Die Diversity-Förderin Uta Holzenkamp im Interview

Uta Holzenkamp kennt noch die Zeit, als im Chemiestudium sowie in den Laboren der Chemie-Unternehmen acht von zehn Mitarbeitenden männlich waren. Doch die Chemikerin ist angetreten, das zu ändern: Auf ihrem Karriereweg bei der BASF hat sie mit ihrem Credo „Mut ist wichtiger als Komfort“ viele Frauen inspiriert. Als neue Leiterin des Konzernbereichs Coatings setzt Uta Holzenkamp auf vielfältige Teams. Warum sie in ihrem Büro ein Porträt von Marie Curie hängen hat und was sie in Belgien über Frauen in Führung lernte, erzählt sie im Interview. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Uta Holzenkamp ist seit 2022 Leiterin des Unternehmensbereichs Coatings von BASF mit rund 11.000 Mitarbeitenden an mehr als 70 Standorten. Nach ihrem Studium der Organischen Chemie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, der Heriot- Watt University in Edinburgh/Schottland, und der Ohio State University/USA, promovierte sie 1996 an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz. 1997 begann sie ihre Tätigkeit bei BASF, zunächst in der pharmazeutischen Forschungsabteilung. Es folgten weitere Stationen im In- und Ausland, von 2011 bis 2015 war sie in Brüssel tätig. Ab April 2018 leitete sie als Senior Vice President die globale Geschäftseinheit Fuel & Lubricant Solutions, die Teil des Unternehmensbereichs Performance Chemicals von BASF ist.

Frau Holzenkamp, Sie sind 1997, kurz nach Ihrer Promotion, bei der BASF eingestiegen. Was ist der Hauptgrund für Ihre Unternehmenstreue?
Dieses Jahr feiere ich tatsächlich mein 25-jähriges Firmenjubiläum. In all den Jahren durfte ich bei BASF immer wieder Neues lernen. In meiner neuen Rolle als Leiterin des Bereichs Coatings freue ich mich nun besonders darauf, die Transformationen zu mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung aktiv zu gestalten sowie eine inspirierende Kultur mit dem Team zu schaffen. Aber der Hauptgrund für meine 25 Jahre bei BASF sind tatsächlich die vielen Kunden, Kolleginnen und Kollegen, die ich über die Jahre kennenlernen durfte. Daraus haben sich viele enge Freundschaften entwickelt.

Wenn Sie auf die Karrieren von Frauen in Ihrer Branche damals – Mitte der 90er-Jahre – und heute schauen, was hat sich grundlegend geändert?
Als ich als Laborleiterin in der Forschung bei BASF eingestiegen bin, war ein geringer Frauenanteil von weniger als 20 Prozent der Normalfall. An diese Tatsache hatte ich mich schon während meines Chemiestudiums gewöhnt. Seitdem hat sich jedoch viel getan, nicht nur in der Forschung, sondern in allen Bereichen der BASF. Ein wichtiger Faktor ist, dass sich die Vereinbarkeit von Familie und Karriere kontinuierlich verbessert. Als Eltern von zwei Söhnen haben mein Mann und ich früher beide in Teilzeit gearbeitet – das war damals noch sehr ungewöhnlich. Heute sind flexiblere Arbeitsmodelle selbstverständlich, und es ist auch wichtig, dass wir gleichermaßen Männern die Akzeptanz entgegenbringen und Flexibilität ermöglichen, mehr für die Familie da sein zu können. Immer häufiger sehe ich jetzt, dass Männer in Elternzeit gehen. Das ist ein gutes Zeichen! Und zunehmend trauen sich auch Mädchen und Frauen, ihre Stärken in den MINT-Fächern auszubauen. Dennoch gibt es für uns als Unternehmen und als Gesellschaft noch viel zu tun: Konsequent müssen wir immer wieder alte Rollenbilder hinterfragen und neue Lebensmodelle ermöglichen.

Können Sie sich an konkrete Widerstände erinnern, gegen die Sie als Frau auf dem Weg nach oben im Laufe Ihrer Karriere ankämpfen mussten?
Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn gab es nicht viele Frauen als Vorbilder in Führungsfunktionen. Was wir unter einer guten Führungskraft verstehen, hat sich über die Zeit weiterentwickelt, so haben früher manchmal meine Nähe zum Team und auch mein lautes Lachen zu Verwunderung geführt. Letztlich ist es wichtig, wirklich authentisch zu sein und seinen eigenen Weg zu finden, um diesen dann konsequent zu gehen.

Es ist wichtig, wirklich authentisch zu sein und seinen eigenen Weg zu finden, um diesen dann konsequent zu gehen.

Haben Sie die sprichwörtliche „Gläserne Decke“ selbst einmal erlebt?
Die Gläserne Decke habe ich selbst nie erlebt. Glücklicherweise hatte ich gute Chefs, die mir viel zugetraut haben und mich in meiner Entwicklung unterstützt haben. Und ich selbst habe über die Jahre immer wieder aktiv meine Persönlichkeit weiterentwickelt, durch viele intensive Gespräche und Erfahrungen, die ich gesammelt habe. Basierend auf meinem Grundvertrauen in das Leben generell, habe ich zum Beispiel entschieden, dass Mut wichtiger als Komfort ist. Mir hat sehr geholfen, neugierig zu bleiben und immer wieder den Status quo zu hinterfragen. So haben sich neue Chancen aufgetan, und diese habe ich dann auch ergriffen. Wobei ich meine Karriere nicht langfristig geplant habe. Dass ich einmal Bereichsleiterin werden würde, hätte ich mir früher nicht vorstellen können. In diese Verantwortung bin ich tatsächlich hereingewachsen.

Welche weiblichen Vorbilder und Mentorinnen haben Ihnen auf Ihrem Weg geholfen?
Ein Vorbild von mir ist Marie Curie, die als Naturwissenschaftlerin auf vielen Gebieten Pionierarbeit geleistet hat. Marie Curie hat gesagt: „Sie müssen Ihr Talent entdecken und benutzen. Sie müssen herausfinden, wo Ihre Stärke liegt. Haben Sie den Mut, mit Ihrem Kopf zu denken. Das wird Ihr Selbstvertrauen und Ihre Kräfte verdoppeln.“ Sehr weise Worte! Ich habe ein Bild von ihr in meiner Vitrine im Büro stehen, eine Laborantin aus einem ehemaligen Team hat es gemalt und mir dann geschenkt. Auf meinem Karriereweg durfte ich sehr viele inspirierende Frauen treffen, die alle mit ihrer Perspek tive Mut machen und andere Frauen – und auch Männer – bestärken. Und natürlich hoffe ich, dass ich inzwischen selbst ein Vorbild sein kann. Die schönste Erfüllung in meinem Beruf ist, wenn Kolleginnen und Kollegen nach Jahren zu mir kommen und sagen: Weil ich zu ihnen damals etwas Bestimmtes gesagt oder ihnen etwas zugetraut habe, hätte ich sie auf ihrem Weg weitergebracht.

Sie haben einige Stationen im Ausland verbracht, unter anderem in Belgien. Welche wertvollen Erkenntnisse haben Sie von dort mitgenommen – gerade auch mit Blick auf das Thema Frauen in Führungspositionen?
Im Ausland zu leben, bringt immer einen gesunden Perspektivwechsel mit sich. Sich auf neue Verhaltensweisen einzustellen und diese bei sich selbst zu integrieren ist für mich und meine Familie eine echte Bereicherung. Diese Kompetenz benötigt man als inklusive Führungskraft jeden Tag. In Belgien habe ich außerdem gesehen, dass Frauen eher femininer im Berufsumfeld auftreten, als sie es zum Beispiel in Deutschland tun. In der Vergangenheit wurde ich, insbesondere von jungen Kolleginnen, oft gefragt, ob man sich möglichst wie ein Mann verhalten solle, um erfolgreich zu sein. Das kann ich klar verneinen!

