Next Level Legal Work

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Der Rechtsmarkt verändert sich. Durch die Anwendung von KI-Systemen ergibt sich eine ungeahnte Effizienz. Wer profitiert, wer steht unter Druck – und wie ändert sich die Arbeit in den Rechtsabteilungen der Unternehmen? Ein Blick auf juristische Arbeitswelten in Zeiten von Legal Tech. Ein Essay von André Boße

Montagfrüh in einer größeren Anwaltskanzlei in der nahen Zukunft. Nicht morgen. Aber auch nicht in 20 Jahren. Der erste Kaffee läuft noch, da arbeiten die Systeme mit Künstlicher Intelligenz bereits auf Hochtouren. Ein Sprachmodell scannt und analysiert in Sekundenschnelle gigantische Mengen an Dokumenten, fasst diese zusammen, findet juristische Argumente. Ein generatives KI-Modell erzeugt parallel in Windeseile rechtlich wasserdichte Vertragstexte. Chatbots übernehmen im Namen der Kanzlei – freundlich und smart – die Kommunikationen mit Bestandsmandanten und solchen, die es sehr bald werden sollen. Auch die gesamte Termin- und Anmeldeprozedur läuft digital, das KI-System überwacht, ob alle nötigen Informationen einfließen, die eingebrachten Papiere echt und gültig sind. Ein Knopfdruck reicht – und die generative KI spuckt ein Konzept aus, über welche Zukunftsmärkte sich das Nachdenken lohnt und welche Geschäftsmodelle dort möglich sein könnten. Ah, und den Kaffeevollautomaten, den hat die KI auch selbstständig angestellt, sobald sie erkannte, dass sich die ersten hier Tätigen auf den Weg ins Büro machen.

Die KI läuft schon – und was machen die Jurist:innen?

Schöner, neuer Kanzleialltag. Nur, welche Aufgaben übernehmen die Menschen noch in dieser von der Künstlichen Intelligenz geprägten Kanzlei? Das Zukunftsszenario könnte den Eindruck erwecken, nicht nur ihr Kaffee-Know-how, sondern auch ihre juristische Expertise seien in dieser nahen Zukunftswelt überflüssig. Wer aber das Arbeiten in Kanzleien wirklich kennt, der hat eine Ahnung, dass es so nicht sein wird. Ein Partner einer großen US-Kanzlei hat die juristische Realität wie folgt zusammengefasst: „Jeder, der schon einmal praktiziert hat, weiß, dass es immer noch mehr zu tun gibt – ganz gleich, welche Hilfsmittel wir einsetzen.“
Künstliche Intelligenz stellt die Abläufe auf den Kopf – aber ohne, dass die dort Tätigen deshalb ihren Kopf verlieren sollten.
Das Zitat findet sich in einem Beitrag von Robert J. Couture, Senior Research Fellow an der Harvard Law School, dort tätig im Bereich Legal Profession, wo er über die Arbeit von Anwält:innen forscht. Für seinen Leitartikel hat er mit Verantwortlichen aus den 100 größten Kanzleien der USA gesprochen, die jährlich im Index AmLaw100 aufgelistet werden. Die Befragten haben Couture eine Reihe von Insights gegeben, über das, was KI-Systeme in Kanzleien bereits heute leisten, sehr bald leisten werden – sowie darüber, wie sich dadurch die anwaltliche Arbeit wandeln wird. Denn Wandel ist es, was die Künstliche Intelligenz als revolutionäres Tool in der juristischen Welt auslöst: Sie stellt die Abläufe auf den Kopf – aber ohne, dass die dort Tätigen deshalb ihren Kopf verlieren sollten. Denn sie werden auch weiterhin gebraucht. Die Arbeit hört nicht auf. Sie verändert sich. Eine Tatsache, die wiederum nicht dazu führen darf, die Kraft der Legal Tech-Revolution zu unterschätzen. Denn wer den Wandel verschläft oder sich ihr verweigert, der wird den Anschluss verlieren.

Mandanten wollen Tempo, Service und Qualität

Couture hat durch seine Forschung herausgefunden, dass zwei Entwicklungen die Kanzleien aktuell vor besonders große Herausforderungen stellen: Erstens die steigenden Anforderungen ihrer Mandanten, die sich nicht unbedingt auf die Preisgestaltung der Rechtsberatung fokussieren, „sondern vielmehr schnellere Reaktionen und eine höhere Servicequalität“, wie er es formuliert. Zweitens die zunehmende Komplexität der juristischen Arbeit, mit Blick auf immer mehr Regularien sowie der international von vielen Unsicherheiten geprägten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lage. Sowie nicht zuletzt auch der technischen Entwicklung selbst. Denn natürlich verlangt es von einer Kanzlei hohe Investitionen, um KI-Systeme erfolgreich im beruflichen Alltag zu integrieren.
Wenn es für die Kanzleien die große Herausforderung der Zeit ist, die Komplexität zu bewältigen und die Bedürfnisse der Mandant:innen zufrieden zu stellen, dann kann die Künstliche Intelligenz die Lösung sein.
Gemeint ist hier Geld, schreibt Couture. Aber auch Zeit. Denn das Kanzleiteam muss lernen, diese Systeme zu bedienen. Vor allem dann, wenn sie halten sollen, was sie versprechen. Dieses Versprechen fasst der Harvard-Forscher so zusammen: Wenn es für die Kanzleien die große Heraus forderung der Zeit ist, die Komplexität zu bewältigen und die Bedürfnisse der Mandant:innen zufrieden zu stellen, dann kann „die Künstliche Intelligenz die Lösung sein“, um diese Nachfrage zu bedienen.

Gefragt ist Geschäftssinn

Moment mal, Kundenbedürfnisse, Nachfrage, Innovationen – sind das nicht Begriffe, die eher in der Sprache von Unternehmen zu finden sind, genutzt von Manger:innen? Genau. Couture stellt in seinem Leitartikel fest, dass in erfolgreich arbeitenden Kanzleien auf Wachstumskurs das Company- Denken Einzug gefunden hat. Oder, wie er es im Text formuliert: „Diese Kanzleien haben inzwischen eine Managementreife entwickelt, wie sie in großen Anwaltskanzleien früher sehr oft vorzufinden war.“ Eine häufige Kritik an großen Anwaltskanzleien lautete jahrelang, sie erfüllten ihre Kernaufgaben – juristische Expertise und Dienstleistungen – zwar hervorragend, es mangele ihnen jedoch an dem, was ein Harvard- Forscher „Geschäftssinn“ nennt. Couture habe durch seine Befragungen festgestellt, dass dieser bei vielen der großen US-Kanzleien mittlerweile vorhanden sei. „Pragmatisch, ruhig und besonnen“ gingen diese Sozietäten dabei zu Werke, die neuen Technologien zu integrieren. Und zwar nicht nur auf der Ebene von IT-Fachleuten, sondern auch in der Kanzleileitung. Der Kritikpunkt des fehlenden Geschäftssinns? Sei laut Couture nicht mehr gegeben.

KI speziell für Kanzleien und Rechtsabteilungen

Wie groß der Markt für KI-Lösungen speziell für den Rechtsmarkt ist, zeigt die Menge an Systemen, die speziell für die juristische Arbeit entwickelt wurden. Was sich alle Anbieter auf die Fahne schreiben: absolute Sicherheit, sowohl, was die Daten betrifft, als auch die Ergebnisse der KI-Arbeit. Denn ein System, das nicht akkurat läuft, sorgt im Rechtsbereich für Ärger. Beispiele für den konkreten Einsatz sind die Vertragsmanagement-Software Pacta, die auf KI-Basis Verträge prüft und managt, oder die Plattform Harvey, die mit Hilfe natürlicher Sprachverarbeitung Dokumente aller Art analysieren sowie Texte erstellen und verarbeiten kann. Das System basiert auf der KI von Open AI, 2024 gab die Kanzlei Gleiss Lutz nach einer Pilotphase eine strategische Partnerschaft mit Harvey bekannt. Die Idee: Die Anwält:innen nutzen die KI, geben ihre Erfahrungen an das Entwicklungsteam weiter. Bei Harvey gibt man an, eine Plattform anzubieten, die zwei Expertisen vereine: rechtliches Wissen und KI-Know-how.

Druck auf die zweite Reihe

Der Harvard-Forscher schließt daraus, dass Kanzleien aus der „zweiten Reihe“ vor potenziellen Problemen stehen. Diesen kleineren Häusern fehle im Vergleich zu den Großen der Branche das finanzielle Kapital sowie das Personal, um die Integration neuer KI-Techniken genauso schnell und wirkungsvoll hinzubekommen. Vielleicht dauert es ein wenig länger. Vielleicht geschieht es auch nicht so allumfassend. Das Problem, das sich daraus ergibt: Legal Tech-Methoden könnten dafür sorgen, dass auch die großen Kanzleien ab jetzt auch solche Aufträge übernehmen, bei denen sie bislang gepasst haben. Zum Beispiel, weil sie geringere Margen versprachen. Hier konnten die kleineren Kanzleien punkten, doch Couture hat aus dem Markt Warnsignale empfangen: 50 Prozent der befragten Kanzleien aus dem Ranking der 100 Größten gaben an, „dass sie eine Aufnahme dieser Arbeiten in ihr Portfolio in Betracht ziehen würden, wenn KI-Tools ihnen eine effizientere Ausführung ermöglichen würden“, schreibt Robert J. Couture in seinem Beitrag. Es ist daher davon auszugehen, dass sich im Zuge von Legal Tech die Geschäftsmodelle neu ordnen. Damit stehen Kanzleien vor der Aufgabe, umzudenken, neu zu denken – oder auch innovativen Projekten, die man auf die lange Bank geschoben hat, endlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Couture zitiert in seinem Papier einen der Befragten, der ihm sagte: „KI ist ein Katalysator, um neue Gespräche über unser Geschäftsmodell anzustoßen. Vorher wollte niemand über Veränderungen diskutieren.” Nun ist die Zeit für den Wandel gekommen. Das gilt auch für die Aspekte, mit denen eine Kanzlei für sich wirbt. Und zwar nicht nur bei den Mandant:innen, sondern auch bei der Suche nach juristischen Talenten. Die juristische Expertise und die Gehaltsstruktur – alles schön und gut, aber wer als junge juristische Fachkraft ein digitales Mindset mitbringt, möchte, dass die Kanzlei in dieser Hinsicht Entwicklungsfelder zu bieten hat. „Anwaltskanzleien sollten davon ausgehen, dass Jurastudenten nicht nur diese Art von Arbeitsumgebung erwarten, sondern auch, dass ihre Kanzleien ihnen fortschrittliche Technologien zur Verfügung stellen, die es ihnen ermöglichen, mehr zu denken und weniger zu wiederholen“, schreibt der Harvard-Forscher.

