mit der Frage: Woher beziehe ich mein Material? Das Ziel ist, dass man relativ wenig Schaden anrichtet und wenig Energie verbraucht, natürliche Materialien verwendet, Ökobilanzen studiert und so weiter. Ökologisches Bauen war schon vor 30 Jahren ein Thema. Was ist heute anders? Weil in Deutschland Energiepässe gebraucht werden, wird das ressourcenschonende Bauen auch vom Gesetzgeber verlangt. Dadurch ist ökologisches Bauen in einer breiteren Bevölkerungsschicht angekommen. Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre hat sich nur eine eingeschworene Gruppe damit befasst. Aber genauso, wie die alten Bioläden Biosupermärkten Platz gemacht haben, ist diese Entwicklung aus ihrer Ecke herausgekommen. Da kann man klagen, dass das nicht überall die reine Lehre ist. Dass es Sinn hat, so zu bauen, steht immer mehr im Fokus, aber es gibt noch viel zu tun und zu überzeugen. Apropos viel zu tun: Sie arbeiten als Designer im Planungsbüro Wiederverwandt und als Schauspieler in der „Lindenstraße“. Machen Sie eher eins nach dem anderen, oder mischen Sie alles? Im Moment steht das Design im Vordergrund: Wiederverwandt gibt es seit anderthalb Jahren, und eine Gründung braucht viel Zeit und Energie. Im Tagesablauf gibt es Verschiebungen. Es gibt Zeiten, wo man sehr viel switchen muss zwischen den einzelnen Jobs. Auch mit Wiederverwandt haben wir an Fernsehberichten mitgestrickt. Dann berät man Bauherren, bereitet einen Workshop vor, versucht, Upcycling-Gestaltungen anzubringen. Diese Anforderungen haben nicht unbedingt viel miteinander zu tun. Wir haben es uns aber ausgesucht, etwas zu tun, das sehr abwechslungsreich ist.

Herausforderung Energiewende

Die angestrebte Energiewende ist eine der größten Herausforderungen für Deutschland in den kommenden Jahren. Die ambitionierten Ziele der Bundesregierung eröffnen der Bauindustrie und damit auch Bauingenieuren neue und vielfältige Chancen mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Von Jürgen Bröker

