Ideenwettbewerb: Wasserstoffrepublik Deutschland

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Das Bundesforschungsministerium (BMBF) fördert 16 Projekte der Wasserstoff- Grundlagenforschung mit 56 Millionen Euro. Weitere Partner können sich bewerben. Von Sabine Olschner

Die Gewinner der ersten Runde des BMBF-Ideenwettbewerbs „Wasserstoffrepublik Deutschland“ stehen fest und erhalten staatliche Förderungen für ihre Grundlagenforschungen im Bereich Wasserstoff. Die Grundlagenprojekte beschäftigen sich mit der nächsten und der übernächsten Technologiegeneration. Sie sollen dazu beitragen, Antworten auf grundlegende Fragen der Wasserstoffwirtschaft zu finden und damit die wissenschaftliche Basis für neue Produkte und Anwendungen legen. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek möchte Deutschland weltweit zur größten Wissensquelle für den Grünen Wasserstoff machen – dem zentraler Baustein zur Energiesicherheit des Hochtechnologielandes Deutschland. Der Grundlagenforschung für Wasserstofftechnologien als Hochtechnologien kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. An den 16 ausgewählten Projekten des Wettbewerbs arbeiten insgesamt 71 Partner. 48 der Partner stammen aus der Wissenschaft, 23 aus der Wirtschaft. Mehr als 100 weitere Projektideen befinden sich in der Begutachtung für eine zweite Förderrunde. Die Bewerbung für eine dritte Runde ist weiterhin möglich.

Ein Projekt der Wasserstoff-Grundlagenforschung nennt sich AEMready: Hier sollen bessere Elektroden- und Katalysatoren- Materialien für die AEM-Elektrolyse entwickelt werden, die die Wasserstoffgestehungskosten künftig deutlich senken. Ein weiteres Projekt ist CORAL-HD, das sich mit Brennstoffzellen-Elektroden mit langer Lebensdauer für Nutzfahrzeuge beschäftigt. Wasserstoffbrennstoffzellen sind eine vielversprechende Option für den nachhaltigen Güter- und Schwerlastverkehr: Um auch Lkw und Busse klimafreundlich anzutreiben, wandeln Brennstoffzellen Wasserstoff in elektrische Energie für den Antrieb um. Dabei müssen sie den vielfältigen Belastungen des Alltags gewachsen sein. Ein drittes Beispiel ist CarbonCycleMeOH, die eine Machbarkeitsstudie zur Methanol-Herstellung aus CO2-Abgasen und Grünem Wasserstoff erstellt.

Die stoffliche Verwertung von industriellen CO2-Emissionen mit der Hilfe von Grünem Wasserstoff kann einen wichtigen Beitrag dazu liefern, den CO2-Fußabdruck wichtiger Kernbranchen zu reduzieren. Die Machbarkeitsstudie richtet ihr Augenmerk auf die Chemiebranche.

Grüner und Grauer Wasserstoff

Die Herstellung von Wasserstoff erfolgt aktuell vorwiegend auf Basis von fossilen Energiequellen. Dies wird als Grauer Wasserstoff bezeichnet. Grüner Wasserstoff hingegen wird CO2-neutral mit Hilfe von erneuerbaren Energien hergestellt. Ein Green Tech Cluster in Österreich hat sich die Potenziale von Grünem Wasserstoff in erster Linie für Europa angeschaut.

Windenergie – eine Branche mit Zukunftspotenzial

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Welche Chancen haben Hochschulabsolvent*innen in der Windenergiebranche? Felix Tobias, Inhaber von WindPersonal, eine auf die Windenergie spezialisierte Personalberatung, gibt Tipps für den Einstieg. Aufgezeichnet von Sabine Olschner

Die derzeitige Situation ist etwas ungewöhnlich: Aufgrund eines Systemwechsels innerhalb des Erneuerbaren-Energien- Gesetzes (EEG) im Jahr 2017 ging der Zubau an neuen Windkraftanlagen in Deutschland zurück, da sich bedingt durch den Systemwechsel hin zu Ausschreibungsverfahren die Vergütung für Strom aus Windenergie stark gesenkt hat. Obwohl sich dies insgesamt negativ auf die Branche ausgewirkt hat, merken wir keinen Rückgang bei der Nachfrage nach neuen Mitarbeiter*innen. Der Bedarf in der Branche steigt aus unserer Sicht weiterhin. Auch die Corona-Pandemie hat daran nichts geändert. Aufgrund der neuen politischen Ausrichtung in Sachen Windkraft haben sich natürlich die Schwerpunkte verschoben. Bis 2017 rekrutierten verstärkt Projektierungsbüros Mitarbeiter*innen, die sich zum Beispiel mit der Flächensuche, der Genehmigung und dem Bau von neuen Windkraftanlagen beschäftigten. Heute steht eher die Betreuung bestehender Anlagen, also die kaufmännische und technische Betriebsführung, die Wartung und die Entstörung sowie das sogenannte Repowering, also der Austausch von alten Anlagen gegen modernere, im Vordergrund. Auch Gutachtertätigkeiten nehmen zu.

Der höchste Bedarf an neuem Personal besteht im Norden und im Nordosten Deutschlands, wo die meisten Anlagen stehen und neu gebaut werden. Wer hingegen im Bereich der kaufmännischen und technischen Verwaltung der Anlagen arbeiten will, wird bundesweit fündig. Die Qualifikationen, die Unternehmen suchen, unterscheiden sich je nach Aufgabe: Für die Entwicklung von elektronischen und mechanischen Komponenten und deren Optimierung sind Ingenieur*innen gefragt, die gern tüfteln und nach innovativen und effizi enteren Lösungen suchen. Projektentwickler* innen benötigen technisches und kaufmännisches Know-how sowie Projektmanagementfähigkeiten. Und wer im Vertrieb von ganzen Anlagen oder deren Komponenten arbeiten will, sollte technisches Wissen sowie Vertriebskompetenz mitbringen.

Die Karrierechancen stehen gut, sofern man sich auf die Besonderheiten der Branche einlässt und etwas bewegen will.

