karriereführer informationstechnologie 2022.2023 – Mit IT zu grenzenloser Digitalisierung

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Cover karriereführer informationstechnologie 2022-2023

Mit IT zu grenzenloser Digitalisierung: IT wird zum Business Enabler

Ohne die Digitalisierung geht in Gesellschaft und Wirtschaft nichts mehr. Und ohne ITler funktioniert keine Digitalisierung. Die Informatiker*innen sind es, die viele der zukunftsgerichteten Projekte auf- und umzusetzen haben. Allerdings herrscht an ihnen in vielen Bereichen ein massiver Fachkräftemangel. Beispielsweise im Bereich der Quantentechnologien. Oder bei Data Scientists. Die Situation ist so gravierend, dass es im Kurzbericht „Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken“ des Instituts der Deutschen Wirtschaft heißt, der Fachkräftemangel bei Informatikexpertinnen und -experten habe ein Rekordniveau erreicht. Dabei, so die Autor*innen des Berichts, werde „IT-Expertise zur Gestaltung des digitalen Wandels in fast allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung dringend benötigt“. Also: Beste Aussichten für IT-Absolvent*innen!

Mit IT zu grenzenloser Digitalisierung

Wer davon ausgeht, die Digitalisierung sei irgendwann abgeschlossen, begeht einen großen Denkfehler. Das Gegenteil ist der Fall: Je weiter der Prozess fortschreitet, desto stärker verästelt er sich. Für die deutsche Vorgehensweise, die Sachen gerne abhakt, ist das ein Problem. Umso mehr ist ein Mindset gefragt, dass die transformative Dynamik immer weiter antreibt. Ebenso IT-Expertise, die für die Gestaltung des digitalen Wandels dringend benötigt wird. Wohlwissend, dass dadurch die Lösungen entstehen, die Wirtschaft und Gesellschaft dringend benötigen. Ein Essay von André Boße und Christoph Berger

Was als „digitalisiert“ gilt und was nicht, darüber gibt es verschiedene Auffassungen. In manch einer Schule oder Hochschule gelten Unterrichtsstunden oder Seminare schon dann als „hybrid“, wenn Lehrkraft oder Dozent*in mit ihrem Smartphone die Tafel abfilmen und anschließend Arbeitsblätter mailen, die man sich zu Hause ausdrucken soll. Und nicht wenige Verwaltungen verkaufen digitale Offensiven mit der neuen Möglichkeit, Vor-Ort-Termine nun auch online organisieren zu können – häufig mit Hilfe von Tools, die Erinnerungen an das Zeitalter des Uralt-Betriebssystems MS-DOS von Microsoft wecken.

Digitalisierung: Daten und Gesellschaft

Um auf einen Nenner zu kommen: Was also bedeutet Digitalisierung überhaupt? Bettina Distel ist Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Informationsmanagement an der Universität Münster, in einem Aufsatz für die Schriftenreihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung hat sie Digitalisierung wie folgt definiert: „Der Begriff der Digitalisierung bezieht sich einerseits auf die Umsetzung analoger Daten und Informationen in digitale Formate und andererseits auf die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die durch den Einsatz digitaler Informationsund Kommunikationstechnik entstehen.“ Ihr Text, erschienen im März 2022, trägt den Titel „Digitalwüste Deutschland? – Digitalisierung im internationalen Vergleich“. Mit Blick auf die Wirtschaft stellt sie fest: „Trotz des voranschreitenden Ausbaus digitaler Infrastruktur in Deutschland liegt ihre Nutzung in deutschen Unternehmen häufig unter  dem EU-weiten Durchschnitt.“ Zwar liege die Nutzung von Künstlicher Intelligenz und Big Data leicht über dem Durchschnitt, doch sei der Grad der Robotisierung und Automatisierung gegenüber anderen EU-Staaten geringer. „Berücksichtigt wurden in der Auswertung nicht nur die Nutzung relevanter digitaler Technologien (3D-Druck, Robotics, Cloud Computing) durch Unternehmen, sondern auch die Anwendung von Big- Data-Analysen, die Unterstützung betrieblicher Prozesse durch Software, die Bereitstellung elektronischer Rechnungen sowie Aspekte der digitalen Infrastruktur“, schreibt Bettina Distel über die Kategorien.

IT als Business Enabler

Laut der Lünendonk-Studie 2022: Future of IT – Die Rolle der IT bei der Digital Business Transformation“ hat laut 83 Prozent der Studienteilnehmenden dazu geführt, dass Fachbereiche die digitale Transformation stärker forcieren. Gleichzeitig sagen 72 Prozent der IT-Verantwortlichen, dass sich die Wahrnehmung der IT geändert hat und Fachbereiche das Potenzial der IT als Business Enabler für die Entwicklung differenzierender und innovativer Produkte und Services sehen. Dem Bedeutungszuwachs geschuldet, erhalten 62 Prozent der befragten CIOs auch mehr Budget für Innovationen sowie Modernisierungs- und Transformationsprogramme der IT.
Durchschnitt wird allerdings nicht ausreichen, um nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dringend sind Investitionen sowohl in IT-Budgets als auch den Aufbau des dazugehörigen Know-hows notwendig. Denn klar ist, dass sich die Rolle der IT in den letzten Jahren verändert hat. Dies haben die Analysten des auf Branchen- und Unternehmensanalysen spezialisierten Beratungsunternehmen Lünendonk & Hossenfelder in ihrer Studie „Future of IT – die Rolle der IT bei der Digital Business Transformation“ offengelegt. Demnach wird die IT immer mehr zu einem Enabler für Innovationen und die digitale Transformation. Was bedeutet, dass CIOs sich in den kommenden Jahren auf Transformationsprogramme in Feldern wie IT-Modernisierung, Cloud-Transformation, Datenmanagement und Prozessautomatisierung fokussieren werden. Gleichzeitig nehme die IT eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien (ESG) ein. Zu denken gibt vor diesem Hintergrund Bettina Distels Fazit. Laut dem dürfe die digitale Transformation nicht zu mehr Ungleichheit führen, zum anderen nicht „als ein geschlossener Prozess“ verstanden werden, der mit einigen Strategien und Digitalpaketen zu bewältigen sei. „Sie ist vielmehr ein andauernder Prozess ohne klar definierte Start- oder Endpunkte.“

Haken dran und fertig? Klappt bei der Digitalisierung nicht

Gut möglich, dass genau hier ein sehr für Deutschland typisches Problem liegt: Staat, Wirtschaft und Gesellschaft haben es in der Moderne so gelernt, dass Prozesse durch bestimmte Maßnahmen abzuarbeiten sind. Das gilt für Reformen in der Politik, Neuorganisationen in Unternehmen, Wandlungen in der Gesellschaft: Die Deutschen, so scheint es, haben es gerne, wenn etwas ein festes Ende hat. Haken dran – fertig, weiter zur nächsten Aufgabe. Jedoch haben wir es seit einigen Jahren auf vielen Ebenen mit Herausforderungen anderer Art zu tun.

Cyber Security ist aktuelle Kernherausforderung

Wie die Studie „CxO Priorities 2022“ der Managementberatung Horváth unter 280 Topmanagern und -managerinnen zeigt, bewerten 62 Prozent der Befragten Cyber Security als sehr wichtige Managementherausforderung. Weitere 28 Prozent erachten sie als wichtig. Somit landet Cyber Security mit 90-prozentiger Relevanz in der branchenübergreifenden Betrachtung noch vor Nachhaltigkeit (83 %). An erster Stelle steht unverändert die digitale Transformation (95 %). Industrieunternehmen für sich genommen geben die Prävention und Bekämpfung bei Cyber-Angriffen sogar als wichtigste Managementherausforderung an.
Ob die Globalisierung oder die Digitalisierung, ob Krisen wie die Covid-19-Pandemie, die drohende Klimakatastrophe oder die Rückkehr des Angriffskriegs im Herzen Europas: Alle diese Entwicklungen scheinen kein klares Ende zu finden. Die Veränderungsprozesse sind stetig, die Krisen werden chronisch. Abhaken? Kaum möglich. Wie sehr es aber genau danach eine Sehnsucht gibt, zeigte die Corona-Pandemie mit ihrer häufig gestellten Leitfrage, wann denn eine Rückkehr zur Normalität möglich sei. Irgendwann wurde aus der Frage eine Forderung: Die Rückkehr müsse jetzt bald vollzogen werden. Als ob sich das Virus darum schere. Und machen wir uns nichts vor: Das Klima auf der Erde wird sich auch nicht darum scheren, ob die Menschheit ab einem bestimmten Punkt findet, jetzt sei es aber genug mit den Einschränkungen.