Was tun Sie Ihrerseits, um ambitionierte Einsteigerinnen auf dem Weg nach oben zu fördern?
Unseren Mitarbeiterinnen bieten wir Mentoring, Frauen-Netzwerke und vielfältige Lern- und Weiterbildungsangebote an. Auch ich habe als Mentorin schon viele Kolleginnen auf ihrem Weg begleitet, zum Teil über mehrere Jahre. Ich teile gerne sehr offen meine eigenen Erfahrungen – besonders auch die schwierigen – und lerne dabei auch selbst viel von den Einsteigerinnen. Ich achte darauf, in meinen Teams jungen Frauen bereits früh Verantwortung zu geben. Auch versuche ich, möglichst mehrere Frauen in einem Team zu haben, damit sie sich gegenseitig sowie das gesamte Team stärken können. Echte Wertschätzung macht stark!

An oberster Stelle steht für mich, eine inspirierende Kultur zu schaffen, in der unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie selbst sind, mutige Entscheidungen treffen und wachsen.

Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?
Alles was ich mache, mache ich aus ganzem Herzen und voller Überzeugung. An oberster Stelle steht für mich, eine inspirierende Kultur zu schaffen, in der unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie selbst sind, mutige Entscheidungen treffen und wachsen. Dazu gehört für mich auch, aus der Komfortzone zu treten und „einfach mal zu machen“. Um das zu ermöglichen, versuche ich meinem Team immer mit Vertrauen, Empathie und Respekt zu begegnen. Besonders wichtig ist mir aufrichtige Wertschätzung und echtes Interesse daran, was jede und jeder Einzelne zu sagen hat. Ich lege viel Wert darauf, Menschen zu treffen und vertrauensvolle Beziehungen zu unseren Mitarbeitenden und Kunden aufzubauen. Die Energie und Motivation, die durch echten Teamgeist entsteht, faszinieren mich immer wieder. Ich glaube zudem, dass es wichtig ist, als Führungskraft eine offene Fehlerkultur vorzuleben und regelmäßig Feedback zu üben. Und: Lachen gehört natürlich auch dazu!

Der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten wächst, aber langsam. Ab August gilt für größere Unternehmen zumindest die Verpflichtung, mindestens einen Vorstandsposten mit einer Frau zu besetzen. Was halten Sie von solchen Verpflichtungen, und braucht es sogar eine Quote?
Die Quantifizierung von unseren Zielen führt uns immer wieder vor Augen, wo wir gemeinsam hinwollen. Solche Maßnahmen können Katalysatoren sein, um das Umdenken zu beschleunigen und alte Strukturen aufzubrechen. Selbstverständlich bedeutet dieses Ziel nicht, dass wir eine Frau auf eine Position setzen würden, wenn sie dafür nicht geeignet wäre. Wir suchen bei jeder Aufgabe nach der besten Besetzung. An oberster Stelle steht immer die Kompetenz – doch davon haben Frauen ziemlich viel! Eine nachhaltig gelebte Diversität, die für mich viel mehr als nur Männer oder Frauen bedeutet, ist allerdings nicht von Quoten abhängig, sondern setzt ein fundamentales Umdenken voraus. Worauf es im Endeffekt ankommt, ist der feste Glaube bei jeder Führungskraft und jedem Teammitglied, dass mehr Vielfalt neben der persönlichen Bereicherung zu innovativeren Lösungen und mehr Erfolg für unsere Kunden führt.

Zum Unternehmen

Der Unternehmensbereich Coatings von BASF mit Sitz in Münster spezialisiert sich auf die Entwicklung, Produktion und Vermarktung innovativer Fahrzeug- und Autoreparaturlacke, Bauten-Anstrichmittel sowie angewandter Oberflächentechnik von Metall-, Plastik- und Glassubstraten für zahlreiche Industrien. Das Unternehmen ist mit Teams in Europa, Nordamerika, Südamerika und Asien-Pazifik tätig. Im Jahr 2021 erzielte der BASF-Unternehmensbereich Coatings weltweit einen Umsatz von rund 3,44 Milliarden Euro. Der Umsatz der gesamten BASF-Gruppe beträgt 78,6 Milliarden Euro, für den Konzern tätig sind weltweit mehr als 111.000 Mitarbeitende. Die BASF-Gruppe hat sich das Ziel gesetzt, den Anteil weiblicher Führungskräfte bis 2030 weltweit auf mindestens 30 Prozent zu steigern.

www.basf-coatings.com

#InnovativeFrauen: Inspirationen für den eigenen Karriereweg

www.innovative-frauen.de ist eine Plattform, die innovative Frauen mit ihren Ideen, Erfindungen und Errungenschaften sichtbar macht. Junge Frauen erhalten Einblicke in den Berufsund Lebensalltag der Innovatorinnen und damit Einsichten in spannende Berufs- und Forschungsfelder sowie Inspiration für den eigenen Karriereweg. Ein Gastbeitrag von Ines Großkopf, Kompetenzzentrum Technik-Diversity- Chancengleichheit e. V.

Ein spannender und abwechslungsreicher Job, die Zukunft mitgestalten sowie Lösungen für drängende Probleme finden – genau das stellen viele junge Frauen sich für ihre berufliche Zukunft vor. Sie wollen forschen, experimentieren, ausprobieren, tüfteln und irgendwann ein neues, nachhaltiges Produkt in den Händen halten, die Umweltbelastung von Produktionsabläufen verringern oder neue, zukunftsweisende Möglichkeiten der Mobilität, des Konsums oder des chancengerechten Zusammenlebens finden.

Da ist beispielsweise die Gründerin, die ein filterfreies Verfahren entwickelt hat, mit dem Wasser von Mikroplastik und Mikroverunreinigungen gereinigt werden kann. Oder die Unternehmerin, die kostengünstige, hochwertige Solarsysteme produziert, die überall dort zum Einsatz kommen können, wo Menschen noch keinen Zugang zu elektrischer Energie haben. Andere Frauen, die auf der Plattform #InnovativeFrauen zu finden sind, beschäftigen sich mit neuen Mobilitätskonzepten oder Biodiversität in Städten. Wieder andere sind dem Bereich der sozialen Innovationen zuzuordnen. Sie unterstützen mit ihren neuartigen Ideen Menschen aller Altersgruppen, beispielsweise Jugendliche und junge Erwachsene durch gezielte Talentförderung oder ältere Menschen durch Assistenzsysteme. Ebenso breit gefächert ist die Altersspanne der Expertinnen. So ist eine Studierende mit einem Profil vertreten, die ihre Bachelorarbeit über Tiefenmessung in der 3D-Endoskopie geschrieben hat – sie hat ein Verfahren entwickelt, das es medizinischem Fachpersonal ermöglicht, Tumore im Inneren des Körpers zu vermessen. Andere Expertinnen haben bereits viele Jahre Erfahrung in ihrem Fachgebiet gesammelt, viele von ihnen sind auch als Mentorinnen ansprechbar.

Rollenvorbilder begeistern für ihre Innovationsfelder

Junge Frauen treffen bei #InnovativeFrauen auf interessante Rollenvorbilder, die sie darin bestärken, ihre eigenen beruflichen Ideen, Forschungsvorhaben und Visionen weiter zu verfolgen. Dafür sind verschiedene Formate in Planung, beispielsweise Open-Mic-Veranstaltungen, Videoportraits und ein Podcast. Hier präsentieren Frauen sich und ihre technologisch und gesellschaftlich relevanten Leistungen. Sie geben inspirierende Einblicke in ihren Beruf, ihre Erlebnisse auf Forschungsreisen und ihre persönlichen Erfahrungen. Eine kontinuierliche Interaktion wird über die Social Media-Kanäle von #InnovativeFrauen gewährleistet. Auf LinkedIn, Instagram, Twitter und YouTube werden spannende Geschichten über interessante Frauen, Hintergrundanalysen und Hinweise auf Veranstaltungen und Wissenschaftspreise gepostet. Zudem werden Austausch und Diskussion zu aktuellen Themenschwerpunkten ermöglicht: Das erste Fokusthema ist „Grüne Städte – Städte der Zukunft“ – es geht um die zunehmende Urbanisierung und die damit einhergehenden Herausforderungen. Auch dabei stehen innovative Frauen im Mittelpunkt – beispielsweise erzählen die Initiatorinnen des Projekts ROOF WATER-FARM, wie mit aufbereitetem Wasser und Nährstoffen aus Gebäuden in Dachgewächshäusern Gemüse und Fische produziert werden können.

