StartRecht„Unsere Mandantin ist die Erde“

„Unsere Mandantin ist die Erde“

Die internationale Umweltrechtsorganisation ClientEarth hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, Umweltfälle vor Gericht zu bringen. Wir sprachen mit Prof. Dr. Hermann E. Ott, dem Leiter des Deutschland-Büros, über seine Arbeit sowie darüber, welche Rolle Juristinnen und Juristen bei ClientEarth übernehmen können. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Prof. Dr. Hermann E. Ott (geb. 1961) ist Volljurist, erhielt seinen Doktortitel für eine Arbeit im Internationalen Umweltrecht von der Freien Universität Berlin und ist Honorarprofessor für „Global Sustainability Strategies and Governance“ an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE). Er arbeitete von 1998 an als Direktor der Klimapolitik-Abteilung des Wuppertal Instituts und gründete 2004 dessen Berliner Büro. Dort arbeite er zwischen 2014 und 2018 auch als Senior Advisor für globale Nachhaltigkeits- und Wohlfahrtsstrategien. Von 2009 bis 2013 war er Mitglied des Deutschen Bundestages in Berlin und war der klimapolitische Sprecher der Grünen Fraktion. Er war außerdem Mitglied der parlamentarischen Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ und Vorsitzender von deren Arbeitsgruppe zur Entkopplung der Ressourcennutzung von wirtschaftlichem Wohlstand. Seit September 2018 leitet er das Deutschland-Büro von ClientEarth in Berlin.

www.de.clientearth.org

Prof. Dr. Ott, Sie sind seit September bei ClientEarth, wie kam es dazu?
Ich habe im Vorfeld schon sehr viel in den Bereichen Klima und Nachhaltigkeit, in Global Sustainability Governance, gemacht. Allerdings wurde ich zunehmend unzufriedener, denn man kann ja unheimlich viel forschen und reden, bekommt aber trotzdem den Eindruck, dass sich nichts tut. Deshalb fiel ich immer stärker auf meine juristische Ausbildung zurück. Im Februar 2018 traf ich dann den Gründer und CEO von ClientEarth, James Thornton, von dem ich sehr beeindruckt war. Ich schrieb ihm, dass wir eine solche Organisation auch in Deutschland bräuchten, eine Organisation, die einen strategischen Ansatz verfolgt und im allgemeinen Interesse klagt. So kam es schließlich dazu, dass ich nun das Büro der Organisation in Deutschland aufbaue.

Was machen Sie genau, wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Beispielsweise unterstützen wir mit unserem CleanAir-Programm die Deutsche Umwelthilfe bei ihren Klagen gegen Städte. Im Energy-Programm koordinieren wir die Tätigkeit von rechtlichen Akteuren, um beispielsweise den Kohleausstieg durchzusetzen. Der Anspruch von ClientEarth ist, den Umwelt- und Naturschutz über „the life oft he law“, also den Lebensweg des Rechts, zu unterstützen. Das fängt mit einer Analyse der Situation an und geht weiter über Lösungs- und Regulierungsideen. Wir schauen auch, ob Regulierungen umgesetzt werden und verfolgen Missachtungen mit Klagen. Letztere sind somit nur ein kleiner Teil unserer Arbeit, generieren aber die meiste Aufmerksamkeit.

Der Vorteil dabei ist, dass wir das unabhängig von Mandanten machen können. Unsere Mandantin ist die Erde. Dazu arbeiten wir mit Organisationen zusammen, die mithilfe der Aarhus-Konvention arbeiten, um Rechtsverletzungen zur Sprache zu bringen und anzuklagen.

Versuchen Sie auch Einfluss auf die Legislative zu nehmen, also neue Gesetze zum Schutz der Erde in den Gesetzbüchern zu verankern?
Klar. Das ist die Frage nach den Lösungen und Maßnahmen, die es braucht, um die Erde zu schützen. Gerade über unser Brüsseler Büro versuchen wir Einfluss auf die Formulierung von umweltrelevanten Gesetzen der EU zu nehmen und diese möglichst im Sinne eines guten Umweltschutzes umzusetzen.

