Technologie assistiert

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Digitale Technologien sind allgegenwärtig. Sie sind weit mehr als ein Hype, für viele Unternehmen sind sie zu einem entscheidenden Faktor über die eigene Zukunftsfähigkeit geworden. Das gilt auch für die Rechtsbranche. Für Juristen sind sie aber zugleich auch Chance in mehrfacher Hinsicht: Kanzleien erzielen durch digitale Technologien Effizienzgewinne. Gleichzeitig bieten sie ihnen die Chance, ganz neue Fragestellungen zu beantworten. Von Christoph Berger

Ende 2018 kam es zu einem Aufeinandertreffen der besonderen Art: Die künstliche Intelligenz der Firma LawGeex trat gegen 20 Juristen an. Die Aufgabe bestand darin, Risiken in laufenden Geschäftsverträgen zu identifizieren – innerhalb von vier Stunden. Was die Genauigkeit der Vertragsanalysen betraf, so erlangte die KI dabei 94 Prozent, die der Anwälte lag im Durchschnitt bei 85 Prozent. Wobei erwähnt werden kann, dass der beste Anwalt ebenfalls eine Genauigkeit von 94 Prozent erzielte. Einen enormen Unterschied gab es jedoch bei der dafür benötigten Zeit: Während die Anwälte im Durchschnitt 92 Minuten zur Aufgabenlösung benötigten, brauchte die KI gerade mal 26 Sekunden.

Das Beispiel ist nur eines von vielen, das zeigt, wie künstliche Intelligenz die Arbeit von Juristen unterstützen kann. Und dass digitale Technologien immer mehr und häufiger in die Alltagsarbeit integriert werden, zeigt sich nicht zuletzt anhand der zunehmenden Anzahl von Legal Tech-Veranstaltungen, die über den Stand der Technik sowie deren Einsatzmöglichkeiten informieren.

Allerdings zeigt sich auch zunehmend, dass mit dem Technikeinsatz nicht nur Effizienzsteigerungen und Kostenoptimierungen verbunden sind, sondern auch neue Rechtsfragen aufgeworfen werden, die die Juristen vermehrt beschäftigen könnten. So ist zu erwarten, dass intelligente und autonome Systeme schnelle und umfassende Veränderungen in gesellschaftlichen Sektoren wie Wissenschaft, Mobilität oder Gesundheitswesen hervorrufen werden. Als Beispiele dienen hierzu beispielsweise selbstfahrende Autos oder neue medizinische Geräte. Forscher am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) untersuchen daher im Forschungsschwerpunkt 2018/19 unter anderem, wie sich die nationale und internationale Gesetzgebung im Hinblick auf diese Systeme verändern, welchen Verhaltensregeln sie folgen und wer für sie haften könnte.

Auch auf dem EDV-Gerichtstag im September 2018 war einer der Schwerpunkte, welche Rolle künstliche Intelligenz künftig in der Rechtspflege einnehmen wird. Dabei betonte der Leiter des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz (DFKI), Professor Wolfgang Wahlster, in seiner Eröffnungsrede über „Künstliche Intelligenz als juristische Assistenz“, dass die künstliche Intelligenz als Speerspitze der Digitalisierung enorme Potenziale biete, um Abläufe in der Justiz effizienter, transparenter und kostengünstiger zu gestalten. „Auch die Strafverfolgung und die Gerichtsbarkeit werden durch KI-Technologien wie maschinelles Lernen, Sprach- und Bildverstehen umgewälzt.“, sagte er. Er wies jedoch ebenfalls darauf hin, dass schon aus ethischen und sozialen Gründen Gerichte keinesfalls durch KI-Algorithmen ersetzt, sondern lediglich unterstützt werden könnten.

„Das Dritte Geschlecht“: Auswirkungen auf die Arbeitswelt

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Kaum eine andere richterliche Entscheidung hat in der jüngsten Vergangenheit so viel Aufsehen erregt wie die des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 (AZ 1 BvR 2019/16) zum Eintrag des sogenannten „Dritten Geschlechts“ im Personenstandsregister. Von Dr. Janis Block (Rechtsanwalt) und Franziska Grethe (Wissenschaftliche Mitarbeiterin), CMS Hasche Sigle, Köln

In dem Beschluss stellten die Karlsruher Richter*innen fest: Die Geschlechtsidentität ist Kern des Selbstverständnisses und der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Person und damit Teil des Persönlichkeitsrechts. Auch Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, fallen unter den verfassungsrechtlich garantierten Schutz der geschlechtlichen Identität. Daher verstoße die bis dahin fehlende Möglichkeit, sich im Personenstandsregister positiv als „inter/divers“ zu bezeichnen, gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und den Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, so die Karlsruher Richter*innen. Betroffene Personen auf die Option „ohne Angabe“ zu verweisen, reiche dafür nicht. Es war dem Gesetzgeber nun bis Ende Dezember 2018 aufgetragen, den verfassungswidrigen Normen Abhilfe zu verschaffen. Seit dem 1. Januar 2019 sieht das Personenstandsgesetz daher unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit vor, sich bei der Geschlechtszugehörigkeit als männlich, weiblich oder divers zu bezeichnen sowie die Angabe freizulassen.

Neben diesen praktischen Auswirkungen auf das Personenstandsrecht hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch Konsequenzen für die Arbeitswelt: Um potenzielle Entschädigungsansprüche aus dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) zu vermeiden, haben Arbeitgeber*innen spätestens seit Inkrafttreten des AGG auf diskriminierungsfreie Stellenausschreibungen zu achten. Da die schlichte Verwendung des generischen Maskulinums dort regelmäßig ein Indiz für eine Diskriminierung nicht männlicher Personen darstellt, sollten Jobbeschreibungen, die sich bisher des Zusatzes (m/w) bedienten, Zusätze wie (m/w/d) – „d“ für divers – oder geschlechtsinklusive Schreibweisen, wie „Ingenieur*in“ beziehungsweise „Ingenieur_in“ verwenden. Hierdurch können Arbeitgeber*innen ausdrücklich Personen jeder Geschlechtsidentität ansprechen.

Auch bei Durchführung der Beschäftigungsverhältnisse ist für ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu sorgen. Dabei stellt sich die Frage nach der adäquaten Anrede der Belegschaft im persönlichen Kontakt und im Kollektiv: Arbeitgeber* innen sollten im Einzelkontakt mündlich wie schriftlich stets auf diejenige Anredeform zurückgreifen, die von der*dem Arbeitnehmer*in gewünscht ist und auch dafür Sorge tragen, dass hierauf innerbetrieblich Rücksicht genommen wird. Auch in der kollektiven schriftlichen Ansprache kann eine geschlechtergerechte Sprache dabei durch Gendersternchen („Arbeitnehmer*in“) oder Gendergaps („Arbeitnehmer_in“) gewahrt werden. Bei der mündlichen Anrede einer Gruppe bietet sich für ganz Fortschrittliche „Arbeitnehmer-Pause-Innen“, alternativ die Verwendung der Partizipialform „Arbeitende“ oder zumindest „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ an.

Daneben sollte in Betrieben mindestens eine Sanitäreinrichtung (Toilette/Waschraum) existieren, die nicht nur für „Herren“ oder „Damen“ gekennzeichnet und zugänglich ist.

EuGH gestaltet Urlaubsrecht

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Urlaub ist für viele Menschen die schönste Zeit des Jahres – für Arbeitsrechtler ein Teil ihres Tätigkeitsgebiets. Bei der Beratung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern müssen sie Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Blick haben. Dessen Rechtsprechung führte zuletzt im November 2018 zu Änderungen im deutschen Urlaubsrecht. Von Karsten Kujath, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Assoziierter Partner bei GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte, Frankfurt am Main

Seit Jahren prägt der EuGH das Urlaubsrecht mit EU-weiter Wirkung. Beispielsweise entschied das Gericht Ende 2011, dass ein Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch grundsätzlich nicht verliert, wenn er den Urlaub wegen seiner Erkrankung nicht rechtzeitig nehmen konnte. Am 6. November 2018 stärkte der EuGH nun erneut den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub beziehungsweise auf Urlaubsabgeltung, wenn das Arbeitsverhältnis geendet hat. Ein solcher Anspruch verfällt nun nicht mehr automatisch, nur weil der Arbeitnehmer nicht rechtzeitig Urlaub beantragt hat. Dem hat sich das Bundesarbeitsgericht, kurz BAG, am 19. Februar 2019 erwartungsgemäß angeschlossen.