Rechtsabteilungen: Endlich Zeit für Strategie

Von den Kanzleien in die Unternehmen: Auch in den Rechtsabteilungen führen Digitalisierung und KI-Systeme zu einer Neudefinition der juristischen Arbeit. Eine aktuelle Benchmarkstudie der Branchen-Analysten Wolters Kluwer, veröffentlicht im Juni dieses Jahres, kommt zu dem Schluss, dass es in den Unternehmen vor allem um eines geht: Produktivität. „Unternehmensjurist: innen untersuchen zunehmend, wie KI alltägliche Aufgaben unterstützen und neue Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung bieten kann – insbesondere im Vertragsmanagement und Beteiligungsmanagement“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Dabei habe sich, so die Studienautor:innen, die Rolle der Rechtsabteilungen innerhalb der Unternehmen verändert. Die Zeit, als die Unternehmensjurist:innen vor allem dann gefragt waren, wenn es Feuer zu löschen gab, seien vorbei, wie es in der Studie heißt: „Rechtsabteilungen sind operative Strategen, die ein breites und stetig wachsendes Spektrum an Aufgaben bewältigen. Von Verträgen und Beteiligungen über Compliance und Rechtsstreitigkeiten bis hin zur Entwicklung von Unternehmensrichtlinien – Rechtsabteilungen stehen im Mittelpunkt geschäftskritischer Aktivitäten.“ Genau deshalb sind KI-Systeme in diesem Bereich so willkommen: Indem sie Routineaufgaben sehr viel schneller übernehmen, gewinnen die Jurist:innen in den Unternehmen Zeit, um ihre operativen und strategischen Aufgaben zu übernehmen. Interessant wird sein, ob diese Veränderungen dafür sorgen, dass sich die geschäftlichen Beziehungen zwischen Rechtsabteilungen und Kanzleien ändern: Noch ist es üblich, dass Unternehmensjurist:innen bestimmte Tätigkeiten auslagern. In der Regel übernehmen dann Kanzleien. Laut Benchmarkreport tun sie das vor allem dann, wenn die Rechtsabteilungen in den Unternehmen keine Zeit für diese Aufgaben haben oder sie über zu wenig inhaltliche Fachkenntnisse verfügen. Was aber, wenn die Digitalisierung der Rechtsabteilungen abgeschlossen ist? Wenn also KI-Systeme die Arbeit dort so effizient gestalten, dass der Zeitmangel als Argument fürs Outsourcing ausgedient hat? „Eine Zukunft, in der Rechtsabteilungen ihre Aufgaben strategisch, effizient und souverän intern abwickeln können, ist vielleicht gar nicht mehr so fern“, lautet das Fazit der Benchmarkstudie von Wolters Kluwer. Eines ist sicher: Auch, wenn in Rechtsabteilungen im KI-Zeitalter effizienter gearbeitet wird – zu tun geben wird’s auch dort immer etwas. Und zwar im besten Fall keine öden Routineaufgaben mehr, sondern strategisches Nachdenken auf Basis rechtlicher Expertise. Was Unternehmen dann anbieten können: Juristische Jobs auf dem nächsten Level.

AllBright-Studie: Frauen in Top-Kanzleien benachteiligt

Wenn Legal Tech die Art, wie in Kanzleien gearbeitet wird, auf den Kopf stellt – gilt das auch für die Besetzung der Spitzenpositionen? In den Top-Kanzleien mit Blick auf Geschlechtergerechtigkeit nicht. Die AllBright Stiftung veröffentlichte im Juni eine Studie, die aufzeigt, dass der Frauenanteil in den Partnerschaften der Großkanzleien bei 16 Prozent liegt. Zum Vergleich: In den DAX-Vorständen liegt der Frauenanteil bei 26 Prozent. Normal ist das nicht, denn laut Studie beenden seit 2007 mehr Frauen als Männer das Jurastudium. Woran es liegt?   Die Studie nennt Indizien. So sei der Weg zur Partnerschaft lang, intensiv, umkämpft – und für Frauen geprägt von gläsernen Decken. Die Arbeitskultur ist auf Leistung getrimmt. Die Partnerschaften werden von anderen Partner:innen ausgewählt, Kontrollgremien wie den Aufsichtsrat im Unternehmen gibt es nicht. Die Studie stellt fest, dass sich viele Top-Juristinnen in diesem Umfeld einen alternativen Karriereweg schaffen, indem sie „in die Selbständigkeit, in kleinere Kanzleien, in die Justiz, den öffentlichen Dienst oder in Unternehmen wechseln“.   Im Albright-Bericht zu Wort kommt Dr. Stephanie Pautke, bis 2000 in einer Großkanzlei, jetzt Partnerin bei Commeo, wo neun Anwältinnen und drei Anwälte tätig sind. „Unsere Mandanten stellen uns dieselben Aufgaben und haben dieselben Ansprüche wie zu den Zeiten, als wir aus einer Großkanzlei für sie tätig waren“, wird sie zitiert. „Allerdings können wir dies nun aus einer Umgebung erfüllen, in der es wirklich nur um die bestmögliche Arbeit für die Mandanten geht. Hier muss niemand bis in die Nacht am Schreibtisch sitzen, um exzellente Rechtskenntnisse und Arbeitseinsatz zu demonstrieren.“

Legal Tech-Praktikerin Sophie Martinetz: Wie KI Jurist*innen produktiver macht

Als studierte Juristin mit langjährigen Erfahrungen in der Digitalwirtschaft und im Management besitzt Sophie Martinetz die optimale Expertise, um die Potenziale von KI im Rechtsmarkt zu analysieren. Sie tut dies als Forscherin an der Wirtschaftsuniversität Wien – und als Praktikerin mit der Plattform Future-Law. Im Interview erklärt sie, wo KI in der Rechtsabteilung und im Kanzleialltag unterstützen kann, warum kleinere Kanzleien aufpassen müssen und wie Legal Tech die Demokratie stärken kann. Die Fragen stellte André Boße

