Die CEO-Mom Alicia Lindner im Interview

Alicia Lindner hat drei Kinder – und ist Co-CEO des Naturkosmetikherstellers Börlind, gegründet von ihrer Großmutter. Zwei Vollzeitjobs – was automatisch zu einer gewissen Zerrissenheit führt, wie die Unternehmerin im Interview zugibt. Sie erzählt, wie es ihr gelingt, mit dieser Zerrissenheit umzugehen, argumentiert, warum sie kein Vorbild sein mag, und macht klar, was sie von Working Moms hält. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Nach einem Bachelor- und einem Master-Studium sowie ersten praktischen Berufserfahrungen bei einer führenden Markenstrategie-Beratung ist Alicia Lindner 2014 ins Familienunternehmen Börlind eingestiegen. Seit 2017 verantwortet sie als geschäftsführende Gesellschafterin den nationalen und internationalen Vertrieb. Auch die Finanzbuchhaltung und das Controlling zählen zu ihrem Wirkungsbereich. Die Unternehmensführung teilt sie sich mit ihrem Bruder Nicolas. Alicia Linder ist Mutter von zwei Töchtern und einem Sohn. Das „Handelsblatt“ wählte sie auf die Liste „Top 50 Female Entrepreneur“, das Magazin „Capital“ nahm sie ins Manager*innen-Ranking „Top 40 under 40“ auf. Die Nominierung zum German Diversity Award 2022 unterstreicht Alicia Lindners Diversitätsengagement. Die Auszeichnung zu den „Top 100 Women for Diversity“ durch die Beyond Gender Agenda bestätigt dies nochmals im Februar 2023. Ganz aktuell zählt das Wirtschaftsmagazin Markt und Mittelstand in seiner Ausgabe März 2023 Alicia Lindner zu den „100 wichtigsten Frauen im Mittelstand“.
Frau Lindner, Ihre Großmutter Annemarie Lindner gründete 1959 gemeinsam mit ihrem Mann Walter sowie ihrem damaligen Geschäftspartner Hermann Börner die Börlind GmbH mit ihrer Marke „Annemarie Börlind Natur-Hautpflege“. Welcher Leitsatz Ihrer Großmutter bedeutet Ihnen bis heute etwas? Meine Großmutter hat mir gesagt, wie wichtig es ist, den Kundinnen und Kunden nahe zu sein und selbst „am Regal“ zu verkaufen. Das beherzige ich, indem ich selbst draußen unterwegs bin. Ab einem bestimmten Karrierelevel ist man versucht, die Welt und den unternehmerischen Erfolg in Zahlen und Tabellen zu erklären. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Kundinnen und Kunden sagen einem deutlich klarer, warum etwas läuft – und vor allem: warum nicht. Das von Ihrem Bruder und Ihnen geleitete Unternehmen hat zuletzt 60 Millionen Euro umgesetzt, das Ziel sind dreistellige Millionenumsätze. Hand aufs Herz, sind diese vielen Millionen für Sie irgendwie greifbar? Klar. Wenn man die vielen Millionen Euro in Cremetöpfchen umrechnet, dann wird’s klarer. (lacht) Abseits der Umsätze: Welches übergeordnete Ziel verfolgen Sie als Unternehmerin? Ich finde, dass arbeitenden Müttern in der Arbeitswelt oft unrecht getan wird. Berufstätige Mütter haben Superkräfte, von denen alle profitieren, die Familien, die Unternehmen, die Gesellschaft. Working Moms zu fördern ist daher mein Ziel als Unternehmerin. Wie gelingt es Ihnen, im Unternehmen eine Art von Mentorin und vielleicht sogar Vorbild zu sein, wie Ihre Großmutter es für Sie war? Ich versuche, kein Vorbild zu sein. Warum nicht? Ich glaube, Vorbilder werden schnell verklärt und idealisiert. Ich will ein Mensch mit Fehlern und Schwächen bleiben dürfen. Gibt es im Unternehmen konkrete Maßnahmen, die Sie mit Blick auf die Karrierewege von Frauen eingeführt haben und bei denen Sie dachten: „Seltsam eigentlich, dass da vorher noch niemand draufgekommen ist?“ Ich bin in einem sehr emanzipierten und frauenfreundlichen Umfeld aufgewachsen. Für mich ist es selbstverständlich, dass Frauen die gleichen Chancen wie Männer besitzen. Das scheint aber auch weiterhin für viele nicht so selbstverständlich zu sein. Das zu verändern, daran arbeite ich, zum Beispiel viel bei LinkedIn, wo ich mit meinen Beiträgen versuche, den Wandel zu beschleunigen.
Für mich ist es selbstverständlich, dass Frauen die gleichen Chancen wie Männer besitzen. Das scheint aber auch weiterhin für viele nicht so zu sein. Das zu verändern, daran arbeite ich.
Sie leiten das Unternehmen zusammen mit Ihrem Bruder – was sind die großen Vorteile dieses Co-CEO-Modells, und wo liegen die Herausforderungen des Prinzips? Der größte Vorteil ist: Wir sind nie allein! Wir tragen die vielen Verantwortungen immer zusammen. Wobei wir natürlich auch die großen Freuden miteinander teilen. Eine Herausforderung ist sicherlich das Konfliktpotenzial, das sich ergibt, wenn zwei Menschen als gleichberechtigte CEOs ein Unternehmen leiten. Bei uns funktioniert das aber vor allem deshalb gut, weil wir uns beide gegenseitig zu schätzen wissen.
Alicia Lindner, Foto: Sven Cichowicz
Alicia Lindner, Foto: Sven Cichowicz
In Ihrem Unternehmen arbeiten Menschen verschiedener Generationen. Häufig wird versucht, diese Altersgruppen durch Generationen-Begriffe auseinanderzudividieren. Daher die Frage: Was eint die Menschen, die für Börlind tätig sind? Ich halte nichts von diesem Generationen- Bashing. Da werden viele Unterschiede erst herbeigeredet. Wir möchten einen Job haben, in dem wir als Menschen gesehen werden. Wir möchten, dass wir bei unserer Arbeit für das wertgeschätzt werden, was wir tun. Dafür, unabhängig von der Generation, der man angehört, eine Kultur zu schaffen, das ist mir wichtig. Sie haben einmal gesagt, Mutter zu sein und Karriere zu machen – das gehe nicht ohne Zweifel. Wie gehen Sie mit diesen Zweifeln um? Stimmt, es gibt diese ewige Zerrissenheit zwischen diesen beiden Rollen. Es bringt auch nichts, das zu ignorieren. Ich versuche mir daher zu jeder Zeit klarzumachen, dass diese Zerrissenheit nun einmal Fakt ist, wenn man zwei Vollzeit-Jobs ausübt. Wobei diese Zerrissenheit bei mir auf keinen Fall dazu führt, dass ich in einem meiner Jobs ein Motivationsproblem hätte. Das Gegenteil ist der Fall, was manchmal zu dem Gefühl führt, dass ich zeitweise beiden Vollzeitjobs nicht ganz gerecht werde.
Ich finde, dass arbeitenden Müttern in der Arbeitswelt oft unrecht getan wird. Berufstätige Mütter haben Superkräfte, von denen alle profitieren, die Familien, die Unternehmen, die Gesellschaft.
Wie lösen Sie dieses Gefühl auf? Über eine Erwartungsklärung in beiden Bereichen. Klingt unsexy, hilft aber total. Welche Sache, die Sie schon länger gestört hat, haben Sie zuletzt in Eigeninitiative geändert? Ich ärgere mich oft über die lokale Politik. Also will ich mich bei der nächsten Wahl in den Gemeinderat wählen lassen. Was hindert Menschen eigentlich daran, Dinge zu ändern, die sie abbremsen? Das Individuum denkt oft, dass es selbst das einzige ist, das sich an einem bestimmten Problem stört. Und dass die anderen bestimmt mehr wissen – und das Problem deshalb nicht ansprechen oder verändern. Wir Menschen sind aber Herdentiere. Wenn wir das verstehen, werden uns unendliche Möglichkeiten für Verbesserungen im Kleinen und Großen plötzlich klar. Dann muss man diese nur noch umsetzen.

Zum Unternehmen

Als deutscher Naturkosmetikhersteller aus dem Schwarzwald ist Börlind zu einer globalen Marke geworden. Die Produkte des Unternehmens werden in über 40 Ländern weltweit angeboten. Neben dem europäischen Hauptmarkt sind Asien und Nordamerika wichtige Märkte in Übersee. Gegründet wurde die Firma Börlind GmbH 1959 von Annemarie Lindner gemeinsam mit ihrem Mann Walter sowie ihrem damaligen Geschäftspartner Hermann Börner. Der Name des Unternehmens setzt sich aus den Familiennamen Börner und Lindner zusammen. Für ihre Lebensleistung wurde Annemarie Lindner, die das Unternehmen bis 1985 leitete, mit dem Natural Legacy Award, dem „Oscar“ der amerikanischen Naturwarenbranche, ausgezeichnet. Nachdem ab 1985 ihr Sohn Michael Lindner die Geschäfte führte, übernahm 2020 mit Alicia und Nicolas Linder die dritte Generation die Geschäftsführung.