Ob Ingenieur*innen einen Bachelor oder einen Masterabschluss mitbringen, ist erst einmal zweitrangig. Viel wichtiger ist Praxiserfahrung in der Windenergiebranche oder die Spezialisierung auf diesen Bereich. Mitarbeiter*innen mit viel Erfahrung sind in der noch relativ jungen Branche nicht besonders zahlreich zu finden – erst Anfang/Mitte der 1990er-Jahre wurden die ersten Windkraftunternehmen gegründet. Daher greifen die Arbeitgeber oft auch auf Quereinsteiger*innen zurück. Als Personalberatung suchen wir eher Leute mit Erfahrung, um Stellen zu besetzen, die ein bestimmtes Know-how erfordern.

Fachlich ist ein Quereinstieg aus anderen Branchen meist kein großes Problem. Allerdings tickt die Windenergiebranche anders als viele andere technische Industriezweige. Die ersten Unternehmen sind in den 90er-Jahren mit viel Idealismus und Pioniergeist gestartet. Dieser besondere Flair ist auch heute noch in vielen Unternehmen spürbar: Es gibt oft keine starren Strukturen, und man muss Lust haben, sich mit seinen Ideen einzubringen. Die politischen Rahmenbedingungen ändern sich im Bereich der Erneuerbaren Energien schnell, sodass sich die Unternehmen und ihre Mitarbeiter*innen immer wieder auf Neues einstellen und flexibel reagieren müssen. Das bedeutet aber auch, dass Einsteiger*innen schnell aufsteigen können, wenn sie sich engagieren. Die Karrierechancen stehen gut, sofern man sich auf die Besonderheiten der Branche einlässt und etwas bewegen will.

Insgesamt sehe ich in der Windenergiebranche ein hohes Zukunftspotenzial. Schon allein die steigenden Zulassungszahlen von Elektrofahrzeugen wird den Bedarf an Strom erhöhen. Auf lange Sicht werden wir also um die Windkraft als Stromerzeugung nicht herumkommen. Wer überzeugt ist, bei den erneuerbaren Energien gut aufgehoben zu sein, wird seinen Weg finden.

Windenergie schafft Arbeitsplätze

2016 waren 160.200 Menschen in der Windbranche beschäftigt: 27.200 im Offshore-, 133.000 im Onshore- Bereich. 2017 wurden zahlreiche Arbeitsplätze in der Branche abgebaut, zum Jahresende gab es nur noch 135.100 Beschäftigte. Derzeit liegen keine aktuelleren Zahlen vor. Die Branchenverbände BWE und VDMA gehen von gut 100.000 Beschäftigten im Jahr 2020 aus. Quelle: Bundesverband WindEnergie

Telegramm: Neues aus der Ingenieur-Welt

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Deutsche vertrauen KI in HighTech

Foto: Fotolia/ sester1848
Foto: Fotolia/ sester1848

Laut des Reports „KI-Zukunftskompass“ von Bosch befürworten mehr als zwei Drittel der Deutschen KI-basierte Lösungen bei der Fehlerdiagnose von Maschinen, bei der industriellen Produktion von Waren und Maschinen sowie in der Raumfahrt und anderen High-Tech-Bereichen. Hier sei das Vertrauen in die Möglichkeiten der KI vonseiten der Bevölkerung bereits groß. In Einsatzgebieten, die eher mit Menschenkontakten zu tun haben, etwa in der Krankenpflege oder bei der finanziellen Anlageberatung, seien die Zustimmungsraten für den KI-Einsatz laut Studie mit 40 Prozent bzw. 31 Prozent deutlich geringer.

UniRanking:

Foto: Fotolia/ lovemask
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Wo studieren die meisten Frauen? Die WBS GRUPPE hat untersucht, wie hoch der Frauenanteil an Deutschlands Hochschulen ist – die Studie vergleicht den Anteil an 44 der größten deutschen Hochschulen und Universitäten. Es zeigt sich: In Sachen Geschlechtergerechtigkeit ist weiterhin Luft nach oben. So ist zwar die Hälfte aller immatrikulierten Studierenden weiblich, doch der Anteil an Professorinnen beträgt im Durchschnitt nur etwas über 25 Prozent, und nur rund 18 Prozent der Dekanate stehen unter weiblicher Leitung. Besonders gering ist der Anteil weiblicher Professorinnen am Karlsruher Institut für Technologie (nur knapp 14 Prozent) und der RWTH Aachen. An den Technischen Hochschulen ist auch der Anteil weiblicher Studierender besonders niedrig, zeigt eine weitere Studie, durchgeführt von der digitalen Bildungsplattform charly.education: Von den acht Universitäten mit den wenigsten weiblichen Studierenden sind sechs Technische Hochschulen.

Corporate Foresight, Technology Foresight und Technology Intelligence

Foto: Fotolia/ Mykola
Foto: Fotolia/ Mykola

Im Masterstudiengang Innovations- und Technologiemanagement (ITM) am Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen und Technologiemanagement der Wilhelm Büchner Hochschule werden seit diesem Jahr drei neue Vertiefungen angeboten: Corporate Foresight, Technology Foresight und Technology Intelligence. Sie stehen ganz im Zeichen des Zukunftsmanagements und ergänzen das bestehende Portfolio der vier bewährten Vertiefungen Innovationsmanagement, Technologiemanagement, Qualitätsmanagement und Entrepreneurship. Während die Vertiefung Corporate Foresight, also Geschäftsmodell-Management, auf Generalisten, Entscheider sowie Entrepreneure und Intrapreneure abzielt, wendet sich das Vertiefungsmodul an Technologie-Expert*innen. Die Vertiefung Patentmanagement ist darauf ausgerichtet, die Potenziale moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zur Beschaffung, Analyse und Nutzung von Information über Technologien und die zugrunde liegenden technisch-gewerblichen Schutzrechte in Form von Patenten einzusetzen.

55 Projekte für die Klimaneutralität

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Eine Studie von Capgemini Invent zeigt, wie gezielte Investitionen die Bekämpfung des Klimawandels beschleunigen, 12,7 Millionen Arbeitsplätze in Europa schaffen und eine Bruttowertschöpfung von fast 800 Milliarden Euro generieren können. von Sabine Olschner

Capgemini Invent, die weltweite Beratungseinheit der Capgemini-Gruppe für digitale Innovation und Transformation, hat 55 Technologieprojekte identifiziert, die Europa dabei unterstützen können, bis 2050 klimaneutral zu werden. Im Rahmen der Untersuchung wurden 55 saubere Technologie-Initiativen identifiziert, mit denen der CO2-Ausstoß in Europa signifikant reduziert und gleichzeitig der wirtschaftliche Aufschwung initiiert werden kann.

