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„Zufriedenheit ist der neue Erfolg“

Anne von Fallois weiß, was es bedeutet, neue Karriereschritte zu planen und anschließend auch zu gehen. Denn ihr gelang der Wechsel von der Politik in die Wirtschaft. Sie war Beraterin mehrerer Bundespräsidenten, entwickelte ein Konzept für das „Haus der Zukunft“ in Berlin und arbeitet heute für Kienbaum Consultants. Dazu managt sie auch noch souverän ihre Familie. Weshalb das Bild von einem erfolgreichen Berufsweg ohne Umwege nichts mit dem Hier und Jetzt zu tun hat, verrät sie in ihrem Gastbeitrag.

Zur Person

Anne von Fallois arbeitete knapp 20 Jahre in der Politik, bevor sie in die Wirtschaft wechselte: In der Zeit von 1994 bis 2013 war ihr Arbeitsplatz das Bundespräsidialamt mit vielgestaltigen beruflichen Positionen wie zunächst Referentin, ab 2006 dann Leiterin des Referats „Bildung, Wissenschaft, Familie, Bürgergesellschaft“ und nach einer Beurlaubung war sie zuletzt Leiterin der Inlandsabteilung. Zu ihren Aufgaben gehörte es, mehrere Bundespräsidenten gesellschaftspolitisch zu beraten und enge Kontakte zu Stiftungen, Verbänden und Unternehmen zu pflegen. 2010/2011 entwickelte sie ein Konzept für das in Berlin als öffentlichprivate Partnerschaft entstehende „Haus der Zukunft“, das sogenannte Futurium. Der Wechsel zur Kienbaum-Gruppe erfolgte schließlich im Jahr 2014. Dort ist Anne von Fallois als Hauptstadtrepräsentantin zuständig für die Kontakte zu Politik, Verbänden, Wissenschafts- und Nichtregierungsorganisationen sowie Stiftungen.
www.kienbaum.de

Karriereleiter – bis heute prägt dieses Bild unsere Vorstellung von einer erfolgreichen Laufbahn: Geradlinig geht der Weg nach oben. Stetig mehr Verantwortung, mehr Mitarbeiter, mehr Macht, mehr Status, verbunden mit Verbesserungen beim Gehalt und anderen Vorteilen. Indes: Diesem Bild liegt eine Konstruktion von Arbeitsbiografien zugrunde, die es so schon lange nicht mehr gibt: Ungebrochen aufsteigend, auf wenige Arbeitgeber beschränkt, ohne Auszeiten, Rückschritte oder Seitenwechsel. In ihrem vieldiskutierten Buch „Lean in“ malt Sheryl Sandberg, COO von Facebook, ein anderes, zeitgemäßeres Bild: Karrieren sind Klettergerüste, keine Leitern. Wer Zeit auf Kinderspielplätzen verbringt, hat sofort vor Augen, was sie meint. Auf einem Klettergerüst kommt nach oben, wer auch einmal zur Seite ausweicht oder gar ein Stück abwärts geht, um Kraft zu sammeln und den nächsten Schritt umso größer anzulegen.

Die Volatilität von Karrieren ist kein ganz neues Phänomen – wie wir bei Kienbaum aus unserer Suche nach Führungskräften und unserer New Placement Beratung wissen. Hier sind es vor allem Menschen in der Mitte ihrer Laufbahn, die sich verändern wollen oder müssen und die wir bei der beruflichen Neuorientierung unterstützen. Aber die Dynamik der Veränderung hat zugenommen. Treiber dieser Entwicklung ist der rasante Wandel der Arbeitswelt. Ganze Jobprofile verschwinden vor allem in Folge von Digitalisierung, Globalisierung und der deutlich kürzeren Halbwertszeit von Geschäftsmodellen. Und das betrifft nicht allein Funktionen mit niedrigem Qualifikationsniveau. Der demografische Wandel tut ein Übriges: Wir werden älter und wir können, wollen und sollen länger tätig sein – auch über den Job hinaus. Hinzu kommt: Unsere Erwartungen an Arbeit haben sich gewandelt. Erfolg messen wir nicht mehr vor allem an objektiven Kriterien wie Geld und hierarchischer Position. Stattdessen werden diese Kategorien bedeutsamer: Soziale Stellung/Sichtbarkeit im Unternehmen, Zeit-Autonomie (worunter man auch Work-Life-Balance subsumieren kann), Herausforderung, Absicherung.

Und nicht nur für die sogenannte Generation Y wird immer wichtiger, ob das berufliche Tun Sinn hat, ob sich darin erfahren lässt, dass die Arbeit einer Sache dient und man selbst wirksam daran beteiligt ist. „Zufriedenheit ist der neue Erfolg“ – diese Formel bringt es auf den Punkt.

Unsere Bilder von guter Arbeit und Erfolg werden vielfältiger, und damit auch die Wege dorthin, die wir manchmal freiwillig, manchmal gezwungenermaßen einschlagen. Mir ist das auch so gegangen. Ich habe mich aus einer unbefristeten Stelle in einer Obersten Bundesbehörde zweimal beurlauben lassen: einmal vor allem um der Familie willen, das andere Mal, um „auszubrechen“ und etwas ganz Neues auszuprobieren.

Beim ersten Mal habe ich die Möglichkeiten des damaligen Erziehungsurlaubs (heute: Elternzeit) genutzt, um mit Einverständnis meiner Behörde bei einem anderen Arbeitgeber anzuheuern, der mir eine attraktive Position in Teilzeit ermöglichte. So hatte ich mehr Zeit für meine Familie und ich konnte zugleich neue Dinge tun. Wem sich als junge Mutter oder junger Vater die Möglichkeit bietet, in der Elternzeit Luft bei einem anderen Arbeitgeber – vielleicht sogar in einer anderen Branche – zu schnuppern, sollte die Chance nutzen.

Als ich nach Ablauf des Erziehungsurlaubs schließlich doch wieder zurückkehrte, waren diese neuen Erfahrungen, nun auch verbunden mit meinen Kompetenzen als „Familienmanagerin“, entscheidend dafür, dass ich in meiner Behörde schnell den nächsten Schritt machen konnte. Dazu gehörte allerdings auch ein Chef – in meinem Fall war es ein Bundespräsident –, der genau das erkannte. Dafür bin ich bis heute dankbar.

Meine zweite Auszeit nahm ich, als ich das spannende Angebot bekam, in Berlin das erste Konzept für ein „Haus der Zukunft“ zu entwerfen. An diesem Ort wird sich Deutschland als Wissenschafts- und Innovationsland präsentieren und mit der Öffentlichkeit in den Dialog treten. Eine mutige Idee! Die Möglichkeit, sie zu konkretisieren, habe ich ergriffen – wobei mich freilich eine Rückkehroption absicherte. Das war ein Privileg. Zurückgekehrt bin ich tatsächlich in eine sehr hohe Position – die man allerdings auch wieder verlieren kann. Das war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Zeit für einen Seitenwechsel!

Ich bin in die Wirtschaft gegangen und habe mich in einer Beratungsgesellschaft neu „erfunden“ – und konnte dabei doch meinen Interessen, Werten und Kontakten treu bleiben. Wechsel von der Politik oder der Verwaltung in die Wirtschaft und umgekehrt sind in Deutschland anders als zum Beispiel in Frankreich oder den USA keine Selbstverständlichkeit. Dennoch bin ich überzeugt: Gut vorbereitet und transparent kommuniziert sind solche Wechsel gut: für den öffentlichen Sektor und die Unternehmen ebenso wie für den einzelnen „Seitenwechsler“. Wir brauchen mehr Offenheit dafür.

Das Klettergerüst wird zunehmend breiter, und davon können gerade Frauen auf dem Weg nach oben besonders profitieren. Was man allerdings braucht auf dem Klettergerüst sind: eine gute Ausrüstung in Form von Wissen und Fähigkeiten, einen offenen Blick, Kraft und ein bisschen Mut.

Mit dem Telefon die Welt verbessern

Claudia Winkler hat umgesattelt – früher war sie im Vorstand eines international tätigen Mobilfunkunternehmens, jetzt baut sie ein Mobilfunk Start-up als Social Business auf: Seit Februar gibt es in Deutschland den sozialen Mobilfunkanbieter goood. Mit dem monatlichen Paketpreis unterstützen Kunden automatisch ein gemeinnütziges Projekt ihrer Wahl. In ihrem Gastartikel erklärt Claudia Winkler, warum der Sommer 2015 sie zum Umdenken gebracht hat und die Gesellschaft mehr Verantwortung übernehmen sollte.