Eintauchen

Was ist eigentlich „Emotionale Künstliche Intelligenz“?

Kenza Ait Si Abbou ist Managerin für Robotik und Künstliche Intelligenz, Speakerin und Autorin. Für ihre Arbeit an der Schnittstelle zwischen Technik und Gesellschaftspolitik wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Digital Female Leader Award sowie dem Deutschen Demografie Preis 2022. Im März ist ihr neuestes Buch erschienen: Menschenversteher – Wie Emotionale Künstliche Intelligenz unseren Alltag erobert (Droemer 2023, 20 Euro). Wir haben sie gefragt, was sich hinter dem Begriff „Emotionale Künstliche Intelligenz“ verbirgt: „Emotionale Künstliche Intelligenz ist ein Forschungsbereich, bei dem es darum geht, dass Maschinen lernen, unsere menschlichen Emotionen zu erkennen, analysieren und auf sie zu reagieren“, erklärt Kenza Ait Si Abbou. „Momentan handelt es sich bei Emotionalen Künstlichen Intelligenzen, die bereits angewendet werden, häufig um Chatbots. Chatbots, die zum Beispiel mit Sentiment Analysis ausgestattet sind, können nicht nur Informationen wiedergeben, sondern auch auf menschliche Befindlichkeiten eingehen.“

 Ausgezeichnet: App bindet Mitarbeiter*innen in digital-ethische Fragestellungen ein!

Wie können Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen in digital-ethische Fragestellungen einbinden? Ein weibliches Studierendenteam der TU München hat als „Team WeledaVerse“ eine App dafür entwickelt. Das Konzept wurde bei der Digital Future Challenge 2022/2023, einem bundesweiten Hochschulwettbewerb zur Corporate Digital Responsibility, mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Die von den Studierenden vorgeschlagene App besteht aus vier Funktionen, die darauf abzielen, die Entscheidungsfindung innerhalb eines Unternehmens zu verbessern: Learning, Diskussionsfunktion, Instagram-ähnliches Like-System und Echtzeit-Datenanalyse. Die App bindet Mitarbeitende in digital-ethische Fragestellungen ein und bietet über einen spielerischen Ansatz Mitgestaltungsmöglichkeiten. Die Digital Future Challenge (DFC) ist ein gemeinsames Projekt der Initiative D21 und der Deloitte-Stiftung.

Bioökonomie-Start-up entwickelt Kunststoff-Alternative

Das von der Ingenieurin Anne Lamp mitgegründete Bioökonomie-Start-up Traceless hat ein natürliches Material als Ersatz für Kunststoffe entwickelt, das auf pflanzlichen Reststoffen wie zum Beispiel Getreideresten basiert. Ihr Unternehmen will damit zur Lösung der globalen Plastikverschmutzung beitragen. Das rund 30-köpfige Team hat bereits eine erste Pilotanlage zur Materialproduktion errichtet. Mit dem Ziel, Kunststoffe bald in großen Mengen zu ersetzen, werden die Produktionskapazitäten weiter ausgebaut. Parallel werden ersten Pilotprodukte entwickelt, unter anderem mit dem E-Commerce-Unternehmen Otto und der Fluggesellschaft Lufthansa. Für seine innovativen Lösungen wurde das Unternehmen mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Gründerpreis, dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis/Next Economy Award, und es wird von der EU gefördert.

„Wer Karriere machen wird, agiert nicht gegen andere, sondern gewinnt sie für einen gemeinsamen Erfolg.“

In jeder Karrierephase brauchen Menschen Sichtbarkeit und Einfluss für ihre Interessen. So einfach ist das. Und gleichzeitig so schwer, weil es viele Vorstellungen davon gibt, wie Karrieren gelingen. Darunter sind Karrieretipps, die Karriere-KILLER-Mythen sind. Welche Karrierestrategien wirken, zeigen Dorothea Assig und Dorothee Echter in ihrem neuen Buch – und hier in ihrem Gastbeitrag.

Wer Erfolg will, braucht Kontextbewusstsein

Karrieren werden von anderen freiwillig gefördert – oder gar nicht. Diese Freiwilligkeit herzustellen, das bewirken Karrierestrategien, also das grundsätzliche Wohlwollen ambitionierter Menschen, die ebenfalls nach Einfluss streben. Wer erfolgreich sein will, handelt im Kontext der Verbundenheit, eigene Interessen werden in andauernden Prozessen mit den Wünschen anderer austariert. Diese Menschen fallen anderen nicht auf die Nerven, sondern suchen auf wertschätzende Weise Gemeinsamkeit und Gefolgschaft. Durchsetzungsstrategien eignen sich dafür nicht. Menschen werden damit nicht als einflussreiche Autorität oder als Erfolgsversprechen gesehen, sondern als ohnmächtiger Einzelgänger oder Außenseiterin, somit als ungeeignet für anspruchsvollere Aufgaben. Von ambitionierten Menschen, die nach Einfluss streben, und von Führenden wird erwartet, dass sie Menschen für ihre Überzeugung gewinnen können, – auch gegen Widerstände, auch in schwierigen Situationen, auch wenn nicht unmittelbar alle begeistert sind, auch wenn der Rückenwind der Chef*innen einmal ausbleibt.

Müssen alle Widrigkeiten passiv ertragen werden?

Nein, es braucht ein wirksames Repertoire, um Situationen und Personen beeinflussen zu können. Durchsetzung gehört nicht dazu, auch nicht Erpressung („sonst gehe ich“), nicht einmal Höchstleistung. Einfluss ist der Hebel. Er wird verhandelt, jeden Tag, jede Stunde. Implizit durch Nähe und Wohlwollen. Einfluss ist auf allen Ebenen möglich, auch wenn jemand nicht über positionelle Macht verfügt. Beispiel: Wenn Sie Meinungsführer*in sind, weil Sie mit vielen wichtigen Personen aus verschiedenen Feldern im freundlichen Kontakt sind, gelten Sie als Autorität, auf Sie wird gehört.

Einfluss hat nichts mit Leistung zu tun und alles mit Nähe

Wer nicht die Nähe zu den entscheidenden Personen besitzt, kann noch so gut sein, und doch gerät die vielversprechende Karriere ins Stocken. Höchstleister und herausragende Könner*innen bleiben dann da, wo sie sind, denn dort ist ihre Expertise erwiesen und gut verortet – was schon viele ambitionierte Menschen mit großartigen Leistungsbeweisen zur Verzweiflung getrieben hat. Erfolgsbeweise und geniale Vorschläge nerven Entscheider*innen, sie kämen niemals durch den Tag, wenn sie jedem einzelnen Anliegen nachgehen würden. Wenn Nähe da ist, greifen sie dann gerne irgendwann die eine oder andere fachliche Idee auf, die absichtslos und doch strategisch ins Gespräch gestreut wurde. Erfolgreiche Menschen agieren nicht gegen andere, sondern gewinnen sie für einen gemeinsamen Erfolg.
Cover Eines Tages Assig + Echter sind Beraterinnen für das internationale Topmanagement, herausragende Persönlichkeiten und ambitionierte Organisationen. Ihre Erkenntnisse teilen Assig + Echter in Vorträgen, Seminaren und Fachzeitschriften. sowie in ihren Büchern:
  • AMBITION. Wie große Karrieren gelingen (Campus Verlag)
  • FREIHEIT für Manager. Wie Kontrollwahn den Unternehmenserfolg verhindert (Campus Verlag)
  • NEU: „Eines Tages werden sie sehen, wie gut ich bin!“ Wie Karrieremythen Ihren Erfolg blockieren und Sie dennoch weiterkommen (Ariston Verlag).

Chiara De Ferrari: Technical Project Leader bei Comau

„Hi! Ich bin Chiara. Ich bin Maschinenbauingenieurin und arbeite als Technical Project Leader bei Comau Deutschland in Stuttgart. In meiner Freizeit mache ich viel Sport – am liebsten gehe ich rudern, das ist eine Familientradition und seit vielen Jahren meine große Leidenschaft.“ Aufgezeichnet von Kerstin Neurohr