Lieferkette: Je tiefer der Einblick, desto mehr gibt’s zu tun

Wie die Politik und die Gesellschaft, so müssen auch die deutschen Unternehmen lernen, dass es die Normalität – wenn es sie denn überhaupt gab – nicht mehr geben wird. Insbesondere die Digitalisierung ist ein Fass ohne Boden. Mehr noch, sie ergibt überhaupt erst Sinn, wenn man sie als eine Entwicklung begreift, die kein Ende finden wird, die immer wieder aufs Neue Geschäftsmodelle, Prozesse und den Purpose des Unternehmens auf den Prüfstand stellt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Blick auf die Lieferkette: Unternehmen, die es mit dem Klimaschutz und den Menschenrechten ernst nehmen, analysieren jetzt ihre Supply- Chains, um Teile zu identifizieren, in denen Defizite offensichtlich werden. In der Folge werden Geschäfte mit langjährigen Partner-Unternehmen hinterfragt, manchmal sogar beendet.
Gleiches gilt für den Bereich der Cyber Security – die Bedrohungslage durch Angriffe auf IT-Systeme nimmt immer weiter zu. Das Thema hat damit laut der Horváth-Studie „CxO Priorities 2022“ dermaßen an Relevanz gewonnen, dass es noch vor der Nachhaltigkeit liegt.
Betrachtet man jedoch die Komplexität von Liefer- und Wertschöpfungsketten zum Beispiel von digitalen Geräten oder auch Dienstleistungen, wird schnell deutlich, dass es sich auch hier um eine Aufgabe unendlichen Ausmaßes handelt. Gleiches gilt für den Bereich der Cyber Security – die Bedrohungslage durch Angriffe auf IT-Systeme nimmt immer weiter zu. Das Thema hat damit laut der Horváth-Studie „CxO Priorities 2022“ dermaßen an Relevanz gewonnen, dass es noch vor der Nachhaltigkeit liegt. Ralf Sauter, Studienleiter und Partner bei der Managementberatung, sagte im Rahmen der Ergebnisvorstellung: „Steigende Cyberrisiken sind ein negativer Effekt der digitalen Transformation, die wiederum Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg ist. Dieser Effekt schlägt erst jetzt langsam durch und kann gerade bei Industrieunternehmen existenzbedrohlich werden – vor allem dann, wenn das Thema in der Vergangenheit vernachlässigt wurde oder aufgrund der Bewältigung von Krisenfolgen einfach nicht mit der notwendigen Priorität verfolgt werden konnte.“ Die in die „Unendlichkeit“ reichende Digitalisierung lässt sich anhand eines Sprungs in die fraktale Geometrie verdeutlichen: Der Mathematiker Benoît Mandelbrot machte 1968 mit einem Aufsatz auf sich aufmerksam, in dem er die banale Frage stellte, wie lang die Küste Großbritanniens sei. Seine Antwort: Kommt drauf an. Arbeitet man mit Mess-Abschnitten von 200 Kilometern, ergibt sich eine Gesamtlänge von rund 2350 Kilometern. Nutzt man 100-Kilometer-Abschnitte, kommt man auf 2775 Kilometer, sind die Mess-Abschnitte nur 50 Kilometer lang, ergeben sich 3425 Kilometer. Kurz gesagt: Je kleinteiliger man misst, desto mehr Küstenstrecke ergibt sich. Betreiben kann man dieses Mess-Spiel bis in die Unendlichkeit. Ganz ähnlich ist es bei Analyse der Lieferketten von komplizierten Produkten: Digitale Tools, die mit ihrer Untersuchung immer weiter in die Tiefe gehen, werden in den Supply-Chains immer neue dunkle Ecken oder zumindest Graubereiche finden. So ambitioniert das Nachhaltigkeitsmanagement eines Unternehmens im Verbund mit seinen Digital-Expert*innen auch an der „Optimierung von Lieferketten“ arbeiten mag – der Prozess endet nie.

Bedarf an Beschäftigten in Informatiker*innen-Berufen

Laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft wird aufgrund des Klimaschutzes und der Digitalisierung der Bedarf an Beschäftigten in Ingenieur- und Informatikerberufen in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Aktuell sei der Ukraine-Krieg mit einer konjunkturellen Eintrübung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage verbunden, was in den kommenden Monaten einen Rückgang der Engpässe in den Ingenieur- und Informatikerberufen verursachen könnte. Zugleich entstehe ein großer Anpassungsdruck bei der Energieversorgung, der wiederum zu einer hohen Nachfrage in den Ingenieurberufen der Energie-und Elektrotechnik führen dürfte.

Digitales Mindset der Fachkräfte nutzen

Wer als Nachwuchskraft in Unternehmen startet, hat echte Vorteile, wenn man dieses Mindset mitbringt und in die Teams einbringt. Digitalisierung ist kein Schalter, der eines Tages umgelegt sein wird. Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben. Was sich daher entwickeln muss, ist ein besseres „digitales Ökosystem“, wie Florenz Kasen, Digital-Spezialist beim Personalberatungsunternehmen TechMinds, schreibt. In seinem Fachbeitrag „Digitalisierung in Deutschland. Wie digital sind wir 2022?“, abzurufen auf der TechMinds-Homepage, stellt er fest, dass das heimische digitale Ökosystem starke Defizite verzeichnet: „Die schlechte Verfügbarkeit von Risikokapital ist in Deutschland im internationalen Vergleich deutlich stärker ausgeprägt – es wird kaum in junge Startups investiert.“ Dazu komme, dass die deutsche Bevölkerung grundsätzlich eher negativ gegenüber unternehmerischen Risiken eingestellt sei. „Zudem werden viel zu selten die Kompetenzen der verfügbaren Informations- und Kommunikations- Fachkräfte genutzt – hier liegt Deutschland ganz klar unter dem europäischen Durchschnitt.“ Verstärkt werde das Problem durch den Fachkräftemangel im IT-Sektor: „Der Fachkräftemangel wird nicht ansatzweise ausreichend bekämpft“, urteilt Florenz Klasen. Um die Digitalisierung in Angriff nehmen zu können, müssten nicht nur IT-Professionals aus dem Ausland rekrutiert werden, sondern auch einheimische Talente gefördert werden. Wie gravierend die Situation hierbei ist, macht zudem der Kurzbericht „Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken“ des Instituts der Deutschen Wirtschaft deutlich. Darin heißt es, dass der Fachkräftemangel bei Informatikexpertinnen und -experten ein Rekordniveau erreicht habe. Zudem sei die Stellenbesetzung hier am schwierigsten. Dabei, so die Autor*innen, werde „IT-Expertise zur Gestaltung des digitalen Wandels in fast allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung dringend benötigt“. „Deshalb sollte schon an den deutschen Schulen, Berufsschulen und Hochschulen eine bessere digitale Infrastruktur sowie Pädagogik etabliert werden“, fordert Klasen. Das sei nicht nur wichtig für die Wirtschaft, sondern auch für die Gesellschaft. Seine These: „Digitale Rückständigkeit hinterlässt die Bürger müde und wütend.“ Die Digitalisierung Deutschlands ist also längst nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein gesellschaftliches Projekt. Wer es – ob in großen Unternehmen, dynamischen Start-ups oder Behörden – voranbringt, erfüllt einen Job mit einem Purpose, der weit über das Geldverdienen hinausgeht.

Buchtipp: „Handbuch Digitalisierung“

Digitalisierung und Industrie 4.0 verändern ganze Wirtschaftszweige und bringen für alle Funktionsbereiche eines Unternehmens große Herausforderungen mit sich. Das Handbuch der Digitalisierung stellt die Grundlagen und Herausforderungen vor und analysiert diese im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang. Dabei werden Vor- und Nachteile sowie auch die Auswirkungen und Erscheinungsformen der Digitalisierung in unterschiedlichen Wirtschafts- zweigen und Funktionsbereichen ausführlich und prägnant dargestellt. Prof. Dr. Stefan Roth, Prof. Dr. habil. Hans Corsten (Hg.): Handbuch Digitalisierung. Vahlen 2022, 159 Euro.

