Die Bauwirtschaft ist eine Lokomotive für die deutsche Wirtschaft. Jeder siebte Euro wird im Zusammenhang mit Wohnungsbau erwirtschaftet, und wenn es der Bauwirtschaft gut geht, dann ist das auch für die gesamte Volkswirtschaft gut.
Zur Person
Verena Hubertz ist seit dem 6. Mai 2025 Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Auf ihrem Instagramkanal teilt sie Insights aus ihrem Politikerinnen-Leben.
Der Bedarf an Bauleistungen in Deutschland ist hoch. An den Rahmenbedingungen arbeiten wir. Durch Zuzug in Ballungsräume, mehr Einpersonenhaushalte und Zuwanderung werden in den kommenden Jahren nach der regionalisierten Bedarfsprognose des BBSR jährlich rund 320.000 Neubauwohnungen gebraucht.
Dazu kommt: Unser Planet wartet nicht. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, werden zukünftig sehr viel mehr Gebäude saniert werden müssen als heute. Das sind doppelt so viele wie derzeit erreicht wird. Und alle wissen, es gibt einen großen Nachholbedarf bei den Investitionen in Bahnstrecken, Straßen, Schul- und Verwaltungsgebäuden.
Für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist es daher zentral, dass Bund und Länder das 500 Milliarden Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz auf den Weg gebracht haben. Jetzt braucht es kreative Baufirmen und viele gut qualifizierte Fachleute, die diese wichtige Aufgabe in den nächsten Jahren auch auf die Straße bringen.
Die Dimension dieser Herausforderung ist historisch. In der Baubranche liegt Veränderung in der Luft. Da kommt es auch darauf an, dass der Bauberuf für junge Erwachsene als Ausbildungsberuf attraktiv bleibt. Die Engpässe bei qualifizierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sind hoch. Auf Fachkongressen der Bau- und Immobilienwirtschaft weiß jeder, die Branche muss digitaler werden, es muss weniger Abfall beim Bauen produziert werden und es braucht Innovationen und Produktivitätssteigerungen. Auch die Baukosten müssen sinken, damit Wohnen zukünftig noch bezahlbar ist.
Es kommt auf Sie und Euch an! Es sind oft junge Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die innovative Ideen in die Unternehmen einbringen. Und es sind oft die Absolventinnen und Absolventen aus Hochschulen und Ausbildungsbetrieben, die neue digitale Technologien vorantreiben. Das macht deutlich: für die Zukunftsfähigkeit in der Bauwirtschaft kommt es sehr stark auf die neue Generation von Fachkräften an.
Vieles wird sich in der Arbeitswelt in den kommenden Jahren durch technologischen Fortschritt verändern, auch in der Baubranche. Doch das ist keine Bedrohung, sondern eine Chance. Denn eine KI-Software kann unterstützen, aber wohl kaum Arbeitskräfte auf der Baustelle ersetzen. Wer sich für eine Ausbildung in dieser Branche entscheidet, wird also mit Sicherheit dazu beitragen, die Zukunft in Deutschland mit zu gestalten. Ich freue mich dabei auf ein reges Treiben, einer ganz neuen Generation.
Ihre
Verena Hubertz – Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen
3 Fragen an Peter Hübner, Präsident der BAUINDUSTRIE, von Sonja Theile-Ochel
Welche drei Kompetenzen sollten Berufseinsteiger:innen im ersten Jahr aufbauen, um schnell wirksam zu werden? Einsteiger, die schnell durchstarten möchten, sollten sich unabhängig vom Einsatzgebiet auf drei Kompetenzen konzentrieren, die die Bauwirtschaft prägen werden: den Umgang mit digitalen Modellen und vernetzter Planung, ein Verständnis für ökologische Auswirkungen des Planungs- und Produktionsprozesses, da Nachhaltigkeitsaspekte und Lebenszyklusbetrachtung entscheidend werden, und Kompetenzen im Bereich Lean Construction rundet sich das Profil ab, da wir gerade im industriellen Bauen Effizienzpotenziale heben müssen. Wer sich früh mit digitalen und nachhaltigen Ansätzen beschäftigt und die Tools beherrscht, zeigt, dass er die Zukunft der Branche gestalten will.
Wie verändert serielles und modulares Bauen den Joballtag junger Ingenieur:innen? Mit der Verbreitung seriellen und modularen Bauens ergeben sich für junge Bauingenieurinnen und Bauingenieure hohe Anforderungen an ihr Verständnis des Fertigungs- und Bauprozesses. Die Vorfertigung in Werkhallen verbessert zwar die Arbeitssicherheit, stellt aber neue Anforderungen an die Baustellenlogistik: Module müssen termingerecht geliefert und montiert werden, oft unter beengten städtischen Bedingungen. Die Baustelle wird zur „Montagefläche“, was andere Sicherheitskonzepte und Abläufe in Planung, Herstellung, Qualitätssicherung und Montage erfordert. Junge Ingenieurinnen und Ingenieure werden zu Prozessmanagerinnen und -managern. Ein zentrales Ziel wird die ökobilanzielle Optimierung von Bauprojekten sein. Dazu gehören Kenntnisse über CO₂- Bepreisung, Lebenszyklusbetrachtung und innovative Baustoffe. Auch die Fähigkeit, Nachhaltigkeitsziele in die Planung zu integrieren, wird zunehmend gefragt sein. Das kollaborative Arbeiten in interdisziplinären Teams mit digitalen Datenmodellen wird ihre Arbeit prägen. Digitalkompetenzen werden im Bauingenieurwesen zum Schlüsselfaktor. Absolventen sollten mit digitalisierten Planungsprozessen, insbesondere mit Building Information Modeling (BIM), vertraut sein.
Was tun Unternehmen, um Gen-Z-Talente zu halten: klare Trainee- Rotationen, Mentoring, Lernbudgets, hybride Projektarbeit, kooperative Vertragsmodelle? Ob Branchenführer oder Nischenspezialist: Am Bau unterscheiden wir nicht zwischen Generationen – gute Arbeitsbedingungen, Teamwork und sinnstiftende Aufgaben sind für alle zentral. Ein strukturierter Einstieg mit Pre-Boarding gibt jungen Talenten Sicherheit. Mit E-Learning, Weiterbildung und offener Feedbackkultur erleichtern unsere Unternehmen den Berufsstart. Traineeprogramme – teils kooperativ – mit Mentoring bieten tiefe Einblicke und fördern individuelle Stärken. Vereinbarkeit gewinnt an Bedeutung: hybride Arbeitsmodelle, Kinderbetreuung und Jobrotation sind häufig feste Bestandteile. Mein Rat an die Gen Z: Seid neugierig, respektvoll und nutzt Chancen zur Weiterentwicklung – egal, wo eure Stärken liegen. Wer mit Offenheit und Teamgeist startet, findet schnell seinen Platz.
Der Bau braucht neue Energie. Die deutsche Bauwirtschaft will produktiver werden. Wie das gelingen kann, zeigt ein Blick zu den europäischen Nachbarn. Digitaler arbeiten, in Inno- vationen investieren, Allianzen gründen, industrielle Prozesse nutzen – Impulse gibt es viele. Viele deutsche Bauunternehmen sind topmotiviert, sie umzusetzen. Im Zusammenspiel mit einer Verwaltung, die Prozesse vereinfacht. Und mit Hilfe junger Bauingenieur*innen, die neues Denken einbringen. Ein Essay von André Boße
In einem Interview für das Portal Deutsche Unternehmer Plattform (DUP) formulierte der Führungskräfte-Experte Christian Conrad einen Satz, der wie ein Rätsel klingt, in dem aber einiges an Wahrheit steckt. Auf die Frage, was er über die aktuelle Debatte über die Arbeitszeit halte, auch mit Blick auf die Viertagewoche, sagte er: „Wenn ich wenig Zeit, aber viel Energie habe, schaffe ich mehr, als wenn ich viel Zeit, aber keine Energie habe.“ Stimmt schon: Im Privaten erinnert man sich an freie Tage ohne Termine, bei denen man sich am Abend fragte, wo die Stunden geblieben sind – und was man eigentlich geschafft hat. Dann wiederum gibt es intensive Vormittage, an denen man diverse Punkte von der To-do-Liste abräumen konnte. Auf die Energie kommt es also an. Diese sei „der Schlüssel zu echter Produktivität“, wie Christian Conrad im DUP-Interview zitiert wird.
