Beton und Zement und das Klima

Beton und Zement zählen zu den erfolgreichsten Baumaterialien überhaupt. Doch gleichzeitig zählen die Industrien zu den emissionsstärksten Wirtschaftszweigen. Dies will die Branche ändern, zumal ihre Produkte zukünftig verstärkt nachgefragt werden dürften. Von Christoph Berger

„Die Produktion von Zement mit klimaneutralem Brennstoffgemisch unter Einsatz von Wasserstofftechnologie“ oder „Der Bau des weltweit ersten klimaneutralen Zementwerks“: Wenn der Baustoffkonzern HeidelbergCement derartige Nachrichten veröffentlicht, dann ist das weit mehr als ein Trend. Das Unternehmen zählt im Bereich von Zement, Zuschlagstoffen und Transportbeton zu den führenden Lieferanten weltweit. Und da laut dem Weltklimarat jährlich drei Milliarden Tonnen CO2 allein auf die Produktion von Zement zurückzuführen sind, hat die Reaktion eines Branchenriesen darauf natürlich direkte Auswirkungen. Zumal für die fortschreitende Urbanisierung zunehmend mehr Baumaterialien wie beispielsweise Zement und Beton benötigt werden. Laut des der Organisation „Scientist Rebellion“ zugespielten Teils III des kommenden Berichts des Weltklimarats werden 2050 um die 90 Milliarden Tonnen Beton, Zement und andere Baumaterialien benötigt. Das entspreche mehr als einer Verdopplung zu 2010. Die Autoren des Berichts nennen ein stärkeres Recycling der Materialien, das Vermeiden von unnötigem Bauschutt sowie die Nutzung von Holz für den Häuserbau als Maßnahmen des Entgegensteuerns.

Doch auch bei der Produktion von den Baustoffen Zement und Beton muss angesetzt werden. So steckt hinter der Meldung „Die Produktion von Zement mit klimaneutralem Brennstoffgemisch unter Einsatz von Wasserstofftechnologie“ die Tastsache, dass in einem Ofen im britischen Zementwerk Ribblesdale der HeidelbergCement-Tochtergesellschaft Hanson UK im Rahmen eines Versuchs erstmals 100 Prozent klimaneutrale Brennstoffe einschließlich Wasserstoff für die Zementherstellung im industriellen Maßstab verwendet wurden. Dabei wurde der Anteil der klimaneutralen Brennstoffe im Hauptbrenner des Zementofens schrittweise bis zur vollständigen Netto-Null-Mischung erhöht. Diese besteht aus Wasserstoff, der per Tankwagen angeliefert wird, sowie aus Biomassebestandteilen und Glyzerin, die als Nebenprodukte anderer Industrien anfallen, heißt es in der dazu gehörigen Mitteilung. Wurde der Versuch noch mit grauem Wasserstoff durchgeführt – grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen, so soll dieser zukünftig durch grünen Wasserstoff ersetzt werden. Bei diesem kommen regenerative Energien zum Einsatz. Durch die Nutzung dieser Brennstoffe in der gesamten Produktionsanlage könnten allein in Ribblesdale jährlich fast 180.000 Tonnen CO2 im Vergleich zu fossilen Brennstoffen wie Kohle vermieden werden, so das Unternehmen.

Grüner Wasserstoff und biobasierte Brennstoffe

Und was den Bau des weltweit ersten klimaneutralen Zementwerks betrifft, so soll das Zementwerk in Slite auf der schwedischen Insel Gotland zum weltweit ersten klimaneutralen Zementwerk ausgebaut werden. Jährlich sollen dort bis zu 1,8 Millionen Tonnen CO2 abgeschieden werden können. Laut Konzernangaben entspreche das den gesamten Emissionen des Werks. Zusätzlich werde der Einsatz biobasierter Brennstoffe für die Zementproduktion in Slite erhöht. Ebenfalls an der Dekarbonisierung der Zementindustrie wird im Leuchtturm- Projekt „Concrete Chemicals“ gearbeitet. Das Ziel der Projektpartner aus Industrie und Forschung ist es, eine klimaverträglichere Zementproduktion durch die Umwandlung von CO2 in grünes Methanol zu erreichen.

Auf dem Weg zur Klimaneutralität wird die Zementindustrie ihre CO2-Emissionen in einem nie dagewesenen Ausmaß senken müssen …. Dazu müssten allerdings Auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Nach der Bewilligung von Mitteln aus dem Förderprogramm „Dekarbonisierung der Industrie“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) wird derzeit eine Demonstrationsanlage im industriellen Maßstab direkt auf dem Gelände des Cemex-Zementwerks bei Rüdersdorf, einem der größten Zementproduktions- Standorte in Deutschland, errichtet. Ziel ist es, dass mit der geplanten Inbetriebnahme im Jahr 2025 an die 5000 Tonnen grüne Kohlenwasserstoffe pro Jahr in der Anlage produziert werden. Als Ausgangsstoffe werden das vor Ort aus dem Zementwerk abgeschiedene CO2 sowie grüner Wasserstoff, produziert von einem Sunfire-Elektrolyseur, genutzt. In einem weiteren Schritt können die erzeugten grünen Kohlenwasserstoffe in synthetische Kraftstoffe und erneuerbare chemische Produkte umgewandelt werden. Alternativ ziehen die Projektpartner außerdem eine Methanol-Synthese-Route in Betracht, bei der grünes Methanol aus erneuerbarem Synthesegas produziert werden kann. Betrieben wird die Anlage von Concrete Chemicals in Rüdersdorf ausschließlich mit erneuerbarem Strom.

Auch die Ressourcenschonung im Blick

Tipps

Das Projekt „Concrete Chemicals
Die VDZ-Umweltdaten 2020

Auf dem Weg zur Klimaneutralität wird die Zementindustrie ihre CO2-Emissionen in einem nie dagewesenen Ausmaß senken müssen, heißt es vonseiten des Vereins Deutscher Zementwerke (VDZ). Dazu müssten allerdings auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden: der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze sowie die Schaffung einer funktionsfähigen CO2-Infrastruktur. Neben der Treibhausgasminderung müsse aber auch die Ressourcenschonung verstärkt in den Fokus genommen werden, sagt VDZ-Präsident Christian Knell: „Klimaschutz und der verantwortungsvolle Umgang mit Rohstoffen gehen hier Hand in Hand.“ Um hierbei weiter voranzukommen, erforsche der VDZ gemeinsam mit der Industrie weitere Möglichkeiten der Ressourcenschonung, etwa durch den Einsatz von Feinanteilen aus recycliertem Beton-/Ziegelabbruch als Zementhauptbestandteil oder durch Recycling des Zementsteins. Man wolle Minderungspotenziale entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufzeigen, heißt es. Allerdings fügt Knell auch an: „Trotz aller Anstrengungen werden wir aber keine Ressourcenneutralität erreichen. Wir brauchen weiterhin natürliche Ressourcen, wenn auch in deutlich geringerem Maße. Eine sichere Versorgung mit Primärrohstoffen bleibt somit auch weiterhin unerlässlich.“

Mit Carbon-Beton lässt sich der CO2-Ausstoß um etwa 70 Prozent reduzieren

Weniger CO2-Emissionen mit Holzbauten

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Holz kommt immer häufiger im Hoch- und Ingenieurbau zum Einsatz. Dass beim Bauen vermehrt auf eine nachhaltige und ressourcenschonende Bauweise geachtet wird, ist ein Grund dafür. Doch die Holzbauweise eignet sich darüber hinaus auch für die städtische Nachverdichtung. Doch prinzipiell sollte laut Nachhaltigkeitsexpert*innen das Material nicht vor die Bauaufgabe gestellt werden. Von Christoph Berger

Die Zahlen des Statistischen Bundesamts und der Heinze Marktforschung vermitteln eine eindeutige Richtung: Die Holzbauquote, also die Anzahl der genehmigten Gebäude, die überwiegend mit Holz gebaut wurden, ist bei den Ein- und Zweifamilienhäusern 2020 auf 23,1 Prozent (Vorjahr 21,3 Prozent) gestiegen. Bei den Mehrfamilienhäusern lag die Quote 2020 erstmals bei 4,5 Prozent (2019: 3,7 Prozent) und bei den Nichtwohngebäuden ist sie von 19,5 Prozent (2019) auf 20,9 Prozent im Jahr 2020 geklettert. Das hat laut Holzbau Deutschland – Bund Deutscher Zimmermeister im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes klare Gründe: Der Holzbau könne einen wichtigen Beitrag leisten, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, er verringere die CO2-Emissionen, indem er der Atmosphäre CO2 entziehe, den Sauerstoff wieder abgebe und den Kohlenstoff langfristig speichere. Der nachwachende Rohstoff Holz sei zudem regional in ausreichender Menge verfügbar. Das sorge beim Bauen für kurze Transportwege.

