Das letzte Wort hat: Dr. Geertje Tutschka

Foto: Fotolia/fotofabrika
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Die Beratung von Juristen ist für Dr. Geertje Tutschka eine Herzensangelegenheit. Und sie zeigt, dass die Branche ein People Business ist. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Dr. Geertje Tutschka, Foto: werdewelt
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Dr. Geertje Tutschka ist Anwältin, Geschäftsführerin von CLP – Consulting for Legal Professionals, einem Beratungsunternehmen für Juristen bei der Kanzleientwicklung und Karriereplanung, Präsidentin (Past) des deutschen Chapters der International Coach Federation, Autorin zahlreicher Ratgeber und Keynote-Speakerin. www.consultingforlegals.com

Dr. Tutschka, wir befinden uns derzeit in einem Zeitalter der Transformation, vieles scheint derzeit in Frage gestellt: Unternehmen, deren Wertschöpfungsprozesse, die Arbeitswelt an sich. Mit welchen Anliegen kommen Juristinnen und Juristen da zu Ihnen?
Die Anliegen sind vielfältig. Aber Sie haben Recht: Viele Themen sind von Angst vor der Transformation einer gesamten Branche, der Welt wie wir sie kannten, getrieben. Was es schwierig macht, weil hier ganz viel Kreativität und Innovation verlorengeht. Einen Großteil unserer Arbeit fokussieren wir daher im Moment darauf, an unsere Kollegen Sicherheit, Selbstbewusstsein, Urvertrauen zurückzugeben. Der ständige Hype um Legal Tech, technische Investitionen in astronomischen Höhen und künstliche Intelligenz treffen hier ungünstig zusammen auf die Unsicherheiten und Herausforderungen der Einführung des beA und der DSGVO/GDPR. Juristen sind auch nur Menschen, die ihre Arbeit machen und Rechtsfälle erfolgreich lösen wollen. Doch im Moment lastet ein enormer Druck auf der Branche, der zudem noch von Diversity-Themen (Gender und LGBTQ) sowie dem Konkurrenzdruck beim Einzelkämpfer wie der Großkanzlei verstärkt wird.

Gibt es bei all dem Wandel auch Konstanten, auf die es schon immer ankam und weiterhin ankommen wird?
Ja, die gibt es: Das sind die typischen Themen aus der Kanzleientwicklung (Strategie, Positionierung, Marketing) sowie der Anwaltskarriere (Partnerwerdung, Work-Life-Balance, Bewerbungsperformance, Zeitmanagement, Verhandlungstechnik und Führungskompetenz). Aber das sind ja auch alles keine „kleinen Fische“; das sind intensive, existenzielle und oft auch persönlichkeitsverändernde Themen – die sind wichtig. Ein sich verändernder Nachfragemarkt in Zeiten, in denen aufgrund der Digitalisierung Fachwissen immer und überall kostenfrei abrufbar ist und ein sich veränderndes Berufsbild aufgrund des Gender- und Generationshifts machen jedoch die Navigation durch diese Themen speziell. Das ist nichts für Anfänger.

Andererseits scheint jetzt unter Umständen der geeignete Zeitpunkt für eine Kanzleigründung zu sein, vor allem wenn es um die Symbiose von Recht und Technik geht?
Es ist immer der geeignete Zeitpunkt für eine Kanzleigründung! Ich bin mit Leidenschaft selbstständige Anwältin und wenn man die wichtigsten Grundvoraussetzungen beherzigt, die ich in meinem Buch „Kanzleigründung und Kanzleimanagement” (DeGruyter, 2018) – für Junganwälte ist übrigens die Zusammenfassung im eBook kostenfrei auf unserer Seite abrufbar – beschrieben habe, ist wirklich alles möglich  – eben auch die Gründung als Legal Tech Start-up. Zwar gilt es in der Tat, einige Besonderheiten zu beachten. Methoden wie das Business Model Canvas oder Legal Design Thinking können hier jedoch ganz Großartiges leisen. Nicht von ungefähr entwickeln alle – und ich meine wirklich alle – Großkanzleien gerade Innovation Hubs, Legal Tech Hackathons und eigene Legal Tech-Produkte, mit mehr oder weniger großem Erfolg.

Juristen werden als Mechaniker ausgebildet, ohne die entsprechende Herzensbildung und das notwendige seelische Gleichgewicht. Das muss sich ändern.