Bau-Turbo braucht Zündung
Zwei Jahre Rezession hat Deutschland hinter sich, „auch für das laufende Jahr sehen die Prognosen eher eine Stagnation als einen Aufschwung, teilweise sogar eine weiter andauernde Rezession“, heißt es in einer Meldung des Statistik-Portals Statista. Wer bei der Suche nach den Gründen vor allem auf die Aspekte blickt, die man selbst beeinflussen kann, landet bald bei der Produktivität. Die gesamte deutsche Wirtschaft hat ein Problem mit der Produktivität. Das gilt auch für die heimische Bauindustrie. Der Hauptverband der deutschen Bauindustrie veröffentlichte Ende 2024 Zahlen: Im Vergleich zum Jahr 2021 sei die Arbeitsproduktivität im Baugewerbe pro Stunde um 11,2 Prozent zurückgegangen. „Damit liegt die Produktivität um 23 Prozent unter dem Niveau von 1991“, vermeldete der Verband in dem Papier Brancheninfo Bau. Die selbstkritische Schlussfolgerung des Hauptverbands: „Die Mehrzahl der Bauunternehmen hat es in der gesamten Zeit versäumt, in produktivere Arbeitsabläufe zu investieren.“
Foto: AdobeStock/Hubba Bubba
Drei Produktivitätshebel in der Bauindustrie
Dr. Björn Reineke und Volkmar Schott, Baubranchenexperten von der Unternehmensberatung Ernst & Young, finden in einem Meinungsbeitrag auf der Homepage drei Hebel, um die Produktivität im deutschen Bauwesen zu erhöhen:
Industrielle Vorfertigung einzelner Bauteile oder kompletter Raum-Module
Digital gestützte Prozessoptimierung mit Hilfe von BIM sowie anderen Systemen – verbunden mit einem positiven Denken über diese Plattformen.
Serielles Bauen – denn: „Was in Serie produziert werden kann, ist günstiger und schneller verfügbar“, so die Autoren.
Klar ist: Hier muss etwas passieren. Der Baubedarf in Deutschland ist hoch, im Hoch- und Tiefbau sowie bei der Instandhaltung. Die Bundesrepublik braucht zusätzlichen Wohnraum, die marode Infrastruktur muss erneuert werden, der Klimaschutz fordert Sanierungen. Geld dafür steht zur Verfügung: „500 Milliarden Euro neue Schulden nimmt der Bund auf, um die Infrastruktur voranzubringen“, meldete die Tagesschau Mitte September. Und was die Wohnungen betrifft, will die Regierung den „Bau-Turbo“ zünden: „Städte und Gemeinden können künftig schneller grünes Licht für den Wohnungsbau geben – auch ohne Bebauungsplan“, hieß es im Sommer in einer Pressemitteilung der Bundesregierung. Es soll und muss also losgehen. Daher ist es so wichtig, dass die Baubranche an Produktivität zulegt. Damit der Turbo nicht versandet.
Gefragt ist digitales Mindset
Was in solchen herausfordernden Situationen hilft, ist der Blick auf Best-Practice-Beispiele: Wie gelingt es anderen? Daher gab der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie dem Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) den Auftrag, für eine Untersuchung den Blick ins nahe Ausland zu richten. Die Forschungsfrage lautete: Was kann das deutsche Bauwesen beim Thema Produktivität von seinen Nachbarn lernen? Seit Mitte 2025 liegt das Gutachten vor, und nach der Lektüre lässt sich festhalten: Änderungen sind erreichbar, ohne dass man dafür das Rad neu erfinden muss.
Eine Erkenntnis der Untersuchung: Deutsche Bauunternehmen hinken in der Nutzung digitaler Lösungen im Vergleich zu anderen Ländern Europas noch hinterher. Das betreffe zum Beispiel den Einsatz von ERP-Software, also Lösungen, die alle zentralen Geschäftsprozesse eines Unternehmens vereint, um somit effizient Ressourcen zu planen und zu steuern. In der deutschen Bauindustrie nutzen laut Studie lediglich 24 Prozent der befragten Unternehmen eine solche Systemsoftware. Zum Vergleich: In den Niederlanden sind es 38 Prozent, in Belgien 45 Prozent. Auch beim Blick auf die digitale Auftragsvergabe wird die Bundesrepublik von anderen Ländern überholt: „In Deutschland erfolgte die Auftragsvergabe in 4,5 Prozent der Fälle digital, in Dänemark, Spanien, Schweden oder Irland teilweise in dreimal so vielen Fällen“, schreiben die Studienautor*innen vom IW.
In Deutschland noch Innovation, woanders längst Standard
Digitalisierung ist eine ‚Basistechnologie‘, die weitere Entwicklungen anregt.
Dass Deutschland aufholen muss, zeigt sich dabei nicht nur an Zahlen – sondern auch an persönlichen Eindrücken der für die Studie befragten Entscheider in Bauunternehmen. So habe sich laut Studie ein Befragter aus den Niederlanden darüber gewundert, dass das Thema Building Information Modeling (BIM) auf einer Bau-Messe in Deutschland weiterhin als „Innovation“ dargestellt worden sei: In den Niederlanden sei BIM nämlich „längst Standard“. Ein Standard, den der Nachwuchs mit seinem digitalen Mindset auch vom heimischen Bauwesen erwartet. Die Autor*innen des Gutachtens verlangen daher mit Blick auf ERP und BIM ein neues Denken: Die Digitalisierung ist nicht mehr eine Zukunfts-, sondern eine „Basistechnologie die weitere Entwicklungen anregt“. Hapert es an der Basis, werden Entwicklungen ausgebremst.
Foto: AdobeStock/Espinoza/O.Meyer
Worst Case: USA
Die USA stehen, was den Produktivitätsverlust der Bauindustrie betrifft, noch schlechter da als Deutschland. Laut einer Studie der ING, zitiert im Nachrichtenportal The Pioneer, sank die Produktivität am Bau in den USA im Vergleich zum Jahr 2000 um satte 25 Prozent. Die Gründe: Das US-Bauwesen baut weniger, was laut dem Beitrag in The Pioneer die Innovationskraft bremst. Zudem sei die Bauindustrie in den USA noch weniger digital, kämen noch weniger Robotik-Systeme zum Einsatz. Hier habe Europa die Nase vorn: Auf 10.000 auf dem Bau tätigen Menschen kommen in Europa durchschnittlich 1,5 Roboter. In Japan liege laut The Pioneer die Quote bei 1,3, in China bei 0,7, in den USA bei 0,6 Robotern pro 10.000 Mitarbeitenden.
An dieser Stelle kommt ein weiterer Akteur ins Spiel, nämlich die Verwaltung. Sie sei der Startpunkt sehr vieler Bauvorhaben. „Umso wichtiger ist es“, heißt es in der Studie, „dass die Verwaltungen bei der Digitalisierung vorangehen.“ Dass die deutschen Behörden in Sachen Digitalisierung enormen Nachholbedarf haben, belegen Daten der EU-Kommission. Bei der Verbreitung digitaler Verwaltungslösungen für Unternehmen liegt die Bundesrepublik unter den 27 Ländern auf Rang 22. Hier ist die Verwaltung gefragt. Allianzen bilden, um innovativer zu sein
Ein weiteres Feld, in dem die deutsche Bauindustrie Boden gutmachen kann, ist die Innovationskraft. Forschung und Entwicklung sorgen für mehr Produktivität, denn wer neue Techniken oder Materialien nutzbar macht, kann effizienter, schneller und günstiger bauen. Ein zusätzlicher Effekt: Innovative Branchen sind attraktiv für den Nachwuchs. Die IW-Studie zeigt, dass die Unternehmen in der Bundesrepublik vergleichsweise wenig in die Innovation investieren. Laut Untersuchung fließen etwas mehr als 3 Prozent des Umsatzes in die Forschung und Entwicklung. In Großbritannien sind es 7,6 Prozent, in Belgien sogar rund 10 Prozent.
Das Beispiel Belgien zeigt, dass die Innovationskraft auch etwas mit staatlichen Interventionen zu tun hat. So seien in Belgien alle Unternehmen der Baubranche verpflichtet, sich anteilig zum Umsatz an der Finanzierung von Forschungseinrichtungen zu beteiligen. Hier entstehen Innovationen, die dann allen Unternehmen zur Verfügung stehen. Ein weiterer Pluspunkt: Die Einrichtungen stehen „den Unternehmen auch als Sachverständige bei spezifischen Fragen zur Verfügung und führen Schulungen und Weiterbildungen durch“, wie es im IW-Gutachten heißt. Diese Programme sind damit in der Lage, den Qualifizierungsgrad der Mitarbeiter in den Unternehmen zu erhöhen. Auch dies ist ein wichtiger Faktor für mehr Produktivität und für die Attraktivität einer Branche.
Im Verbund ist man produktiver als allein, und bei der Suche nach Partnerschaften ist Eigeninitiative gefragt.
Vorstellbar sind solche Initiativen übrigens auch ohne staatliche Beteiligung, als Allianzen aus der Unternehmerschaft heraus, wie es sie bei Themen wie der Industrie 4.0 oder der Künstlichen Intelligenz bereits gibt. Klar ist: Im Verbund ist man produktiver als allein, und bei der Suche nach Partnerschaften ist Eigeninitiative gefragt.