Der Fall: Ein privater Arbeitgeber bat seinen befristet beschäftigten Mitarbeiter, seinen restlichen Urlaub zu nehmen, legte dabei aber keine konkreten Urlaubszeiten fest. Der Arbeitnehmer folgte dem nicht. Nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen verlangte er Urlaubsabgeltung für die nicht genommenen Urlaubstage. Nach der bisherigen Rechtsprechung hätte der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch am Ende des Urlaubsjahres beziehungsweise eines Übertragungszeitraums verloren, weil er nicht rechtzeitig Urlaub beantragt hatte. Das BAG legte dem EuGH Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vor. Die Luxemburger Richter entschieden:

  1. Ein Arbeitgeber muss seinen Arbeitnehmer nicht dazu zwingen, Urlaub zu nehmen. Er muss also nicht einseitig Urlaubszeiten festlegen.
  2. Der Anspruch auf bezahlten Urlaub kann jedoch nicht durch bloßen Zeitablauf erlöschen. Der Urlaubsanspruch kann nur verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, den Jahresurlaub vollständig aufzubrauchen. Erforderlichenfalls muss er den Mitarbeiter förmlich und in verständlicher Weise dazu auffordern, den restlichen Urlaub zu nehmen. Er muss ihn klar und rechtzeitig darüber informieren, dass der Urlaub ansonsten am Ende des Kalenderjahres beziehungsweise eines Übertragungszeitraums verfallen wird.

Für die Praxis daher folgender Hinweis: Arbeitgeber sollten darauf achten, dass die Arbeitnehmer ihren Jahresurlaub nehmen. Soweit das nicht erfolgt, laufen sie ab sofort Gefahr, Resturlaub nachgewähren oder bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses Urlaubsabgeltung zahlen zu müssen. Diesem wirtschaftlichen und rechtlichen Risiko können Arbeitgeber begegnen, indem sie die betrieblichen Abläufe zum Urlaub an die neue Rechtsprechung anpassen. Denkbar sind beispielsweise eine Ergänzung der Arbeitsverträge, ein durchdachtes Urlaubsmanagement sowie klare und konkrete Hinweise an die Mitarbeiter auf das mögliche Erlöschen von Urlaubsansprüchen. Unternehmen erwarten hierzu eine praxisnahe Beratung.

Rechtsberatung im Bereich „E-Privacy“

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Die Digitalisierung und die digitale Transformation entwickeln sich rasant. Sie erfassen mittlerweile nahezu alle Lebensbereiche. Der Schutz der digitalen Privatsphäre – die „E-Privacy“ – gewinnt bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation daher eine immer größere Bedeutung. Ein Anwalt, der in diesem Bereich tätig ist, begleitet seine Mandanten bei allen hiermit zusammenhängenden Fragestellungen. Von Dr. Matthias Rudolph, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Partner in der Kanzlei FREY Rechtsanwälte Partnerschaft

Ein wichtiger Aspekt der anwaltlichen Beratung in diesem Bereich betrifft Werbung. Werbung im Internet basiert heutzutage in großem Umfang auf der Nutzung von personenbezogenen Daten. Unternehmen möchten diese Daten nutzen, um ihre Kunden im Internet möglichst zielgenau ohne Streuverluste anzusprechen. Aufgrund der Daten, die bei der Nutzung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste anfallen, ist dies heute möglich.

Profile lassen sich als Grundlage für verhaltensbasiertes Online-Marketing bilden und für Werbung nutzen. Nutzer können zudem in Echtzeit oder auch bei einer späteren Internetnutzung webseitenübergreifend analysiert und adressiert werden. Technisch basiert dieses Tracking von Nutzern auf dem Einsatz von Cookies, Fingerprinting etc. Beim Location-Based-Advertising wollen Unternehmen die Möglichkeiten nutzen, um Nutzer ortsgebunden auf ihrem Smartphone mit Angeboten und Aktionen im näheren Umkreis anzusprechen. Auch klassische E-Mail-Werbung hat in diesem Bereich noch eine große Relevanz, und die werbliche Ansprache von Kunden über Messenger rückt zunehmend in den Fokus.

Ein weiterer Aspekt, mit dem sich ein im Bereich der E-Privacy beratender Anwalt befasst, ist zum Beispiel das sogenannte Internet der Dinge (IoT). Hierunter werden Technologien zusammengefasst, die es ermöglichen, physische und virtuelle Gegenstände miteinander zu vernetzen und sie durch Informations- und Kommunikationstechniken zusammenarbeiten zu lassen. Ohne den Einsatz von Kennungen, die sehr oft einen Personenbezug aufweisen, ist eine umfangreiche Vernetzung der Gegenstände über das Internet nicht möglich und lassen sich entsprechende Geschäftsmodelle nicht realisieren. Schließlich befasst sich ein Anwalt in diesem Bereich auch mit dem Einsatz von Big-Data-Anwendungen. Dabei geht es sehr oft um personenbezogene Daten in großem Umfang.

In diesem sich technisch und rechtlich schnell entwickelnden Umfeld besteht für einen Anwalt die Herausforderung darin, für seine Mandaten rechtlich tragfähige Lösungen zu entwickeln, damit sie ihre Geschäftsmodelle und Vorhaben realisieren können. Der zu beachtende rechtliche Rahmen ergibt sich insbesondere aus der Datenschutz- Grundverordnung (DS-GVO), dem Telemediengesetz (TMG) und dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Aber auch die sogenannte Cookie-Richtline ist zu berücksichtigen, und gegenwärtig wartet die Praxis darauf, dass auf europäischer Ebene die Cookie-Richtlinie durch eine E-Privacy- Verordnung ersetzt wird, die zu voraussichtlich nicht wenigen Neuerungen führen wird. Viele Rechtsfragen sind noch nicht abschließend geklärt. Das macht die Tätigkeit in diesem Bereich sehr anspruchsvoll und zugleich außerordentlich interessant.

„Legal Design: Nicht nur eine juristisch korrekte Lösung“

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Einhergehend mit der Digitalisierung ist nicht nur Legal Tech ein Trend, dem sich die Rechtsbranche derzeit zu stellen hat. Mit dem digitalen Wandel gehen auch neue Methoden einher, Fragestellungen neu anzugehen und nachhaltigere Lösungen zu finden. Dazu gehört Legal Design. Was darunter zu verstehen ist, erklärt Astrid Kohlmeier im Interview. Von Christoph Berger

Zur Person

Astrid Kohlmeier, Foto: Frank Eidel
Astrid Kohlmeier, Foto: Frank Eidel

Astrid Kohlmeier verbindet die Themen Recht und Design bereits seit fast zwei Jahrzehnten und berät heute Kanzleien, Rechtsabteilungen und Legal Tech Firmen im Bereich Innovation mit Fokus auf die agile Methode Legal Design. Sie begann ihre Karriere in Werbeagenturen, war danach ein Jahr im juristischen Fach verlag Jehle-Rehm tätig, bevor sie Anwältin im Bereich Urheberrecht wurde. Von dort wechselte sie ins Topmanagementteam des Unternehmens Legial AG, einer Tochtergesellschaft der ERGO Versicherungsgruppe mit Spezialisierung auf Prozessfinanzierung. Sie baute die Firma über zehn Jahre in der Funktion der Marketing Direktorin mit auf. Während dieser Zeit absolvierte sie auch eine Zusatzausbildung zur Mediadesignerin und entwickelte mit „Legal Image“ eines der ersten Legal Tech-/Anwaltsportale Deutschlands. Weitere Infos unter:

http://astridkohlmeier.de

Frau Kohlmeier, die Methode Design Thinking wird beispielsweise in der IT- und Consulting-Branche genutzt, um Innovationen zu entwickeln. Verbirgt sich das auch hinter dem Begriff „Legal Design“?
Ja. Grob definiert, versteht man darunter die Übertragung der Design Thinking- Methode auf die Herausforderungen, die sich gerade im Rechtsmarkt stellen, auf den Rechtsbereich beziehungsweise die Rechtsprozesse.

Welche Herausforderungen meinen Sie?
Erstens stehen Kanzleien und Rechtsabteilungen unter einem immer stärker werdenden Veränderungs- und Kostendruck. Zweitens ist das die Digitalisierung: Es findet eine Disruption von Rechtsdienstleistungen statt. Und drittens ist da die sich rasant verändernde Erwartungshaltung der Nutzer oder Mandanten.

Wie hilft da Legal Design?
Juristen versuchen in der Regel, zügig das jeweilige Problem zu erfassen und dafür eine am Gesetz orientierte Lösung zu finden – sie suchen also den schnellsten Weg von A nach B. Allerdings ist diese Herangehensweise bei der Suche nach Lösungen sehr einseitig. Zum Vergleich: Für mich als Designerin sind Aufgabenstellungen erst einmal nur Annahmen. Design Thinking heißt dabei in erster Linie, nicht sofort für ein aufgeworfenes Problem isoliert eine Lösung zu suchen, sondern das Gesamtbild anzuschauen. Dazu gehört, alle relevanten Prozesse und vor allem Personen einzubeziehen. Somit gilt für mich am Projektstart, folgende Fragen zu beantworten: Wer sind die beteiligten Stakeholder? In welchem Kontext steht die Aufgabenstellung? In welchem Ökosystem findet das Problem statt? Welche Prozesse spielen eine Rolle? Wer hat welches Interesse und welchen Beitrag an der Prozesskette? Das ist eine tiefere Auseinandersetzung mit der jeweiligen Fragestellung, weil ich unterschiedlichste Blickwinkel einnehme, um so die beste Lösung zu finden.