Die Security-Spezialistin Prof. Dr. Claudia Eckert im Interview

Die Informatikerin Prof. Dr. Claudia Eckert zählt zu den gefragtesten Sicherheits-Expertinnen Deutschlands. Die Institutsleiterin am Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC sowie Leiterin des Lehrstuhls für Sicherheit in der Informatik der TU München wirbt im Interview für mehr unternehmerische Investitionen im Bereich der Cybersecurity. Zudem definiert sie neue Job- Profile und Anforderungen für ambitionierte Nachwuchskräfte. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Claudia Eckert, Jahrgang 1959, ist Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC in Garching und Professorin an der Technischen Universität München, wo sie den Lehrstuhl für Sicherheit in der Informatik an der Fakultät für Informatik innehat. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Entwicklung von Technologien zur Erhöhung der System- und Anwendungssicherheit, die Sicherheit eingebetteter Systeme und die Erforschung neuer Techniken zur Erhöhung der Resilienz und Robustheit von Systemen gegen Angriffe. Als Mitglied verschiedener nationaler und internationaler industrieller Beiräte und wissenschaftlicher Gremien berät sie Unternehmen, Wirtschaftsverbände sowie die öffentliche Hand in allen Fragen der ITSicherheit. In Fachgremien wirkt sie mit an der Gestaltung der technischen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sowie an der Ausgestaltung von wissenschaftlichen Förderprogrammen auf EU-Ebene.
Frau Prof. Dr. Eckert, warum verlangt der Transformationsprozess hin zur Industrie 4.0 noch deutlich mehr Investitionen und Know-how in Sachen Security? Die Digitalisierung geht einher mit der Vernetzung und Öffnung vormals abgeschotteter Systeme, zum Beispiel für die Kommunikation über das Internet oder den Zugriff von außen zur Fernwartung. Gleichzeitig wachsen interne Systeme zusammen. Zum Beispiel wird die IT in den Produktionsanlagen direkt mit der Büro-IT verbunden, um zum Beispiel die Auftragsplanung direkt mit der Produktion zu verknüpfen. Das bringt Chancen, unter anderem in Bezug auf Kostenersparnis oder Qualitätssteigerung, es birgt aber auch Gefahren, da digitalisierte Systeme viele Angriffspunkte für Cyberattacken bieten. Zudem wächst mit dem Grad der Vernetzung auch das Schadenspotential, wenn sich Schadsoftware im Netz verbreitet. Diese Risiken müssen Unternehmen einschätzen können, sie müssen wissen, welche technologischen, aber auch organisatorischen Schutzmaßnahmen geeignet sind, um die Restrisiken akzeptieren zu können. Dies erfordert sowohl viel Know-how im Themenfeld Cybersecurity als auch die Bereitschaft, in erforderliche Technologien zu investieren, um die digitalisierten Systeme vor Angriffen nachhaltig zu schützen. Das gilt im Übrigen für alle Domänen, nicht nur für die Industrie 4.0. Wie bewerten sie aktuell die Sicherheits- Lage in den deutschen Unternehmen? Aktuelle Studien zeigen, dass 70 bis 80 Prozent der Unternehmen bereits erfolgreich angegriffen wurden. Das führt zu jährlichen Schäden in zweistelliger Milliardenhöhe. Der Sicherheitsstatus ist also alles andere als zufriedenstellend. Ransomware, die Verschlüsselung oder der Diebstahl von Daten mit einer darauffolgenden Lösegeld- Erpressung, ist aktuell das populärste Angriffsszenario. Aber man muss genauer hinsehen: Große Konzerne haben mehr Kapazitäten, um eigenes Security-Know-how im Haus aufzubauen. Betreiber kritischer Infrastrukturen, wie zum Beispiel Energieversorger, unterliegen gesetzlichen Vorgaben und Regulierungen in Bezug auf die Risiko und Cybersicherheitsvorsorge. Dies hat in der Regel einen besseren Sicherheitsstatus zur Folge, als er insbesondere im Mittelstand anzutreffen ist. Hier muss deutlich mehr gemacht werden, um die Resilienz der Unternehmen gegen Cyberattacken zu verbessern. Es wird gefordert, Unternehmen müssten in Zukunftstechnologien wie die Künstliche Intelligenz investieren. In KI-Lösungen fließt deutlich mehr Geld, weil man sich davon positive Effekte für das eigene Geschäft erhofft, beispielsweise durch das Anbieten von neuen Dienstleistungen für die Kunden. Auch wenn die Budgets der Cybersecurity in den letzten Jahren stetig angestiegen sind – nicht zuletzt, weil die Geschäftsführung durch die aktuelle Gesetzeslage bei Cybervorfällen haftbar gemacht werden kann, wenn sie ihrer Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Cybersicherheit nicht nachgekommen ist – so reichen die Anstrengungen noch lange nicht aus. Noch haben viele Bereiche nicht ausreichend erkannt, wie kritisch mangelhafte Cybersecurity für die eigene Geschäftsentwicklung ist.
Übergeordnetes Ziel muss es sein, eine Sicherheitskultur im gesamten Unternehmen auszubilden, die auch gelebt wird.
Wie lässt sich eine bessere IT-Security in Unternehmen umsetzen, technisch und personell? Technisch ist das konsequente Umsetzen des Zero-Trust-Prinzips wichtig. Zero Trust bedeutet: Es gibt kein grundsätzliches Vertrauen, jeder Zugriff muss überprüft werden. Denn durch Vernetzung und Homeoffice gibt es kein „Innen“ und „Außen“ mehr. Um das zu kontrollieren, müssen geeignete Prozesse und Cybersecurity-Technologien eingeführt werden. Dazu gehört zum Beispiel ein tragfähiges Identitäts- und Zugriffsmanagement. Die Bereitstellung von Informationen muss auf das Need-to-know-Prinzip beschränkt werden, also reduziert werden auf das, was zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Basis aller Aktivitäten muss eine umfassende IT-Sicherheitsanalyse sein, um die eigenen Bedarfe zu verstehen und Handlungsnotwendigkeiten daraus ableiten zu können. Cybersecurity muss dabei als kontinuierlicher Prozess verstanden werden, der nicht mit einem einmaligen Audit abgeschlossen ist. Nicht jeder kann sich eine eigene Cybersecurity-Abteilung leisten. Aber man kann seine Mitarbeitenden für das Thema sensibilisieren und schulen. Dabei muss klar werden, welchen wichtigen Beitrag jeder zur Aufrechterhaltung der IT-Sicherheit im Unternehmen leisten kann und welche Schwachstellen es bei jedem von uns gibt, zum Beispiel das leichtfertige Klicken auf Links in E-Mails. Übergeordnetes Ziel muss es sein, eine Sicherheitskultur im gesamten Unternehmen auszubilden, die auch gelebt wird. Gibt es dabei neue Job-Profile für IT-Expert* innen, die auf diesem Weg entstehen? Beim Thema Usability gibt es neue Bedarfe. Der Begriff steht für ein Jobprofil, das die wichtige Aufgabe übernimmt, die Akzeptanz von Cybersecurity- Technologien bei den Nutzer*innen zu erhöhen. Dafür schauen sich die Expert*innen die Bedürfnisse und das Verhalten der Nutzer*innen genau an und transformieren die Technologie entsprechend. Immer mit dem Ziel, IT-Sicherheit so nutzbar wie möglich zu machen.
Cybersecurity-Expert*innen müssen die Weltmodelle und auch Begriffswelten, in denen ihre Nutzer*innen agieren, verstehen – und damit auch verstehen, wie diese mit IT-Technologien umgehen.
Welche Skills – abseits des IT-Knowhows – sind nötig, um als Nachwuchskraft in der Security gut unterwegs zu sein? Abseits des erforderlichen, fundierten IT-Know-hows sind heute vor allem Soft-Skills gefragt: Die Fähigkeit zur Teamarbeit oder auch zur zielgruppenspezifischen Kommunikation sind Beispiele. Cybersecurity-Expert*innen müssen die Weltmodelle und auch Begriffswelten, in denen ihre Nutzer*innen agieren, verstehen – und damit auch verstehen, wie diese mit IT-Technologien umgehen. Daraus ergibt sich, wie man IT gestalten muss, damit sie akzeptiert und genutzt wird. Heute ist alles sehr schnelllebig. Das verlangt eine große Agilität. Neue Entwicklungen müssen schnell erfasst, analysiert und umgesetzt werden, bei gleichbleibend hoher Qualität. Nur wer bereit ist, seine Komfortzone zu verlassen, wer interdisziplinär denkt und über Fachgrenzen hinweg zusammenarbeitet, wer offen und aufgeschlossen bleibt, wird heute und in Zukunft Erfolg haben. Der nächste Schritt im IT-Bereich könnte das Quanten Computing sein. Droht uns das Sicherheits-Thema endgültig um die Ohren zu fliegen, weil die Komplexität dieser Technologie noch größer ist oder kann Quanten Computing sein Versprechen für mehr Sicherheit einlösen? In der aktuellen Forschung werden Technologien entwickelt, die ich gerne wie folgt charakterisiere: Es geht um die Gestaltung der Cybersicherheit „trotz, mit und für“ Quanten Computing. Die Forderung nach Sicherheit „trotz“ ist von hoher Aktualität, da Quanten-Computer, wenn sie denn in einigen Jahren ausgereift genug sind, eine Bedrohung für alle jetzigen Sicherheitsmechanismen darstellen, weil die Verschlüsselungsverfahren leichter gebrochen werden können. Denn diese basieren größtenteils auf mathematischen Hürden, die zwar nicht von einem klassischen Rechner, aber eben von einem Quantenrechner genommen werden können. Aus diesem Grund müssen wir uns mit Post- Quanten-Kryptografie beschäftigen. Also mit Verfahren, die auch dann noch sicher sind, wenn Angriffe unter Verwendung von Quanten-Computern gegen sie gerichtet sind. Quanten Computing kann aber auch helfen, das IT-Sicherheits-Niveau anzuheben. Damit sind wir beim Thema „mit“. Genau, man kann zum Beispiel mit Quantum-Machine-Learning-Verfahren frühzeitig Anomalien, die auf Angriffsversuche hindeuten, oder Betrugsabsichten erkennen. Wenn wir damit auf Angriffe besser vorbereitet sind oder schneller auf sie reagieren können, kann die Resilienz erhöht und der Schaden begrenzt werden. Sicherheit „für“ QC bedeutet schließlich, dass wir bereits bei der Entwicklung der Quanten-Hardware und -Software die Sicherheit der Verarbeitung berücksichtigen.

