StartBauingenieureAb zum Bau – gegen alle Widerstände

Ab zum Bau – gegen alle Widerstände

In der Baubranche gibt es viel zu tun – beispielsweise auch beim Zukunftsthema Digitalisierung. Was da für eine Karriere auf dem Bau spricht? Eine ganze Menge. Wo sich viel tun muss, gibt es für Talente viele Möglichkeiten, etwas zu bewegen. Und klar ist auch: Die Bauindustrie wird zurückkommen, muss aber auch selbst an ihrer Attraktivität arbeiten. Und auch dafür werden Zukunftspioniere gesucht. Ein Essay von André Boße

Eine kurze Presseschau über die Lage der Bauindustrie – und die Laune ist direkt im Keller. „Schwach“ sei die Branche, heißt es in der Thüringer Allgemeinen. Von „Bürokratie und Krisen“ gehemmt, charakterisiert die Märkische Oderzeitung. Kämpfe mit dem Abbau von Förderungen, rechtlichen Vorgaben und einem Entsorgungsnotstand aus Mangel an Deponien. Zwischendrin keine guten Meldungen aus dem Personalbereich: Dem Bau fehle es an Frauen, Fachkräften, Nachwuchs, Azubis. Na, kein Wunder, denkt man. Wer steigt denn jetzt in eine Branche ein, die mit so vielen Herausforderungen zu kämpfen hat?

Wir sollten bedenken, dass aktuell zwar wenig gebaut wird, aber grundsätzlich ein großer Bedarf besteht. Die Zahl der Bauaufträge wird somit früher oder später kräftig zunehmen.

Blick auf Neues statt Downsizing

Zeit für die Gegenstimme. Marvin Ronn ist Co-Geschäftsführer von Topeople, einer auf die Baubranche spezialisierten Personalberatung mit Sitz in Offenbach. In einem Meinungsbeitrag nennt er interessante Argumente, warum ein Einstieg auf dem Bau zu empfehlen ist. Nicht trotzdem, sondern gerade jetzt. Zunächst einmal hält er fest, dass der Begriff von einer Baukrise keine Übertreibung darstellt. Und dass auch nicht zu übersehen sei, dass viele Bauunternehmen darauf reagieren, indem sie ihre Kapazitäten verkleinerten und sich dabei auch von Mitarbeitenden trennten.

Foto: AdobeStock/sarushen
Foto: AdobeStock/sarushen

BIM-Pflicht für Bundes-Aufträge

Um für maximale Transparenz sowie Sicherheit in der Planung und bei den Kosten zu sorgen, ist bei öffentlichen Infrastrukturaufträgen seit 2020 BIM verpflichtend. Seit Anfang 2023 gilt das auch für vom Bund beauftragte Hochbauten. Durch diese Verpflichtung, so erhoffte sich die Politik, würden viele Bauunternehmen die Zeichen der Zeit verstehen und sich BIM auch bei privaten sowie vom Land oder den Kommunen vergebenen Hochbauaufträgen durchsetzen. Doch zeigen aktuelle Studien wie die von PwC, dass hier noch viel Potenzial ist.

Marvin Ronn hält das für eine verständliche, aber strategisch fragwürdige Maßnahme: „Entlassungen werden die Kosten natürlich senken, doch die Erfahrung zeigt uns, dass sich einmal abgebaute Kapazitäten nicht kurzfristig wieder aufbauen lassen. Die Fachkräfte kommen schließlich nicht einfach zurück, wenn sie die Firma ruft.“ Wobei der Experte davon ausgeht, dass genau dieser Moment kommen wird: „Wir sollten bedenken, dass aktuell zwar wenig gebaut wird, aber grundsätzlich ein großer Bedarf besteht. Die Zahl der Bauaufträge wird somit früher oder später kräftig zunehmen.“ Sein Rat an die Branche: „Anstatt auf Downsizing zu setzen, sollten die Bauunternehmen die Krise besser als Chance verstehen und sich auf neue Bautechnologien konzentrieren, die sie durch die schwere Zeit bringen und zugleich zukunftssicher machen.“

Für die Baubranche stehen damit jetzt die wichtigen Weichenstellungen an. Die Richtung ist klar: Der Bau muss erstens bei der Digitalisierung und konkret beim Thema BIM zulegen. Und er muss zweitens weiterhin die Nachhaltigkeit ins Zentrum seiner Arbeit stellen. Digital und nachhaltig – so muss der Bau in Zukunft aufgestellt sein. Wer an etwas anderes glaubt, verkennt die Entwicklungen der Branche und der Gesellschaft.