Die Analyse„Fit for Net-Zero: 55 Tech Quests to Accelerate Europe‘s Recovery and Pave the Way to Climate Neutrality“ zeigt Wege auf, die europäische Wirtschaft umzuge-stalten und Europa zu unterstützen, bis 2050 der erste Netto-Null- Kontinent der Welt zu werden. Sie untersuchte und analysierte bestehende und zukünftige Technologien in fünf miteinander verbundenen Wirtschaftsbereichen: Energie, Gebäude und Bauwesen, Industrie, Transport sowie Nahrungsmittel und Landwirtschaft. Die identifizierten Technologien und Investitionsbereiche haben das Potenzial, einen Markt für Netto-Null-Güter und -Dienstleistungen von bis zu 790 Milliarden Euro pro Jahr zu schaffen, die Emissionen um 871 Megatonnen CO2 zu reduzieren und bis 2030 fast 13 Millionen Arbeitsplätze sowohl durch neue als auch durch die Transformation bestehender Arbeitsplätze zu schaffen. Die Projekte könnten auch dazu beitragen, die Luftqualität und Lebensmittelsicherheit zu verbessern und die Energieunabhängigkeit Europas zu erhöhen.

Netto-Null

Netto-Null-2050 ist eine Klima-Initiative des Helmholtz-Zentrums Geesthacht Zentrum für Material- und Küstenforschung. Ihr Ziel: ein CO2-neutrales Deutschland bis zum Jahr 2050.

Viele vielversprechende Klimatechnologien seien in der Pipeline, so die Studie, müssten aber jetzt skaliert werden – und zwar schnell. Dazu brauche es eine handlungsstärkere EU-Politik, die den Innovationszyklus und die Einführung sauberer Technologien beschleunigen kann. Sie müsse Unternehmen im Spätstadium der Entwicklung unterstützen, um die Umsetzung und Marktakzeptanz von kohlenstoffarmen und -freien Technologien drastisch zu steigern. Analysen sollten aufzeigen, wo öffentliche Investitionen und private Partnerschaften jungen Technologien helfen können, sich in neuen Märkten zu etablieren und sie zu erschließen. Die Wettbewerbsfähigkeit kohlenstoffarmer Technologien auf dem Markt müsse erhöht und Investitionen in bahnbrechende Technologien gefördert werden.

Für die Studie hat Capgemini Invent über 200 Technologieprojekte in allen 27 EU-Mitgliedstaaten analysiert. Hinzu kamen strukturierte Interviews mit 90 Innovationsführer*innen aus Unternehmen, Berufs- und Technologieverbänden sowie mit Vertreter*innen aus der EU und den Mitgliedstaaten.

Rohstoffe einsparen: „Treiber der Veränderung“

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Deutschland verbraucht zu viele Rohstoffe. Wie sich das ändern kann, erklärt Hannah Pilgrim, Leiterin des Koordinierungsbüros des AK Rohstoffe bei PowerShift e.V. Das Interview führte Sabine Olschner

Warum ist Rohstoffeinsparung oder – wiederverwertung eigentlich so wichtig?
Deutschland ist Exportweltmeister. Aber: Um viel exportieren zu können, importieren deutsche Unternehmen für die Produktion auch enorm viele Rohstoffe. Wir gehören weltweit zu den größten Verbrauchern von metallischen Rohstoffen. Diese importieren wir hauptsächlich aus Lateinamerika, dem südlichen Afrika oder Asien. Wir importieren aber nicht nur die Metalle, sondern wir verbrauchen auch das Land und das Wasser vor Ort und emittieren CO2. Bergbau zerstört enorm große Flächen, führt somit sehr häufig zu Landkonflikten, Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverletzungen, beispielsweise durch Kinderarbeit, die Nichteinhaltung von internationalem Arbeitsrechten, Repression oder die Kriminalisierung von Umweltschützer*innen. Gleichzeitig sind wir eine wahre Wegwerfgesellschaft, vor allem im Elektronikbereich. Dadurch gehen enorme Mengen an Rohstoffen verloren oder werden nicht weiter genutzt. Allein in elektronischen Geräten wie Handys oder Laptops sind bis zu 50 oder 60 unterschiedliche metallische Rohstoffe verarbeitet.

Was will der Arbeitskreis Rohstoffe erreichen?
Was es braucht, ist eine Rohstoffwende, die unseren Rohstoffverbrauch absolut reduziert, Menschenrechte entlang der Wertschöpfungskette durchsetzt und die Rechte der Betroffenen vor Ort schützt. Unser Hauptadressat ist ganz klar die Politik. Strukturen müssen sich verändern, und das ist vor allem durch den Gesetzgeber möglich. Wir haben im vergangenen Jahr ein Positionspapier veröffentlicht, das von mehr als 40 Organisationen getragen wird. Dieses senden wir an politische Entscheidungsträger und führen Gespräche mit ihnen. Wir erhoffen uns, dass unsere Forderungen in die Wahlprogramme und Koalitionsverhandlungen bei den nächsten Bundestagswahlen Einzug finden. Gleichzeitig machen wir viel Öffentlichkeitsarbeit: Studien, Podcasts, Broschüren oder Veranstaltungen, um das Thema weiter in die Gesellschaft zu tragen.

Wer kann sich bei Ihnen engagieren?
In erster Linie arbeiten die Referent*innen aus den unterschiedlichen Organisationen in unserem Netzwerk. Aber wir suchen immer wieder Unterstützung, zum Beispiel in Form von Praktika in den einzelnen Organisationen. Grundsätzlich freuen wir uns aber über alle, die das Thema metallische Rohstoffe in ihren Beruf mitnehmen und sich dort den drängenden Fragen der Rohstoffpolitik annehmen.