Die Holzbauweise eigne sich außerdem für die städtische Nachverdichtung in Form von Aufstockungen und Lückenschließungen – sie sei schnell, flexibel und präzise. Zudem seien Holzbauteile leicht und würden so Aufstockungen auch bei geringen statischen Reserven des Gebäudebestandes ermöglichen.

Positionspapier Holzbau der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V.

 

Das Team „Building Culture Innovation“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO hat einen Digitalen Zwilling des Baden-Württemberg-Hauses auf der Expo 2020 entwickelt. Dabei handelt es sich um eine 3D Echtzeitanwendung, die es ermöglicht, eine virtuelle Tour durch das BW-Haus zu erleben. 

Wie angesagt Holzbauten sind, zeigen aktuelle Beispiele. So wurde zum Beispiel am 1. Oktober 2021 der Neu- und Erweiterungsbau der Universität Witten/ Herdecke, ein Holz-Hybridbau eingeweiht. Ehrengast Ursula von der Leyen, amtierende Präsidentin der EU-Kommission, sagte: „Wir wollen den Europäischen Grünen Deal den Menschen näherbringen. Und hier in diesem neuen Gebäude der UW/H kann man spüren, wie es gehen kann. Dieser Bau ist ebenso nachhaltig wie funktional und schön.“ Auf der Weltausstellung in Dubai wurde zwei Tage später das Baden-Württemberg Haus eröffnet, ebenfalls ein Holz-Hybridbauwerk. Und bereits im Dezember 2020 wurde in Freiburg das Holzbau-Projekt „BUGGI 52“ aufgestellt, erste FSC-zertifizierte Gebäude in Deutschland. Ab dem ersten Obergeschoss besteht das Gebäude vollständig aus Holz – auch beim Aufzugsschacht, im Treppenhaus und an der Außenfassade.

Doch nicht immer ist der Holzbau die optimale Lösung. „Dass diese Potenziale zu einem ganzheitlich nachhaltigen Ergebnis führen, hängt jedoch von der Planung und einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Thema der Materialität ab“, sagt Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der DGNB. Dazu gehöre auch, die Materialwahl nicht vor die Bauaufgabe zu stellen oder per se auf einen Baustoff zu setzen. Um die Zukunftsaufgaben zu lösen, müssten wir uns faktenorientiert mit allen Kriterien einer nachhaltigen Architektur auseinandersetzen, fordert die Nachhaltigkeitsexpertin. Falle die Wahl auf Holz, sei es beispielsweise wichtig im Sinne der Circular Economy vom Ende her zu planen. Sie erklärt: „Wenn wir Holz-Komposite verbauen, die am Ende zu Abfällen werden oder ein Holzhaus planen, das schon nach wenigen Jahren wieder abgerissen und thermisch verwertet wird, ist von der CO2-senkenden Wirkung nicht mehr viel übrig.“ Vielmehr müsse der Baustoff mit dem darin gespeicherten Kohlenstoff so lange wie möglich in der Gebäudenutzung gehalten werden.

CO2-Emissionen sichtbar machen

Die Nachfrage nach Green Buildings steigt immer weiter an. Einher geht diese Entwicklung mit der im März 2021 in Kraft getretenen Offenlegungsverordnung der Europäischen Union. Mit dieser sollen Immobilieninvestoren zu Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit verpflichtet werden. Doch dazu müssen erst einmal die CO2-Bilanz und andere Nachhaltigkeitsfaktoren ermittelt werden. Dies kann mit einer Carbon Due Diligence geschehen. Von Christoph Berger

Eine große Stellschraube beim Erreichen der Klimaziele ist der Immobiliensektor und damit der Wohnungsbau: Immerhin ist der Bau und Betrieb von Gebäuden für rund 36 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Europa verantwortlich. So fordert beispielsweise die Europäische Union mit dem „Sustainable Finance Action Plan“, dass bei Investitionsentscheidungen unter anderem CO2-Bilanzen und die Erfassung von Nachhaltigkeitsfaktoren zu berücksichtigen sind, mit der Offenlegungsverordnung sollen die Chancen und Risiken eines Investments in Bezug auf die Nachhaltigkeit transparent gemacht werden. Das gleiche Ziel verfolgen die EU-Taxonomie-Verordnung sowie die Benchmark-Verordnung. Alle die Maßnahmen haben ökologisch nachhaltige Investments und Projekte im Fokus. Die deutsche Bundesregierung hat die Energieeffizienzstrategie für Gebäude mit dem Ziel definiert, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Darüber hinaus wurden das Brennstoffemissionsgesetz (BEHG) sowie das Gebäudeenergiegesetz (GEG) verabschiedet.

Bei Neubauten wird außerdem der sogenannte CO2-Rucksack mit einberechnet: In diesem Rucksack steckt der CO2-Ausstoß, der bei der Herstellung der Baumaterialien angefallen ist.

Diese Verordnungen und Regularien haben jedoch nach Aussage von Karsten Peleikis, Bereichsleiter Lifecycle Management beim Planungs- und Beratungsunternehmen Arcadis, einen Haken: Es gibt kaum staatliche Vorgaben für das CO2-neutrale Bauen. Trotzdem zahle sich dieses nicht nur aufgrund unterschiedlichster Fördermöglichkeiten aus, auch der Wert und die Zukunftssicherheit eines Gebäudes steige mit seiner Energieeffizienz. Es zähle nicht mehr nur die Bausubtanz und die Objektlage, sondern eben auch die Klimabilanz.

So hat auch die Deutsche Hypo in ihrer Studie „Green Buildings: Nachhaltige Investments in Gewerbeimmobilien“ festgestellt, dass vor dem Hintergrund des Klimawandels die Klimaverträglichkeit eines Gebäudes eine immer größer werdende Rolle spielt. Wichtig sei es dabei, den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie zu berücksichtigen – von der Planung, über den Bau bis zum Lebensende. Auch die Auswirkungen des jeweiligen Zyklus für Umwelt und Gesundheit sollten in die Definition einer grünen Immobilie einfließen. Grenzwerte und Zertifikate, wie zum Beispiel Energieausweise oder Nachhaltigkeitszertifikate, böten dabei erste Anhaltspunkte für eine Einordnung von Immobilien. Aber auch der Objektzustand, die Lage und die Wirkung auf Menschen und Umwelt würden entscheidende Faktoren darstellen.

All diese Nachhaltigkeitskriterien werden durch eine Carbon Due Diligence sichtbar. Arcadis hat dafür beispielsweise ein Tool entwickelt, mit dem sich der Energieverbrauch und der CO2-Fußabdruck einer Immobilie ermitteln lassen – inklusive dem Aufzeigen noch möglicher Potenziale zur Bilanzverbesserung. Anwendbar ist dieses Verfahren auf Bestandsgebäude sowie im Rahmen der Projektentwicklung. Peleikis sagt dazu: „Neue oder bereits geplante Effizienzmaßnahmen werden in die Bewertung einbezogen. Bei Neubauten wird außerdem der sogenannte CO2-Rucksack mit einberechnet: In diesem Rucksack steckt der CO2-Ausstoß, der bei der Herstellung der Baumaterialien angefallen ist.“ Mit dem Due- Diligence-Ansatzes könnten schließlich auch die Energie- und CO2-Bilanz sowie der zukünftige CO2-Pfad für ein ganzes Unternehmen oder ein Immobilienportfolio erstellt werden, so der Nachhaltigkeitsexperte.

Neudenkerin Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker im Interview

Im Zuge der Flutkatastrophe zählte Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker von der Uni Siegen zu den gefragtesten Expert*innen. Ihre Ansätze für eine neue Baukultur kombinieren die Anpassung an den Klimawandel mit Maßnahmen im Kampf gegen die Krise. Dabei setzt sie auf ein Bauen, dass flexibler und ganzheitlicher denkt. Nur so entstehen Quartiere, die Nachhaltigkeit und Resilienz kombinieren. Ihr Appell an die junge Generation der Bauingenieur*innen: Zeigt euch, mischt euch ein! Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker wurde 1973 in Larache, Marokko geboren. Sie studierte in ihrem Geburtsland zwei Semester Chemie und Physik. Anfang der 90er-Jahre kam sie nach Deutschland, wo sie praktische Erfahrungen in der Bauindustrie sammelte. 2001 schloss sie ihr Studium als Diplom-Ingenieurin an der TU Darmstadt ab. 2013 erhielt die zweifache Mutter einen Ruf an die Universität Siegen, wo sie im Department Architektur als Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik forscht und lehrt. Von 2016 bis 2020 war sie Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen; seit 2017 ist sie Teil des Expertenkreises Zukunft Bau des BMBU, später des Bundesministeriums für Umwelt und Naturschutz. Sie ist Mitglied im internationalen Club of Rome.