Zur Person

Sophie Martinetz studierte von 1995 bis 2000 Rechtswissenschaften in Wien. Nach einer internationalen Karriere in Berlin und London im Rechts-, Finanz- und Managementbereich kehrte sie nach Wien zurück, wo sie 2017 Future-Law gründete, ein beratendes Legal Tech-Netzwerk für den deutschsprachigen Raum. 2021 wurde sie als Brutkasten-Innovator of the Year nominiert, als Women of Legal Tech 2020 ausgezeichnet und gewann im selben Jahr auch den European Tech Women Award. Sophie Martinetz ist Kolumnistin und Herausgeberin und (Co-) Autorin zahlreicher Fachbücher- und Artikel zu den Themen Legal Tech und Digitalisierung der Rechtsbranche. Sie ist Co-Gründerin und Direktorin des Legal Tech Centers an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Warum ist Legal Tech eine Innovation, die zu einer Revolution führen kann? Interessant ist die Frage, warum Systeme mit generativer Künstlicher Intelligenz in Kanzleien besonders gut funktionieren. Die Antwort ist ganz einfach: Juristerei ist Text, und KI-Language Models funktionieren am besten mit Sprache. Der revolutionäre Aspekt entsteht auch dadurch, dass sich im Bereich der digitalen Textverarbeitung in den vergangenen Jahren wenig geändert hat. Jetzt aber greift die generative KI ein, und besonders für Juristen und Juristinnen ergibt sich ein großer Produktivitätsgewinn. Wie genau? Indem nun auch enorm große Datenund Textmengen einfach und niederschwellig handhabbar werden. Und von diesen gibt es in Rechtsabteilungen und Kanzleien mehr als genug. Erstens gibt es sehr lange Dokumente. Hier hilft mir die KI, diese ganz banal zusammenzufassen. Das bedeutet nicht, dass ich mir später die wichtigen Stellen nicht noch einmal selbst anschauen muss. Aber ich erhalte sehr schnell einen ersten guten Überblick. Zweitens gibt es in Kanzleien unglaublich viele Dokumente. Schon in einer mittelgroßen Kanzlei mit zehn bis 20 Juristen finden sich rund zehn Millionen digitaler Dokumente, bei den Großen und in Rechtsabteilungen liegt ein Vielfaches davon. Auf dieses Wissen zugreifen zu können, bedeutete früher großen Aufwand. Man muss es so ehrlich sagen: Dieses Wissen lag meistens ungenutzt herum. Haben Sie ein konkretes Beispiel aus dem Alltag von Juristinnen? Angenommen, es geht um eine juristische Klausel in einem Vertrag, also um sehr feine Details. Ich habe im Hinterkopf, dass ich diese Klausel vor einigen Jahren schon einmal erfolgreich formuliert hatte, aber wann genau war das, vor drei, vier Jahren oder ob es die Klausel in die finale Vertragsversion geschafft hat…? Früher hätte ich der Assistenz sagen müssen: Schau doch mal die Dokumente einer gewissen Zeitspanne durch. Heute hilft mir die KI. Beim Suchen. Und, noch wichtiger: beim Finden. Und das ist nicht unerheblich: Es gibt eine Studie, nach der Wissensarbeiter pro Woche neun Stunden damit verbringen, Informationen zu suchen. Das ist ein ganzer Arbeitstag, und den verkürze ich mir mit Hilfe der KI. Wie ändert sich dadurch der Personalbedarf in Kanzleien oder Rechtsabteilungen? Früher gab es in den Kanzleien rund vier Assistentinnen oder Assistenten, die einer Partnerin oder einem Partner zugearbeitet haben. Sie haben zum Diktat geschrieben, Vorbereitungen erledigt, Dinge gesucht, alle diese typischen Bürotätigkeiten. Heute teilen sich vier Partner eine Assistenz. Denn die Partnerinnen erledigen heute vieles selber. Mit Hilfe der KI können sie wieder frei gespielt werden für kernjuristische Arbeiten. Auch in der Rechtsabteilung ist das ein Thema. Die Jurist:innen verbringen viel Zeit mit nicht juristischen Tätigkeiten, die nun von der KI erledigt werden können: ersetzt werden viele administrative Tätigkeiten wie Suchen und Finden, juristische Texte für andere Fachabteilungen oder Mandantinnen verständlich aufzubereiten, wie ein richterliches Urteil zu interpretieren und einfach darzustellen ist. Das ist eine Hauptaufgabe von Juristinnen. Wichtig dabei ist: Die KI ersetzt zwar die Assistenz, sie ersetzt aber nicht die juristische Denkarbeit.
„Ich habe hier sieben Argumente für ein bestimmtes juristisches Vorgehen, finde nun für mich sieben Argumente dagegen.“
Inwieweit kann die KI auch qualitativ helfen? Indem sie für mich Argumente findet, fürs Für oder Wider. Ein Auftrag an sie könnte lauten: „Ich habe hier sieben Argumente für ein bestimmtes juristisches Vorgehen, finde nun für mich sieben Argumente dagegen.“ In diesem Feld ist die KI wirklich gut. Nicht, dass ich diese Argumente nicht auch selbst finden könnte. Aber: Die KI macht das schneller, sodass ich mich als Juristin unmittelbar damit beschäftigen kann, was aus dem Für und Wider folgt. Hinzu kommt, dass die KI eine Kanzlei beim Business Development unterstützen kann. Wie tut sie das? Indem sie dafür sorgt, dass beim gezielten Einsatz gewisse Prozesse so funktionieren, wie sie bei einer gut laufenden Firma ablaufen müssen. Das kann zum Beispiel das ganz einfache Auslesen von Metadaten sein, um einen Akt als Rechtsabteilung gut abzulegen. In der Kanzlei betrifft das die buchhalterischen Bereiche, aber auch das Marketing oder die Personalabteilung. Aber, Achtung: Die KI ist nicht dafür da, Personalentscheidungen zu treffen. Überhaupt, ein automatisiertes Entscheiden ist nicht Sinn der Sache, denn die KI ersetzt den juristischen Menschenverstand nicht, sie unterstützt ihn. Ein wichtiger Aspekt ist auch der Umgang mit den Mandanten. Wenn Sie als Klient zum ersten Mal mit einer Kanzlei in Kontakt kommen, dann müssen Sie auch weiterhin alle Ihre Dokumente einbringen, dazu Ihren Pass und so weiter. Allerdings muss das heute alles nicht mehr zwingend vor Ort eingesehen und geprüft werden, das kann schon sehr reibungslos in digitalen Tools inklusive KI geprüft und freigegeben werden. Für Kanzleien wäre es daher sinnvoll, diese Prozesse so zu verändern, dass der Klient viele dieser Vorarbeiten bereits online von zu Hause aus erledigen kann. Hier geht es um digitale Services im Sinne der Mandanten.
Future Law, Foto: Marlene Rahmann 2022
Future Law, Foto: Marlene Rahmann 2022
Beobachten Sie, dass sich durch die Technik das Verhältnis zwischen Mandant: innen und Anwält:innen ändert? Ja, das Net-Doktor-Syndrom erwischt auch den Rechtsmarkt. Ärzte kennen das, da kommt ein Patient, der sagt: „Schauen Sie mal, ich habe hier ein Muttermal, ich glaube, das ist Krebs, das sagen mir Google oder ChatGPT.“ Analog dazu kommen Mandanten mit der Aussage in die Kanzlei: „Die KI zu Hause hat mir gesagt, ich bekomme 80.000 Euro, weil mir dieses oder jenes widerfahren ist.“ An dieser Stelle ist juristische Überzeugungsarbeit notwendig, dahingehend, dass das Recht komplex und individuell ist. Aber ich glaube, es ist generell gut, dass Mandanten mit größerem Selbstbewusstsein zum Anwalt gehen. Es gibt eine Umfrage, nach der 70 Prozent der Befragten in Deutschland angeben, sie würden niemals zu einem Anwalt gehen. Vor allem aus Angst vor den Kosten: Man verzichtet lieber auf sein Recht, als sich in diesen Strudel hineinzubegeben. Und das ist ein Problem, denn der freie Zugang zum Recht ist einer der wesentlichen Faktoren für eine Demokratie. Damit das Rechtssystem funktioniert, müssen die Menschen das Gefühl haben: „Wenn ich im Recht bin, dann soll mir dieses Recht auch zu gesprochen werden.“ Fühlen die Menschen hier eine Ohnmacht, ist das nicht gut für die Teilhabe, für die Demokratie. Noch immer werden Anwälte häufig nach Stundensätzen bezahlt. Ist das im Zeitalter von LegalTech noch zeitgemäß? In vielen Fällen nicht, nein. Hier muss umgedacht werden, wobei der Rechtsmarkt noch nicht in allen Bereichen bereit dafür ist. Studien zeigten, dass die großen Kanzleien nur wenig Befürchtungen haben, wenn zukünftig nicht mehr nach Zeit, sondern nach dem Wert der juristischen Arbeit bezahlt wird. Die kleineren Kanzleien haben diese Befürchtungen jedoch sehr wohl. Wobei diese Sorgen wiederum dazu führen, dass dort KI-Lösungen nicht eingesetzt werden, aus Angst, dadurch das bisherige Bezahlmodell nach Stundensatz zu torpedieren. Das ist natürlich ein Problem, weil diese Kanzleien dadurch den Anschluss verpassen. Und die Mandantinnen in den Rechtsabteilungen erwarten sich vom Einsatz der KI natürlich einen Synergieeffekt. Die generative KI ist da – und sie geht auch nicht mehr weg. Dadurch stellt sich im Recht übrigens eine Generationenfrage, der wir uns stellen müssen. Wie lautet sie? Die älteren Generationen beschäftigen sich nicht gut genug mit dem Thema. Der Nachwuchs tut das schon – jedoch braucht er dingend den Input der erfahrenen Juristinnen und Juristen. Denn sie sind es, die auch heute noch das Wissen und auch die passenden Prozesse weitergeben. Gerade im Zeitalter der KI: Die Menschen mit ihren Erfahrungen und Kenntnissen sind wichtig, werden sogar noch wichtiger werden. Daher ist es entscheidend, den Austausch zu fördern und gemeinsam Anwendungsfälle umzusetzen. Nur dann kann Legal Tech in den Kanzleien und der Rechtsabteilung das volle Potenzial entfalten.

WU Legal Tech Center

Das von Sophie Martinetz mitgegründete Legal Tech Center an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien versteht sich als das erste Hochschulzentrum in Österreich an der Schnittstelle zwischen juristischer Praxis und rechtswissenschaftlicher Forschung im Bereich der Legal Tech. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, die Rechtsdogmatik mit der Rechtstatsächlichkeit zu verknüpfen und Studierenden das Thema Digitalisierung und KI im Rechtsbereich für ihren beruflichen Erfolg näher zu bringen. „Im Zentrum des WU Legal Tech Center steht herauszufinden, welchen Einfluss Digitalisierung, Privatisierung und Ökonomisierung auf den Rechtsbereich haben“, heißt es auf der Homepage. Dabei seien die Chancen und Risiken von Legal Tech die zwei Seiten derselben Medaille. Klar sei: „Eine technisch und ökonomisch bestmöglich informierte rechtswissenschaftliche Begleitung von Legal Tech ist unverzichtbar.“

kuratiert

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Software entlarvt unfaire Jura-Noten

Jurastudent Felix Kaiser hat eine Software entwickelt, die Ungerechtigkeiten bei der Notengebung aufdeckt. Im Pilotprojekt filterte das Programm 11 von 107 Hausarbeiten heraus, deren Bewertungen signifikant herausstachen. Drei Studierende erhielten nach Überprüfung bessere Noten. Die Software soll künftig auch an anderen Unis eingesetzt werden.

Anonymität gewahrt: OLG schützt bissige Kritik am Arbeitgeber

Das OLG Bamberg gab einem Unternehmen einen Korb: Keine Herausgabe von Nutzerdaten anonymer Bewerter auf Arbeitgeberplattformen. Kritische Kommentare wie „Der einzig fähige Leiter: ein Kupferkabel“ seien zwar bissig, aber keine strafbare Schmähkritik. Die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) deckt auch scharfe Kritik ab. § 21 TDDDG greift nicht bei reinen Textbewertungen ohne audiovisuelle Inhalte.

Feministische Rechtsausbildung: Kostenlose Qualifizierung für Jura-Studierende

Die Feminist Law Clinic bietet eine umfassende Ausbildung in feministischem Recht an. Die Ringvorlesung „Feminismus und Recht“ vermittelt theoretisches Wissen und praktische Fähigkeiten in Bereichen wie Sexualstrafrecht, Familienrecht und Antidiskriminierungsrecht. Nach erfolgreichem Abschluss können Teilnehmende als Rechtsberater*innen tätig werden. Informiert euch im Newsletter oder auf der Webseite über kommende Ausbildungstermine. Von Sonja Theile-Ochel

Zwischen Gerichtssaal und Instagram-Story: Wie Sandra Günther das Familienrecht revolutioniert

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Sandra Günther ist Rechtsanwältin mit den Fachgebieten Scheidungs-, Familien- und Strafrecht. Die Trennungs- und Scheidungsspezialistin führt in Dortmund eine eigene Kanzlei und verhilft zahlreichen Frauen zu fairen, klaren Trennungskonditionen. Diverse Verfahren, die sie als Strafverteidigerin und Opferanwältin geführt hat, wurden von Print- und TV-Medien begleitet. Protokolliert von Sonja Theile-Ochel

Ein steiniger Anfang

Das Referendariat war ernüchternd. „Wir dachten, nachdem wir die Uni hinter uns gelassen hatten: Wow, endlich geht es los“, erinnert sich Günther an ihre Zeit nach dem Jurastudium in Bochum. Doch die Realität sah anders aus. Wieder schulmäßiger Unterricht, wieder Zuschauen statt selbstständiges Arbeiten. Nur in der Kanzlei von Dr. Rauball durfte sie erste eigenständige Erfahrungen sammeln. Diese prägenden Momente sollten ihren Blick auf den Anwaltsberuf für immer verändern. In einer anderen Kanzlei erlebte sie das Gegenteil: „KEINE BEQUEMEN STÜHLE FÜR DIE MANDANTEN UND AUCH KEINEN KAFFEE ANBIETEN“, lautete dort das Motto. Zeit sei Geld, Mandanten sollten sich nicht wohlfühlen. „Damals dachte ich: Irgendwie ganz schön gemein“, sagt Günther heute. „Wohlfühlen sollen sich meine Mandanten bei mir schon.“

Der Mut zur Selbstständigkeit

Nach dem Examen 2007 verschlug es Günther zunächst in einen Immobilienbetrieb, der sich mit Zwangsvollstreckungen beschäftigte. Doch das Arbeitsklima war toxisch. Gemeinsame Frühstückspausen mit den Chefs waren Pflicht, Lästereien über abwesende Kollegen an der Tagesordnung. „Da mag ich mir ja gar nicht ausdenken, wie an diesem Tisch über mich gelästert wird, wenn ich mal nicht zugegen bin“, dachte sich Günther – und kündigte. „Ich sage eben, was ich denke“, erklärt sie ihre damalige Entscheidung. Es war die beste ihres Lebens. Direkt danach baute sie ihre Selbstständigkeit auf, in einem kleinen Büro in der Beurhausstraße in Dortmund. Der Grundstein für eine außergewöhnliche Karriere war gelegt.

Empathie trifft auf juristische Präzision

Günthers Spezialisierung auf Familien- und Strafrecht erfordert ein besonderes Feingefühl. „Ich versuche zu Beginn eines Mandats, den Menschen zu verstehen, nicht zu bewerten und ihn emotional- geistig dort abzuholen, wo er gerade steht“, beschreibt sie ihren Ansatz. Der Zugang zu Menschen gelingt ihr gut – auch wenn Konfrontation nötig ist. „Auch wenn ich von Mandanten angelogen werde und dies herauskommt, konfrontiere ich sie damit. Zwar häufig mit einem Lächeln, aber dennoch konsequent in der Sache.“ Diese emotionale Intelligenz ist für sie im juristischen Beruf unerlässlich. Gerade im Familienrecht müsse man sich in andere hineinversetzen können, den gegnerischen Anwalt nicht zu nah an sich heranlassen und Richter sowie Zeugen richtig einschätzen.