Haben Sie ein Beispiel parat?
Stellen Sie sich vor, eine Rechtsabteilung wünscht die Digitalisierung von Verträgen, um Risiken besser dokumentieren zu können. Mit Design Thinking wird nicht sofort eine Lösung für dieses Problem gesucht – zum Beispiel ein Legal Tech-Tool eingekauft, sondern zunächst die Gesamtsituation analysiert: Wer ist alles an der Entstehung des Vertrages beteiligt? Wer sind die einzelnen Stakeholder? Wer hat dabei welches Interesse und welchen Beitrag an dem Vertragsschluss? So dient ein Vertrag in der Regel nicht nur dazu, Risiken zu minimieren, sondern auch dazu, ein für die Vertragsparteien positives Ergebnis zu dokumentieren, zum Beispiel den Abschluss eines Deals. Auch die dabei eingesetzten analogen und technischen Tools und Interaktionen werden mit verschiedenen Techniken untersucht, beispielsweise mit intensiven Interviews der beteiligten Stakeholder. Mit den gewonnenen Erkenntnissen lässt sich schließlich die Aufgabenstellung neu betrachten. So dient die Digitalisierung der Verträge etwa nicht nur dem ursprünglich genannten Zweck der Risikodokumentation , sondern auch anderen Zwecken, zum Beispiel einer Optimierung der vorhandenen Prozesse und der Vereinfachung von Daten.

Das klingt nach einem Kulturwandel bei der Arbeit von Kanzleien und Rechtsabteilungen?
Darauf läuft es hinaus. Zunächst muss aber die mentale Bereitschaft der Entscheider in Rechtsabteilungen und Kanzleien vorhanden sein, für Innovationen und Verbesserungen in Bezug auf die eigenen Prozesse Zeit, Raum und auch finanzielle Mittel bereitzustellen – denn die Investition in die eigene Effizienz und in Innovationen standen bisher eher nicht im Vordergrund. Und: Juristen sollten sich nicht ausschließlich auf die juristisch korrekte Lösung eines Problems fokussieren, sondern sich auch überlegen: Sind meine Texte und Verträge, die ich verfasse, verständlich und visuell so gefasst, dass sie leicht aufgenommen werden können? Wie sehen die internen Strukturen bei Mandanten aus? Wie kann ich als Jurist dazu betragen, Abläufe zu vereinfachen und nicht zusätzlich zu verkomplizieren? Oder, zusammengefasst: Der Mandant muss in den Mittelpunkt aller Maßnahmen gesetzt werden, für diesen sollte ein echter Mehrwert und nicht nur eine juristisch korrekte Lösung erbracht werden.

Das Liquid Legal Institut

Neben ihrer Tätigkeit als Beraterin hat Astrid Kohlmeier 2018 den nicht kommerziellen Verein „Liquid Legal Institute e.V.“ mitgegründet. Hinter dem Institut steckt die Idee, einen globalen Think Tank für neues Denken im Recht zu schaffen. Ein wichtiges Projekt des Liquid Legal Instituts ist z.B. die Förderung der Entwicklung einer sogenannten Common Legal Plattform. Darunter wird eine Open- Source-Plattform verstanden, auf deren Basis gemeinsam und interdisziplinär Standards entwickelt werden können, zum Beispiel für Vertrags-Klauseln aber auch technische Anforderungen, die dann übergreifend (open source) verwendet werden sollen. Weitere Infos unter:

https://liquid-legal-institute.com

Aufgestiegen zur Head of Legal Services & E-Discovery

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Anna-Katharina Horns berufliche Laufbahn verlief ein wenig anders, als sie sich das einst vorgestellt hatte. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften, einem Auslandsaufenthalt und der Arbeit in einer Anwaltskanzlei hatte sie vor, im PR-Bereich zu arbeiten. Doch da kam die Anfrage ihrer beiden ehemaligen Kommilitonen Stefan Bessling und Dr. Clas-Steffen Feuchtinger: „Hast du nicht Lust, bei uns ins Unternehmen einzusteigen“. Von Christoph Berger

Zur Person

Anna-Katharina Horn, Foto: Martin Fischer
Anna-Katharina Horn, Foto: Martin Fischer

Anna-Katharina Horn, Ausbildung zur Verlagskauffrau, Jurastudium mit Schwerpunkt Medienrecht, Arbeit in einer Anwaltskanzlei, Start bei reThinkLegal als Senior Projektmanagerin im Jahr 2014, seit 2016 Abteilungsleiterin des Bereichs Legal Services & E-Discovery

Die beiden hatten reThinkLegal gegründet, ein Unternehmen, das an der Schnittstelle von IT und Recht Produkte und Services anbietet. „Ich sagte zu und war die vierte Mitarbeiterin im Unternehmen. Und damals wusste noch keiner von uns genau, worauf er sich einlässt. Doch die Anfragen im Bereich Legal Services nahmen zu und der Markt hat sich entwickelt“, fasst Horn die Entwicklung kurz zusammen.

Horns Aufgabe bestand darin, die Abteilung Legal Services & E-Discovery mit aufzubauen, deren Leiterin sie seit 2016 ist. „Beim Einstieg war ich ganz gut mit Excel“, erzählt sie mit einem Augenzwinkern. Inzwischen habe sich ihr technisches Verständnis allerdings enorm ausgeweitet. Mit ihrem Team unterstützt sie Kanzleien und Rechtsabteilungen von Unternehmen bei internen Untersuchungen. Dabei geht es zum Beispiel um wirtschafts- oder kartellrechtliche Vorwürfe, die durch eine behördliche Anfrage entstanden sein können. Oder der Mandant befindet sich bereits in einem Zivilprozessverfahren. „In solchen Situationen müssen bestimmte Informationen meist schnellstmöglich ans Licht kommen, um herauszufinden, was tatsächlich passiert ist“, sagt Rechtsanwältin Horn. Und genau an solchen Stellen kommt sie mit ihren Teams zum Einsatz.

Da sich die relevanten Informationen meist in riesigen Datensätzen verbergen, setzt Horn mit ihrem Projektmanager- Team Analyse-Tools ein, die diese Massen digital durchsuchen und auswerten. Die existierenden Daten werden von den in den Fall involvierten Abteilungen gespeichert und mit Suchbegriffen belegt. „Stellen wir fest, dass die Daten dann tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen, dann lernen die eingesetzten Tools selbst hinzu. Das nennt man ,predictive coding’ / ,technology assisted review‘“, sagt Horn. Oder vereinfacht erklärt: Die Software sagt: „Wenn Sie dieses Dokument interessant fanden, dann könnte Sie jenes ebenfalls interessieren.“

Horns Team besteht trotz des massiven Technikbezugs vor allem aus Juristen. „Bei mir arbeiten Juristen mit 1. Staatsexamen und 2. Staatsexamen sowie Wirtschaftsjuristen und auch meine Managerinnen und Manager sind allesamt ausgebildete Juristen.“ Trotzdem gilt für alle, sowohl in der Welt des Rechts als auch in der der IT up-to-date zu bleiben. Die Teamleiterinnen und Teamleiter nehmen an jährlich stattfindenden Weiterbildungen teil, besuchen Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen – auch, um zu erfahren, welche Themen die Rechtsanwälte bewegen. Horn selbst besuchte zum Beispiel gerade eine Veranstaltung von Wirtschaftsstrafverteidigern, auf der es um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Jones Day-Fällen ging. Zum Hintergrund: Jones Day, eine Wirtschaftskanzlei, hatte interne Untersuchungen bei VW/Audi im Rahmen des Dieselskandals durchgeführt. Die dabei gesammelten Daten waren von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden. Jones Day hatte gegen Teile dieser Beschlagnahmung Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Parallel dazu gilt es für Horn und ihre Kollegen, auch technisch am Puls der Zeit zu bleiben. Sie nehmen an den Schulungen der IT-Unternehmen teil, um beispielsweise zu lernen, wie die Daten aus den Unternehmen abgezogenen und in die Analysetools gelangen. Schnittstellentechnik also. Doch bei aller benötigten Fachkompetenz in zwei komplexen und sich schnell verändernden Themenbereichen: „Das, was ich an meiner Arbeit wirklich spannend finde, sind die Kommunikation und das Arbeiten mit Menschen“, sagt Horn. „Durch mein Studium verstehe ich, in welchen Prozessen wir uns befinden, welche Sprache sowohl die Kanzleien als auch die Rechtsabteilungen sprechen. Ich kann nachvollziehen, warum wann etwas getan werden muss und wo manche Dinge nicht getan werden dürfen.“ Für all das ist das Jurastudium noch heute ihre Basis.