Frau Prof. Dr. Messari-Becker, Sie fordern auf Bundesebene die Wiedereinführung eines Bauministeriums, warum?
Das Bauressort führt seit mehr als 22 Jahren ein Nomadenleben. Die gebaute Umwelt ist aber der Lebensraum von 83 Millionen Menschen in Deutschland. Nichts vereint uns mehr als die Gemeinsamkeit von Wohn-, Arbeits- und Lebensräumen inmitten unseres Alltags. Es ist daher wichtig, Bauen, Wohnen, Stadt- und Raumentwicklung als ganzheitliche politische Gestaltungsund Handlungsfelder zu verstehen. Die Lebensraumplanung ist schlicht viel zu wichtig, um sie alle vier Jahre in den jeweiligen Regierungskoalitionen als Marginalie herumzureichen. Zudem werden die Herausforderungen nicht kleiner oder weniger, ganz im Gegenteil: Digitalisierung, Wohnraum, Flächenmanagement, klimaneutrale Wärme in Gebäuden, Mobilitätswende, Klimaanpassung, um nur einige zu nennen. Um den nötigen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit nicht bloß als Stückwert loser Ideen, sondern vernetzter zu planen, zu begleiten und sozialgerecht zu schaffen, braucht es eine bundepolitische Organisation, die bestimmte Kompetenzen bündeln kann.

Bauen bewegt auch viel Kapital.
Genau, die Immobilienwirtschaft steht für mehr als 619 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung (2020). Das ist 20 Prozent der Gesamtwertschöpfung und viel höher als der Bundeshaushalt mit seinen 362 Milliarden Euro (ebenfalls 2020). Bauen und die gebaute Umwelt sind also maßgeblich für Klimaschutz, unsere Lebensqualität und unsere Wirtschaft.

Welche Entwicklungen im Baubereich bewerten Sie besonders kritisch?
Wir verfehlen de facto fast alle baubezogenen Ziele, von der Schaffung des dringend benötigten bezahlbaren Wohnraums über die Reduktion des enormen Flächen- und Ressourcenverbrauchs und die Reduktion der CO2- Emissionen bis hin zum Abbau der dramatischen Kluft zwischen Städten und dem ländlichen Raum.

Wie könnte man mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen?
Indem man unter anderem eine kluge innerstädtische Nachverdichtung baurechtlich vereinfacht, eine sozialverträgliche kommunale Bodenpolitik etabliert sowie die Spekulation im Grundstücksmarkt entschieden bekämpft, um damit kommunales Bauen zu stärken. Auch eine Wohnraumbelegung, die sich der jeweiligen Lebenssituation anpasst, kann helfen, Wohnfläche freizulegen, etwa wenn Eltern, nachdem Kinder ausgezogen sind, nicht mehr so viel Wohnfläche haben möchten. Teilbare Wohnungen mit entsprechenden Grundrissen und Zuschnitten lassen diese Flexibilität zu.

Um den nötigen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit nicht bloß als Stückwert loser Ideen, sondern vernetzter zu planen, zu begleiten und sozialgerecht zu schaffen, braucht es eine bundepolitische Organisation, die bestimmte Kompetenzen bündeln kann.

Die Baubranche ist für rund ein Drittel des Energieverbrauchs und CO2-Ausstoßes verantwortlich, hinzu kommen Sonderabfälle. Wo sollte man ansetzen, um das Bauen schnell und wirksam nachhaltiger zu machen?
Man wird Prioritäten setzen müssen. Da nicht der Neubau, sondern der Bestand die CO2-Emissionen der Gebäude dominiert, muss das Sanieren an Bedeutung zunehmen. Da Erneuungs- und Sanierungszyklen von Gebäuden zu lang sind, muss neben Maßnahmen wie Gebäudedämmung auch die klimaneutrale Wärmeversorgung adressiert werden, etwa aus Geothermie, Fernwärme oder Wasserstoff. Mit Blick auf Bauabfälle müssen wir Ressourcen möglichst sparsam einsetzen und im Kreislauf halten. Recycling und Rückbarkeit müssen also zum Standard werden. Dabei könnte uns ein Ressourcenausweis für Gebäude helfen, wie ich ihn 2019 der Bundesregierung vorgeschlagen habe. Ein solcher soll alle Material- und Energieaufwände, auch die der Herstellung erfassen, um „graue Energie“ sichtbar zu machen und Anreize für innovative Ideen zu geben. Materialien, die als Sonderabfall enden, müssen langsam, aber sicher aus dem Markt genommen und ersetzt werden, egal, ob es Rotoren-Blätter von Windkraftanlagen, Batterien von E-Autos oder Baustoffe betrifft.

Sie plädieren für einen „Masterplan Lebensraum 2050“, der neben dem Bau auch Aspekte wie den demografischen Wandel, Mobilität, Urbanisierung und Klimaschutz berücksichtigt. Wie kann es gelingen, diese verschiedenen Entwicklungen und Herausforderungen zu einem Plan zusammenzubringen?
Indem räumliche und städtebauliche Synergien genutzt werden, beispielsweise auf der Ebene der Quartiere. Konkret lassen sich hier kurze Wege durch Nutzungsmischung – etwa Wohnen und Arbeiten – und kompakte Quartiersstrukturen generieren. Es geht darum, Flächen oder Mobilitätsangebote gemeinsam zu nutzen, auch energetische Sanierungen und die Energiegewinnung können gemeinsam realisiert werden. Generationengerechtes und barrierefreies Bauen ist dabei eine Selbstverständlichkeit. Mit einem Masterplan „Lebensraum 2050“ können darüber hinaus unterschiedliche Problemlagen in Städten und auf dem Land adressiert werden. Ziel ist es, die vielen Nachhaltigkeitsziele mit der Lebensrealität der Menschen vor Ort zusammenzubringen und zusammenzudenken.

Zum Lehr- und Forschungsgebiet

Das Team Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Uni Siegen forscht intensiv an Themen wie Klimaschutz und Klimaanpassung in Gebäuden und in der Stadtentwicklung, ökologisches Wohnen und Bauen, Mobilitätswende, Kreislaufwirtschaft oder Quartiersansätze. Der Leitgedanke des Lehrgebiets ist laut Homepage: „Nur in der Auseinandersetzung mit der Architektur entstehen technische Lösungen, die Funktionalität und Komfort sicherstellen, gleichzeitig ressourcenschonend und zukunftssicher sind und darüber hinaus baukulturell prägend sind. Das gilt gleichermaßen für Gebäude, Gebäudecluster und Städte.“ Sehr gefragt war die Expertise von Prof. Messari-Becker und ihrem Team nach der Flutkatastrophe im Sommer.

Glauben Sie, dass die Pandemie die Stadtbilder nachhaltig verändern wird, vor allem mit Blick auf nicht mehr benötigte Bürotürme, die nun für Wohnungen oder auch Schulen genutzt werden können?
Durch die Dauer der Corona bedingten Einschränkungen hat sich einiges vorerst verfestigt. Es ist also durchaus möglich, dass es nicht mehr darum gehen wird, Läden, Parkhäuser, Bürotürme, Einkaufszentren einfach wieder zu eröffnen, sondern neue Nutzungen für sie zu finden oder zumindest dem neuen Bedarf anzupassen.

Sie fordern eine „neue Baukultur“. Wie unterscheidet sich diese von jetzigen?
Es geht darum, Nachhaltigkeitsziele unmittelbar mit der gebauten Umwelt zu verbinden, sie dort sichtbar und erlebbar zu machen – und zwar mit den Menschen und ihrer Lebensrealität im Mittelpunkt. Wir brauchen eine Baukultur, die die Energiewende baulich und räumlich interpretiert, die anders mit Ressourcen umgeht und in der auch eine „Umbau“-Kultur Platz hat. Eine Baukultur also, die den Gebäudebestand nicht als Hindernis sieht, in der ein „Leerstand“ nicht automatisch abgerissen wird, sondern als Leergut und Rohstofflager der Zukunft verstanden wird.

Was bedeutet das konkret?
Es geht darum, unsere gebaute Umwelt auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten, sie resilienter zu machen. Das bedeutet unter anderem ein kluges Wasser- und Flächenmanagement, die Nutzung neuer Materialien am Gebäude und im Außenraum, mehr Grün und Wasser als Planungselement, eine Infrastruktur mit resilienten Eigenschaften. Nehmen Sie das Beispiel Fläche: Wenn wir Neubaugebiete im Außenbereich ohne funktionierende Infrastruktur, also zum Beispiel ohne ÖPNV-Anbindung, Einkaufsläden oder Kitas bauen, dann setzen sich Menschen in ihre Autos, um zur Arbeit zu fahren oder Anderes zu erledigen. Das erhöht Verkehrsaufkommen und schafft neue Umweltprobleme. Wir müssen daher das Bauen immer mit Infrastruktur verbinden. Und wenn wir heute eine Kita bauen, dann muss diese später ohne großen Aufwand zu einem Pflegeheim werden können. Wobei wir alle Rohstoffe, Bauprodukte und Bauteile immer wieder neu nutzen und hochwertig recyceln müssen. All dies muss zu einer Öko-Routine werden.