Von der Baustelle in die Baufabrik
Eine Sorge haben die Bauindustrien der verschiedenen europäischen Länder gemeinsam: Der Mangel an Arbeitskräften betrifft alle. Jedoch unterscheiden sich Maßnahmen dagegen. Laut IW-Untersuchung bemüht man sich zum Beispiel in Spanien mit Erfolg darum, die Branche für weibliche und junge Fachkräfte attraktiver zu machen. Spanien tut das indem man den Bau in die Industrie integriert. Das Land sehe eine große Chance in der industriellen Vorfertigung, „denn die Arbeit in Fabriken gilt als leichter, besser planbar und auch als angenehmer aufgrund fehlender Abhängigkeiten vom Wetter“, heißt es in der IW-Studie. Die Autor*innen raten daher auch dem deutschen Bauwesen, die industrielle Vorfertigung nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Prozessoptimierung zu betrachten, „sondern auch vor dem Hintergrund einer Attraktivierung der Beschäftigung“.
Sicher, der Bau bleibt im Vergleich zum Verarbeitenden Gewerbe keine Branche, die Massenproduktion durchführen kann oder in der sich ein Großteil der Arbeitsschritte automatisisieren lässt. Dennoch, um die Produktivität zu steigern, ist es sinnvoll, bestimmte industrielle Abläufe verstärkt mitzudenken: Welche Bauteile lassen sich replizieren? Welche Skalierungen lassen sich dabei nutzen?
Sinnvoll ist es auch, das Bauwesen aus der festen lokalen Verankerung zu lösen. Laut IW-Studie zeige sich, dass größere Unternehmen schneller Produktivitätsvorteile generieren können. „Denkt man weiter, so könnten einheitlichere Regelungen auf europäischer Ebene weitere Effizienzvorteile ermöglichen“, schreiben die Studienautor*innen. Ein großer, nicht mehr fragmentierter europäischer Markt für Bauleistungen und Bauinnovationen? Das würde Energie bringen – und wäre für den Nachwuchs attraktiv.
Bild: AdobeStock/Руслан Мельніков
Beton ohne CO2
Kaltplasma ist ein Beispiel für Zukunftstechniken, die in der Raumfahrt erforscht und entwickelt werden, um sie auf der Erde einzusetzen. Ein Beitrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) nennt weitere Anwendungen. So untersuchen DLR-Expert*innen etwa, wie sich Granulat wie Sand in der Schwerelosigkeit verhält. Diese Erkenntnisse könnten den Umgang mit solchen Stoffen erleichtern. Ein weiterer Fokus liegt auf Experimenten mit Beton: „Um diesen Baustoff künftig klimaneutraler herzustellen, müssen an vielen Stellen der Prozesskette CO2-Emissionen sinken“, heißt es im DLR-Beitrag. Dies gelinge, wenn man die komplexen Mechanismen der Aushärtung verschiedener Mischungen erforscht – „ohne störende Einflüsse der Schwerkraft“.
Für ihre Forschung im Bereich Baustoffe und Robotik erhielt Inka Mai, Juniorprofessorin an der TU Berlin, den Berliner Wissenschaftspreis 2024 in der Kategorie Nachwuchs. Ihr Ziel: Mit Hilfe von Robotik und 3D-Druck-Verfahren am Bau Ressourcen sparen und neue gestalterische Möglichkeiten erschaffen. Im Interview erklärt sie, warum die deutsche Bauindustrie beim Thema Innovation hinterherhinkt und was die von ihr erforschten Verfahren erreichen können. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Prof. Dr. Inka Mai (Jahrgang 1989) ist seit 2023 Juniorprofessorin und Leiterin des Fachgebiets Robotergestützte Fertigung der gebauten Umwelt am Institut für Bauingenieurwesen der TU Berlin. In ihrer Forschung verbindet sie digitale Technologien, moderne Robotik und materialgerechtes Bauen zu einem zukunftsorientierten Ansatz für die Bauindustrie. Ihr Schwerpunkt liegt auf der robotergestützten additiven Fertigung mit Beton und alternativen Materialien wie Lehm. Dabei untersucht sie insbesondere das Zusammenspiel von Material und Prozess im 3D-Druck. Ihr Studium absolvierte sie an der TU Braunschweig mit Auslandsstationen in den USA und Schweden. Nach ihrer Promotion und Arbeitsgruppenleitung an der TU Braunschweig sowie einem Gastwissenschaftleraufenthalt in Frankreich wurde sie im Februar 2023 an der TU Berlin zur Juniorprofessorin berufen.
Frau Prof. Dr. Mai, sind Sie generell ein geduldiger Mensch?
Eher nicht. Der Hintergrund der Frage: Sie forschen zukunftsorientiert in einer Branche, in der es eher langsam vorangeht. Sind Sie in dieser Hinsicht ungeduldig? Die Ungeduld schlägt beinahe in Resignation um. (lacht) Aber im Ernst, ein Problem, das sich aus dem gemächlichen Innovationstempo ergibt, ist die fehlende Produktivität. Hier hängt das Bauwesen allen anderen Industrien seit Jahrzehnten hinterher. Es gibt jedoch Ansätze, mit denen sich das ändern ließe. Einer davon ist der Einsatz von Robotik. Daran arbeite ich, und die Ungeduld kommt dann ins Spiel, wenn es doch ein bisschen länger dauert, als man es auf den ersten Blick gedacht hätte.
Warum dauert es denn länger?
Das hat nicht nur technische Gründe, sondern auch ethische und rechtliche. Ein Roboter auf einer Baustelle – da ergeben sich natürlich Fragen. Es müssen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, damit der Roboter zum Beispiel keinen Menschen verletzt. Zudem gibt es die Sorge, dass die Robotik Facharbeitern die Arbeit wegnehmen könnte. Ich persönlich betrachte den Roboter auf dem Bau als einen Unterstützer. Ich kann mir aber vorstellen, dass das nicht jeder so sieht.
Fehlt am Bau generell das Mindset dafür, die Chancen technischer Entwicklungen zu suchen?
Möglich, wobei man sich klarmachen muss, dass der Bau im Vergleich zu anderen Industrien über ganz andere Randbedingungen verfügt. Nehmen Sie die Automobilindustrie, da gibt es standardisierte Produkte, die immer wieder hergestellt und verarbeitet werden. Die Autotür wird immer gleich eingebaut, das sind repetitive Aufgaben. Beim Bauen ist jedes Vorhaben anders. Die Rahmenbedingungen unterscheiden sich, je nach Untergrund, Zuwegung, Bauplan und so weiter. Es gibt verschachtelte Arbeiten, die individuell zu gestalten sind. Und: Wir arbeiten nicht in einer abgeschlossenen und klimatisierten Halle, sondern draußen, in Regen, Wind und Hitze. Mit dieser Komplexität der Bauprozesse müssen wir uns täglich auseinandersetzen. Das entschuldigt ein änderungsunwilliges Mindset nicht, erklärt aber die zu beobachtende langsamere Änderungsgeschwindigkeit.
Halten Sie es für klug, zu versuchen, mehr Prozesse von der Baustelle weg in die eine industrielle Vorfertigung zu verlagern?
Ja, es ist eine Option, die Vorfertigung zu stärken. Bei Methoden wie dem Modulbau oder Halbfertigteilen wird das ja auch schon gemacht. Robotik bietet hier das Potenzial, Fertigteile herzustellen, die nicht nur individuell zugeschnitten, sondern auch qualitativ hochwertig und unter Umständen kostengünstig sind.
Prof. Dr. Inka Mai, Foto: Kevin FuchsAn der TU Berlin erforschen Sie eine Methode mit dem Namen Injection 3D Concrete Printing. Was kann man sich darunter vorstellen?
Bei Injection 3D Concrete Printing handelt es sich um noch recht neues 3D-Druck-Verfahren. Das Prinzip beruht darauf, dass ein Roboter ein Material A in ein Material B injiziert – wobei das injizierte Material A dort lagestabil verbleibt, in dem es von Material B quasi gehalten wird. Es gibt drei verschiedene Varianten dieses Ansatzes, eine davon ist es, Beton in eine nicht erhärtende Suspension zu injizieren, zum Beispiel in eine Kalksteinmehl-Suspension. Der Vorteil ist, dass man quasi im freien Raum – also in dieser Suspension – sehr filigrane Betonobjekte herstellen kann, und zwar ohne Stützstrukturen, die man unter normalen Bedingungen hätte herstellen müssen.
Die Betonobjekte werden also von der Suspension gestützt.
Genau, und das spart nicht nur Ressourcen, sondern sorgt auch dafür, dass man die Baustrukturen sehr frei gestalten kann. Ein anderer, noch weniger erforschter Ansatz ist es, verschiedene Beton-Arten miteinander zu kombinieren. Das ist zum Beispiel interessant, wenn man für Bauteile die Tragfähigkeit des Betons nur an bestimmten Stellen benötigt. Dann könnte man genau dort ultrafesten Beton in einen ökologischen Beton injizieren, der wiederum an allen nicht kritischen Stellen zum Einsatz käme. Ein solcher Ansatz könnte dafür sorgen, dass der Betonbau einen kleineren CO2-Fußabdruck hinterlässt.