In Deutschland haben sich laut Statistischem Bundesamt im akademischen Jahr 2021 nur 307.000 Studierende für ein MINT-Fach (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) entschieden. Das sind 6,5 Prozent weniger als 2020. Auch die Zahl der Studierenden in MINT-Fächern ist im Wintersemester 2021/22 erstmals seit 2007 auf 1,09 Millionen Studierende, also 1,0 Prozent weniger als im vorherigen Wintersemester, gesunken. Das gilt insbesondere für die Anzahl der Frauen. Im vergangenen Sommer stellte das UNESCO-Institut für Statistik (UNESCO Institute for Statistics, UIS) seinen Wissenschaftsbericht Women and Science vor, aus dem hervorgeht, dass Frauen mit einem Anteil von rund 30 Prozent in der Forschung weltweit vertreten sind und weniger als ein Drittel der weiblichen Studierenden sich für ein universitäres Studium der Mathematik und Ingenieurwissenschaften entscheiden. Diese Diskrepanz ist erheblich und wirkt sich auf die Arbeitswelt und die gesamte Gesellschaft aus. Als Maschinenbauingenieurin finde ich das wahnsinnig schade – mein Beruf ist so spannend, herausfordernd und abwechslungsreich. Als Technical Project Leader bei Comau Deutschland bin ich dafür verantwortlich, den Kund*innen die technisch und mechanisch am besten geeigneten Lösungen für ihre Bedürfnisse zu präsentieren. Dabei fungiere ich als Schnittstelle des Unternehmens zu den Kund*innen und bin auch diejenige, die den Brückenschlag zwischen dem Ingenieurteam und den Kund*innen bildet. Das erfordert nicht nur technisches Fachwissen, sondern auch gute Kommunikationsfähigkeiten.
Ich schätze an meiner Arbeit ganz besonders, dass sie viel Kreativität erfordert – auch wenn es vielleicht so aussehen mag, als ginge es nur um technische Inhalte und festgelegte Verfahren.
Mittlerweile betreue ich vor allem Projekte zu Produktionslinien von Elektroautos, weil sich der Markt immer mehr in diese Richtung bewegt. Ich schätze an meiner Arbeit ganz besonders, dass sie viel Kreativität erfordert – auch wenn es vielleicht so aussehen mag, als ginge es nur um technische Inhalte und festgelegte Verfahren. Ich habe es mit Blechteilen und Schweißanlagen zu tun, aber wenn die Teile bei mir eintreffen, muss ich auch ein wenig Fantasie aufwenden, um zu verstehen, wie ich sie formen muss, um die richtige Lösung für dieses Projekt zu finden. Als ich mich für mein Studium und meinen Sport entschieden habe, dachte ich nie, dass sie für mich als Frau nicht geeignet sind. Für mich war das normal, ich hatte Fähigkeiten und habe diese entwickelt. Dennoch: An der Universität war ich oft die einzige Frau im Hörsaal, und auch heute noch habe ich oft nur männliche Gesprächspartner. Ich wünsche mir, dass sich das ändert und mehr weibliche Personen Zugang zu MINT-Fächern bekommen, und zwar bereits in der Schule. Unsere Branche kann hier viel beitragen. Comau hat beispielsweise ein Projekt entwickelt, um Kindern und Schüler*innen auf unterhaltsame Weise naturwissenschaftliche Fächer näherzubringen: Das Unternehmen bringt e.DO, einen kleinen Roboter, in verschiedene Schulen. Damit können Schüler*innen jeden Alters die Grundlagen oder fortgeschrittenen Methoden der Robotertechnik erlernen und ausprobieren und die häufigsten Programmiersprachen ausprobieren. Solche Projekte können dazu beitragen, mehr und mehr Kinder an naturwissenschaftliche Fächer heranzuführen.

Blickpunkt: Pionierinnen

Sie kämpften in einer männlich dominierten Gesellschaft für ihre Überzeugungen, setzten sich an die Spitze der technischen und künstlerischen Innovation und prägten den Verlauf der Geschichte mit ihren Ideen. In unserer Pionierinnen-Reihe stellen wir Frauen vor, die mit ihrem Mut und ihrem Durchsetzungsvermögen den Weg zur Gleichberechtigung geebnet haben. Von Kerstin Neurohr

Emmy Noether (1882 – 1935) Mathematikerin

Sie war die herausragendste Mathematikerin des 20. Jahrhunderts – und musste sehr darum kämpfen, ihren Weg gehen zu können, denn ein solcher Werdegang war für Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts nicht vorgesehen. Emmy Noether, Tochter eines Mathematikprofessors musste sehr dafür kämpfen, Abitur machen zu dürfen, studieren und sogar promovieren zu können. Mit einer Ausnahmeregelung gelang es ihr, in Göttingen zu habilitieren. Sie leitete Lehrveranstaltungen und wurde zuerst gar nicht bezahlt, später erhielt sie ein geringfügiges Gehalt. Dennoch arbeitete und forschte sie weiter, wurde zur Pionierin der modernen Algebra. Sie war an der Universität höchst angesehen, Studierende aus der ganzen Welt nahmen ihre als „begriffliche Mathematik“ bezeichnete Herangehensweise auf. 1928/29 ging sie als Gastprofessorin nach Moskau, 1930 nach Frankfurt am Main. Als Jüdin wurde Emmy Noether 1933 von den Nazis der Universität verwiesen. Sie ging in die USA, lehrte am Women‘s College Bryn Mawr und in Princeton. 1935 erkrankte sie und starb nach den Komplikationen einer Operation.

Melitta Bentz (1873 – 1950) Unternehmerin und Erfinderin des Kaffeefilters

Cappuccino und Flat White kannte sie noch nicht, aber guter Kaffee war für Melitta Bentz schon um die Jahrhundertwende ein großes Thema. Damals wurde der Kaffee einfach in der Kanne aufgegossen und der Kaffeesatz mit in die Tasse gegossen, oder es wurden Trichter mit Stoff ausgelegt und so gefiltert – zu unhandlich, befand Melitta Bentz und begann zu experimentieren. Sie schlug Löcher in den Boden einer Konservendose und legte das Löschpapier aus dem Schulheft ihres Sohnes Willy hinein. Voilà, das war der Vorläufer des Kaffeefilters, wie er bis heute verwendet wird. Im Juni 1908 erteilte das kaiserliche Patentamt in Berlin Gebrauchsmusterschutz für den Filter und Melitta Bentz gründete in ihrer Geburtsstadt Dresden das Unternehmen M. Bentz, das schnell wächst. Geschickt manövriert Melitta Bentz die Firma durch die Jahre des ersten Weltkriegs und zieht 1929 damit nach Minden/ Ostwestfalen. Heute hat die Melitta Unternehmensgruppe Bentz KG 6.000 Beschäftigte und ist international tätig.

Patricia Lee „Patti“ Smith (*1946) Musikerin, Lyrikerin, Fotografin und Malerin

Sie gilt als Godmother of Punk, ist überaus vielseitig, sehr politisch und eine Ikone der Frauenbewegung. Die 76-jährige ist weiterhin aktiv und präsent, so geht sie im Juni auf Europa-Tournee und spielt auch zwei Konzerte in Deutschland. Patti Smith wird in Chicago geboren, ihre Eltern gehören den Zeugen Jehovas an. Mit 16 verlässt sie die Schule und arbeitet in einer Fabrik, mit 18 bekommt sie ein Kind, das sie zur Adoption freigibt. Patti Smith zieht nach New York, wo sie 1967 den Künstler Robert Mapplethorpe kennenlernt, der später als Fotograf Berühmtheit erlangt. Die beiden werden ein Paar und leben mehrere Jahre zusammen. Patti Smith veröffentlicht mehrere Gedichtbände und 1975 ihre erste LP, der schnell weitere folgen – 1978 erscheint Easter, ihr kommerziell erfolgreichstes Album mit der Single Because the Night aus einer Zusammenarbeit mit Bruce Springsteen. Patti Smith legt sich nicht auf ein Genre fest, sondern kombiniert bei ihren Auftritten Musik, Lyrik und performative Elemente. Auch als Fotografin ist sie erfolgreich, ihre Bilder werden weltweit in Ausstellungen gezeigt. www.instagram.com/thisispattismith

Michelle Yeoh (*1962) Schauspielerin

Im März 2023 hat sie den Oscar in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin gewonnen – als erste Schauspielerin asiatischer Abstammung war sie dafür überhaupt nominiert. Für ihre Rolle in Everything Everywhere All at Once erhielt sie schon zuvor vielfältige Nominierungen und Auszeichnungen, unter anderem für den Golden Globe. Michelle Yeoh, geboren in Malaysia, lernte schon als Kind diverse Sportarten, machte Ballett und spielte Klavier. Mit 15 zog sie nach England und arbeitete an einer Karriere als Tänzerin, doch nach einer schweren Verletzung musste sie sich neu orientieren und machte ihren „Creative Arts“ mit dem Nebenfach Schauspiel. 1983 wurde sie zur Miss Malaysia gewählt, kurz darauf drehte sie die ersten Werbespots, Spielfilme folgten. Michelle Yeoh trainierte hart, etablierte sich bereits in den Achtziger Jahren als Kung-Fu-Star und brillierte in zahlreichen Actionrollen, wobei sie auch anspruchsvollste Stunts selbst ausführte. 1997 war sie Bondgirl im Film James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie. Zu ihren größten Erfolgen zählen außerdem ihre Rollen in Tiger & Dragon, Die Geisha und The Lady.
Cover Frauen, die die Welt veraendern_3DPauline Tillmann (Hrsg.): Frauen, die die Welt verändern: Die besten Geschichten von Deine Korrespondentin. Correctiv 2022. 20,00 Euro. Das digitale Magazin Die Korrespondentin stellt seit 2015 inspirierende Frauen aus der ganzen Welt vor. Eine Auswahl der Porträts ist nun als Buch erschienen.
Pionierinnen Emmy Noether Lars Jaeger: Emmy Noether. Ihr steiniger Weg an die Weltspitze. Südverlag 2022. 22,00 Euro. Die erste umfassende Biografie über die brillante Denkerin liefert einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte um das Geschlechterverhältnis in Beruf und Bildung.