Fraunhofer CCIT

Seit 1.1.2018 ist Claudia Eckert Sprecherin des Fraunhofer Clusters of Excellence Cognitive Internet Technologies CCIT, mit dem die Fraunhofer-Gesellschaft an Schlüsseltechnologien für das kognitive, industrielle Internet arbeitet. Ziel ist die Einrichtung einer tragfähigen Infrastruktur für eine agile, flexible und digitalisierte Industrie. Der Fraunhofer CCIT vereint über 20 Fraunhofer Institute aus der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechnik und der Produktion. Die gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten konzentrieren sich auf die Technologiefelder IoT-Kommunikation, vertrauenswürdige Datenräume und Maschinelles Lernen.

Kompetenzen für die digitale Zukunft

Informatik wird inzwischen als Querschnittsdisziplin angesehen, die für alle Branchen äußerst relevant und wettbewerbsentscheidend ist. Und auch wenn jeder Wirtschaftszweig seine ganz eigenen Voraussetzungen und Anforderungen an die IT hat, gibt es Überschneidungen. So lässt sich ein Anforderungsprofil für benötigte Kompetenzen bei IT’ler*innen formulieren. Von Christoph Berger

Das Statistische Amt der Europäischen Union untersuchte für 2021, ob und inwiefern Bürger*innen in der Europäischen Union zumindest über grundlegende digitale Kenntnisse verfügen, gehören digitale Kompetenzen doch zu den wichtigsten Leistungsindikatoren im Rahmen der Digitalen Dekade. So wird im Digitalen Kompass das Ziel formuliert, dass 80 Prozent der EU-Bürger* innen im Alter von 16 bis 74 Jahren bis 2030 wenigstens über grundlegende digitale Kompetenzen verfügen sollten. Deutschland liegt laut den Ergebnissen mit 49 Prozent derzeit gerade mal auf Rang 18. Angeführt wird die Liste von den Niederlanden mit 79 Prozent. Es folgen Finnland mit ebenfalls 79 Prozent und Irland mit 70 Prozent. Wird bei den digitalen Kompetenzen hierzulande also nicht schnell aufgeholt, droht der Anschlussverlust. Die Rede ist schon heute von einem Skill-Gap, der zu einem bedrohlichen Problem für die Wirtschaft werden könnte. Doch welche Kompetenzen werden benötigt, um diese Lücke zu schließen? Anhaltspunkte auf diese Frage liefert der für die IT-Branche vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgebrachte Kompetenz-Kompass. Darin heißt es, dass zukünftige Kompetenzanforderungen hochgradig berufs- und arbeitsplatzspezifisch sind, dass aber die Bereitschaft, sich mit den jeweils aktuellsten Hard- und Softwaresystemen und -verfahren auseinanderzusetzen, mit Kunden und Anwendern bei der agilen Softwareentwicklung zu kooperieren, sowie das Designen neuer Produkte, Geschäfts- oder Produktionsprozesse Grundvoraussetzungen seien. Damit einhergehend wird es auch zu neuen Rollen- und Berufsinhalten kommen, die die Veränderungsbereitschaft eines jeden einzelnen zusätzlich notwendig macht. Aber, so eine weitere Kernaussage: „In den zahlenmäßig bedeutendsten Berufen in der IT-Branche, den Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologieberufen, ist – entgegen dem allgemeinen Trend – keine Verschiebung der Tätigkeitsprofile hin zu Routine-Tätigkeiten festzustellen, stattdessen nimmt die Bedeutung von interaktiven bzw. kognitiven Nicht-Routine-Tätigkeiten zu.“ Nicht verwunderlich ist, dass in der IT-Branche selbst digitale Technologien deutlich häufiger genutzt werden als im Durchschnitt aller für den Leitfaden befragten Betriebe in sämtlichen Branchen. Vielmehr ist deren Nutzung zentraler Bestandteil der Geschäftsmodelle. Zudem sei die Branche durch stetiges Wachstum geprägt, Beschäftigungsverluste seien in ihr kaum festzustellen. Hingegen ein Trend hin zur Suche nach Fachkräften mit Expertenniveau, für das typischerweise ein Hochschulabschluss notwendig sei, wie die Autor*innen schreiben. Zudem werden in der Broschüre die für die IT-Branche relevanten Aspekte aufgelistet. Demnach geht es aktuell vor allem um Cobots, also kollaborierende Roboter, cyberphysische Systeme, digitalisierte Wertschöpfungsketten, eine optimierte Mensch-Maschine-Interaktion, um Natural Language Processing und Sprachassistenten, die Bilderkennung, Quanten Computing, künstliche Intelligenz in der Softwareprogrammierung, IT-Sicherheit, die Blockchain, Datenqualität, digitalisierte Verwaltung und Personalentwicklung sowie die Digitalisierung der Aus- und Weiterbildung. Fazit: Neben ausgeprägtem Fach- und Expert*innen-Know-how braucht es auch zahlreiche Soft Skills, um erfolgreich in der Branche zu bestehen. Allen voran Veränderungsbereitschaft sowie den Willen, sich beständig weiterzuentwickeln und -bilden.

Im Pool der Datenmengen: Data Scientists

Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts, heißt es gerne. Doch auch dieser Schatz muss gehoben werden. Dafür sind Data Scientists da. Von Christoph Berger

Sie sind gesucht, aber nur schwer zu finden. Die Rede ist von Data Scientists. Laut dem Branchenverband Bitkom werden Menschen mit dieser Berufsbezeichnung zu den wichtigsten Kompetenzträgern in den Unternehmen. Und dies quer durch alle Branchen. Dafür gibt es einen handfesten Grund: Der Geschäftserfolg der Unternehmen wird immer stärker davon abhängen, ob und wie sie Daten einsetzen können. Die Daten dafür stammen aus der fortschreitenden Digitalisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche. Sie können gesammelt, verknüpft und so aufbereitet werden. Dies geschieht mit Algorithmen. Auf Grundlage der dann vorliegenden Ergebnisse können Entscheidungen getroffen werden, die im besten Fall zu entscheidenden Wettbewerbsvorteilen führen. Daten sind also Wissen. „Hier eröffnet sich ein Berufsfeld, das in den kommenden Jahren enorme Bedeutung erlangen wird“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg über Data Scientists. Doch um diese Herausforderungen zu meistern und als Data Scientist erfolgreich zu sein, bedarf es tiefgehenden Wissens aus mehreren Wissenschaftsdisziplinen. Der von der Universität Mannheim angebotene Master-Studiengang Data Science kombiniert beispielsweise Kurse in Statistik und Mathematik mit Kursen in Datenmanagement und Datenanalyse, angeboten werden Veranstaltungen aus den Fachbereichen Wirtschaftsinformatik, Soziologie, Politikwissenschaft und Mathematik. An der TU Braunschweig ist der Studiengang „Data Science“ ein gemeinsames Lehrangebot der Departments Informatik und Mathematik. Überdies wirken auch die Anwendungsbereiche aller anderen Fakultäten der TU am Studiengang mit. Die Freie Universität vermittelt in ihrem Masterstudiengang „Data Science“ die zentralen Aspekte der modernen Datenwissenschaft, die durch eine Verschmelzung der zentralen Felder Mathematik, Statistik, Informatik und maschinellem Lernen unter Berücksichtigung anwendungsbezogener Fragestellungen gekennzeichnet sind. An diesen Beschreibungen wird bereits die Komplexität an erforderlichen Kompetenzen deutlich. Bereits 2012 titelte der Harvard Business Review einen Text mit der Überschrift „Data Scientist: The Sexiest Job oft the 21st Century“. Im Juli dieses Jahres, also zehn Jahre später, nahmen sich die Autoren nochmal des Themas an und fragten: „Is Data Scientist Still the Sexiest Job of the 21st Century?“ Sie kommen zu dem Schluss, dass der Beruf an Beliebtheit gewonnen hat und gut bezahlt wird. Zudem seien die Zukunftsprognosen rosig, da prognostiziert werde, dass der Bereich bis 2029 mehr Wachstum als fast jeder andere erfahren werde. Allerdings habe sich der Beruf in den letzten zehn Jahren auch verändert. Er sei institutionalisiert und die Aufgabenbereiche neu definiert worden. Außerdem habe sich die Technologie enorm fortentwickelt und die Bedeutung nichttechnischer Fachkenntnisse wie Ethik und Veränderungsmanagement habe für Data Scientists zugenommen. Laut Bitkom setzen vor allem größere Unternehmen heute schon auf Data Scientists & Co. Und sie wollen weiter aufstocken. In einer aktuellen Befragung hätte jedes dritte Unternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten angegeben, derzeit Spezialistinnen und Spezialisten für die datengetriebenen Geschäftsmodelle zu beschäftigen, 38 Prozent würden dies für die Zukunft planen. Unter den Unternehmen mit 100 bis 499 Beschäftigten hätten bereits 15 Prozent Data Scientists an Bord, 10 Prozent Einstellungen planen. Unter den kleineren Unternehmen mit 20 bis 99 Beschäftigten hätten hingegen erst drei Prozent Expertise für datengetriebene Geschäftsmodelle im Haus, doch auch unter ihnen planen 15 Prozent Einstellungen von Data Scientists.

