Wie Prof. Dr. Mandy Mangler eine Generation von Medizinerinnen prägt und für echte Chancengleichheit im Gesundheitswesen kämpft.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 77 Prozent der Fachkräfte in der Gynäkologie sind Frauen, aber nur 17 Prozent der Führungspositionen in Berlin werden von ihnen besetzt. „Das ist enttäuschend“, sagt Prof. Dr. Mandy Mangler mit der Direktheit, die ihre Kolleginnen und Studierenden an ihr schätzen. Die Chefärztin hat sich einen Namen gemacht – nicht nur durch ihre medizinische Expertise, sondern vor allem durch ihren unermüdlichen Kampf für feministische Gendermedizin. Von Sonja Theile-Ochel
Der Blick für das Fehlende
Manglers Weg begann mit einer Beobachtung, die andere übersehen hätten. „Mir fiel im Studium auf, wie viel Wissen über Frauen fehlte“, erinnert sie sich. Gynäkologie war ein kleines Fach, weibliche Anatomie und Menopause kamen kaum vor. Was sie zunächst für normal hielt, entpuppte sich als systematisches Problem: „Es fehlt nicht nur in der Gynäkologie, sondern generell an Medizin, die den weiblichen Körper ernst nimmt.“ Die Beispiele, die Mangler anführt, sind bezeichnend für eine Forschungslandschaft, die lange Zeit von „patriarchalen Prioritäten“ geprägt war. Statt die Diagnostik der Endometriose zu verbessern, untersuchte eine Studie, ob betroffene Frauen attraktiver seien als andere. „Statt Diagnostik zu verbessern, verschwendete man Energie auf solche Fragen“, kritisiert sie.
Führung ohne Vorbilder
Auf ihrem Weg in Führungspositionen erlebte Mangler ein System, das wenig Raum für ihre Vorstellungen von Work-Life-Balance ließ. Die wenigen Frauen in Führungspositionen waren oft „verlängerte Arme“ der Männer, ihre Kinder „die ersten in der Kita und die letzten, die abgeholt wurden“. Solche Lebenskonzepte fand sie wenig attraktiv. Das hierarchische, oft von militärischen Strukturen geprägte Umfeld mit autoritärem Umgangston bot kaum Orientierung. „Vorbilder fehlten oder waren abschreckend“, beschreibt Mangler ihre Erfahrungen. Doch auch Anti-Vorbilder können lehrreich sein: „Sie zeigen, wie man es nicht machen will.“
Der erschreckende Unterschied
Die Auswirkungen dieser Strukturen zeigen sich in den Karrierevorstellungen: Nur 3,6 Prozent der Ärztinnen können sich eine Chefarztposition vorstellen, im Vergleich zu 28 Prozent der Männer. „Das ist erschreckend“, kommentiert Mangler. Frauen seien 50 Prozent der Bevölkerung, aber nur 14 Prozent der Führungspositionen an Universitäten seien weiblich besetzt.
Der doppelte Drain
Mangler diagnostiziert ein doppeltes Problem: Neben dem bekannten „Brain Drain“ – 20.000 Ärzte und 36.000 Pflegekräfte arbeiten im Ausland – erlebe die Medizin einen „Woman Drain“. Viele Medizinerinnen arbeiten in Teilzeit oder scheuen Führungspositionen, obwohl sie enormes Potenzial hätten. Sie seien oft überlastet durch Care-Arbeit und Mehrfachbelastungen. „Angesichts des demografischen Wandels müssen wir die Arbeitswelt neu denken“, fordert Mangler. Krankenhäuser sollten so organisiert sein, dass sie effizient arbeiten, Menschen gut behandeln und gleichzeitig Freude am Beruf ermöglichen.
Digitale Aufklärung
Ihre Antwort auf diese Herausforderungen ist vielfältig. In den sozialen Medien nutzt Mangler ihre Reichweite, um evidenzbasierte Informationen zugänglich zu machen. „Das ist wichtig, denn sonst übernehmen weniger kompetente Stimmen die Gesundheitskommunikation“, erklärt sie ihren Ansatz. Für sie sind die Plattformen auch eine Art Selbsthilfegruppe: „Man sieht, dass andere Frauen ähnliche Probleme haben.“
Ihre Botschaft an junge Medizinerinnen und Mediziner ist klar: „Engagiert euch politisch – in Parteien, Berufsverbänden oder Fachgesellschaften.“ Das sei oft frustrierend, aber wichtig.
Drei Antriebe für Veränderung
Was treibt eine erfolgreiche Ärztin dazu, sich über ihr Fachgebiet hinaus zu engagieren? Mangler nennt drei Gründe: „Erstens sind die Strukturen für Frauen nicht optimal. Ich sehe viele Frauen, die enorm viel leisten, aber nicht gesehen werden.“ Zweitens motivierten sie patriarchale Strukturen, die Veränderungen bräuchten. Und drittens fühle sie sich den Generationen vor uns verpflichtet: „Ich möchte meinen Töchtern eine bessere Welt hinterlassen.“
Politischer Auftrag
Ihre Botschaft an junge Medizinerinnen und Mediziner ist klar: „Engagiert euch politisch – in Parteien, Berufsverbänden oder Fachgesellschaften.“ Das sei oft frustrierend, aber wichtig. Vernetzung und gegenseitige Unterstützung seien ebenso entscheidend wie Sichtbarkeit. Besonders eindringlich wird Mangler beim Thema Care-Arbeit: „Hinterfragt die Verteilung der Care-Arbeit in euren Beziehungen.“ Studien zeigten, dass Frauen in Paarbeziehungen mehr Care-Arbeit übernehmen. Ihre provokante Frage: „Warum sollte ich öfter die Spülmaschine ausräumen als mein Partner?“ Ihr Fazit: „Liebe ist keine Währung, die unbezahlte Arbeit rechtfertigt.“
Ein Wandel in Sicht
Prof. Dr. Mandy Mangler verkörpert einen Wandel, der in der Medizin längst überfällig ist. Mit ihrer Kombination aus fachlicher Exzellenz, gesellschaftlichem Engagement und der Fähigkeit, komplexe Themen verständlich zu vermitteln, prägt sie eine Generation von Medizinerinnen, die das System von innen heraus verändern will.
Ihr Beispiel zeigt: Veränderung beginnt mit dem Mut, die richtigen Fragen zu stellen – auch wenn die Antworten unbequem sind. In einer Zeit, in der das Gesundheitswesen vor großen Herausforderungen steht, braucht es mehr Führungskräfte wie sie, die bereit sind, etablierte Strukturen zu hinterfragen und neue Wege zu gehen.
Das große Gynbuch
Ein einfühlsames und umfassendes Buch zu allen Themen der Frauengesundheit, von der ersten Menstruation über die Wechseljahre bis ins Alter. Prof. Dr. Mandy Mangler: Das große Gynbuch. Verlag Suhrkamp 2024. 496 Seiten. 30 Euro.



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