Die Medien-Anwältin

Was Sandra Günther von ihren Kollegen unterscheidet, ist ihre Vielseitigkeit. Bücher, Onlinekurse, Podcasts, Fernsehen – sie nutzt alle Kanäle, um juristische Inhalte zu vermitteln. „Fernsehen, Bücher schreiben, Instagram, Podcast – das alles sind kreative Bereiche, wo ich mein berufliches Know-how gut mit einbinden kann, und das empfinde ich wirklich als Luxus.“ Dabei sind die Unterschiede zwischen den Medien gravierend. Ihre Bücher schreibt sie meist nachts, basierend auf beruflichen Erfahrungen – sie ist „Urheberin, Regisseurin und Scripterin in einer Person“. Im Fernsehen hingegen wird sie geführt: Drehbuch, Moderation, Maske, sogar die Kleidung wird vorgegeben. „Es ist ein toller Ausgleich“, sagt sie über diese Abwechslung.
Schuldzuweisungen haben noch nie etwas gebracht, denn jeder hat seine ganz eigene Wahrheit und Sicht der Dinge.

Social Media als Karriere-Booster

Ihre Medienpräsenz hat ihr „wahnsinnig geholfen, beruflich erfolgreich zu sein“. Mit ihrem Instagram-Account „Frau Familienrecht“ erreicht sie täglich 15.700 Follower. „Heutzutage sind die sozialen Medien unerlässlich für ein berufliches Vorankommen“, ist sie überzeugt. Lösungen statt Schuldzuweisungen Günthers Philosophie ist geprägt von einem lösungsorientierten Ansatz. „Schuldzuweisungen haben noch nie etwas gebracht, denn jeder hat seine ganz eigene Wahrheit und Sicht der Dinge.“ Diese Erkenntnis entwickelte sie über Jahre, auch durch eigene schwierige Beziehungen. „Der Weg ist Loslassen und nach vorne schauen. Alles andere zermürbt doch nur.“ Besonders im Familienrecht sei Loslassen wichtig, um wieder Glück empfinden zu können. „Denn nur glückliche Eltern können ihre Kinder glücklich machen.“ Ein Grundsatz, der sich durch ihre gesamte Arbeit zieht.

Kritik am System

Bei allem Optimismus sieht Günther auch Probleme im System. Besonders beim Gewaltschutz: „Wer einmal schlägt, der tut es wieder. Wer einmal sexuell übergriffig wird, der tut es wieder.“ Sie kritisiert, dass gewalttätige Väter trotzdem Umgangsrecht mit ihren Kindern haben. Frauenhäuser seien zu wenige, bezahlbarer Wohnraum rar, Therapieplätze hätten Wartezeiten über Jahre.
intelligent-getrennt.de

Rat für Berufseinsteiger

Junge Kollegen macht sie Mut, warnt aber vor typischen Fehlern. „Sie gehen in eine familienrechtliche Sitzung und gehen auf Konfrontation, werden laut und leider auch unangenehm.“ Dabei sei souveränes Arbeiten das Gegenteil: vermitteln, gemeinsam Lösungen suchen, stets das Kindeswohl im Blick behalten. Ihr Rat für Nachwuchs-Juristen: „Macht euer Ding. Schaut nicht auf andere. Spezialisiert euch erst, wenn ihr wirklich sicher seid, dass der Bereich für euch der richtige ist.“ Medienarbeit setze ein Netzwerk voraus, das man sich langjährig erarbeiten müsse. Sandra Günther verkörpert eine neue Generation von Juristen – medienaffin, empathisch, lösungsorientiert. Ihr Weg zeigt: Der klassische Anwaltsberuf kann durchaus mit moderner Kommunikation und digitalen Medien verknüpft werden. „Der Weg zur erfolgreichen Kanzlei ist steinig, besonders am Anfang“, räumt sie ein. „Aber wenn man seine Arbeit mit Leidenschaft macht, so wie ich, dann ist der zeitliche Faktor auch kein Problem.“ Eine Anwältin, die beweist: Zwischen Gerichtssaal und Instagram-Story liegt manchmal nur ein Klick – und viel Mut zur Veränderung.
Cover Intelligent getrennt

Buchtipp

Sandra Günther: Intelligent getrennt – Der Trennungs- und Scheidungsratgeber für Frauen. Verlag Goldegg, 220 Seiten, 2024, 22 €

Schrift-Sätze – Kultur-, Buch- und Linktipps

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MARKE? KLAR GEREGELT.

Cover Marken Recht einfachOb Startup oder Mittelstand – wer seine Marke nicht schützt, riskiert viel. Patentanwalt Rolf Claessen liefert mit „Marken.Recht.Einfach.“ einen praxisnahen Guide für alle, die Marken professionell aufbauen und absichern wollen. Verständlich, konkret, mit echten Tipps aus über 3.000 Beratungen – ein echtes Arbeitsbuch für die Markenpraxis. Der Erfolg spricht für sich: Platz 8 auf der Bestsellerliste des Manager Magazins. Rolf Claessen: Marken.Recht.Einfach. Grundlagen der Markenpraxis. Frankfurter Allgemeine Buch, 288 Seiten, 2025, 28 €.

PLÖTZLICH REICH – UND JETZT?

Cover ErbenEin Erbe zu bekommen kann überfordern. Dieser kluge Ratgeber zeigt, wie man damit souverän umgehen kann. Mit Milliardenbeträgen rollt die Erbwelle heran – und viele fühlen sich unvorbereitet. Dieser praxisnahe Leitfaden macht Lust auf finanzielle Selbstbestimmung und erklärt verständlich – vom Erbschaftsrecht über Finanzplanung bis zur Weltreise. Irene Genzmer, Ulrike Scheffer: Erben für Anfängerinnen. Econ Verlag, 304 Seiten, 2025, € 24,99.

MONTAG MIT MEHRWERT

Cover Lust auf MontagWie New Work wieder Lust auf Arbeit macht: Anke Serafin entwirft eine Vision von Arbeit, die inspiriert: Mit praxisnahen Impulsen und einem klaren Blick auf die Herausforderungen moderner Arbeitswelten zeigt sie, wie New Work Sinn stiftet – und warum Montag der beste Tag der Woche werden kann. Anke Serafin: Lust auf Montag. Haufe Verlag, 192 Seiten, 2025, 29,99 €.

FÜR EINEN KLAREN KOPF: MOCKTAILS MIT STIL

Cover Like a virgin„Like a Virgin“ hebt alkoholfreie Drinks auf neues Niveau: Mit 60 raffinierten Rezepten und fundiertem Mixologie-Wissen zeigt Linh Nguyen, die mehrfach preisgekrönte „Queen of Cocktails“, wie alkoholfreie Cocktails zur echten Kunstform werden. Ihr Buch „Like a Virgin“ ist Inspirationsquelle, Handbuch und Designobjekt zugleich – für alle, die Genuss ohne Promille zelebrieren wollen. Linh Nguyen: Like a Virgin. Callwey Verlag, 240 Seiten, 2025, 45,00 €.

F.A.Z. PODCAST: EINSPRUCH

Cover F.A.Z. PODCAST- EINSPRUCHUkraine-Krieg, Datenschutz, Mord und Totschlag: Keine Woche vergeht, ohne dass neue Gesetze und Urteile die Öffentlichkeit beschäftigen. Jeden Mittwoch verhandelt der F.A.Z. Podcast „Einspruch“ die wichtigsten Themen für Recht, Justiz und Politik mit ausgewiesenen Fachleuten und hat dabei stets im Blick, welche Bedeutung juristische Themen in der Praxis, aber auch für die Examensvorbereitung von Studenten und Referendaren haben.

WERKZEUGKASTEN FÜR DEN DIGITALEN WANDEL

Cover DigitalisierungsmanagementWie Unternehmen mit klarem Konzept und KI-Potenzial ihre Zukunft gestalten können: Roman Stöger liefert mit „Digitalisierungsmanagement“ ein praxisnahes Handbuch für alle, die Digitalisierung strategisch, strukturell und kulturell meistern wollen – inklusive Tools, Kennzahlen und Impulsen zur KI-Nutzung. Roman Stöger: Digitalisierungsmanagement. Schäffer-Poeschel, 208 Seiten, 2025, 49,99 €.

MAGISCHES RECHT IM REALITÄTSCHECK

Cover Harry Potter und die Gesetze der MachtWas passiert, wenn Jura auf Hogwarts trifft? Jannina Schäffer beleuchtet die Rechtsordnung der Zauberwelt und zieht verblüffende Parallelen zum deutschen Recht – inklusive NS-Unrecht und Voldemorts Machtergreifung. Eine ungewöhnliche, kluge Analyse im Stil von „Law and Literature“. Jannina Schäffer: Harry Potter und die Gesetze der Macht. Fachmedien Recht und Wirtschaft, 550 Seiten, 2024, 49,00 €.

Wo du als Jurist*in arbeiten kannst

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Als Jurist*in stehen dir viele Türen offen. Dein Studium hat dich mit dem nötigen Werkzeugkasten ausgestattet, um in den verschiedensten Bereichen erfolgreich zu sein. Von Stefan Trees

Natürlich sind die klassischen Bereiche wie die Rechtsanwaltschaft, die Staatsanwaltschaft oder das Richteramt immer eine Option. Stell dir vor, du vertrittst Mandanten vor Gericht, ermittelst Straftaten oder fällst selbst wichtige Entscheidungen. Aber das ist längst nicht alles! Viele Unternehmen haben eigene Rechtsabteilungen, in denen du Verträge prüfen, Rechtsstreitigkeiten managen und die Geschäftsführung beraten kannst. Du könntest auch als Unternehmensberater* in tätig werden und Unternehmen in rechtlichen Fragen zur Seite stehen. Die Politik bietet ebenfalls spannende Möglichkeiten für Juristeninnen. Ob als Politikerin, Mitarbeiterin in einem Ministerium oder als Rechtsberaterin einer Partei – hier kannst du aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft mitwirken. Auch in der Verwaltung, in internationalen Organisationen wie der EU oder den Vereinten Nationen und in speziellen Bereichen wie dem IT-Recht, dem Umweltrecht oder dem Medizinrecht sind Juristen*innen gefragt.

Warum ist die Nachfrage nach Juristen*innen so hoch?

Das Recht ist allgegenwärtig. In nahezu jedem Lebensbereich spielen Gesetze eine Rolle. Unternehmen müssen sich an Gesetze halten, Verträge werden rechtlich gestaltet und bei Streitigkeiten müssen Gerichte entscheiden. Juristen*innen sind die Experten, die diese Komplexität durchdringen und rechtssichere Lösungen finden.