Das Prinzip lautet form follows force.
Die Idee ist also: Die erstklassigen Eigenschaften des Betons werden nur da verbaut, wo sie wirklich gefragt sind.
Ja, genau, so könnte man es sagen. Das Prinzip lautet form follows force. Ich stelle mich der Frage, wie sich mit neuen Herstellungsmethoden schlanke Formen entwickeln lassen, die dennoch in der Lage sind, hohe Lasten zu tragen. Mit diesem Ansatz, so hat es die ETH Zürich gezeigt, lassen sich bis zu 70 Prozent an Material einsparen, ohne, dass die Tragfähigkeit der Objekte darunter leidet. Mit dem bis heute gängigen Grundsatz von Betonbauten nach dem Motto „quadratisch, praktisch, gut“ wäre das nicht möglich.
Sie sprachen vorhin beim Injection 3D Concrete Printing von einer neuen 3D-Druck-Variante. Wo liegt bei diesem Verfahren die Innovation?
Beim klassischen 3D-Druck werden die Stränge übereinander abgelegt. Das Injection 3D Concrete Printing gibt die Möglichkeit, nahezu frei im Raum zu drucken. Ich bin also nicht darauf angewiesen, dass der Strang auf einer Schicht liegt, der sie stützt. Stattdessen habe ich eben diese Stützflüssigkeit, die dann später wieder abgelassen wird. Man druckt also eine Art freischwebende Struktur, gehalten von einer Flüssigkeit. Lasse ich diese ab, verbleibt nur noch das Objekt. Wobei die stützende Flüssigkeit beim nächsten Vorgang wiederbenutzt werden kann – was das Verfahren effizient macht.
Wo steht Ihre Forschung aktuell?
Aktuell arbeiten wir daran, die physikalischen Grundlagen zu verstehen. Das heißt, wir legen häufig nur einzelne Stränge ab und gucken, was mit ihnen passiert. Aber natürlich ist es unser Ziel, in Zukunft größere Objekte herzustellen. Erste Beispiele dafür gibt es schon, zu sehen waren sie zum Beispiel auf der Time Space Existence Ausstellung parallel zur Architektur- Biennale in Venedig. Dafür, das Verfahren im nächsten Jahr in die Baupraxis zu überführen, ist es aber noch zu jung.
Interdisziplinäres Arbeiten ist der Schlüssel zum Erfolg.
Sie forschen darüber hinaus über Einsatzmöglichkeiten von Lehm, einem der weltweit ältesten Baustoffe. Welches Potenzial bietet Lehm heute noch?
Er ist ein interessanter Baustoff mit einigen Vorteilen, was den CO2-Fußabdruck, das Wohnklima oder die bauphysikalischen Eigenschaften betrifft. Es gibt aber auch Nachteile, die nicht von der Hand zu weisen sind. So hat Lehm nur ca. zehn Prozent der Festigkeit, die Beton zu bieten hat. Auch seine Dauerhaftigkeit ist kritisch. Es ist natürlich großartig, dass dieser Baustoff zirkulär ist, also immer weiterverarbeitet werden kann. Was aber eben auch heißt: Er lässt sich in Wasser auflösen. Mit der Folge, dass Außenbauteile offensichtlich nicht ohne zusätzliche konstruktive Maßnahmen auskommen. Lehm ist also nicht die Lösung aller Probleme. So wie aber auch kein anderer Baustoff die Lösung aller Probleme ist, weder Holz noch Beton. Auf die Mischung kommt es an. Es wird in Zukunft wichtig sein, Baustoffe zu diversifizieren.
Neben einer gewissen Geduld, was die Umsetzung betrifft: Welche Eigenschaften benötigt man noch, um in der Bauforschung an innovativen Themen zu arbeiten?
Resilienz. Denn Forschung heißt immer auch Misserfolg. Manche Sachen funktionieren nicht so, wie man sich das gewünscht hat. Das kann bedeuten, von einigen Ideen Abstand zu nehmen, was gar nicht einfach ist, wenn man lange daran gearbeitet hat. Ansonsten ist Durchhaltevermögen wichtig, denn: Löst man in der Bauforschung eine Frage, hat man dabei fünf neue aufgeworfen. Es ist zudem sehr ratsam, sich mit anderen Disziplinen auszutauschen. So kommt man nicht nur besser voran, sondern es gelingt auch, Innovationen schneller zu skalieren. Dieses interdisziplinäre Arbeiten ist der Schlüssel zum Erfolg.
Das Fachgebiet
Ziel der Forschungsarbeit im Fachgebiet Robotergestützte Fertigung der gebauten Umwelt an der TU Berlin ist es, digitale Fertigungsverfahren zu entwickeln, die nicht nur ökologische Vorteile bieten, sondern auch konkrete Antworten auf die Herausforderungen des Bauwesens wie Fachkräftemangel, Materialknappheit und CO2-Emissionen liefern. Der gezielte Einsatz von Robotern ermöglicht es, Bauteile so zu fertigen, dass sie nur dort Material einsetzen, wo es tatsächlich für die Statik gebraucht wird. Das spart Ressourcen, macht das Bauen deutlich effizienter und ist ein echter Paradigmenwechsel in einer Branche, die sich großen Herausforderungen wie dem Klimawandel, Ressourcenknappheit und Digitalisierung stellen muss.
Modulares Brückenbauen: Wie Bauingenieure mit Fertigteilen neue Maßstäbe setzen
Der Bauingenieur und Unternehmer Theo Reddemann hat ein modulares Brückenbausystem entwickelt, das an das Zusammensetzen von Bausteinen erinnert. Seine „Express-Brücke“ aus vorgefertigten Betonmodulen wird wettergeschützt produziert und vor Ort wie ein LEGO-Set montiert – eine 32-Meter-Brücke bei Münster war in nur sieben Wochen fertig statt 18 Monaten. Das Verfahren spart Zeit und reduziert Stau und CO₂-Emissionen erheblich. In der Videotagebuch-Reihe „Die Weg frei Macher“ des WDR wurde der Baufortschritt dokumentiert. Ingenieur*innen und Bauüberwacher geben hier nicht nur Einblicke in den Projektalltag, sondern zeigen auch die spannenden Facetten ihres Berufs.
Meilenstein am Neubau: Erste Brückenhälfte der Talbrücke Sterbecke freigegeben
Für die Ingenieur- und Bauwelt geht’s voran: Das erste Teilbauwerk der Talbrücke Sterbecke an der A45 bei Schalksmühle wurde nach rund zweieinhalb Jahren fertiggestellt und geht nun unter Verkehr. In dieser Bauphase wurden 14.000 m³ Beton, 2.000 t Stahl und ein Spannbeton- Hohlkasten verbaut. Direkt im Anschluss startet die vorbereitende Sprengung des zweiten Teilbauwerks, die für Anfang 2026 geplant ist. Für Bauingenieure bietet das Großprojekt spannende Aufgabenfelder – von Gründung über Stahlverbund bis Verkehrssteuerung.
Forum für Künstliche Intelligenz im Deutschen Museum Bonn
Künstliche Intelligenz ist die bedeutendste Technologie unserer Zeit – deshalb widmet das Deutsche Museum Bonn dem Thema KI bunt gestaltete Erlebnisräume, in denen das vielseitige und komplexe Thema KI sehr zugänglich vermittelt wird: Interaktive und unterhaltsame Exponate und Demonstrationen machen Grundlagen und aktuelle Entwicklungen der KI verständlich. Da gibt es interaktive Stationen zum Ausprobieren und Anfassen statt trockener Texte und Erläuterungen. Für ein aktives Museumserlebnis sorgen die Museotainer*innen, die den Besucher*innen zur Seite stehen und das abstrakte Thema KI mit Leben füllen. Ihre „KI:ckstarts“ – kurze dialogische Rundgänge – eröffnen den Museumsgästen einen verständlichen Zugang zur Welt der Künstlichen Intelligenz.
von Sonja Theile-Ochel
Zwischen Deutschland und Dänemark entsteht derzeit ein Bauwerk, das die Mobilität in Europa neu definieren wird: der Fehmarnbelt-Tunnel. Mit einer Länge von 18 Kilometern wird er der längste Absenktunnel der Welt. Das Projekt verbindet die deutsche Insel Fehmarn mit der dänischen Insel Lolland und soll nicht nur die Reisezeit zwischen Hamburg und Kopenhagen deutlich verkürzen, sondern auch den grenzüberschreitenden Handel fördern. Ein weiterer zentraler Aspekt ist der Beitrag zu einer nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur in Nordeuropa. Von Denise Juchem Leiterin der Kommunikation des dänischen Tunnelbauherrn Femern A/S
Technische Superlative auf 18 Kilometern
Der Fehmarnbelt-Tunnel setzt Maßstäbe: Er besteht aus insgesamt 89 vorgefertigten Tunnelelementen – 79 Standard- und zehn Spezialsegmenten. Die Standardelemente messen jeweils 217 Meter in der Länge, 42 Meter in der Breite und neun Meter in der Höhe. Jedes dieser Bauteile wiegt rund 73.000 Tonnen. Die Spezialelemente verfügen über ein zusätzliches Untergeschoss, in dem Betriebstechnik untergebracht ist.