Die Bauwelt muss eine zentrale Rolle spielen, und sie muss sich dafür in die öffentliche und fachpolitische Debatte einmischen und Lösungen anbieten.

Welche Rollen spielen Bauingenieur*innen bei der Entwicklung einer solchen neuen Baukultur?
Ohne Architektur keine Baukultur, und ohne Ingenieurwesen keine Zivilisation. Die Bauwelt muss eine zentrale Rolle spielen, und sie muss sich dafür in die öffentliche und fachpolitische Debatte einmischen und Lösungen anbieten. Die Politik setzt in Fragen des Klimaschutzes beispielsweise zu sehr auf Ökonomen und Klimaforscher. Für praxistaugliche Lösungen braucht es aber Ingenieurwesen und innovative Lösungen.

Erkennen Sie, dass die junge Generation der Bauingenieur*innen dieses neue Denken, verbunden mit einer anderen Haltung, mitbringt?
Ich denke, die junge Generation der Studierenden und Absolvent*Innen blickt heute anders auf die Implikationen des Planens und Bauens. Sie denkt stärker in Lebenszyklen, denkt an Umwelteffekte und Nachhaltigkeitskriterien. Die Aufgabe, Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe in allen Fachrichtungen der Ausbildung zu etablieren, steckt aber noch in den Kinderschuhen. Darüber hinaus müssten Nachhaltigkeitskriterien eine maßgebliche Rolle in der Vergabe von Projekten spielen. Ausschließlich nach dem Angebotspreis zu vergeben, behindert eine nachhaltige Entwicklung.

500 Meter über das Filstal

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Im Juli 2021 war es so weit: Der Brückenschlag über das Filstal war erfolgt. Damit wurde die letzte Lücke der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke Wendlingen–Ulm geschlossen. Von Christoph Berger

Die Filstalbrücke überspannt auf einer Länge von knapp 500 Metern das Filstal. Mit 85 Metern ist sie die dritthöchste Eisenbahnbrücke in Deutschland. Sie besteht aus zwei parallelen, eingleisigen Brückenteilen und verbindet zwei Eisenbahntunnel: den Boßler- und den Steinbühltunnel. Ausgeführt wurde das Bauwerk als semi-integrale Spannbetonbrücke mit y-förmig ausgebildeten Stützen. Im Bereich der Filsaue beträgt die Stützweite rund 150 Meter, wie es vonseiten des Unternehmens Max Bögl heißt, das den Auftrag zum Bau der Brücke im Jahr 2013 erhalten hatte.

DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla sagte im Rahmen des Brückenschlags: „Die Filstalbrücke ist ein filigranes Meisterwerk der Baukunst. Sie bildet das Herzstück unserer Neubaustrecke Wendlingen–Ulm, durch die Millionen Reisende in Zukunft von schnelleren und komfortableren Bahnverbindungen profitieren werden. Johann Bögl fügte an: „Eine Brücke verbindet Menschen. Hier im Filstal ist es ein wahrer Brückenschlag, der in einer Herausforderung für Ingenieure und Baumenschen die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm zusammenwachsen lässt und somit das große Ziel dieser Generationenaufgabe wahr werden lässt.“ Anfang 2022 sollen die ersten Testfahrten auf der Strecke starten, im Dezember 2022 soll die Strecke dann in den Betrieb übergehen. Die Brücke zählt auch zu einem der Pilotprojekte des Bundes „BIM im Tiefbau – Brücke“. Auf der Plattform Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Planen und Bauen heißt es auf der dazugehörigen Projektseite, dass aufgrund der Komplexität des Brü ckenbauwerks bereits in der Planungsphase ein 3D-Modell der Brückengeometrie erstellt wurde. Die BIM-Methodik wurde im Projekt anschließend in den Leistungsphasen 8 und 9 nach HOAI eingesetzt.

Mit BIM wurden zudem folgende Ziele verbunden – in der Projektbeschreibung heißt es:„Projektrisiken, insbesondere Termin- und Kostenrisiken, sollen gemindert werden. In den Bereichen Bauüberwachung, Bauabrechnung, Termin- und Kostensteuerung, Berichtswesen und Besprechungswesen sowie in der Dokumentation sollen die Prozesse analysiert und die Effizienz gesteigert werden. Die Entwicklung und Veränderung von Rollenbildern, die Organisation und die Zusammenstellung von Projektteams, die Zusammenarbeit von Auftraggebern und Auftragnehmern und der Einsatz von Hard- und Software sollen analysiert und Erfahrungen gesammelt werden. Die Kommunikation und die Vernetzung der Projektbeteiligten sollen verbessert werden.“ Das Fazit dazu fiel durchweg positiv aus.

Wie bereits erwähnt, ist die Filstalbrücke mit 85 Metern Höhe die dritthöchste Eisenbahnbrücke in Deutschland und die höchste Bahnbrücke in BadenWürttemberg. Überboten wird sie nur von der 1897 in Betrieb genommenen und 107 Meter hohen Müngstener Brücke in Solingen sowie der 1986 fertiggestellten und 95 Metern hohen Rombachtalbrücke auf der Schnellfahrstrecke Hannover–Würzburg.

Bauen prägt

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In Deutschland werden derzeit spannende und spektakuläre Bauprojekte geplant und gebaut. Einige von ihnen stellt der karriereführer hier vor. Zusammengestellt von Christoph Berger

Deutschlands vorerst höchstes Holzhochhaus: Carl

Visualisierung: PWS Architekten Peter W. Schmidt, Architekt BDA, Pforzheim / Berlin
Visualisierung: PWS Architekten Peter W. Schmidt, Architekt BDA, Pforzheim / Berlin

Am 25. Oktober 2021 fand an der Carl-Hölzle-Straße im Arlinger, einem Stadtteil Pforzheims, zu Deutschlands vorerst höchstem Holzhochhaus der erste Spatenstich statt. Das Bauprojekt mit dem Namen „Carl“ wird ein 14-stöckiges Holz-Hybrid-Hochhaus werden. Heißt: Nicht alles wird aus Holz gebaut. Dort, wo es vor allem aus brandschutztechnischen Gründen notwendig ist, bleibt man bei Stahl und Beton. Diese Hybrid-Bauweise sorgt für eine Besonderheit im Bauablauf: Schon etwa drei Monaten nach dem Start der Rohbauarbeiten wird die endgültige Höhe des Gebäudes erkennbar sein, da zunächst nur der Treppenhauskern entsteht. Erst danach beginnen die Holzbauarbeiten. Die aus heimischem Holz vorgefertigten Bauelemente sollen binnen weniger Monate, zwischen Februar und Oktober 2022, vollständig montiert werden. Die endgültige Fertigstellung ist nach gut zwei Jahren Bauzeit für November 2023 geplant.

The Cradle in Düsseldorf

Foto: HPP Architekten GmbH
Foto: HPP Architekten GmbH

Im April 2020 wurde im Düsseldorfer Medienhafen mit den Bauarbeiten des ersten Holzhybrid- Bürogebäudes der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt begonnen. Dazu mussten aufgrund der direkten Rheinnähe und der damit zusammenhängenden Bodenbeschaffenheit und aufgrund des enormen Wasserdrucks umfassende Tiefbauarbeiten starten. Zehn Monate dauerten diese an. Im Dezember letzten Jahres wurde dann mit dem Hochbau begonnen. The Cradle wird nach dem Cradle-to-Cradle®-Prinzip entwickelt. Neben einer sorgfältigen Auswahl der zu verwendenden Materialien – keine giftigen Stoffe gemäß der EPEA Banned List of Chemicals und eine Rückführbarkeit der Materialien und Rohstoffe im Sinne der Kreislaufwirtschaft – bedeutet das auch für die Bauarbeiten neue Wege zu gehen. Das betrifft beispielsweise den Einsatz von Materialien auf der Baustelle und im Gebäude oder auch die Materialverbindungen, denen aufgrund ihrer anschließenden Trennbarkeit ein besonderes Augenmerk zukommt. „Wir planen das Gebäude als nachhaltiges Rohstofflager, deren Materialien nach Gebrauch zu einem großen Teil wiederverwendet werden können. Das ist zum einen ressourcenschonend und zum anderen werterhaltend“, erklärt Carsten Boell, Geschäftsführer Interboden Innovative Gewerbewelten. Umgesetzt wird das Projekt vom Projektentwickler Interboden.