Prinzipiell wünsche ich mir, dass das Geschlecht irgendwann überhaupt keine Rolle mehr spielt, und nur die Kompetenz bei der Jobvergabe entscheidend ist.

Was die Technik hingegen betrifft, so sei es bei weitem nicht so, dass jede oder jeder im Legal Tech-Bereich Arbeitende auch programmieren kann. Eine Neugier an Neuem reiche oftmals schon aus. Denn es gibt nach Horns Aussage noch viel zu tun: „Wenn man sich die Arbeitsabläufe in den Kanzleien anschaut, dann sieht man, dass es noch recht wenig digitale Prozesse gibt.“ Daher komme es vielmehr auf Kommunikations- und Teamfähigkeiten an – nicht nur, um zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen und Ländern zu vermitteln, sondern auch zwischen den Vertretern der unterschiedlichen Fachdisziplinen. „In der Kommunikation von Juristen und IT‘lern kann es schon mal zu Missverständnissen kommen“, weiß sie.

Und wie fühlt es sich als Frau an, in den stark von Männern dominierten Branchen Recht und IT zu arbeiten? Horn stimmt zu, dass sowohl die Legal- als auch die IT-Branche sehr von Männern dominiert wird. Noch. Denn sie nimmt auch Bewegung diesbezüglich wahr. Immer mehr Frauen würden sich mit IT-Themen auseinandersetzen, immer mehr ein Informatikstudium aufnehmen, sodass es ihrer Meinung nach nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich Frauen in den Bereichen viel präsenter bewegen würden. „Prinzipiell wünsche ich mir, dass das Geschlecht irgendwann überhaupt keine Rolle mehr spielt, und nur die Kompetenz bei der Jobvergabe entscheidend ist“, sagt sie.

Derzeit sei es aber sicher noch sinnvoll, sich ein Netzwerk aufzubauen. Inzwischen gebe es an vielen Universitäten Legal Tech-Labs. Auch wurde letztes Jahr die Auszeichnung „Women of Legal Tech“ ins Leben gerufen, um die Arbeit von Frauen im Bereich Legal Tech sichtbar zu machen und anzuerkennen. Horn gehört zu den Preisträgerinnen. Doch letztlich hat sie nur einen Tipp an angehende Juristinnen, die sich vorstellen können, an der Schnittstelle von Recht und IT zu arbeiten: „Meine Empfehlung ist einfach und lautet: Machen Sie sich weniger Gedanken darum, was schiefgehen könnte. Einfach machen!“

Leitlinien für den Umgang mit technologiegestützter Überprüfungssoftware, kurz: Technology Assisted Review (TAR) Das Bolch Judical Institute der Duke Law School hat im Januar 2019 die „Technology Assisted Review (TAR) Guidelines“ herausgebracht. An deren Formulierung haben mehr als 50 Experten und Praktiker mitgewirkt. In den Leitlinien werden die grundsätzlichen Komponenten des Ablaufs beim Einsatz der Methode beschrieben.

www.edrm.net/wp-content/uploads/2019/02/TAR-Guidelines-Final.pdf

„Unsere Mandantin ist die Erde“

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Die internationale Umweltrechtsorganisation ClientEarth hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, Umweltfälle vor Gericht zu bringen. Wir sprachen mit Prof. Dr. Hermann E. Ott, dem Leiter des Deutschland-Büros, über seine Arbeit sowie darüber, welche Rolle Juristinnen und Juristen bei ClientEarth übernehmen können. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Prof. Dr. Hermann E. Ott (geb. 1961) ist Volljurist, erhielt seinen Doktortitel für eine Arbeit im Internationalen Umweltrecht von der Freien Universität Berlin und ist Honorarprofessor für „Global Sustainability Strategies and Governance“ an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE). Er arbeitete von 1998 an als Direktor der Klimapolitik-Abteilung des Wuppertal Instituts und gründete 2004 dessen Berliner Büro. Dort arbeite er zwischen 2014 und 2018 auch als Senior Advisor für globale Nachhaltigkeits- und Wohlfahrtsstrategien. Von 2009 bis 2013 war er Mitglied des Deutschen Bundestages in Berlin und war der klimapolitische Sprecher der Grünen Fraktion. Er war außerdem Mitglied der parlamentarischen Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ und Vorsitzender von deren Arbeitsgruppe zur Entkopplung der Ressourcennutzung von wirtschaftlichem Wohlstand. Seit September 2018 leitet er das Deutschland-Büro von ClientEarth in Berlin.

www.de.clientearth.org

Prof. Dr. Ott, Sie sind seit September bei ClientEarth, wie kam es dazu?
Ich habe im Vorfeld schon sehr viel in den Bereichen Klima und Nachhaltigkeit, in Global Sustainability Governance, gemacht. Allerdings wurde ich zunehmend unzufriedener, denn man kann ja unheimlich viel forschen und reden, bekommt aber trotzdem den Eindruck, dass sich nichts tut. Deshalb fiel ich immer stärker auf meine juristische Ausbildung zurück. Im Februar 2018 traf ich dann den Gründer und CEO von ClientEarth, James Thornton, von dem ich sehr beeindruckt war. Ich schrieb ihm, dass wir eine solche Organisation auch in Deutschland bräuchten, eine Organisation, die einen strategischen Ansatz verfolgt und im allgemeinen Interesse klagt. So kam es schließlich dazu, dass ich nun das Büro der Organisation in Deutschland aufbaue.

Was machen Sie genau, wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Beispielsweise unterstützen wir mit unserem CleanAir-Programm die Deutsche Umwelthilfe bei ihren Klagen gegen Städte. Im Energy-Programm koordinieren wir die Tätigkeit von rechtlichen Akteuren, um beispielsweise den Kohleausstieg durchzusetzen. Der Anspruch von ClientEarth ist, den Umwelt- und Naturschutz über „the life oft he law“, also den Lebensweg des Rechts, zu unterstützen. Das fängt mit einer Analyse der Situation an und geht weiter über Lösungs- und Regulierungsideen. Wir schauen auch, ob Regulierungen umgesetzt werden und verfolgen Missachtungen mit Klagen. Letztere sind somit nur ein kleiner Teil unserer Arbeit, generieren aber die meiste Aufmerksamkeit.

Der Vorteil dabei ist, dass wir das unabhängig von Mandanten machen können. Unsere Mandantin ist die Erde. Dazu arbeiten wir mit Organisationen zusammen, die mithilfe der Aarhus-Konvention arbeiten, um Rechtsverletzungen zur Sprache zu bringen und anzuklagen.

Versuchen Sie auch Einfluss auf die Legislative zu nehmen, also neue Gesetze zum Schutz der Erde in den Gesetzbüchern zu verankern?
Klar. Das ist die Frage nach den Lösungen und Maßnahmen, die es braucht, um die Erde zu schützen. Gerade über unser Brüsseler Büro versuchen wir Einfluss auf die Formulierung von umweltrelevanten Gesetzen der EU zu nehmen und diese möglichst im Sinne eines guten Umweltschutzes umzusetzen.

Sie vertreten die Meinung, dass das Recht das schärfste Schwert zur Durchsetzung von Klima, Umwelt und Naturschutz ist.
Im Moment ist es tatsächlich so. Das liegt meiner Meinung nach aber an einem sehr traurigen Tatbestand: So werden die geltenden Gesetze von Behörden und Ministerien nicht umgesetzt. Manchmal fehlt der politische Wille und oft sind die Behörden einfach personell zu ausgedünnt, Recht durchzusetzen. Und da fungiert dann zum Beispiel die Umwelthilfe als verlängerter Arm der Exekutive. Daher ist der Klageweg sehr Erfolg versprechend, auch wenn es mir am liebsten wäre, wenn es uns überhaupt nicht bräuchte.

Und auch in der politischen Landschaft kommt es zu einem Umdenken. Immerhin ist Umweltschutz ja auch Menschenschutz.

Das Schaffen von Recht ist ein demokratischer Prozess. Hat der Natur-, Umwelt- und Klimaschutz eine Mehrheit in Deutschland?
In der Bevölkerung ja. Und auch in der politischen Landschaft kommt es zu einem Umdenken. Immerhin ist Umweltschutz ja auch Menschenschutz, es geht um unsere Lebensgrundlage und die Grundlagen unserer Zivilisation.

Lassen Sie uns noch einmal auf die Anwälte der Erde zurückkommen. In welchen Rechtsgebieten müssen sich Juristen auskennen, wenn sie sich in dem Bereich engagieren wollen?
Oh, bei uns arbeiten Juristinnen und Juristen aus vielen Rechtsgebieten – und beispielsweise nur sehr wenige Umweltrechtler. Wir haben des Weiteren zum Beispiel Juristen aus dem Bereich des Wirtschaftsrechts. Denn im europäischen Recht ist es das Recht der Beihilfe, was häufig genutzt werden kann, um umweltschädliche Vorhaben zu vereiteln. Außerdem kaufen wir auch Anteile von Unternehmen, zum Beispiel von Energieunternehmen. So haben wir Juristinnen und Juristen aus allen Rechtsbereichen, die dazu beitragen, Umweltschutz durchzusetzen – im Privatrecht, öffentlichen Recht, im Verfassungsrecht und manchmal sogar Strafrecht. Auch mir persönlich hilft bei meiner Arbeit, dass ich mich in unterschiedlichsten Bereichen ganz gut auskenne: in der Wissenschaftspolitik, in der Zivilgesellschaft und auch im rechtlichen Bereich.