Web: www.innovative-frauen.de
Instagram: instagram.com/innovativefrauen

Pionierinnen

Sie kämpften in einer männlich dominierten Gesellschaft für ihre Überzeugungen, setzten sich an die Spitze der technischen und künstlerischen Innovation und prägten den Verlauf der Geschichte mit ihren Ideen. In unserer Pionierinnen-Reihe stellen wir Frauen vor, die mit ihrem Mut und ihrem Durchsetzungsvermögen den Weg zur Gleichberechtigung geebnet haben. Von Kerstin Neurohr

Grace Hopper (1906 – 1992)

Informatikerin und Computerpionierin

Grace Hopper begeisterte sich schon als Jugendliche für Technik. Sie studierte Mathematik und Physik, zuerst am Vasser College, dem ältesten Women College der USA, später in Yale, wo sie ihr Studium mit Auszeichnung abschloss. Danach war sie an wegweisenden Projekten beteiligt, u.a. wirkte sie als eine der ersten Programmiererinnen am Computer „Mark I“ mit, sie entwickelte den ersten Compiler (1952) und mit „FLOW-MATIC“ (1955) die erste der natürlichen Sprache ähnliche Programmiersprache. Weltweite Anerkennung erlangte Grace Hopper mit der Programmiersprache COBOL („Common Business Oriented Language“). 1943 trat sie in die US Navy ein und diente während des zweiten Weltkriegs, zuletzt als Flotillenadmiral der Marinereserve. Grace Hopper erhielt mehr als 40 Ehrendoktorwürden. Berühmt sind auch einige ihrer Bonmots wie „It’s always easier to ask forgiveness than it is to get permission“ oder „If in doubt – do it!“.

Sonja Lapajne Oblak (1906 – 1995)

Bauingenieurin

Sonja Lapajne Oblak schließt als erste slovenische Frau 1932 ihr Studium als Bauingenieurin an der Technischen Fakultät in Ljubljana ab und wird die erste Stadtplanerin Sloweniens. In den Jahren 1934–1943 arbeitet sie als Tragwerksplanerin für die technische Abteilung der königlichen Verwaltung der Provinz Drava Banate in Ljubljana und beaufsichtigt den Bau der vom damaligen Staat geplanten Gebäude. Sie arbeitet mit den prominenten Architekten der Zeit, Jože Plečnik, Emil Navinšek, Vinko Glanz und Edvard Ravnikar, zusammen. Lapajne Oblak berechnet 1936 das weltweit erste korridorfreie, in Stahlbeton errichtete Schulgebäude in Ljubljana, entworfen von Emil Navinšek. 1941 tritt sie der nationalen Befreiungsbewegung bei und ist 1943 Parteisekretärin der Befreiungsfront. Sie wird verhaftet und in das Konzentrationslager Ravensbrück interniert wo sie bis Kriegsende bleibt. Nach dem Krieg ist sie in führenden Bauunternehmen in Jugoslawien und als Stadtplanerin in Slowenien tätig. Bis zu ihrer Pensionierung 1969 ist sie Direktorin am Institut Projektivni atelje za arhitekturo, urbanizem in nizke gradnje in Ljubljana.

Mamie Phipps Clark (1917 – 1983)

Sozialpsychologin

Mamie Phipps Clark war eine amerikanische Sozialpsychologin, die sich auf die kindliche Entwicklung von Schwarzen Kindern spezialisierte. In Arkansas geboren, schöpfte Clark aus ihren eigenen Erfahrungen als Schwarzes Kind im segregierten amerikanischen Süden. Ihr Anliegen war es, Kindern zu helfen die mit denselben Ungleichheiten aufwuchsen. Clark studierte ab 1934 an der Howard University zunächst Mathematik mit Nebenfach Physik, wechselte dann aber zur Psychologie, nachdem sie den Psychologiestudenten Kenneth Clark kennengelernt hatte, der ihr Ehemann und langjähriger beruflicher Partner werden sollte. Clark promovierte 1943 an der Columbia University in Psychologie. Sie und Kenneth, jetzt miteinander verheiratet, waren die erste Schwarze Doktorandin und der erste Schwarze Doktorand der Columbia University. Aufgrund ihrer Forschung traten Clark und Kenneth in zahlreichen Prozessen um Rassentrennung an Schulen als Zeugen auf. 1946 eröffneten Clark und Kenneth das Northside Center for Child Development, die einzige psychiatrische Einrichtung für Schwarze Kinder in New York. 1973 wurde Clark mit dem American Association of University Achievement Award ausgezeichnet, und zehn Jahre später verlieh ihr die National Coalition of 100 Black Women einen Candace Award.

Queens of Structure

Im vergangenen Jahr präsentierte die Ausstellung „Queens of Structure“ im Architekturmuseum der TU Berlin Pionierinnen der Großbaustellen der Moderne wie Sonja Lapajne Oblak. Die Ausstellung ist nun eine Wanderausstellung und wird noch bis zum 25. Mai 2022 vor dem Hörsaalzentrum der TU Dresden gezeigt.

Frauen, die die Wissenschaft veränderten

Cover-Frauen-die-die-Wissenschaft-veränderten_mockupDer Text zu Mamie Phipps Clark ist (gekürzt) übernommen aus einem Buch von Anna Reser & Leila McNeill: Frauen, die die Wissenschaft ver änderten. Der umfangreiche, schön illustrierte Band erzählt die Emanzipations- und Gleichstellungs geschichte von Frauen in der Wissenschaft – von der Antike bis zur Gegenwart. Anna Reser & Leila McNeill: Frauen, die die Wissenschaft veränderten. Haupt 2022. 36 Euro.

Buchtipp: Wir sind die Veränderung

Cover-Wir-sind-die-Veränderung_mockupIn 20 Porträts skizziert der Autor besonders beeindruckende Frauenfiguren der Geschichte, die in ihrer Epoche von traditionellen Wegen abwichen und ihren eigenen gegangen sind. Michael Korth: Wir sind die Veränderung. 20 Porträts starker Frauen. Patmos 2022. 20 Euro.

Podcast: Frauen von damals

Im Podcast „Frauen von damals“ stellt Bianca Walther Pionierinnen vor – Frauen, größtenteils aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, die Grenzen überschritten, mit neuen Lebensmodellen experimentierten und sich Freiräume nahmen. Hörenswert!

 

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Spotify zu laden.