Die Energiewende

Die Ziele der Bundesregierung 2020:
  • Anteil erneuerbarer Energien auf 35 Prozent steigern
  • Windparks mit bis zu 10.000 MW Leistung installieren
  • Stromnetz um etwa 4400 Trassenkilometer erweitern
2022:
  • Ausstieg aus der Kernenergie
2030:
  • Anteil erneuerbarer Energien auf 50 Prozent steigern
  • Windparks mit bis zu 25.000 MW Leistung installieren
  • Speicherzubau von 6,5 GW (DENA) bzw. 10 GW (DB) nötig
2050:
  • CO2-Emissionen um 80 Prozent senken
Flüge im Helikopter, tagelange Aufenthalte auf einem Montageschiff – die Arbeit als Bauingenieur bei der Errichtung von Offshore-Windparks draußen auf hoher See ist nichts für schwache Nerven. „Man sollte auf jeden Fall seeund luftfest sein“, sagt Thomas Erhardt von der RWE Innogy Tochter Offshore Logistics Company (OLC). Aktuell realisiert das Unternehmen zwei große Projekte vor der nordwalisischen Küste und vor Helgoland mit 576 beziehungsweise 295 Megawatt Leistung. Und weitere Projekte stehen in den Startlöchern. Wie viele andere Anbieter investiert auch RWE in erneuerbare Energien. Hintergrund ist die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Energiewende. Bis 2020 soll demnach der Anteil der erneuerbaren Energien an der Energiebereitstellung in Deutschland von derzeit etwa 25 Prozent auf dann 35 Prozent steigen. Gute Chancen also für Bauingenieure – die in allen dazugehörenden Bereichen ihren Beitrag zu diesem Mammutvorhaben leisten können: bei der Erzeugung, beim Transport, bei der Speicherung und dem Verbrauch. „Der Wettbewerb um die besten Kräfte ist voll entfacht“, sagt Thomas Erhardt. Die OLC sucht Bewerber, die vor allem flexibel und mobil sind. „Wir arbeiten bei der Errichtung der Offshore-Parks im Zwei-Wochen-Rhythmus.“ 14 Tage bleiben die Ingenieure mit ihren Teams auf den speziellen Installationsschiffen und bauen vor Ort die Anlagen auf. Anschließend haben sie zwei Wochen frei. Bei schlechtem Wetter bleibt das Schiff im Hafen. „Auch mit solchen Unterbrechungen muss man umgehen können“, sagt Erhardt. Fährt ein Schiff aber raus, müssen die Teams hochkonzentriert in ihren Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten. Kleinste Fehler können auf dem Meer schließlich weitreichende Folgen haben. Nach der schrittweisen Planung für die Installation der Windkraftanlagen überwachen die Bauingenieure die tatsächliche Errichtung vor Ort. „Das hat den Vorteil, dass sie direkt sehen, ob sich ihre Planung auch in die Tat umsetzen lässt. Das hat einen enorm hohen Lerneffekt für spätere Projekte“, sagt Erhardt. Weil die Hochschulen die speziellen Anforderungen an den Job auf den Wellen kaum vermitteln können, hat RWE ein eigenständiges Traineeprogramm speziell für den Bereich der Erneuerbaren Energien aufgelegt. Bauingenieure werden aber nicht nur für den Bau neuer Wind-, Solaroder Wasserkraftanlagen benötigt. Neue Jobs entstehen derzeit auch bei Anbietern für Energiespeicher- Kraftwerke. Weil die erneuerbaren Energien Schwankungen unterliegen – der Wind bläst nicht immer gleich stark, und auch die Sonne scheint nicht kontinuierlich – muss die zu Spitzenzeiten gewonnene Energie gespeichert werden. Hierzu kommen momentan vor allem Pumpspeicherkraftwerke in Frage. Und auch der Ausbau des Stromnetzes ist ein großes Thema. Allein bis 2020 sollen über 4000 Kilometer neue Hochspannungsleitungen gebaut werden. „Bauingenieure im Netzbau sind für die fachgerechte Umsetzung der Planung verantwortlich und optimieren ständig die Ausführungstechnik durch ihre vor Ort gemachten Erfahrungen“, sagt Karl Jelinski, Prokurist und Technischer Leiter Netzbau bei Leonhard Weiss. Für Jelinski liegen die besonderen Herausforderungen in diesem Fachbereich darin, die neuen Technologien zu verstehen und zu beherrschen, die beim Netzausbau speziell im Kabel- und Leitungsbereich zum Einsatz kommen. „Hinzu kommt der Umgang mit dem zeitlichen Druck und der positive Dialog mit den betroffenen Anwohnern und Anliegern.“ Außerdem verändern sich mit den Aufgaben auch die Einsatzgebiete. Der Tätigkeitsbereich werde sich zukünftig sicher auf ganz Deutschland ausdehnen, werde möglicherweise sogar international, so Jelinski. Daher sind zeitliche und räumliche Flexibilität wesentliche Voraussetzungen für Bewerber. Zusätzlich helfe eine breit gefächerte Ausbildung im Bereich der Bauverfahren und Baustoffe im Tiefbausektor sowie elektrotechnische Grundkenntnisse. Insgesamt ist die Energiewende für die Bauindustrie die wohl größte Herausforderung der nächsten Jahre. Für angehende Bauingenieure ist sie zudem eine Chance, die Zukunft mitzugestalten. „Uns ist dabei sehr wohl bewusst, dass Hochschulstudiengänge kaum so schnell angepasst oder entwickelt werden können, wie es die Baustellenrealität manchmal erfordert“, sagt Jelinski. Das Unternehmen setzt daher auf eine eigene Akademie. So kommt ihr dringend benötigtes Wissen schnell zum Einsatz.

Aufgestiegen zum Bauleiter

Vor allem in letzter Zeit geht es für Stefan Kretzler darum, den Überblick zu wahren: Er ist als Bauleiter parallel für drei Bauprojekte seines Arbeitgebers Goldbeck verantwortlich. Von Christoph Berger