Chapeau! Kultur-, Buch- und Linktipps

Podcast „Die Alltagsfeministinnen“

Wie lebt man feministische Ideale im Alltag? Darüber sprechen die Journalistin Sonja Koppitz und Johanna Fröhlich Zapata, Coach für Alltagsfeminismus. In ihren Gesprächen geht es um unterschiedlichste Aspekte feministischen Lebens: Mental Load am Arbeitsplatz, geschlechtergerechte Sprache, Bodyshaming und feministisches Dating. Die Folgen sind circa eine halbe Stunde lang und erscheinen immer Dienstags. Sie sind abrufbar in der ARD Audiothek und auf allen gängigen Podcast-Plattformen.

FemPalais – Festival der Frauen*

Das gesamte StadtPalais – Museum für Stuttgart verwandelt sich für ein halbes Jahr in das „FemPalais – Festival der Frauen*“. Auf dem Programm stehen Ausstellungen, Veranstaltungen und Formate, die inhaltlich alle ausschließlich Stuttgarter Frauen gewidmet sind und von Frauen geleitet, geplant und umgesetzt werden. Mit einem multiperspektivischen und intersektionalen Ansatz macht das Festival Frauen sowie Inter, Non-Binary, Trans und agender* Personen sichtbar, welche die Geschichte der Stadt Stuttgart und darüber hinaus in der Vergangenheit geprägt haben oder in Gegenwart und Zukunft mitgestalten. Bis 10.09.2023 im StadtPalais – Museum für Stuttgart.

Wie feministische Kämpfe Arbeit, Ökologie und Politik verändern

Cover Global-Female-FutureGlobal Female Future gibt den Blick frei auf feministische Auseinandersetzungen in Politik, Wirtschaft, Reproduktion, Ökonomie und Ökologie – exemplarisch erzählt von und mit Autor*innen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa. Die Herausgeberinnen sind Aktivistinnen und Redakteurinnen, sie analysieren seit vierzig Jahren globale Entwicklungen aus feministischer Sicht. Nun haben sie ihre Kämpfe, Fortschritte und Erkenntnisse in einem Buch zusammengefasst: Ulrike Lunacek, Andrea Ernst u.a. (Hrsg.): Global Female Future. Kremayr & Scheriau 2022. 24,00 Euro.

Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte

cover Trunk MKarriereWir haben im Berufsleben nicht alle die gleichen Chancen, sagt Mirijam Trunk. „Am Tag der Geburt entscheidet sich – je nachdem, wie jemand ausschaut, wo jemand herkommt, welches Geschlecht jemand hat und so weiter – ob diese Person oder mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Person es in diesem Land in eine Führungsrolle schafft.“ Mirijam Trunk, 31 Jahre, ist Chief Crossmedia Officer im Führungsteam von RTL sowie Chief Sustainability & Diversity Officer. In ihrem Buch, das zugleich als Hörbuch erschienen ist, schreibt sie darüber, was sie selbst gerne am Anfang ihrer Laufbahn gewusst hätte und wie Frauen typische Karrierehindernisse überwinden können. Mirijam Trunk: Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte. Warum im Berufsleben nicht alle die gleichen Chancen haben – und wie wir uns trotzdem durchsetzen. Pneguin 2023. 22 Euro Hörbuch: Random House Audio. 8h 30min. 20,95 Euro.

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?

Cover Die-Welt-geht-unter-und-ich-muss-trotzdem-arbeitenIm März 2020 änderte sich alles. Homeoffice war plötzlich die neue Norm. Alle mussten sich digitalisieren und transformieren – ob sie wollten oder nicht. Die Arbeit drängte weiter ins restliche Leben, zur Erwerbsarbeit kam noch mehr Carearbeit. Die Schere zwischen systemrelevanten Berufen und Bürojobs ging weiter auf. Covid hat uns gezeigt, was in der Arbeitswelt nicht mehr funktioniert – und ist nur eine der Krisen unserer Zeit. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen. Was zur Hölle machen wir da eigentlich? Warum tun wir uns das an? Immer mehr Menschen stellen sich diese Fragen, einige ziehen Konsequenzen. In den USA hat der Trend sogar schon einen Namen: „The Great Resignation“, das große Kündigen. Es bricht eine neue Ära an, aber weder durch agile Methoden noch durch Yoga im Alltag wird es gelingen, ein für uns alle und für den Planeten verträgliches Wirtschaften zu realisieren. Wir müssen uns überlegen, wie Arbeit heute und morgen wirklich funktionieren kann – mit einem Fokus auf Gerechtigkeit, Zukunftsfähigkeit und den Menschen. Sara Weber: Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten? Kiepenheuer & Witsch 2023, 18 Euro

Roman: Mind Gap

Cover Mind-Gap„Wir stehen an der Schwelle zu einer technischen Revolution, die unser Denken und Handeln für immer verändern wird.“ Das verspricht Erik Grote bei der Vorstellung des NINK. Ursprünglich in der Militärforschung entwickelt, sollte der NINK-Chip ein Auslöschen traumatischer Kampferinnerungen ermöglichen. Die Journalistin Silvie wird Opfer dieser Realitätsveränderungen, als es heißt, ihr Bruder habe zwei Menschen ermordet und sich danach in den Kopf geschossen. Nichts von all dem ergibt einen Sinn. Also beginnt Silvie zu recherchieren und schnell wird klar, dass jeder noch so bahnbrechende Fortschritt in den falschen Händen aufs Schrecklichste pervertiert werden kann. Anne Freytag: Mind Gap. dtv 2023, 16,95 Euro

Fähigkeiten für die Zukunft

Cover McGonigalDie Zukunft ist unberechenbar, doch wir können uns auf sie vorbereiten, ganz gleich, welche Herausforderungen sie für uns bereithält. Das ist die These von Jane McGonigal, Spieleentwicklerin und zugleich eine der einflussreichsten Zukunftsforscherinnen. Die Forschungsleiterin am Institute for the Future in Palo Alto/ Kalifornien zeigt in ihrem Buch „Bereit für die Zukunft. Das Unvorstellbare denken und kommende Krisen besser meistern“, wie wir die richtigen Fähigkeiten entwickeln können: ein Denken, das auf unvorhergesehene Herausforderungen schneller reagiert; die Inspiration, heute die richtigen Weichen für unser Leben in der Zukunft zu stellen; die Kreativität, Probleme auf nie dagewesene Weise zu lösen. Die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen. Wir aber können uns auf das vorbereiten, was heute noch niemand kommen sieht. Jane McGonigal, Bereit für die Zukunft. Das Unvorstellbare denken und kommende Krisen besser meistern. Penguin Verlag. 24 Euro

Hilma – Roman über die geniale schwedische Malerin

Cover HilmaEin Roman über bahnbrechende Kunst und die vielschichtigen Beziehungen zwischen fünf faszinierenden Künstlerinnen. Hilma af Klint (1862-1944) war eine schwedische Malerin und Pionierin der abstrakten Malerei. Künstlerische und gesellschaftliche Konventionen waren ihr zuwider: Sie wollte anders leben, anders lieben und auch in der Kunst radikal neue Wege gehen. Mit vier Freundinnen wollte sie die Grenzen der Kunst sprengen. Der von drei Autorinnen geschriebene Roman erzählt ihre Geschichte. Sofia Lundberg, Alyson Richman und M. J. Rose: Hilma. Piper 2023. 24,00 Euro.

Neues Netzwerk für Frauen in der Baubranche

Die Bauindustrie ist eine der größten und wichtigsten Industrien – leider immer noch mit einem viel zu geringen Frauenanteil. Um das zu ändern, hat die Bauindustrie nun ein neues Netzwerk gegründet: das FrauenNetzwerk-Bau. Von Christoph Berger und Kerstin Neurohr

Der Frauenanteil im gesamten Bauhauptgewerbe liegt im Schnitt bei 11 Prozent. Viel zu wenig, findet Peter Hübner, Präsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. Eine stärkere Öffnung für weibliche Fach- und Führungskräfte sei kein kurzfristiger Trend, sondern eine absolute Notwendigkeit, sagt er: „Wir brauchen weibliche Expertise und Perspektive auf die nachhaltige Gestaltung unserer gebauten Umwelt und bieten dabei interessante und hochkarätige Karriereoptionen. Aktuell sind sie mit zwischen 2,8 Prozent bei den gewerblichen Auszubildenden und 30 Prozent im Bauingenieurwesen noch deutlich unterrepräsentiert. Daher haben wir uns zum Ziel gesetzt, den Anteil von Frauen in allen beruflichen Ebenen auszubauen.“

Weitere Infos:

Wer Interesse am FrauenNetzwerk-Bau hat, kann sich mit einer kurzen E-Mail an folgende Adresse wenden: frauennetzwerk@bauindustrie.de
Zum diesjährigen Weltfrauentag hat die Bauindustrie nun das FrauenNetzwerk- Bau gegründet, eine Plattform zum Austausch. Die Idee: Es werden Workshops und Veranstaltungen ausgerichtet und Webinare angeboten. Frauen in der Branche bekommen die Möglichkeit, sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen und zu fördern – und das auf unterschiedlichsten Ebenen, von der Berufseinsteigerin bis zur Geschäftsführerin. Außerdem sollen nachhaltige Mentoring-Strukturen geschaffen werden, die den Ein- und Aufstieg von weiblichen Nachwuchskräften unterstützen. Das Mentoringprogramm richtet sich an Frauen auf verschiedenen Karrierestufen – an Führungs- und Fachkräftenachwuchs ebenso wie an Studentinnen und Auszubildende. Bundesbauministerin Klara Geywitz hat die Schirmherrschaft für das neue Netzwerk übernommen. Sie sagt: „Die Zahlen sind, trotz starker Anstrengungen, nicht so gut, wie sie sein müssten. Wenn nur knapp drei Prozent aller Auszubildenden Frauen sind und die Zahl der Studienanfängerinnen für ein Bauingenieursstudium zurückgehen, dann ist das ein Trend, den wir gemeinsam stoppen müssen. Die Bauindustrie hat das erkannt. Als Schirmherrin für das FrauenNetzwerk-Bau möchte ich diese Anstrengungen politisch unterstützen. Jede Branche gewinnt, wenn sie für mehr Gleichheit sorgt.“

Zahlen, Daten, Fakten

  • 1,8 Prozent – so niedrig ist die Frauenquote im Durchschnitt bei den bauhauptgewerblichen Berufen.
  • 11 Prozent – so hoch ist der Frauenanteil im gesamten Bauhauptgewerbe im Schnitt.
  • 13 Prozent beträgt der Anteil weiblicher Studierender im Fach Maschinenbau.
  • 1994 erst wurde in den alten Bundesländern das gesetzliche Beschäftigungsverbot für Frauen im Bauhauptgewerbe abgeschafft.
  • 18.500 Studierende des Fachs Bauingenieurwesen sind derzeit weiblich – damit liegt der Frauenanteil bei rund 30 Prozent.

Das letzte Wort hat: Christine Thürmer, Die meistgewanderte Frau der Welt

Christine Thürmer, 55 Jahre, hat Karriere als Managerin gemacht – bis sie ihr Herz ans Langstreckenwandern verlor. Vor fünfzehn Jahren tauschte sie endgültig die Businessklamotten gegen Wanderschuhe und Outdoor-Jacke. Bis heute hat sie 60.000 Kilometer zu Fuß, 30.000 Kilometer mit dem Fahrrad und 6500 Kilometer mit dem Boot zurückgelegt – und sie wandert immer weiter! Die Fragen stellte Kerstin Neurohr

Frau Thürmer, 2007 haben Sie Ihren Job an den Nagel gehängt. Wie kam`s – hat die Büroarbeit sie gelangweilt? Von wegen! Ich habe meine Arbeit geliebt! Ich war nach dem Studium in die Unternehmenssanierung gerutscht, in einem Konzern, in dem ich als Studentin angefangen hatte. Von dort aus habe ich Blitzkarriere gemacht. Erst war ich im Controlling, dann kaufmännische Leitern, schließlich Alleingeschäftsführerin. Ich habe richtig rangeklotzt, war erfolgreich und habe sehr gut verdient. Das hat alles gut gepasst so. Und trotzdem wollten Sie irgendwann lieber wandern gehen als weiter Unternehmen zu sanieren? Alleine wäre ich diesen Schritt vermutlich nicht gegangen, zum Glück hatte ich einen Impuls von außen – ich bin zweimal gekündigt worden. Das war damals richtig hart, aber im Nachhinein gesehen das Beste, was mir passiert ist. Ich war erfolgsverwöhnt, hatte ein großes Büro, einen schicken Dienstwagen, Geschäftsessen in teuren Restaurants und all das. Und ich hätte sicherlich auch einen Anschlussjob gefunden. Aber aus meinem privaten Umfeld gab es auch einen Anstoß zur Veränderung: Ein Freund von mir ist damals schwer krank geworden, war lange im Pflegeheim, wo ich ihn oft besucht habe, und dann ist er gestorben. Da habe ich gemerkt: Die wichtigste Ressource ist nicht Geld, sondern Lebenszeit. Und die ist endlich, also sollten wir sie gut nutzen.

Buchtipp

Cover Auf-25-Wegen_3DChristine Thürmer: Auf 25 Wegen um die Welt. Malik 2023. 18,00 Euro
Dann sind sie also wandern gegangen – wie haben Sie angefangen? Das war lustig – ich war ja total unerfahren, unfit, übergewichtig. Aber generalstabsmäßig vorbereitet, und das war mein entscheidender Vorteil! Als ich auf den Pacific Crest Trail gestartet bin, der entlang der Westküste der USA führt, sind gerade auch zwei coole, durchtrainierte Surferdudes losgegangen. Wow, habe ich gedacht – und dann gesehen, wie die beiden nach zwei Wochen abgebrochen habe, während ich die Strecke geschafft habe. 4277 Kilometer! Für solche weiten Strecken ist der Kopf wichtiger als die Füße. Fit wird man unterwegs von ganz alleine. Ich konnte von den Kompetenzen profitieren, die ich als Managerin erworben hatte. Langstreckenwandern funktioniert nämlich wie ein Businessplan, es geht um Termine, Kosten, Logistik, einen sauber geplanten Ablauf. Mittlerweile sind Sie über 60.000 Kilometer gewandert. Wird es nie langweilig? (lacht) Nein nein, dafür sorge ich sehr gut! Ich habe mir immer meine Herausforderungen gesucht. Als ich das Angebot bekommen habe, ein Buch zu schreiben, habe ich eine Challenge daraus gemacht: Ich wollte einen Bestseller schreiben. Und ja, das hat geklappt! Die Vorträge waren meine nächste Herausforderung. Da habe ich in kleinen Buchhandlungen mit Lesungen angefangen, heute stehe ich manchmal vor über tausend Menschen – und das finde ich großartig! Sechs bis acht Monate im Jahr bin ich in der Welt unterwegs, schlafe in meinem winzigen Zelt, sehe jeden Tag etwas Neues. Den Rest des Jahres verbringe ich in meiner Berliner Wohnung, ein Plattenbau in Marzahn – da genieße ich den besonderen Luxus einer warmen Dusche, einer Matratze und einer Küche, schreibe Bücher und Vorträge und bereite mich auf das nächste Abenteuer vor. Denn das kommt bestimmt! www.christinethuermer.de

karriereführer ingenieure 1.2023 – Die Ära der Blauen Ökologie

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Cover karrierefuehrer Ingenieure 1.2023

Die Ära der Blauen Ökologie – Neue Technologien für die Rettung des Klimas gesucht

Forschende gehen davon aus, dass der Kampf gegen die Klimakrise ein neues Level erreicht. Es geht nun um sofort wirkende Maßnahmen – und ergänzend um Wege, CO₂ aus der Luft zu holen und zu speichern. Trendforscher sprechen von einer Blauen Ökologie, die technologisch getrieben sein wird. Gefragt ist dabei die Innovationskraft der Ingenieur*innen: Sie sind die Möglichmacher, die in den Unternehmen die dafür notwendigen Techniken entwickeln und umsetzen.

Die Ära der Blauen Ökologie

Forschende gehen davon aus, dass der Kampf gegen die Klimakrise ein neues Level erreicht. Es geht nun um sofort wirkende Maßnahmen – und ergänzend um Wege, CO₂ aus der Luft zu holen und zu speichern. Trendforscher sprechen von einer Blauen Ökologie, die technologisch getrieben sein wird. Gefragt ist dabei die Innovationskraft der Ingenieur*innen: Sie sind die Möglichmacher, die in den Unternehmen die dafür notwendigen Techniken entwickeln und umsetzen. Ein Essay von André Boße

„Die Zukunft beginnt, wenn die Möglichkeiten des Wandels in uns aufscheinen.“ Mit diesem beinahe poetischen Satz beschreibt Matthias Horx, Chef des Zukunftsinstituts, den Leitbegriff des „Zukunftsreports 2023“ – die „Zukunftswende“. Angelehnt ist dieses Wort an die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende. Inhaltlich stehe die Zukunftswende, so Horx, für ein „possibilistisches Denken“, oder auch: „das Denken in Möglichkeiten“, um den vielen Krisen zu begegnen, allen voran der drohenden Klimakatastrophe.
Blaue Ökologie kombiniert Technologie, intelligente Systeme und Bewusstseinswandel zu einer neuen Veränderungslogik.
Eine dieser Möglichkeiten lautet: Neue Technologien sind in der Lage mitzuhelfen, die Klimakrise zu lösen. Nötig dafür ist, so heißt es im „Zukunftsreport 2023“, eine Blaue Ökologie, und diese sei mehr noch als die Grüne Ökologie ein Technikthema, wie es im Zukunftsreport heißt: „Transformationstechnologien, die sich heute schnell entwickeln, machen es möglich, eine ökologische, postfossile Lebensweise als sinn- vollen Gewinn zu definieren – einen Gewinn an Lebensqualität und Zukunftssicherheit.“ Dabei sei die Blaue Ökologie eine „konstruktive Ökologie“: „Sie kombiniert Technologie, intelligente Systeme und Bewusstseinswandel zu einer neuen Veränderungslogik.“

Unternehmen sitzen an zwei Hebeln

Treiber dieser Veränderungslogik sind die Politik und die Gesellschaft – sowie verstärkt die Unternehmen. Diese sitzen an gleich zwei Hebeln: Erstens stehen sie vor der Aufgabe, ihre eigene Klimabilanz immer weiter zu verbessern, bis hin zum Nahziel eines wirklich klimaneutralen Wirtschaftens.

