Bauen im Bestand

Foto: Fotolia/rekken78
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Zu der großen gesellschaftlichen Herausforderung der Energiewende gehört auch die Sanierung oder Modernisierung von Bestandsgebäuden – bekannt unter dem Begriff: „Bauen im Bestand“. Mit gezielten Fort- und Weiterbildungen ergeben sich in dem Segment vielfältige Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten für Bauingenieure. Von Dipl.-Phys. Ing. und Dipl.-Wirtsch. Ing. (FH) Michael Kenski
www.pl2-pluralis.de

Die Zahlen verdeutlichen die Brisanz des Themas: 40 bis 50 Prozent des Ressourcenverbrauchs ist auf den Bau und den Betrieb von Bauwerken zurückzuführen. 80 Prozent der Kosten im Immobilienlebenszyklus fallen dabei in der Nutzungsphase an – nur fünf Prozent in der Planung und etwa 15 Prozent während des Baus. Berechnungen haben ergeben, dass sich durch eine Sanierung von Gebäuden der CO2-Ausstoß um etwa 50 Prozent reduzieren lässt. Das entspricht zirka 200 Millionen Tonnen weniger CO2 im Jahr. Es ist also sinnvoll, beim Bauen im Bestand die Hebel anzusetzen, um erfolgreich auf die von der Politik formulierten Ziele bezüglich der Energiewende hinzuarbeiten. Hauptakteure können dabei Bauingenieure sein – insofern sie sich auf die spezifischen Herausforderungen des Bereichs einlassen.

Bauen im Bestand ist sehr facettenreich. Es geht dabei zum Beispiel um Schadstoff- und energetische Sanierungen, den Rückbau von Bauten, Standsicherheitsfragen, Gebäudeschäden und den baulichen Brandschutz. Doch anders als beim Neubau ist beim Bauen im Bestand die Gestaltung bereits vorgeben. Wir starten mit einer intensiven Grundlagenermittlung und Bestandsaufnahme von bereits Gebautem. In diese Planungsphase werden viel Zeit und Kapazitäten investiert, um die Gebäude ganzheitlich betrachten zu können. Schließlich hängen viele Dinge miteinander zusammen, sodass sich womöglich Synergien ergeben, die schließlich zu einem optimaleren Ergebnis führen. Beispielsweise durchläuft eine Lüftungsanlage ein gesamtes Gebäude und kommt damit zwangsläufig auch mit Brandschutzmaßnahmen in Kontakt. Da schadstoffhaltige Bauprodukte in der Vergangenheit häufig aus brandschutztechnischen Gründen eingebracht wurden, besteht auch hier ein unmittelbarer Zusammenhang. Nach einer Gesamtbetrachtung lassen sich daher meist durch die Kombination der Einzelmaßnahmen und die sinnvolle Integration in den Bauablauf gleich an mehreren Punkten Kosten einsparen. Bei der Betrachtung von energetischen Maßnahmen, wie zum Beispiel dem Anbringen einer neuen Dämmung an der Außenfassade oder dem Austausch der Fenster, sollten immer auch die Auswirkungen auf Einsparungen im Bereich von ohnehin anstehenden Unterhaltsmaßnahmen sowie die Kosten für Wartung und Reinigung berücksichtigt werden. Zusätzliche Investitionen kosten zwar zu Beginn mehr Geld, haben sich aber oft schon in absehbarer Zeit amortisiert.

Für Bauingenieure bedeuten diese Aufgaben vor allem ingenieurtechnischen Sachverstand, Wissen in unterschiedlichsten Bereichen und die Fähigkeit, in interdisziplinären Teams zu arbeiten, um gemeinsam die bestmögliche Lösung für den Kunden zu entwickeln. Viele der für die Arbeit notwendigen Punkte werden in einem bauingenieurwissenschaftlichen Studium zwar angesprochen, gezielte Fort- und Weiterbildungen sind jedoch eine elementare Voraussetzung, um derartige Projekte schließlich erfolgreich bearbeiten zu können. Am besten ist es dabei, sich auf ein Gebiet zu spezialisieren – bis hin zum Status eines Sachverständigen, der Bauten hinsichtlich bestimmter Kriterien begutachten darf. Dieses fundierte Mehrwissen führt erfahrungsgemäß zu einer sicheren Anstellung und ist Voraussetzung, um eines Tages Gesamtprojekte zu koordinieren.

Studiengang

Die Hochschule Regensburg bietet für Bauingenieure seit 2008 den Masterstudiengang „Bauen im Bestand“ an. Er kann als Vollzeitstudium (3 Semester) oder als Teilzeitstudium (5 Semester) absolviert werden. Abgeschlossen wird mit dem Titel Master of Engineering.
www.hs-regensburg.de

Nicht zu vernachlässigen ist bei derartigen Projekten die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit Experten aus anderen Spezialgebieten. Zusammen entwickeln sie ein auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittenes Lösungskonzept. Und es ist wichtig zu wissen: Beim Bauen im Bestand gibt es keine Standardlösungen. Jedes Gebäude muss individuell betrachtet werden, darauf aufbauend nicht nur eine technische, sondern auch wirtschaftliche Lösung gefunden werden. Auf Bauingenieure kommen somit auch beratende Aufgaben zu.

Die Motivation und der Entschluss eines Bauherrn zu einer Modernisierung oder Sanierung können ganz unterschiedlich sein. Es kann zum Beispiel sein, dass die Baustruktur nicht mehr den gesetzlichen Regelungen entspricht, etwa im Bereich des Brandschutzes. Oder es wurden Innenraumschadstoffe gefunden, die nun ausgetauscht werden müssen. Es kann auch sein, dass die Nutzungsqualität und das Behaglichkeitsempfinden nicht mehr den heutigen Anforderungen entspricht, sodass Mieter und Nutzer Druck auf den Besitzer ausüben. Überhaupt ändert sich der Anspruch der Nutzer in den letzten Jahren. So wollen Unternehmen die Umgebung für ihre Mitarbeiter bestmöglich gestalten – dazu gehört auch das Raumklima – und sie wollen Mieter in einem Gebäude sein, das möglichst wenig Energie verbraucht.

Das Aufgabengebiet für Bauingenieure ist groß. Doch mit dem nötigen Wissen können sie nicht nur erfolgreich in ihrem Beruf arbeiten, sondern auch sinnvoll auf die Umwelt einwirken.

Literatur

TSP Theißen, Stollhoff & Partner: Bauen im Bestand: Sanierung – Modernisierung – Umbau.
Rechtsleitfaden für die Bau- und Immobilienwirtschaft. Fraunhofer Irb 2012. ISBN 978-3816787181. 39,80 Euro

Institut für Bauforschung, Bundesarbeitskreis, Arbeitskreis Altbauerneuerung (Hrsg.):
Bauen im Bestand: Schäden, Maßnahmen und Bauteile – Katalog für Altbauerneuerung.
Verlagsgesellschaft Müller 2008. ISBN 978-3481024307. 89 Euro