Weiterbildung für Juristen: Lohnt sich der Aufwand?

Die Entscheidung für eine Weiterbildung nach dem Staatsexamen ist für viele Juristen ein wichtiger Schritt. Ein Master oder ein MBA eröffnet neue berufliche Perspektiven und kann die Karrierechancen deutlich verbessern. Ein solcher Abschluss verspricht in der Regel ein höheres Einstiegsgehalt. Arbeitgeber schätzen die zusätzliche Qualifikation und die erweiterten Fähigkeiten, die Absolventen mitbringen. Zudem eröffnen sich durch eine Spezialisierung oder ein breiteres Wissensspektrum bessere Karrierechancen. Die Wahl des Spezialgebiets ist dabei von entscheidender Bedeutung.
Ob Wirtschaftsrecht, Steuerrecht oder ein Nischenbereich wie Medizinrecht – die Auswahl sollte sowohl persönliche Interessen als auch die Anforderungen des Arbeitsmarktes berücksichtigen.
Ob Wirtschaftsrecht, Steuerrecht oder ein Nischenbereich wie Medizinrecht – die Auswahl sollte sowohl persönliche Interessen als auch die Anforderungen des Arbeitsmarktes berücksichtigen. Denn nicht nur in klassischen Rechtsberufen, sondern auch in Führungspositionen oder an der Schnittstelle zwischen Recht und Wirtschaft sind Absolventen gefragt. Ein weiterer Vorteil ist die persönliche Weiterentwicklung. Ein Studium fördert das kritische Denken, die Kommunikationsfähigkeit und das Selbstbewusstsein. Wer sich für einen MBA entscheidet, erwirbt zusätzlich wertvolle betriebswirtschaftliche Kenntnisse und kann so komplexe rechtliche Fragestellungen in einem wirtschaftlichen Kontext besser verstehen. Ein MBA ist besonders für Juristen interessant, die sowohl juristisches als auch betriebswirtschaftliches Wissen anwenden möchten. Der Abschluss qualifiziert für Führungsaufgaben in Unternehmen und fördert den unternehmerischen Geist. Durch die internationale Ausrichtung vieler MBAProgramme entsteht ein wertvolles Netzwerk und die Möglichkeit, interkulturelle Kompetenzen zu erwerben.

Aber wann lohnt sich ein weiterführendes Studium wirklich?

Bevor du dich für einen Master oder einen MBA entscheidest, solltest du deine persönlichen Ziele klar definieren. Möchtest du dich auf ein bestimmtes Rechtsgebiet spezialisieren, in eine Führungsposition aufsteigen oder vielleicht sogar deine eigene Kanzlei gründen? Während des Studiums können Praktika und Wahlpflichtfächer erste Einblicke in verschiedene Rechtsgebiete geben.
Bevor du dich für einen Master oder einen MBA entscheidest, solltest du deine persönlichen Ziele klar definieren.
Nach dem Studium bieten Fachanwaltschaften, LL.M.-Programme und Zertifizierungen sowie weiterbildende Studien die Möglichkeit zur Vertiefung. Natürlich solltest du auch die Kosten und den Zeitaufwand bedenken. Ein Studium kostet Geld und erfordert eine gute Organisation. Überlege dir im Vorfeld, wie du das Studium finanzieren kannst und ob du bereit bist, neben dem Studium noch berufstätig zu sein. Neben Stipendien und Bankkrediten gibt es auch andere Möglichkeiten wie BAföG, Arbeitgeberförderung oder Stipendien von Stiftungen und Unternehmen. Zudem können Weiterbildungskosten unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich abgesetzt werden.

Worauf du bei deiner Bewerbung achten solltest

Die Bewerbung für einen Master- oder MBA-Studiengang erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Neben guten Noten sind oft Berufserfahrung, ein überzeugendes Motivationsschreiben und gegebenenfalls Sprachkenntnisse gefragt. Für internationale Studiengänge sind meist Sprachtests und die Anerkennung ausländischer Zeugnisse erforderlich. Dein Motivationsschreiben sollte klar darlegen, warum du dich für den Studiengang interessierst und welche Ziele du verfolgst. Der Lebenslauf sollte deine bisherigen Erfahrungen und Qualifikationen übersichtlich zusammenfassen.

LL.M. vs. MBA für Juristen: Welche Weiterbildung passt zu dir?

Die Entscheidung zwischen einem LL.M. (Master of Laws) und einem MBA (Master of Business Administration) ist für viele Juristen eine wichtige Weichenstellung. Beide Studiengänge bieten attraktive Karriereperspektiven, unterscheiden sich jedoch in ihren Schwerpunkten und Zielen. Ein LL.M. vertieft dein juristisches Wissen in einem spezifischen Rechtsgebiet. Du spezialisierst sich auf Bereiche wie internationales Recht, Europarecht oder Steuerrecht und kannst dich so auf eine wissenschaftliche Karriere vorbereiten. Ein LL.M. ist ideal, wenn du eine akademische Laufbahn anstrebst oder du dich auf ein bestimmtes Rechtsgebiet konzentrieren möchtest. Ein MBA hingegen kombiniert juristische Kenntnisse mit betriebswirtschaftlichen Grundlagen. Du erwirbst Fähigkeiten in Bereichen wie Finanzwesen, Marketing, Strategie und Unternehmensführung. Ein MBA ist die richtige Wahl, wenn du eine Karriere in der Wirtschaft anstrebst, Führungsaufgaben übernehmen möchtest oder ein eigenes Unternehmen gründen willst.

Das letzte Wort hat: Diane Manz, Dipl.-Psychologin und Business Coach

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Diane Manz ist Dipl.-Psychologin, systemischer Business Coach und Beraterin für Kanzleien, Unternehmen und Privatpersonen. Ihr Fokus liegt auf den Bereichen Führung, Karriereentwicklung und Selbstmanagement, insbesondere im Hinblick auf Umgang mit Stress. Mit 17 Jahren Erfahrung im Personalwesen, darunter 13 Jahre als Personalleiterin einer internationalen Großkanzlei, hat sie sich auf die Beratung von Juristinnen und Juristen spezialisiert. Die Fragen stellte Sonja Theile-Ochel

Was geschieht im Körper und im Kopf, wenn wir unter Prüfungsangst leiden – und warum fühlen sich viele dabei wie „blockiert“? Prüfungsangst beschreibt einen Zustand intensiver, anhaltender Furcht vor Prüfungen oder während der Vorbereitung, der oft unverhältnismäßig erscheint. Sie gleicht einer starken Stressreaktion auf eine vermeintlich bedrohliche Situation. Obwohl keine reale Gefahr besteht, bewertet das Gehirn die Prüfung als Bedrohung – etwa für den Selbstwert oder die Zukunft. Der Körper schaltet in den „Kampf-oder-Flucht-Modus“. Das Gehirn schränkt den Zugriff auf kognitive Ressourcen ein, da es sich auf Schutz und Reaktion konzentriert. Es priorisiert „Überleben“ vor „Denken“. Dadurch kann das Abrufen von Gelerntem blockiert werden. Diese Erfahrung verstärkt die Angst zusätzlich. Welche Rolle spielt Prüfungs- oder Versagensangst im juristischen Berufsleben? Die Angst zu versagen endet oft nicht mit dem Zweiten Examen. Viele Juristinnen und Juristen tragen sie ins Berufsleben, was den Druck und das Stressempfinden erhöht. Verstärkt wird dies durch das Gefühl, mit diesen Ängsten allein zu sein, und die Überzeugung, Schwäche verbergen zu müssen. Dadurch wird eine wichtige Ressource unterdrückt: der Austausch mit anderen. Denn offene Gespräche zeigen, dass viele ähnliche Ängste haben. Was raten Sie Studierenden, die sich trotz intensiver Vorbereitung immer wieder selbst sabotieren? Selbstsabotage ist zunächst ein Schutzmechanismus. Kurzfristig schützt sie vor unangenehmen Gefühlen: Wer nichts tut, kann nichts falsch machen. Wer nicht lernt, muss nicht merken, dass ihm das Lernen schwerfällt. Doch langfristig verstärkt dieses Verhalten die Probleme. Ich rate, die Ursachen der Angst zu ergründen. Nur wer weiß, wovor er sich fürchtet, kann gezielt Strategien entwickeln. Bei Prüfungsangst hilft es, das eigene Leistungsniveau realistisch einzuschätzen: Liegt die Angst am mangelnden Lernen oder an der Furcht vor einem Blackout? Gerade in juristischen Examina erschwert die Abhängigkeit von prüfenden Personen die Situation, da die Noten nur bedingt kontrollierbar sind. Eine strategische, strukturierte Vorbereitung ist entscheidend: Motivation, Lernplan, Zeitmanagement, Gedächtnistechniken und das Üben von Prüfungssituationen helfen, sich an die „Gefahrensituation“ zu gewöhnen. Förderliche Denkmuster stärken Selbstvertrauen und Gelassenheit. Der Austausch mit anderen reduziert Scham und ungesunde Vergleiche. Selbstfürsorge ist essenziell: Batterien sollten aufgeladen werden, bevor sie leer sind. Und es braucht Zeiten, in denen Jura keine Rolle spielt – für Freude und Entspannung. Viele Studierende empfinden es als Schwäche, sich Hilfe zu holen. Wann ist es sinnvoll, professionelle Unterstützung – etwa durch Coaching oder psychologische Beratung – in Anspruch zu nehmen?
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Hilfe zu suchen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Es zeigt, dass man Verantwortung übernimmt und bereit ist, etwas zu verändern. Wer merkt, dass bewährte Strategien nicht mehr helfen oder chronische Stresssymptome wie Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme oder Grübeln auftreten, sollte Unterstützung in Betracht ziehen. Auch körperliche Beschwerden können ein Warnsignal sein. Coaching hilft, Lerntechniken zu verbessern, förderliche Denkmuster zu entwickeln und den Alltag selbstfürsorglich zu gestalten. Liegen die Ursachen tiefer – etwa bei schwerer Versagensangst oder geringem Selbstwertgefühl – kann psychologische Beratung oder Therapie notwendig sein. Sich der eigenen Verletzlichkeit zu stellen, erfordert Mut und Rückgrat. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich selbst besser kennenzulernen und die Kraft für Veränderungen aufzubringen.

E-Paper karriereführer digital 2025.2026 – New AI Economy: Sind wir KI-ready?

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Sind wir KI-ready?