Zutrauen in Technik steigt

Der TechCompass 2023, eine von Bosch in Auftrag gegebene repräsentative weltweite Umfrage, kommt zu dem Ergebnis, dass 75 Prozent der Befragten glauben, der technologische Fortschritt mache die Welt besser. 83 Prozent sind der Ansicht, die Technologie spiele eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der Erderwärmung. „Die Menschen erwarten von Unternehmen Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels“, wird Dr. Stefan Hartung, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, in der Pressemeldung zur Vorstellung des TechCompass 2023 zitiert.
Zweitens besitzen insbesondere die technischen Unternehmen die Mitverantwortung, Methoden und Wege zu entwickeln, um die Klimakrise mit Hilfe neuer Technologien zu bekämpfen. Um diese beiden Hebel zu bedienen, ist das Wissen von Ingenieur*innen gefragt. Sie sind es, die mit ihrem Denken und ihrem Know-how das vom Zukunftsinstitut geforderte „Denken in Möglichkeiten“ so umzusetzen, dass Innovationen im Sinne des Klimaschutzes entstehen. Beginnen wir mit den Maßnahmen innerhalb von Unternehmen, um die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen. Das NewClimate Institute, ein Kölner Thinktank für Ideen im Kampf gegen die Klimakrise, und die Initiative Carbon Market Watch, die sich in Brüssel mit Modellen zur Bepreisung von CO₂ -Emissionen beschäftigt, haben für ihren „Corporate Climate Responsibility Monitor 2023“ 24 große, international tätige Unternehmen, die sich selbst als führend im Bereich des Klimaschutzes bezeichnen, daraufhin untersucht, ob sie ihre Klimaschutzversprechen auch einhalten. Das Ergebnis ist ernüchternd: Um in Linie mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu stehen, müssten diese Unternehmen ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um mindestens 43 Prozent verringern. Tatsächlich betrage, so die Studie, die Reduzierung mutmaßlich jedoch nur 15 Prozent – und selbst bei dem optimistischsten Szenario bis 2030 nur 21 Prozent.
Die Unternehmen müssen dringend sinnvolle und wirklich wirksame Maßnahmen entwickeln, um die Emissionen nach unten zu bringen.
Als problematisch bewerten die Studienautor*innen die Tatsache, dass nur die wenigsten der untersuchten Unternehmen ihrer selbsternannten Führungsrolle im Kampf gegen die Klimakrise gerecht werden. So fehle es in vielen Fällen an Transparenz sowie an Best-Practice-Beispielen. Stattdessen setzen drei Viertel der untersuchten Unternehmen auf den Weg der Emissionskompensation durch das Anpflanzen von Bäumen. Klar, das hilft. Doch für die Durchführung fehlt auf diesem Planeten der Platz: Würden auch andere Unternehmen diesen Ansatz der selbst ernannten Vorreiter nachahmen, bräuchte man für die Realisierung die natürlichen Ressourcen von zwei bis vier Erden. Was der „Corporate Climate Responsibility Monitor 2023“ zeigt: Die Unternehmen müssen dringend sinnvolle und wirklich wirksame Maßnahmen entwickeln, um die Emissionen nach unten zu bringen. Auf dem Papier stimmen die Ziele. Jetzt sind die Unternehmen gefragt, zusammen mit Ingenieur*innen dafür zu sorgen, dass diese auch umgesetzt werden.

Fleisch aus dem Labor

Nun könnte man fragen, ob es sinnvoll ist, von den Unternehmen zu erwarten, Techniken für den Kampf gegen den Klimawandel zu entwickeln, wenn viele von ihnen nicht einmal in der Lage sind, die internen Klimaziele zu erreichen. Aber wie heißt es im Zukunftsreport: Es gehe um das „Denken in Möglichkeiten“. Also packen wir diese beim Schopfe. Was also gibt es zu tun? Beginnen wir bei der Massentierhaltung. Vor wenigen Jahren ging eine Untersuchung des in Amerika ansässigen Institute for Agriculture & Trade Policy, das nachhaltige Tierzucht- und Farming-Modelle entwickelt, durch die Nachrichten. Dem-nach seien die fünf weltgrößten Fleisch- und Molkereikonzerne zusammen für mehr Treibhausgas-Emissionen verantwortlich als jeweils die drei größten Ölkonzerne.

Mondstaub gegen die Klimakrise

Rettet uns der Mond? Anfang Februar dieses Jahres machte eine Meldung die Runde, nach der US-Wissenschaftler untersucht haben, ob aufgewirbelter Mondstaub helfen kann, die Kraft der Sonne zu reduzieren und damit die Erderwärmung einzudämmen. Das Resultat der im Magazin PLOS Climate veröffentlichten Studie: Er könnte, rein theoretisch. Jedoch sei es kaum möglich, den Staub lange in der Umlaufbahn zu halten. Sowieso sei es den beiden Forschern nicht um die logistische Machbarkeit gegangen, sondern um die Berechnung potenzieller Auswirkungen.
In den Fokus rückt daher seit einiger Zeit die Fleischproduktion, bei der aus Stammzellen von Nutztieren In-Vitro-Fleisch gezüchtet wird. Noch ist diese Fleisch-Variante in Europa nicht zugelassen, in Ländern wie Singapur jedoch schon. Eine Studie der Universität Osnabrück zeigte Mitte vergangenen Jahres, dass 65 Prozent der Befragten nach einer Beschreibung eines In-Vitro-Burgers angaben, diesen zu probieren, 50 Prozent könnten sich vorstellen, ihn zu kaufen, „47 Prozent stimmten sogar zu, dass sie einen solchen Burger öfter anstelle herkömmlichen Fleischs nutzen wollen würden“, heißt es in der Pressemitteilung zur Studie. Ob und inwieweit sich In-Vitro-Fleisch in Deutschland durchsetzen werde, hänge neben rechtlichen und technischen Herausforderungen stark von der Akzeptanz der Konsumentinnen und Konsumenten ab, erklärt der Biologiedidaktiker Dr. Florian Fiebelkorn, einer der Studienautor*innen. „Im Vergleich zu konventionellem Fleisch ist die Produktion wesentlich nachhaltiger, denn man benötigt beispielsweise weniger Fläche und Wasser“, wird er zitiert. Auch der Aspekt des Tierwohls spricht für das Fleisch aus dem Labor. Schwieriger dagegen ist die Energiebilanz: Zur Herstellung wird viel Strom benötigt. Und sollte In-Vitro-Fleisch eines Tages tatsächlich ein ernsthafter Konkurrent von Fleisch aus Massentierhaltung werden oder dieses auf lange Sicht sogar ersetzen, muss sich zeigen, wie sich diese potenzielle Massenproduktion auf den Strombedarf auswirkt. Dennoch zeigt die Entwicklung von In-Vitro-Fleisch: Es gibt technische Alternativen zu den größten Klimasündern. Investoren und Konzerne, Politik und Gesellschaft – alle tun gut daran, diesen Optionen eine Chance zu geben.

Deutsche Gründer filtern CO₂ aus der Luft

Weniger CO₂ freizusetzen, ist für den Klimaschutz der Königsweg. Je länger es jedoch dauert, bis die Einsparungen wirklich wirksam werden, desto größer wird der Bedarf nach Techniken, die in der Lage sind, Treibhausgase aus der Atmosphäre zu filtern – um sie dann auf der Erde zu speichern: auf dem Land, im Wasser, in geologischen Formationen oder in Produkten. Der Report „The State of Carbon Dioxide Removal“, den ein internationaler Zusammenschluss von Forschenden Anfang 2023 veröffentlicht hat, bewertet Lösungen so genannter Negativer Emissionstechnologien (englisch: Carbon Dioxide Removal, kurz: CDR). Bereits im ersten Satz der Studienzusammenfassung legen sich die Expert*innen fest: CDR-Techniken zu skalieren, sei – zusammen mit der Reduzierung der Emissionen – eine dringliche Priorität, um das 1,5-Grad-Ziel des Paris-Abkommens zu erreichen.
Die Zukunft beginnt, wenn die Möglichkeiten des Wandels in uns aufscheinen.
Zwei Techniken spielen im Report eine gewichtige Rolle. Einmal Bioenergy with Carbon Capture and Storage, kurz BECCS: Biomasse, die CO₂ aus der Luft zieht, wird in Biogasanlagen genutzt, um Strom oder Wärme zu erzeugen. Das bei der Verbrennung freigesetzte CO₂ wird eingefangen und in Lagerstätten unter der Erde oder im Meer gespeichert. Technisch anspruchsvoller ist die Methode Direct Air Carbon Capture and Storage, kurz DACCS: Hier wird das CO₂ mit Hilfe großer Sauganlagen gezielt aus der Luft gefiltert und dann gespeichert. In Island hat das schweizerische Unternehmen Climeworks erste Erfolge mit dieser technischen Innovation erlangt: Ein Filtersystem schneidet das CO₂ aus der Luft ab, ein Partnerunternehmen aus Island übernimmt die Aufgabe, das Treibhausgas danach in tiefe Gesteinsschichten der vulkanischen Insel zu bringen, wo es gespeichert wird. Auf der Unternehmenshomepage betonen die beiden deutschen Gründer von Climeworks, Christoph Gebald und Jan Wurzbacher, die Technik sei kein Freibrief für weitere CO₂-Ausstöße, sondern eine Methode, um in Zukunft notwendige und unvermeidbare Emissionen zu neutralisieren – und zudem ein „Safeguard“, der dabei hilft, die Erderwärmung auf 1,5- Grad zu drücken, wenn die Welt ihr Klimaziel zunächst nicht erreicht.