MIQUA– das neue Museum im Quartier in Köln

Foto: Wandel Lorch Architekten
Foto: Wandel Lorch Architekten

Mitten im Kölner Stadtzentrum entsteht zurzeit ein neues Museum mit internationalem Anspruch: das „MiQua. LVRJüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln“. Der Name MiQua steht für „Museum im Quartier“ und bezieht sich damit auf die 6.000 Quadratmeter umfassende Ausgrabungsfläche im Archäologischen Quartier Köln direkt unter dem Rathausplatz. Hier traten 1953 und dann vor allem seit den 1990er-Jahren sowie ab 2007 über zweitausend Jahre Kölner Stadtgeschichte zutage, angefangen beim Palast des römischen Statthalters, dem monumentalen Praetorium, bis hin zum mittelalterlichen jüdischen Viertel und dem christlichen Goldschmiedeviertel. Über diesen archäologischen Denkmälern wird ein neues Museumsgebäude errichtet, das neben einem Dauer- und Wechselausstellungsbereich Einblicke in die Archäologie des Untergrunds ermöglicht, darunter die mittelalterliche Synagoge und das jüdische Ritualbad, die Mikwe, die der Name MiQua ebenfalls reflektiert.

Schwebender Aussichtssteg in der Sächsischen Schweiz

Foto: Freiraumplanung mit System. LandschaftsArchtitekten
Foto: Freiraumplanung mit System. LandschaftsArchtitekten

Nach vorbereitenden Maßnahmen im Herbst 2020 und Februar 2021 stand im März 2021 dem Beginn der tatsächlichen Felssicherungsarbeiten am Basteifelsen in der Sächsischen Schweiz nichts mehr im Weg: Ein Fels, der später den Aussichtssteg tragen soll, wird gesichert und stabilisiert. Im Rahmen der Felssicherungsmaßnahmen werden zunächst ausgeprägte punktuelle Verwitterungsstellen durch Spezialmörtel gesichert. Des Weiteren wird der Felswandfuß durch ein ca. 100 Quadratmeter großes Korsett in Form einer Spritzbetonschale verstärkt, welches in Farbe und Profil dem Erscheinungsbild des Sandsteins nachempfunden wird. Auf der Rückseite wird es mit sogenannten Kleinverpresspfählen im Fels verankert. Dieser Bereich ist elbseitig von Bäumen verdeckt. Die dritte Komponente der Felssicherungsmaßnahmen ist die Verbindung unterschiedlich fester Sandsteinschichten. Dazu werden Kleinverpresspfähle vertikal bis in eine Tiefe von max. 18 Metern verankert. Dadurch werden die Sandsteinschichten miteinander verbunden und schwach tragfähige Schichten überbrückt. Ein Großteil der Arbeiten wird von einer Spezialfirma ohne Gerüst vom Seil aus durchgeführt. Ende 2022 soll die neue Aussichtsplattform für Besucher geöffnet werden.

Das neue Münchener Kulturquartier Gasteig HP8

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Anfang Oktober 2021 war es so weit: Gasteig HP8 wurde offiziell eröffnet, das Interimsquartier für Europas größtes Kulturzentrum. Parallel wird der Gasteig saniert – und erhielt bereits eine verheißungsvolle Auszeichnung. Von Christoph Berger

Das Kulturquartier „Gasteig HP8“ im Süden Münchens ist ein aus teils historischen, teils neuen Gebäuden bestehendes Ensemble, das während der Sanierung des Gasteig die Angebote von Europas größtem Kulturzentrum und seiner Institutionen beherbergt: die Münchner Philharmoniker, Münchner Stadtbibliothek, Münchner Volkshochschule, die Hochschule für Musik und Theater München und das Münchener Kammerorchester. Für die Gasteig-Besucher bleibt das Angebot an Kultur und Bildung damit nahezu gleich. Herzstück auf dem 12.000 Quadratmeter Gelände ist Halle E, eine denkmalgeschützte Trafohalle der Stadtwerke München, die durch ihre Dachstahlkonstruktion, ein Glasdach und Lichtdecke, hervorsticht. Dort werde die Vernetzungen der einzelnen Institute und ihrer Angebote am besten sichtbar, heißt es, dort werde experimentiert und ausprobiert – auch im Hinblick auf den Neuen Gasteig in Haidhausen. Neu erbaut wurde hingegen der ebenfalls im Oktober eröffnete Saal X. Bei diesem handelt es sich um einen eingeschossigen Bau mit 5,9 Metern Höhe, der mit seinen etwa 250 Sitzplätzen als Multifunktionssaal genutzt werden kann.

Bis März 2022 sollen dann sukzessive die anderen Bauten bezogen werden: Haus K, ein sechs Geschosse und etwa 25 Meter hohes Bauwerk, das Heimat für Unterrichtsräume, Werkstätten, Fotostudio, einen kleinen Saal und ein Restaurant werden soll. Oder das fünfgeschossige Haus G, in dem vor allem die Hochschule für Musik und das Theater München neue Räumlichkeiten finden. Valery Gergiev, Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, ist begeistert. Zur Akustik der Isarphilharmonie sagt er: „Der Klang ist warm, klar und intim. Der Saal ist sehr freundlich zu den Musikern – mit weniger Kraftanstrengung erreichen sie exzellente Klangerlebnisse. Es ist ein Wunder, was Toyota (Anm. der Red.: gemeint ist Dr. Yasuhisa Toyota von Nagata Acoustics, ein Klangarchitekt, der zum Beispiel auch für die Elbphilharmonie in Hamburg verantwortlich ist) hier geschaffen hat. Akustik ist eine Wissenschaft, hat aber auch viel mit Intuition zu tun – Toyota weiß instinktiv, wie wirklich guter Klang entsteht.“

Die Sanierung des Gasteig selbst, also das Bauvorhaben „Der Neue Gasteig“ in München Haidhausen, wurde übrigens im Mai von buildingSMART Deutschland zum „BIM Champion 2021“ in der Kategorie Planung gekürt. Die Begründung der Jury: „Bei dieser Arbeit überzeugten insbesondere die Dimension und hohe Komplexität der Aufgabenstellung. Ein komplexes Bestandsmodell wurde bereits erstellt, zwölf Fachmodelle und 40 Teilmodelle wurden für die Planung umgesetzt. Die gesamte Koordination erfolgte am 3D-Modell in regelmäßigen Planungstreffen. Die Building Smart Standards wurden konsequent umgesetzt.“ Und Benedikt Schwering, Leiter des Bereichs Zukunft der Gasteig München GmbH, sagt. „Wir setzen BIM seit 2019 in unserer Planung ein und konnten damit die Visualisierung, Zusammenarbeit und Kostenschätzung entscheidend optimieren.“ Zudem sei festgestellt worden, welch enormes Teampotential BIM habe. Es sei eine riesige Herausforderung gewesen, mit insgesamt 15 Gewerken virtuell an einem 3D-Modell zu arbeiten – da brauche es den Willen auf allen Ebenen und Top-Fachleute.

Der BIM Champion 2021 in der Kategorie Planung vorgestellt

Weltweit erstes adaptives Hochhaus

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Auf dem Campus Vaihingen der Universität Stuttgart wurde Anfang Oktober 2021 das erste adaptive Hochhaus der Welt eröffnet. In Zukunft soll in dem Demonstrator-Hochhaus unter realen Bedingungen im Maßstab 1:1 untersucht werden, wie sich Gebäude aktiv an wechselnde Umwelteinflüsse anpassen können. Von Christoph Berger

Zum Haus: Das Hochhaus umfasst 12 Geschosse bei einer Höhe von etwa 36,50 Metern und einer Grundfläche von fünf auf fünf Meter. Ein angrenzender Treppenturm sorgt für die vertikale Erschließung inklusive aller Versorgungsleitungen. Besonders werden diese Zahlen dann aber erst dadurch, dass in die Tragstruktur und Fassade aktive Elemente integriert wurden. So können zum Beispiel durch Wind auftretende Schwingungen im Turm durch ein Zusammenspiel von Sensorik und Aktorik ausgeglichen werden. So wurde ein intelligentes Regelungskonzept in das Hochhaus integriert: Sensoren erfassen auftretende Verformungen, während Hydraulikaktoren dafür sorgen, dass die Verformungen mittels Gegenkräften im Tragwerk gezielt reduziert werden. Dies diene auch der Dämpfung von Schwingungen – so könne deutlich leichter gebaut werden, als dies ohne Adaptivität möglich wäre, heißt es vonseiten des im Jahr 2017 von Prof. Werner Sobek initiierten Sonderforschungsbereichs SFB 1244 an der Universität Stuttgart. Sobek ist es auch, der zu dem Bau sagt: „Noch nie war Architektur so wandelbar, so veränderlich mit der Zeit wie hier.“