Unsere Gesellschaft driftet zunehmend auseinander, die soziale Ungleichheit und die Polarisierung in der Gesellschaft wachsen. Das bringt höhere Verantwortung für jeden Einzelnen mit sich. Jeder von uns kann täglich selbst entscheiden, ob er die Gesellschaft mitgestalten möchte und welche Werte ihm persönlich wichtig sind. Mir wurde das im „Flüchtlingssommer“ 2015 bewusst, deshalb gründete ich damals gemeinsam mit anderen die Inklusionsinitiative „Fremde werden Freunde“, mit der wir aktiv bei der Integration von Geflüchteten helfen, und heute baue ich ein Mobilfunknetz als Social Business aus.

Aktiv mitgestalten

Insgesamt 17 Jahre lang war ich im klassischen Mobilfunk tätig, baute das Marketing der kroatischen Tochtermarke der mobilkom aus, war internationaler Marketingvorstand der Telekom Austria Group und Aufsichtsrat in acht Tochterunternehmen in Zentralund Osteuropa. Ich sage gerne: „Setz mich an einem Ort irgendwo auf der Welt aus, und ich baue dir die Vermarktung eines Mobilfunknetzes auf.“

Nach einigen Überlegungen im Sommer 2015 und der Ausbildung zu sozialer Innovation, wurde mir klar: Ich will helfen und meine Fähigkeiten sinnvoll einsetzen. Mit goood, Deutschlands erstem sozialen Mobilfunkanbieter, übernehme ich nun gemeinsam mit meinen Gründungskollegen gezielt gesellschaftliche Verantwortung.

Neue Perspektive:
Social Entrepreneurship Akademie

In München haben sich vier Hochschulen zusammengeschlossen, um die Social Entrepreneurship Akademie zu gründen – diese qualifiziert Jungunternehmer in Social Business und schafft Raum, um eigene soziale Projekte umzusetzen und die Gründung eines Unternehmens zu begleiten. Aktuell bietet die Akademie Studierenden und Young Professionals das Zertifikatsprogramm „Gesellschaftliche Innovationen“ an und fördert soziale Gründungsprojekte gezielt durch Coaching und Mentoring. Bereits 2012 wurde die Akademie im Rahmen der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ als „Ausgewählter Ort“ ausgezeichnet. www.seakademie.de

Die Idee dazu ist einfach: Wer sich für unseren Mobilfunktarif entscheidet, spendet zehn Prozent des Rechnungsbetrags an eine gemeinnützige Organisation seiner Wahl aus dem sozialen oder umweltbezogenen Bereich. Man kann also surfen, telefonieren und gleichzeitig spenden. Auch intern agieren wir nach sozialen Maßstäben: Wir rechnen damit, dass unser Geschäftsmodell in absehbarer Zeit profitabel wird, dann wollen wir 25 Prozent unseres Profits in andere Social Businesses investieren.

Außerdem setzen wir auf flache Hierarchien und haben uns holokratisch organisiert, das bedeutet: Jeder im Team entscheidet mit, und Prozesse laufen durch alle Ebenen transparent ab. Unsere Expertengruppen aus dem gewinnorientierten und nicht-gewinnorientierten Bereich sind vielfältig – unsere jüngsten Mitarbeiter sind unter 30, die ältesten über 60 Jahre alt. Jeder bringt seine Stärken ins Spiel, und so profitieren wir alle vom Wissensaustausch und erleben hautnah, dass alternative Wirtschaftsmodelle durchaus funktionieren. Täglich stellen wir uns im Team den Gegensätzen, die aus Gewinnorientierung und gleichzeitiger sozialer Verantwortung entstehen.

Wirtschaftlich denken, sozial handeln

Warum soll es ein Widerspruch sein, wirtschaftlich und sozial zu denken? Ich bin überzeugt davon, dass Unternehmen, die gesellschaftliche Wirkung in den Mittelpunkt stellen, automatisch wirtschaftlich erfolgreich sind, solange sie authentisch bleiben und mit der Motivation handeln, etwas Positives zu bewirken. Unser Rechenszenario besagt: Wenn nur ein Prozent der deutschen Mobilfunkkunden zu goood wechseln würde, könnten innerhalb der nächsten fünf Jahre 40 Millionen Euro für gemeinnützige Projekte generiert werden.

Social Businesses sind in Deutschland ein relativ junges Geschäftsfeld. Das hat Vor- und Nachteile:Wer ein Social Business gründet, betritt eher Neuland, als jemand der ein Tech-Start-up gründet – das beginnt schon bei der Definition. Was ist ein Social Business? Was ist die gesellschaftliche Wirkung, die erzielt werden kann? Innovation wird von Investoren oder Förderstellen oft als technische Innovation interpretiert, soziale Innovation kommt dabei häufig zu kurz. Aber dass es keine fixen Regeln und festgefahrenen Strukturen gibt, hat auch Vorteile: Jeder kann einsteigen und die Zukunft mitgestalten. Jeder wird gehört.

Werde ich gefragt, ob es eine gute Idee ist, in ein Social Business einzusteigen, bejahe ich das immer. Nicht nur, weil eine sinnstiftende Arbeit ganz anders motiviert als konventionell profitorientierte. Ich tue das vor allem, weil ich für Absolventen eine Chance sehe, die sich auch mir am Anfang meiner Karriere in der Mobilfunkbranche – damals auch eine sehr junge Branche – aufgetan hat: Es herrschte massiver Mangel an Leuten mit Know-how, da es ein neues Geschäftsfeld war und jeder, der mitdachte, war willkommen und konnte gestalten. Es war egal, ob Mann oder Frau, alt oder jung. Netzwerke wurden von Null aufgebaut, und man hatte unendlich erscheinende Möglichkeiten. Geht man hingegen heute in einen Telekommunikations-Konzern oder auch in eine etablierte Non-Profit-Organisation, gibt es klare Regeln: Alles ist etabliert, mitgestalten kann man da nur mehr beschränkt.

Ich empfehle allen, die gerne gestalten, Social Business. Auch nicht ganz uneigennützig: Je mehr Leute diesen Weg gehen, umso mehr können wir gemeinsam bewegen. Mein persönliches Plädoyer an die junge Generation ist daher ein Zitat:„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.” Dieser Satz von Erich Kästner ist die ultimative Aufforderung, aktiv zu werden. Wir sind die Schmiede unseres eigenen Glücks. Je mehr Menschen sich aufmachen, aktiv für unsere Gesellschaft zu arbeiten, umso mehr können wir bewegen.

Mehr Informationen unter: www.goood.de

Die Hälfte des Himmels ist weiblich

Dr. Martina Violetta Jung lebt eine vielfältige Karriere als Juristin, Business-Poetin, Storyteller und Coach. Zunächst absolvierte sie eine internationale Ausbildung zur Volljuristin und lebte dafür in Deutschland, China, Hong Kong und Großbritannien. Ihre Tätigkeit als Wirtschaftsanwältin beendete sie nach einem Burn-out und wechselte in die Wirtschaft. Sie sammelte Managementerfahrung in Führungspositionen bei der Hapag-Lloyd Container Linie, als CEO von Ahlers, als Leadership- und Integrationscoach sowie als Aufsichtsrätin in internationalen Unternehmen. Heute veröffentlicht sie auf www.heilendegeschichten.de Gedichte und Geschichten undschreibt inspirierende Bücher. Gerade ist ihr neues Werk „Die Hälfte des Himmels ist weiblich“ erschienen. – In ihrem Gastartikel erklärt sie, worum es darin geht.

Die Hälfte des Himmels ist weiblich, oder die Hälfte des Himmels tragen die Frauen, wie ein chinesisches Sprichwort sagt. Doch tatsächlich ist dem bisher nicht so! Nach dem Global Gender Gap Index 2016 dauert es noch 170 Jahre, bis Frauen weltweit gleichgestellt sind, in Wirtschaft und Politik das gleiche Mitspracherecht haben, gleiche Bildungschancen und gesundheitlich gleichgestellt sind. In Westeuropa sind es noch 61 Jahre. Für mich undenkbar, so lange zu warten, bis Frauen mit ihren Fähigkeiten und Qualitäten gleichwertig in allen Führungspositionen vertreten sind. Ich wäre dann 114 beziehungsweise 223 Jahre alt. Und Sie?