Gigantische Bauteile für ein Jahrhundertprojekt
Produziert werden die gewaltigen Tunnelteile in einer eigens errichteten Fabrik auf der dänischen Insel Lolland, unweit der späteren Tunneleinfahrt. Dort entstehen aus massiven Stahlbewehrungskörben die Grundstrukturen. Jedes Standardelement besteht aus neun Betonsegmenten, die jeweils in einem durchgehenden Gussverfahren gefertigt werden – ein Vorgang, der pro Segment rund 30 Stunden dauert.
Fertigung unter Hochdruck: Die Tunnelfabrik auf Lolland
In den drei Fertigungshallen erfolgt der Bau unter kontrollierten Bedingungen. Nach der Betonage erhalten die Elemente im angrenzenden Trockendock ihre technische Ausstattung. Hier werden unter anderem Brandschutzverkleidungen und Stahlschotten eingebaut. Letztere sorgen für eine wasserdichte Versiegelung beider Enden, bevor das Trockendock geflutet wird – der Moment, in dem das Tunnelelement erstmals mit Wasser in Berührung kommt.
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Foto: Femern A/S
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Foto: Femern A/S
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Vom Trockendock ins Meer
Das Fluten des Docks verläuft langsam und kontrolliert: Ein Schiebetor verschließt das obere Ende, während ein mit vielen Pumpen ausgestattetes Schwimmtor den unteren Teil abschließt. Sobald der Wasserspiegel steigt, schwimmt das schwere Betonelement auf und wird mithilfe von Seilwinden zum unteren Ende des Beckens gezogen. Dort wird der Wasserstand wieder auf Meeresniveau abgesenkt – das Element ist nun bereit für den Transport zur Absenkstelle.
Schwimmende Technik: Der Weg zur Absenkstelle
Im eigens angelegten Arbeitshafen erfolgt der nächste Schritt: Zwei Absenkpontons werden wie Klammern an das Tunnelelement montiert. Mit Unterstützung von Schleppern wird das Tunnelelement anschließend zur vorgesehenen Stelle im Fehmarnbelt geschleppt. Dort wartet der nächste präzise Arbeitsschritt.
Millimetergenaue Platzierung auf dem Meeresgrund
Das Absenken und Positionieren der Elemente zählt zu den größten technischen Herausforderungen des gesamten Projekts. Jedes Teil muss exakt im vorbereiteten Tunnelgraben platziert werden – mit einer Toleranz von wenigen Millimetern. Hierzu wird ein eigens entwickeltes Geo-Positioniersystem eingesetzt, das eine millimetergenaue Steuerung erlaubt.
Wasserdichtes Bauwerk unter dem Meer
Das Element wird an Stahlseilen in den Tunnelgraben abgesenkt. Der Baufortschritt erfolgt abschnittsweise von beiden Küsten in Richtung Mitte des Belts. Hydraulische Arme ziehen die Elemente aneinander und pressen eine äußere Dichtung zusammen. Nach dem Abpumpen des Wassers zwischen den Elementen entsteht ein atmosphärischer Druck – die Bauteile sind nun dauerhaft und wasserdicht verbunden.
Baufortschritt auf beiden Seiten des Belts
Die Arbeiten auf dänischer Seite begannen 2020, in Deutschland ein Jahr später. Mittlerweile sind mehrere Tunnelelemente fertiggestellt, der Tunnelgraben vollständig ausgehoben und die Bauwerke an beiden Tunnelportalen weit fortgeschritten. Für Ende 2025 ist das Absenken des ersten Elements geplant – ein Meilenstein für dieses grenzüberschreitende Großprojekt.
Ein europäisches Meisterwerk der Ingenieurskunst
Der Fehmarnbelt-Tunnel ist ein beeindruckendes Beispiel für technische Innovation und logistische Präzision. Er zeigt, wie moderne Ingenieurskunst dazu beitragen kann, Länder näher zusammenzubringen – unter dem Meer, aber mit großer Wirkung für ganz Europa.
Hochschultag Fehmarnbelt-Tunnel:
Im Frühjahr 2025 hat bereits das zweite Jahr in Folge der Hochschultag „Fehmarnbelt- Tunnel“ auf der Ostseeinsel Fehmarn stattgefunden. Eingeladen hatte die staatliche dänische Sund & Bælt-Holding, zu der auch der Tunnelbauherr Femern A/S gehört. Mit Fachvorträgen, Baustellenführungen und direktem Austausch mit Expertinnen und Experten bot dieser Tag Studierenden eine einzigartige Gelegenheit, hinter die Kulissen des Mega-Projekts zu blicken – und vielleicht sogar Inspirationen für die eigene berufliche Zukunft zu entdecken.
Wo einst Cola-Flaschen über Förderbänder ratterten, funkeln heute Ferraris und Porsches hinter Glasfassaden. Auf dem Gelände des ehemaligen Coca-Cola-Werks bei Palma de Mallorca entstand mit der Motorworld Mallorca ein spektakuläres Zentrum für Mobilität, Lifestyle und Events – und ein Lehrstück für den kreativen Umgang mit industriellem Erbe. Ein Gastbeitrag von Wiebke Deggau, Motorworld Group
Mit der Motorworld Mallorca ist eine automobile Erlebniswelt mit außergewöhnlichem Charakter entstanden. Auch architektonisch stellt sie eine echte Besonderheit dar: Das alte Betonskelett der Fabrik wurde erhalten und bestimmt weiterhin das strenge Achsraster des Gebäudes. Doch diesem rationalen Raster stellten die Architekten von TBI Architecture & Engineering aus Barcelona eine neue Formensprache entgegen – geschwungene Linien und Kurven, die an Rennstrecken erinnern und Bewegung suggerieren.
Für Bauingenieur:innen eröffnet sich hier ein interessantes Spannungsfeld: Wie lässt sich eine massive, auf Effizienz ausgelegte Industriestruktur mit einer Architektur vereinen, die Geschwindigkeit und Eleganz verkörpern soll? Die Motorworld zeigt, dass der Reiz im Kontrast liegt.
Besondere Elemente
Dreigeschossiges, gläsernes Parkregal mit 60 Stellplätzen
Eventhalle für 2.000 Personen mit Drehscheibe und Hebeplattform
Historische Windmühlen und Aquädukt im Außengelände
Eyecatcher: Die gläserne Boxengasse Im hinteren Hallenbereich erhebt sich ein dreigeschossiges, vollverglastes Parkregal mit 60 Stellplätzen. Hier werden Oldtimer und Sportwagen nicht bloß abgestellt – sie werden wie Kunstwerke inszeniert. Ein halbautomatisches System hebt und bewegt die Fahrzeuge, jederzeit abrufbar für ihre Besitzer.
Dieses „Glasboxen“-Konzept verbindet Ingenieurtechnik, Brandschutz und Showeffekte – ein Beispiel, wie technische Systeme nicht nur funktionieren, sondern inszenieren können.
Die Mobility Hall: Raum für Events
Highlight des Tagungs- und Eventbereiches der Motorworld Mallorca ist die Mobility Hall, eine Eventhalle für bis zu 2.000 Personen. Eine im Boden eingelassene Drehscheibe, versenkbare Hebeplattformen und breite Sektionaltore ermöglichen Inszenierungen aller Art. Ergänzende Stahlfachwerkträger mit fast 30 Metern Spannweite tragen Eventtechnik, Licht- und Soundanlagen. Für angehende Bauingenieur:innen lohnt hier der Blick auf die Anpassung des Bestands: Wie lassen sich Tragreserven schaffen, ohne die alte Bausubstanz zu überfordern? Die Kombination von Bestand und neuen Tragstrukturen ist ein Paradebeispiel.
Materialien zwischen Nostalgie und Neon
Die Materialwahl spielt bewusst mit Kontrasten. Ein Mauerwerkssockel greift den Ton des mallorquinischen Natursteins Marès auf und und bildet einen Bezug zur lokalen Bautradition. Zugleich bleiben Trapezblech, Sichtbeton und verzinkte Stahlträger sichtbar – ein offenes Bekenntnis zur Industriegeschichte. Den Gegenpol bildet die moderne Lichtführung: RGBW-LED-Bänder an allen Geschosskanten verwandeln das nüchterne Tragwerk nachts in eine leuchtende Bühne.