Und wie wichtig ist die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich, ClientEarth ist ja auch eine internationale Organisation?
Sehr wichtig. Gerade innerhalb Europas gibt es eine sehr enge Zusammenarbeit. Das beruht zum einen darauf, dass europäische Gesetze in allen EU-Ländern gelten, andererseits ist es eine strategische Aufgabe, in einem Land gemachte Erfahrungen auf andere zu übertragen. Das kann sehr effektiv sein. Der Blick in andere Rechtsgebiete, in andere Nationen et cetera ist immer wieder sehr erhellend, um das eigene Denken voranzubringen.

 

Das Zweifelhafte beeinflusst unsere Urteile

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„Juristen kommunizieren oftmals mit vagen Aussagen, um beispielsweise falsche Beschuldigungen, Vorverurteilungen und Verleumdungen zu verhindern. Neurokognitive Studien zur Personenbeurteilung zeigen jedoch, dass diese Ausdrucksweise nicht immer zum gewünschten Ziel führt. Von Christoph Berger

In dubio pro reo. Oder: Im Zweifel für den Angeklagten. Dieser Grundsatz sagt dem Gericht, wie es zu entscheiden hat, wenn es Zweifel bei einer Entscheidung hat. Nicht ohne Grund wählen Juristen auch gerne Begriffe wie „angeblich“, „mutmaßlich“ oder „wird verdächtigt“. Auf diese Weise wird Zweifel am Wahrheitsgehalt von Informationen ausgedrückt. Oder es sollen falsche Beschuldigungen, Vorverurteilungen und Verleumdungen verhindert werden. Und nicht zuletzt hat dieser Grundsatz längst Eingang in unsere Alltagskommunikation genommen. Wissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin haben nun allerdings untersucht, wie das menschliche Gehirn derartig verbal kommunizierte Personeninformationen verarbeitet und Urteile beeinflusst. Wichtig ist dabei zu erwähnen, dass es sich bei den Urteilen nicht um Gerichtsurteile handelt, sondern um persönliche Urteile von Menschen über andere.

Doch anders, als man unter Umständen denken mag, kamen die Neurowissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Urteile über Personen nicht automatisch aufgrund unsicherer Informationen abgemildert oder gar Fehlurteile vermieden werden. Dies wiesen sie anhand von Messungen der Gehirnaktivität von Versuchsteilnehmern mittels eines Elektroenzephalogramms (EEG) nach, während sie den Probanden Informationen mit negativen oder vergleichsweise neutralen Inhalten zu zuvor unbekannten Gesichtern gaben. Dabei stellten sie fest, dass die erhaltenen Informationen die Probanden stark beeinflussten. Zwar sei von den Studienteilnehmern erkannt worden, dass die Informationen zu den Gesichtern unzuverlässig sind, doch auf die im EEG festgestellte emotionale Reaktion habe das keinen mildernden Einfluss sowie das dann gefällte Urteil über die Personen gehabt. Die Urteile fielen negativ aus. Gleiches passierte bei der Weitergabe von positiven Informationen zu den Gesichtern – nur in anderer Richtung. Diese Personen wurden von den Versuchsteilnehmern als sympathisch eingeschätzt und positiv beurteilt. Auch hier sprachen die über das EGG festgehaltenen Gehirnaktivitäten eine deutliche Sprache – wobei auch der geäußerte Zweifel beziehungsweise die Zuverlässigkeit an den Informationen keinen modulierenden Einfluss hatte.

Quelle: Clear judgments based on unclear evidence: Person evaluation is strongly influenced by untrustworthy gossip

Die Befunde zeigen laut den Wissenschaftlern, dass wir Menschen tendenziell selbst dann stark emotional beurteilen, wenn dieses Urteil wissentlich auf unsicherer Evidenz beruht. Somit scheint sich auch ein anderes Sprichwort zu bewahrheiten: semper aliquid haeret. Übersetzt: Verleumde nur dreist, es bleibt immer etwas hängen. Hoffnung könnte allerdings machen, dass die Studienteilnehmer nicht explizit dazu aufgefordert worden waren, die emotionalen Inhalte zu unterdrücken oder sich bewusst mit den Auswirkungen von Gerüchten auseinanderzusetzen. Dies soll in künftigen Studien passieren, um dann festzustellen, ob es Wege gibt, die Unzuverlässigkeit personenbezogener Informationen zu berücksichtigen und somit emotionalen Reaktionen und Urteile zu regulieren.

Netzwerke aufbauen

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Gute Netzwerke helfen nicht nur bei der Orientierung und dem Berufseinstieg, sie sind auch nützlich, sich Wissen anzueignen und Ideen zu entwickeln. Wir listen hier einige Innovations-Hubs und Events auf, die gerade auch für Juristinnen und Juristen interessant sind. Von Christoph Berger

ReInventLaw – Am 12. April 2018 wurde im Frankfurter Ostend feierlich der erste Legal Innovation Hub in Kontinentaleuropa eingeweiht, ReInventLaw. Die Gründungskooperationspartner sind Baker McKenzie, Bosch, Daimler, Wolters Kluwer und ZF Friedrichshafen gewesen, inzwischen sind noch weitere Unternehmen dazugestoßen.

Legal Tech Hub Vienna – Einige Rechtsanwaltskanzleien haben im Oktober 2018 gemeinsam den Legal Tech Hub Vienna (LTH Vienna) ins Leben gerufen. Kernziel des Hubs ist es, die Rechtsberatungsbranche pro-aktiv, Mandanten-orientiert und innovativ in die digitale Zukunft zu führen.

European Legal Technology Association (ELTA) – Die European Legal Technology Association (ELTA) ist eine Vereinigung von Anwaltskanzleien, Unternehmen, Rechtstechnologieanbietern, Start-ups und Einzelpersonen in Europa. Sie versteht sich sich als Plattform speziell zur Förderung des Wissens über die Einsatzmöglichkeiten von technologie- und softwaregestützten Lösungen im Rechtsmarkt sowie deren Einsatz.

recode.law – Aktive und ehemalige Studenten der WWU Münster, aber auch solche aus dem Großraum NRW, haben recode.law gegründet, eine Initiative die sich mit der Zukunft des Rechts, insbesondere Legal Tech beschäftigt.

Munich Legal Tech – Auch der Munich Legal Tech Student Association e.V. ist eine studentische Initiative an den Münchener Universitäten im Bereich Legal Technology.

EVENTS

TPR Legal – „Tech + Process + Resource= TPR Legal“ ist das Motto der vom 6. Bis 7. Juni 2019 stattfindenden Jahreskonferenz der Initiative TPR Legal.

Swiss Legal Tech 2019 – Die Swiss Legal Tech 2019 ist ein zweitätiges Event, das Juristen mit Entwicklern und Designern digitaler Produkte zusammenbringt, um gemeinsam die Rechtsindustrie der Zukunft zu formen. 2019 findet es vom 3. bis 4. September in Zürich statt.

EDV-Gerichtstag – Der nächste EDV-Gerichtstag findet vom 18. bis 20. September 2019 statt.

Anwaltszukunftskongress – Unter dem Titel „Mehr als Technologie. Der Anwalt im digitalen Zeitalter.“ läuft der am 13. und 14. September 2019 in Düsseldorf stattfindende Anwaltszukunftskongress.

IT-Juristinnen Tag – Am 25. Oktober 2019 findet der von Härting Rechtsanwälte und der Anwaltskanzlei Dierks organisierte IT Juristinnen Tag statt, ein Barcamp zu dem Themenfeld Digitalisierung und Recht.

Net.Law.S ist eine interdisziplinäre Konferenz zur digitalen Transformation in der Wirtschaft mit den Schwerpunkten Recht und Gesellschaft. Der nächste Termin: 5. und 6. November 2019.

Legal Evolution – Die nächste LEGAL ®EVOLUTION Expo & Congress findet am 4. und 5. Dezember 2019 in Frankfurt am Main statt.

„Guten Tag, hier ist Simon Tanner“

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Simon Tanner hat einen Roman geschrieben. Der Titel: „Harte Landung“. Doch viel ist über den Autor nicht bekannt. Jurist sei er, sagt er. Und er wolle Geschichten erzählen, von denen er glaubt, dass sie es wert sind. Von Christoph Berger

Eines direkt vorweg: Simon Tanner ist ein Künstlername. Und Simon Tanner ist der Autor des Romans „Harte Landung“, einerseits einem Wirtschaftsroman, in dem es um das Leben in Top-Management- Zirkeln geht. Andererseits wird in dem Buch auch das Einzelschicksal von Heiko Anrath, einem Familienvater, leidenschaftlichen Schachspieler und erfahrenen Manager, beschrieben.