Fiktion und Taten

Ich möchte mit sieben fiktiven Geschichten aufzeigen, was weibliche Energie, von Frauen in die Tat umgesetzt, schon heute zu ändern vermag. Ich bin guter Hoffnung, dass meine Geschichten nicht lange fiktiv bleiben und dass Ihre hinzukommen, weil das Leben sie von ganz alleine schreiben wird. – Da ist zum Beispiel Katharina, eine hochbegabte Chemikerin, die ein Produktionsverfahren entwickelt hat, das Kosten sparen und Ressourcen schonen würde. Aber weder Chemiekonzerne noch Finanzinvestoren interessiert das. Ihrem Start-up geht gerade das Geld aus, als ihr jemand die Augen für den Weg öffnet, den Traum doch noch in die Realität umzusetzen.

Bücher von Martina Violetta Jung:
Die Hälfte des Himmels ist weiblich.
Sieben Geschichten von Frauen, die
handeln. Taschenbuch und E-Book.
Amazon 2017. 9,90 Euro.
Ich kann so nicht mehr arbeiten.
Freude und Sinn statt Seeleninfarkt.
Scorpio 2011. 19,95 Euro.

Christiane und Kerstin wiederum sind die einzigen Partnerinnen einer angesehenen Anwaltskanzlei. Beide zerbrechen innerlich fast unter der Last all dessen, was sich nicht richtig anfühlt, bevor sie das Unerhörte wagen und die Arbeit nach ihren eigenen Regeln und Vorstellungen gestalten. Und Ida schließlich, eine achtzigjährige verzweifelte Frau, setzt alles auf eine weibliche Trumpf-karte, um ein Unternehmen vor dem Ende zu bewahren.

Weibliche Energie ist nicht nur intuitiv, nährend, fürsorglich, verbindend, friedlich, poetisch und phantasievoll, sie ist vor allem auch mutig. Als Kind haben wir alles zum ersten Mal gewagt. Es besteht also kein Grund, damit aufzuhören. Unsere mutige Herzensenergie ist die Voraussetzung dafür, dass unsere Unternehmen wieder Menschen und Natur dienen, statt sich bei ihnen zu bedienen. Es ist an uns Frauen, deutlich beherzter zu handeln – am besten ab heute!

Pionierinnen

Sie kämpften in einer männlich dominierten Gesellschaft für ihre Überzeugungen, setzten sich an die Spitze der technischen und künstlerischen Innovation und prägten den Verlauf der Geschichte mit ihren Ideen. Im fünften Teil unserer Pionierinnen-Reihe stellen wir Frauen vor, die mit ihrem Mut und ihrem Durchsetzungsvermögen den Weg zur Gleichberechtigung geebnet haben.

Barbara Jatta (*1962) ist seit Anfang 2017 Direktorin aller Museen im Vatikan. Das ist der höchste Posten, den ein Nichtkleriker einnehmen kann. Die Verantwortung über die Sixtinische Kapelle, Michelangelos Deckenfresken sowie die Schatzkammer mit 70.000 Objekten liegt damit zum ersten Mal in der Geschichte des Vatikans in den Händen einer Frau. Seit der Gründung der Sammlungen 1506 waren nur Männer in dieser Position. Durch ihr vielfältiges Studium hat sie sich perfekt für diesen Posten qualifiziert: Sie studierte zunächst
Literatur, promovierte später in Kunstwissenschaft und spezialisierte sich dabei auf Grafiken. Außerdem hat sie auch ein Diplom für Paläographie, Diplomatik und Archivwissenschaften.

Bereits seit über 20 Jahren ist sie im Vatikan tätig: 1996 hat sie angefangen in der apostolischen Bibliothek des Vatikans zu arbeiten und war für das Kabinett der Drucke zuständig. 2010 wurde sie von Papst Benedikt XVI zur Kuratorin in der Abteilung der Drucke ernannt. Papst Franziskus traf dann die Entscheidung, sie zur Direktorin zu machen.

Paula Modersohn-Becker (1876 – 1907) hat in ihren 31 Lebensjahren etwa 750 Gemälde und über 1.000 Zeichnungen erschaffen, besonders bekannt sind ihre Selbstportraits. Heute gilt sie als Wegbegleiterin des Deutschen Expressionismus. Zu ihren Lebzeiten wurde sie kaum als Künstlerin anerkannt. Ihr Vater war gegen eine Laufbahn als Künstlerin, und da sie eine Frau war, durfte sie nicht Kunst studieren. Dennoch bildete sie sich in zahlreichen Mal- und Zeichenkursen weiter. Ihre erste Ausstellung 1899 in der Bremer Kunsthalle wurde von den Kritikern zerrissen. Dennoch malte sie unbeirrt weiter. Sie zog nach Worpswede, ein Dorf in der Nähe von Bremen, schloss sich der dortigen Künstlerkolonie an. Dort lernte sie unter anderen ihren späteren Ehemann Otto Modersohn kennen. Zwischen 1901 und 1906 reiste sie mehrmals nach Paris. 1907 starb sie nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde.

Verena Bentele (*1982) ist von Geburt an blind, war lange Jahre der Superstar des Behindertensports und hat mittlerweile den Sprung in politische Top-Positionen geschafft: Als Biathletin und Skilangläuferin wurde sie viermal Weltmeisterin und zwölfmal Paralympics-Siegerin. Ihre erste Goldmedaille gewann sie mit nur 16 Jahren, und bei den 10. Paralympischen Winterspielen in Vancouver errang sie fünf der zwölf Goldmedaillen. Ihre Sportkarriere beendete sie 2011 – zu der Zeit schloss sie nebenbei noch ihr Studium der Neueren Deutsche Literatur ab, und zwar mit einer Eins. Danach machte sie eine Ausbildung zum Systemischen Coach, arbeitete als Expertin für Personalentwicklung und Coach und hielt zahlreiche Vorträge über Motivation, Vertrauen, Kommunikation und Leistungsdruck. Inzwischen ist Bentele vor allem in der Politik aktiv: 2014 wurde sie für die SPD in den Münchner Stadtrat gewählt. Im gleichen Jahr wurde sie zur Behindertenbeauftragten der Bundesregierung ernannt. Um sich ganz auf diese Aufgabe konzentrieren zu können, gab sie 2015 ihr Stadtratsmandat auf. Und dem Sport hat sie auch nicht ganz abgeschworen. 2013 bestieg sie den Kilimandscharo, den höchsten Berg Afrikas, sowie den Mont Meru. Der Aufstieg auf den Vulkan in Tansania gelang ihr als erstem blinden Menschen überhaupt!

Michelle Obama (*1964) ist gelernte Juristin und sah sich als First Lady selbst als „Mom in Chief“ – genau das strahlte sie auch aus. Mit ihrem Humor und ihrer ehrlichen und offenen Art hat sie die Herzen der Amerikaner erobert. Sie trat in Fernsehserien wie iCarly oder Navy CIS oder bei Carpool-Karaoke der Late Late Show mit James Corden auf, wo sie sang, rappte und locker über ihr Leben im Weißen Haus plauderte. Nebenbei setzte sie sich stark für gesunde Ernährung und mehr Bewegung für Kinder und Jugendliche ein und kümmerte sich liebevoll um ihren Gemüsegarten im Weißen Haus. Michelle Obama ist hochgebildet, sie studierte an den Eliteuniversitäten Princeton und Harvard und ist eine anerkannte Top-Juristin. Während des Wahlkampfs ihres Mannes unterstützte sie ihn und redigierte sogar seine Reden. Schon vor dem Sieg von Barack Obama war sie auf Rang 9 der einflussreichsten Absolventen der Harvard Law School. Aktuell können sich Fans erstmal auf ein Buch der First Lady freuen – die Buchrechte für die beiden Bücher von Michelle und Barack gingen kürzlich für mehr als 65 Millionen Dollar an den Verlag Penguin Random House.

Kathleen Kennedy (*1953) war achtmal für den Oscar nominiert. Ihre mehr als 60 Filme bekamen über 120 Nominierungen, gewannen 25 Oscars und spielten über 15 Milliarden Dollar ein. Kathleen Kennedy ist eine der erfolgreichsten Hollywood-Produzentinnen. E.T. – der Außerirdische war ihr erster Film, danach folgten viele weitere Blockbuster wie die Indiana-Jones- Filme, Zurück in die Zukunft, Schindlers Liste und Gremlin. Zu den Regisseuren, mit denen sie gearbeitet hat, zählen unter anderem Steven Spielberg, Martin Scorsese, Clint Eastwood und Peter Bogdanovich. Für Jurassic Park lehrte sie die Dinosaurier das Laufen – mit der neuen CGI-Technologie setzte sie neue Maßstäbe in Hollywood. Damit inspirierte sie auch George Lucas, Schöpfer des Star Wars-Epos, der mit seiner Arbeit an einem Star Wars-Prequel begann. Überzeugt von ihrem Können und ihren gelassenen Führungsqualitäten ernannte George Lucas sie zur Präsidentin von Lucasfilm, als er das Unternehmen 2012 an Disney verkaufte, und gab ihr die Verantwortung für alle Projekte.