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Foto: Copyright: Motorworld, Fotos Thor Schoof
Foto: Copyright: Motorworld, Fotos Thor Schoof
Foto: Copyright: Motorworld, Fotos Thor Schoof
Bauen im Bestand als Zukunftsmodell
Das Projekt ist auch ein Musterbeispiel für nachhaltiges Bauen im Bestand. Anstatt neu zu bauen, revitalisierte die Motorworld Group die bestehende Industriebrache – ein ökologischer und ökonomischer Vorteil. Historische Elemente wie zwei denkmalgeschützte Windmühlen wurden restauriert und integriert. Auf 4.500 Quadratmetern erzeugt eine Photovoltaikanlage jährlich über 427.000 kWh Strom, und Ladesäulen für E-Mobilität erweitern das Angebot. Mit dieser Mischung aus Bewahrung und Innovation zeigt die Motorworld Mallorca, wie Bestandsbauten ressourcenschonend, kulturell wertvoll und zugleich hochmodern genutzt werden können.
Architektur als Statement
Die Motorworld Mallorca ist kein neutraler Bau, sondern ein bewusstes Statement. Sie feiert den Luxus der automobilen Gegenwart, ohne die industrielle Vergangenheit zu verleugnen. Damit wird das Gebäude selbst zum Spiegel einer Zeit, in der Fabrikhallen nicht mehr produzieren, sondern inszenieren.
Es ist ein klarer Nachmittag in Dubai. Auf der Sheikh Zayed Road, der sechsspurigen Lebensader der Stadt, rauscht der Verkehr unermüdlich vorbei. Mittendrin erhebt sich ein Bauwerk, das selbst in einer Stadt voller Superlative auffällt. Der Wasl Tower streckt sich 302 Meter in den Himmel, 64 Stockwerke hoch – und doch wirkt er nicht starr, sondern wie in Bewegung, leicht gedreht um seine eigene Achse. Der Wasl Tower ist ein Statement – für neue Formen des Bauens, für Nachhaltigkeit im extremen Klima des Nahen Ostens und für eine Ingenieurskunst, die sich nicht mit Gewohntem zufrieden gibt. Bei Dubais neuem Wahrzeichen verantwortet Werner Sobek die komplette Bauleitung, die Generalplanung sowie die Planung der Fassade. Zudem berät er in Nachhaltigkeitsfragen und plante die Akustik des Al Wasl Towers. Von Sonja Theile-Ochel
Ein Bauwerk zwischen Show und Substanz
Dubai kennt viele architektonische Inszenierungen. Der Burj Khalifa, mit 828 Metern das höchste Gebäude der Welt, ist weltweit zum Symbol für die Ambitionen des Emirats geworden. In direkter Nachbarschaft nun also der Wasl Tower – kleiner, doch keineswegs weniger spektakulär. Das Projekt unterscheidet sich bewusst von anderen Wolkenkratzern der Stadt. Während in Dubai häufig Glasfassaden dominieren, setzt man hier auf eine ungewöhnliche Materialwahl: Keramik. Genauer gesagt: eine der höchsten Keramikfassaden der Welt. Damit bricht der Turm nicht nur mit der Sehgewohnheit, sondern liefert auch eine Antwort auf ein zentrales Problem: Wie kann ein Hochhaus im Wüstenklima energieeffizient betrieben werden?
Zahlen, die beeindrucken
Auf einer Grundfläche von knapp 7.900 Quadratmetern entsteht ein Gebäude mit einer Bruttogrundfläche von über 172.000 Quadratmetern. Der Turm vereint Büros, 224 Apartments, Gastronomie, einen Spa- und Poolbereich sowie ein Mandarin- Oriental-Hotel mit 259 Zimmern. Das macht ihn zu einem typischen Vertreter einer Bauform, die in vielen Metropolen an Bedeutung gewinnt: Mixed-Use-Hochhäuser. Sie bündeln verschiedene Nutzungen in einem Gebäude und schaffen so eine kleine vertikale Stadt. Gerade in Städten mit hoher Dichte ist dieses Konzept ein Mittel, um Flächen besser auszunutzen – und in Dubai ein weiterer Schritt, urbane Landmarken nicht nur als Prestigeobjekte, sondern auch als funktionale Räume zu denken.
Der Dreh in der Silhouette
Wer den Turm betrachtet, merkt sofort: Die Fassade ist nicht glatt und statisch. Stattdessen wirkt das Gebäude, als hätte es jemand leicht verdreht. Dieses Design ist kein reiner Gestaltungswille, sondern basiert auf einem architektonischen Prinzip, das aus der Bildhauerei stammt: Contrapposto.
In der klassischen Skulptur beschreibt der Begriff die Haltung einer Figur, deren Körper leicht gegeneinander verschoben ist – eine Pose, die Dynamik und Balance zugleich ausdrückt. UNStudio, das niederländische Architekturbüro um Ben van Berkel, übertrug dieses Prinzip auf das Hochhaus. Das Ergebnis: ein Bauwerk, das aus jeder Perspektive anders erscheint und doch in sich stabil wirkt.
Für Ingenieur:innen steckt darin mehr als nur Ästhetik. Die Drehung reduziert die Windlasten auf den Turm um rund 20 Prozent. In einer Höhe von über 300 Metern bedeutet das: weniger Materialbedarf, geringere Baukosten und eine Konstruktion, die langfristig effizienter betrieben werden kann.
Tragwerk, Fassade, Gesamtplanung: Werner Sobek (Stuttgart)
Bauzeit: 2016–2024
Das Herz aus Beton und Stahl
Die Tragstruktur des Wasl Towers besteht aus einem zentralen Betonkern, der die vertikale Last trägt. Ergänzt wird er durch vier Outrigger-Ebenen – massive horizontale Strukturen, die den Kern mit der äußeren Gebäudehülle verbinden. Dieses System erlaubt nicht nur größere Stabilität, sondern auch eine flexiblere Nutzung der Grundrisse. Büros, Apartments oder Hotelzimmer lassen sich dadurch offener gestalten, ohne dass ständig tragende Säulen den Raum unterbrechen. Rund 280.000 hochfeste Bewehrungskupplungen kommen in Kern und Auslegern zum Einsatz – ein technisches Detail, das die gewaltigen Kräfte in Schach hält, die auf ein Hochhaus dieser Größenordnung wirken.
Eine Fassade aus Keramik
Doch das wirklich revolutionäre Element ist die Fassade. Anstatt vollständig auf Glas zu setzen, wie es in Dubai üblich ist, entschied man sich für ein Material, das eher mit traditionellem Handwerk verbunden wird: Keramik. Über die gesamte Gebäudehöhe ziehen sich Keramiklamellen, die in Aluminiumprofile eingefasst sind. Sie sind parametrisch so berechnet, dass sie in einem Winkel von 12,8 Grad stehen – genau jener Neigung, die im Zusammenspiel von Sonneneinstrahlung, Tageslichtlenkung und Fassadenästhetik optimal ist.
Ihre Funktionen sind vielfältig:
Sie spenden Schatten und verringern so den Wärmeeintrag.
Sie reflektieren Tageslicht ins Innere und reduzieren den Bedarf an künstlicher Beleuchtung.
Sie wirken wie ein thermischer Puffer – Keramik hat eine geringe Wärmeleitfähigkeit.
Sie tragen zur Abkühlung der unmittelbaren Umgebung bei und mindern den Urban-Heat-Island-Effekt.
Damit wird das, was wie ein reines Gestaltungselement wirkt, zu einem zentralen Baustein des Energiekonzepts. Glas mit Bronze-Schimmer Die Verglasung des Turms ist bronzebeschichtet. Auch das ist kein Zufall: Die Beschichtung reflektiert Infrarotstrahlung und sorgt dafür, dass weniger Wärme in das Gebäude eindringt. Gleichzeitig bleibt der Blick nach draußen weitgehend unbeeinträchtigt.
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Foto: Nils Koenning
Foto: Nils Koenning
Foto: Nils Koenning
Foto: Nils Koenning
Foto: Nils Koenning
Die Kombination von Glas, Aluminium und Keramik ergibt eine Fassade, die sowohl transparent als auch schützend ist. In den Randzonen der Etagen reduziert dieses System den Energiebedarf für Beleuchtung um bis zu 40 Prozent – ein beeindruckender Wert, wenn man bedenkt, dass gerade Hochhäuser enorme Mengen an Energie für Klima- und Lichttechnik benötigen. Technik für Nachhaltigkeit Doch die Fassade ist nur ein Teil des Konzepts. Der Wasl Tower wurde von Anfang an als nachhaltiges Gebäude geplant. Dazu gehören:
Solarthermiekollektoren, die Warmwasser erzeugen.
Wärmepumpen, die effizient für Klimatisierung sorgen.
Intelligente Beleuchtungssysteme, die Tageslicht berücksichtigen.
Regen- und Grauwassernutzung zur Bewässerung.