Können Sie bereits Erfolge verzeichnen?
Ja, aber meines Erachtens natürlich immer noch viel zu wenig. In welchem Ausmaß wir auf Kosten von Menschen, Tieren, ja ganzen Ökosystemen anderenorts leben, sollte noch stärker problematisiert werden. Dennoch: Grundsätzlich ist das Bewusstsein für die ökologischen Auswirkungen unserer Lebensweise auch in der Öffentlichkeit angekommen, etwa durch soziale Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder zunehmende Medienberichte aus den Abbaugebieten. Vielen ist klargeworden, dass wir so nicht weitermachen können. Die Stimmen, die eine Wende fordern, werden immer lauter. Was jedoch noch fehlt, sind konkrete politische Maßnahmen. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen sich die politischen Strukturen verändern. Auf europäischer Ebene sehen wir momentan recht positive Signale, zum Beispiel das geplante Lieferkettengesetz. Das besagt, dass Menschenrechte und Umweltstandards entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Rohstoffen eingehalten werden müssen und Unternehmen bei Verstößen haften. Der deutsche Entwurf für ein Lieferkettengesetz hat dagegen an vielen Stellen noch Schwachstellen. Außerdem haben Abgeordnete des EU-Parlaments kürzlich die EU-Kommission aufgefordert, verbindliche Ziele für 2030 festzulegen, um den Material- und Verbrauchsfußabdruck in Europa deutlich zu reduzieren. Das ist wirklich ein enormer Erfolg, denn wir brauchen vor allem Verbindlichkeiten und klare Ziele.

AK Rohstoffe

Der AK Rohstoffe wurde vor über zehn Jahren gegründet. Das zivilgesellschaftliche Netzwerk, dem zahlreiche Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sowie die großen kirchlichen Hilfswerke angehören, setzt sich für Menschenrechte, soziale Standards und Umweltschutz im Rohstoffabbau sowie eine Wende der Rohstoffpolitik ein. Der Fokus liegt auf der Reduzierung des Verbrauchs von metallischen Rohstoffen, zum Beispiel Kupfer, Lithium, Bauxit und Platin.

Wie ließe sich der Verbrauch von metallischen Rohstoffen reduzieren?
Schon im Design eines Produkts muss es das Ziel sein, Rohstoffe einzusparen. Beispielsweise sollten Elektrogeräte modular aufgebaut sein, so dass man Einzelteile herausnehmen und sie ersetzen kann. Derzeit sind die meisten Teile verklebt, sodass man Geräte wegwerfen muss, wenn ein Bestandteil kaputt ist. Hier müssten viel häufiger Reparaturen möglich sein. Und auch im Recycling muss sich Einiges tun: So müssen beispielsweise die Wiederverwertungsquoten erhöht werden. All diese Fragen sind auch für Ingenieur*innen interessant: Wo können wir Rohstoffe einsparen, indem wir zum Beispiel Technologien verändern? Wie können wir den Anteil von sekundären Rohstoffen erhöhen? Wie denken wir überhaupt über unsere Materialien nach, mit denen wir arbeiten? Ingenieur*innen können wichtige Treiber der Veränderung sein. Dazu gehört, die politische Dimension von Rohstoffnutzung mitzudenken. Das sollte auch Thema im Studium sein.

Welche Ingenieurbereiche könnten konkret etwas verändern?
Zum Beispiel der Automobilsektor. Die Automobilindustrie als größtes verarbeitendes Gewerbe in Deutschland verbraucht am meisten Primärrohstoffe. Zugleich beobachten wir, dass Autos immer größer und damit schwerer werden. Das heißt auch: Mehr metallische Rohstoffe werden verbaut. Hier gäbe es zum Beispiel enorme Einsparpotenziale, wenn Autos wieder kleiner und leichter würden. Ein weiteres Beispiel ist der Elektronikbereich: Durch die zunehmende Digitalisierung brauchen wir immer mehr elektronische Geräte, die viele unterschiedliche Metalle notwendig machen. Gleichzeitig werfen wir aber weiterhin viele Geräte schon nach kurzer Zeit weg, und die Rückgewinnungsquoten sind zu gering. Hier muss weiter an Recyclingtechnologien gearbeitet werden, an nachhaltiger Software, an der Modularität von Bauteilen etc. All das sind Fragen, die mir für Ingenieur* innen hochinteressant erscheinen.

Circular Valley für die Kreislaufwirtschaft

Rohstoffe immer wieder verwenden – das ist die Idee der Kreislaufwirtschaft. Der Großraum Rhein-Ruhr von Bonn bis Münster soll zum Circular Valley werden. Von Sabine Olschner

„Grow the Economy – Protect the Environment“ lautet das Motto, das sich die Initiative Circular Valley auf die Fahnen schreibt. Ihr Ziel: Wirtschaftswachstum und Umweltschutz in Balance zu bringen – ganz im Sinne des European Green Deals, der umweltschädliche Emissionen verringern oder sogar vermeiden will (siehe auch Top-Thema ab Seite 8). Initiator des Circular Valley ist Dr. Carsten Gerhardt mit seinem 2006 gegründeten Verein Wuppertalbewegung e.V. im Bergischen Land. Er ist seit 2008 Partner und Mitglied der erweiterten Geschäftsführung der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Dort ist er für den Bereich Nachhaltigkeit verantwortlich. Zuvor arbeitete er als Unternehmensberater für die Boston Consulting Group.

Carsten Gerhardt hat bereits 50 Unternehmen und Institutionen sowie mehrere Ministerien für sein Vorhaben gewonnen. Unterstützt wird die Idee des Circular Valley von mehreren Ministerien sowie NRW-Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart als Schirmherrn. Die erste Stufe ist bereits angelaufen: 15 Start-ups sollen sich im Circular Valley – also im Großraum Rheinland und Ruhrgebiet – ansiedeln. Gemeinsam sollen sie Geschäftsideen und Technologien für die Kreislaufwirtschaft entwickeln und sich gegenseitig mit ihren Ideen befruchten. Die Bewerbungsfrist für die erste Runde an Start-ups endete am 30. April 2021, weitere Runden für noch mehr Start-ups sollen folgen.

Hilfreich sind den jungen Firmen die Kontakte zu vielen Wissenschaftseinrichtungen in der Region und zu Unternehmen, die an Kreislauflösungen interessiert sind. Zahlreiche führende Unternehmen aus der Recycling-Wirtschaft sind an Rhein und Ruhr ansässig. Hinzu kommt eine Vielzahl von Universitäten und Forschungseinrichtungen – so viel wie nirgendwo sonst auf der Welt auf so engem Raum. Das Ruhrgebiet ist zudem eine historisch bedeutende Industrieregion und mit Menschen aus 150 Nationen eine weltoffene Umgebung für die anzusiedelnden Start-ups.

