Doc Caro ist Ärztin aus Überzeugung und verfolgt eine Mission, nämlich den Menschen über die Sozialen Netzwerke und Medien ihren Beruf und ihr medizinisches Wissen zu vermitteln. Spannend und nahbar. So macht sie es auch im Interview, in dem es auch darum geht, ob Empathie erlernbar ist und welche Rolle Mentor*innen auf dem Berufsweg spielen. Die Fragen stellte André Boße
Zur Person
Dr. med. Carola Holzner wurde 1982 Mülheim an der Ruhr geboren, wo sie bis heute lebt. Nach dem Abitur 2001 folgte zunächst ein Chemiestudium. Noch vor dem Vordiplom schrieb sie sich spontan für Medizin ein und folgte damit ihrem Kindheitstraum, Ärztin zu werden. An der Uni Köln erlangte sie 2009 die Approbation und promovierte dort. Caro Holzner ist Fachärztin für Anästhesiologie mit der Zusatzweiterbildung in Intensivmedizin, Notfallmedizin und Innerklinischer Akut- und Notfallmedizin. Vor allem aber ist sie passionierte Notärztin. Seit 2019 ist sie in verschiedene Formaten im Fernsehen und den Sozialen Medien zu sehen, seit 2021 schreibt sie Sachbücher. Ihr Undercut und die Tattoos sind zu ihrem Markenzeichen geworden.
Doc Caro, Ihr aktuelles Buch trägt den Titel „Ab unter die Gürtellinie: Medizin untenrum endlich verständlich“. Warum ist die Sprache im medizinischen Bereich ansonsten häufig so unverständlich?
Das liegt wohl auch daran, dass man in seinem eigenen Bereich von sich auf andere schließt. Man glaubt, dass die Menschen draußen die gleiche Sprache sprechen, wie man es in Fachkreisen tut. Was dann zu einer Sprache führt, bei der ein Patient nicht versteht, worum es geht. Das ist aber fatal, denn informierte Patienten sind der Grundstein einer erfolgreichen Behandlung. Das gilt besonders für Themen, bei denen das Allgemeinwissen eher diffus ist.
Zum Beispiel bei Themen, die von der Medizin „Untenrum“ handeln.
Genau.
Was haben Sie bei der Recherche Ihres Buches über die Geschlechtsorgane gelernt?
Ich hatte mich zuvor im Medizinstudium sowie bei meiner Arbeit als Notärztin mit einigen Aspekten dieses Themas beschäftigt, aber nicht mit im Sinne einer aufklärerischen Medizin. Dass das Gehirn allerdings eine so große Rolle dabei spielt, war auch für mich ein Aha-Erlebnis.
Man spricht von Kopfkino.
Ja. Der alte Spruch, dass Menschen mit ihren Geschlechtsteilen denken, ist gar nicht so falsch. Es gibt natürlich eine sehr intensive Verbindung zwischen dem Gehirn und diesen Organen. Ich kann übrigens auch Paaren empfehlen, das Buch gemeinsam zu lesen, um gemeinsam zu lernen. Mein Mann und ich zum Beispiel hatten dabei viel Spaß. Man kann, aber muss sich beim Lesen auch nicht unbedingt in die Augen schauen. (lacht)
Bei Ihren Auftritten in Talkshows und bei Ihren Fernsehformaten sprechen Sie ebenfalls eine sehr direkte Sprache. Ist Ihnen diese angeboren?
Ich komme aus dem Ruhrgebiet, da tragen die Leute ihr Herz tatsächlich auf der Zunge. Davon bin ich geprägt worden, ich habe schon immer so gesprochen. Dazu gehört auch die Art, bestimmte Dinge schnörkellos auf den Punkt zu bringen. Das kann ich sehr gut, und das auch von Hause aus. Ich war schon als Kind ein extrovertierter Mensch, man könnte auch sagen: eine Rampensau. Ich habe dabei auch gerne den Finger in die Wunde gelegt, kritisch nachgefragt oder Dinge hinterfragt. Das war schon ab der Grundschule so. Was meine Lehrer teilweise damals nicht immer so gut fanden, denn Dinge zu hinterfragen, war damals nicht immer sonderlich erwünscht.
Man erhält manchmal auch als Patientin oder Patient den Eindruck, dass es in einer Arztpraxis nicht gut ankommt, wenn man zu viel oder hinterfragt.
Da möchte ich uns Ärzte in Schutz nehmen. Nehmen wir den Alltag in einer Notaufnahme, also dem Bereich, in dem ich mich am besten auskenne: Was wir da tagtäglich an einer Vielzahl von Patienten durchschleusen – da haben wir leider oft wenig Kapazitäten für intensiven Austausch. Wir würden das gerne öfter tun, aber es fehlt die Zeit, sich mit jedem Patienten lange auseinanderzusetzen. Gut wäre es, dass die Patienten alles bis ins Detail verstünden. Allerdings muss ich an der Stelle auch die Patienten ein bisschen rügen: Es ist nicht immer so, dass gerne gehört wird, was die Ärztin oder der Arzt sagt, wenn es nicht ins eigene Konzept passt.

Wann zum Beispiel nicht?
Wenn ich dem Patienten sage, für ihren Herzinfarkt ist primär ihr Lebensstil verantwortlich, weil sie rauchen, Stress und Übergewicht haben und familiär vorbelastet sind. Dann bekomme ich schon mal die Antwort: „Nee, das liegt nicht am Rauchen, sondern am Nachbarn, der mich immer so aufregt.“ In diesem Moment fehlt der Wille zur Einsicht. Und auch da hilft ein klares Wort. Oder anders gesagt: Es wäre gut, wenn sich auf beiden Seiten ein größerer Enthusiasmus für die Aufklärung entwickeln würde. Mich zum Beispiel freut es, wenn ich einen Patienten vor mir habe, der mir gezielte Fragen stellt. Gerne auch kritische, was die Behandlung betrifft. Und der Patient muss sich auch nicht einfach abfertigen lassen. Er darf darauf bestehen, dass ihm die Dinge erklärt werden. Aber dann bitte auch verbunden mit der Erkenntnis, dass er selbst etwas für die eigene Gesundheit tun kann. Und eben keine Ausreden sucht. Schon gar nicht den Nachbarn.
Was Sie in Ihren Fernsehformaten zeigen: Wenn es darauf ankommt, verstehen Sie sich sehr gut aufs Zuhören.
Das entscheidende, was man als Ärztin oder Arzt mitbringen muss, ist Empathie. Und ich besitze die Fähigkeit, mich binnen Sekunden auf Patienten einzustellen. Ich weiß sehr schnell, auf welcher Wellenlänge ein Mensch ist. Und das ist wichtig, weil ich mich dadurch auf Augenhöhe mit dem Patienten befinde. Er fühlt sich verstanden und gesehen, und ich bekomme dann in kurzer Zeit die wichtigen Informationen heraus, die für die Behandlung notwendig sind. Diese erste Minute im Kontakt mit den Patienten, die ist ungemein wichtig. Hier wird die Basis für alles gelegt, was danach folgt.
Nun ist Empathie eine Fähigkeit, die nicht jeder in die Wiege gelegt bekommen hat. Kann man sie auch lernen?
Es ist sicher nicht ganz einfach, weil es dafür keine Lehrbücher und schon gar keine Formel gibt. Und es gibt sicher auch Menschen, die einfach wenig bis gar keine Empathie mitbringen. Was ich aber glaube: Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, und wenn man im Studium oder als Assistenzarzt oder Assistenzärztin viele empathische Menschen um sich herumhat, dann kann man sich bei denen einiges abgucken. Es ist wichtig, Ausbilder und Mentoren zu haben, von denen man sich was mitnimmt. Ich hatte damals im Studium und in den ersten Jahren als Assistenzärztin viele Frauen, bei denen ich dachte: „Boah, so will ich mal werden.“ Das waren echte Vorbilder. Und klar, bei denen schaut man sich ein paar gute Dinge ab. Nach dem Motto: „Wenn ich mal groß bin…“ (lacht).
Wir waren alle mal klein, standen alle zum ersten Mal vor einem Patienten und fühlten uns recht hilflos.
An dieser Stelle dann auch der Appell an die erfahrenen Kollegen: Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, was für einen Impact man mit Blick auf die jungen Ärztinnen und Ärzte hat. Man besitzt da also durchaus eine Verantwortung, und es ist immer hilfreich, wenn man sich die Zeit nimmt, dem Nachwuchs etwas zu erklären, wenn man merkt: Oh, da ist jemand neugierig. Wir Ärzte mit Erfahrung müssen bedenken: Wir waren alle mal klein, standen alle zum ersten Mal vor einem Patienten und fühlten uns recht hilflos.
Haben Sie sich damals bewusst Frauen als weibliche Vorbilder gesucht?
Nein, das war ein Zufall. Ich habe zahlentechnisch mehr Männer als Mentoren gehabt, aber es gab ein oder zwei Frauen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind. Das waren sehr selbstbewusste Frauen, die sich in dieser – damals noch – Männerdomäne durchgesetzt haben. Die sich Respekt verschafft haben. Ich glaube, wohl auch mit Hilfe ihrer Ellenbogen und auf Kosten ihrer Gesundheit. Das ist, Gott sei Dank, heute anders. Die Medizin wird immer weiblicher, auch in den Kliniken. Wir Frauen müssen uns nicht mehr so sehr durchkämpfen. Wobei es sicherlich immer noch Situationen gibt, in denen wir als Frauen ein Stück weit benachteiligt sind. Gerade dann, wenn die Familienplanung ins Spiel kommt.
„Ab unter die Gürtellinie“
Mit ihren Bestsellern „Eine für Alle“ und „Keine halben Sachen“ machte Doc Caro, was sich viele Mediziner:innen vornehmen: Endlich einmal ein Buch über das schreiben, was sie als Ärztin im Alltag erlebt. Ihr aktuelles Buch widmet sich einem besonderen Bereich: allem, was „untenrum passiert“. Doc Caro hat gemerkt, dass viele Menschen aus Scham nicht ihren Arzt fragen, sondern Hilfe im Internet suchen. Am Ende stehen Halbwissen und falsche Aufklärung. Ohne Hemmungen, Scham und Scheuklappen schreibt Doc Caro über vermeintliche Tabuzonen – und bringt mit ihrer nahbaren und direkten Art Licht ins Dunkel.
Wie sollte man als junge Ärztin darauf reagieren?
Mit Leistung überzeugen. Und in den Momenten, wenn man Ungleichheit erfährt, nicht überm..ig trotzig reagieren. Sondern einfach weiter die Leistung zeigen.
Was, wenn ich als Nachwuchs merke: Da, wo ich gerade lernen soll, treffe ich auf wenig Empathie, fehlen mir Vorbilder?
Da heißt es für eine gewisse Zeit: durchhalten. Man durchläuft ja unterschiedliche Abteilungen, trifft verschiedene Oberärzte, mit denen man dann zu tun hat. Erkennt man, dass da gerade niemand ist, mit dem man die Wellenlänge teilt, kann ich nur raten: weitermachen. Denn der nächste kommt bestimmt, und jeder wird irgendwann das Glück haben, jemanden zu treffen, der einen abholt und motiviert. Dass das auch mal dauern kann, liegt in der Natur der Sache. Wie sagt man so schön: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Das gilt auch für die Zeit in der Assistenz: Man darf nicht davon ausgehen, dass man die ganze Zeit den Kaffee auf dem Silbertablett serviert bekommt. Es kommt auch darauf an, zu lernen, sich durchzubeißen.
Erkennen Sie, dass die jüngeren Generationen beim Durchhalten weniger Geduld mitbringen?
Ich komme noch aus der Generation, die sagt: „Okay, doof gerade, aber das wird schon besser werden.“ Nicht wenigen aus den jüngeren Generationen muss man unabhängig von Konzepten wie der Work-Life-Balance schon deutlich machen: „Wenn du in die Klinik gehst, dann musst du wissen, dass du dort erst einmal sehr viel Zeit verbringen wirst – und dass diese Zeit nicht immer angenehm, sondern auch sehr anstrengend sein wird.“ Das ist einfach so. Zu unserem Beruf gehört es nun mal, lange Dienste zu schieben, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, Sachen zu sehen, die nicht sehr schön sind, mit Härtefällen konfrontiert zu werden. Aber genau so lernt man und das gehört meiner Meinung nach zur Ausbildung dazu.
Wie gelingt es Ihnen, schwere Erlebnisse bei Ihrer Arbeit als Ärztin zu verarbeiten?
Erster Punkt, ganz wichtig: Wenn man wirklich schwere traumatische Bilder im Kopf hat, dann muss man darüber sprechen. Und dann sollte man auch nicht zögern, sich psychologische Hilfe zu suchen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, das ist mir auch schon passiert. Es ist wichtig, für sich selbst zu erkennen, dass man als Arzt nicht dem falschen Medienbild von Ärzten entsprechen muss, als Menschen in weißen Kitteln, die immer souverän und mit einem Lächeln den Klinikstress bewältigen. Man wird als Ärztin oder Arzt schlimme Schicksale sehen und erleben. Menschen werden sterben, erhalten die Diagnose einer unheilbaren Krankheit. Es gibt Notfallsituationen, in denen die Hilfe zu spät kommt, egal, wie sehr man gekämpft hat. Das sind emotional belastende Situationen, keine Frage. Was dann hilft, neben der eben erwähnten Betreuung: demütig zu sein. Zu erkennen: Trotz allen handwerklichen Könnens stoßen wir an Grenzen. Und zu wissen: Auch die schrecklichen Dinge, die ich gesehen und erlebt habe, haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.
„Diese Lektionen in Demut, die gibt’s bei unserem Beruf gratis dazu.“
Was heißt das konkret?
Ich weiß viele Dinge anders zu schätzen. Gesundheit zum Beispiel. Und vielleicht sage ich meinen Kindern und meinem Mann einmal mehr: Ich liebe euch. Das Schöne ist: Diese Lektionen in Demut, die gibt’s bei unserem Beruf gratis dazu.
Demut ist Teil des Lohns.
Genau, ja. Und diese Demut macht das Leben lebenswerter. (überlegt) Ich glaube, man muss in ein gewisses Alter kommen, um das wirklich zu wertschätzen. Ich habe vor zehn Jahren noch anders darüber gedacht, da hätte ich Ihrem Satz, dass die Demut ein Teil des Lohns ist, nicht zugstimmt. Jetzt finde ich, dass das eine sehr schöne Formulierung ist.
Sind Sie eigentlich selbst gut darin, sich ärztliche Hilfe zu suchen?
Boah, ne! (lacht) Wir Ärzte sind in dieser Hinsicht bestimmt die Allerschlimmsten. Ich habe schon mal eine Lungenentzündung verschleppt, bin viel zu spät ins Krankenhaus. Weil wir immer denken, wir könnten uns ja einfach selbst behandeln. In einem Bereich hat aber ein Umdenken eingesetzt, nämlich was psychologische Hilfe betrifft. Gott sei Dank. Das betrifft übrigens alle Bereiche, nicht nur die Ärzteschaft. Die jüngeren Generationen suchen sich bei mentalen Problemen ganz selbstverständlich und ohne Scheu Hilfe, und das ist eine sehr positive Entwicklung. Meiner Generation fehlte das stellenweise leider noch. Es war auch kein Thema in der ärztlichen Ausbildung, und auch das hat sich geändert.
Eine letzte Frage: Ein stressiger Arbeitstag ist rum. Wohin führt Sie Ihr Weg?
Nicht nach Haus, sondern zu meinen Pferden. Dort kann ich: einfach sein. Im doppelten Wortsinn. Wenn ich auf dem Pferd sitze, dann geht kein Telefon, es gibt keine familiären Probleme, keiner will was vor mir. Herrlich. Wenn die Zeit auf dem Pferd dann vorbei ist, dann habe ich genug aufgetankt, um mich wieder allen Fragen zu widmen.
Tourdaten
Doc Caro live – das ist Lachen auf Rezept unter dem Motto „Lebe jetzt!“, mit Erlebnissen aus ihrem Medizinerinnen-Alltag – von Storys aus der Notaufnahme bis zu Erkenntnissen von der Medizin „unten herum“. Termine unter: doccaro.de/doc-caro-auf-tour/



Mit ihren Bestsellern „Eine für Alle“ und „Keine halben Sachen“ machte Doc Caro, was sich viele Mediziner:innen vornehmen: Endlich einmal ein Buch über das schreiben, was sie als Ärztin im Alltag erlebt. Ihr aktuelles Buch widmet sich einem besonderen Bereich: allem, was „untenrum passiert“. Doc Caro hat gemerkt, dass viele Menschen aus Scham nicht ihren Arzt fragen, sondern Hilfe im Internet suchen. Am Ende stehen Halbwissen und falsche Aufklärung. Ohne Hemmungen, Scham und Scheuklappen schreibt Doc Caro über vermeintliche Tabuzonen – und bringt mit ihrer nahbaren und direkten Art Licht ins Dunkel.
Doc Caro live – das ist Lachen auf Rezept unter dem Motto „Lebe jetzt!“, mit Erlebnissen aus ihrem Medizinerinnen-Alltag – von Storys aus der Notaufnahme bis zu Erkenntnissen von der Medizin „unten herum“. Termine unter: 