Regierungen sind gefragt

Auch im Report „The State of Carbon Dioxide Removal“ heißt es, die CDR-Techniken seien keine „Wunderwaffen“, um den Klimawandel zu bekämpfen. Aber: „CO₂-Entnahmen sind eine Notwendigkeit“, formuliert es Prof. Dr. Jan Christoph Minx, Leiter der Forschungsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung beim Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und einer der Autoren des Berichts, in der Pressemitteilung zur Vorstellung der Studie.

Lösungen des Klimaproblems einfach erklärt

In der öffentlichen Debatte über den Klimawandel geht es viel zu oft drunter und drüber, meinen David Nelles und Christian Serrer. Deshalb wollten die beiden Studenten wissen: Wie groß ist der Beitrag des Menschen tatsächlich? Müssen wir jedes Jahr Ernteausfälle befürchten? Was bedeutet der Klimawandel für unsere Gesundheit? Was kostet uns der Klimawandel? Mit kurzen Texten, anschaulichen Grafiken und der Unterstützung von über 250 Wissenschaftler*innen erklären die beiden die Maßnahmen zur Lösung des Klimaproblems. Ihr Ziel: so viele Menschen wie möglich zu erreichen, „denn den Klimawandel können wir nur aufhalten, wenn jeder von uns mit anpackt“, so die Autoren. David Nelles, Christian Serrer: Machste dreckig – Machste sauber: Die Klimalösung. KlimaWandel 2021. 10 Euro
„Die CO₂-Entnahmen werden nicht vom Himmel fallen. Wir müssen uns darum kümmern. Nur so können wir eben zu einer zirkulären Kreislaufwirtschaft für CO₂ kommen. Und dahin müssen wir.“ Entscheidend seien die nächsten zehn Jahre: „Was wir bis dahin umsetzen können, entscheidet darüber, in welchem Umfang die Entnahmemethoden bis Mitte des Jahrhunderts skaliert werden können.“ Sein Studien-Autorenkollege Dr. Oliver Gerden nimmt die Politik in die Pflicht, schließlich sei die Technik vorhanden. Daher müssten Regierungen, insbesondere diejenigen, die Netto-Null-Ziele beschlossen haben, öffentlich sagen: Wie viel CO₂-Entnahme wollen sie durchsetzen? Mit welchen Methoden? Wer wäre dafür verantwortlich? Und wer zahlt das? Wer darauf keine Antwort habe, „dessen Netto-Null-Ziel kann man eigentlich nicht wirklich ernst nehmen“, so der Forscher. Wie heißt es so schön im „Zukunftsreport 2023“ der Trendforscher des Zukunftsinstituts? „Die Zukunft beginnt, wenn die Möglichkeiten des Wandels in uns aufscheinen.“ Bedeutet beim Thema Erderwärmung konkret: Die Zukunft des Kampfes gegen die Klimakrise beginnt, wenn Ingenieur*innen neue Techniken entwickeln und umsetzen, um Emissionen wirksam zu vermeiden oder Treibhausgase aus der Luft zu filtern.

Problemlöserin Anne Lamp im Interview

Das von der Ingenieurin Anne Lamp mitgegründete Bioökonomie-Start-up Traceless hat ein natürliches Material als Ersatz für Kunststoffe entwickelt, das auf pflanzlichen Reststoffen wie zum Beispiel Getreideresten basiert. Ihr Unternehmen will damit zur Lösung der globalen Plastikverschmutzung beitragen. Im Interview erzählt die studierte Verfahrenstechnikerin, was es mit der von ihr entwickelten Innovation auf sich hat und wie es ihr gelungen ist, als Ingenieurin mit einer guten Idee ein erfolgreiches Start-up mit Wirkung zu gründen. Die Fragen stellte André Boße