Das Circular Valley will eine Antwort auf das Silicon Valley sein: ein Zentrum und Anziehungspunkt für junge Forscher und Unternehmer sowie für Firmen aus dem In- und Ausland, deren Schwerpunkt auf hochwertigen Wiederverwendungs- und Recyclinglösungen liegt.

Ideen-Coaching: Kultur-, Buch- und Linktipps

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Erster autonom fahrender Fahrzeugroboter

Foto: efeuCampus Bruchsal
Foto: efeuCampus Bruchsal

Ein autonom fahrender Fahrzeugroboter beliefert Anwohner auf der letzten Meile mit Paketen und nimmt auf dem Rückweg Retouren oder Abfälle mit. Ziel des Projektes ist, die Lieferung mit digitalen Technologien deutlich effizienter und klimaschonend zu gestalten. Den innovativen Lieferroboter hat die efeuCampus Bruchsal GmbH gemeinsam mit der SEW-Eurodrive sowie weiteren Projektpartnern, etwa der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft, entwickelt. Im Innovationszentrum efeuCampus werden innovative Verkehrskonzepte und -technologien im Rahmen von Smar t-City-Konzepten getestet und entwickelt. Die Forscher wollen ein Bewusstsein für die CO2-Problematik schaffen, die Lebensqualität in Städten verbessern und der Industrie sowie Kommunen konkrete Lösungsansätze bieten.

Kalt duschen fürs Klima

Foto: AdobeStock/ artbokeh
Foto: AdobeStock/ artbokeh

Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) und die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) messen sich in einem Klimaduell: Wem gelingt es, am Ende mehr CO2- Emissionen einzusparen und das eigene Verhalten nachhaltig zu verändern? Mit verschiedenen Aktionen machen die Studierenden und Mitarbeitenden vor, wie man klimafreundlicher durch den Alltag kommt und unkompliziert CO2-Emissionen einsparen kann. Die Challenges reichen von „eine Woche lang kalt duschen“ über „Geflügel statt Rind oder Schwein essen“ bis zu „lesen statt streamen“. Die Einsparungen durch die Challenges werden von der ZHAW auf Basis sogenannter Lebenszyklusanalysen für die verschiedenen Verhaltensbereiche ermittelt. Die Aktion läuft bis 19. Mai 2021, die Ergebnisse sind in den sozialen Medien unter dem Hashtag #klimaduell21 zu finden.
www.instagram.com/zhaw.lsfm
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Jahrbuch Nachhaltigkeit 2021

Das Jahrbuch Nachhaltigkeit 2021 gibt Impulse, um sich den wachsenden Herausforderungen der Gegenwart zu stellen: Die Erdüberlastungstag, also der Tag, an dem alle nutzbaren Ressourcen für das Jahr erschöpft sind, verlagert sich jedes Jahr nach vorn. Die Menschheit verbraucht zu viel Energie, Wasser und Rohstoffe. Beispiele aus der Praxis zeigen Pioniere im Gebiet des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements. Das Buch enthält Beiträge über neue Entwicklungen zu den Themen Kreislaufwirtschaft, Recycling, Lieferkettengesetz, Biodiversität und Wirtschaft. Relevante Netzwerke und Organisationen stellen sich vor, und es gibt eine Übersicht über wichtige Wettbewerbe und sinnvolle Zertifikate. Jahrbuch Nachhaltigkeit 2021. Nachhaltig wirtschaften: Einführung, Themen, Beispiele. Metropolitan. www.metropolitan.de/buch/jahrbuch-nachhaltigkeit-2021/

Größte Windkraftanlage der Welt

Foto: GE Renewable Energy
Foto: GE Renewable Energy

Der amerikanische Technikkonzern GE Renewable Energy hat mit der „Haliade-X 13 MW“ die bislang größte Windkraftanlage der Welt gebaut. Sie wird derzeit als Prototyp betrieben und soll 2021 in die Serienfertigung gehen. Die Windkraftanlage ist für Windparks im Meer konstruiert. Ihre Rotorblätter sind 107 Meter lang, das Maschinenhaus wiegt 675 Tonnen. Allein der Aufbau mit zwei Spezialkränen war ein Kraftakt. Die Turbine, die seit November 2019 in Rotterdam erfolgreich in Betrieb ist, arbeitet mit einer Leistung von 13 Megawatt. Sie produziert 288 Megawattstunden Strom an einem einzigen Tag – ein neuer Weltrekord. Ab dem Jahr 2023 sollen 190 Einheiten im größten Offshore-Windpark der Welt in Großbritannien installiert werden. Quelle: www.ge.com

Romane und Lieder über Cradle-to-cradle

Künstler aus verschiedenen Ländern – von den USA über Europa bis nach Argentinien – haben Action-Comedy-Jugendromane und Pop-Songs geschrieben, die sich mit dem Thema Cradle-to-Cradle beschäftigen. Cradle-to-Cradle bezeichnet eine durchgängige Kreislaufwirtschaft, bei der Produkte keinerlei Abfall hinterlassen und alle Bestandteile wiederverwertet werden können. Der Ansatz stammt von Prof. Dr. Michael Braungart. Die Romane und Pop-Songs sollen bei jungen Menschen das Interesse für Umweltprobleme wecken und generationenübergreifende Diskussionen zwischen Kindern, Eltern und Großeltern anregen. Beispiele sind der Roman „Michael & Mia“ für Leser zwischen 6 und 12 Jahren und Lieder auf Youtube.

Gigafactory in Brandenburg

Foto: AdobeStock/ navee
Foto: AdobeStock/ navee

Das Unternehmen Tesla, das Elektroautos, aber auch Stromspeicher- und Photovoltaikanlagen produziert, baut seine erste europäische Gigafactory in Grünheide in Brandenburg. Im Juli 2021 sollen die ersten Fahrzeuge in Deutschland produziert werden, sofern die umweltrechtlichen Genehmigungen für die Fabrik rechtzeitig vorliegen. Tesla will auf dem Gelände auch die größte Batteriefabrik der Welt errichten. Bis zu 500.000 E-Autos könnten ab Sommer in Brandenburg vom Band laufen. Mehrere Tausend Beschäftigte sollen eingestellt werden.