Chapeau! Kultur-, Buch- und Linktipps

SCHEITERN UND WEITER

Cover Kluge Frauen scheitern andersAnfang 30 und insolvent. Nach dem Aus ihrer PR-Agentur rappelt sich Nadine Nentwig wieder auf. Geld hat sie zwar verloren, doch neue Erkenntnisse gewonnen: Nach einer ordentlichen Bruchlandung macht das Aufstehen wieder richtig Spaß! Dieser persönliche Ratgeber macht Mut und verrät viele Tipps rund um Selbstständigkeit, Scheitern und wieder Aufstehen. Nadine Nentwig: Kluge Frauen scheitern anders. Eden 2017. 14,95 Euro.

WENIGER STRESSEN, BESSER LEBEN!

Cover Angelika Guhler, Seelen-NavigatorJob, Leben, Persönlichkeit: In drei Kapiteln fordert Angelika Gulder in ihrem Selbstcoaching-Buch dazu auf, mehr Selbstverantwortung zu übernehmen. Trotz vieler Fehl- und Rückschläge hat sie selbst nie das Vertrauen ins Leben verloren. Als Autorin und ganzheitlicher Coach teilt sie ihr Wissen und liefert konkrete Anleitungen für ein entspanntes und glückliches Leben voller innerer Gelassenheit und Resilienz (Überlebenskraft). Ob es funktioniert? Das kann mit dem Test im Buch nachgeprüft werden! Angelika Gulder: Seelenruhig. 21 Inspirationen für mehr Lebensfreude. Campus 2017. 17,95 Euro.

KÄTHE KOLLWITZ: 150. GEBURTSTAG

Cover AufstandMit dem graphischen Zyklus „Bauernkrieg“ (1902/03–1908) sprengte Käthe Kollwitz die Grenzen ihrer Zeit: Künstlerisch fand sie ihren Weg hin zur zeitgenössischen Moderne, gesellschaftlich erhob sie ihre Stimme für Themen der sozialen Gerechtigkeit. Der Katalog dokumentiert, welche Künstler der Renaissance und Moderne Kollwitz zu ihrem Meisterwerk inspirierten. Aufstand! Renaissance, Reformation und Revolte im Werk von Käthe Kollwitz. Wienand 2017. 29,80 Euro.

Redaktionstipp: Vom 10. März bis 5. Juni 2017 gibt es in der gleichnamigen Ausstellung im Käthe Kollwitz Museum, Köln bedeutende Leihgaben zu sehen. Im Fokus stehen die sieben grafischen Blätter des Zyklus „Bauernkrieg“, der den Aufstand erniedrigter Bauern aus dem Jahr 1524/25 zeigt und für den Kollwitz im Jahr 1907 den Villa-Romana-Preis erhielt.

RECRUITING TO GO!

Cover Recruiting to go
Cover Recruiting to go

Das Thema Recruiting spitzt sich zu – am dringlichsten drückt der Fachkräftenotstand im Pflegebereich. Doch der Kampf um die Besten ist bereits flächendeckend im Gange. Maja Roedenbeck Schäfer leitet für die Diakonie die erfolgreiche Recruiting-Kampagne „SOZIALE BERUFE kann nicht jeder“. Die meinungsstarke Bloggerin hat soeben das Handbuch „Recruiting to go“ herausgebracht. Hier beschreibt sie innovatives Personalmarketing auf allen Kanälen für die Sozialbranche. Doch das Handbuch weist in seinen Ansätzen und seiner Methode weit über die Branche hinaus. Walhalla 2017. 19,95 Euro.

Erhältlich über: https://www.walhalla.de/soziales-&-gesundheit/recruiting-to-go-f%c3%bcr-sozial-und-pflegeeinrichtungen.produkt.html
Link zum Blog zum Thema Arbeitgeberattraktivität „Salon der Guten“:
http://salonderguten.de/2017/03/ideen-zum-mitnehmen-bitte-ein-interview-mit-buchverlosung-zu-recruiting-to-go
Maja Roedenbeck Schäfer auf YouTube: www.youtube.com/watch?v=s4G08JWijgU

LEIHEN STATT KAUFEN: IMMER NEUE OUTFITS IM SCHRANK

Foto: Fotolia/erstudiostok
Foto: Fotolia/erstudiostok

Alle, die Mode lieben, aber etwas gegen den Wegwerf-Konsum haben, können trotzdem einen vollen Kleiderschrank haben. Zu jeder Zeit und ohne schlechtes Gewissen! Besonders einfach geht das über Online-Portale zum Kleiderverleih wie www.kleiderrebell.de oder www.kleiderei.com, um exemplarisch zwei lokale Anbieter zu nennen. Wer lieber privat seine Kleider bei einer Kleidertauschbörse anbieten möchte, der ist bei www.kleiderkreisel.com richtig. Egal wo, das Prinzip ist immer gleich: Sharing is caring!

FRAUEN IN DER GESCHICHTE

Cover Das Problem mit den FrauenFrauen sind in der Geschichtsschreibung selten zu finden. Zu selten, findet Cartoonistin Jacky Fleming und stellt deshalb – durchaus mal mit typisch britischem Humor, mal mit sarkastischem Ton – eine Reihe an Fragen: Können Frauen Genies sein? Oder sind ihre Arme zu kurz und ihre Köpfe zu klein? Warum haben wir im Geschichtsunterricht nur über so wenige Frauen etwas gelernt? Was haben eigentlich all die anderen früher gemacht? Jacky Fleming: Das Problem mit den Frauen. Aus dem Englischen von Silke Pfeiffer. KiWi 2017. 12,00 Euro.Auch als E-Book erhältlich!

DIE FRAU, DIE SICH TRAUT UND BRAUT

Foto: Brauerei Heller GmbH
Foto: Brauerei Heller GmbH

Tradition und Vielfalt müssen kein Gegensatz sein, weiß Deutschlands jüngste Bierbrauerin Anna Heller. Sie übernahm im Alter von 25 Jahren die familieneigene Brauerei in Köln und steht seit ihrer Ausbildung zur Brauerin und Mälzerin täglich ihren Mann. Heutzutage wird nicht nur das Reinheitsgebot von 1516 eingehalten, sondern alle Biere gibt es in Bio-Qualität und vielen Varianten: Kölsch, Wiess, Weizen, Pils und Alt und pro Jahr zwei saisonale Biere gehen hier gleichermaßen über die Theke. Der Erfolg gibt ihr Recht – Mut und Innovationen schmecken!
www.hellers.koeln

Das letzte Wort hat: Nina Binné, Schuhdesign

Nina Binné setzt mit ihrem Schuhdesign ein Statement. Ihr Herz schlägt seit ihrer Jugend leidenschaftlich für Brogues – einen klassischen Herrenschuh, flach und mit charakteristischen Lochmustern versehen. Mit der Marke binné – Designed in Hamburg hat sie ihre eigene Kollektion, nur für Frauen, auf den Markt gebracht – unverwechselbar durch ihr Design, die Brogueings, in Form von Herzen, Sternen, Ankern & Co. Außerdem betreibt sie mit einer befreundeten Unternehmerin den Concept Store by Binné & Mann, der von der Zeitschrift ELLE zum coolsten Shop Hamburgs und sogar unter die „Best of Germany“ gewählt wurde. Im Interview verrät sie, wie man auf violetten Sohlen die Welt erobert. Das Gespräch führte Elisa Maifeld

Gerade Berufseinsteigerinnen müssen an allen Fronten punkten. Können Schuhe dabei helfen?
Wie jedes andere Kleidungsstück oder Accessoire kann die richtige Wahl dafür sorgen, dass ich mich besonders wohl fühle – und das wirkt sich auf die Ausstrahlung aus. Wer sich gut fühlt, strahlt positive Energie aus, ebenfalls Persönlichkeit und Stärke. Das kann durchaus im Berufsleben hilfreich sein. Frauen die tagein tagaus ihren „Mann“ stehen müssen, brauchen bei ihrer Garderobe verlässliche Begleiter.

Wie hat sich Ihr Leben seit der Gründung der Marke verändert?
Abgesehen davon, dass es mein Leben auf verschiedene Weise bereichert, bedeutet es vor allem sehr viel Arbeit, und ich muss häufig mit Rückschlägen klarkommen. Es kostet Nerven, Zeit und Kraft selbstständig zu sein. Aber dieser Stolz, wenn ich mein eigenes Produkt in den Händen halten kann, ist mit kaum etwas anderem vergleichbar. Ich bin jedes Mal aufs Neue schockverliebt!