„Alles Fiktion“, wie Tanner erklärt, der neben seinem Autorenleben nach Eigenaussage selbst auch im Top-Management eines Industrieunternehmens arbeitet. Derzeit. Denn dieser Stelle seien andere Positionen und Branchen vorangegangen – immer als General Manager. Ebenso ein Jurastudium mit erstem und zweitem Staatsexamen. Dann noch ein Wirtschaftsstudium. Das habe er allerdings später abgebrochen.

Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Tanner während seines Studiums als Journalist für eine Regionalzeitung. Daneben schrieb er bereits kleinere Geschichten. Aber nur für sich. Das Schreiben schien ihm zu liegen. Nach dem Studienabschluss lag ihm sogar das Angebot vor, bei einer großen überregionalen Tageszeitung anzufangen. Ihn zog es jedoch in die Wirtschaft. Nicht in eine Anwaltskanzlei oder die öffentliche Verwaltung. In eine andere Branche.

Tanner bleibt bei vielen seiner Ausführungen vage, er will anonym bleiben. Auch sein Alter gibt er nur mit „um die 50 Jahre alt“, an. Diesen Weg der Anonymität geht er nicht aus Angst, seine Autorentätigkeit könnte ihm in seinem anderen Leben, dem Manager-Leben, schaden. Er wolle einfach nicht auf den Manager reduziert werden, der nun einen Roman geschrieben hat. Oder umgekehrt. Er will das Buch und die Person Simon Tanner für sich wirken lassen. „Das ist für die Literatur gut und auch für meinen Job in der Top-Managementebene“, sagt er.

Einen Bezug zur Literatur habe er aber schon immer gehabt, verrät Tanner immerhin. Ein Vielleser sei er schon als Kind gewesen. Und genauso sei er es noch heute. Da habe er sich einiges von den Autoren für seinen Debutroman abgeschaut. Denn irgendwann habe er eine Geschichte im Kopf gehabt und begonnen, an ihr zu arbeiten. „Es gab den Zeitpunkt, da war die Geschichte so weit fortgeschritten und ich mit meinen Protagonisten und Protagonistinnen so eng verbunden, dass ich es ihnen und mir einfach schuldig war, die Sache zu einem Ende zu bringen“, erzählt er.

Etwa drei Jahre hat er an „Harte Landung“ gearbeitet. Frühaufsteher Tanner setzte sich dazu morgens ab vier, fünf Uhr an den Schreibtisch, um das Leben in Managementmilieus auf Papier zu bringen. „Kontinuität, mit der Arbeit verbundene Rituale und Disziplin sind unerlässlich, um ein solches Vorhaben neben einer anderen Vollzeit-Tätigkeit durchzuziehen“, sagt er. Gegen acht saß er dann am Schreibtisch der Firma, deren Geschicke er mit zu verantworten hat. Und die Arbeit scheint sich gelohnt zu haben. Immerhin sagt Bestseller-Autor Veit Etzold über Tanners Buch: „Ein kraftvolles Buch, ein literarischer Coup. Tanner ist der deutsche John Grisham.“

Zum Buch „Harte Landung“

Cover Harte Landung„Harte Landung“ ist ein Roman, der mitten im Top- Management eines deutschen Konzerns spielt. Heiko Anrath, Familienvater, leidenschaftlicher Schachspieler und erfahrener Manager der Nerma AG, ist, so sagt man es ihm, eine der großen Hoffnungen des Konzerns. Doch in der Welt des Top-Managements kann das zweierlei heißen: Sein Rausschmiss steht unmittelbar bevor oder man macht sich Sorgen, dass er plötzlich zu einem anderen Unternehmen verschwindet. Kaum fragt sich Anrath, was von Beidem wohl die bessere Alternative ist, wird sein geordnetes Managerleben durch mehrere Ereignisse mit einem Schlag auf den Kopf gestellt.

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Aber schließlich waren es nicht nur der Plot sowie die Verbundenheit mit den in seinem Roman auftretenden Figuren, die Tanner das Buch schreiben ließen. Das Schreiben sei seine Form, Fantasien auszuleben. „Ich habe eigentlich schon immer gerne geschrieben. Vielleicht ist das mein Versuch, Kreativität zum Ausdruck zu bringen und zu gestalten. Zeichnen und Musik sind es jedenfalls nicht“, sagte er mal in einem Interview. Tanner meint damit Kreativität, für die im Alltag eines Managers oft viel zu wenig Zeit und Raum bleibt. Bei dem Aufgabenpensum sei es schwierig, verschiedene unterschiedliche Dinge nebeneinander zu tun. Das Schreiben sei daher auch ein Ausgleich, sagt er. Inzwischen sitzt Tanner schon an seinem nächsten literarischen Projekt: „Zwei bis drei Bücher werden mit Sicherheit noch folgen“, lässt er durchblicken.

Und was hat der Autor Tanner mit dem einstigen Jurastudenten und heutigen Top-Manager gemeinsam? Rein literarisch ist „Harte Landung“ Fiktion, wie Tanner betont, aber natürlich kämen in dem Roman auch Versatzstücke aus seinem Leben beziehungsweise seiner Arbeit vor. Und was den Juristen Tanner betrifft, da sei es einfach so, dass man mit einem Jurastudium so flexibel und wandlungsfähig sei, dass man im Grunde überall arbeiten könne. Vor allem die Form zu denken, die einem im Studium vermittelt werde, befähige zu der späteren Vielseitigkeit. Und mit dieser Vielseitigkeit schlägt er dann auch die Brücke vom Juristen zum Manager Tanner. Denn schließlich sei ja auch das Wirtschaftsleben im Grunde ein Regelwerk, das aus vielerlei Abkommen bestehe. Das komme Juristen sicher zugute. Außerdem „In einer Welt, in der sich das Spezialistentum immer schneller entwickelt, braucht es Menschen, die den Gesamtüberblick behalten. Verantwortliches Handeln verlangt, dass man den Überblick behält.“ Tanners Hauptfigur Anrath geht diese Fähigkeit manches mal ab. Wie es um Tanner selbst diesbezüglich bestellt ist, bleibt mit einem Fragezeichen versehen. Aber es ist ihm zu wünschen.

Schrift-Sätze: Kultur-, Buch- und Linktipps

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SOLIDARITÄT

Solidarität war einmal ein starkes Wort. Doch es geriet mehr und mehr in den Hintergrund, als jeder für sein Glück und seine Not selbst verantwortlich gemacht wurde. Heute ist die Gesellschaft tiefer denn je zwischen Arm und Reich gespalten. Natürlich gibt es ein Sozialsystem, das einen Ausgleich bewirkt. Dazu brauchen wir aber ein neues Verständnis von Solidarität. Und kann diese unsere Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen retten? Heinz Bude, Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel, appelliert in seinem Buch „Solidarität“ an eine solche neue Art des Zusammenlebens. Wir sollten uns nicht damit begnügen, materielle Not zu lindern, sondern im anderen uns selbst als Mensch wiedererkennen. Erst durch diese freie Entscheidung zur Mitmenschlichkeit findet eine Gesellschaft wieder zusammen. Heinz Budes Reflexionen über die solidarische Existenz liefern die Antworten auf die soziale Frage unserer Zeit.

Heinz Bude: Solidarität. Hanser 2019, 19 Euro Jetzt kaufen bei Amazon

VOM GEIST DER GESETZE

Cover Vom Geist der GesetzeDie Gewaltenteilung als Ordnungs- und Strukturprinzip ist Bestandteil fast aller modernen Verfassungen und in erster Linie auf das vorliegende Werk „Vom Geist der Gesetze“ von Charles de Montesquieu zurückzuführen. In diesem stellt der französische Schriftsteller, Philosoph und Staatstheoretiker der Aufklärung die drei Staatsformen Demokratie, Monarchie und Despotie in ihrer jeweiligen Abhängigkeit von den natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen dar. Nur wenn der Geist der Gesetze eines Landes zu diesen Bedingungen, zu seiner Regierungsform und vor allem zum Wesen und Charakter, dem „esprit général“, des jeweiligen Volkes passt, entspricht die Gesetzgebung der Vernunft und kann willkürfreie Herrschaft ermöglichen. Ernst Forsthoff, ein ehemaliger Strafrechtler, hat diesen Klassiker übersetzt und herausgegeben, der nun neu aufgelegt wurde.