Das letzte Wort hat Thomas Höing, Oldtimer- und Modell-Museum

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Thomas Höing hat an der Fachhochschule Münster Bauingenieurwesen studiert und anschließend unter anderem im Vertrieb einer Baufertigung gearbeitet. Schon als Kind sammelte er Autos. Heute betreibt er in Stadtlohn im größten Passivhaus, das seinerzeit gebaut wurde, ein Museum mit über 36.000 Modellen. Er hat die umfangreichste Modellsammlung der Welt und somit mehr als der eingetragene Rekordhalter im Guinness-Buch der Rekorde. Das Interview führte Sabine Olschner

Wie begann Ihre Sammelleidenschaft?
Mit 16 Jahren habe ich die Modellautofirma Siku angeschrieben, um zu fragen, wie eigentlich Modellautos entstehen. Daraufhin wurde ich mit meiner Familie zu einer Werksführung eingeladen. Das hat mich so beeindruckt, dass ich fortan mein ganzes Taschengeld und später einen großen Teil meines Lehrgeldes in diese Modellautos gesteckt habe. Das Besondere war, dass ich immer die Schachteln der Modelle aufbewahrt habe. Weil es jedes Jahr nur circa 10 bis 15 neue Modelle gab, habe ich später zudem angefangen, Audi-Modellautos zu sammeln – in diesem Wagen bin ich schließlich groß geworden. Ich sammelte alles, was mir unter die Finger kam. Nach dem Studium bin ich in meiner freien Zeit quer durch Europa zu unzähligen Autohändlern und Spielzeugläden gefahren, um weitere Modelle aufzuspüren.

Später kamen dann größere Autos dazu …
Genau. Als ich in Stadtlohn ein eigenes Haus baute, habe ich direkt einen Teil für ein Museum angebaut – anfangs mit 5000 Modellen. Das wurde schließlich immer größere. Ich habe unter anderem Mitglieder von Autoclubs zu mir eingeladen, damit sie sich die Modelle anschauen konnten. Die hatten die Idee, dass ich doch eine Halle bauen sollte, um auch die großen Wagen mit Sonderkarosserien auszustellen. Dadurch entstand ein zweites Museumsstandbein.

Haben Sie Ihre Erfahrungen als Ingenieur in Ihre Leidenschaft einbringen können?
Als Bauingenieur habe ich die Halle für die großen Autos selbst entworfen und kalkuliert. Die Halle wurde das größte Passivhaus, das es bis dato gegeben hatte – heute ist das Verfahren Standard. Vom ersten Spatenstich bis zur Eröffnung hat es gerade einmal fünf Monate gedauert, viel habe ich in Eigenarbeit geleistet. Gestartet sind wir in dem neuen Museum 2010 mit 11.500 Modellautos – heute sind es über 36.000. Hinzu kamen 30 große Autos von Audi – mittlerweile sind es über 90. Damit sind wir eineinhalbmal so groß wie das eigene Museum des Automobilunternehmens. Meine Erfahrung aus dem Vertrieb hilft mir heute auch sehr beim Kundenkontakt, im Museum wie auch im Online-Shop, in dem ich Modelle verkaufe, die ich mehrfach habe. Der Umgang mit Kunden und Kundinnen macht mir nach wie vor sehr viel Spaß.

Haben Sie einen Tipp für andere, die ebenfalls Ihr Hobby zum Beruf machen wollen?
Egal, was die Menschen sagten: Ich war mir immer sicher, dass ich meinen Weg gehen wollte. Ich hatte den Traum und die Vision, ein großes Museum für meine Modellautos zu eröffnen – also habe ich diesen Traum auch gegen alle Widerstände weiterverfolgt. Man muss einfach an sich selber glauben. Natürlich habe ich als Kind nicht geahnt, dass es einmal so kommen würde, das hat sich einfach mit der Zeit entwickelt. Durch meine Besucher und Besucherinnen bekomme ich immer wieder neue Hinweise, wo ich weitere Modellautos oder Oldtimer herbekomme. Die Geschichte meines Museums ist also noch lange nicht zu Ende.

https://automodelle-hoeing.de

E-Paper karriereführer ingenieure 1.2021 – Der Green Deal ist ein Big Deal. Durchbruch-Technologien gefragt

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karriereführer frauen in führungspositionen 2021.2022 – Vielfalt vor! Diversity in Tech

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cover karrierefuehrer frauen in fuehrungspositionen 2021.2022

Vielfalt vor! Diversity in Tech

Das Thema Gender-Gerechtigkeit dreht sich um einige Dimensionen weiter: In den Blick rückt die Idee einer Diversität, die unterschiedlichsten Perspektiven gerecht wird. Eine solche Vielfalt ist besonders in den Unternehmen wichtig, die mit digitaler Technik die Arbeitswelt und Gesellschaft von morgen prägen. „Diversity in Tech“ wird somit zum Schlüssel für wirtschaftlichen Erfolg und sinnstiftendes Handeln.

E-Paper karriereführer frauen in führungspositionen 2021.2022 – Vielfalt gewinnt

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Vielfalt vor! Diversity in Tech

Das Thema Gender-Gerechtigkeit dreht sich um einige Dimensionen weiter: In den Blick rückt die Idee einer Diversität, die unterschiedlichsten Perspektiven gerecht wird. Eine solche Vielfalt ist besonders in den Unternehmen wichtig, die mit digitaler Technik die Arbeitswelt und Gesellschaft von morgen prägen. „Diversity in Tech“ wird somit zum Schlüssel für wirtschaftlichen Erfolg und sinnstiftendes Handeln.

Die Unternehmensberatung McKinsey hat in der aktuellen Studie „Diversity wins!“ untersucht, wie sich der Zusammenhang zwischen dem Geschäftserfolg eines Unternehmens und der Vielfalt der Teams entwickelt. Dass das eine vom anderen beeinflusst wird, hatte sich schon in früheren Studien gezeigt. Für den aktualisierten Report haben die Expert*innen von McKinsey 1000 Unternehmen aus 15 Ländern befragt, das Resultat: Der Zusammenhang ist stärker denn je. „Je diverser, desto erfolgreicher“, so bringt McKinsey das Ergebnis in einer zusammenfassenden Pressemitteilung auf den Punkt. Die genannten Zahlen sprechen für sich: „Unternehmen mit hoher Gender-Diversität haben eine um 25 Prozent und damit signifikant größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein (2014 lag der Wert noch bei 15 Prozent). Betrachtet man den Faktor der ethnischen Diversität (Internationalität des Vorstands), liegt dieser Wert sogar bei 36 Prozent.“ Mit Blick auf die Pandemie wird McKinsey-Partnerin und Diversity-Expertin Julia Sperling in der Meldung wie folgt zitiert: „Umso wichtiger ist es, dass im aktuellen Krisenmodus die Förderung von Inklusion und Diversität nicht auf der Strecke bleibt.“

Vielfalt ist da – nutzen wir sie!