Stefan Kretzlerstudierte Bauingenieurwesen an der Universität Karlsruhe …eingestiegen 2009 als Werkstudent bei Goldbeck …aufgestiegen 2010 zum Bauleiter bei Goldbeck
Bei dem größten Projekt handelt es sich um den Neubau eines Logistikzentrums mit angegliedertem Bürotrakt im Raum Stuttgart. Im Juni dieses Jahres erfolgte der erste Spatenstich. Kretzler stand damals zusammen mit den Auftraggebern der Halle sowie einigen Goldbeck-Managern mit dem obligatorischen Spaten vor den Kameras der Fotografen. Seitdem hat sich auf dem einst ebenen Baugrund viel getan. Bereits drei Monate später, im September, feierte man traditionsgemäß mit der Fertigstellung des Daches Richtfest. „Wir garantieren unseren Kunden, in sechs Monaten schlüsselfertig zu bauen. Diese Termine können wir prinzipiell immer halten – es sei denn, Auftraggeber wünschen mal besondere Extraleistungen. Oder das Wetter spielt überhaupt nicht mit“, erklärt der 29-Jährige. Kretzler hat Bauingenieurwesen an der Universität Karlsruhe mit Bachelorabschluss studiert. Während der Zeit entstand auch der erste Kontakt zu seinem künftigen Arbeitgeber. Erst absolvierte er dort sein Praxissemester, danach arbeitete er als Werkstudent in dem Unternehmen weiter. „Mir gefiel von Beginn an die Unternehmensstruktur und -kultur. Goldbeck ist ein inhabergeführtes Familienunternehmen. Das merke ich immer wieder in meiner täglichen Arbeit. Ich bin nicht nur eine Nummer, sondern das Konzept der ‚Großfamilie‘ ist tatsächlich zu spüren“, zählt er die für ihn wichtigen Vorzüge auf. Trotzdem arbeitete der junge Bauingenieur direkt nach seinem Studienabschluss erst einmal drei Monate in einem kleinen Ingenieurbüro für Straßenbau. Doch während dieser Zeit war ihm klar: „Ich will zurück.“ Sein erstes Projekt als Bauleiter war eine Produktionshalle. Die größte Herausforderung bestand damals darin, Solarpanel in das Dach zu integrieren. „Ich hatte einen erfahren Projektleiter an der Seite. Und mir halfen die Erfahrungen aus dem Praxissemester“, erinnert er sich. Außerdem hatte Kretzler vor seinem Studienstart bereits eine Schreinerausbildung abgeschlossen. Auch dieses Praxiswissen half ihm, das Projekt erfolgreich abzuschließen. „Gerade ältere Handwerker lassen sich nur ungern etwas von einem Jungspund sagen. Durch meine Ausbildung fand ich aber schnell den richtigen Umgangston“, sagt er. Schnell ist Kretzler mit den Handwerkern beim „Du“. Überhaupt bevorzugt er die Kommunikation auf gleicher Höhe. Das schließt jedoch nicht aus, dass er Entscheidungen auch mal energisch durchsetzt. Immerhin ist er letztendlich für die von ihm begleiteten Baustellen verantwortlich – gegenüber dem Bauherrn, den Nachunternehmern und der eigenen Firma. Natürlich auch gegenüber sich selbst, denn er möchte die Werte seines Unternehmens auch nach außen leben. Er steuert die einzelnen Gewerke, setzt die Termine, kontrolliert die geleisteten Arbeiten und nimmt sie ab. Ein