Als Schlüsselthemen im Rahmen Ihrer Beratung nennen Sie Leadership und Development. Können Sie diese beiden Aspekte kurz in Bezug zu Juristinnen und Juristen setzen?
Juristen sind immer in der einen oder anderen Form in Führungsverantwortung. Als juristischer Sachbearbeiter und Fachexperte ausgebildet, fehlt es Juristen – und zwar überall auf der Welt – in ihrer juristischen Ausbildung jedoch an entsprechendem Know-how dazu. Als Kanzleiinhaber und Partner, aber auch als Anwalt hat man relativ früh Führungsverantwortung. Gleiches gilt für Unternehmensjuristen oder auch Richter und Juristen im Staatsdienst. Und natürlich sind Juristen immer in Krisen- und Konfliktsituationen tätig – in Ausnahmesituationen, in denen Emotionen und Aggressionen hochschlagen. Hier die notwendige persönliche Weiterentwicklung und Reife, Selbstreflexion, Achtsamkeit und Objektivität nachzubilden, ist enorm wichtig und essentiell, um gute Leute nicht im Alltagsgetriebe zu zerreiben.

Nicht von ungefähr steigen Burn Out-Diagnosen, Berufsunfähigkeiten und auch die Selbstmordrate in der Branche drastisch an. Juristen werden als Mechaniker ausgebildet, ohne die entsprechende Herzensbildung und das notwendige seelische Gleichgewicht. Das muss sich ändern. In der CLP-Academy versuchen wir mit unserer Legal Coaching-Ausbildung dem entgegenzusteuern: Indem Juristen professionelle Kommunikationstechniken und Verständnis für menschliches Verhalten in Krisen- und Konfliktsituationen beigebracht wird, geht es indirekt auch immer um Selbstreflexion und Achtsamkeit in diesen Situationen.

Auf Ihrer Internetseite schreiben Sie, gute Juristen seien Ihre Leidenschaft. Wer ist eine gute Juristin beziehungsweise ein guter Jurist?
Ein guter Jurist – und hier kann ich übrigens gut auf das gendern verzichten – ist für mich ein juristischer Fachexperte, der in sich ruht, unabhängig agiert, lebenserfahren und ethisch handelt. Und zwar mit der „Hand am Arm“, also mit Hausverstand oder gesundem Menschenverstand sowie mit Respekt vor dem Mandantenwillen. Das kann dazu führen, dass außergerichtliche Streitschlichtungen deutlich bevorzugt werden. Oder dazu, dass auf Ansprüche verzichtet wird. Es führt aber in jedem Fall dazu, dass dieser Jurist von Mandanten wieder als das wahrgenommen wird, was er sein sollte: ein verlässlicher, vertrauensvoller Partner in allen Lebenslagen.

Welche Skills, neben dem fachlichen Know-how, sollten Juristinnen und Juristen heute mitbringen, um für den Arbeitsmarkt gewappnet zu sein?
Geht es um einen Einstig als Selbstständiger, also um eine Kanzleigründung, in jedem Fall Skills in Business Development, Leadership und Marketing/Akquise. Aber auch beim Einstieg als angestellter Anwalt, Unternehmensjurist oder Beamter sind frühzeitige strategische Karriereplanung, Führungskompetenz und ein Verständnis davon, wie man mit Personal Branding seine juristische Expertise von Anfang an ins rechte Licht rückt, gefragt. Hier bemerken wir gerade im letzten Jahr eine gesteigerte Nachfrage bei CLP nach speziell diesen Themen. Zusätzlich ruft der Arbeitsmarkt noch nach Zusatzqualifikationen. Zwei juristische Staatsexamen genügen da längst nicht mehr. Was zu Beginn der Doktortitel, später der LL.M. war, waren dann Sprachen und Fachanwaltsausbildungen. All dies ist auch heute noch relevant. Bei etwa 25 Fachanwaltsausbildungen zeigt sich jedoch, wie sehr sich auch viele Rechtsgebiete entwickelt haben. Von „Allroundern“ scheint das nicht mehr bewältigt werden zu können – und doch gibt es in unseren Nachbarländern wie Österreich auch heute noch nicht einen einzigen Fachanwalt. Und die Kollegen bearbeiten diese Gebiete auch. Und zwar sehr gut.