Sie vertreten die Meinung, dass das Recht das schärfste Schwert zur Durchsetzung von Klima, Umwelt und Naturschutz ist.
Im Moment ist es tatsächlich so. Das liegt meiner Meinung nach aber an einem sehr traurigen Tatbestand: So werden die geltenden Gesetze von Behörden und Ministerien nicht umgesetzt. Manchmal fehlt der politische Wille und oft sind die Behörden einfach personell zu ausgedünnt, Recht durchzusetzen. Und da fungiert dann zum Beispiel die Umwelthilfe als verlängerter Arm der Exekutive. Daher ist der Klageweg sehr Erfolg versprechend, auch wenn es mir am liebsten wäre, wenn es uns überhaupt nicht bräuchte.

Und auch in der politischen Landschaft kommt es zu einem Umdenken. Immerhin ist Umweltschutz ja auch Menschenschutz.

Das Schaffen von Recht ist ein demokratischer Prozess. Hat der Natur-, Umwelt- und Klimaschutz eine Mehrheit in Deutschland?
In der Bevölkerung ja. Und auch in der politischen Landschaft kommt es zu einem Umdenken. Immerhin ist Umweltschutz ja auch Menschenschutz, es geht um unsere Lebensgrundlage und die Grundlagen unserer Zivilisation.

Lassen Sie uns noch einmal auf die Anwälte der Erde zurückkommen. In welchen Rechtsgebieten müssen sich Juristen auskennen, wenn sie sich in dem Bereich engagieren wollen?
Oh, bei uns arbeiten Juristinnen und Juristen aus vielen Rechtsgebieten – und beispielsweise nur sehr wenige Umweltrechtler. Wir haben des Weiteren zum Beispiel Juristen aus dem Bereich des Wirtschaftsrechts. Denn im europäischen Recht ist es das Recht der Beihilfe, was häufig genutzt werden kann, um umweltschädliche Vorhaben zu vereiteln. Außerdem kaufen wir auch Anteile von Unternehmen, zum Beispiel von Energieunternehmen. So haben wir Juristinnen und Juristen aus allen Rechtsbereichen, die dazu beitragen, Umweltschutz durchzusetzen – im Privatrecht, öffentlichen Recht, im Verfassungsrecht und manchmal sogar Strafrecht. Auch mir persönlich hilft bei meiner Arbeit, dass ich mich in unterschiedlichsten Bereichen ganz gut auskenne: in der Wissenschaftspolitik, in der Zivilgesellschaft und auch im rechtlichen Bereich.

Und wie wichtig ist die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich, ClientEarth ist ja auch eine internationale Organisation?
Sehr wichtig. Gerade innerhalb Europas gibt es eine sehr enge Zusammenarbeit. Das beruht zum einen darauf, dass europäische Gesetze in allen EU-Ländern gelten, andererseits ist es eine strategische Aufgabe, in einem Land gemachte Erfahrungen auf andere zu übertragen. Das kann sehr effektiv sein. Der Blick in andere Rechtsgebiete, in andere Nationen et cetera ist immer wieder sehr erhellend, um das eigene Denken voranzubringen.

 

Das könnte dich auch interessieren

Mit Legal-Tech-Know-how Zukunft gestalten

In Kanzleien wird die generative KI zum Gegenwartsthema. Large Language Modelle wie ChatGPT-4 unterstützen...

Cyberstaatsanwältin Jana Ringwald im Interview

Als sich die Staatsanwältin Jana Ringwald entschied, ein Inhouse-Seminar zum Thema Cyberkriminalität zu besuchen,...

Kuratiert

Regelwerk für wirksame Beaufsichtigung von KI Die Europäische Kommission hat kürzlich den „AI Act“ erlassen....



Anzeige




Anzeige
BWI