Weitere Informationen unter:
www.binne-hamburg.de

Die ersten Schritte als Jungunternehmerin fordern sehr. Was hat Sie überrascht, was ging besonders leicht, was besonders schwer?
Dadurch dass ich vor der Gründung meiner Marke und bis heute im Marketing tätig bin, hatte ich von Anfang an wertvolle Kontakte und entsprechendes Wissen. Mir war klar, zu Beginn steht die professionelle Aufstellung der Corporate Identity und des Corporate Designs an. Also engagierte ich eine Agentur meines Vertrauens sowie Profis für die PR. Mit dem entsprechenden Startkapital ausgestattet war dies möglich, ebenso wie die Bestellung der ersten 250 Paar Schuhe. Ich erstellte einen Business-Plan, kümmerte mich mit Hilfe meiner PR Agentur um die erste B2B-Messe und vieles mehr, und bis dahin war auch alles recht easy. Nicht so leicht ist es dagegen, dass ich damals und auch noch heute gefühlt rund um die Uhr arbeite.

Sie setzen sich einer Dreifachbelastung aus: Eigene Schuh-Marke, eigene Boutique und Marketingleiterin bei einem Immobilienentwickler. Warum?
Vier Tage die Woche arbeite ich als Head of Marketing. Das sichert mir ein verlässliches Einkommen, und es ist ein großartiger Job, bei dem ich tolle Produkte mitentwickeln darf. Somit bin ich nicht darauf angewiesen, von binné leben zu müssen, denn das ist zumindest im Augenblick noch nicht möglich – dafür braucht es noch Zeit und einen guten Vertrieb. Vielmehr noch kann ich das, was binné erwirtschaftet, wieder in mein Unternehmen investieren. Mit dem Concept Store habe ich zusätzlich eine gute strategische Entscheidung
getroffen, die zum Wachstum meiner Marke beitragen kann. Darum Dreifachbelastung!

Seit 2014 betreiben Sie den High Fashion Concept Store zusammen mit einer Partnerin.
Wir suchten zeitgleich neue Geschäftsflächen. Schon vorher stellte sich mir die Frage, warum ich meine Kollektion in einem Lager verstecken sollte und mich in einem Büro? Viel besser erschien mir die Idee, meine Brogues auf einer Shopfläche zu präsentieren und mein Büro gleich mit. Die 130 Quadratmeter in der Hamburger Innenstadt dienen uns als Büro, Showroom und Boutique. Der direkte Kontakt, den ich mit meinen Kundinnen habe, ist zudem sehr hilfreich, und in einem Team zu arbeiten, bringt viel mehr Freude.

Sie sagen, Ihre Schuhe machen „eine Welteroberung zu Fuß möglich“. Außer guten Schuhen – was brauchen junge Frauen noch, um die Welt zu erobern?
Oh, eine ganze Menge. Aber vor allem Selbstvertrauen und Mut. Dann können sie auch die Welt erobern.

E-Paper karriereführer frauen in führungspositionen 2017.2018

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E-Paper karriereführer ingenieure 1.2017

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karriereführer ingenieure 1.2017 – Pioniergeist

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Cover karriereführer ingenieure 1.2017

Pioniergeist: Das Erfolgsprinzip der Zukunft

Grundlage für die großen Pioniertaten sind in der Regel echte Probleme, für die es Ideen braucht. Bekommen Querdenker genug Zeit und Freiraum, entstehen Lösungen mit enormem Innovationspotenzial. Unsere Beispiele zeigen: Es muss keine Millionen kosten, den Pioniergeist zu wecken. Häufig reichen kluge Konzepte, Neugier und Abenteuersinn – und mutige Ingenieure.

Pioniergeist: Das Erfolgsprinzip der Zukunft

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Grundlage für die großen Pioniertaten sind in der Regel echte Probleme, für die es Ideen braucht. Bekommen Querdenker genug Zeit und Freiraum, entstehen Lösungen mit enormem Innovationspotenzial. Unsere Beispiele zeigen: Es muss keine Millionen kosten, den Pioniergeist zu wecken. Häufig reichen kluge Konzepte, Neugier und Abenteuersinn – und mutige Ingenieure. Von André Boße

Zusammen mit drei Kollegen war Manfred Przybilla einige Jahre lang für einen großen deutschen Projektentwickler für Wind- und Solarparks tätig. 2011 erhielt das kleine Team einen Auftrag vom Arbeitgeber: Gesucht wurden neue Batteriespeicher für erneuerbare Energiesysteme. Gut zwei Jahre lang untersuchte Przybilla den Markt. Er sprach mit Chefs, Managern und Entwicklern der Top-Unternehmen aus der Batterie-Industrie. Eine Lösung fand er nicht: „Wir haben nichts Passendes gefunden, sind komplett am Markt verzweifelt“, erzählt der Ingenieur. Aus Verzweiflung kann sich lähmende Niedergeschlagenheit ergeben. Aber eben auch Pioniergeist.

„Wir saßen zu dritt zusammen und fingen zunächst einmal bei ganz banalen und grundlegenden Aspekten an“, erinnert sich Przybilla. Frage eins: Gehört den erneuerbaren Energien überhaupt die Zukunft, oder werden in ein paar Jahren doch wieder Kernkraftwerke gebaut? Das Team war sich sicher, dass den Erneuerbaren die Zukunft gehört. Auch auf die zweite Frage „Werden dafür neue Batteriesysteme gebraucht?“ fiel die Antwort leicht: „Ja, denn nur dann können sie überhaupt sinnvoll genutzt werden.“ Nach der Klärung der Grundfragen entstand der Pioniergeist: „Was müssten Batterien für erneuerbare Energiesysteme leisten, um nicht wie ein Formel-Eins-Auto aus den 90er-Jahren dahinzuruckeln, sondern den Anforderungen des Marktes und der Technik zu entsprechen?“

Pioniergeist kritisch hinterfragen

Die Idee der „AmbiBox“ war geboren. Przybillas Unternehmen entwickelte ein Gerät, das es ermöglicht, diverse Gleichstromgeräte miteinander zu verbinden – ohne Umweg über das Wechselstromnetz. „Als wir diesen technischen Geistesblitz hatten, waren wir selbst erstaunt, wie groß die Idee ist. Danach begann die Phase, in der wir versucht haben, die Sache kleinzureden“, sagt er. Dieses Vorgehen sei typisch für deutsche Ingenieure: „Man möchte halt auf gar keinen Fall auf die Nase fallen, daher sucht man intensiv nach etwas, das der Idee auf dem Weg zur Innovation im Weg stehen könnte.“ Nach intensivem Nachrechnen, Gesprächen mit Lieferanten und einer Patentrecherche war klar, dass diese Pionierleistung funktionieren kann.

Der Neugier-Index

Was kann Neugier bewirken? Wie wird aus Neugier Innovation? Wie trägt Neugier zur Lösung von Zukunftsfragen bei? Diesen Fragen will das Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck auf die Spur gehen. Der Konzern hat dazu einen Kreis aus Experten zusammengestellt, die sich eingehend mit dem Thema beschäftigen. Herausgekommen ist unter anderem eine Neugier-Studie, die zeigt, wie neugierig die Mitarbeiter von Merck auf der ganzen Welt sind und in welchem Maße Neugier von ihrem Arbeitgeber unterstützt wird. Vier Dimensionen wurden dabei gemessen: Wissbegierde, Kreativität, Offenheit und Stresstoleranz. Wer ebenfalls herausfinden will, wie neugierig er ist, kann einen Online-Test dazu machen:
https://curiosity.merck.de/interactive

Ende 2016 gewann das Unternehmen den Gründerpreis „Pioniergeist 2016“, jetzt steigt es in die Produktion ein. Neben der Idee ist das Erfolgsrezept aus Przybillas Sicht, dass das Dreierteam ideal aufgestellt ist: „Wir ergänzen uns perfekt, weil wir für alle nötigen Bereiche eines Unternehmens die richtigen Leute haben: einen Elektronikentwickler, jeweils jemanden für die Software, für das Patentwesen und für die kaufmännische Firmenführung.“

Diese Geschichte zeigt: Der Pioniergeist ist keine mysteriöse Erscheinung, kein Geist aus der Flasche. Man kann ihn fördern, indem ein Unternehmen bestimmte Faktoren gewährleistet. Allen voran ein echtes Problem, für das der Markt noch keine Lösung kennt. Auch wichtig ist ein unter den Gesichtspunkten der Diversity zusammengesetztes Team sowie genügend Zeit und Raum, damit diese Menschen mit ihrer Expertise und mit Blick auf das Problem die richtigen Fragen stellen können. „Auf diese Art wird der Pioniergeist zum Erfolgsrezept der Zukunft“ , sagt Franz Kühmayer, Trendforscher beim Zukunftsinstitut und Experte für die Zukunft der Arbeit.