Charles de Montesquieu: Vom Geist der Gesetze. Utb 2019, 24,99 EuroJetzt kaufen bei Amazon

APP ZUM GRUNDGESETZ

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat eine App zum Grundgesetz herausgebracht, die sowohl die aktuelle Fassung des Gesetzes als auch viele Hintergrundinformationen dazu beinhaltet – zur Entstehung und Entwicklung. Die App ist zudem um ein Quiz sowie das Lexikon „Pocket Politik“ ergänzt, aus dem Basisinformationen zu politischen Begriffen nachgeschlagen werden können. Die App ist auf den bekannten App-Marktplätzen unter „bpb: Das Grundgesetz“ zu finden und steht dort kostenfrei zum Download bereit.

DIE BERUFUNG

Am 7. März 2019 startete in Deutschlands Kinos der Fim „Die Berufung“. Darum geht es: Es sind die 50er Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika. Frauen dürfen weder als Polizistinnen arbeiten noch in Princeton studieren. Ruth Bader Ginsburg will diese Welt verändern. Sie studiert als eine von wenigen Frauen Jura an der Elite-Universität Harvard. Nach ihrem Abschluss als Jahrgangsbeste muss sie sich mit einer Stelle als Professorin zufriedengeben, obwohl sie lieber die Gerichtssäle erobern würde – ein Privileg, das ihren männlichen Kollegen vorbehalten ist. Dank ihres Mannes und Steueranwalts Marty wird sie eines Tages auf den Fall Charles Moritz aufmerksam. Trotz der aufopfernden Pflege seiner kranken Mutter wird Moritz nicht der übliche Steuernachlass gewährt – aufgrund seines Geschlechts. Ruth wittert einen Präzedenzfall, der eine seit Jahrzehnten stillstehende Gesetzeslage ad absurdum führt. Mit eisernem Willen und scharfem juristischen Verstand zieht Ruth endlich vor Gericht und in einen leidenschaftlichen Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen (und Männern). Die DVD zum Film ist für August 2019 angekündigt.

ALLES KÖNNTE ANDERS SEIN

Cover Alles könnte anders seinHeute glaubt niemand mehr, dass es unseren Kindern mal besser gehen wird. Muss das so sein? Muss es nicht! Der Soziologe und erprobte Zukunftsarchitekt Harald Welzer entwirft uns eine gute, eine mögliche Zukunft. Anstatt nur zu kritisieren oder zu lamentieren, macht er sich Gedanken, wie eine gute Zukunft aussehen könnte: In realistischen Szenarien skizziert er konkrete Zukunftsbilder u.a. in den Bereichen Arbeit, Mobilität, Digitalisierung, Leben in der Stadt, Wirtschaften, Umgang mit Migration usw.

Harald Welzer: Alles könnte anders sein. Fischer 2019, 22 Euro.Jetzt kaufen bei Amazon

MUSIKER, AUTOR UND VOLLJURIST: PETER LICHT

Foto: Priska Ketterer
Foto: Priska Ketterer

„Wenn dann die letzte Lüge getwittert ist, werdet ihr sehen, dass Lüge keine Herzen wärmt.“ Diese Textzeile aus dem Song „Chipslied“ stammt vom deutschen Musiker und Autor Peter Licht, der übrigens auch Volljurist ist. Zu hören ist sie derzeit am Theater Basel im Stück „Tartuffe oder das Schwein der Weisen“, für das Licht mehrere Stücke beigesteuert hat. Sein aktuelles Album heißt „Wenn Wir Alle Anders Sind“, mit dem er gerade durch Deutschland und Österreich tourt. Weitere Infos unter: www.peterlicht.de

VOM GROSSEN UND KLEINEN WIDERSTAND

Heribert Prantl ist nicht nur renommierter Journalist, sondern auch Honorarprofessor für Rechtswissenschaften an der juristischen Fakultät der Universität Bielefeld, Dr. jur. und Ehrendoktor der Theologie, politischer Publizist und gelernter Richter und Rechtsanwalt. In seinem aktuellen Buch „Vom großen und kleinen Widerstand“ hält er eine Laudatio auf Widerständler und Whistleblower: ein Lobpreis auf die Unangepassten, auf die Demokraten des Alltags, auf die Verteidiger der Grundrechte.

Heribert Prantl: Vom großen und kleinen Widerstand. Süddeutsche Zeitung Edition 2018, 24,90 EuroJetzt kaufen bei Amazon

DIE ZUKUNFTSMACHER

Cover Die ZukunftsmacherDer jungen Generation wurde ein wohlhabendes Land hinterlassen, ein Land, in dem die meisten Menschen finden, dass es gerecht zugeht, ein Land mit einer reichen Kultur und einer langen Geschichte. Jetzt liegt es an dieser jungen Generation, diese Errungenschaften zu bewahren und zu entwickeln. Die Digitalisierung, die Globalisierung und das raue politische Klima werfen Fragen auf – gerade der nächsten Generation. Die ist auf der Suche nach Orientierung, nach Antworten: Was bedeutet die Digitalisierung für ihre Arbeit? Werden sie trotz des demografischen Wandels eine sichere Rente haben? Werden es ihre Kinder später einmal genauso gut haben wie ihre Eltern?

Paul Ziemiak (Hrsg.): Die Zukunftsmacher. Ullstein 2017, 14 ,99 EuroJetzt kaufen bei Amazon

Das letzte Wort hat: Dr. Geertje Tutschka

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Die Beratung von Juristen ist für Dr. Geertje Tutschka eine Herzensangelegenheit. Und sie zeigt, dass die Branche ein People Business ist. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Dr. Geertje Tutschka, Foto: werdewelt
Dr. Geertje Tutschka, Foto: werdewelt

Dr. Geertje Tutschka ist Anwältin, Geschäftsführerin von CLP – Consulting for Legal Professionals, einem Beratungsunternehmen für Juristen bei der Kanzleientwicklung und Karriereplanung, Präsidentin (Past) des deutschen Chapters der International Coach Federation, Autorin zahlreicher Ratgeber und Keynote-Speakerin. www.consultingforlegals.com

Dr. Tutschka, wir befinden uns derzeit in einem Zeitalter der Transformation, vieles scheint derzeit in Frage gestellt: Unternehmen, deren Wertschöpfungsprozesse, die Arbeitswelt an sich. Mit welchen Anliegen kommen Juristinnen und Juristen da zu Ihnen?
Die Anliegen sind vielfältig. Aber Sie haben Recht: Viele Themen sind von Angst vor der Transformation einer gesamten Branche, der Welt wie wir sie kannten, getrieben. Was es schwierig macht, weil hier ganz viel Kreativität und Innovation verlorengeht. Einen Großteil unserer Arbeit fokussieren wir daher im Moment darauf, an unsere Kollegen Sicherheit, Selbstbewusstsein, Urvertrauen zurückzugeben. Der ständige Hype um Legal Tech, technische Investitionen in astronomischen Höhen und künstliche Intelligenz treffen hier ungünstig zusammen auf die Unsicherheiten und Herausforderungen der Einführung des beA und der DSGVO/GDPR. Juristen sind auch nur Menschen, die ihre Arbeit machen und Rechtsfälle erfolgreich lösen wollen. Doch im Moment lastet ein enormer Druck auf der Branche, der zudem noch von Diversity-Themen (Gender und LGBTQ) sowie dem Konkurrenzdruck beim Einzelkämpfer wie der Großkanzlei verstärkt wird.

Gibt es bei all dem Wandel auch Konstanten, auf die es schon immer ankam und weiterhin ankommen wird?
Ja, die gibt es: Das sind die typischen Themen aus der Kanzleientwicklung (Strategie, Positionierung, Marketing) sowie der Anwaltskarriere (Partnerwerdung, Work-Life-Balance, Bewerbungsperformance, Zeitmanagement, Verhandlungstechnik und Führungskompetenz). Aber das sind ja auch alles keine „kleinen Fische“; das sind intensive, existenzielle und oft auch persönlichkeitsverändernde Themen – die sind wichtig. Ein sich verändernder Nachfragemarkt in Zeiten, in denen aufgrund der Digitalisierung Fachwissen immer und überall kostenfrei abrufbar ist und ein sich veränderndes Berufsbild aufgrund des Gender- und Generationshifts machen jedoch die Navigation durch diese Themen speziell. Das ist nichts für Anfänger.

Andererseits scheint jetzt unter Umständen der geeignete Zeitpunkt für eine Kanzleigründung zu sein, vor allem wenn es um die Symbiose von Recht und Technik geht?
Es ist immer der geeignete Zeitpunkt für eine Kanzleigründung! Ich bin mit Leidenschaft selbstständige Anwältin und wenn man die wichtigsten Grundvoraussetzungen beherzigt, die ich in meinem Buch „Kanzleigründung und Kanzleimanagement” (DeGruyter, 2018) – für Junganwälte ist übrigens die Zusammenfassung im eBook kostenfrei auf unserer Seite abrufbar – beschrieben habe, ist wirklich alles möglich  – eben auch die Gründung als Legal Tech Start-up. Zwar gilt es in der Tat, einige Besonderheiten zu beachten. Methoden wie das Business Model Canvas oder Legal Design Thinking können hier jedoch ganz Großartiges leisen. Nicht von ungefähr entwickeln alle – und ich meine wirklich alle – Großkanzleien gerade Innovation Hubs, Legal Tech Hackathons und eigene Legal Tech-Produkte, mit mehr oder weniger großem Erfolg.