Aus meiner Perspektive werden zukünftig jedoch weit weniger zusätzliche juristische Fachausbildungen gefragt sein, sondern sogenannte „Cross Competencies“, also Kenntnisse und Ausbildungen aus andern Fachbereichen: wie die IT für Legal Tech, interkulturelle Kompetenz für gemischtnationale Teams und international Arbeit, Psychologie/Coaching/Mediation für taktisches Fingerspitzengefühl, aber auch als Managing Partner oder Personalverantwortlicher in Kanzleien. Menschenkenntnis, oder besser ein Gespür für menschliche Bedürfnisse und die Liebe zu Menschen, sind aber nach wie vor unablässig. Schon allein, um als „allwissender“ Rechtsberater die erforderliche Demut vor den persönlichen Entscheidungen der Mandanten zu wahren. Dies ist etwas, was tatsächlich in jedes Jurastudium integriert werden sollte. Und natürlich sind ein gutes Verständnis der eigenen Bedürfnisse, Vorurteile und der eigenen Prägung und Sozialisierung für Juristen besonders wertvoll, die für sich beanspruchen, weitgehend objektiv und wahrhaftig in der Rechtsbranche tätig zu sein. Die Aufarbeitung unserer speziell deutschen Vergangenheit, sei es aus der Nazizeit oder aus der DDR und auch ein differenziertes Verständnis vom Einfluss der Kirche und unserer patriarchalen Gesellschaftsstrukturen auf unsere Jurisprudenz bleibt weiter enorm wichtig und ist längst nicht zu Ende.

Wird der Mensch weiterhin die entscheidende Rolle im Anwaltsberuf innehaben oder werden immer mehr seiner bisherigen Aufgaben von technologischen Lösungen übernommen?
Technik wird alle standardisierbaren Aufgaben übernehmen können. Und wir sollte glücklich darüber sein – ermöglicht es uns doch endlich wieder, uns unseren eigentlichen Aufgaben zuzuwenden. Standardisierbare, automatisierbare Aufgaben verheißen zwar scheinbar „leicht verdientes Geld“, also mit wenig Aufwand die immer gleichen anspruchslosen Prozesse abzuspulen. In Wahrheit haben Anwälte aber immer schon Mittel und Wege gefunden, diese nicht jedes Mal mit viel Gehirnschmalz selbst zu bewältigen – also durch Textbausteine, Assessoren/Referendare/Konzipienten/ReFas ausführen zu lassen. Das Dilemma ist nun nur, dass sich Anwälte nie die Mühe gemacht haben, weiter zu denken und selbst diese „Billigarbeiter“ durch Technik zu ersetzen. Hier wacht die Branche gerade auf und merkt: Die Branche wartet nicht mehr darauf, von den Juristen in deren Tempo wachgeküsst zu werden, die Branche macht sich selbst auf den Weg: „Billigarbeiter“ wollen nicht länger so arbeiten, sie wollen Verantwortung und Entscheidungsfähigkeit. Sie wollen einen Beitrag leisten. Technische Lösungen geben ihnen nun zum ersten Mal die Möglichkeit, sich inhaltlich sinnvollen Aufgaben zuzuwenden. Juristen tut es gut, ganz schnell Standesdünkel, Ignoranz und Arroganz abzulegen und den Menschen wieder zuzuhören. Wirklich zuzuhören. So hat der Anwaltsberuf angefangen. Und darauf sollte er sich jetzt wieder besinnen.

Welchen Tipp möchten Sie Absolventinnen und Absolventen gerne mit auf den Weg ins Berufsleben geben?
Mit Mut und Leichtigkeit zu starten und beides nicht zu verlieren. Jeder der juristischen Berufe ist immer noch mehr als das: Sie sind für viele eine Berufung. Und sie bieten immer noch sehr viele Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen und zu entfalten. Dann gibt es freilich viele Widerstände, Grenzen, Schwierigkeiten – Gegenwind und Frustration. Eine klare Sicht der Dinge, eine gute Selbstkenntnis und eine genaue Vorstellung vom eigenen Lebensentwurf kann hier hindurchhelfen. Und am Ende immer bedenken: Sie sind nicht allein – es gibt starke Berufsnetzwerke, unterstützende Mentoren und gute Berater, die in jeder Phase zur Seite stehen.