Recycelte Materialien für den Innenausbau.
In Summe ergibt das einen deutlich geringeren CO₂-Fußabdruck, als man ihn von einem Hochhaus dieser Größenordnung erwarten würde.
Herausforderungen beim Bau
Ein Turm wie der Wasl Tower ist nicht nur auf dem Papier eine Herausforderung. Auch die Umsetzung war komplex.
Die digitale Planung mit BIM war unverzichtbar, um die verdrehte Geometrie zu koordinieren.
Jedes Fassadenelement musste millimetergenau gefertigt und montiert werden. Kleinste Abweichungen hätten das gesamte Erscheinungsbild gestört.
Die Outrigger-Konstruktionen mussten exakt auf die Drehung abgestimmt werden, um die Kräfte zu verteilen.
Für Bauingenieur:innen zeigt sich hier, wie wichtig interdisziplinäre Zusammenarbeit ist: Architektur, Tragwerksplanung, Fassadenbau und Gebäudetechnik mussten ineinandergreifen, damit das Projekt überhaupt realisierbar wurde.
Ein Turm als Lehrstück
Der Wasl Tower ist nicht der höchste Wolkenkratzer Dubais, nicht der größte und nicht der teuerste. Aber er ist in vielerlei Hinsicht einer der interessantesten. Er zeigt, dass Hochhäuser mehr sein können als Symbole von Macht und Prestige – sie können Experimentierfelder für nachhaltiges Bauen sein.
Für angehende Bauingenieur:innen steckt in diesem Projekt eine Fülle von Anregungen: von der Rolle digitaler Planungswerkzeuge über die Materialwahl bis hin zur Frage, wie Architektur und Ingenieurwesen sich gegenseitig inspirieren.
Wenn der Wasl Tower offiziell eröffnet wird, reiht er sich nahtlos in die spektakuläre Skyline Dubais ein. Doch er unterscheidet sich: durch seine verdrehte Silhouette, durch die Keramiklamellen, durch die konsequente Suche nach Energieeffizienz. In einer Zeit, in der Städte weltweit wachsen und der Hochhausbau in Metropolen weiter zunimmt, könnte er zu einem Vorbild werden. Für eine Bauweise, die nicht allein auf Höhe und Prestige setzt, sondern auf Innovation, Nachhaltigkeit und Ingenieurskunst.
Die Baubranche befindet sich im digitalen Umwandlungsprozess. Building Information Modeling (BIM) ist auf diesem Transformationsweg die maßgebliche Methode – sie ermöglicht die Digitalisierung und Kollaboration über die gesamte Wertschöpfungskette von Bauprojekten hinweg. Planung, Bau und Betrieb werden so effizienter, besser planbar und günstiger – ebenso nachhaltiger. Als neue Technologie kommt nun Künstliche Intelligenz (KI) hinzu, die sich hervorragend mit BIM kombinieren lässt. Von Christoph Berger, buildingSMART Deutschland
Die Baubranche sieht sich mit einer wachsenden Datenflut und immer komplexeren Projekten konfrontiert. BIM hat sich vor diesem Hintergrund zum Standard für die digitale Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Bauwerken etabliert. Im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung heißt es: „Building Information Modeling (BIM) wird zum zentralen Instrument der Digitalisierung des Bauwesens weiterentwickelt.“ KI unterstützt nun diese Entwicklung und bietet Potenziale in fast allen Branchenbereichen: zum Beispiel von der Ausschreibungsanalyse über die Bauzeiten- und Ressourcenplanung, Predictive Maintenance bis hin zur Dokumenten- und Datenanalyse. Auch beim 3D-Druck oder dem Einsatz von Drohnen- und Robotern kann KI unterstützen. Doch während in anderen Branchen KI bereits tief in die Wertschöpfung integriert ist, befindet sich die Bauwirtschaft noch im Aufholprozess – mit Pilotprojekten, aber auch mit großem Nachholbedarf bei Datenstandards und Governance.
Schnittmengen von BIM und KI
Wobei Datenstandards das entscheidende Stichwort für ein erfolgreiches Zusammenwirken von BIM mit KI ist. BIM liefert die strukturierte Datenbasis, auf der KI-Algorithmen aufbauen können. Der von buildingSMART entwickelte Datenstandard IFC (Industry Foundation Classes) schafft die nötigen Voraussetzungen. Ziel des IFC-Standards ist die interoperable Datenübertragung zwischen verschiedenen Softwarelösungen im Bauwesen – unabhängig vom Hersteller. In Verbindung des Datenstandards mit KI werden Digitale Zwillinge, also virtuelle Abbilder realer Gebäude in Echtzeit, möglich, die Bauprozesse und Betriebsphasen datenbasiert steuern und optimieren.
Trotz der aufgezeigten Potenziale gibt es branchenspezifische Hürden. Dazu zählen nicht nur die Datenbasis, sondern auch individuelle und projektspezifische Abläufe, weiterhin existierende analoge Abläufe, Insellösungen und Silodenken. Hinzu kommen Fachkräftemangel, fehlende KI-Governance sowie die inzwischen erlangte Erkenntnis: Mit Technik allein ist es nicht getan, für die erfolgreiche Durchführung von Digitalisierungsprojekten braucht es auch einen Kulturwandel.
Nur wenn Prozesse, Menschen und Strukturen zusammenpassen, entsteht Fortschritt. Auch hier setzt buildingSMART Deutschland an: Als Netzwerk fördert es den Wissenstransfer zwischen Praxis, Forschung und Nachwuchs und arbeitet aktiv am Zusammenspiel von Technik und Change.
Berufseinstieg und Zukunftsperspektiven
Für Absolventinnen und Absolventen bieten sich vor diesem Hintergrund zahlreiche Einstiegsmöglichkeiten – von der Entwicklung und Implementierung digitaler Tools über das Datenmanagement bis hin zur Beratung und Prozessoptimierung. Gefragt sind nicht nur ITund Ingenieurkenntnisse, sondern auch die Bereitschaft, sich in interdisziplinären Teams und neuen Rollen zu bewegen. Wer sich früh mit BIM und KI beschäftigt, kann die digitale Transformation der Branche aktiv mitgestalten.
Das Bauwesen steht vor großen Veränderungen. Wie andere Branchen investieren auch Planer, Bauunternehmen und Handwerk in digitale Werkzeuge, Plattformen, Datenökonomie und künstliche Intelligenz. Ein Leuchtturmprojekt in diesem Bereich ist Construct-X. Von Christoph Berger, buildingSMART Deutschland
Ziel von Construct-X ist es, eine vertrauenswürdige und kompatible Dateninfrastruktur aufzubauen, die Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette Bau einen sicheren und selbstbestimmten Datenaustausch erlaubt.
Warum das so wichtig ist? In kaum einer anderen Branche arbeiten so viele Akteure über so lange Zeiträume hinweg an gemeinsamen Projekten. Damit alle Beteiligten effizient zusammenarbeiten können – vom Architekturbüro bis zum Betreiber – müssen sie Daten teilen: Planungsunterlagen, Baufortschrittsdaten, Nachhaltigkeitsnachweise. Dies darf aber nicht „blind“, sondern muss gezielt, sicher und nachvollziehbar geschehen. Eine entsprechende Infrastruktur dafür schafft das nötige Vertrauen. Unternehmen behalten die Kontrolle über ihre Daten – und ermöglichen gleichzeitig neue Formen der Kooperation, Innovation und Prozessoptimierung.
Bei all dem wird klar: Die digitale Transformation bedeutet nicht nur technische Innovation, sondern auch neue Rollen, Kompetenzen und Karrierewege in der Bauwirtschaft. Neue Berufe entstehen, alte Rollen wandeln sich.
Architekt datengetriebener Bauökosysteme
Der Digital Construction Strategist steht im Mittelpunkt dieser neuen Welt. Er kombiniert bautechnisches Wissen mit IT-Plattformarchitekturen wie Gaia-X, einer europäischen Initiative für eine föderierte, sichere und transparente Dateninfrastruktur, die es Unternehmen ermöglicht, ihre Daten selbstbestimmt zu teilen und zu nutzen. Aufgabe des Digital Construction Strategist: datengetriebene Ökosysteme aufbauen und pflegen, also digitale Netzwerke aus Unternehmen, Plattformen und Diensten, die gemeinsam neue Bauprozesse ermöglichen. Dazu zählt auch, neue digitale Geschäftsmodelle aufzubauen und langfristige Plattformstrategien zu entwickeln.
Verwalter digitaler Zwillinge im Lebenszyklus
Der BIM & Twin Intelligence Manager sorgt dafür, dass ein Bauwerk auch digital immer auf dem neuesten Stand bleibt – von der Planung über den Bau bis in den Betrieb. Er erstellt und betreut den digitalen Zwilling, also das virtuelle Abbild eines Gebäudes, in dem alle wichtigen Informationen und Zustände gespeichert sind: Materialien, Energieverbrauch, Wartungsdaten. Damit lassen sich mithilfe von Künstlicher Intelligenz beispielsweise der Energiebedarf vorhersagen, Wartungsintervalle planen oder Umbauten simulieren.