Kuratiert

IT-Fachkräftelücke wächst

Wie der Branchenverband Bitkom Anfang des Jahres 2022 bekanntgab, fehlt für die Digitalisierung der Wirtschaft immer mehr Personal. Branchenübergreifend sei die Zahl freier Stellen für IT-Fachkräfte 2021 auf 96.000 gestiegen. Das seien zwölf Prozent mehr als im Vorjahr, als quer durch alle Branchen 86.000 Jobs unbesetzt geblieben seien. Dieser Mangel werde sich zudem noch verschärfen, heißt es weiter. Mit Abstand am gefragtesten sind Software-Spezialist*innen. Vier von zehn Unternehmen mit vakanten IT-Jobs suchen Software-Entwicklerinnen beziehungsweise Software-Architekten. Dahinter folgen IT-Projektmanagerinnen beziehungsweise IT-Projektkoordinatoren, die von jedem sechsten Unternehmen mit freien IT-Stellen gesucht werden. 13 Prozent suchen IT-Anwendungsbetreuerinnen beziehungsweise IT-Administratoren, sieben Prozent Data Scientists beziehungsweise Big Data Experts. In jeweils vier Prozent dieser Unternehmen sind Stellen für Datenschutz-Profis mit IT-Qualifikation sowie IT-Sicherheitsexpertinnen und -experten vakant.

Cyberkriminalität weltweit größte Bedrohung

Cyberkriminalität wird vor Betrug durch Kunden und Vermögensdelikten die größte aktuelle Bedrohung für Unternehmen weltweit. In Zukunft werden zusätzlich Risiken wie Plattformbetrug, Manipulation im Kontext der ESG-Berichterstattung und in der Lieferkette eine große Rolle spielen. Am stärksten von wirtschaftskriminellen Aktivitäten betroffen ist die Technologie-Branche: Fast zwei Drittel der Unternehmen aus den Bereichen Technologie, Medien und Telekommunikation sind in den vergangenen zwei Jahren Opfer von Wirtschaftskriminalität geworden. Das sind die Kernergebnisse des aktuellen „Global Economic Crime and Fraud Survey“ der Wirtschaftsprüfungsund Beratungsgesellschaft PwC.

Forderung: Digitalisierung muss sozial-ökologischem Wandel dienen

Im Vorfeld der diesjährigen „Bits & Bäume“, einer Konferenz für Digitalisierung und Nachhaltigkeit, richteten 13 Organisationen aus Umwelt,- Klima- und Naturschutz, Digitalpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft einen Appell an die Bundesregierung, die Europäische Union und politische Akteure weltweit. In dem fordern sie, dass sich die Digitalisierung stärker in den Dienst der Gesellschaft und des sozial-ökologischen Wandels stellen muss. Digitale Technologien sollten durch gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe und innerhalb der planetaren Grenzen zur Verbesserung von Lebensbedingungen und der Umwelt beitragen, anstatt durch explodierenden Energiebedarf, Ressourcenverbrauch und mangelnde Teilhabe existierende Krisen noch weiter zu verschärfen. Download als PDF

InformierT: Kultur-, Buch- und Linktipps

Maschinelles Lernen

Cover Maschinelles LernenMaschinelles Lernen ist die künstliche Generierung von Wissen aus Erfahrung. Dieses Buch diskutiert Methoden aus den Bereichen Statistik, Mustererkennung und kombiniert die unterschiedlichen Ansätze, um effiziente Lösungen zu finden. Diese Auflage bietet ein neues Kapitel über Deep Learning und erweitert die Inhalte über mehrlagige Perzeptrone und bestärkendes Lernen. Eine neue Sektion über erzeugende gegnerische Netzwerke ist ebenfalls dabei. Ethem Alpaydin: Maschinelles Lernen. De Gruyter 2022, 72,95 Euro

Roman: Dieser Beitrag wurde entfernt

Cover Dieser Beitrag wurde entferntMindestens 500 Beiträge pro Tag, maximal 7 Minuten Pause, beim Gang aufs Klo läuft die Stoppuhr – die Arbeitsbedingungen bei HEXA sind hart. Aber Kayleigh gefällt der neue Job, das Gehalt ist gut, und die schrecklich verstörenden Bilder, die sie für die Plattform prüfen muss, behandelt sie mit professioneller Distanz. Als sie sich in ihre Kollegin Sigrid verliebt, scheint ihr Glück vollkommen. Bis ihre Kollegen plötzlich zusammenbrechen oder Verschwörungstheorien anhängen, und Sigrid sich immer mehr distanziert. Ist Kayleigh dem Job als Einzige gewachsen? Oder merkt sie nur nicht, wie auch ihr moralischer Kompass sich auf gefährliche Weise zu verschieben beginnt? „Dieser Beitrag wurde entfernt“ ist ein Roman darüber, wer oder was bestimmt, wie wir die Welt sehen, in der wir heute leben. Hanna Bervoets: Dieser Beitrag wurde entfernt. Hanser 2022, 20 Euro

Ausstellung: IMAGE CAPITAL

Armin Linke HLRS University of Stuttgart – High Performance Computing Center, Stuttgart, Germany, 2019 (Detail) © Armin Linke 2019
Armin Linke
HLRS University of Stuttgart – High Performance Computing Center, Stuttgart,
Germany, 2019 (Detail) © Armin Linke 2019
Noch bis zum 11. Dezember 2022 ist im Museum Folkwang die Ausstellung „IMAGE CAPITAL“ zu sehen. In ihr wird die Geschichte und Gegenwart der Fotografie als eine Informationstechnologie thematisiert. So ist die Verschmelzung von Bild- und Metadaten die Grundlage für die verschiedenen Technologien zum Sammeln und Verwerten von Bildern, die in der heutigen Datenverarbeitung in Forschung, Wissenschaft und Industrie allgegenwärtig sind. Fotografie ist beispielsweise in der Robotik oder in Bilddatenbanken unverzichtbar geworden, durch sie werden industrielle Prozesse weiter automatisiert oder Methoden des maschinellen Lernens optimiert.