internes IT-System hilft ihm bei der Leistungsfeststellung – so behält er den Überblick über die Kosten. Die Baustellenorganisation Bei seinem ersten Projekt kamen regelmäßig die Bauherren vorbei, um sich die Entwicklungen direkt vor Ort anzusehen. „Glücklicherweise bekam ich immer gutes Feedback“, erinnert er sich. Auf die Qualität vieler Materialien kann er sich grundsätzlich verlassen, denn die produziert Goldbeck in der Regel selbst. Das Unternehmen betreibt eine eigene Stahl- und Betonproduktion. „So können wir zum einen die Zeiten und die Qualität garantieren, zum anderen sind die Kommunikationswege kürzer, und individuelle Fertigungsteile können unkomplizierter hergestellt werden“, sagt er. Trotzdem gehört auch hier eine abschließende Kontrolle zu seinen Aufgaben – Fehler kommen schließlich immer mal vor. Um sich auf ein Projekt vorzubereiten und die Baustelle zu planen, hat Kretzler in der Regel zwei bis drei Wochen vor dem eigentlichen Baustart Zeit. Da bekommt er die Bauunterlagen vom Projektleiter und den Planern, die das Projekt vor Baubeginn mit den Kunden abstimmen und sämtliche Vereinbarungen vertraglich festhalten. Ist der erste Spatenstich getan, verfolgt er ein festes Ritual. Um sieben Uhr morgens ist er auf der Baustelle und läuft eine Stunde lang durch das Gebäude: „Ich spreche mit allen Beteiligten und frage, ob es irgendwelche Probleme gibt.“ Sind europäische Mitarbeiter beteiligt, die kein Englisch sprechen, können solche Besprechungen schon mal mit Händen und Füßen geführt werden. An der Logistikhalle beispielsweise, an der er momentan die Aufsicht hat, arbeiten zirka 50 Leute. Nach seinem Rundgang geht er an seinen Schreibtisch in einem Baucontainer. Dort erledigt er den Schriftverkehr und organisiert die nächsten Schritte beziehungsweise protokolliert erledigte Arbeiten. Auf den Dienstag setzt er in der Regel einen Jour-Fixe-Termin, an dem sämtliche Vereinbarungen mit den Nachunternehmern noch einmal durchgesprochen werden. „Jeder Bauleiter hat da seine eigene Vorgehensweise.“ Kretzler selbst darf Aufträge bis zu einer Höhe von 50.000 Euro vergeben. Alles, was über diesem Betrag angesiedelt ist, wird vom Projektleiter entschieden. Der ist Ketzlers direkter Vorgesetzter und auch derjenige, der mit den Bauherren verhandelt. Ketzler kann sich vorstellen, in einigen Jahren selbst Projektleiter zu werden. Doch jetzt möchte er erst noch weiter als Bauleiter arbeiten – mindestens fünf Jahre. Seine Projekte wachsen und werden mehr. Um seine momentan drei Baustellen gut und ausreichend betreuen zu können, hat er einen jungen Bauleiter ins Team bekommen. Nun gibt er seine Erfahrungen und sein Wissen weiter. Gleichzeitig lässt er ihm aber auch ausreichend Raum, damit sich der Neue selbst in die Arbeit einfinden kann. „Ich mag diesen Job“, sagt Ketzler. „Ich lerne ständig neue Menschen kennen und kann mich kreativ in die Arbeit einbringen. Das gefällt mir.“