Es geht voran – zumindest bei der Nachhaltigkeit

Ob das bereits in Ansätzen der Realität entspricht, hat die aktuelle Studie „Die Bauindustrie in Krisenzeiten“ der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC untersucht. Das Fazit nehmen die Autorinnen und Autoren des Reports bereits im Untertitel vorweg: „Fortschritte bei ESG, Stillstand bei der Digitalisierung“ – wobei ESG für Environment, Social, Governance steht, sprich für den Stellenwert von nachhaltigen und ethischen Aspekten. Beginnen wir bei der halbwegs guten Nachricht: „Fortschritte – wenn auch in kleinen Schritten – macht die Bauindustrie im Bereich ESG“, stellt die Studie fest. Vorangetrieben werde diese Entwicklung durch gesetzliche Vorgaben und Anforderungen seitens der Auftraggeber, Kunden und Investoren. „Inzwischen haben 70 Prozent der Unternehmen allgemeine oder projektspezifische Nachhaltigkeitsstandards etabliert“, heißt es in der Zusammenfassung. Diese Entwicklung zeige laut den Autorinnen und Autoren deutlich: „Die Bauindustrie ist durchaus bereit, Veränderungen anzunehmen, wenn klare Anforderungen definiert sind.“

Digitale Bremse

Und damit zum Problemkind, der Digitalisierung. Tools wie BIM und andere IT-Systeme stehen dafür, Effizienz und Produktion zu erhöhen. Indem sie zum Beispiel die Kommunikation unter allen Akteuren vereinfachen, Daten verfügbar machen oder bestimmte Routinearbeiten automatisieren. Zugleich besitzen sie den Vorteil, die Bauindustrie attraktiv für Fachkräfte zu machen: Gerade der Nachwuchs bringt beim Einstieg den Anspruch mit, in einer Branche starten zu wollen, die digitalen Techniken zumindest offen gegenübersteht.

Foto: AdobeStock/stockgood
Foto: AdobeStock/stockgood

Klima schützen, Infrastruktur sanieren

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat in einem Gutachten dargelegt, wie groß das Potenzial der Bauindustrie bei den Themen Klimaschutz und öffentliche Infrastruktur ist. Das Ergebnis kommuniziert das IW auf seiner Homepage: „Um die Klimaschutzziele zu erreichen, müssten in Wohn- und Nicht-Wohnbauten pro Jahr mindestens 33, besser 66 Milliarden Euro investiert werden“, heißt es in der Zusammenfassung der Studienergebnisse. „Im öffentlichen Bau – insbesondere zur dringend benötigten Sanierung und Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und der kommunalen Infrastruktur – müssten bis 2030 die Investitionen jährlich um   rund 75 Milliarden Euro gesteigert werden.“

Doch zeigt die PwC-Studie, dass der Bau in diesem Bereich weiter Nachholbedarf hat: So mache sich beim Thema Digitalisierung im Vergleich zur Vorjahresstudie von 2023 eine „gewisse Ernüchterung breit“, heißt es in der Zusammenfassung: „Trotz der weitreichenden globalen Veränderungen zeigen unsere Studienergebnisse ein nahezu unverändertes Bild zum Vorjahr. Der Digitalisierungsboom scheint vorbei, bevor er richtig Fahrt aufnehmen konnte. Die mit dem digitalen Wandel einhergehenden Chancen werden bisher nicht genutzt.“ Zwar, so die Studienautorinnen und -autoren, würden die Unternehmen weiterhin das Potenzial digitaler Lösungen erkennen. „Doch ihre Fähigkeiten im Umgang mit innovativen Technologien scheinen von Jahr zu Jahr geringer auszufallen.“ Der Hype um die Digitalisierung ebbe ab. „Stattdessen setzt ein gewisser Realismus ein“, heißt es im Report.

Dies ist wenig verständlich, vor allem, wenn man bedenkt, dass in der Baubranche die Digitalisierung – konkret: die Nutzung von BIM – in vielen Bereichen sogar rechtlich vorgeschrieben ist (siehe Kasten S. 12). Dennoch geben laut Studie nur 63 Prozent der befragten Bauunternehmen BIM eine „große Relevanz“, das sind 16 Prozentpunkte weniger als bei der Umfrage im Vorjahr. Woran es liegt? Die Studienautorinnen und -autoren von PwC glauben, dass das Umsetzungsproblem innerhalb der Unternehmen eine große Rolle spielt: Es fehle an Know-how, bedingt durch den Fachkräftemangel – 85 Prozent der befragten Unternehmen benennen dies als Hauptgrund für die BIM- und Digitalbremse. Bauen die Unternehmen nun im Zuge der Krise weiter Personal ab, um Kosten zu reduzieren, verliert die Branche noch weiter an Know-how, nimmt die Attraktivität weiter ab – und droht die Abwärtsspirale weiter an Dynamik aufzunehmen.