Machste dreckig – machste sauber: Die Klimalösung

Cover KlimawandelDie Diskussion über Klimaschutzmaßnahmen ist fast noch heftiger ist als die Auswirkungen des Klimawandels selbst. Daher und aufgrund der Fülle an Informationen fällt es oft schwer, einen Überblick zu behalten und es gibt zahlreiche Vorbehalte: Was machen wir, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint? Dürfen wir in Zukunft gar kein Fleisch mehr essen? Ist Kernenergie wirklich so gefährlich? Werden wir alle in Holzhäusern leben? Brauchen wir Verbote? Ist es nicht ohnehin zu spät? Um Ordnung in diese Debatte zu bringen und um mit Missverständnissen aufzuräumen, haben die Studenten David Nelles und Christian Serrer mit der Unterstützung von über 250 Wissenschaftler*innen das Buch „Machste dreckig – Machste sauber: Die Klimalösung“ geschrieben. David Nelles, Christian Serrer: Machste dreckig – Machste sauber: Die Klimalösung. KlimaWandel 2021, 19 Euro

Das Sonnensystem in 3D

Die NASA und Google Arts & Culture haben sich zusammengeschlossen, um mehr als 60 3D-Modelle von Planeten, Monden und NASA-Raumschiffen in die Google-Suche einzubinden. Dies geschieht über die Google-Suche, in der „In 3D anzeigen“ angeklickt werden kann. Diese 3D-Anmerkungen werden auch für Zellen, biologische Konzepte, wie zum Beispiel Skelette, und andere Lehrmodelle in der Suche verfügbar sein. Mit dem Smartphone können die Objekte sogar direkt dank der Kamera via Augmented Reality in den eignen Raum projiziert werden.

Die Psyche des Homo Digitalis

Cover Psyche des Homo DigitalisDer Psychologe und Psychotherapeut Johannes Hepp zeigt, was uns im Zuge der rasant voranschreitenden Digitalisierung neurotischer werden lässt, welche Gründe dafür verantwortlich sind, wie wir uns dieser Entwicklung bewusst werden und wie wir selbstbestimmt und selbstwirksam gegensteuern können. Unterteilt in Liebe, Arbeit und Sinn stellt Hepp dazu 21 Neurosen des 21. Jahrhunderts vor. Er spannt dabei einen Bogen von Internet- und Online-Sexsucht, Beziehungsängsten und wachsender Einsamkeit (trotz globaler Vernetzung), von der Dating- und Profilneurose über Erziehungswettstreit und krank machenden Perfektionismus, Selbstoptimierungs- und Einzigartigkeitszwängen bis hin zu den Ewigkeitsversprechen der Altersforschung und neuen Datenreligion. Johannes Hepp: Die Psyche des Homo Digitalis. Kösel 2022, 22 Euro

Die Automatisierung des Schreibens

Cover Die Automatisierung des SchreibensExperimente mit computergenerierten Texten sorgen zunächst für Erstaunen, um dann zu beruhigtem Abwinken zu verleiten: Gute Romane, heißt es, schreibt der Computer (noch) nicht. Doch vor dem Hintergrund des Siegeszugs der Künstlichen Intelligenz gerät die Geschichte der Mechanisierung des Schreibens in den Blick. Wie sich Schreiben und Programmieren zueinander verhalten, rekonstruiert Philipp Schönthaler in dieser groß angelegten Studie. Sein überraschender Gang durch die Geschichte der Literatur eröffnet der gegenwärtigen Diskussion einen faszinierenden Tiefenraum, der Alarmismen wie Heilsversprechen fraglich werden lässt. Philipp Schönthaler: Die Automatisierung des Schreibens. Matthes & Seitz 2022, 38 Euro

Anleitung: Werde ein Digital Head

Cover Werde ein Data-HeadAuch wenn Sie von Haus aus kein Data Scientist sind, im Job aber viel mit Daten zu tun haben: Mit diesem Buch werden Sie zu einem echten Data Head. Zumindest laut des herausgebenden Verlags. Demnach gibt der kompakte Datenanalyse-Leitfaden Führungskräften, Quereinsteigern und all denen, die häufig mit Data Scientists zusammenarbeiten, das Wissen, die Fachsprache und die nötigen Werkzeuge an die Hand, um informiert und kritisch über die Auswertung von Daten zu sprechen und die richtigen Fragen zu stellen. Nach der Lektüre dieses Buchs können Projekte aus den Bereichen Data Science, Statistik und Machine Learning beurteilt und aktiv mitgestaltet werden – auch ohne einen technischen Background. Alex Gutman und Jordan Goldmeier veranschaulichen unterhaltsam und verständlich die aktuellen, zum Teil komplexen Data-Scienceund Statistik-Konzepte anhand einfacher, gut nachvollziehbarer Beispiele, Denkübungen und Analogien. Alex J. Gutman, Jordan Goldmeier: Werde ein Data Head. O‘Reilly 2022, 34,90 Euro

Roman: Candy Haus

Cover Candy HausIn ihrem aktuellen Roman „Candy Haus“ knüpft Jennifer Egan über unsere Gegenwart ein schillerndes Netz aus Lebensläufen. Im Mittelpunkt steht der charismatische Bix Bouton, Gründer eines atemberaubenden Start-ups in Amerika. Sein Coup ist eine App, die unsere Erinnerungen ins Netz hochlädt. Ein gefährliches Glück, denn die Erinnerungen werden für andere sichtbar. Und da ist Bennie Salazar, Ex-Punk-Rocker, der als Musikproduzent in Luxus driftet und seinen Sohn an die Sucht verliert. New York, Chicago, Los Angeles – die Wüste, der Regenwald: Mit vor Energie funkelnden Figuren erzählt Egan von der Suche nach Familie und Geborgenheit in einer Zeit, in der die digitale Welt unsere Sehnsüchte auffrisst. Jennifer Egan: Candy Haus. S. Fischer 2022, 26 Euro

Das letzte Wort hat Dr. Stefan Seegerer, Researcher, Developer, Speaker, Educator

Dr. Stefan Seegerer hält Vorträge und Workshops zu Themen wie Künstlicher Intelligenz, Maschinellem Lernen oder Bildung in einer digitalen Welt und hilft als Quantum Education Manager Menschen, mehr über das Thema Quanten Computing zu lernen. Für seine didaktische Vermittlung informatischer Themen erhielt er den erstmals 2022 vergebenen Balzert-Preis für Digitale Didaktik. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Dr. Stefan Seegerer studierte an der FAU Erlangen-Nürnberg Informatik und Mathematik auf Lehramt und schloss das Studium 2017 mit Staatsexamen ab. An der Freien Universität Berlin promovierte er und trägt seit 2021 den wissenschaftlichen Titel Dr. rer. nat. Er war Dozent an der FAU Erlangen-Nürnberg sowie der Universität Regensburg. Seit Oktober 2021 ist er Quantum Education Manager beim auf die Herstellung von Quantencomputern spezialisierten Unternehmen IQM Quantum Computers. Für seine Methoden, mit denen er zum Beispiel angehende Lehrkräfte entsprechend für die Informatik begeisterte, erhielt er Ende September 2022 den erstmals vergebenen Balzert- Preis für Digitale Didaktik. Bereits 2021 wurde er von der Gesellschaft für Informatik zum „AI Newcomer 2021“ ernannt.
Herr Dr. Seegerer, wie sind Sie zur Informatik gekommen? Das Fach Informatik in der Schule fand ich zu Beginn ehrlicherweise nicht so spannend. Als Jugendlicher begann ich aber, erst mit Tabellenkalkulationssoftware Spiele zu entwickeln, mit denen man zum Beispiel seine Stadt verwalten konnte. Da ging es um logische Zusammenhänge, und ich konnte Beziehungen in Formeln ausdrücken. Das habe ich dann auch mit anderen Werkzeugen gemacht. Da wurde mir bewusst, dass man in dem Bereich sehr kreativ werden kann. Spiele sind natürlich ein aussagekräftiges Mittel, die Kreativität bezieht sich aber auch auf viele andere Bereiche. Später studierte ich dann Mathematik und Informatik auf Lehramt. Ich wollte mit der Wahl des Studiengangs flexibel bleiben. Was reizt Sie an dem Fach, dass Sie Ihre Faszination daran weitergeben wollen? Zum einen reizen mich die Möglichkeiten kreativ zu werden. Zum anderen finde ich es toll, an den neuesten technologischen Entwicklungen in der Forschung mitwirken zu können. Das spiegelt sich auch in meiner derzeitigen Tätigkeit als Quantum Education Manager bei IQM Quantum Computers wider. Hier bin ich sehr nah an einem spannenden und zukunftsgerichteten Thema. Gleichzeitig kann ich in der Vermittlung kreativ werden. Während meiner Zeit an der Uni war ich bereits in der Erwachsenenbildung tätig, gab Kurse für Unternehmen und Institutionen – damals vor allem noch in den Bereichen der Künstlichen Intelligenz und dem Maschinellen Lernen. Für die dabei eingesetzten Methoden der Wissensvermittlung haben Sie den Balzert-Preis für Digitale Didaktik erhalten. Ja, genau. In einem der Projekte, auf die sich der Preis bezieht, haben wir angehende Lehrer*innen aller Fächer und Schularten auf das Unterrichten in der digitalen Welt vorbereitet. Es ging darum: Was bedeutet die Digitalisierung für mein eigenes Fach? Dabei ist mir aktives, schrittweises Lernen wichtig, etwa mit einem Use-Modify-Create- Ansatz: Ich nutze etwas Existierendes, modifiziere es und erzeuge mir etwas Eigenes. Hilfreich ist es außerdem, das Lernen entdeckend zu gestalten, damit sich Teilnehmende die Prinzipien einer Technologie auf spielerische Weise selbst erschließen können. Prinzipiell nimmt die Notwendigkeit und der Bedarf an Bildung und Wissensvermittlung in der sich rasant verändernden Welt zu, auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. Hinzu kommt, dass von den Unternehmen immer häufiger Services statt Produkte verkauft werden, deren Nutzen erklärt werden muss. Sehen Sie damit in der didaktischen Aufbereitung von informationstechnischen Themen eine zukunftsträchtige Karriereoption für Informatiker*innen? Absolut. Das bekomme ich auch in meiner derzeitigen Tätigkeit mit. Wir helfen Partnern oder potenziellen Kunden einerseits dabei, sich das Thema Quanten Computing zu erschließen. Parallel nehmen wir zum Beispiel aber auch an Hackathons teil, um junge Menschen für das Thema zu begeistern. Prinzipiell nimmt der Stellenwert der Wissensvermittlung in vielen Unternehmen zu. Manchmal heißt das dann Customer Education. Es ist festzustellen, dass es dabei weg von einer Produkt- hin zu einer Problemlösungsschulung geht. In dem Bereich gibt es sehr spannende Karriereoptionen, gerade für Leute, die an der Schnittstelle Technik-Mensch arbeiten möchten, die ihr Wissen weitergeben wollen.