Zur Person

Anne Lamp studierte von 2009 bis 2012 Verfahrenstechnik an der Universität Hamburg. Als Werkstudentin war sie von 2010 bis 2013 bei Beiersdorf tätig, bevor sie ab 2015 als Projektingenieurin und später als Team Leader Product and Process Development beim Bioenergieproduzenten Verbio arbeitete. Im September 2020 gründete sie zusammen mit der Unternehmensberaterin Johanna Baare das eigene Start-up Traceless Materials. Seit 2014 ist sie Expertin bei der NGO Cradle-to-Cradle, die sich der Bildungs- und Vernetzungsarbeit zum Thema Cradle to Cradle – also dem Denken in wirtschaftlichen und ökologischen Kreisläufen – widmet, mit dem Ansatz, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Politik und Zivilgesellschaft zusammenzubringen.
Frau Lamp, wie definieren Sie ein „Impact-Start-up“, also ein Start-up mit Wirkung? Für mich sind Impact-Start-ups solche Start-ups, die sich aufmachen, die dringendsten Herausforderungen der Welt zu lösen. Im Vergleich zu konventionellen Start-ups geht es um mehr als nur um das Produkt oder einen Geschäftsplan, sondern um das große Ziel: eine positive Auswirkung auf den Planeten und die Menschen. Wie kommen Sie mit Ihren Produkten diesem Ziel näher? Die positiven Auswirkungen unserer Materialien auf die verschiedenen Nachhaltigkeitsindikatoren sind anhand wissenschaftlicher Kriterien in einer Lebenszyklusbewertung gemessen worden, die den gesamten Lebenszyklus von der Rohstoffgewinnung über die Produktion bis zur Entsorgung berücksichtigt. Der Bericht ist öffentlich zugänglich und vergleicht die Auswirkungen unserer Materialien mit den Auswirkungen, die eine gleiche Menge herkömmlicher Kunststoffe auf die Indikatoren fossiler Energiebedarf, Treibhausgasemissionen, Land- und Wasserverbrauch sowie Erzeugung von Kunststoffabfällen haben würde. Sie haben Ihre Mitgründerin Johanna Baare bei einer Veranstaltung des gemeinnützigen Sozialunternehmens „ProjectTogether“ kennengelernt. Was machte diese erste Begegnung für Sie beide besonders? Bei der ActOnPlastic-Challenge von ProjectTogether ging es darum, 100 Ideen zur Lösung des globalen Plastikproblems zusammenzubringen. Damals war unsere Unternehmung genau das: eine Idee, begleitet von ersten Projektbeispielen. Ungeachtet des frühen Stadiums reichte ich meine Idee ein, von Seiten des Projekts wurde ich dann mit Johanna zusammengebracht – und es war ein Match. Wir hielten eine Zeit lang virtuelle Treffen ab, bei denen wir die Idee in ein konkretes Geschäftsmodell umwandelten. Als ich einige Jahre später beschloss, meine Idee tatsächlich in einem Unternehmen zu verwirklichen, wusste ich, dass ich Johanna an meiner Seite brauchen würde, um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen, die ich mir vorgestellt hatte. Unsere unterschiedlichen Hintergründe und Fachgebiete sowie unser gemeinsamer Glaube an das Erreichen unseres Ziels – eine Zukunft ohne Umweltverschmutzung und Abfall – machten uns zu einem starken Gründerteam. Warum ist es für Sie als Ingenieurin wichtig, aus der Komfortzone herauszutreten, um ein Unternehmen wie Ihres zu gründen? Ich habe Verfahrenstechnik studiert, und mit diesem akademischen Hintergrund arbeitet man normalerweise nicht in den nachhaltigsten Branchen. Inspiriert wurde ich durch meine freiwillige Erfahrung bei Cradle-to-Cradle, einer Nichtregierungsorganisation, die sich auf ein Designkonzept konzentriert, das von der Natur inspiriert ist und das Ziel verfolgt, Abfall, wie wir ihn heute kennen, der Vergangenheit angehören zu lassen. Während meines Studiums war die Gründung eines eigenen Unternehmens nie eine Karriereoption gewesen. Was aber nicht heißt, dass es nicht möglich ist, es trotzdem zu tun! Natürlich ist es manchmal beängstigend, aber ich bin glücklich, dass ich nun eine Karriere in einem Bereich anstrebe, an den ich wirklich glaube und in dem ich etwas Positives bewirken kann. Um ein Unternehmen zu gründen, braucht man eine gute Idee – und einen Markt, um mit dieser Idee Geld zu verdienen. An welchem Punkt sind Sie zu der Überzeugung gekommen, dass es diesen Markt für Ihre Idee gibt? Die Erkenntnis, dass es Interesse an meiner Innovation gibt, kam eigentlich schon sehr früh, denn das E-Commerce-Unternehmen Otto zeigte sofort Interesse an den ersten Mustern, die ich entwickelt hatte. In den vergangenen Jahren waren wir in der glücklichen Lage, dass unsere Materialien kontinuierlich auf großes Interesse stoßen – von Markeninhabern, Verarbeitern, der Forschung und anderen. Überall suchen die Menschen nach Lösungen für das globale Kunststoffproblem. Was ist das Besondere an Ihren plastikfreien natürlichen Polymerwerkstoffen? Was also ist die wirkliche Innovation Ihres Verfahrens und Ihrer Ergebnisse? Traceless gehört zu einer neuen Generation plastikfreier natürlicher Polymerwerkstoffe, die über biobasierte oder biologisch abbaubare Kunststoffe hinausgehen. Das Material basiert auf pflanzlichen Reststoffen aus der Landwirtschaft und enthält zu einhundert Prozent biobasierten Kohlenstoff. Damit unterstützen wir den Übergang von fossilen zu nachwachsenden Rohstoffen und vermeiden direkte Nahrungsmittelkonflikte. Im Gegensatz zu Neuware ist das Material eine giftfreie und klimafreundliche Lösung, da bei der Herstellung und Entsorgung bis zu 95 Prozent weniger CO₂ ausgestoßen wird. Unsere zum Patent angemeldete Produktionstechnologie spart zudem bei der Herstellung durchschnittlich 83 Prozent des fossilen Energiebedarfs ein. Obwohl Traceless wie Plastik aussieht und sich auch so anfühlt, ist das Material zertifiziert plastik- und mikroplastikfrei und vollständig biokreislauffähig. Es hinterlässt also keine Spuren. Sie haben das Unternehmen vor drei Jahren gegründet. Was haben Sie in dieser Zeit über das Gründen gelernt? Dass es um mehr geht als um Businesspläne, Finanzierungsrunden und Produkteinführungen. Für mich ist ein wichtiger Aspekt der Unternehmensgründung das Schaffen von Arbeitsplätzen, also: ein Arbeitgeber zu werden. In den vergangenen Jahren ist unser Team stark gewachsen, und es wird weiter wachsen. Ohne das Team wäre das Unternehmen nicht da, wo wir heute sind. Ich denke, es ist sehr wichtig, kontinuierlich einen Arbeitsplatz zu schaffen, an dem sich alle Mitarbeitenden wohlfühlen, damit wir gemeinsam an der Verwirklichung unserer Vision arbeiten.
Wir können das volle Potenzial unserer Lösung nur dann ausschöpfen, wenn wir uns mit anderen zusammentun: mit Verarbeitern, Markeninhabern, Forschern, Verbrauchern und der Politik.
Um erfolgreich zu sein, muss man Referenzen bei großen Kunden haben. Wie schwierig ist es, diese zu finden und mit ihnen zu arbeiten? Seit unserer Gründung haben wir klare Ambitionen, unser Material so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen. Wir arbeiten an ersten Pilotprodukten aus unserer Materialinnovation, zum Beispiel mit Otto und der Fluggesellschaft Lufthansa. Im Dezember 2020 haben wir ein erstes Pilotprodukt mit dem Modehändler C&A auf den Markt gebracht. Die Unterstützung dieser Markeninhaber bedeutet uns sehr viel, denn sie zeigt, dass wir alle zusammen ein Teil der Lösung sein können, nicht der Verschmutzung. Wenn Sie Ihre Augen schließen: Wo sehen Sie Traceless in zehn Jahren? In zehn Jahren haben wir unsere Produktionskapazitäten erfolgreich skaliert und werden Traceless als Drop-in- Lösung an die Kunststoffbeschichtungs-, Verarbeitungs- und Verpackungsindustrie verkaufen, um unser Granulat zu Produkten für die Konsumgüterindustrie weiterzuverarbeiten. Wir halten es jedoch für wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir das volle Potenzial unserer Lösung nur dann ausschöpfen können, wenn wir uns mit anderen zusammentun: mit bahnbrechenden Verarbeitern und Markeninhabern, ambitionierten Forschenden, bewussten Verbraucher*innen und einer Politik, die maßgeschneiderte Maßnahmen einleitet. Angesichts der heutigen Umweltherausforderungen gibt es kein Patentrezept, aber mit einem systemischen Ansatz, bei dem sich viele Lösungen gegenseitig ergänzen und alle Beteiligten einbezogen werden, werden wir erfolgreich sein. Finden Sie als Leiterin eines Unternehmens noch genügend Zeit für die Arbeit, die Sie als Ingenieurin lieben: Forschung und Entwicklung? Ich habe tatsächlich oft nicht mehr die Zeit, um selbst an Forschung und Entwicklung zu arbeiten. Zum Glück haben wir ein tolles Produktentwicklungsteam, das jeden Tag an der weiteren Optimierung unserer Materialien arbeitet. Da das Unternehmen wächst, ist es nur ein natürlicher Prozess, mehr und mehr Aufgaben an die verschiedenen Abteilungen des Teams zu übertragen.

Zum Unternehmen

Das Bioökonomie-Start-up Traceless Materials wurde 2020 von Anne Lamp und Johanna Baare in Hamburg gegründet. Das Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, mit der es aus Pflanzenresten eine neuartige, nachhaltige Kunststoffalternative herstellt. Das rund 30-köpfige Team hat bereits eine erste Pilotanlage zur Materialproduktion errichtet. Mit dem Ziel, Kunststoffe bald in großen Mengen zu ersetzen, werden die Produktionskapazitäten weiter ausgebaut. Parallel werden ersten Pilotprodukte entwickelt, unter anderem mit dem E-Commerce-Unternehmen Otto und der Fluggesellschaft Lufthansa. Die Umweltauswirkungen der Materialien wurden in einer Lebenszyklusanalyse untersucht. Für seine innovativen Lösungen wurde das Unternehmen mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Gründerpreis, dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis/Next Economy Award, und es wird von der EU gefördert.

Rekord bei offenen Stellen

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Die beruflichen Aussichten für Ingenieurabsolventen*innen sind bestens. Die offenen Stellen erreichen einen neuen Rekordwert seit Beginn der Aufzeichnungen des Ingenieurmonitors im Jahr 2011. Von Sabine Olschner

Im Vorjahresvergleich nahm im dritten Quartal 2022 die Anzahl der offenen Stellen für Ingenieur*innen um 31,3 Prozent auf 173.300 zu. Das meldet der Ingenieurmonitor, der einmal pro Quartal gemeinsam vom VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. und dem Institut der deutschen Wirtschaft e.V. herausgegeben wird und einen Überblick über den aktuellen Stand und die Entwicklung des Arbeitsmarktes für Ingenieur*innen gibt. Die meisten Ingenieur*innen werden demnach im Bereich Energie- und Elektrotechnik gesucht. Aber auch in allen anderen Ingenieurberufen stehen mehr Stellen zur Verfügung, als es Bewerbungen gibt. In der Energie- und Elektrotechnik wurden im dritten Quartal 25.100 offene Stellen gemeldet. Nach deutlichen Einbrüchen zu Beginn der Corona-Krise sind in den letzten Quartalen wieder deutliche Zuwächse auch in den Ingenieurberufen der Maschinen- und Fahrzeugtechnik zu verzeichnen. Hier gab es im dritten Quartal 17.100 offene Stellen, womit das Niveau von vor der Corona-Krise deutlich übertroffen wurde.
Die Vergütung für Ingenieur*innen ist sehr gut: Sie liegt bei den meisten Ingenieurberufen über dem Durchschnittsniveau aller akademischen Berufe.
In der Technischen Forschung und der Produktionssteuerung stieg die Zahl der Stellenangebote am stärksten, um 54,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Am zweitstärksten war der Zuwachs bei den Ingenieurberufen in der Kunststoffherstellung und der Chemischen Industrie mit 53,2 Prozent. Der Anstieg in der Energie- und Elektrotechnik lag bei 41,9 Prozent. Am geringsten war der Zuwachs bei den Ingenieurberufen der Metallverarbeitung mit 8 Prozent. In den kommenden Jahren wird durch Digitalisierung und Klimaschutz der Bedarf an Ingenieur*innen deutlich zunehmen, prognostiziert der Ingenieurmonitor. Sorge macht dem VDI, dass die Anzahl der Studienanfänger*innen in den Ingenieurwissenschaften im Vergleich zum Studienjahr 2016/2017 stark rückläufig ist. Positiv merkt der VDI hingegen an, dass die Vergütung für Ingenieur*innen sehr gut ist: Sie liegt bei den meisten Ingenieurberufen über dem Durchschnittsniveau aller akademischen Berufe. Besonders hohe Medianbruttoentgelte weisen im Jahr 2021 mit 6.375 Euro die Ingenieurberufe der Technischen Forschung und Produktionssteuerung auf, in der Maschinen- und Fahrzeugtechnik lagen sie bei 6.354 Euro. Lediglich in den weniger stark besetzten Ingenieurberufen der Rohstofferzeugung und -gewinnung liegt der Medianlohn unter dem Niveau aller Personen in sämtlichen akademischen Expertenberufen.