Juristen werden als Mechaniker ausgebildet, ohne die entsprechende Herzensbildung und das notwendige seelische Gleichgewicht. Das muss sich ändern.

Als Schlüsselthemen im Rahmen Ihrer Beratung nennen Sie Leadership und Development. Können Sie diese beiden Aspekte kurz in Bezug zu Juristinnen und Juristen setzen?
Juristen sind immer in der einen oder anderen Form in Führungsverantwortung. Als juristischer Sachbearbeiter und Fachexperte ausgebildet, fehlt es Juristen – und zwar überall auf der Welt – in ihrer juristischen Ausbildung jedoch an entsprechendem Know-how dazu. Als Kanzleiinhaber und Partner, aber auch als Anwalt hat man relativ früh Führungsverantwortung. Gleiches gilt für Unternehmensjuristen oder auch Richter und Juristen im Staatsdienst. Und natürlich sind Juristen immer in Krisen- und Konfliktsituationen tätig – in Ausnahmesituationen, in denen Emotionen und Aggressionen hochschlagen. Hier die notwendige persönliche Weiterentwicklung und Reife, Selbstreflexion, Achtsamkeit und Objektivität nachzubilden, ist enorm wichtig und essentiell, um gute Leute nicht im Alltagsgetriebe zu zerreiben.

Nicht von ungefähr steigen Burn Out-Diagnosen, Berufsunfähigkeiten und auch die Selbstmordrate in der Branche drastisch an. Juristen werden als Mechaniker ausgebildet, ohne die entsprechende Herzensbildung und das notwendige seelische Gleichgewicht. Das muss sich ändern. In der CLP-Academy versuchen wir mit unserer Legal Coaching-Ausbildung dem entgegenzusteuern: Indem Juristen professionelle Kommunikationstechniken und Verständnis für menschliches Verhalten in Krisen- und Konfliktsituationen beigebracht wird, geht es indirekt auch immer um Selbstreflexion und Achtsamkeit in diesen Situationen.

Auf Ihrer Internetseite schreiben Sie, gute Juristen seien Ihre Leidenschaft. Wer ist eine gute Juristin beziehungsweise ein guter Jurist?
Ein guter Jurist – und hier kann ich übrigens gut auf das gendern verzichten – ist für mich ein juristischer Fachexperte, der in sich ruht, unabhängig agiert, lebenserfahren und ethisch handelt. Und zwar mit der „Hand am Arm“, also mit Hausverstand oder gesundem Menschenverstand sowie mit Respekt vor dem Mandantenwillen. Das kann dazu führen, dass außergerichtliche Streitschlichtungen deutlich bevorzugt werden. Oder dazu, dass auf Ansprüche verzichtet wird. Es führt aber in jedem Fall dazu, dass dieser Jurist von Mandanten wieder als das wahrgenommen wird, was er sein sollte: ein verlässlicher, vertrauensvoller Partner in allen Lebenslagen.

Welche Skills, neben dem fachlichen Know-how, sollten Juristinnen und Juristen heute mitbringen, um für den Arbeitsmarkt gewappnet zu sein?
Geht es um einen Einstig als Selbstständiger, also um eine Kanzleigründung, in jedem Fall Skills in Business Development, Leadership und Marketing/Akquise. Aber auch beim Einstieg als angestellter Anwalt, Unternehmensjurist oder Beamter sind frühzeitige strategische Karriereplanung, Führungskompetenz und ein Verständnis davon, wie man mit Personal Branding seine juristische Expertise von Anfang an ins rechte Licht rückt, gefragt. Hier bemerken wir gerade im letzten Jahr eine gesteigerte Nachfrage bei CLP nach speziell diesen Themen. Zusätzlich ruft der Arbeitsmarkt noch nach Zusatzqualifikationen. Zwei juristische Staatsexamen genügen da längst nicht mehr. Was zu Beginn der Doktortitel, später der LL.M. war, waren dann Sprachen und Fachanwaltsausbildungen. All dies ist auch heute noch relevant. Bei etwa 25 Fachanwaltsausbildungen zeigt sich jedoch, wie sehr sich auch viele Rechtsgebiete entwickelt haben. Von „Allroundern“ scheint das nicht mehr bewältigt werden zu können – und doch gibt es in unseren Nachbarländern wie Österreich auch heute noch nicht einen einzigen Fachanwalt. Und die Kollegen bearbeiten diese Gebiete auch. Und zwar sehr gut.

Aus meiner Perspektive werden zukünftig jedoch weit weniger zusätzliche juristische Fachausbildungen gefragt sein, sondern sogenannte „Cross Competencies“, also Kenntnisse und Ausbildungen aus andern Fachbereichen: wie die IT für Legal Tech, interkulturelle Kompetenz für gemischtnationale Teams und international Arbeit, Psychologie/Coaching/Mediation für taktisches Fingerspitzengefühl, aber auch als Managing Partner oder Personalverantwortlicher in Kanzleien. Menschenkenntnis, oder besser ein Gespür für menschliche Bedürfnisse und die Liebe zu Menschen, sind aber nach wie vor unablässig. Schon allein, um als „allwissender“ Rechtsberater die erforderliche Demut vor den persönlichen Entscheidungen der Mandanten zu wahren. Dies ist etwas, was tatsächlich in jedes Jurastudium integriert werden sollte. Und natürlich sind ein gutes Verständnis der eigenen Bedürfnisse, Vorurteile und der eigenen Prägung und Sozialisierung für Juristen besonders wertvoll, die für sich beanspruchen, weitgehend objektiv und wahrhaftig in der Rechtsbranche tätig zu sein. Die Aufarbeitung unserer speziell deutschen Vergangenheit, sei es aus der Nazizeit oder aus der DDR und auch ein differenziertes Verständnis vom Einfluss der Kirche und unserer patriarchalen Gesellschaftsstrukturen auf unsere Jurisprudenz bleibt weiter enorm wichtig und ist längst nicht zu Ende.

Wird der Mensch weiterhin die entscheidende Rolle im Anwaltsberuf innehaben oder werden immer mehr seiner bisherigen Aufgaben von technologischen Lösungen übernommen?
Technik wird alle standardisierbaren Aufgaben übernehmen können. Und wir sollte glücklich darüber sein – ermöglicht es uns doch endlich wieder, uns unseren eigentlichen Aufgaben zuzuwenden. Standardisierbare, automatisierbare Aufgaben verheißen zwar scheinbar „leicht verdientes Geld“, also mit wenig Aufwand die immer gleichen anspruchslosen Prozesse abzuspulen. In Wahrheit haben Anwälte aber immer schon Mittel und Wege gefunden, diese nicht jedes Mal mit viel Gehirnschmalz selbst zu bewältigen – also durch Textbausteine, Assessoren/Referendare/Konzipienten/ReFas ausführen zu lassen. Das Dilemma ist nun nur, dass sich Anwälte nie die Mühe gemacht haben, weiter zu denken und selbst diese „Billigarbeiter“ durch Technik zu ersetzen. Hier wacht die Branche gerade auf und merkt: Die Branche wartet nicht mehr darauf, von den Juristen in deren Tempo wachgeküsst zu werden, die Branche macht sich selbst auf den Weg: „Billigarbeiter“ wollen nicht länger so arbeiten, sie wollen Verantwortung und Entscheidungsfähigkeit. Sie wollen einen Beitrag leisten. Technische Lösungen geben ihnen nun zum ersten Mal die Möglichkeit, sich inhaltlich sinnvollen Aufgaben zuzuwenden. Juristen tut es gut, ganz schnell Standesdünkel, Ignoranz und Arroganz abzulegen und den Menschen wieder zuzuhören. Wirklich zuzuhören. So hat der Anwaltsberuf angefangen. Und darauf sollte er sich jetzt wieder besinnen.

Welchen Tipp möchten Sie Absolventinnen und Absolventen gerne mit auf den Weg ins Berufsleben geben?
Mit Mut und Leichtigkeit zu starten und beides nicht zu verlieren. Jeder der juristischen Berufe ist immer noch mehr als das: Sie sind für viele eine Berufung. Und sie bieten immer noch sehr viele Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen und zu entfalten. Dann gibt es freilich viele Widerstände, Grenzen, Schwierigkeiten – Gegenwind und Frustration. Eine klare Sicht der Dinge, eine gute Selbstkenntnis und eine genaue Vorstellung vom eigenen Lebensentwurf kann hier hindurchhelfen. Und am Ende immer bedenken: Sie sind nicht allein – es gibt starke Berufsnetzwerke, unterstützende Mentoren und gute Berater, die in jeder Phase zur Seite stehen.