Inhalt laden

Chapeau! Kultur-, Buch- und Linktipps

Leben in der post-digitalen Gesellschaft

Cover Mengeler_ConnectAva ist Designerin in einer Werbeagentur, sie arbeitet viel, und abends legt sie sich auf die Couch, widmet sich Serien und ihrem Handy. Doch dann begegnet sie Lina, die der post-digitalen Gemeinschaft „connect“ angehört. Sie führt Ava in die sektenartige Vereinigung ein – und schnell wird connect zu Avas Lebensmittelpunkt … Ein spannender Debütroman, der sich den aktuellen Themen und Problemen des digitalen Zeitalters widmet. Thea Megeler: Connect. Leykam 2022. 24,00 Euro

Bundeskunsthalle zeigt Ausstellung zu Simone de Beauvoir

Foto: Laurin Schmid
Foto: Laurin Schmid

Mit der Ausstellung „Simone de Beauvoir und ´Das andere Geschlecht´“ ehrt die Bundeskunsthalle in Bonn eine Ikone der Frauenbewegung. Simone de Beauvoirs Studie „Le deuxième sexe“ (1949) war ein Plädoyer für die Gleichberechtigung und ein radikaler Gegenentwurf zu dem damaligen konservativen Frauen- und Mutterbild. Leitgedanke der Feministin war, dass die Frau ein soziales Konstrukt ist: Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Die Ausstellung begleitet die Besucher*innen in das Paris der Nachkriegszeit, als die Ideen des Existenzialismus neue Maßstäbe setzten. Sie erzählt von dem Vermächtnis des Werkes und seiner Bedeutung als „Bibel des Feminismus“ innerhalb der Frauenbewegung. Literarische Beiträge und Interviews stellen Simone de Beauvoirs Denken und ihr Verständnis vom freien und selbstbestimmten Leben vor. Zu Wort kommen Simone de Beauvoirs Lebensgefährte Jean-Paul Sartre sowie einige ihrer wichtigsten Wegbegleiter*innen wie Alice Schwarzer. Die Ausstellung ist noch bis zum 19. Oktober 2022 in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen. www.bundeskunsthalle.de

Ein Leben für die Freiheit der Frauen

Cover-HafenärztinHamburg, im Jahr 1910: Die Ärztin Anne Fitzpatrick kämpft gegen alle Widerstände für die Rechte von Frauen. Gemeinsam mit der mutigen und engagierten Pastorentochter Helene arbeitet sie im Frauenhaus, hilft Frauen, die unterdrückt wurden und Gewalt erfahren haben. Doch dann tauchen im benachbarten Hafenbecken die Leichen zweier Frauen auf – die Opfer hatten, genau wie die Hafenärztin, Kontakt zur Frauenbewegung. Auch Anne gerät in Gefahr… Der historische Roman ist Auftakt einer großen Saga – Band zwei soll schon im Juni erscheinen. Henrike Engel: Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen. Ullstein 2022, 14,99 Euro

Vom Hörsaal in den Kunsthall

Cover-Erstmal-für-immerMadeleine Becker studiert Geschichte, Politik- und Kommunikationswissenschaften, nebenher arbeitet sie im Café – und wirklich glücklich ist sie nicht. Als sie zum Camping nach Österreich fährt, nimmt ihr Leben die entscheidende Wendung: Sie verliert ihr Herz an einen Bauernhof in Kärnten, an Kühe, Hühner und den großen Gemüsegarten (und später auch an Lukas, den Sohn der Familie). Sie kehrt zurück auf den Hof, erstmal für ein Praktikum, und dann „erstmal für immer“. In ihrem Buch und auf Instagram (@frau_freudig) berichtet sie vom Glück auf der Alm, von Geburten im Kuhstall, Schneechaos auf dem Hof und vielem mehr. Madeleine Becker: Erstmal für immer. Piper 2022. 15,00 Euro

Female View

Female-View-©-Ellen-von-Unwerth-Studios
Female-View-©-Ellen-von-Unwerth-Studios

Die Kunsthalle St. Annen in Lübeck präsentiert in einer Ausstellung die oft vernachlässigten Werke von Modefotografinnen von der Moderne bis zum Digitalen Zeitalter: Seit den 1920er Jahren gab es zahlreiche talentierte Modefotografinnen, die oft zuvor selbst vor der Kamera gestanden hatten und für einflussreiche Magazine wie Harper’s Bazaar und Vogue wegweisend waren. Auch heute prägen einflussreiche Modefotografinnen das internationale Modegeschehen und dessen Bildästhethik. Die Ausstellung nimmt diesen weiblichen Blick von Fotografinnen auf Frauen und Mode in den Fokus. Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Juli 2022 zu sehen. https://kunsthalle-st-annen.de.

Corona macht junge Frauen unglücklicher

Eine Studie der Universität Freiburg im Rahmen des „SKL Glücksatlas“ zeigt, dass Frauen, vor allem junge Frauen, ihren Glücksvorsprung eingebüßt haben. „Überraschend sind die großen Glückseinbußen von jungen Frauen bis 25 Jahre“, sagt Professor Bernd Raffelhüschen, Leiter der Studie. Diese jungen Frauen waren vor Corona die glücklichsten Menschen der Republik, sie waren zufriedener als gleichaltrige Männer. Durch Corona, die damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen und so entstandene Einsamkeit sind junge Frauen eindeutig unglücklicher geworden. www.skl-gluecksatlas.de

Pionierin im Rettungsdienst

EDENBOOKS_Mayer_DieErste_3D_RGB_LOWRES1979 stieg die junge Waltraud Mayer als eine der ersten Frauen in Deutschland in den Rettungsdienst ein. Für sie war das erste Mal am Steuer eines Rettungswagens zwar ein Sprung ins kalte Wasser, doch es fühlte sich an wie ein Sechser im Lotto. Über dreißig Jahre war sie mit dabei: bei Verkehrsunfällen, häuslichen Unglücken und sogar einem Tötungsdelikt, das später prominent verfilmt wurde. In ihrem Buch gibt sie Einblick in den Alltag im Rettungsdienst und erzählt von den Herausforderungen, die sie gemeistert hat. Waltraud Mayer, Doris Mayer-Frohn: Eine muss die Erste sein. Wie ich zur Pionierin im deutschen Rettungsdienst wurde. Eden 20222. 16,95 Euro

Jede Erwartung erfüllen? No way!

Cover-Christl-ClearChristl Clear ist Influencerin, lebt in Wien und hat lange mit den Erwartungen gekämpft, die von unterschiedlichen Seiten an sie herangetragen wurden. Heute weiß sie: „Die Erwartungen, die jemand anderer in mich setzt, haben in Wahrheit wenig bis gar nichts mit mir zu tun. Außerdem profitiert gefühlt jeder von diesem anstrengenden Anspruchsdenken außer uns Frauen.“ In kurzen und knackigen Kapiteln zu Themen wie Sex, Freundschaft, Rassismus oder Geld macht sie Mut, das zu tun, was einem selbst gut tut – nicht das, was andere erwarten. Macht Spaß zu Lesen, denn Christl Clear ist witzig, direkt und empowernd. Christl Clear: Let me be Christl Clear. Kremayr & Scheriau 2021. 22 Euro.

Je diverser, desto resonanter

Im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung schöpfen wir immer weniger aus uns allein. Konzepte entstehen in interdisziplinären Projekten. Wissenschaftliche Aufsätze werden in Teams geschrieben. Künstler wie Ai Weiwei oder Olafur Eliasson schaff en ihre Installationen in Factories. Wie nie zuvor setzen kreative Prozesse voraus, dass wir unsere Ideen durch Resonanz potenzieren. In ihrem Gastbeitrag gibt Dr. Doris Märtin fünf Impulse, wie wir Resonanz schaff en können.

Zur Person

Dr. Doris Märtin hat Sprach- und Literaturwissenschaften studiert und über Shakespeare und dessen Frauenfiguren promoviert. Als Autorin, Beraterin und Coach gibt sie Orientierung in einer Welt des Wandels. Mit ihren Büchern Exzellenz. Wissen Sie eigentlich, was in Ihnen steckt? und Habitus. Sind Sie bereit für den Sprung nach ganz oben? zählt sie zu den bekanntesten Impulsgeber*innen erfolgsorientierter Menschen.