Eventmanagement für Baggerballett

Matthias Wolf (26 Jahre, Bauleiter bei Wolff & Müller) strebte schon zu Beginn seines Studiums eine gewisse Flexibilität an: Durch die Verbindung von kaufmännischem mit technischem Wissen lernte er gleich zwei Ebenen kennen, was ihm in seiner heutigen Funktion als Bauleiter sehr hilfreich ist. Von Christoph Berger

Seit September dieses Jahres befindet sich Matthias Wolfs Arbeitsplatz direkt in der Kölner Innenstadt. Dort ist das Bauunternehmen Wolff & Müller mit der Bauausführung für den Neubau eines Hotels beauftragt worden – unweit des Hauptbahnhofs und fußläufig zum Rhein. Wolf ist innerhalb des Bauprojekts einer von zwei Bauleitern. Für ausgiebiges Flanieren an der Rheinpromenade dürfte dem 26-Jährigen jedoch wenig Zeit bleiben. Zusammen mit seinem Kollegen hat er auf der Baustelle vielfältige organisatorische und aufsichtsrelevante Aufgaben zu leisten. „Nach dem Abriss des Bestandgebäudes laufen nun die Verbau- und die Aushubarbeiten“, erklärt er den Stand der Arbeiten. Dann wird mit dem eigentlichen Bau begonnen. Wenn das Hotel Ende 2013 fertiggestellt ist, werden dort 205 Zimmer und zwei Suiten für Gäste zur Verfügung stehen. Das Kölner Hotel ist nicht das erste Projekt, an dem Wolf in der verantwortungsvollen Funktion eines Bauleiters mitarbeitet. Und das, obwohl er erst im Mai 2011 sein Wirtschaftsingenieurstudium mit Fachrichtung Bau an der RWTH Aachen abgeschlossen hat. „Den Kontakt zu Wolff & Müller hatte ich schon früh hergestellt. Bereits während des Studiums habe ich in dem Unternehmen ein 16-wöchiges technisches Praktikum absolviert, danach als Werkstudent weitergearbeitet. Und schließlich habe ich dort dann auch noch meine Diplomarbeit geschrieben“, beschreibt er seinen Start. Schon damals hat er auf Baustellen mitgearbeitet und die Abläufe mitbekommen. Dies kam ihm in dem anschließenden technischen Traineeprogramm und bei den ersten Projekten zugute. Er erklärt: „Nach dem Abschluss des Traineeprogramms ist der nächste logische Schritt die Weiterarbeit als Bauleiter.“ Das Traineeprogramm dauert ein Jahr. In der Zeit beschäftigen sich die Einsteiger mit unterschiedlichsten Querschnittsdisziplinen, die für ihre spätere Arbeit wichtig sind. Es geht zum Beispiel um Kalkulation und den technischen Innendienst. In ihrem ersten Projekt bekommen sie außerdem einen erfahrenen Bauleiter unterstützend zur Seite gestellt. Aber Wolf hat auch gelernt, dass außer dem Fachwissen für die erfolgreiche Projektdurchführung noch etwas anderes ganz entscheidend ist: „Man muss gut mit allen am Bau Beteiligten klarkommen.“
Matthias Wolf, Foto: Wolff & Müller
Matthias Wolf, Foto: Wolff & Müller
Eine gute Arbeitsatmosphäre herzustellen, ist nicht immer ganz einfach, schließlich sind bei Bauprojekten die Interessen vieler zu beachten: die des Bauherren, die der Nachunternehmer und letztlich auch die des eigenen Unternehmens. Hier zu vermitteln und einen Einklang zu erreichen, erfordert ein gehöriges Maß an Fingerspitzengefühl und Diplomatie – sowie auch an Durchsetzungsvermögen. „Der Ton ist manchmal hart“, weiß Wolf. „Aber auch immer fair.“ Während der Projektphasen verlegt Wolf sein gesamtes Büro auf die Baustelle – manchmal in einen Container mit Fenstern, manchmal in ein an die Baustelle angrenzendes Gebäude. So kann er schnell reagieren und auftretende Probleme direkt regeln. Denn trotz akribischer Vorbereitung: Jeder einzelne Tag ist schwer im Voraus planbar. So muss während eines Projekts immer wieder umdisponiert werden, um die Baustellenprozesse im Fluss zu halten und unnötige Kosten zu vermeiden. Wolf koordiniert als Bauleiter die Termine. Er weist außerdem Nachunternehmer ein, ist verantwortlich für die rechtzeitige Lieferung von Materialien, prüft die Qualität und korrekte Ausführung der geleisteten Arbeiten sowie die eingehenden Rechnungen. Und er organisiert die Gerätedisposition. „Im Prinzip ist jede einzelne Baustelle mit einem kleinen Unternehmen vergleichbar.“ Dafür ist organisatorisches Talent und technisches Wissen notwendig. Auch deshalb, um die vertraglich festgeschriebenen Leistungen korrekt zu erfüllen. Und manchmal schaut der Auftraggeber selbst auf der Baustelle vorbei. Dann läuft Wolf mit ihm über Gerüste und Balken und zeigt ihm die neuesten Entwicklungen. Außerdem freut er sich dabei über die Vielseitigkeit seines Jobs und darüber, dass er trotz seines Alters von allen Beteiligten ernst genommen wird. „Im Grunde genommen sind wir Eventmanager für Baggerballett.“

Mein Bewerbungsgespräch bei: Arcadis

Bevor ich 2010 bei dem Projekt- und Ingenieurdienstleister Arcadis begann, hatte ich schon fünf Jahre in der Schweiz gearbeitet. Dort habe ich mich mit Baustoffen beschäftigt. Es war mir jedoch wichtig, in einem Ingenieurbüro Berufserfahrung in meinem Studienhauptfach Geotechnik zu sammeln.