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Die Wirtschaft steht auf dem Sprung in die New AI-Economy. Digital – und angetrieben von Systemen mit generativer Künstlicher Intelligenz. Es entstehen Potenziale in allen ökonomischen Bereichen. Aber der Wandel hat großen Hunger: Im Zusammenspiel mit der E-Mobility sorgt die KI dafür, dass der globale Strombedarf enorm steigt. Worauf es daher ankommt: Bereit für die Änderungen zu sein. Ein Essay von André Boße

Die größten technischen Innovationen betreffen nicht nur spezielle Bereiche. Sie betreffen alle. Die Erfindung der Elektrizität war eine solche. Die Entwicklung des Automobils auch. Und die Einführung des Mobiltelefons offensichtlich ebenfalls. Nun geht’s um die Künstliche Intelligenz. Auch hier spricht man von einer Querschnittstechnologie, sprich: einer Entwicklung, die quer durch die gesamte Gesellschaft und auf alle ihre Systeme und Bereiche Einfluss nimmt. Längst werden die Möglichkeiten der KI in der Breite genutzt. Mit ChatGPT und Co. generierte Bilder überfluten das Internet und die Sozialen Medien. Schüler*innen nutzen die KI zum Lernen, schreiben mit ihrer Hilfe Aufsätze. Übrigens häufig nicht gegen den Willen der Lehrkräfte. Sondern mit deren Unterstützung. Weil Pädagog*innen erkennen: Die Zukunft des Lernens ist ohne Künstliche Intelligenz nicht mehr vorstellbar. Dass auch Verbände vor einer KI-Zukunft stehen, zeigt ein Workshop, den Microsoft Anfang 2025 angeboten hat: „KI als Treiber in Verbänden“. Bezeichnend, dass der Impulsvortrag am Morgen den Titel „KI auf dem Weg zur nächsten Querschnittstechnologie“ trug. Und dass Microsoft diesem Workshop einen Obertitel gegeben hat, der beschreibt, was auf uns zukommt: die New AI-Economy.

KI sorgt für Update der New Economy

Ein Schritt zurück, was war noch gleich die New Economy? Der „Duden Wirtschaft von A bis Z“ definiert sie als „Bezeichnung für Wirtschaftsbereiche, die im Zusammenhang mit der Verbreitung des Internets und der Computer sowie anderer Informations- und Kommunikationstechniken aufkamen und die wirtschaftlichen Abläufe teilweise grundlegend änderten“. In der Geschichte der New Economy gab es eine platzende Dotcom-Blase mit rasanten Kursabstürzen zunächst erfolgreicher Internet-Start-ups sowie die Erkenntnis, dass auch die New Economy die Grundregeln des Kapitalismus nicht außer Kraft setzen kann. Dennoch: Die New Economy steht für eine wirtschaftliche Zeitenwende, die digital getriebene Konzerne wie Google, Meta, Tesla oder Amazon möglich machte. Und die komplett neue Geschäftsmodelle ermöglichte, von E-Commerce und Social-Media-Marketing über Cloud Computing und Streaming bis zu On-Demand- und Sharing- Services.
Foto: AdobeStock/nexusby
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Vier-Tage-Woche anders betrachtet

Die Debatte um die Vier-Tage-Woche wird häufig schief geführt. Weil bei vielen die Vorstellung zugrunde liegt, es existiere ein festgelegter Berg an Arbeit, der erledigt werden müssen. Mit den Verfechtern der Vier-Tage-Woche als Drückebergern. Doch dieser fixe Arbeitsberg existiert nicht, im angloamerikanischen Raum spricht man vom „lump of labor fallacy“, einem Arbeitsaufwand- Trugschluss. Der Irrtum ist die Annahme, dass es in einer Volkswirtschaft immer die gleiche Menge an Arbeit zu erledigen gibt. Es sind nämlich immer Änderungen möglich. Jeder kennt das aus dem Haushalt: Wer in einen Staubsauger-Roboter investiert, verbringt weniger Zeit mit dem Handsauger. Und kann die gewonnenen Stunden entweder nutzen, um kreativ den Wohnraum umzugestalten. Oder auch die freie Zeit genießen, um Energie zu tanken. Ganz ähnliche Chancen bietet die KI: Sie gibt Freiraum für Kreativität. Aber eben auch für sinnvolle Freizeit. Ohne, dass Arbeit liegen bleibt.
Nun also New AI-Economy. Eine Art KI-Update der „alten“ New Economy. Auf welche Weise die Künstliche Intelligenz die globale Wirtschaft ändern wird, erklärt Anton Korinek, Wirtschaftsprofessor an der Darden School of Business der University Virginia. Er war einer der Expert*innen, die im Auftrag der G7-Staaten einen Report zur Frage geschrieben haben, wie die KI die Ökonomie verändern wird. Ein Interview mit ihm findet sich auf der Homepage des Uni-Nachrichtendienstes UVA Today. Korinek ist der Überzeugung, dass die KI im Begriff sei, „unser Wirtschaftssystem in einer Weise grundlegend zu verändern, die mit der industriellen Revolution vergleichbar ist“. So wie damals das Mittelalter in die moderne industrielle Wirtschaft übergegangen sei, werde auch die KI ein „völlig neues Wirtschaftsparadigma“ einleiten: „Die Technologie hat das Potenzial, sowohl kognitive als auch physische Arbeit in praktisch allen Sektoren zu automatisieren.“ Die Frage sei: Wie schnell wird das gehen? „Einige Experten sagen umwälzende Fortschritte innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre voraus, während andere eher allmähliche Veränderungen in einem Bereich von fünf bis zehn Jahren erwarten“, wird Korinek zitiert.

KI verlangt danach, Arbeit neu zu denken

Als Mitglied des Expert*innen-Teams formulierte Korinek im Report für die Regierungschefs der G7-Staaten den Ratschlag, eine Haltung der „Bereitschaft“ einzunehmen. Es sei wichtig, KI-Fachwissen aufzubauen und Richtlinien festzulegen, zum Beispiel bei Frage von Finanzaktivitäten oder „grenzüberschreitender Zusammenarbeit bei der KI-Governance“. Was bedeutet: Es könnte auch eine KI-Diplomatie geben, deren Formen und Werte erst noch gefunden werden müssen. Mit Blick auf die Wirtschaft glaubt Korinek, die KI biete zwar beispiellose Chancen für Wirtschaftswachstum und Innovation, bringe aber erhebliche Herausforderungen mit sich. Zum Beispiel „potenzielle Störungen des Arbeitsmarktes“. Was die Jobs betrifft, die im Zuge der New AI-Economy neu entstehen oder wegfallen können, sieht Anton Korinek „eine faszinierende Dynamik im Spiel“: „Wirtschaftswissenschaftler haben Jahrzehnte damit verbracht, zu erklären, warum die technologische Automatisierung nicht zu dauerhafter Arbeitslosigkeit führt.“ Angloamerikanische Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang vom „lump of labor fallacy“ – gemeint ist der Trugschluss, dass es in Volkswirtschaften eine festgelegte Menge an Arbeit gibt, die nicht veränderbar ist. Korinek glaubt, dass die KI dafür sorgen wird, dass dieser Irrtum offensichtlicher denn je wird: „Wenn KI-Systeme in der Lage sind, die menschliche Leistung bei praktisch jeder Aufgabe zu erreichen oder zu übertreffen, wie viele führende KI-Forscher vorhersagen, werden wir unsere grundlegenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen überdenken müssen.“ Und damit auch den Begriff von Arbeit. Verbunden mit der Frage, wie viel Arbeit geleistet werden muss. (siehe Kasten zur Vier-Tage-Woche)

KI ist zentrales Bildungstool

Es kommt also darauf an, Bereitschaft zu zeigen. Das gilt für alle Branchen. Zum Beispiel die Anbieter von Fort- und Weiterbildung. Das Berliner Unternehmen Relias hat sich auf digitale Bildung für das Gesundheits- und Sozialwesen spezialisiert. In einem Blog auf der Unternehmenshomepage skizziert Stephan Butzke, ehemaliger Krankenpfleger und jetzt Fachautor für Digital- und Gesundheitsthemen, wie KI das Lernen im seinem Bereich verändert. Butzke ist davon überzeugt, dass die Künstliche Intelligenz vollkommen neue Möglichkeiten eröffnet: „Statt statischer Schulungen und starrer Lernmodule können personalisierte, adaptive und interaktive Lernformate entstehen“, schreibt er in seinem Blog-Beitrag.
Es kommt also darauf an, Bereitschaft zu zeigen. Das gilt für alle Branchen.
Konkret nennt er „personalisierte Lernpfade“, die basierend auf Daten zu Vorwissen, Lernverhalten und Lernfortschritt analysiert, welche Inhalte besonders relevant sind und welche Bereiche noch vertieft werden sollten. Möglich seien auch „Simulationen und immersive Lernerfahrungen“, in dem die KI realistische Simulationen, KI-gestützte Fallstudien und interaktive Trainings entwickelt. Auch Sprachbarrieren könnten dank KI-Übersetzungstools überwunden werden, Fachwissen aus globalen Datenquellen seien erschließbar. „So wird Weiterbildung niedrigschwelliger und inklusiver“, ist Stephan Butzke überzeugt. Was er nicht glaubt: Dass die KI die Bildung komplett übernimmt. Der Schlüssel liege darin, KI bewusst und reflektiert zu nutzen: „Nicht jede Technologie ist für jedes Lernsetting geeignet, und der Mensch bleibt weiterhin die wichtigste Instanz, wenn es um kritisches Denken, Kreativität und Empathie geht.“

Service nach Maß

Von der Bildung zu Märkten und Dienstleistungen: Tahir Nisar, Wirtschaftsprofessor an der Universität Southampton, publizierte im März 2025 für den Think Tank Economics Observartory einen Beitrag über den Einfluss der Künstlichen Intelligenz auf Geschäftsmodelle in den Bereichen Handel, Logistik und Vertrieb. „KI verändert die Art und Weise, wie Verbraucher einkaufen, sich mit Inhalten beschäftigen und mit Unternehmen interagieren“, schreibt er. Dank des Zugriffs auf riesige Mengen von Verbraucherdaten nutzten Unternehmen zunehmend KI-gestützte Erkenntnisse, „um Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die sich relevanter und intuitiver anfühlen“. Beispielhaft für diese Potenziale stehe laut Nisar der Finanzsektor. Dort definierten „KI-gestützte Beratungstools die persönliche Vermögensverwaltung neu, indem sie passgenaue Anlagestrategien auf der Grundlage von Risikobewertungen in Echtzeit anbieten“. Das gebe Unternehmen die Möglichkeit, sich weg von statischen, einheitlichen Finanzplänen hin zu KI-gesteuerten Modellen zu bewegen, „die sich dynamisch an die Veränderungen im Leben anpassen, zum Beispiel an berufliche Veränderungen oder Familienzuwachs“. Damit könnten Finanzdienstleister laut Tahir Nisar eine neue Ebene erreichen, indem sie „maßgeschneiderte Finanzpläne anstelle starrer, unflexibler Pläne“ liefern. Für Nihar ist „maßgeschneidert“ ein zentrales Kennwort der New AI-Economy: Automobilhersteller seien dabei, intelligente Fahrzeuge zu entwickeln, die sich an die Komfort- und Leistungswünsche des Fahrers anpassen. Im Kundenservice lernten mit KI-Chatbots aus früheren Interaktionen, um einen intuitiveren und menschenähnlichen Support zu bieten. Unternehmen entwickelten Produkte, die sich stärker an den Marktbedürfnissen orientieren, Innovationen vorantreiben und intelligentere strategische Entscheidungen ermöglichen. Nihar nennt hier zwei konkrete Beispiele: Nike-Schuhe „auf der Grundlage biometrischer Daten“, L’Oréal-Hautpflegeprodukte, „angepasst an den individuellen Hauttyp“.
Die Wirtschaft muss AI-Economy-ready sein. Gemeint sind die Unternehmen und die Politik, aber auch alle, die jetzt in eine zunehmend von der KI getriebenen Ökonomie einsteigen.