Resonanzbeziehungen zu anderen Menschen berühren und bewegen uns. Gemeinsam kommt man ins Gespräch, greift Ideen auf, spinnt Gedanken, Worte klingen nach. Energie und Widerhall stellen sich ein, Sie fühlen sich lebendig und betrachten Dinge mit neuen Augen. Wenn sich Resonanz ereignet, läuft vieles wie von Zauberhand. Allerdings können Sie Resonanz nicht wie eine Superfood- Bowl bestellen. Aber wenn Sie ideale Bedingungen für sie schaffen möchten, können Sie das ganz bewusst beeinflussen:

  1. Suchen Sie sich die richtigen Leute Natürlich entfaltet sich Resonanz auch in Beziehungen, die Sie schon haben. Selbstverständlich klingen und schwingen wir mit dem Partner oder der Partnerin, der Familie, Freundinnen und Freunden. Gleichklang und Harmonie katapultieren Sie aber nicht in neue Welten. Nur ungewohnte Perspektiven bringen Sie auf außergewöhnliche Gedanken. Deshalb gilt: Je diverser, desto resonanter. Resonanz lebt auch von der Differenz. Kein Orchester besteht aus lauter Geigen!
  2. Schaffen Sie eine produktive Stimmung „Ich versuche, mich nur in wohltuenden Umgebungen aufzuhalten,“ sagte der Modedesigner Yves Saint Laurent. Dahinter steht die Erkenntnis: Menschen teilen ihre besten Ideen nur, wenn sie sich wohl und sicher fühlen. Am meisten Resonanz kommt auf, wenn alle in der Runde Anklang finden. Auch dann, wenn ein Beitrag im ersten Moment unausgegoren oder unwesentlich klingt.
  3. Entfalten Sie Ihre eigene Stimme Resonanz bedeutet nicht Konsens. Unterschiedliche Meinungen sind essenziell und bringen interessantere Lösungen hervor. Bringen Sie deshalb Ihre eigenen Perspektiven klar und souverän in die Runde ein. Zielen Sie aber nicht auf Dominanz. Die Kunst besteht darin, Gehör zu finden, ohne andere Stimmen zu übertönen.
  4. Lassen Sie Dinge in der Schwebe Ein unsensibler Spruch, das Herumreiten auf Details oder Termindruck stören die Stimmung. Sprechen Sie notwendige Eckdaten an, aber erwarten Sie keine sofortige Klärung. Lassen Sie unterschiedliche Sichtweisen im Raum stehen. So können andere sie aufnehmen, ohne sich bedrängt zu fühlen.
  5. Schwingen Sie im Takt

Der Kampf ums Wort zerstört Resonanz. Einander ausreden zu lassen und zu bestätigen ist deshalb mehr als eine Stilfrage. Kultivieren Sie Pausen. Vermeiden Sie Monologe. Ideal ist es, wenn alle ungefähr gleich lang sprechen. Stellt sich Resonanz ein, äußert sich dies oft in einer gelösten, angeregten Stimmung. Ein Gefühl der Nähe stellt sich ein. Alle schwingen auf der gleichen Wellenlänge.

Buchtipp

Cover ExzellenzDoris Märtin: Exzellenz. Wissen Sie eigentlich, was in Ihnen steckt? Campus 2021. 24,95 Euro

Kuratiert

Wie wollen wir in Zukunft leben?

Wie wollen wir geboren werden, wie altern und wie sterben? Wie wollen wir  zusammenleben und unsere Zeit verbringen? Was und wie wollen wir konsumieren? Mit diesen (und weiteren) Fragen beschäftigt sich Dr. Verena Lütschg, Molekularbiologin und Inhaberin einer Technologieberatung. Sie holt komplexe Sachverhalte aus Wissenschaft und Technik anschaulich in die Alltagswelt und erklärt mit lebensnahen Beispielen, wie wir in Zukunft von neuen Technologien profitieren können und deren Schwachstellen minimieren.
Verena Lütschg: Über Morgen. Der Zukunftskompass. Heyne 2022. 15,00 Euro

Likest du noch oder lebst du schon?

Swipe, klick, like – der erste Griff am Morgen geht ans Smartphone. Den ganzen Tag sind wir online, und das Handy zuhause zu vergessen, gleicht einer kleinen Katastrophe. Dieser Smartphonekonsum hat durchaus unerwünschte Nebenwirkungen. Christina Feirer zeigt den Weg in eine selbstbestimmte digitale Zukunft. Das Ziel: Unser „schlauer digitaler Freund“ soll auf unsere ganz persönlichen Bedürfnisse und Anforderungen abgestimmt werden. Sodass Online- und Offlinezeit in Balance kommen. Die Autorin ist Hypnosecoach, Meditationsleiterin und „Digital Detoxerin“ und wirbt auch in ihrem Podcast „Your Time Matters: Digital Detox“ für einen bewussten Umgang mit dem Smartphone.
Christina Feirer: Likest du noch oder lebst du schon? Über den achtsamen Umgang mit dem Smartphone. Kremayr & Scheriau 2022. 22,00 Euro

Juristinnenbund: Digitalisierung braucht Genderkompetenz!

Der Deutsche Juristinnenbund fordert Genderkompetenz beim Aufbau von Strukturen für Open Data sowie mehr geschlechtsbezogene Datenerfassungen und -analysen. Nur so ließen sich die Chancen nutzen, die Digitalisierung für Geschlechtergerechtigkeit bietet. Die Juristinnen argumentieren: Wenn datenbasierte Entscheidungen getroffen werden, für die geschlechts bezogene Daten relevant sind, diese aber nicht zugrunde liegen, dann werden die Lebenswirklichkeit und die Bedürfnisse von Frauen nicht berücksichtigt. So werden im Gesundheitswesen, in der Pflege oder auch bei der Polizeilichen Kriminalstatistik, beispielsweise im Bereich Hasskriminalität, Daten noch nicht ausreichend nach Geschlecht erfasst. Werden dagegen datenbasierte Entscheidungen getroffen, für die geschlechtsbezogene Daten keine Relevanz haben dürfen, bei denen die Daten aber den Gender-Bias unsichtbar in sich tragen, wird Diskriminierung bestätigt und fortgeschrieben – ein bekanntes Problem im Bereich Arbeits- und Personalrecht.

Das letzte Wort hat: Sinah Schlemmer, Gründerin von Amaran Creative

Sinah Schlemmer ist Gründerin und CEO von Amaran Creative. Sie war Bühnentänzerin in London, hat in Kapstadt Modeschauen choreografiert, war in Los Angeles Marketingleiterin eines Fernsehsenders – dort hat sie außerdem ein Label für Skibekleidung gegründet. Im Interview erzählt sie von diesen Stationen und vom Glück, das sie jetzt im Westerwald gefunden hat: Mit dem Upcycling gebrauchter Kleidung schafft sie nachhaltige Kollektionen, die Fashion Statements setzen. Die Fragen stellte Kerstin Neurohr

Frau Schlemmer, Sie waren Tänzerin und Choreografin, dann haben Sie Marketing studiert, und heute entwerfen Sie Kleider aus recycelten Stoffe – wie kam’s dazu?
Ja, manchmal geht man im Leben Umwege, und in meinem Fall war das auch gut so. Wobei Mode mich schon immer fasziniert hat: Als Kind habe ich gerne die verrücktesten Outfits zusammengestellt, mit 14 habe ich mir meine eigene Nähmaschine gewünscht. Die Idee, aus alten Sachen neue zu machen, kam vor fünf oder sechs Jahren, während meines Modedesign-Studiums. Ich wollte für die ganzen Probestücke keinen neuen Stoff kaufen und griff zu einem alten rosa Bettlaken. Aus dem verwaschenen Stoff habe ich eine Bluse genäht, das sah super aus! Die kreative Herausforderung, aus alten Sachen etwas Tolles und Einzigartiges zu machen, ist das, was mich antreibt. Abgesehen davon schont Upcycling die Umwelt. Die Modeindustrie gehört zu den dreckigsten Industrien der Welt. Es ist höchste Zeit, hier etwas zu verbessern und die Ressourcen zu nutzen, die bereits vorhanden sind.