Besonders ist auch die Fassade des Hochhauses. Diese besteht zunächst aus einer einlagigen, rezyklierten Membrane, die nach und nach durch adaptive Hüllelemente ersetzt wird. Diese neuen Fassadenelemente können den Licht- und Energieeintrag in das Gebäude, den Luftaustausch wie auch den Wärmedurchgang aktiv beeinflussen. Das Ziel: Mit der Realisierung soll ein maximaler Nutzungskomfort bei minimalem Energieund Materialaufwand erreicht werden. Die Vorteile adaptiver Gebäude fasst Prof. Lucio Blandini, seit 2020 Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren, ILEK, an der Uni Stuttgart folgendermaßen zusammen: „Die Forschung an adaptiven Systemen eröffnet einen vielversprechenden Weg zu mehr Ressourceneffizienz und Klimaschutz.“ Und sein Kollege Professor Oliver Sawodny, seit diesem Jahr Leiter des SFB1244, ergänzt: „Wir konnten zeigen, dass mit der Technologie der Adaptivität in Tragwerken Einsparungen an Ressourcen und Emissionen im Lebenszyklus eines Gebäudes von bis zu 50 Prozent möglich sind.“

Das Demonstrator-Hochhaus, das auch unter dem Namen Forschungsprojekt D1244 läuft, soll auch für die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) wegweisende technologische Impulse für eine ressourcenschonendere Bauweise liefern. „Wenn wir bei wachsender Weltbevölkerung unsere natürlichen Lebensgrundlagen bewahren wollen, können wir nicht weitermachen wie bisher“, sagt IBA’27- Intendant Andreas Hofer. Mit den IBA’27- Projekten wolle man einen Beitrag dazu zu leisten, dass das Bauen zukünftig nachhaltiger, ökonomischer und sanfter werde. Leichtbautechniken, die nun beim Demonstrator-Hochhaus erprobt werden, würden dabei eine herausragende Rolle spielen.

Digital geht’s voran

Building Information Modeling nimmt in Deutschland immer mehr an Fahrt auf. Und im Kielwasser der Methode finden weitere Technologien Einzug in die Branche. Wobei einer der großen Vorteile eine gesteigerte Effizienz ist. Aber längst nicht der einzige. Von Christoph Berger

Dass Themen heute mehr denn je selten getrennt voneinander betrachtet werden können, dass eins das andere bedingt, wird bei einem Blick in die Studie „Constructing Our Future. Planen. Bauen. Leben. Arbeiten“ erneut bewusst. Die Studie wurde im Auftrag der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. von der Prognos AG, dem Fraunhofer- Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) sowie dem Leonhard Obermeyer Center der Technischen Universität München erstellt, der Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft hat daraus Handlungsempfehlungen für das Bauen der Zukunft abgeleitet, die er im Juli 2021 vorstellte. Im Kern geht es um bedarfsgerechtes, kostengünstiges und nachhaltiges Planen und Bauen. Nachhaltigkeit, Klimaneutralität, eine Steigerung der Ressourceneffizienz und mehr Kreislaufwirtschaft sind wesentliche Aspekt der Studie. Hervorgehoben wird aber auch, dass ökonomisches und ökologisches Bauen wesentlich bessere Datengrundlagen erfordert. Hier fordert der Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft eine umfassende Digitalisierung des aktuellen Gebäudebestands.

Wolfram Hatz, Vorsitzender des Zukunftsrats der Bayerischen Wirtschaft und Präsident der vbw, wird in einer dazugehörigen Pressemitteilung folgendermaßen zitiert: „Nur wenn wir den genauen Zustand des derzeitigen Gebäudebestands kennen, können wir konkret und zielgerichtet bei der Sanierung bestehender und Planung neuer Gebäudeund Infrastrukturprojekte vorgehen.“ Ein wichtiger Impulsgeber für die Digitalisierung im Bauwesen sei dabei das Building Information Modeling, abgekürzt und bekannt als: BIM, das alle Phasen im Lebenszyklus eines Bauwerks in digitalen Modellen abbilde, Wertschöpfung schaffe und dem Bau-Fachkräftemangel entgegenwirke.

Effizienz und Kostenreduktion

Die Studienautoren haben bei BIM in den letzten Jahren einen zunehmenden Paradigmenwechsel in der Praxis festgestellt, immer mehr Unternehmen würden BIM in Teilbereichen einsetzen und hätten ihre Kompetenzen diesbezüglich stark ausgebaut. Doch es gebe noch Potenzial. Zum Beispiel bei der öffentlichen Hand, die etwa mit der BIM-basierten Einreichung von Baugenehmigungen oder BIM-basierten Wettbewerben entsprechende Voraussetzungen und Anreize schaffen könne. Zudem müssten zusätzliche BIM-Pilotvorhaben gefördert werden, um den Kenntnisstand auch in kleinen und mittleren Unternehmen zu erhöhen und in großem Umfang vertiefte Erfahrungen auf allen Seiten sammeln zu können. Seit Anfang des Jahres ist die BIM-Technologie bereits bei zukünftigen Infrastrukturprojekten des Bundes verpflichtend und die 2015 begonnene, schrittweise Einführung des BIM-Stufenplans damit abgeschlossen.

Das Unternehmen Autodesk stellte dazu in einer ebenfalls zum Start des Jahres veröffentlichten Studie fest, dass die Maßgaben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) der Branche wichtige Impulse gegeben und den Weg für einen flächendeckenden Einsatz der Technologie geebnet hätten. Und: Organisationen, die bereits auf BIM-Lösungen setzen, hätten deutliche Wettbewerbsvorteile realisieren können. So glauben etwa 38 Prozent der befragten Ingenieurbüros, dass die Nutzung von BIM ihre Bauausführung effizienter macht, 30 Prozent, dass die Arbeitsvorbereitung deutlich effizienter erledigt werden kann und 23 Prozent, dass eine BIM-Lösung die Effizienz bei Kalkulationen erhöht. Auch die befragten Tiefbauunternehmen sehen diese Vorteile – neben den bereits genannten, erkennen 22 Prozent der Befragten hier auch eine Kostenreduktion als klaren Vorteil einer BIM-Anwendung.

Darüber hinaus gaben über die Hälfte der befragten Ingenieure in Ingenieursbüros an, mit BIM Probleme effizienter zu lösen und insgesamt einen besseren Projektfortschritt zu erreichen. Kombiniert mit den kommenden neuen Vergaberichtlinien hätten Unternehmen so besonders in Zukunft deutliche Vorteile durch eine hohe Kompetenz im BIMUmfeld. Dies führt auch dazu, dass die BIM-Nutzung deutlich ansteigen werde, heißt es. Wie hoch der BIM-Einsatz in Deutschland ist, hat das auf SaaS-Lösungen spezialisierte Unternehmen Planradar untersucht: In einem dazu veröffentlichten Blog-Beitrag heißt es, dass ungefähr 70 Prozent der Bauunternehmen in Deutschland BIM auf verschiedenen Ebenen nutzen. Mehr als zwei Drittel davon seien Architekten und Planungsbüros. Unter den Anwendern sei BIM Level 2 bereits weit verbreitet, wobei es jedoch auch noch viele Nutzer auf BIM Level 1 gebe. Die Level geben die verschiedenen Reifegradstufen wider, von denen es insgesamt drei gibt.

Breiter Technologieeinsatz

Doch die vbw-Studie „Constructing Our Future. Planen. Bauen. Leben. Arbeiten“ beschäftigt sich nicht nur mit BIM. Auch die Technologien Augmented Reality, Virtual Reality und Blockchain, eine automatische Baufortschrittsüberwachung, der Einsatz von Robotern, das Internet of Things (IoT), der 3D-Druck, Künstliche Intelligenz (KI) sowie eine rechnergesteuerte Gebäudetechnik beziehungsweise der automatisierte Betrieb von Gebäuden werden behandelt und Einsatzmöglichkeiten der Technologien aufgezeigt. Durch den Einsatz virtueller Realität (VR) könnten beispielsweise Planungsvarianten eines Bauvorhabens immersiv in einem „begehbaren“ BIM-Modell im Maßstab 1:1 abgestimmt werden; Augmented- Reality(AR)-Anwendungen könnten bei der Abnahme von Bauprojekten unterstützen; und mit Blockchain-Anwendungen ließen sich unter anderem logistische Prozesse durch „smarte“ Lieferketten effizienter gestaltet.