karriereführer ingenieure 2.2022 – Megatrend Neo-Ökologie

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Cover karriereführer ingenieure 2-2022

Megatrend Neo-Ökologie

Ist die Zeit des Wirtschaftswachstums vorbei? Neo-Ökologie ist das Schlagwort der Stunde: Statt auf Wachstums- und Profitmaximierung fokussiert sich die Wirtschaft von morgen auf Nachhaltigkeit, Postwachstum und Gemeinwohl. Ingenieur*innen spielen in dieser neuen Ära eine besondere Rolle: Ihre Aufgabe ist es, zukunftsfähige und pragmatische Lösungsansätze zu entwickeln. Ein Beispiel für eine solche Lösung ist der Einsatz von Photovoltaikanlagen, die direkt in Fahrzeuge integriert werden und damit ihre eigene Antriebsenergie erzeugen. Marc Andre Schüler vom Fraunhofer ISE berichtet über den aktuellen Stand dieser Technologien. Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut gibt ebenfalls Anstöße, wie sich die Wandlung in eine nachhaltigere Welt gestalten lässt. Auf jeden Fall brauche es dazu viel Pioniergeist, weil es für die derzeitigen Transformationsprozesse keine Blaupausen gibt.

Megatrend Neo-Ökologie

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Die junge „Generation Global“ fordert ein höheres Tempo bei der Gestaltung einer nachhaltigen Welt. Auf diese Weise entsteht der Trend der Neo-Ökologie, die Wirtschaft und technischen Entwicklungen neuen Sinn gibt: Gemeinwohl statt Wachstum. Ingenieur*innen sind gefragt, für die Umsetzung das Mindset optimistischer Gestalter zu entwickeln. Ein Essay von André Boße

Nachhaltig zu leben und zu wirtschaften ist heute für Individuen und Unternehmen zu einer Lebensaufgabe geworden. Oder, überspitzt formuliert: zu einer Überlebensaufgabe. Es ist offensichtlich, dass Klimakrise, bedrohte Artenvielfalt und Umweltverschmutzung zu Problemlagen führen, die mittlerweile direkt vor unserer Haustür erkennbar sind. Ein Blick auf die Themen des Sommers 2022 bestätigt das: Dürre und Hitze in fast ganz Europa, in der Folge Waldbrände, Wassermangel und Flüsse mit rekordverdächtigen Niedrigständen – und das alles ein Jahr nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands. Dazu die Umweltkatastrophe in der Oder, wo mutmaßlich eine Kombination aus warmen Außentemperaturen und Wasserverschmutzung zu einem Fischsterben nicht gekannten Ausmaßes führte. Hinzu kommt noch die Energiekrise, die deshalb eine so große Wucht annimmt, weil Deutschland trotz des Beschlusses einer Energiewende vor mehr als zehn Jahren weiter abhängig von der Lieferung fossiler Brennstoffe ist.

Nachhaltigkeit ist zentraler Wirtschaftsfaktor

Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit avancieren zunehmend vom individuellen Lifestyle und Konsumtrend zur gesellschaftlichen Bewegung.
Im Zuge dieser Entwicklungen hat sich die Nachhaltigkeitsdebatte verändert. „Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit avancieren zunehmend vom individuellen Lifestyle und Konsumtrend zur gesellschaftlichen Bewegung – und zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor, der alle unternehmerischen Sphären beeinflusst“, formulieren die Trendforscher*innen vom Zukunftsinstitut auf ihrer Homepage in einem Aufsatz, der sich dem Megatrend Neo-Ökologie widmet. Dieser etabliere ein neues Werte-Set, das in jeden Bereich unseres Alltags hineinreiche: „Das Nachhaltigkeitsparadigma reprogrammiert die Codes der globalen Gesellschaft, der Kultur und der Politik – und richtet unternehmerisches Handeln sowie das gesamte Wirtschaftssystem fundamental neu aus.“ Interessant ist hier der Begriff „Werte-Set“: Behalten die Expert*innen vom Zukunftsinstitut Recht, dann ist erstmals in der Geschichte des Kapitalismus nicht mehr permanentes Wachstum der bestimmende Sinn des wirtschaftlichen Handelns: „Statt auf Wachstums- und Profitmaximierung fokussiert die Wirtschaft von morgen auf Nachhaltigkeit, Postwachstum und Gemeinwohl.“

Generation Global für eine bessere Welt

Welche demografische Gruppe die Treiberin dieses Paradigmenwechsels sein wird, macht das Zukunftsinstitut sehr klar: „Die nachwachsende Generation prägt ein neues globales Mindset.“ Für sie stellten Sinn sowie sozialer Mehrwert elementare Kriterien dar, mit dem Ziel, als „Generation Global“ eine nachhaltigere, gerechtere Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten.

Quantentechnologie: kurz erklärt

Die Grundsätze der Quantenphysik entstanden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Kanon der Theorien ist die Quantenphysik ein alter Hut, ihre Gesetze begegnen uns im technischen Alltag ständig: als GPS-Systeme oder bei modernen Augenoperationen, in Smartphone-Displays oder CD-Spielern. Während normale Computer mit Bits arbeiten, die entweder den Zustand null oder eins annehmen, arbeiten Quantencomputer mit Qubits, die ebenfalls Zustand null oder eins annehmen können, darüber hinaus aber auch alle anderen Zustände dazwischen. Und zwar nicht der Reihe nach, sondern in einem einzigen Moment. Man nennt diese Fähigkeit Superposition. Und noch eine zweite bemerkenswerte Eigenschaft bringen Quanten mit: Selbst wenn Teilchen räumlich getrennt werden, bleiben sie doch miteinander verschränkt. Kombiniert man die beiden Eigenschaften Verschränkung und Superposition, ergibt sich eine Vorstellung davon, wie gigantisch die Rechenleistung eines Quantencomputers ist: Aufgaben, die ein klassischer Computer Schritt für Schritt durchrechnen muss, erledigen Qubits parallel.
Welche Rolle nehmen dabei die Ingenieur*innen der nachwachsenden Generation ein? In der 2022 veröffentlichten „Dokumentation Megatrends“, die sich intensiv den zentralen Entwicklungen widmet, beschreiben die Autor*innen vom Zukunftsinstitut eine Fähigkeit, die die Arbeit der Ingenieur*innen in Zukunft prägen werde: „positiver Pragmatismus“. Es gehe schon heute nicht mehr um Verzicht und schlechtes Gewissen, sondern um „zukunftsfähige und pragmatische Lösungsansätze, die Mensch und Technik nicht als Problem, sondern als Schlüssel für eine neo-ökologische Zukunft sehen“. Verfolgt man diesen Gedanken weiter, dann steht Green Tech nicht mehr für eine zwar nachhaltige, aber teurere und komplizierte ökologische Alternative zu herkömmlichen Techniken, sondern schlicht und einfach für die bessere Lösung. Konkrete Beispiele aus der Praxis gibt es bereits heute genug. So stehen Ingenieur*innen vor der Herausforderung, die Mobilität sowie die Energieversorgung zu dekarbonisieren, mit Hilfe von Elektrizität, erzeugt von erneuerbaren Energien, sowie von chemischen Prozessen wie der Nutzbarmachung von Wasserstoff in Brennstoffzellen. Eine weitere Schlüsselaufgabe ist es, die Wirtschaft mit technischen Entwicklungen zu einer „Circular Economy“ umzustellen – weg von der Ressourcenausbeutung, hin zur Verwendung in Kreisläufen.