Was beim AmbiBox-Team funktionierte, ist jedoch nicht die Regel. Pioniergeist ist wichtiger denn je, doch der Praxis-Check zeige, dass er es in vielen technischen Unternehmen weiterhin schwer hat. Kühmayer: „Führungskräfte sind in den vergangenen Jahren ständig mit Hiobsbotschaften konfrontiert: Euro-Krise, politische Unsicherheiten, digitale Disruption – irgendwo lauert immer das Unheil.“ Und in solchen unsicheren Zeiten schlage dann eher die Stunde der Bremser und Reformverweigerer. „Man geht lieber auf Nummer Sicher. Dabei scheitern viele Unternehmen gerade deswegen, weil sie nicht den Mut haben, etwas zu riskieren.“ Bequeme Stabilität könne jedoch zu einer fatalen Starre führen. Kühmayer: „Ich bin daher davon überzeugt: Wir leben in einer geradezu prototypischen Aufbruchzeit, die einen fruchtbaren Boden für frische Ideen liefert. Auch wenn es paradox klingt: Es ist grundvernünftig, gerade jetzt mutig zu denken und zu handeln.“

In der Krise wohlfühlen

Woher den Mut nehmen, wenn die Stimmung in den Unternehmen eher ängstlich ist? Kühmayer rät jungen Ingenieuren, sich nicht von der negativen Stimmung anstecken zu lassen. „Wir sind gut beraten, dem Wort Krise seinen Schrecken zu nehmen“, sagt der Trendforscher. „Krisen sind reinigende Katalysatoren für künftige Entwicklungen – und daher also produktive Zustände. Allerdings nur dann, wenn man bereit ist, seine Komfortzone zu verlassen und sich der Unbequemlichkeit des Neuen, Unbekannten und Irritierenden zu stellen.“ Das funktioniere nicht nur in jungen Unternehmen der Start-up-Szene. „Auch in den meisten Dinosaurier-Unternehmen gibt es sehr bewegliche, leichtfüßige Einheiten.“

Generation Global

Nach der Generation Y und der Generation Z haben Trendforscher des Zukunftsinstituts die nächste Gruppe junger Menschen ausgemacht: die Generation Global. Ihr sind Statussymbole wie teure Autos nicht mehr wichtig – viele von ihnen machen nicht mal mehr ihren Führerschein. Reisen, Umweltbewusstsein und Fair Trade sind die Themen, mit denen sich die Generation Globalbeschäftigt. Globale Probleme beschäftigen die jungen Leute heute mehr als persönliche Sorgen. Sie teilen, statt neu zu kaufen, und suchen sich Gruppen, denen sie sich zugehörig fühlen: Menschen, die die gleichen Werte und Interessen haben wie sie – auch über Landesgrenzen hinweg. Mehr über die Generation Global im Zukunftsreport 2017 des Zukunftsinstituts: www.zukunftsinstitut.de/artikel/zukunftsreport/die-generation-global
https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/lebensstile/generation-global-die-neuen-kosmopoliten/

Der Schlüssel dafür, deren Potenzial freizusetzen, sei mehr Mut zur Partizipation: Gerade innovationsbereite Ingenieure müssten einen Drang entwickeln, sich an der Lösung von Problemen zu beteiligen. „Ob das klappt, ist nicht nur eine Frage der Strukturen, sondern auch der Unternehmenskultur. Es ist eine Frage des Menschenbildes, das sich Führungskräfte zurechtgelegt haben: nämlich ob man daran glaubt, dass die Menschen in der Organisation bereit und willens sind, sich einzubringen.“ Interessant ist, dass Kühmayer den Begriff Führung anders definiert: Führung sei heute nicht mehr eine „richtungsweisende Aufgabe“, sondern eine „dienende“. „Leadership wird zum Dienst am Mitarbeiter, um ihn in die Lage zu versetzen, nicht nur Klarheit zu seiner eigentlichen Aufgabe und persönlichen Entwicklung zu haben, sondern um ihn darüber hinaus in die Lage zu versetzen, Einfluss zu nehmen.“

Eine Währung, die dabei besonders wichtig ist, ist das Vertrauen. Gerade junge Ingenieure, die sich an der Uni im Idealfall mit Pioniergeist ausgerüstet haben, profitieren in den ersten Jahren enorm vom Geschenk des Vertrauens, wenn es ihnen von Führungskräften entgegengebracht wird. „Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich der überwiegende Teil der Führungskräfte nach wie vor auf Führungsprinzipien verlässt, die auf Verhaltenskontrolle beruhen“, sagt der Arbeitsexperte vom Zukunftsinstitut. Das heißt, es wird vor allem beobachtet, wie sich Mitarbeiter am Arbeitsplatz verhalten, welche Arbeitsweisen sie an den Tag legen oder wann sie wie viel arbeiten. „Die auf Pioniergeist ausgerichtete Führungskraft wird sich stattdessen an den Ergebnissen des Ingenieurs orientieren und ihm dabei weitreichende Freiheiten einräumen.“ Dazu gehörten wertschätzendes und offenes Feedback sowie gemeinsames Lernen aus Fehlern. „Gerade hochqualifizierte Wissensarbeit lebt von intensiven Rückkopplungen und braucht den Austausch.“

Neue Räume für neue Ideen

Besonders die großen Konzerne entdecken daher aktuell, dass sie für diesen Austausch den organisatorischen Rahmen schaffen müssen. Will heißen: Wer Pioniergeist entwickeln möchte, benötigt Zeit und Raum. Im Hauptsitz des Bayer-Konzerns in Leverkusen gibt es seit einiger Zeit das Kreativraumkonzept „icorner“. Ideengeber ist Dr. Ouelid Ouyeder, der als Operational Excellence Consultant im Konzern die Aufgabe hat, Arbeitsprozesse zu optimieren. Dabei erinnerte er sich an einen Ansatz, der ihm im Rahmen eines „Design Thinking Workshops“ gefallen hatte – ein Raum, der Freiräume bietet, weil er sich von der Innengestaltung bis zur Ausstattung von den anderen unterscheidet. Der „icorner“-Raum mit seinen zwei Fensterfronten und dem flexiblen Mobiliar unterscheidet sich fundamental von üblichen Konferenzräumen. „Alles ist darauf angelegt, dass man hier kreativ und innovativ arbeiten kann“, sagt Ouyeder. Es gibt ein White Board, die Sitzmöbel haben keine Rückenlehne und zeigen damit sinnbildlich, dass die Mitarbeiter hier „gedanklich immer dynamisch sind“, wie Ouyeder sagt. Zudem verfügt der Raum über einen gut ausgestatteten Materialkasten, sodass gerade die Ingenieure, die sich im Raum treffen, an Ort und Stelle einen Prototyp ihrer Idee konstruieren können.

Gekostet habe dieses Raumkonzept nicht viel, sagt Ouyeder. „Und das muss auch gar nicht sein, denn eine zu perfekte Ausstattung kann wiederum blockieren.“ Es dauerte nur ein paar Monate, dann hatte sich „icorner“ als neue Heimat der Bayer-Pioniere im Konzern herumgesprochen. „Heute ist der Raum nahezu ausgebucht“, sagt Ouelid Ouyeder. Er biete damit ein Beispiel, dass Innovationen und Pioniertaten längst nicht nur in top-ausgestatteten Laboren der Forschungs- und Entwicklungsabteilung stattfinden. Ouyeder: „Pioniergeist entsteht dort, wo Experten verschiedener Gebiete frei miteinander ins Gespräch kommen, um ein Problem zu lösen.“ Das Bayer-Beispiel zeigt: Der Aufwand, Räume dieser Art zu schaffen, ist überschaubar.