Zur Person

Name: Sonja Paulsen Hochschulabschluss als: Bauingenieurin (Diplom) Warum Arcadis? international aufgestelltes Unternehmen, spannende und innovative Projekte, gute Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Bewerbung als: Projektingenieurin Geotechnik Bewerbungsweg: schriftliche Bewerbung per E-Mail Wann war das Vorstellungsgespräch? August 2009 Wann war Arbeitsbeginn? März 2010
Dieses sowie Massivbau und Statik waren meine Vertiefungen im Diplomstudiengang Bauingenieurwesen an der TU Darmstadt gewesen. Schon damals hatte ich einiges über Arcadis mitbekommen, denn das Unternehmen hatte zahlreiche spannende Projekte, die uns immer mal wieder in den Vorlesungen vorgestellt wurden. Daher schaute ich auf deren Webseite nach offenen Stellen und fand eine Position, die ziemlich genau meinen Vorstellungen entsprach. Es wurde eine Projektingenieurin Geotechnik gesucht, und ich bewarb mich. Kurze Zeit später wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch mit Vertretern der Personalabteilung eingeladen. Es folgten noch zwei weitere Termine: eines mit meinem heutigen Vorgesetzten, ein drittes mit dem Bereichsleiter. In den Gesprächen musste ich mich mit all meinen Vorkenntnissen, Erfahrungen und Zielen vorstellen. Mir gefiel, dass sich das Unternehmen selbst auch sehr genau präsentierte. Mich reizten dabei die abwechslungsreichen Projekte, die Möglichkeit, sowohl im Büro als auch auf der Baustelle zu arbeiten, sowie der direkte Kontakt mit Kunden, den ich haben würde. Arcadis ist zudem weltweit aufgestellt, sodass ich auf Wunsch auch mal Projekte im Ausland begleiten oder mich an dem angebotenen internationalen Austauschprogamm Quest beteiligen kann. Wichtig war mir außerdem, dass das Unternehmen flexible Arbeitszeiten anbietet und für die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern einsteht. Gerne wollte ich in dem Unternehmen beginnen. Und Arcadis wollte mich auch. Einige Tage nach dem letzten Vorstellungsgespräch erhielt ich einen Anruf, in dem mir die ausgeschriebene Stelle angeboten wurde. Natürlich sagte ich gerne zu. Da ich damals noch in der Schweiz lebte, stimmte man sich mit mir ab und richtete sich auf meine persönliche Situation ein. Ich hatte ausreichend Zeit, Umzug und Abschied zu organisieren. Seitdem beschäftige ich mich mit Baugrunderkundungen und Gründungsberatung. Ich erstelle Baugrundmodelle, führe Standsicherheitsberechnungen durch und berate Kunden baubegleitend hinsichtlich geotechnischer Fragestellungen. Anfangs waren es noch kleinere Projekte, die ich bearbeiten sollte und für die mir Kollegen als Ansprechpartner zur Seite gestellt wurden. Dann wurden die Projekte und die Verantwortung größer – natürlich wuchs auch mein Erfahrungsschatz. Und bei jedem Projekt gibt es neue Herausforderungen, die zu meistern sind. Das ist der ganz besondere Reiz der Projektarbeit, das macht meine Tätigkeit abwechslungsreich.

Technik plus Abenteuer

Wer als Bauingenieur bei dem in Nürnberg ansässigen Unternehmen Gauff Engineering einsteigt, für den ist Projektarbeit im Ausland früher oder später obligatorisch. Das Unternehmen ist weltweit aktiv – eine Kernregion ist Afrika. Von Christoph Berger