Konkret schreiben die Studienautoren: „Die Nutzung und Erschließung der Potenziale der Schlüsseltechnologien, wie KI, IoT und additive Fertigung (3D-Druck), prägen und verändern das Bauwesen in den nächsten Jahren und ermöglichen neue Geschäftsfelder und -modelle sowie Wachstumschancen.“ Prof. Thomas F. Hofmann, Co-Vorsitzender des Zukunftsrats der Bayerischen Wirtschaft und Präsident der TU München erklärte im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Handlungsempfehlungen: „Der Einsatz von modernster Computertechnologie, Künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen bietet völlig neue Möglichkeiten, das Entwerfen, Bauen und Betreiben von Gebäuden wirtschaftlich, effizient und ökologisch nachhaltig zu gestalten.

Damit diese auch zum Tragen kommen, müssen wir begrenzte Denksilos aufbrechen, Wissen, Werkzeuge und Arbeitsweisen verschiedener Disziplinen zusammenführen und in partnerschaftlichen Ökosystemen von Universitäten, Wirtschaftsunternehmen, Technologiefirmen und Start-ups Innovationen effektiver in den Markt bringen.“

Buchtipp

Amir Abbaspour: Digitales Bauen mit BIM. Beuth 2021, 58 Euro.

Erstes 3D-Druckhaus Deutschlands

Digitalisierung im Bauwesen ist längst nicht nur BIM. Auch andere Digitaltechnologien halten Einzug in die Branche und zeigen neue Möglichkeiten des Bauens auf. Beispielsweise der 3D-Druck. Mit der nach dem Prinzip der additiven Fertigung entwickelten Beton-3D-Drucktechnologie wurde nun erstmals in Deutschland ein Haus gedruckt. Im Juni 2021 wurde es eröff net. Von Christoph Berger

Das erste mit dem 3D-Druckverfahren hergestellte Haus steht im nordrhein-westfälischen Beckum. Gebaut wurde es von Peri, einem Hersteller und Anbieter von Schalungs- und Gerüstsystemen. Das Haus hat eine Wohnfläche von etwa 160 Quadratmetern, die sich über zwei Geschosse verteilen. Es besteht aus mehrschaligen Wänden, die mit Dämmmaterial oder mit Ortbeton verfüllt wurden. Das Konzept dazu wurde vom Büro Mense-Korte ingenieure+architekten erstellt, den Druckmörtel „i.tech® 3D“ hat die Firma HeidelbergCement entwickelt. Gutachterlich begleitet wurde das Projekt von der TU München beziehungsweise vom Ingenieurbüro Schießl Gehlen Sodeikat.

Bei der Eröffnung im Juni 2021 sagte Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen: „Die drei Ds – digital, dynamisch, druckfertig – sind in Beckum umgesetzt. Mit dem bundesweit ersten 3D-Druck-Wohnhaus wird positiver Druck in der Baubranche erzeugt: für innovatives Bauen mit neuen Techniken, für eine größere Attraktivität in Bauberufen und für moderne Architektur mit neuen Stilformen. Jetzt gilt es, Erfahrungen mit dem Bauwerk zu sammeln und den Herstellungsprozess auf dem Markt zu etablieren, denn nur mehr Wohnraum sorgt für günstige Mieten.“ Dass man mit der Produktion des Wohnhauses an einem Wendepunkt des Bauens stehe, sagte auch Architekt Waldemar Korte im Rahmen der Einweihung: Das Bauen und Planen wie wir es seit Jahrhunderten kennen würden, werde sich in vielen Bereichen grundlegend ändern, so seine Einschätzung. Laut Peri sei mit dem Druck des Hauses gezeigt worden, dass die 3D-Betondrucktechnologie marktreif ist.

Bereits im Mai 2021 war das Haus durch den Rat für Formgebung mit dem German Innovation Award ausgezeichnet worden. Die Vorteile des 3D-Druckverfahrens werden in der Jurybegründung allesamt aufgezählt: „Mit diesem Fertigungsverfahren können Häuser schneller, wirtschaftlicher und nachhaltiger erbaut werden. Zudem erlaubt das Verfahren eine sehr individuelle Gestaltung der Wohnräume.“ Allerdings waren für den Einsatz der Technologie auch einige Neuentwicklungen nötig. So muss der Druckmörtel beispielsweise einige Voraussetzungen erfüllen: Das Material muss pumpbar sein gleichzeitig sehr gute Extrusionseigenschaften besitzen, also gut durch die Druckdüse pressbar sein. Auch eine schnell ausreichende Tragfähigkeit ist wichtig, damit die unteren Schichten nicht unter der Last der oberen Schichten versagen. Nicht zu vergessen der Verbund zwischen den einzelnen Schichten sowie eine zielsichere Festigkeitsentwicklung für ein Druckbild mit hoher Formtreue. Die Erfahrungen in Beckum konnte Peri übrigens direkt in die nächsten Projekte mitnehmen. Inzwischen hat das Unternehmen auch das größte Mehrfamilienhaus Europas in Wallenhausen und das erste Wohnhaus in Tempe (Arizona) in den USA gedruckt.

Buchtipp

Viktor Mechtcherine, Jens Otto, Frank Will, Viacheslav Markin, Christof Schröfl, Venkatesh Naidu Nerella, Martin Krause, Charlotte Dorn, Mathias Näther: CONPrint3D- Ultralight – Herstellung monolithischer, tragender Wandkonstruktionen mit sehr hoher Wärmedämmung durch schalungsfreie Formung von Schaumbeton. Fraunhofer IRB Verlag 2020, 35 Euro

„Mit absolutem Fokus auf die Wertschöpfung“

Klemens Haselsteiner ist Vorstandsmitglied und Chief Digital Officer der Strabag SE. Im Interview mit dem karriereführer erklärt er, wie sein Unternehmen den Transformationsprozess angeht, welche Technologien dabei eingesetzt werden und welche Auswirkungen dies auf den Beruf von Bauingenieur*innen hat. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Klemens Haselsteiner beendete ein betriebswirtschaftliches Bachelor-Studium an der DePaul University, Chicago. Er startete seine Karriere 2004 bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Österreich. Nach Absolvierung des Zivildiensts und Berufserfahrung bei einem russischen Industriekonzern trat er 2011 in den Strabag-Konzern in Russland ein. Dort war er u. a. mit dem zentralen Controlling betraut. Ab 2015 war er bei der deutschen Strabag-Konzerngesellschaft Ed. Züblin AG, Direktion Stuttgart, tätig – zunächst als kaufmännischer Bereichsleiter für den Schlüsselfertigbau, ab 2018 als kaufmännischer Direktionsleiter. Klemens Haselsteiner ist seit 1.1.2020 Mitglied des Vorstands der Strabag SE.

Herr Haselsteiner, mit Ihnen als CDO der Strabag SE wurden die Themen Digitalisierung, Innovation und Unternehmensentwicklung 2020 auf Vorstandsebene gehoben. Welche Strategie verfolgt Ihr Unternehmen seitdem?
In jedem international agierenden Konzern gibt es engagierte Mitarbeitende mit jeder Menge innovativen Ideen und Initiativen. Diese ließen sich schneller realisieren, wenn sich diese klugen Köpfe frühzeitiger interdisziplinär und länderübergreifend vernetzen und austauschen könnten. Und wenn sie schnell und unkompliziert interne Ansprechpersonen für alle Innovationsthemen fänden – vom Fachsupport bis zur Unterstützung beim Initiieren von Forschungsprojekten. Unser Zentralbereich Innovation & Digitalisation setzt genau hier an: Seine Expertenteams agieren als Enabler für unsere Digitalisierungs- und Innovationsprojekte. Unser Fokus liegt auf der Koordination und Steuerung der Projekte sowie auf der vernetzten Entwicklungsarbeit, die einen konkreten Nutzen für derzeitige und zukünftige Baustellen und Dienstleistungstätigkeiten stiftet. Damit stärkt Strabag ihre Position als führende Technologiepartnerin für das Bauen von morgen.

Auf welche Technologien setzen Sie?
Im Hinblick auf die Digitalisierung und Automation sehen wir großes Potenzial in BIM 5D® sowie in Geoinformationssystemen (GIS) und Robotik – vor allem, wenn wir diese Technologien intelligent miteinander vernetzen.

Und was ist derzeit noch Zukunftsmusik, wird in den nächsten Jahren aber die Baubranche erreichen?
Künstliche Intelligenz und Automation stecken in der Baubranche heute noch in den Kinderschuhen. Wir nutzen bereits eine Vielzahl an Technologien, aber deren Einsatz ist bislang kein Standard.

Welche Rolle wird der Mensch dabei zukünftig in Bauprojekten einnehmen, wird er noch auf Baustellen zu finden sein?
Der Mensch wird weiterhin auf Baustellen zu finden sein, aber in weniger arbeitsteiligen Prozessen. Der Mehrwert der KI und der Robotik besteht darin, dass sie Arbeiten erfüllen, die für Menschen nicht mehr sinnstiftend sind. Das führt dann dazu, dass sich Bauleiterinnen und Bauleiter stärker auf ihre eigentliche Tätigkeit konzentrieren können und sich nicht mit bürokratischen Prozessen aufhalten.