Vielfalt bringt’s also auch wirtschaftlich – davon ist heute auch die Mehrzahl der deutschen Unternehmen überzeugt. „Zwei Drittel aller Unternehmen in Deutschland sehen mit Diversity Management konkrete Vorteile für ihr Unternehmen verbunden“, heißt es in der aktuellen Studie „Diversity Trends“, die der Verein Charta der Vielfalt vorgelegt hat. Tendenz steigend: „63 Prozent der Unternehmen erwarten, dass Diversity Management zukünftig noch stärker an Relevanz gewinnt.“ Was dabei die Vorteile sind, die sich konkret aus der Vielfalt in Teams und im Leadership ergeben? Die Studie nennt hier „insbesondere die Attraktivität für bestehende und neue Beschäftigte, die Offenheit und Lernfähigkeit der Organisation sowie die Förderung von Innovation und Kreativität“. Kurz: Diversity ist attraktiv, offen und kreativ. Für das Recruiting sind das immens wichtige Faktoren.

Zugespitzt wird das Thema Vielfalt häufig auf die Gender-Frage, insbesondere auf Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten. Das ist ein zentraler Aspekt, keine Frage. Aber Vielfalt geht weit darüber hinaus.

Grundlage für die Vereinsarbeit der Charta der Vielfalt ist eine Selbstverpflichtung der teilnehmenden Unternehmen, Diversity zu fördern. Mehr als 3800 deutsche Organisationen haben die Charta der Vielfalt mittlerweile unterzeichnet. Vorstandsvorsitzende ist Ana-Cristina Grohnert, im Gespräch mit dem karriereführer sagt sie: „Zugespitzt wird das Thema Vielfalt häufig auf die Gender-Frage, insbesondere auf Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten. Das ist ein zentraler Aspekt, keine Frage. Aber Vielfalt geht weit darüber hinaus.“ Ihr Ansatz: Jede*r hat das Recht, als Individuum anerkannt zu werden. Was natürlich auch heißt, dass man jeweils den anderen genauso anerkennt. Ana-Cristina Grohnert fasst den Trend so zusammen: „Es geht weg vom Ego, hin zur Gemeinschaft.“ Wobei man eine solche vielfältige Community nicht künstlich erschaffen müsse. Denn sie ist ja da: „Vielfalt ist in unserer Gesellschaft vorhanden. Nutzen wir das! Sorgen wir dafür, dass wir Teilhabe gewähren, statt andere einzuschränken!“

Diversity in Tech: Mit Vielfalt die Zukunft gestalten

Was nach Sozialromantik klingt, besitzt für Ana-Cristina Grohnert eine knallharte ökonomische Dimension. „Wer versucht, um Diversity Management herumzukommen, der kann schnell den Anschluss verlieren“, sagt sie. Die Pandemie habe die Relevanz der Vielfalt noch verschärft: Es lasse sich, so Grohnert, beobachten, dass diejenigen Unternehmen, die sich schon länger und umfangreicher mit Diversity Management beschäftigten, flexibler auf die Corona-Krise reagieren konnten. Ein Indiz dafür nennt die Studie der Charta der Vielfalt: „Unternehmen mit einem hohen Engagement in Sachen Diversity setzen unter anderem deutlich stärker auf mobiles Arbeiten.“ Als es galt, im Zuge der Krise schnell umzuswitchen, hatten vielfältig aufgestellte Unternehmen einen enormen Startvorteil.

Diversity Management

Der Verein Charta der Vielfalt zeigt auf seiner Homepage, welche Aspekte ein zeitgemäßes Diversity Management aufgreifen sollte:

  1. Der Nutzen: Wie und wo kann Diversity Management im Hinblick auf Kundschaft und Klientel hilfreich sein?
  2. Die Ausgangssituation: Wie sind die Belegschaft, die Kundschaft und die zuliefernden Unternehmen zusammengesetzt? Welche Diversity-Maßnahmen sind bereits vorhanden?
  3. Die Planung: Wie lässt sich Diversity in der Organisation einführen oder stärken?
  4. Die Umsetzung: Welche Stationen führen zum Ziel? In welcher Zeit sollen konkrete Maßnahmen umgesetzt worden sein? Wie werden sie im Unternehmen kommuniziert?
  5. Der Erfolg: Welche Wirkung haben die Maßnahmen gebracht? Wie lassen sie sich jeweils optimieren, einstellen oder auf andere Bereiche ausweiten?

Eine besondere Dynamik entwickelt das Thema Vielfalt dort, wo das Entwicklungstempo hoch ist. Im Brennpunkt steht „Diversity in Tech“: Das Leben der Menschen wird immer stärker durchtechnisiert, durchdigitalisiert. Entsprechend wichtig ist es, dass bei der Gestaltung dieses Prozesses die Bedürfnisse und Anliegen aller Nutzer*innen mitgedacht werden. Vorbei die Zeit, als sich technische und digitale Anwendungen an eine bestimmte Kundschaft richteten: Die Digitalisierung betrifft jede*n. Daher muss sie auch für jede*n nach den jeweiligen Bedürfnissen gestaltet werden. Was wiederum nur funktioniert, wenn die Gestalter*innen selbst vielfältig aufgestellt sind. „Diversity in Tech“ ist damit auch ein Gesellschaftsthema: Wenn die Unternehmen mit ihren Aktivitäten den Purpose – also den Sinn – verfolgen, das Leben der Menschen besser, sicherer, komfortabler zu machen, dann müssen sie in einem ersten Schritt zunächst einmal analysieren, was sich verschiedene Gruppen unter einem besseren Leben vorstellen. Und das gelingt nur dann, wenn sich das Leben in seiner Vielfalt auch in den Unternehmensteams selbst widerspiegelt. Bis hinauf auf die Führungsebene.