Sebastian Jung kann seit Juni 2012 nicht gerade behaupten, dass sein Arbeitsleben ruhiger verläuft. Auch wenn der 32-jährige Bauingenieur seitdem von Nürnberg aus arbeitet: Er wurde bei Gauff Engineering zum Leiter des Fachbereichs Energie befördert und ist außerdem Assistent des technischen Geschäftsführers geworden. „Jetzt werde ich wohl nur noch zehnmal pro Jahr in Afrika sein“, erzählt er. Das war bis zum Sommer noch anders: 2010 übernahm er die Oberbauleitung für die Wasserkraftanlage „Grand Poubara“ in Gabun. Vor Ort verantwortete er die Planprüfung und Bauüberwachung des Großprojekts am Ogooué-Fluss im Südosten des zentralafrikanischen Staates. Das Kraftwerk soll bei Fertigstellung im Jahr 2014 mit vier Francis-Turbinen 160 Megawatt Energie aus Wasser produzieren. „Generalunternehmer ist ein chinesisches Unternehmen. Ich pendelte also zwischen China und Gabun, um die Direktion des Gabuner Energieministeriums – die Besprechungen mit deren Vertretern fanden auch in China statt – über die Bauentwicklungen auf dem Laufenden zu halten und die fortlaufenden Arbeiten auf der Baustelle zu überwachen“, sagt Jung. Die Projektbetreuung in weit von Deutschland entfernten Ländern ist für Bauingenieure bei Gauff Normalität. „Wir sind ausschließlich im Ausland unterwegs. Nur unsere Zentrale ist in Deutschland. Von dort werden die Projekte vorbereitet und begleitet“, sagt Rainer Porzelt, Leiter der Personalabteilung des Unternehmens. „Wir sind viel in Asien, Osteuropa, Südamerika und Afrika aktiv, mit Schwerpunkten in Gabun und derzeit in Angola.“ Aufgrund dieser Ausrichtung sind Auslandserfahrungen bei Bewerbern gerne gesehen – zumindest sollte kulturelles Interesse vorhanden sein. Und natürlich ausreichend Sprachkenntnisse. „Englisch ist Grundvoraussetzung. Zudem brauchen wir Mitarbeiter, die Spanisch, Portugiesisch oder Französisch sprechen“, sagt Porzelt. Die Projekte drehen sich hauptsächlich um die Basisinfrastruktur in den aufgezählten Ländern – also um den Brücken- und Straßenbau –, die Themen Energie und Transportwesen. „Einsteiger starten in der Nürnberger Zentrale und bereiten von hier aus Bauprojekte vor. Und irgendwann werden sie dann ins Ausland entsendet“, sagt der Personalchef. Sebastian Jung brachte bei seinem Einstieg viele der gewünschten Voraussetzungen mit. Direkt nach seinem Studienabschluss 2008 an der Hochschule Wiesbaden arbeitete er für ein deutsches Bauunternehmen in Algerien. Danach betreute er für einen französischen Baukonzern ein Projekt in Deutschland. Damals wuchs auch wieder der Wunsch in ihm, erneut in Afrika zu arbeiten. So kam er zu Gauff und übernahm nach zwei Kurzmissionen direkt die Großbaustelle in Gabun. Das bedeutete für ihn eine große Verantwortung: Aber nicht alle seine Freunde verstanden diesen Schritt, so weit und lange weg von der Heimat zu leben. Doch Jung wollte auch Enthusiasmus und Idealismus leben, sein technisches Wissen mit Abenteuer verbinden. „Natürlich ist ein stabiles familiäres Umfeld von Vorteil“, sagt er. „Gauff unterstützt dies auch. Heimreisen sind mehrmals im Jahr möglich.“ Die Familie erde einen, es sei hilfreich, wenn man mit Vertrauten über seine Erlebnisse reden kann, erzählt er. Denn in der Fremde zu arbeiten, ist nicht immer leicht. „Es ist in gewisser Weise auch eine Zeit der Selbsterkenntnis. In neuen Situationen tauchen neue Verhaltensweisen auf, die man so von sich selbst vielleicht überhaupt nicht kannte“, erzählt er. Die Veränderungen betreffen auch den Arbeitsalltag. Jung hatte sich immer wieder auf unterschiedliche Kulturen und Wahrnehmungen einzustellen. Er hat festgestellt, dass es vor allem in den Bereichen Qualität, Zeit, Sauberkeit und Sicherheit unterschiedliche Auffassungen zu Deutschland gibt. „Da ist Improvisations- und Organisationsgeschick gefragt“, weiß er. Klar wurde ihm auch: Jung und seine Kollegen sind Weiße auf einem schwarzen Kontinent – da bleibt man immer der Fremde. Bereut hat er seine Entscheidung, für die Arbeit viel im Ausland unterwegs zu sein, jedoch niemals. In Afrika hatte er vielmehr die Möglichkeit, sich einen Kindheitstraum zu erfüllen: „Als ich klein war, habe ich Bernhard Grzimeks Dokumentarfilm ,Serengeti darf nicht sterben‘ gesehen. Grzimek flog darin mit einem kleinen Flugzeug über den Nationalpark. Das wollte ich auch immer machen. Während des Gabun-Projekts hatte ich dann die Möglichkeit, selbst einen Flugschein zu machen, sodass ich über das Land fliegen konnte.“ Dass gerade die Arbeit im außereuropäischen Ausland auch mit Risiken verbunden sein kann, bestätigt Personalleiter Porzelt: „Das Unfallrisiko auf afrikanischen Straßen steht dabei an erster Stelle. Hinzu kommen umfangreiche medizinische Vorsorgeuntersuchungen – gerade bei älteren Mitarbeitern kommt es aufgrund des Klimas auch manchmal zu Herz-Kreislauf- Problemen. Und wir achten natürlich auf das politische Umfeld in den jeweiligen Ländern. Überall haben wir zahlreiche Mitarbeiter mit ausreichend Erfahrung sitzen, die auch in brenzligen Situationen wissen, wie man sich zu verhalten hat.“
Im September 2011 startete das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung ein Forschungsvorhaben, mit dem eine einheitliche Statistik zur Struktur, Entwicklung und Bedeutung der Auslandstätigkeit deutscher Bauunternehmen geschaffen werden soll. Hintergrund ist die Tatsache, dass neben dem klassischen Auslandsbau vor allem das Geschäft über Tochter- und Beteiligungsgesellschaften deutscher Unternehmen im Ausland große Relevanz hat. Diese bleiben in Statistiken bisher unberücksichtigt, erfasst wird nur der traditionelle Auslandsbau über die Jahresbauleistung im Ausland.
www.bbsr.bund.de