Impulse von außen sind gefragt

Wie sich dieser Prozess aufhalten lässt? Denken wir an die vergleichsweise gute Entwicklung im Bereich ESG: Dort waren es laut Studienergebnis bestimmte Akteure, die für eine größere Bereitschaft zum Wandel gesorgt haben, konkret: Auftraggeber, Kunden und Investoren. Sehr wahrscheinlich könnte man in dieser Aufzählung auch die Mitarbeitenden ergänzen: Untersuchungen wie die von der Bertelsmann-Stiftung vorgelegte Studie „Nachhaltigkeit aus Sicht der Arbeitnehmer:innen“ zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnt. Ein ähnlicher Hebel muss nun auch beim Thema Digitalisierung bedient werden. Wenn es vielen Bauunternehmen aktuell nicht gelingt, von sich aus den Wandel einzuleiten, helfen Impulse von außen.

In Frage kommen dabei zum Beispiel Pionier-Unternehmen aus der Branche, die bei den Themen Digitalisierung und BIM bereits sehr gut aufgestellt sind. Diese sollten sich nun der Aufgabe stellen, weitere Baufirmen dazu zu motivieren, es ihnen gleichzutun, indem sie bei der Umsetzung der Digitalisierung eine positive Dynamik entwickeln. Und zwar auch aus Eigeninteresse der Zukunftspioniere heraus, schließlich profitieren von einer komplett digitalisierten Wertschöpfung am Bau alle Akteure. Auch die digitalen Vorreiter. Diese können auf diese Art auch die Aufgabe übernehmen, ein wenig Positivität ins Bauwesen zu bringen: Wer heute digitale Erfolgsgeschichten erzählt, ob im Netz, in Fachzeitschriften und Karrierenetzwerken oder auf Kongressen, hilft dabei, die Branche aus dem Stimmungsloch zu holen. Die Bauindustrie braucht Best-Practice-Beispiele für gelungenen Wandel!

Wer heute digitale Erfolgsgeschichten erzählt, ob im Netz, in Fachzeitschriften und Karrierenetzwerken oder auf Kongressen, hilft dabei, die Branche  aus dem Stimmungsloch zu holen.

Auch hier ist der Nachwuchs gefragt, der im Change- Management erste gute Erfahrungen gesammelt hat. Wer also Lust hat, wirklich schnell etwas zu bewegen, dem bietet die Bauindustrie aktuell beste Chancen. Der Bedarf an digitalem Know-how ist groß. Wem es als Youngster gelingt, mit guten Argumenten die Vorzüge des Wandels darzustellen, wird erkennen, wie attraktiv es sein kann, in eine Branche einzusteigen, in der das eigene Können und Wissen rar ist.

Der Bau wird wiederkommen

Das alles wäre nichts wert, wenn die Krise des Bauwesens eine wäre, die bliebe. Zum Beispiel, weil die Branche selbst keine Zukunftsaussichten hat. Wer jedoch die Nachrichten bei Themen wie Straßen- und Wohnungsbau verfolgt oder auf den Brücken oder in den kleinen und großen Städten des Landes unterwegs ist, der weiß: Das ist hier nicht der Fall. Es muss gebaut werden, im großen Stil, im Tief- und Hochbau. Und es wird auch gebaut werden, dazu gibt es schlicht keine Alternative. Jedoch – auch das zeigt die Krise: Es wird nicht mehr so gebaut wie immer. Sondern nachhaltiger und digitaler. Beides sind zwar notwendige, aber keine schlechten Veränderungen. Deshalb: Der Bau ist für den Nachwuchs deutlich attraktiver, als es das aktuelle Nachrichtenbild vermittelt. Was die Branche braucht, sind Menschen und Unternehmen mit Gestaltungskraft. Dann klappt’s auch mit dem Weg, raus aus der Krise.

Foto: AdobeStock/spiral media
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Frauen fördern

Der Bauindustrie fehlt es an Azubis und Fachkräften – besonders aber fehlt es ihr an Frauen. Eine statistische Analyse des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie zeigte, dass lediglich 14 Prozent der Beschäftigten im Wirtschaftszweig Baugewerbe weiblich sind. Bei keiner anderen Branche ist der Anteil so niedrig. Bei den Studierenden des Fachs Bauingenieurwesen liegt der Frauenanteil laut Studie bei 30 Prozent, bei den Absolventinnen und Absolventen, die schließlich in den Unternehmen arbeiten, bei 28 Prozent. Ein Ungleichgewicht herrscht laut Befragung bei der Bezahlung: Der Hauptverband informiert, dass das Gehaltsniveau von hochqualifizierten Frauen nur bei 83 Prozent (Expertin) bzw. 86 Prozent (Spezialistin) im Vergleich zum Niveau der männlichen Kollegen liegt.

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