Foto: Sinah Schlemmer
Foto: Sinah Schlemmer

Für Ihre Kollektion verwenden Sie alte Gardinen, Kopfkissenbezüge, Ballkleider und Tischdecken – wo finden Sie all diese Vintage-Schätzchen?
Ich habe zuerst meinen Kleiderschrank aussortiert, dann ging es weiter auf den Dachboden, und schließlich habe ich bei meinen Eltern alte Sachen mitgenommen. Nachbarn und Freunde kamen mit ihren Altkleidern, und mittlerweile bieten mir auch Leute, die ich nicht persönlich kenne, ihre wohlbehüteten Kleider und Stoffe an. Viele sind richtig froh, dass ihre Sachen ein zweites Leben bekommen. Seit Juli 2021 habe ich eine Kooperation mit Oxfam. Ich bekomme Altkleider, die sich in den Second-Hand Läden nicht verkaufen lassen, und nähe daraus Upcycling-Unikate, die dann wiederum in den Oxfam-Läden für den guten Zweck verkauft werden.

Wie ist, es nach Stationen in London, Kapstadt, Miami und Los Angeles wieder im Westerwald zu leben, wo sie aufgewachsen sind?
Manchmal vermisse ich die Großstadt, auf jeden Fall! Allerdings genieße ich die Ruhe und Geborgenheit auf dem Land. Für mich es ist der perfekte Ort um kreativ zu sein. Ich sehe es als eine Art kreative Homebase, von der aus ich immer wieder in die Welt starten kann. Frankfurt und Köln sind ja nicht weit weg, also eigentlich die perfekte Lage.

Dass Fast Fashion nicht nachhaltig ist, wissen die meisten – und kaufen sie trotzdem. Ihr Tipp, wie wird der Kleiderschrank fairer?
Da bin ich ganz radikal: Einfach keine neuen Kleider und Stoffe mehr kaufen, sondern nur noch Second Hand oder Upcycling-Kleidung. Oder, für alle mit kleinem oder ganz ohne Budget: Kleider mit Freunden und Familie tauschen. Tauschparties mit Freunden machen wirklich Spaß, und es können tolle Outfits dabei entstehen! In Berlin findet man immer wieder auf der Straße Kisten mit Altkleidern, mit Wahnsinnsteilen und Schätzen aus vergangenen Jahrzehnten. Tatsächlich kann man sich so viel interessanter und kreativer kleiden, als wenn man sich bei einem großen Konzern eine Bluse kauft, mit der noch tausend andere rumlaufen. Ein individuelles Outfit als Markenzeichen des persönlichen Stils gibt es nicht in Fast-Fashion-Läden.

www.amarancreative.com

karriereführer ingenieure 1.2022 – Kluge Ver- und Entnetzung: Wie junge Ingenieure am nachhaltigen Materialfluss arbeiten

0

cover karriereführer ingenieure 1-2022

Kluge Ver- und Entnetzung: Wie junge Ingenieure am nachhaltigen Materialfluss arbeiten

Die Auftragsbücher der deutschen Industrieunternehmen sind voll. Der Materialmangel erlaubt es ihnen aber nicht, ihre Produktion entsprechend hochzufahren. Neue Ideen für eine nachhaltige Ver- und Entnetzung müssen her. Die zunehmende Digitalisierung macht hier vieles leichter. Der Autohersteller Audi geht auf diesem Feld zum Beispiel mit großen Schritten voran. Auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist nicht aufzuhalten. Der Philosoph Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin macht sich Gedanken dazu, wie Kooperationen zwischen Menschen und Maschinen künftig aussehen können. Und wie hybrid wird die Arbeitswelt der Zukunft? Wir haben die Wahl zwischen Büro und mobilem Arbeiten im Co-Working-Space oder im Homeoffice, in Videokonferenzen oder Meet-ups. Eine neue Alternative: Pop-Offices.

E-Paper karriereführer ingenieure 1.2022 – Kluge Ver- und Entnetzung: Wie junge Ingenieure am nachhaltigen Materialfluss arbeiten

0


Ausgabe als PDF downloaden

Kluge Konnektivität

Technische Unternehmen sind in einer Weltwirtschaft tätig, die von Unsicherheiten und Komplexität geprägt wird. An knappen Rohstoffen und überlasteten Lieferketten zeigt sich: Die Netzwerkökonomie stößt an ihre Grenzen. Ingenieur*innen stehen zusammen mit dem Management vor der Aufgabe, eine nachhaltige Vernetzung zu gestalten – die auch beinhaltet, auf regionale Verbindungen zu setzen oder sich sogar gezielt zu entnetzen.

Wer zuletzt eine neue Schallplatte kaufen, einen Fußboden verlegen und ein Auto kaufen wollte, musste gleich dreimal ungewöhnlich lange Wartezeiten einkalkulieren. Der Grund: eine außergewöhnliche Knappheit an Kunststoffgranulat, ein Basis-Werkstoff, der für Vinyl-Platten und Vinyl-Fußböden genauso benötigt wird wie für die Produktion einiger Kunst­stoffteile im Auto. Ähnliche Materialknappheiten gibt es bereits seit einigen Monaten bei digitalen Elementen wie Chips und Halbleitern, aber auch bei Rohstoffen wie Papier und Pappe, die benötigt werden, um technische Produkte ver­packen zu können. Denn was nützt die schönste technische Innovation, wenn man sie nicht genügend geschützt in die Logistik bringen kann?

Die Auftragsbücher sind voll. Der Materialmangel erlaubt es den Unternehmen aber nicht, ihre Produktion entsprechend hochzufahren.

Ende 2021 hatte der Materialmangel in der deutschen Industrie seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht: „81,9 Prozent der Firmen klagten über Engpässe und Probleme bei der Beschaf­fung von Vorprodukten und Rohstoffen. Das ist ein neuer Rekordwert“, hieß es zum Jahreswechsel in einer Pressemel­dung zu einer Umfrage des Instituts für Wirtschaftsfor­schung (ifo). „Die Situation in der Industrie ist paradox“, wird Klaus Wohlrabe, der für das ifo die Umfragen verantwortet, in dieser Nachricht zitiert. „Die Auftragsbücher sind voll. Der Materialmangel erlaubt es den Unternehmen aber nicht, ihre Produktion entsprechend hochzufahren.“

Materialmangel bestimmt Produktion

Zwar vermeldete das ifo zu Beginn des neuen Jahres eine gewisse Entspannung, doch gerade in den technischen Unternehmen war die Knappheit auch im Frühjahr 2022 noch eklatant: Bei den Herstellern elektrischer Ausrüstungen klag­ten laut ifo-Meldung von Ende Januar 89,6 Prozent der befragten Unternehmen über Materialmangel, im Maschi­nenbau waren es 80,6 Prozent der Unternehmen, die von Pro­blemen berichteten, in der Autoindustrie 77,9 Prozent. Die Folge des Mangels sei ein Auftragsstau in den Unternehmen, berichtet das ifo: Die deutsche Industrie könnte mit den aktu­ellen Auftragsbeständen so lange produzieren wie nie zuvor. Die Aufträge reichten laut der Umfrage für viereinhalb Mona­te „Das gab es noch nie, seit wir diese Frage im Jahr 1969 zum ersten Mal gestellt haben“, wird Timo Wollmershäuser, Leiter der ifo Konjunkturprognosen, in der Pressemeldung zitiert. Die Auftragseingänge der vergangenen Monate hätten die Unternehmen nicht wie gewohnt abarbeiten können, weil ihnen wichtige Vorprodukte und Rohstoffe gefehlt haben. „Sollten sich die Engpässe in den kommenden Monaten auf­lösen, könnte die Produktion in der deutschen Industrie durchstarten“, so Wollmershäuser.

cover soziologie der entnetzung„Soziologie der Entnetzung“

Im privaten Leben wird erkennbar, wie sehr das Dogma der ständigen Erreichbarkeit Energie kostet und wie gut es tut, die digitale Vernetzung zumindest zeitweise zu kappen. Aber auch in den Unternehmen sowie in der Weltgesellschaft zeigen sich die Grenzen der Netzwerkgesell­schaft: Wird die Konnektivität zum Selbstzweck, werden Verbindungen oberflächlich. Und nimmt man funktionierende Vernetzungen als selbstverständlich, erlebt man in der globalisierten Welt böse Überraschungen. Ausgehend von solchen Krisendiagnosen denkt der Soziologieprofessor Urs Stäheli von der Uni Hamburg in seinem Buch über die Grenzen der Vernetzung nach. Urs Stäheli: Soziologie der Entnetzung. Suhrkamp 2021. 28 Euro