Fluggeräte, die die Luftfahrt revolutionieren werden

– Roboterflugzeug Zip: ein Transportflieger, der Kliniken in Ruanda mit Blutkonserven versorgen soll
– Amazon-Lieferdrohne: online bestellen, 30 Minuten später wird das Paket geliefert
– Volocopter: eine Personendrohne, die Menschen in und aus der Stadt hinaus befördern soll
– Carplane: ein fliegendes Auto
– Bloostar: ein Ballon, der ein Raketensystem in die Stratosphäre ziehen soll
– SpaceShipTwo: ein Raumschiff, das Weltraumtouristen ins All fliegen soll

Wie weit ist sie Entwicklung dieser und weiterer Fluggeräte fortgeschritten? Das lesen Sie hier: www.wired.de/collection/tech/diese-10-fluggeraete-werden-die-luftfahrt-revolutionieren

Interview mit Prof. Dr. Lars Vollmer

Schon als Student der Ingenieurwissenschaften hat sich Lars Vollmer eher für Themen wie Planung und Logistik interessiert als für den Maschinenbau. Seine Expertise nutzt der Universitätsprofessor, um technische Unternehmen zu beraten, wie sie Pioniergeist fördern statt verhindern. Kritisch im Blick hat der 45-Jährige dabei alle Managementpraktiken, die Ingenieure von der Arbeit abhalten, wie er auch in seinem Buch „Zurück zur Arbeit“ schreibt. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Lars Vollmer, geboren 1971 in Lüdenscheid, reagierte auf die Karrierewege seines Vaters und seiner älteren Brüder als Kaufmänner mit der Entscheidung:
„Genau das mache ich nicht!“ Er studierte Ingenieurwissenschaften mit den Schwerpunkten Logistik sowie Produktionsmanagement und -steuerung. Er promovierte im Jahr 2000 über eine sich selbst organisierendeProduktion. Nach dem Studium machte er sich zusammen mit einem Freund mit einer Beratungsfirma selbstständig und plante Fabriken. Seit 2006 hat er einen Lehrauftrag an der Universität Hannover, 2011 gründete er zudem den ThinkTank intrinsify.me sowie 2015 die Future Leadership eAcademy.

Herr Prof. Vollmer, ein junger Ingenieur in einem technischen Unternehmen möchte einen neuen Prozess in Gang setzen – scheitert aber an den Strukturen. Was muss sich bei seinem Arbeitgeber ändern?
Das Unternehmen muss die organisatorischen Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, damit neue Ideen und Maßnahmen nicht nur umgesetzt werden können, sondern sogar gefördert werden. Es reicht nicht, als Arbeitgeber nur darauf zu hoffen, dass es unter den Mitarbeitern genug rebellische Pioniergeister gibt, die allen organisatorischen Widrigkeiten zum Trotz als Einzelkämpfer eine Veränderung in Gang setzen.

Warum reichen die etablierten Organisationsformen der Unternehmen vielfach nicht aus?
Weil Innovation laut Organisation nicht vorgesehen ist. Schauen Sie sich die Stellenbeschreibungen im Personalmarketing an. Da werden Dinge aufgelistet, die ein neuer Mitarbeiter tun soll. Hält er sich daran, wird sich in dem Unternehmen ganz sicher überhaupt nichts ändern. Denn ich wüsste nicht eine Stellenbeschreibung, in der ich gelesen hätte, der neue Mitarbeiter habe auch die Aufgabe, Dinge grundlegend zu ändern oder neu zu denken.

Sprich: Eigentlich suchen Unternehmen keine querdenkenden Ingenieure, sondern Leute, die streng nach Vorgabe arbeiten.
Na ja, sie suchen schon nach Innovatoren. Die meisten Unternehmen erkennen, dass es ohne gar nicht geht. Also hoffen sie im Stillen, dass die Mitarbeiter sich freischaufeln werden von den Vorschriften, die das Unternehmen selbst aufgestellt hat. Das funktioniert aber natürlich nicht, denn nicht in jedem steckt ein Held. Deutlich sinnvoller wäre es, wenn die Arbeitgeber organisatorisch dafür sorgten, dass das Querdenken und Umsetzen von Änderungen möglich ist.

Gibt es dafür einen organisatorischen Masterplan?
Tja, das hätten wir Deutschen immer gern, aber das Patentrezept gibt es nicht. Natürlich ist es ein guter Ansatz, Räume zu schaffen, in denen Ideen entstehen und umgesetzt werden können. Hilfreich ist zudem das Geschenk eines Problems. Klingt vielleicht komisch, ist aber für ein Team eine gute Sache: Wenn Sie einer gut zusammengestellten Gruppe ein Problem zur Verfügung stellen, arbeitet sie häufig sehr fokussiert an einer Lösung. Wichtig ist nur, dass es sich um ein echtes Problem handelt, also nicht um ein ernebeltes Problem nach dem Motto „Man müsste mal …“.

Unternehmen hoffen im Stillen, dass die Mitarbeiter sich freischaufeln werden von den Vorschriften, die das Unternehmen selbst aufgestellt hat.

Viel besser funktioniert ein Problem wie: „Schaut mal, unser Kunde hat vom Angebot unseres Mitbewerbers erzählt. Wir können hier gar kein Gegenangebot machen, weil uns das Produkt fehlt. Das sollten wir ändern. Und zwar bis übernächsten Mittwoch. Los geht’s.“ Sprechen Sie Ihr Team so an, werden Sie kein Problem haben, Leute dafür zu gewinnen. Und Sie werden auch nicht beobachten, dass es nur schwer in die Gänge kommt, denn das Problem ist offensichtlich dringlich. Das Team wird dann mit hoher Wahrscheinlichkeit dieses Tempo aufnehmen.

Worauf kommt es an, wenn Unternehmen und Führungskraft organisatorisch den Innovations- und Pioniergeist der Ingenieure fördern möchten?
Wenn wir einsehen, dass Kontrolle eh nicht möglich ist, können wir dazu übergehen, viele Sachen wegzulassen. Der Ökonom Peter Drucker hat einmal gesagt, 90 Prozent aller Praktiken eines Managers dienten nur dazu, den Mitarbeiter von der Arbeit abzuhalten. Und es stimmt: Wir haben uns mit den Jahren eine Summe von Mangementtätigkeiten eingehandelt, die vielleicht einmal einen guten Zweck erfüllt haben, uns jetzt aber mehr schaden als nutzen. Es ist eine Aufgabe von Führungs-, aber auch von Nachwuchskräften, diese Praktiken auf ihre Wirksamkeit zu hinterfragen. Wobei man unterscheiden muss: Ich frage nicht, ob sie mir gefällt. Sondern ob sie wirksam ist. Erkenne ich, dass das kaum noch der Fall ist, sollte ich mich fragen: Was kann ich daran ändern? Kann ich sie vielleicht einfach streichen? Und brauche ich dann tatsächlich eine neue?

Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie die Mitarbeitergespräche zu Beginn eines Jahres. Eine schöne Tradition, die Führungskraft und Mitarbeiter einmal im Jahr näherbringt. Aber was bringt das? Kann man das streichen? Im Grunde schon. Erstens, weil dieses Gespräch eher dem Dialog zweier Androiden gleicht, begleitet von einer Checkliste aus der Personalabteilung. Und zweitens, weil es diese Gespräche eigentlich über das ganze Jahr geben sollte, nämlich immer dann, wenn es ein echtes Problem gibt, für das eine Lösung gesucht wird.

Von den Regularien befreite Ingenieure haben die Gelegenheit, ihren Pioniergeist zu wecken.

Würden Sie jungen Ingenieuren im Unternehmen raten, schon früh gegen unsinnige Rituale anzugehen? Oder ist das Risiko zu hoch?
Berufsgruppen wie junge Ingenieure oder ITler haben ja kaum etwas zu verlieren, sie werden gesucht – zudem stehen Einsteiger häufig unter Welpenschutz. Warum also nicht den Mut haben, das eine oder andere scheinbare Tabu anzusprechen? Zum Beispiel die Unsinnigkeit der Meetingkultur in einem Unternehmen. Was Mut verlangt, aber Erfolg verspricht, ist, die Rituale zu karikieren. Das bringt Humor in die Sache – und Humor ist ein wirkungsvolles Ventil.

Buchtipp

Der Untertitel von Lars Volllmers neuem Buch gibt die Richtung seiner Argumentation vor: „Wie aus Business-Theater wieder echte Unternehmen werden“. Vollmer legt dar, wie viele Rituale und Praktiken selbst in modernen technischen Unternehmen reine Inszenierungen sind, die Zeit kosten, das Unternehmen jedoch kein Stück nach vorne bringen. Dazu zählt die Meeting-Kultur, aber auch gut gemeinte Kommunikationsformen wie ritualisierte
Mitarbeitergespräche zu Beginn eines neuen Jahres. Vollmer schlägt auch vor, was sich in den Unternehmentun muss: weg mit Routinen, die Mitarbeiter nur ermüden – hin zu einer ehrlichen und modernen Arbeitskultur. Lars Vollmer: Zurück an die Arbeit! Wie aus Business-Theatern wieder echte
Unternehmen werden. Linde Verlag 2016. 24,90 Euro

Wie kann das aussehen?
Gehen Sie zu Ihrer Führungskraft und fragen Sie ihn: „Der Tacker ist leer, darf ich Nadeln nachfüllen?“ Der wird sie angucken und sagen: „Na klar dürfen Sie das!“ Worauf Sie sagen können: „Ich dachte, ich frage lieber, weil es hier ja für alles andere auch Vorschriften gibt.“

Ist das nicht gefährlich?
Na ja, wenn Sie es charmant rüberbringen nicht unbedingt. Aber es kann Wirkung erzielen, vor allem, wenn sie neu im Unternehmen sind und noch nicht die formale Macht besitzen, Veränderungen anzustoßen. Klar, es gibt immer auch die Option, nichts gegen die Rituale und die lähmenden Strukturen zu unternehmen. Ob Sie damit auf Dauer glücklich werden, ist eine andere Frage.