Energiekrise fördert Innovationen

Dass diese nachhaltigen Ziele in der neuen Ära der NeoÖkologie nicht nur einem Zeitgeist entsprechen, sondern zur Notwendigkeit werden, zeigt ein Thema, dass seit Monaten die Nachrichten bestimmt: die Energieversorgung. Heizen mit Gas und Öl war viele Jahrzehnte lang in Deutschland Normalität. Nicht, weil diese Systeme zwangsläufig die besten waren – schon gar nicht mit Blick auf die Öko-Bilanz. Sondern, weil es nun einmal der günstigste Weg war, die Wohnungen zu heizen – wobei diese Sichtweise die Folgeschäden der fossilen Verbrennung komplett ausgeblendet hat. Durch die Energiekrise, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, verliert plötzlich das ökonomische Argument jegliche Kraft. In der Folge gibt es einen Innovationsschub: Ingenieur*innen entwickeln unter Hochdruck moderne Heizungsanlagen, die effizienter denn je mit Holzpellets, Solarthermie, Photovoltaik oder grünem Wasserstoff betrieben werden können.

Quantentechnologie – der nächste Schritt

Von der Heizung zur Quantentechnik ist es ein großer Sprung. Was beide Themen jedoch gemeinsam haben, ist die gegenwärtige Innovationsdynamik. Den Entwickler*innen gelingen im Feld der Quanten mittlerweile erstaunliche Fortschritte, was dazu führt, dass diese Zukunftstechnologie für immer mehr Unternehmen zum Thema wird. Die internationale Studie „Quantum technologies: How to prepare your organization for a quantum advantage now“ der Beratungsgesellschaft Capgemini (siehe oben) hat im März 2022 festgestellt, dass aktuell 23 Prozent der befragten Unternehmen an der Nutzung der Quantentechnologie arbeiten oder beabsichtigen, dies zu tun. „Sie rechnen mit mindestens einer größeren kommerziellen Anwendung innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre“, heißt es in der Studienzusammenfassung auf der Capgemini-Homepage. Darüber hinaus planten 20 Prozent der Unternehmen, ihre Investitionen in diese Technologien im nächsten Jahr zu erhöhen. „Die jüngsten Durchbrüche bei Quantentechnologien werden in den nächsten fünf Jahren eine neue Ära für Computing, Sensoren und Cybersicherheit einläuten“, wird Iftikhar Ahmed, deutscher Ansprechpartner für das auf Quantentechnologie spezialisierte internationale Entwicklungslabor Q-Lab von Capgemini, zitiert. Nachdem die Finanzbranche ein Vorreiter gewesen sei, zeige sich aktuell „in der Automobilindustrie eine große Dynamik“.

Einsatzbereiche Quantentechnologie

Die Capgemini-Studie „Quantum technologies: How to prepare your organization for a quantum advantage now“ definiert drei Felder, in denen die Quantentechnologie Umsetzungen erfährt. In einer Pressemeldung der Beratungsgesellschaft werden sie wie folgt zusammengefasst: * Quantencomputing hat von allen Quantendisziplinen das größte Potenzial, ist aber zugleich die am wenigsten ausgereifte. Das Entwicklungstempo hat aber zugenommen. Im Schnitt glaubt die Mehrheit der Organisationen, die auf diesem Gebiet arbeiten, dass die ersten kommerziellen Anwendungen fünf Jahre entfernt sind. * Quantenkommunikation besitzt das Potenzial, den Informationsaustausch mit externen Organisationen sicherer zu machen, sodass höchste Standards erfüllt werden. Quantenkryptografische Lösungen werden bereits eingeführt, allerdings wartet die Mehrheit auf die Definition von Standards, bevor sie dem Thema Priorität einräumt. * Quantensensorik ist bereits ausgereifter: „Je kleiner, energieeffizienter und preiswerter Sensoren werden, umso mehr könnten sie in allen Branchen eine transformative Rolle spielen.“ So könnten Quantensensoren die Messgenauigkeit erhöhen – insbesondere in der medizinischen Diagnostik und Versorgung, im Verteidigungssektor, in der Automobilindustrie, im Bauwesen, in der Öl- und Gasindustrie, der Raumfahrt sowie der Telekommunikation.

KI im Ingenieur-Alltag?

Aber aufpassen vor zu viel Optimismus bei Zukunftstechnologien: Das Beispiel Künstliche Intelligenz (KI) zeigt, dass das erhoffte nicht zwingend dem realen Tempo entspricht. Ein Statusreport des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) über „Künstliche Intelligenz im Ingenieuralltag“ belegt die schleppende Geschwindigkeit der Umsetzung in der unternehmerischen Praxis. Der überwiegende Teil der befragten Ingenieur*innen gab an, „dass das eigene Unternehmen noch keine KI-basierten Produkte oder Dienstleistungen anbietet“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Unternehmen, die bei einer Umfrage im Jahr 2018 noch große Erwartungen und Pläne an die KI formuliert hatten, ruderten bei der neuen Umfrage vier Jahre später zurück. „Die Prognosen aus der letzten Umfrage im Jahr 2018 erfüllen sich nicht“, heißt es in der Studie. „Die seinerzeit geäußerten Erwartungen im Hinblick auf die Nutzung von KI-Methoden sind signifikant nicht erreicht worden. Unter dem Strich ergibt sich ein ernüchterndes Bild darüber, welchen aktuellen Stellenwert KI-Methoden im Alltag von Ingenieurinnen und Ingenieure tatsächlich haben.“ Woran liegt’s? Zum einen, schreiben die Autor*innen in der Studie, werde der Einsatz von KI in den Unternehmen noch zu selten als „durchgängiges Ziel“ kommuniziert. Es fehlten „Leitplanken“ bei der Umsetzung. Dadurch besteht die Gefahr, dass die KI bis auf Weiteres Zukunftstechnologien bleiben, um die man sich morgen kümmert – aber eben noch nicht heute. Zudem fehle in vielen Fällen die Datenmenge, um KI-Modelle erstellen zu können. Aber auch die Ingenieur*innen selbst hätten häufig noch kein passendes Denkmuster entwickelt. „KI-Methoden erfordern eine Ergänzung der üblichen Denkweise von Ingenieurinnen und Ingenieuren, um die Wirkzusammenhänge in Prozessen vollständig zu durchdringen“, schreiben die Autor*innen der VDI-Studie. „Es muss ein ‚Vertrauen‘ in KI-Methoden entwickelt werden, ohne die Zusammenhänge zunächst physikalisch vollständig durchdrungen zu haben. Dies bedeutet einen Verlust an Tiefe mit dem Gewinn an Umsetzungsgeschwindigkeit.“

Wandel ist möglich

Sprich: Tempo ist gefragt. Und die junge Generation hat genau das zu bieten: „Die Antriebskraft der Generation Global speist sich nicht zuletzt aus der Erfahrung, dass Veränderung möglich ist“, heißt es im Aufsatz des Zukunftsinstituts zum Megatrend Neo-Ökologie. „Diese Generation hat erlebt, wie ihr Anliegen, den Klimawandel zu stoppen, innerhalb von Wochen zur globalen Bewegung wurde – Millionen Jugendliche demonstrierten rund um den Globus für die Rettung der Erde vor einem brutalen Klimawandel.“ Übertragen auf die Zukunftstechnologien: Fehlt der jungen Generation die Umsetzungsgeschwindigkeit, kann sie diese einfordern. Geht nicht gibt’s nicht: Ein Klassiker unter den geflügelten Ingenieursworten erhält damit eine neue Dringlichkeit. Schließlich geht es heute nicht mehr nur um gute Jobs und erfolgreiche Karrieren – sondern um die Zukunft der jungen Generation.

VDI-Studie: KI-Kenntnisse sind gefragt

Für den VDI-Statusreport „Künstliche Intelligenz im Ingenieuralltag“ haben die Studienleiter Ingenieur*innen gefragt, wie sie ihre Rolle bei der Umsetzung von KI-Systemen in Unternehmen betrachten. Hohe Zustimmungswerte gab es bei den Aussagen, dass das Ingenieurwesen nur zusammen mit der Informatik die anstehenden Herausforderungen lösen kann, wobei die Ingenieur*innen hier die Aufgabe übernehmen, die Anbindung der technischen Systeme an den realen Prozess zu verantworten.