Gigantischer Stromhunger

Doch die KI gibt nicht nur, sie benötigt auch etwas. Nämlich Energie. Im Blog des Internationalen Währungsfonds (IMF) schreiben die IMF-Experten Ganchimeg Ganpurev und Andrea Pescatori in einem Beitrag vom Mai 2025, dass die KI als „Quelle für Produktivität und Wirtschaftswachstum“ immer mehr Strom für die Rechenzentren benötige. „Die daraus resultierende Belastung der Stromnetze hat erhebliche Auswirkungen auf die weltweite Stromnachfrage“, schreiben die Autor*innen. Bereits im Jahr 2023 benötigten die Rechenzentren der Welt mit 500 Terawattstunden doppelt so viel Strom, wie es im Jahr 2015 der Fall war. 2030, prognostizieren die Autor*innen auf Basis der Daten einer OPEC-Studie, werde sich diese Menge im Vergleich zu 2023 verdreifachen, auf 1500 Terawattstunden. Damit würden die Rechenzentren pro Jahr die Menge an Strom benötigen, die heute das Land Indien mit seinen knapp 1,4 Milliarden Einwohner*innen verbraucht. Ganchimeg und Pescatori entwerfen das positive Szenario, dass die Nachfrage nach Strom auch das Angebot ankurbelt. Zum Bespiel mit einem weiteren Boom der Erneuerbaren Energien, die saubere und klimaneutrale Elektrizität erzeugen. Ist die Reaktion jedoch nicht schnell genug, könnte das zu einem „stärkeren Kostenanstieg führen, der Verbrauchern und Unternehmen schadet und möglicherweise das Wachstum der KI-Industrie selbst bremst“, heißt es im IMF-Beitrag. An dieser Stelle kommt erneut die Bereitschaft ins Spiel: Die Wirtschaft muss AI-Economy-ready sein. Gemeint sind die Unternehmen und die Politik, aber auch alle, die jetzt in einer zunehmend von der KI getriebenen Ökonomie einsteigen. Es geht darum, Chancen zu nutzen, Risiken zu erkennen, Folgen abzuschätzen. Dabei ist es klug, sich nicht kopfüber ins KI-Abenteuer zu stürzen, sondern die Veränderungen vom Ende her zu denken.

Der Gedanken-Code

Der Gedanken-CodeRund um die Welt kombinieren Firmen und Forschende künstliche Intelligenz mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung. Ihr Ziel: den Code unseres Denkens zu knacken und zu verstehen, was in uns vorgeht. Schon bald werden ihre Technologien in viele Bereiche unseres Lebens vordringen. Das birgt enorme Chancen, aber auch nie dagewesene Risiken. In seiner packenden Reportage, die ihn von Berlin in den Süden Indiens und bis ans Ende der digitalen Welt in Patagonien führt, enthüllt Janosch Delcker, was da gerade hinter verschlossenen Türen entsteht – und liefert eine Anleitung, wie wir mit den smarten Anwendungen sinnvoll umgehen können. Delcker, Janosch: Der Gedanken-Code. Wie künstliche Intelligenz unser Denken entschlüsselt und wir trotzdem die Kontrolle behalten. C.H.Beck 2024. 16,00 Euro.

Vice President SAP SE Christine Regitz im Interview

Christine Regitz ist Vice President SAP SE und leitet die Initiative „SAP Women In Tech“. Zudem ist sie Präsidentin der Gesellschaft für Informatik. Eine Bilderbuchkarriere. Aber: eine ohne Plan. Im Gespräch verrät die Spitzenkraft, wie es auch im Zickzackkurs nach oben gehen kann und warum es in der Softwareentwicklung auf vielfältiges Know-how ankommt. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Christine Regitz (Jahrgang 1966) leitet als Vice President bei SAP die Initiative „SAP Women In Tech“. Seit 2016 gehört sie dem SAP-Beirat für Nachhaltigkeit an und war knapp zehn Jahre lang Mitglied des SAP-Aufsichtsrates. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Physik in Saarbrücken und Bari nahm sie eine Beratertätigkeit im IT-Bereich auf. 1994 wechselte sie zu SAP, seitdem ist sie dort in unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen tätig. Seit 2007 engagierte sie sich in der Gesellschaft für Informatik, deren Präsidentin sie heute ist. 2021 wählte sie das Handelsblatt in die Liste „100 Frauen, die Deutschland bewegen“.
Frau Regitz, Sie haben einmal gesagt, Sie hätten zum Start Ihrer Karriere keinen Plan gehabt – und das sei richtig gewesen. Warum? Ich bin ein Mensch, der gerne und öfter etwas Neues macht. Und der zur Ungeduld neigt, wenn ich beginne, mich zu langweilen. Mit diesen Charaktereigenschaften war es für mich als Jugendliche schwer, zu sagen: Was will ich eigentlich mal werden? Und was muss ich dafür studieren? Denn ich konnte mir vieles vorstellen. Besser gesagt: Ich konnte mir kaum etwas nicht vorstellen. Das machte die Wahl schwer. Inwiefern? Weil ich als junger Mensch dachte: Wenn ich mich jetzt entscheide, ob ich im Studium den Weg A oder B gehe, dann lege ich mich in diesem Moment für mein ganzes Leben fest. Was ja gar nicht stimmen muss. Genau, aber das wusste ich damals noch nicht. Und es wurde mir von vielen Seiten auch anders vermittelt. Ist Deutschland ein Land, in dem dieses „keinen Plan haben“ nur wenig goutiert wird? (überlegt) Ich glaube da ist was dran, ja. Ich denke, das hängt stark mit der Arbeitskultur in Deutschland zusammen, die sehr stark vom Wunsch nach Konstanz geprägt wird, nach dem Motto: Wenn du einmal bei VW oder bei der Post bist, dann bleibst du da immer. Hinzu kommt, dass viele junge Menschen zu wenig über den konkreten Berufsalltag in dieser digitalen Gesellschaft wissen. Wäre das anders, würde ihnen bewusstwerden, dass man mit einer guten Grundausbildung in fast allen Branchen tätig sein kann. Natürlich gibt es auch weiterhin sehr spezialisierte Berufe, eine Chirurgin muss selbstverständlich Medizin studiert haben. Es entstehen aber immer mehr akademische Jobs, in denen das, was man studiert hat, keine so große Rolle mehr spielt. Weil andere Fähigkeiten zählen. Welche? Seine Neugier einzubringen. Lust haben, etwas zu lernen und zu verändern. Nun tun sich die Deutschen auch mit Veränderungen eher schwer. Change ist nicht positiv besetzt. Ein Beispiel ist die Sprache: Es gibt den deutschen Begriff der „Technologiefolgenabschätzung“. Eine „Technologiechancenabschätzung“ dagegen gibt es nicht. Das wäre aber doch der bessere Weg: die Chancen zu sehen, und nicht alles, was neu ist, sofort in die kritische Ecke zu stellen. Das Mindset stimmt nicht. Und das führt zu Fehleinschätzungen, gerade was die Digitalisierung betrifft.
Viele glauben, Digitalisierung bedeute, analoge Prozesse digital zu machen. Stimmt aber nicht. Digitalisierung bedeutet, Prozesse in einer digitalen Welt neu zu denken.
Welche zum Beispiel? Viele glauben, Digitalisierung bedeute, analoge Prozesse digital zu machen. Stimmt aber nicht. Digitalisierung bedeutet, Prozesse in einer digitalen Welt neu zu denken. Wobei es dabei durchaus vorkommen kann, dass der Prozess hinterher ganz anders gestaltet wird. Sie sind vor mehr als 30 Jahren als Softwareentwicklerin eingestiegen. Wie hat sich dieser Job in den vergangenen Jahren geändert? Ich hatte damals auch noch das Vorurteil, bei einem Unternehmen wie SAP auf einen Kollegenkreis mit fast ausnahmslos Informatikern zu treffen. Mit mir als Wirtschaftsinformatikerin, immerhin. Aber dann begegnete ich dort gar nicht so viel Informatikern, sondern Physikern, Mathematikern, Chemikern. Das hat mich damals sehr überrascht, ist aber, wenn man darüber nachdenkt, nur logisch. Warum? Bei der Entwicklung von Software geht es darum, die Probleme, die ein Kunde in der realen Welt hat, mit Hilfe einer Software zu lösen. Egal, ob die Unternehmen Autos produzieren oder Versicherungen vermitteln: Mit unserer Software bilden wir deren Geschäftsprozesse ab. Um bei der Entwicklung dieser Software mitzuhelfen, ist natürlich ein betriebswirtschaftliches Verständnis wichtig. Und, klar, die Software muss auch programmiert werden, hier sind klassische Informatiker gefragt. Die Software muss aber dann auch vertrieben werden. Es muss Schulungsmaterial erstellt werden, müssen Workshops abgehalten werden. Das Programmieren ist daher in der reinen Softwareentwicklung nur ein kleiner Teil. Und er wird von Jahr zu Jahr immer kleiner, weil die Programmiertools auch dank der Künstlichen Intelligenz immer besser werden. Mit der Folge, dass wir Softwareentwickler uns immer mehr auf die kreativen Aspekte unserer Arbeit fokussieren können. Nämlich die Lösung des eigentlichen Problems. Welche Fähigkeiten muss man mitbringen, um diese kreativen Aspekte einbringen zu können? Man muss erstens Teamplayer sein, um sich in den divers besetzten Teams gut einzubringen. Bei SAP schaut man zum Beispiel in den Bewerbungen darauf, ob jemand unter den Freizeitaktivitäten eine Teamsportart aufgezählt hat, denn bei einer solchen lernt man Dinge, die auch in der Teamarbeit wichtig sind. Zweitens muss man das Gespür dafür mitbringen, dass bei allem, was wir tun, die Endbenutzer im Mittelpunkt stehen. Es gibt einen Use-Case, den wir lösen wollen. Damit das gelingt, müssen wir uns in den Endnutzer hineinversetzen. Wir müssen dafür wissen, was seine Arbeitsbedingungen sind – denn diese sind in Büros ganz anders als in einer Produktionshalle, in einem hochsterilen Labor oder im Straßenbau. Wichtig ist auch eine gewisse Überzeugungskraft. Ich erwähnte ja schon, Digitalisierung heißt nicht, den Menschen ein iPad in die Hand zu geben. Es kann dazu kommen, dass die Lösung, die wir einem Kunden bieten wollen, nicht diejenige ist, die er sich vorgestellt hat. Vielleicht muss sich der Endbenutzer nun umstellen. Müssen die Menschen im Unternehmen Dinge anders machen. Dann gilt es, im Sinne der Lösung Überzeugungsarbeit zu leisten. Sie kämpfen seit vielen Jahren dafür, mehr Frauen für Berufe im Bereich der Softwareentwicklung zu gewinnen. Bei SAP leiten Sie die Initiative „SAP Women In Tech“. Wie beurteilen Sie das Tempo des Wandels? Es wird besser, das kann man schon feststellen. Aber das Tempo ist langsam. Ein Hauptgrund ist sicher auch hier die Schieflage in der Vermittlung des Berufsbildes, über die wir bereits gesprochen haben. Man benötigt für die Softwareentwicklung eine Vielfalt an Kompetenzen; die informatische ist nur ein von vielen. Ich bin der Überzeugung, dass wir die Vielfalt dieser Berufsbilder der Digitalisierung schon früh vermitteln müssen, bereits in der Schule. Und an den Unis muss klar sein, dass die Softwareentwicklung Nachwuchskräfte aus verschiedenen Studiengängen gebrauchen kann. Ist das offensichtlich, werden noch mehr junge Frauen den Weg in diesen Beruf finden, davon bin ich überzeugt.
Das wäre aber doch der bessere Weg: die Chancen zu sehen, und nicht alles, was neu ist, sofort in die kritische Ecke zu stellen.
Wir haben vorhin festgestellt, dass Sie zu Beginn Ihrer Karriere keinen Plan hatten. Nun aber sind sie seit mehr als 30 Jahren bei einem Arbeitgeber. Warum diese Treue? Weil mein Anspruch, immer wieder etwas Neues zu machen, Teil der SAP-Unternehmenskultur ist. Man wird dazu ermutigt, die Abteilungen, Themen oder Teams zu wechseln. Ich konnte daher immer wieder etwas Neues machen, und das war genau das, was ich gebraucht habe. Ich finde, es ist wichtig, sich als Einsteigerin und Einsteiger darüber klar zu werden: Was ist meine Persönlichkeit, was ist meine Stärke? Liegt es mir, mich tief in ein Thema zu vergraben, um mich dann wirklich auszukennen? Oder sehe ich, wie in meinem Fall, meine Stärke darin, Themen bis zu einem gewissen Punkt vorantreiben. Und dann? Freue ich mich, das Thema übergeben zu können – um wieder etwas Neues anzufangen. Fällt Ihnen das Abgeben nicht schwer? Nein, ich finde ich es sogar gut, wenn ich bei einem Erreichungsgrad von 80 Prozent erkenne, dass jemand da ist, der die restlichen 20 Prozent erledigen möchte. Ich bin ein 80-Prozent-Typ. Daher wäre die Buchhaltung auch nichts für mich, denn da muss immer alles hundertprozentig stimmen. Zum Abschluss, Ihr Rat an den digitalen Nachwuchs? Holt euch Feedback ein, aber nur mit Blick auf eure Stärken. Guckt nicht auf eure Schwächen, und guckt auch nicht, was gerade konform ist. Schaut lieber darauf, was ihr könnt und wollt, dann findet sich auch was. Was man übrigens nicht können muss, obwohl häufig genug danach gefragt wird, auch in Vorstellungsgesprächen: zu sagen, wo man sich in fünf Jahren sieht. Konnte ich noch nie. Zunächst dachte ich, dass das ein Manko wäre. Heute weiß ich: Das ist falsch. Man kann halt auch ohne Plan Karriere machen. Aber eine abwechslungsreiche.