Wohin führt eine Arbeitswelt, in der sinnlose Rituale verschwinden?
Es entstehen Zeit und Räume für Innovationen. Von den Regularien befreite Ingenieure haben dann endlich die Gelegenheit, ihren Pioniergeist zu wecken. Denn dieser schläft ein, wenn er nur in einem engen Zeitraum zwischen zwei Meetings gefragt ist.

Autonomes Fahren – die Revolution des Automobils

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Fahren Autos demnächst ohne Fahrer? Ingenieurin Carola Halder arbeitet bei BMW am Zukunftsthema Autonomes Fahren und berichtet von ihren Aufgaben im Projektmanagement und in der Softwareentwicklung.

„In der Automobilbranche arbeiten? – Nein, das ist nicht das Richtige für mich“, dachte ich vor einigen Jahren. Ich hatte gerade mein Studium der Elektround Informationstechnik in Karlsruhe abgeschlossen und suchte eine Herausforderung. Die Automobilbranche schien mir wenig innovativ und dynamisch. Gerade in der Softwareentwicklung, die mich interessierte, gab es nur sehr begrenzt spannende Stellen. Jetzt, zwei Jahre später, arbeite ich doch in dieser Branche, genauer gesagt im Bereich Autonomes Fahren bei BMW. Die Folge? Ich nehme die Automobilbranche nun komplett anders wahr.

Bund fördert Entwicklungfahrerloser Fahrzeuge

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) will Forschungsinitiativen auf dem Gebiet der autonomen elektrischen Mobilität fördern. „Autonome elektrische Fahrzeuge zum Transport von Personen oder Gütern stellen weit mehr als eine lineare Weiterentwicklung des Automobils dar. Vielmehr handelt es sich hierbei um ,disruptive‘ Fahrzeugkonzepte, die die Grundlage für neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen schaffen können“, ist in einer Bekanntmachung des BMBF zu lesen. Die deutsche Automobilindustrie befinde sich hier mit innovativen internationalen Unternehmen in einem Wettlauf um die Systemführerschaft, so das BMBF weiter. Die Förderung beantragen können Hochschulen oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen, die ihre Forschung und Entwicklung in Deutschland betreiben. Die Beteiligung von kleinen und mittelständischen Unternehmen an dieser Fördermaßnahme ist ausdrücklich erwünscht.
Weitere Infos:
www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1311.html

Für mich gibt es aktuell kaum einen spannenderen Geschäftszweig. Viele neue Technologien nehmen Einzug und sind dabei, das Automobil, wie wir es jahrzehntelang kannten, grundlegend zu revolutionieren. Das Auto wird immer mehr zu einem intelligenten System, das Daten aufnimmt, verarbeitet und in entsprechende Aktionen umsetzt. Dadurch ergeben sich viele interessante Tätigkeiten für softwareaffine Ingenieure und Informatiker. Eins dieser spannenden Aufgabenfelder ist die Automatisierung der Fahraufgabe.

In der Abteilung für Autonomes Fahren arbeiten wir an allen Aspekten rund um dieses innovative Thema. Noch sind nicht alle Konzepte dieses Bereichs definiert, demnach gibt es noch viele offene Forschungsthemen. Gleichzeitig sind durch den Projektkontext die Anforderungen, Deadlines und ein reger Austausch mit dem Management gegeben. Dadurch kann ich viel selbst mitgestalten, es gibt Raum für wissenschaftliche Arbeit, aber wir haben trotzdem stets ein klares Ziel vor Augen. Technisches Projektmanagement – also die Definition der Anforderungen und Meilensteine, die Planung der Architektur sowie die Abstimmung mit industriellen Projektpartnern wie Intel und Mobileye – und Softwareentwicklung, wie der Entwurf von Konzepten, die Implementierung sowie der Test von Software, sind die Hauptaufgaben. Ich habe bereits in beiden Bereichen gearbeitet.

Anfangs war ich im Lieferantenmanagement tätig. Die Zusammenarbeit mit Dienstleistern und Lieferanten spielt in unserem Unternehmen eine zentrale Rolle. Die Lieferanten entwickeln Komponenten oder Teilumfänge und leisten damit einen großen Beitrag zur Wertschöpfung. Als Ingenieurin muss ich die zu leistende Entwicklungsarbeit definieren, steuern und überprüfen. Das Ausloten unterschiedlicher Interessen ist hierbei eine enorme Herausforderung. Durch das Zusammenspiel von technischen, koordinierenden und kaufmännischen Aspekten ist die Tätigkeit sehr vielseitig und verlangt sowohl fundiertes Fachwissen als auch ein breites System- und Prozessverständnis.

Entwicklungszentrum für autonomes Fahren

Rund 600 Mitarbeiter der BMW Group beschäftigen sich derzeit mit der Entwick lung des hochautomatisierten Fahrens. 2021 soll der BMW iNEXT auf die Straßen kommen, ein autonom fahrendes, elektrisches und voll vernetztes Fahrzeug; wei tere Modelle sollen folgen. Um dieses Ziel zu erreichen, will die Unternehmens gruppe ab Mitte 2017 ihre Entwicklungskompetenzen für Fahrzeugvernetzung und automatisiertes Fahren in einem neuen Campus in Unterschleißheim bündeln. Über 2000 Mitarbeiter sollen am neuen Standort von der Softwareentwick lung bis hin zur Straßenerprobung die nächsten Schritte zum vollautomatisierten Fahren entwickeln. Schon ab 2017 soll hochautomatisiertes Fahren auch im städti schen Umfeld in München erprobt werden.

Seit Kurzem arbeite ich als Softwareentwicklerin in dem Team, das sich mit dem sogenannten „Umfeldmodell“ beschäftigt. Dabei geht es darum, die Sensordaten so zu verarbeiten, dass alle relevanten Objekte und Infrastrukturelemente im Fahrzeugumfeld erkannt werden. Um flexibel und schnell zu sein, arbeiten wir gemäß der agilen Software-Entwicklungsmethodik Scrum. Jeder Entwickler ist an der gesamten Entwicklungskette beteiligt: vom Entwurf und der Umsetzung von Algorithmen zur Erkennung, Fusion und Verfolgung von Objekten über die Optimierung des Codes für die Zielplattform bis zur Erprobung der Funktionalität im Gesamtfahrzeug. Genau das macht die Arbeit sehr abwechslungsreich und spannend. Wir erleben die erstellte Software nicht nur als abstrakte Anwendung auf dem eigenen Rechner, sondern auch integriert in das Endsystem.

Wir sind ein sehr junges Team, da an den Forschungsthemen viele Doktoranden und Studenten mitarbeiten. Außerdem reizt gerade viele junge Ingenieure dieses Thema. Wir arbeiten interdisziplinär in den Fachrichtungen Informatik, Elektrotechnik und Maschinenbau. Allen gemeinsam ist die Erfahrung in Softwareentwicklung, Robotik, Machine Learning oder in einer anderen für das autonome Fahren wichtigen Schlüsselkompetenz. Was mich am meisten motiviert:Wir können die Zukunft mitgestalten und machen Mobilität sicherer und komfortabler.

Plattform Urbane Mobilität

Die Digitalisierung, alternative Antriebe und automatisierte Fahrzeugsysteme sowie neue Angebote wie Sharing-Modelle eröffnen große Chancen für eine stadtverträgliche Ausgestaltung der Mobilität. Aus diesem Grund haben sich sieben deutsche Städte und acht Unternehmen der deutschen Automobilindustrie auf der „Plattform Urbane Mobilität“ zusammengeschlossen. Gemeinsam arbeiten sie an Lösungen, um urbane Mobilität effizient, umweltschonend und sicher zu gestalten. Weitere Infos unter:
www.plattform-urbane-mobilitaet.de