VUKA-Welt verlangt nach Vielfalt

Ana-Cristina Grohnert verdeutlicht die Diversity-Herausforderungen der Unternehmen mit einem kleinen Gedankenexperiment: „Ein Mensch hat ein bestimmtes Problem zu lösen, und er kommt auf drei mögliche Lösungswege. Wie viele verschiedene Ansätze würden wohl zehn Menschen finden, die genauso denken wie dieser eine Mensch? Und wie viele Lösungsansätze würden demgegenüber zehn Menschen finden, die völlig unterschiedlich denken und unterschiedliche Perspektiven einbringen?“ Die Lösung liegt auf der Hand, und die Logik, nach der verschiedene Blickwinkel das Ergebnis bereichern, besticht heute mehr denn je. In einer Epoche nämlich, die Ökonomen mit der Abkürzung VUKA zusammenfassen: Das „V“ steht für Volatilität, also für die Flüchtigkeit von Dingen, die früher einmal gewiss waren. Das „U“ steht für die Unsicherheit, die daraus folgt, für die Vielzahl an Risiken, die sich ergeben. Das „K“ steht für die Komplexität der Zeit, mit ihren vielen Trends und Themen. Das „A“ schließlich steht für Ambivalenz, für die Mehrdeutigkeit also, die schließlich dazu führt, dass bestimmte Entwicklungen anders wahrgenommen werden, wenn man sie aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet.

In allen diesen Punkten ist die Bedeutung von Diversity angelegt: In einer Zeit der permanenten Schwankungen, Unsicherheiten, Komplexitäten und Mehrdeutigkeiten ist es notwendig, Lösungen immer aus diversen Blickwinkeln heraus zu entwickeln. Schon aus rein pragmatischen Gründen: Eine wie auch immer definierte Einzelgruppe wäre mit der Vielzahl der zu treffenden Entscheidungen überfordert. Die Idee von „one fits for all“, also der standardisierbaren Einheitslösung, funktioniert ebenfalls nicht mehr. Und selbst die oft genutzte Methode der Best-Practice-Beispiele verliert an Aussagekraft, denn was nützt die Erfahrung, dass ein bestimmter Weg an einer Stelle gut funktioniert hat, wenn es an anderer Stelle darum geht, ganz andere Pfade zu finden?

Buchtipp:

cover diversity meistern„Popcorn im Kopf“

Für die Autorin Anna Engers hat Diversity etwas mit „Popcorn im Kopf“ zu tun: „Weil es ein so weitverzweigtes, unüberschaubares und facettenreiches Thema ist.“ Mit ihrem Buch will sie zeigen: „Diversity ist der Booster für jedes Unternehmen!“ Dabei widmet sie sich aber auch der Frage, warum so viele Akteur*innen weiterhin Probleme bei der Umsetzung von Diversity- Strategien haben. Im Buch zeigt sie auf, dass Vielfalt sehr viel mit der eigenen Haltung gegenüber Menschen zu tun hat, als Ziel gibt sie an, den Leser*innen einen anderen Blick auf das Thema zu geben, damit sie Diversity nach „Lust und Laune“ noch einmal neu denken. Anna Engers: Komplexität von Diversity meistern: Wie Sie das „Popcorn im Kopf“ sortieren und Lust auf Vielfalt im Unternehmen bekommen. Sorriso 2020. 18 Euro.

Sieben Dimensionen der Diversität

Je tiefer man ins Thema Vielfalt einsteigt, desto klarer wird, wie sehr sich das Differenzieren lohnt. Nicht, um die Sache immer weiter zu verkomplizieren. Sondern um alle Potenziale und toten Winkel ausfindig zu machen – und als Unternehmen und Nachwuchskraft davon zu profitieren. So hat der Verein der Charta der Vielfalt Anfang 2021 eine „siebte Vielfaltsdimension“ in seine Matrix aufgenommen: die soziale Herkunft. Sie gesellt sich zu den anderen Kerndimensionen dazu, dem Geschlecht sowie dem Alter, der ethnischen Herkunft sowie den körperlichen und geistigen Fähigkeiten, der Religion sowie der sexuellen Orientierung. Nun könnten Kritiker sagen, irgendwann müsse mal Schluss sein mit der Auffächerung der Vielfalt. Der gedankliche Fehler liegt hier bereits im Ansatz, die Vielfalt überhaupt begrenzen zu können.

Diversity ist dem Wesen nach nicht dazu gedacht, sie zu vereinfachen. Sie verlangt nach Differenzierung. Nicht, um das Leben komplizierter als nötig zu machen. Sondern, weil sie die Vielfalt der Persönlichkeiten annimmt. Wenn denn an dem häufig gehörten Spruch etwas dran ist, in der heutigen digitalen Zeit die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen – dann funktioniert das nicht ohne Vielfalt. Menschen sind nun einmal divers. Das macht sie und den Umgang mit ihnen ja so spannend – und für Unternehmen und ihre Führungspersönlichkeiten so wertvoll: Jeder Mensch bringt eine eigene Perspektive mit ins Unternehmen. Wird Leadership diesem Potenzial gerecht, arbeiten Teams erfolgreicher. Insbesondere im Tech-Umfeld, in dem es so sehr darauf ankommt, innovativ und ideenreich zu sein.

#startupdiversity: gezielte Investments in Unternehmen von Gründerinnen

Der Digitalverband Bitkom und der Start-up-Verband schlagen mit einer gemeinsamen Initiative vor, dass Venture-Capital-Gesellschaften sich künftig dazu verpflichten, transparent darzustellen, welche ihrer Investments an Start-ups mit Gründerinnen gehen. Auch solle sich die Vielfalt im Management der Investoren widerspiegeln. Die beiden Verbände haben dafür im März dieses Jahres die Initiative #startupdiversity gestartet. „Ziel ist es, den seit Jahren bei rund 16 Prozent stagnierenden Gründerinnenanteil in Deutschland zu steigern“, heißt es in der Pressemitteilung. Teilnehmende Venture-Capital-Gesellschaften verpflichten sich demnach freiwillig, einmal jährlich Auskunft über die Verteilung in ihren Portfolio-Unternehmen sowie im eigenen Investment-Team zu geben. „Den Herausforderungen von Frauen – insbesondere mit Blick auf die Themen Finanzierung und Vernetzung – ist in den letzten Monaten mit mehr Sensibilität begegnet worden. Gleichzeitig ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Corona zu einer echten Zerreißprobe geworden, was bestehende Probleme für Frauen weiter verschärft. Daher ist es wichtig, das Thema gerade jetzt ganz nach vorne zu stellen”, erläutert Christian Miele, Präsident des Bundesverbands Deutsche Start-ups.