Was aber, wenn die Knappheit – trotz gegenteiliger Progno­sen – mal mehr, mal weniger dramatisch bestehen bleibt? Wenn der Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten chronisch wird? Dass es so kommen könnte, ist in der von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägten Welt (abgekürzt VUKA) der Gegenwart nicht ausgeschlossen. Klar, der zentrale Auslöser für die gravierenden Probleme der glo­balen Lieferkette war das pandemische Corona-Virus. Es sorg­te dafür, dass die globale Nachfrage nach Energie oder Indus­ trieprodukten im Jahr 2020 dramatisch zurückging und zeit­gleich digitale Branchen wie Streaming- und Meeting- Dienste oder auch der Online-Handel explodierten – wobei letzterer Trend die Papierknappheit verschärfte (siehe Kasten oben). Hinzu kamen extreme Vorsichtsmaßnahmen im wich­tigen Exportland China, wo immer wieder von heute auf mor­gen Häfen unter strikte Lockdowns gestellt wurden. Contai­nerschiffe konnten über Tage nicht abgewickelt werden.

Unsicherheiten im globalen Netzwerk

Jedoch ist und war Covid-19 längst nicht das einzige Problem. Die Weltwirtschaft bekam zuletzt die Querlage eines Tankers im Suezkanal genau so zu spüren wie Handelskonflikte und den Protektionismus einiger Staaten – der Brexit ist hier das prominenteste Beispiel. Und selbst falls Corona tatsächlich zu einem endemischen Problem wird, mit dessen Folgen die Wirtschaft genauso wie die Gesellschaft zu leben lernt, türmt sich am Horizont bereits das nächste Mega-Problem auf: Die Regularien im Kampf gegen die Klimakrise werden dafür sor­gen, dass die Organisation der Weltwirtschaft auf weitere harte Proben gestellt und strukturelle Veränderungen erfah­ren wird. Schon heute ist abzusehen, dass zum Beispiel Maß­nahmen gegen den enorm großen CO2-Fußabdruck der Con­tainerschifffahrt die weltweite Logistik unter Druck setzen werden.

Klar ist, dass die digitale Konnektivität in der Pandemie deut­lich an Dynamik gewonnen hat. Erkennbar ist das an der ver­änderten Arbeit in den Unternehmen mit Video-Calls statt persönlicher Meetings, mit deutlich weniger Dienstreisen, dafür intensivem Homeoffice und einem größeren Stellen­wert von Plattformen und virtuellen Teams. Die Trendfor­scher*innen vom Zukunftsinstitut bezeichnen in ihrer Defini­tion der „Megatrends 2022“ das Internet sogar als das „Betriebssystem“ der gegenwärtigen Gesellschaft, also als „führendes Kommunikationsmedium für eine stetig steigen­de Zahl von Menschen und Maschinen – und ein elementares Werkzeug für Industrien, Organisationen und Individuen“. So entstehe eine „Netzwerkökonomie“, die dafür sorge, dass sich die Position der Unternehmen verändere: „Unter vernetzten Vorzeichen können sich Unternehmen nicht mehr als isolier­te Einheiten verstehen, sondern nur noch als Knotenpunkte innerhalb größerer Netzwerke, als veränderbare Teile größe­rer Business Ecosystems.“

Die Trendforscher*innen legen den Unternehmen nahe, sich in diesem Umfeld nicht weiter als selbstreferenzielle Einzelkämpfer zu betrachten, sondern nach Partnerschaften zu suchen: „Immer wichtiger wird die Kompetenzvernetzung mit anderen Unternehmen sowie mit externen Expertinnen und Experten. Es gilt, die interne und externe Anschlussfähigkeit zu erhöhen, die Schnittstellen zur Umwelt zu vervielfältigen und Beziehungen zu pflegen.“ Ist also die ständige Weitervernetzung von technischen Unternehmen und den dort tätigen Ingenieur*innen das All­heilmittel, um der Komplexität der Gegenwart und Zukunft gerecht zu werden? Nach dem Motto: viel hilft viel?

Durch die Erfahrungen der Pandemie und andere Krisen ist an die Stelle einer ,Netzwerkeuphorie‘ eine ,Ernüchterungsphase‘ getreten.

Nachhaltige Netzwerkkontakte

Die oben beschriebenen Netzwerkprobleme der Welt im Zuge wackeliger und stockender Lieferketten bieten ein Gegenargument aus der Praxis: Vernetzung stößt spätestens dann an ihre Grenzen, wenn sie nicht nur digital existiert, sondern echte Produkte ins Spiel kommen, die gefertigt, transportiert und zusammengebaut werden müssen. Und diese realen, analogen Produkte werden auch in der digitalen Zukunft eine zentrale Rolle spielen, schließlich müssen auch autonome durchdigitalisierte Autos, 3D-Drucker und Roboter gebaut werden. Selbst der Quantencomputer, der in der Lage sein könnte, die Digitalisierung auf ein neues Level zu heben, ist eine Konstruktion auf Basis von Materialien. Es ist daher ein sinnvoller Ansatz, bei der Entwicklung, Herstellung und Anwendung von Technik auf eine smarte Vernetzung zu set­zen. Eine kluge Konnektivität mit Weitsicht – die zum Beispiel zur Entscheidung führt, dass der Halbleiterhersteller aus der Region trotz höherer Preise der nachhaltigere Netzwerkkon­takt ist als der günstige Lieferant aus Übersee.

Problem bei der Wellpappe

Der vermeinte Toilettenpapiermangel zu Beginn der Pandemie hat sich zu einem Running Gag entwickelt. Die Knappheit an Papier und Pappe dagegen ist auch zwei Jahre nach dem Auftauchen des Corona-Virus noch aktuell. Für produzierende Unternehmen besonders problematisch sind der stockende Nachschub und die hohen Preise von Wellpappe, einem Material, dessen Wert häufig erst dann auffällt, wenn es knapp wird. Eine so noch nie erlebte Kostenexplosion auf der Rohstoffseite bringe die ganze Branche der Wellpappen-Industrie in Bedrängnis, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes der Wellpappenindustrie VDW. „Der für unsere Industrie besonders wichtige Preis für altpapierbasiertes Wellpappenrohpapier ist von September 2020 bis Oktober 2021 um 62,3 Prozent in die Höhe geklettert“, wird der VDW-Geschäftsführer Dr. Oliver Wolfrum zitiert. Bei bestimmten für die Industrie relevanten Papiersorten zeige die Kurve noch steiler nach oben, meldet der Verband: So habe sich etwa Wellenstoff den Daten von EUWID (Europäischer Wirtschaftsdienst GmbH) zufolge von September 2020 bis November 2021 um 83,3 Prozent verteuert.

Die Trendforscherin Nina Pfuderer geht in einem Aufsatz für den „Zukunftsreport 2022“ des Zukunftsinstituts so weit, die Suche nach „Strategien und Taktiken“ vorzuschlagen, „die eine Entnetzung innerhalb der Vernetzung ermöglichen“. Kann das für technische Unternehmen gelingen, in denen Ingenieur*innen an Innovationen und Zukunftstechniken arbeiten, auf Basis neuester digitaler Technologien wie der künstlichen Intelligenz? Ist in dieser Netzwerkwelt eine Ent­netzung überhaupt noch möglich? Und wenn ja: Warum ist sie sinnvoll?