Wie würden Sie den Digitalisierungsgrad Ihres Unternehmens derzeit beschreiben?
Die Bauindustrie ist in großen Teilen nicht mit anderen, digitalisierten Branchen wie der Automobilbranche vergleichbar, denn in der Regel bauen wir Unikate. Einen individuellen Bauprozess zu digitalisieren, ist grundsätzlich schwieriger als eine Fabrikation unter kontrollierten, standardisierten Rahmenbedingungen. Aber wir sind führend bei der Digitalisierung der Baubranche. Dafür arbeiten wir in erster Linie an der notwendigen Infrastruktur. Eine vernetzte Welt setzt Konnektivität voraus. Auch die Themen Sicherheit, Daten und Standardisierung spielen eine entscheidende Rolle. Nur im Einklang dieser Faktoren können neue digitale Projekte vorangetrieben werden.

Die Bauindustrie ist in großen Teilen nicht mit anderen, digitalisierten Branchen wie der Automobilbranche vergleichbar, denn in der Regel bauen wir Unikate. Einen individuellen Bauprozess zu digitalisieren, ist grundsätzlich schwieriger als eine Fabrikation unter kontrollierten, standardisierten Rahmenbedingungen.

Sie arbeiten bei Bauprojekten mit vielen anderen Unternehmen zusammen. Stellt ein unterschiedlicher Digitalisierungsgrad da ein Problem dar?
Unterschiedliche Standards sind generell ein Thema. Das hat erst einmal nichts mit Digitalisierung zu tun. Dennoch ist es speziell bei digital abgewickelten Bauprojekten eine Herausforderung, wenn zwei gänzlich unterschiedliche Parteien miteinander kooperieren. Gerade in der Kommunikation mit kleineren Nachunternehmen sind leider noch vielmals Medienbrüche zu finden.

Wie lassen sich diese dann in der Praxis überwinden?
Auch hier sind wir wieder bei den gemeinsamen Standards. Wenn wir über Digitalisierung sprechen, dann sind wir nur dann effizient, wenn wir vor dem Digitalisieren und Automatisieren im ersten Schritt standardisieren. Generell gibt es in der Bauindustrie eine breite Software-Palette und nur wenige globale Standards. Daher werden oftmals große Aufwände in Systemintegration und die Definition von Schnittstellen gesteckt. Hier liegt wohl das größte bisher nicht voll ausgeschöpfte Potenzial.

Welche Rolle spielen bei der Digitalisierung der großen Bauunternehmen Start-ups, die sogenannten ConTechs?
Die dynamische Veränderung der Märkte durch die digitale Transformation erfordert Agilität und Innovationskraft. In diesem Zusammenhang spielen Start-ups eine wichtige Rolle. Sie treiben neue Entwicklungen und stellen mutig bestehende Lösungen und Prozesse in Frage. Durch strategische Partnerschaften mit ConTechs will Strabag als starke Partnerin Synergien heben, die uns langfristig einen Wettbewerbsvorteil sichern.

Die Anzahl der ConTechs steigt an, oft handelt es sich allerdings um digitale Einzellösungen. Wie schafft man es als Großunternehmen, derartige Lösungen zu integrieren bzw. ein gut funktionierendes Ganzes zu schaffen?
Die steigende Anzahl ConTechs zeigt zunächst, dass sich die Bauindustrie in einem Umbruch befindet. Sonst würde es die Anzahl an ConTechs nicht geben – aus unserer Sicht eine positive und hoffnungsvolle Entwicklung. Was die Auswahl von Produkten, Partnerinnen und Partnern angeht, sind wir selektiv, so setzen wir nur die besten Lösungen für unsere operativen Einheiten sowie Kundinnen und Kunden ein. Eine erfolgreiche Integration benötigt aber weit mehr als nur eine intelligente technische Lösung – Professionalität bei Organisation und Prozessen sind ebenso Grundvoraussetzung wie ein gewisses Verständnis für Enterprise-Lösungen.

Wie verändert sich die Unternehmenskultur durch diese technologischen Entwicklungen – Strabag bezeichnet sich ja auch nicht mehr als Bauunternehmen, sondern als Technologiekonzern für Baudienstleistungen?
Intern erleben wir derzeit einen Transformationsprozess der Horizontalisierung – mit absolutem Fokus auf die Wertschöpfung. Damit überwinden wir Silos und Insellösungen, um noch stärker an einer gemeinsamen Vision des Konzerns zu arbeiten. Das verändert natürlich auch die Führungskultur innerhalb des Unternehmens.

Was erfordert dieser Wandel von Bauingenieurinnen und Bauingenieuren, welche Skills benötigen sie, und suchen Sie auch neue bzw. andere Abschlüsse, beispielsweise verstärkt IT-Fachkräfte?
Das Wissen und die Anwendung von BIM, LEAN und agilen Arbeitsmethoden sind wesentlicher Bestandteil des Skillsets unserer Bauingenieurinnen und Bauingenieure. Der Transfer der Digitalisierungsprojekte in die Praxis erfordert einerseits tiefes technisches, andererseits aber auch fundiertes ITVerständnis. Gleichzeitig benötigt man die Fähigkeit, Veränderung zu begleiten und die richtigen Maßnahmen zur erfolgreichen Umsetzung zu treffen. Das setzt auch ein neues Verständnis von Führung voraus. In Bereichen wie Application Services, Data Science oder Software Development suchen wir zudem vermehrt IT-Fachkräfte, um unsere Digitalisierungsprojekte voranzutreiben und weiterzuentwickeln.

Schwimmende Städte

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Küstenstädte und an Küsten liegende Länder werden durch steigende Meerespiegel bedroht – ausgelöst durch den Klimawandel. Die Lösung könnten sich selbst versorgende, schwimmende Städte sein. Von Christoph Berger

Zwei von fünf Menschen auf der Welt leben weniger als 100 Kilometer von der Küste entfernt und einer von zehn Menschen lebt in Küstengebieten, die weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel liegen; die große Mehrheit der Küstengebiete wird von Küstenerosion und Überschwemmungen betroffen sein, so Prognosen. Ausgelöst werden diese durch den Klimawandel. Daher werden Millionen von Menschen vertrieben, Häuser und Infrastruktur zerstört. Die Lösung für diese sich anbahnende Katastrophe könnten schwimmende Städte sein, wie sie etwa von UN-Habitat, dem Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen, und dem Unternehmen Oceanix vorgeschlagen werden. „Wir sind die UN-Organisation, die den Auftrag hat, mit Städten zu arbeiten, sei es zu Lande oder zu Wasser“, sagte die malaysische Städteplanerin Maimunah Mohd Sharif, die seit 2018 Exekutivdirektorin des UN-Programms ist, 2019. Man sei bereit, einen Dialog über nachhaltige schwimmende Städte zu führen, um sicherzustellen, dass dieser aufstrebende Sektor effektiv und zum Nutzen aller Menschen mobilisiert werde. So wurde beispielsweise im Rahmen eines Runden Tisches nach möglichen Lösungen gegen die Bedrohung gesucht.

Eine Lösung wurde in sich selbst versorgenden und schwimmenden Städten, die ihre eigenen Nahrungsmittel, Energie und Frischwasser produzieren und keinen Abfall verursachen, gefunden. Der Entwurf von Oceanix City, der weltweit ersten nachhaltigen schwimmenden Stadt für 10.000 Einwohner, wurde zur Unterstützung der New Urban Agenda von UN-Habitat vorgestellt. Es handelt sich dabei um eine Blaupause für eine modulare maritime Metropole, die auf den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung basiert. Die additive Architektur könne organisch wachsen, sich verwandeln und anpassen und sich von einer Nachbarschaft mit 300 Einwohnern zu einer Stadt mit 10.000 Einwohnern entwickeln – mit der Möglichkeit einer unbegrenzten Skalierung, um florierende nautische Gemeinschaften für Menschen zu schaffen, die sich füreinander und für unseren Planeten einsetzen.

Der Mitbegründer von Oceanix, Marc Collins Chen, sagt zu der Idee, dass es die Technologie gebe, mit der wir auf dem Wasser leben könnten, ohne die marinen Ökosysteme zu zerstören: „Unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass nachhaltige schwimmende Städte erschwinglich und für alle bedürftigen Küstenregionen verfügbar sind. Sie sollten nicht zu einem Privileg der Reichen werden.“ Oceanix City sei zudem nicht nur nachhaltig, sondern auch hochwassersicher und so konzipiert, dass die Stadt auch Megastürme überstehe. Im Falle einer langfristigen Veränderung der Wetterverhältnisse könne die gesamte schwimmende Stadt abgetakelt und an einen geeigneteren Ort geschleppt werden.