Grundlage dafür sind offene Datenstandards, die den reibungslosen und verlässlichen Austausch zwischen unterschiedlichen Software-Systemen ermöglichen. So können alle Beteiligten, vom Bauherrn bis zum Facility Manager, auf dieselben Informationen zugreifen. Datenspezialisten für Echtzeit-Baustellen Construction Data Engineers arbeiten mit Live-Daten direkt von der Baustelle: Sensoren erfassen z. B. Temperatur, Feuchtigkeit, Materialbewegungen oder den Zustand von Maschinen. Diese Daten landen in einer IoT-Plattform, wo sie strukturiert und mit Planungsdaten verknüpft werden. Daraus entstehen automatische Statusberichte, Prognosen oder Warnsysteme. Etwa, wenn das Betonieren wegen eines Wetterumschwungs verschoben werden muss oder eine Maschine ausfällt. So hilft der Construction Data Engineer dabei, Bauprozesse in Echtzeit zu überwachen, Engpässe früh zu erkennen und Abläufe zu optimieren – digital, präzise und auf Basis aktueller Informationen.
Wächter über digitale Identitäten und Plattformsicherheit
Wo Daten fließen, ist Sicherheit gefragt. Deshalb braucht es künftig Cybersecurity- Experten auf der Baustelle. Sie schützen digitale Bauakten, Plattformzugänge und Nachweissysteme vor unberechtigtem Zugriff. Dazu nutzen sie moderne Technologien wie etwa:
SSI (Self-Sovereign Identity), ein Prinzip, bei dem Unternehmen oder Personen ihre digitale Identität selbst kontrollieren – ohne zentrale Instanz,
eIDAS, den europäischen Standard für elektronische Identitätsnachweise, z. B. für rechtssichere digitale Unterschriften,
und das Gaia-X Trust Framework, das sicherstellt, dass Datenplattformen transparent, vertrauenswürdig und konform mit europäischen Datenschutzregeln betrieben werden. Cybersecurity- Spezialisten entwickeln so vertrauliche und robuste Datenräume, die die Grundlage für digitale Zusammenarbeit im Bauwesen bilden.
Nachhaltigkeit trifft Technologie und Planung
Bauwerke der Zukunft müssen nicht nur stabil und funktional sein – sondern auch klimagerecht und ressourcenschonend. Genau hier setzt der Sustainability & Impact Designer an. Diese neue Rolle verbindet technisches Planungswissen mit Umweltkompetenz und Datenanalyse.
Mit Hilfe von Lebenszyklusanalysen und Impact-Modellen berechnen Sustainability & Impact Designer bereits in der frühen Planungsphase, wie viel Kohlendioxid ein Bauwerk in Bau, Betrieb und Rückbau verursacht – und wie sich Emissionen durch andere Materialien, Bauweisen oder Energiequellen senken lassen. Auch Künstliche Intelligenz kommt dabei zum Einsatz: Sie hilft, komplexe Umweltdaten auszuwerten und verschiedene Planungsvarianten in Sekundenschnelle zu vergleichen. Ziel ist es, nachhaltige Entscheidungen datenbasiert und nachvollziehbar zu machen – und damit den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden deutlich zu verkleinern.
Cloud-Edge-Kontinuum
Daten werden nicht nur in der Cloud (zentralen Rechenzentren), sondern auch direkt vor Ort verarbeitet – etwa auf der Baustelle, in Maschinen oder Sensoren (Edge). Das Cloud-Edge-Kontinuum beschreibt den fließenden Übergang zwischen diesen beiden Ebenen. So können Bauprozesse in Echtzeit gesteuert werden, während komplexe Analysen in der Cloud erfolgen.
Gestalter der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine
Auf der Baustelle der Zukunft arbeiten Menschen, Maschinen und digitale Systeme „Hand in Hand“ – oft in Echtzeit und oft auf engem Raum. Damit diese Zusammenarbeit reibungslos und sicher funktioniert, braucht es Collaboration Engineers. Sie gestalten die Schnittstellen zwischen Mensch und Technik: zum Beispiel, wie ein Kranführer mit einer KI-basierten Assistenz kommuniziert, oder wie Roboter und Fachkräfte auf engem Raum koordiniert werden.
Dabei geht es nicht nur um Technologie, sondern auch um Ergonomie, Sicherheit und psychologische Akzeptanz: Wie muss ein Interface gestaltet sein, damit es in stressigen Situationen intuitiv bedienbar ist? Wie lässt sich vermeiden, dass Menschen Maschinen blind vertrauen – oder sie blockieren? Collaboration Engineers schaffen die Grundlage für effiziente, sichere und menschengerechte Zusammenarbeit in einer digitalisierten Bauwelt.
Begleiter der kulturellen und digitalen Transformation
Neue Technologien verändern aber nicht nur Abläufe, sie fordern auch die Menschen, die mit ihnen arbeiten. Ob Tablets auf der Baustelle, KI in der Planung oder cloudbasierte Plattformen im Projektmanagement: Wer den Wandel erfolgreich gestalten will, muss mehr tun als nur Software einführen.
Hier kommen Change-Navigatoren ins Spiel. Sie begleiten Unternehmen, vom Handwerksbetrieb bis zum Baukonzern, durch den digitalen Wandel. Ihre Aufgabe ist es, Veränderungen greifbar zu machen, Berührungsängste abzubauen, Mitarbeitende zu schulen und Führungskräfte zu beraten. Change-Navigatoren übersetzen Strategie in gelebte Praxis. Sie fördern eine neue Fehlerkultur. Und stärken das digitale Mindset.
Hybride Rollen für eine neue Bauidentität
Die digitale Transformation im Bauwesen, zu der das Projekt Construct-X wichtige Bausteine liefern wird, schafft ganz neue Berufsbilder und -möglichkeiten. Es entstehen hybride Rollen mit interdisziplinären Anforderungen. Technik, Daten und Nachhaltigkeit verschmelzen zu einer neuen Bauidentität, die menschliche Kreativität, digitale Präzision und nachhaltiges Denken vereint.
Was hinter Construct-X steckt
Das Projekt Construct-X treibt die digitale Transformation im Bau- und Anlagenbau in Deutschland voran. Construct-X entwickelt unter anderem auf Open- Source-Prinzipien basierte Datenräume, eine Cloud-basierte Open-Source-Referenzarchitektur sowie für den Baubereich relevante Cloud-Edge-Anwendungen. Dazu zählt auch die Entwicklung von Technologien für das Multi-Provider Cloud-Edge-Kontinuum, das eine latenzfreie und sichere Verarbeitung von Daten auf Baustellen ermöglichen wird. Construct-X wird gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und der Europäischen Union und ist Teil der EU-Initiative IPCEI-CIS, Important Project of Common European Interest – Next Generation Cloud Infrastructure and Services. Construct-X ist damit Teil der EU-Strategie zur Stärkung der digitalen Souveränität Europas. Mehr als 30 Partner aus Wirtschaft, Handwerk, Forschung und Verbänden entwickeln im Rahmen von Construct-X konkrete Anwendungsfälle – sogenannte Use Cases. Sie zeigen, wie digitale Technologien wie Gaia-X, digitale Zwillinge oder KI-gestützte Prozessoptimierung in der Praxis funktionieren. Mit einem Fördervolumen von 27,9 Millionen Euro und einem Gesamtprojektvolumen von 42,8 Millionen Euro setzt Construct-X einen zentralen Impuls für die Transformation im Bau – technologisch, ökonomisch und gesellschaftlich.
Amelie Hofer entwickelte im Rahmen ihrer Masterarbeit in Architektur an der Universität Stuttgart die App DiNable. Mit ihr wird das barrierefreie Bauen aufgrund digitaler Normprüfungen wesentlich einfacher. Die Lösung überzeugt auch die Jury von buildingSMART Deutschland beim BIM Champions Wettbewerb 2025. Amelie Hofer wurde von ihr in der Kategorie „Arbeiten von Auszubildenden/ Studenten“ zur Siegerin gekürt. Im Interview erklärt sie, wie sie auf die Idee zur Entwicklung der App kam und was die Herausforderungen waren und sind. Die Fragen stellte Christoph Berger, buildingSMART Deutschland
Der BIM Champions Wettbewerb von buildingSMART Deutschland findet jährlich statt. Ausgezeichnet werden dabei herausragende Projekte und Arbeiten im Bereich Building Information Modeling (BIM). Ziel des Wettbewerbs ist es, innovative und zukunftsweisende Anwendungen der BIM-Methode sichtbar zu machen und Best Practices aus der gesamten Wertschöpfungskette Bau zu würdigen. Dabei werden jeweils Champions in den folgenden Kategorien gesucht: