Der Bau braucht neue Energie. Die deutsche Bauwirtschaft will produktiver werden. Wie das gelingen kann, zeigt ein Blick zu den europäischen Nachbarn. Digitaler arbeiten, in Inno- vationen investieren, Allianzen gründen, industrielle Prozesse nutzen – Impulse gibt es viele. Viele deutsche Bauunternehmen sind topmotiviert, sie umzusetzen. Im Zusammenspiel mit einer Verwaltung, die Prozesse vereinfacht. Und mit Hilfe junger Bauingenieur*innen, die neues Denken einbringen. Ein Essay von André Boße
In einem Interview für das Portal Deutsche Unternehmer Plattform (DUP) formulierte der Führungskräfte-Experte Christian Conrad einen Satz, der wie ein Rätsel klingt, in dem aber einiges an Wahrheit steckt. Auf die Frage, was er über die aktuelle Debatte über die Arbeitszeit halte, auch mit Blick auf die Viertagewoche, sagte er: „Wenn ich wenig Zeit, aber viel Energie habe, schaffe ich mehr, als wenn ich viel Zeit, aber keine Energie habe.“ Stimmt schon: Im Privaten erinnert man sich an freie Tage ohne Termine, bei denen man sich am Abend fragte, wo die Stunden geblieben sind – und was man eigentlich geschafft hat. Dann wiederum gibt es intensive Vormittage, an denen man diverse Punkte von der To-do-Liste abräumen konnte. Auf die Energie kommt es also an. Diese sei „der Schlüssel zu echter Produktivität“, wie Christian Conrad im DUP-Interview zitiert wird.
Bau-Turbo braucht Zündung
Zwei Jahre Rezession hat Deutschland hinter sich, „auch für das laufende Jahr sehen die Prognosen eher eine Stagnation als einen Aufschwung, teilweise sogar eine weiter andauernde Rezession“, heißt es in einer Meldung des Statistik-Portals Statista. Wer bei der Suche nach den Gründen vor allem auf die Aspekte blickt, die man selbst beeinflussen kann, landet bald bei der Produktivität. Die gesamte deutsche Wirtschaft hat ein Problem mit der Produktivität. Das gilt auch für die heimische Bauindustrie. Der Hauptverband der deutschen Bauindustrie veröffentlichte Ende 2024 Zahlen: Im Vergleich zum Jahr 2021 sei die Arbeitsproduktivität im Baugewerbe pro Stunde um 11,2 Prozent zurückgegangen. „Damit liegt die Produktivität um 23 Prozent unter dem Niveau von 1991“, vermeldete der Verband in dem Papier Brancheninfo Bau. Die selbstkritische Schlussfolgerung des Hauptverbands: „Die Mehrzahl der Bauunternehmen hat es in der gesamten Zeit versäumt, in produktivere Arbeitsabläufe zu investieren.“
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Drei Produktivitätshebel in der Bauindustrie
Dr. Björn Reineke und Volkmar Schott, Baubranchenexperten von der Unternehmensberatung Ernst & Young, finden in einem Meinungsbeitrag auf der Homepage drei Hebel, um die Produktivität im deutschen Bauwesen zu erhöhen:
Industrielle Vorfertigung einzelner Bauteile oder kompletter Raum-Module
Digital gestützte Prozessoptimierung mit Hilfe von BIM sowie anderen Systemen – verbunden mit einem positiven Denken über diese Plattformen.
Serielles Bauen – denn: „Was in Serie produziert werden kann, ist günstiger und schneller verfügbar“, so die Autoren.
Klar ist: Hier muss etwas passieren. Der Baubedarf in Deutschland ist hoch, im Hoch- und Tiefbau sowie bei der Instandhaltung. Die Bundesrepublik braucht zusätzlichen Wohnraum, die marode Infrastruktur muss erneuert werden, der Klimaschutz fordert Sanierungen. Geld dafür steht zur Verfügung: „500 Milliarden Euro neue Schulden nimmt der Bund auf, um die Infrastruktur voranzubringen“, meldete die Tagesschau Mitte September. Und was die Wohnungen betrifft, will die Regierung den „Bau-Turbo“ zünden: „Städte und Gemeinden können künftig schneller grünes Licht für den Wohnungsbau geben – auch ohne Bebauungsplan“, hieß es im Sommer in einer Pressemitteilung der Bundesregierung. Es soll und muss also losgehen. Daher ist es so wichtig, dass die Baubranche an Produktivität zulegt. Damit der Turbo nicht versandet.
Gefragt ist digitales Mindset
Was in solchen herausfordernden Situationen hilft, ist der Blick auf Best-Practice-Beispiele: Wie gelingt es anderen? Daher gab der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie dem Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) den Auftrag, für eine Untersuchung den Blick ins nahe Ausland zu richten. Die Forschungsfrage lautete: Was kann das deutsche Bauwesen beim Thema Produktivität von seinen Nachbarn lernen? Seit Mitte 2025 liegt das Gutachten vor, und nach der Lektüre lässt sich festhalten: Änderungen sind erreichbar, ohne dass man dafür das Rad neu erfinden muss.
Eine Erkenntnis der Untersuchung: Deutsche Bauunternehmen hinken in der Nutzung digitaler Lösungen im Vergleich zu anderen Ländern Europas noch hinterher. Das betreffe zum Beispiel den Einsatz von ERP-Software, also Lösungen, die alle zentralen Geschäftsprozesse eines Unternehmens vereint, um somit effizient Ressourcen zu planen und zu steuern. In der deutschen Bauindustrie nutzen laut Studie lediglich 24 Prozent der befragten Unternehmen eine solche Systemsoftware. Zum Vergleich: In den Niederlanden sind es 38 Prozent, in Belgien 45 Prozent. Auch beim Blick auf die digitale Auftragsvergabe wird die Bundesrepublik von anderen Ländern überholt: „In Deutschland erfolgte die Auftragsvergabe in 4,5 Prozent der Fälle digital, in Dänemark, Spanien, Schweden oder Irland teilweise in dreimal so vielen Fällen“, schreiben die Studienautor*innen vom IW.
In Deutschland noch Innovation, woanders längst Standard
Digitalisierung ist eine ‚Basistechnologie‘, die weitere Entwicklungen anregt.
Dass Deutschland aufholen muss, zeigt sich dabei nicht nur an Zahlen – sondern auch an persönlichen Eindrücken der für die Studie befragten Entscheider in Bauunternehmen. So habe sich laut Studie ein Befragter aus den Niederlanden darüber gewundert, dass das Thema Building Information Modeling (BIM) auf einer Bau-Messe in Deutschland weiterhin als „Innovation“ dargestellt worden sei: In den Niederlanden sei BIM nämlich „längst Standard“. Ein Standard, den der Nachwuchs mit seinem digitalen Mindset auch vom heimischen Bauwesen erwartet. Die Autor*innen des Gutachtens verlangen daher mit Blick auf ERP und BIM ein neues Denken: Die Digitalisierung ist nicht mehr eine Zukunfts-, sondern eine „Basistechnologie die weitere Entwicklungen anregt“. Hapert es an der Basis, werden Entwicklungen ausgebremst.
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Worst Case: USA
Die USA stehen, was den Produktivitätsverlust der Bauindustrie betrifft, noch schlechter da als Deutschland. Laut einer Studie der ING, zitiert im Nachrichtenportal The Pioneer, sank die Produktivität am Bau in den USA im Vergleich zum Jahr 2000 um satte 25 Prozent. Die Gründe: Das US-Bauwesen baut weniger, was laut dem Beitrag in The Pioneer die Innovationskraft bremst. Zudem sei die Bauindustrie in den USA noch weniger digital, kämen noch weniger Robotik-Systeme zum Einsatz. Hier habe Europa die Nase vorn: Auf 10.000 auf dem Bau tätigen Menschen kommen in Europa durchschnittlich 1,5 Roboter. In Japan liege laut The Pioneer die Quote bei 1,3, in China bei 0,7, in den USA bei 0,6 Robotern pro 10.000 Mitarbeitenden.
An dieser Stelle kommt ein weiterer Akteur ins Spiel, nämlich die Verwaltung. Sie sei der Startpunkt sehr vieler Bauvorhaben. „Umso wichtiger ist es“, heißt es in der Studie, „dass die Verwaltungen bei der Digitalisierung vorangehen.“ Dass die deutschen Behörden in Sachen Digitalisierung enormen Nachholbedarf haben, belegen Daten der EU-Kommission. Bei der Verbreitung digitaler Verwaltungslösungen für Unternehmen liegt die Bundesrepublik unter den 27 Ländern auf Rang 22. Hier ist die Verwaltung gefragt. Allianzen bilden, um innovativer zu sein
Ein weiteres Feld, in dem die deutsche Bauindustrie Boden gutmachen kann, ist die Innovationskraft. Forschung und Entwicklung sorgen für mehr Produktivität, denn wer neue Techniken oder Materialien nutzbar macht, kann effizienter, schneller und günstiger bauen. Ein zusätzlicher Effekt: Innovative Branchen sind attraktiv für den Nachwuchs. Die IW-Studie zeigt, dass die Unternehmen in der Bundesrepublik vergleichsweise wenig in die Innovation investieren. Laut Untersuchung fließen etwas mehr als 3 Prozent des Umsatzes in die Forschung und Entwicklung. In Großbritannien sind es 7,6 Prozent, in Belgien sogar rund 10 Prozent.
Das Beispiel Belgien zeigt, dass die Innovationskraft auch etwas mit staatlichen Interventionen zu tun hat. So seien in Belgien alle Unternehmen der Baubranche verpflichtet, sich anteilig zum Umsatz an der Finanzierung von Forschungseinrichtungen zu beteiligen. Hier entstehen Innovationen, die dann allen Unternehmen zur Verfügung stehen. Ein weiterer Pluspunkt: Die Einrichtungen stehen „den Unternehmen auch als Sachverständige bei spezifischen Fragen zur Verfügung und führen Schulungen und Weiterbildungen durch“, wie es im IW-Gutachten heißt. Diese Programme sind damit in der Lage, den Qualifizierungsgrad der Mitarbeiter in den Unternehmen zu erhöhen. Auch dies ist ein wichtiger Faktor für mehr Produktivität und für die Attraktivität einer Branche.
Im Verbund ist man produktiver als allein, und bei der Suche nach Partnerschaften ist Eigeninitiative gefragt.
Vorstellbar sind solche Initiativen übrigens auch ohne staatliche Beteiligung, als Allianzen aus der Unternehmerschaft heraus, wie es sie bei Themen wie der Industrie 4.0 oder der Künstlichen Intelligenz bereits gibt. Klar ist: Im Verbund ist man produktiver als allein, und bei der Suche nach Partnerschaften ist Eigeninitiative gefragt.
Von der Baustelle in die Baufabrik
Eine Sorge haben die Bauindustrien der verschiedenen europäischen Länder gemeinsam: Der Mangel an Arbeitskräften betrifft alle. Jedoch unterscheiden sich Maßnahmen dagegen. Laut IW-Untersuchung bemüht man sich zum Beispiel in Spanien mit Erfolg darum, die Branche für weibliche und junge Fachkräfte attraktiver zu machen. Spanien tut das indem man den Bau in die Industrie integriert. Das Land sehe eine große Chance in der industriellen Vorfertigung, „denn die Arbeit in Fabriken gilt als leichter, besser planbar und auch als angenehmer aufgrund fehlender Abhängigkeiten vom Wetter“, heißt es in der IW-Studie. Die Autor*innen raten daher auch dem deutschen Bauwesen, die industrielle Vorfertigung nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Prozessoptimierung zu betrachten, „sondern auch vor dem Hintergrund einer Attraktivierung der Beschäftigung“.
Sicher, der Bau bleibt im Vergleich zum Verarbeitenden Gewerbe keine Branche, die Massenproduktion durchführen kann oder in der sich ein Großteil der Arbeitsschritte automatisisieren lässt. Dennoch, um die Produktivität zu steigern, ist es sinnvoll, bestimmte industrielle Abläufe verstärkt mitzudenken: Welche Bauteile lassen sich replizieren? Welche Skalierungen lassen sich dabei nutzen?
Sinnvoll ist es auch, das Bauwesen aus der festen lokalen Verankerung zu lösen. Laut IW-Studie zeige sich, dass größere Unternehmen schneller Produktivitätsvorteile generieren können. „Denkt man weiter, so könnten einheitlichere Regelungen auf europäischer Ebene weitere Effizienzvorteile ermöglichen“, schreiben die Studienautor*innen. Ein großer, nicht mehr fragmentierter europäischer Markt für Bauleistungen und Bauinnovationen? Das würde Energie bringen – und wäre für den Nachwuchs attraktiv.
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Beton ohne CO2
Kaltplasma ist ein Beispiel für Zukunftstechniken, die in der Raumfahrt erforscht und entwickelt werden, um sie auf der Erde einzusetzen. Ein Beitrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) nennt weitere Anwendungen. So untersuchen DLR-Expert*innen etwa, wie sich Granulat wie Sand in der Schwerelosigkeit verhält. Diese Erkenntnisse könnten den Umgang mit solchen Stoffen erleichtern. Ein weiterer Fokus liegt auf Experimenten mit Beton: „Um diesen Baustoff künftig klimaneutraler herzustellen, müssen an vielen Stellen der Prozesskette CO2-Emissionen sinken“, heißt es im DLR-Beitrag. Dies gelinge, wenn man die komplexen Mechanismen der Aushärtung verschiedener Mischungen erforscht – „ohne störende Einflüsse der Schwerkraft“.