Zu SAP

Als einer der weltweit führenden Anbieter von Anwendungen und KI für Unternehmen ist SAP an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und digitaler Technologie tätig. Mit Hilfe der Software laufen geschäftskritische Abläufe in den Bereichen Finanzwesen, Beschaffung, Personalwesen, Lieferkette und Customer Experience zusammen. Das Unternehmen mit Sitz in Walldorf hat weltweit mehr als 109.000 Beschäftigte in mehr als 100 internationalen Entwicklungsstandorten. Die Geschichte von SAP (das Kürzel steht für „Systeme, Anwendungen und Produkte in der Datenverarbeitung“) begann 1972 als eine Fünf-Personen-Firma. An der Spitze des Konzerns steht Christian Klein, mit 44 Jahren der derzeit jüngste Vorstandschef eines Dax-Unternehmens.

Kuratiert

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DeepL schafft es auf Forbes AI 50-Liste

Das US-Magazin Forbes hat wieder seine AI 50-Liste veröffentlicht, mit der die vielversprechendsten Unternehmen vorgestellt werden, die künstliche Intelligenz zur Lösung realer Herausforderungen einsetzen. Darunter ist auch ein deutsches Unternehmen: DeepL, Anbieter von KI‑gestützten Übersetzung- und Schreiblösungen mit Sitz in Köln. Das Start-up konnte sich gegen mehr als 1.860 Kandidaten durchsetzen und wurde zum zweiten Mal in Folge ausgewählt.

E-Hosen unterstützen beim Gehen

Beim Radfahren ist es schon ganz normal, auf Motorkraft statt nur auf Muskelkraft zu setzen: Der Absatz von E-Bikes boomt, 2023 wurden erstmals mehr Fahrräder mit als ohne Motor verkauft. Anders beim Wandern, das funktioniert bislang ohne technische Unterstützung – aber das könnte sich bald .ändern. Skip with Joy, ein kalifornisches Unternehmen, entwickelt „powered clothing“ oder, einfach gesagt, Hosen, die beim Gehen unterstützen. Das Versprechen: Weniger Mühe, Muskelermüdung und Gelenkschmerzen, dafür mehr Bewegungsfreiheit und Freude. Bisher kamen solche Exoskelette hauptsächlich in der Industrie und der Rehabilitation zum Einsatz, nun sollen Sie den Massenmarkt erobern.

Per Mausklick durch den Petersdom

Wer den Petersdom erkunden möchte, muss nicht nach Rom reisen, sondern sich nur an den Computer setzen. Der Vatikan und Microsoft haben zusammengearbeitet und einen digitalen Zwilling erstellt. Möglich geworden ist dies mit 400.000 hochauflösenden Fotografien, die zum Teil mit Drohnen aufgenommen wurden. Während der zweieinhalbjährigen Projektphase, an der namhafte Experten verschiedenster Fachrichtungen beteiligt waren, kam durchgehend künstliche Intelligenz zum Einsatz. Microsoft-Chef Brad Smith sprach vom wahrscheinlich ambitioniertesten Projekt dieser Art, das es bisher je gegeben hat. Ausgangspunkt der KI-Kooperation war ein Aufruf des Heiligen Stuhls zur ethischen Nutzung Künstlicher Intelligenz, der sogenannte „Rome Call“, der bereits 2020 veröffentlicht wurde. von Kerstin Neurohr

BIM und KI: Wie digitale Intelligenz die Baubranche verändert

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Die Baubranche befindet sich im digitalen Umwandlungsprozess. Building Information Modeling (BIM) ist auf diesem Transformationsweg die maßgebliche Methode – sie ermöglicht die Digitalisierung und Kollaboration über die gesamte Wertschöpfungskette von Bauprojekten hinweg. Planung, Bau und Betrieb werden so effizienter, besser planbar und günstiger – ebenso nachhaltiger. Als neue Technologie kommt nun Künstliche Intelligenz (KI) hinzu, die sich hervorragend mit BIM kombinieren lässt. Von Christoph Berger, buildingSMART Deutschland

Die Baubranche sieht sich mit einer wachsenden Datenflut und immer komplexeren Projekten konfrontiert. BIM hat sich vor diesem Hintergrund zum Standard für die digitale Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Bauwerken etabliert. Im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung heißt es: „Building Information Modeling (BIM) wird zum zentralen Instrument der Digitalisierung des Bauwesens weiterentwickelt.“ KI unterstützt nun diese Entwicklung und bietet Potenziale in fast allen Branchenbereichen: zum Beispiel von der Ausschreibungsanalyse über die Bauzeiten- und Ressourcenplanung, Predictive Maintenance bis hin zur Dokumenten- und Datenanalyse. Auch beim 3D-Druck oder dem Einsatz von Drohnen- und Robotern kann KI unterstützen. Doch während in anderen Branchen KI bereits tief in die Wertschöpfung integriert ist, befindet sich die Bauwirtschaft noch im Aufholprozess – mit Pilotprojekten, aber auch mit großem Nachholbedarf bei Datenstandards und Governance.

Schnittmengen von BIM und KI

Wobei Datenstandards das entscheidende Stichwort für ein erfolgreiches Zusammenwirken von BIM mit KI ist. BIM liefert die strukturierte Datenbasis, auf der KI-Algorithmen aufbauen können. Der von buildingSMART entwickelte Datenstandard IFC (Industry Foundation Classes) schafft die nötigen Voraussetzungen. Ziel des IFC-Standards ist die interoperable Datenübertragung zwischen verschiedenen Softwarelösungen im Bauwesen – unabhängig vom Hersteller. In Verbindung des Datenstandards mit KI werden Digitale Zwillinge, also virtuelle Abbilder realer Gebäude in Echtzeit, möglich, die Bauprozesse und Betriebsphasen datenbasiert steuern und optimieren. Trotz der aufgezeigten Potenziale gibt es branchenspezifische Hürden. Dazu zählen nicht nur die Datenbasis, sondern auch individuelle und projektspezifische Abläufe, weiterhin existierende analoge Abläufe, Insellösungen und Silodenken. Hinzu kommen Fachkräftemangel, fehlende KI-Governance sowie die inzwischen erlangte Erkenntnis: Mit Technik allein ist es nicht getan, für die erfolgreiche Durchführung von Digitalisierungsprojekten braucht es auch einen Kulturwandel. Nur wenn Prozesse, Menschen und Strukturen zusammenpassen, entsteht Fortschritt. Auch hier setzt buildingSMART Deutschland an: Als Netzwerk fördert es den Wissenstransfer zwischen Praxis, Forschung und Nachwuchs und arbeitet aktiv am Zusammenspiel von Technik und Change.

Berufseinstieg und Zukunftsperspektiven

Für Absolventinnen und Absolventen bieten sich vor diesem Hintergrund zahlreiche Einstiegsmöglichkeiten – von der Entwicklung und Implementierung digitaler Tools über das Datenmanagement bis hin zur Beratung und Prozessoptimierung. Gefragt sind nicht nur IT- und Ingenieurkenntnisse, sondern auch die Bereitschaft, sich in interdisziplinären Teams und neuen Rollen zu bewegen. Wer sich früh mit BIM und KI beschäftigt, kann die digitale Transformation der Branche aktiv mitgestalten.