Gezielte Vorbereitung

Christian Qualmann leitete für den Baukonzern Eurovia schon zahlreiche Baustellen im Ausland. Sein Spezialgebiet ist die Herstellung von Schutzeinrichtungen an Straßen in ganz Deutschland und Europa. Auf diese Aufgabe wurde er gezielt vorbereitet. Von Christoph Berger

Eine Woche bevor Christian Qualmann im letzten Jahr einen 18 Kilometer langen Streckenabschnitt der Straße R1 bei Nitra in der Slowakei mit Schutzeinrichtungen als Zweigstellenleiter verantwortete, reiste er schon einmal selbst an die Baustelle, um die Vorbereitungen für den Baustart zu überprüfen. „Auf Bilder und Zusagen ist nicht immer Verlass“, weiß er. Gibt es Probleme, kann er sie vielleicht in den letzten Tagen vor dem eigentlichen Baubeginn noch lösen. Das ist allemal besser, als wenn sein Team und die beauftragten Subunternehmer zum festgesetzten Termin kommen und nicht mit den Arbeiten starten können. „Die Motivation der Mitarbeiter gehört sowieso zu einer der herausforderndsten Aufgaben eines Bauleiters im Auslandseinsatz“, erklärt er. Dazu kann es vor allem bei ungeplanten Pausen kommen, wenn zum Beispiel gelieferte Baumaterialen nicht die geforderte Qualität aufweisen. Qualmann musste schon mehrmals neuen Beton für die Schutzeinrichtungen anliefern lassen, da die erste Fuhre nicht dem angeforderten Standard entsprach. „In solchen Situationen kann die Stimmung in der Kolonne sinken. Da muss man schnell mit Gesprächen gegensteuern“, erklärt er. Qualmann hat inzwischen Erfahrung mit solchen Projekten. Nachdem er 2001 sein bauingenieurwissenschaftliches Studium in Cottbus abgeschlossen hatte, durchlief er viele Stationen bei Eurovia. „Erst war ich technischer Trainee, dann Bauleiter. Später wurde ich Oberbauleiter und 2009 Zweigstellenleiter bei Eurovia Beton in Michendorf bei Berlin“, erzählt er. „Wir stellen Schutzeinrichtungen an Straßen her.“ Seinen erste Baustelle im Ausland leitete er 2006. „Es ging um den Ausbau von zehn Kilometern mit Schutzeinrichtungen an einer Autobahn in Tschechien, der D1“, erinnert er sich. Damit der damals 29-Jährige das Projekt erfolgreich durchführen konnte, wurde er von Eurovia intensiv auf die Aufgabe vorbereitet. „Erst durchlief ich ein speziell auf Hochschulabsolventen zugeschnittenes Trainneeprogramm. Teilnehmer werden darin unter anderem in ihren sozialen Kompetenzen sowie in technischen und in kaufmännischen Belangen geschult“, sagt er. Kommt es zu ersten Projekten, werden den jungen Bauleitern außerdem schon in der Baustellenvorbereitung erfahrene Kollegen zur Seite gestellt. Dabei werden sie auch zu wichtigen Kundenterminen mitgenommen. Qualmann sagt: „Das ist ein sehr wichtiges Ereignis für einen jungen Bauingenieur, da er dabei sehr viel lernen kann.“ Geht es um Schutzeinrichtungen, ist Qualmann inzwischen für fast jede Baustelle im an Deutschland angrenzenden Ausland verantwortlich.