Idee der Entnetzung

Nina Pfuderer stellt zu Beginn ihrer Analyse unter dem Titel „Die große Entnetzung“ fest, dass durch die Erfahrungen der Pandemie und andere Krisen an die Stelle einer „Netzwerkeuphorie“ eine „Ernüchterungsphase“ getreten sei: „Immer klarer äußern sich die Schattenseiten der Hypervernetzung“, schreibt sie. Das erlebe man bei Themen wie Hatespeech und Verschwörungserzählungen in den sozialen Netzwerken, aber eben auch bei überlasteten ökonomischen Infrastruktu­ren, die zum Sicherheitsrisiko werden. Die Trendforscherin schlägt vor, die Frage zuzulassen, welche Vernetzung wirklich sinnvoll sei und welche ein reiner Selbstzweck oder nur kurz­fristig gewinnbringend. Als Beispiel nennt Nina Pfuderer eine Entwicklung im Bereich der neuen Arbeitskultur, zusammen­gefasst unter dem Begriff New Work: „Bei der Gestaltung von Büroräumen ist ein Mindshift zu beobachten, weg vom Pri­mat des Open Office, das einstmals den Inbegriff der neuen, vernetzten Arbeitswelt darstellte“, schreibt sie. Studien zufol­ge führten offene Büros eben nicht unbedingt zu mehr Aus­tausch, sondern im Gegenteil dazu, dass die Zahl persönlicher Begegnungen um etwa 70 Prozent sinke, Menschen Blickkon­takte vermieden oder sich mit Kopfhörern abschirmten. „Inzwischen“, schreibt die Autorin, „werden Open Offices wie­der rückgebaut, um Arbeitsplätze zu schaffen, an denen Mit­arbeitende ungestört arbeiten können.“

Open Offices werden wieder rückgebaut, um Arbeitsplätze zu schaffen, an denen Mitarbeitende ungestört arbeiten können.

Der entscheidende Schritt in Richtung einer klugen Konnekti­vität bestehe laut Nina Pfuderer darin, „Netzwerke auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen: Wo ist Austausch qualitativ wertvoll, wo ist Vernetzung zum Selbstzweck geworden?“. Dieses produktive Nachdenken über Entnetzung rücke unweigerlich die Frage nach der Qualität der Infrastrukturen und Netzwerke in den Mittelpunkt. „Damit hilft es, den Megatrend Konnektivität auf eine neue, reflektiertere Stufe zu heben. Und letztlich auch: die Netzwerkgesellschaft vor dem Kollabieren zu bewahren – denn Netzwerke haben per se einen exzessiven Charakter.“ Wie das konkret aussehen kann, zeigen die Reaktionen technischer Unternehmen auf die Materialknappheit: In einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags zeigte sich, dass die Unterneh­men kreative Wege fänden, der Knappheit zu begegnen. „Hierzu zählen neben einer verstärkten Eigenerzeugung oder der Nutzung alternativer Rohstoffe auch die Verwendung von Recyclaten sowie eine Veränderung der Produktzusammen­setzung“, heißt es in der Meldung. Pragmatismus, Flexibilität, Regionalität und Kreislaufwirtschaft – gute Ansätze, der überlasteten Vernetzung zu begegnen.

EU-Chip-Gesetz: Abhängigkeiten verhindern

Im Februar 2022 hat die EU-Kommission mit dem europäischen Chip-Gesetz ein Maßnah­menpaket vorgeschlagen, um die Versorgung der EU im Bereich Halbleitertechnologien zu sichern. „Die aktuelle weltweite Halbleiterknappheit hat in einer Vielzahl von Sektoren, von der Automobilbranche bis zu medizinischen Geräten, dazu geführt, dass Fabriken schließen mussten“, heißt es in der Pressemeldung zur Initiative. So sei im Jahr 2021 in einigen Mitglied­staaten die Produktion im Automobilsektor um ein Drittel zurückgegangen, weil das Material gefehlt habe. „Dadurch wurde die extreme globale Abhängigkeit der Halbleiter-Wertschöp­fungskette von einer sehr begrenzten Zahl von Akteuren in einem komplexen geopolitischen Umfeld verdeutlicht.“ Das Chip-Gesetz der EU soll nun ein Halbleiter-Ökosystem von der For­schung bis zur Produktion und eine resiliente Lieferkette schaffen, mit dem Ziel, in Zukunft Unterbrechungen der Lieferketten zu verhindern oder zumindest rasch darauf zu reagieren.

EU-Chip-Gesetz: Abhängigkeiten verhindern

Im Februar 2022 hat die EU-Kommission mit dem europäischen Chip-Gesetz ein Maßnah­menpaket vorgeschlagen, um die Versorgung der EU im Bereich Halbleitertechnologien zu sichern. „Die aktuelle weltweite Halbleiterknappheit hat in einer Vielzahl von Sektoren, von der Automobilbranche bis zu medizinischen Geräten, dazu geführt, dass Fabriken schließen mussten“, heißt es in der Pressemeldung zur Initiative. So sei im Jahr 2021 in einigen Mitglied­staaten die Produktion im Automobilsektor um ein Drittel zurückgegangen, weil das Material gefehlt habe. „Dadurch wurde die extreme globale Abhängigkeit der Halbleiter-Wertschöp­fungskette von einer sehr begrenzten Zahl von Akteuren in einem komplexen geopolitischen Umfeld verdeutlicht.“ Das Chip-Gesetz der EU soll nun ein Halbleiter-Ökosystem von der For­schung bis zur Produktion und eine resiliente Lieferkette schaffen, mit dem Ziel, in Zukunft Unterbrechungen der Lieferketten zu verhindern oder zumindest rasch darauf zu reagieren.

Der Zukunftsgestalter Prof. Dr. Robert Schmitt im Interview

Als Direktoriumsmitglied des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnologie sowie Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement am WZL der RWTH Aachen ist Professor Dr. Robert Schmitt Experte für qualitätsorientierte Produkt- und Prozessgestaltungen. Was kennzeichnet heute die Qualität technischer Prozesse? Warum gewinnen Begriffe wie Resilienz und Purpose an Bedeutung? Und warum wächst damit der Gestaltungspielraum für Ingenieur*innen? Im Interview findet Robert Schmitt interessante Antworten. Die Fragen stellte André Boße

Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Robert Schmitt (Jahrgang 1961) ist Direktor am Werkzeugmaschinenlabor
WZL der RWTH Aachen und Mitglied des Direktoriums am Fraunhofer Institut für Produktionstechnologie IPT. Nach dem Studium der Elektrischen Nachrichtentechnik an der RWTH Aachen war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement im Bereich der fertigungsnahen Mess- und Kommunikationstechnik im automatisierten Umfeld. 1997 wechselte Robert Schmitt zum Nutzfahrzeughersteller MAN in München und Steyr, wo er leitende Positionen im Qualitätsbereich und in der Produktion innehatte. 2004 wurde er als Professor an die RWTH Aachen berufen. Er ist dort Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement, seine Schwerpunkte liegen im produktionstechnischen Bereich in der Verbindung von Mess- und Montagetechnik mit qualitätsorientierter Produkt- und Prozessgestaltung.

Herr Prof. Schmitt, wie definieren Sie als Ingenieur den Begriff Qualität?
Qualität ist die Erfüllung von Anforde­rungen von Kunden. Um das zu errei­chen, hat sich allerdings der Begriff im betrieblichen Umfeld zuletzt sehr gewandelt. Lange verband man Quali­tät mit dem Begriff der Prozessfähig­keit. Sprich, funktioniert ein Prozess innerhalb bestimmter Grenzen? Das ist noch immer wichtig, greift aber heute, so scheint es mir, zu kurz. Qualität spielt auch eine Rolle, wenn es um den Ressourceneinsatz in einer Lieferkette geht oder um die Auswirkungen eines technischen Prozesses auf die Umwelt. Hier brauchen wir eine erweiterte Inter­pretation von Qualität, die dieser Kom­plexität gerecht werden

Welche Begriffe könnten das sein?
Mit Blick auf die Lieferkette wäre das zum Beispiel der Begriff der Resilienz: Wie widerstandsfähig ist die Supply Chain mit Blick auf Schwankungen oder Gefährdungen? Schauen wir auf die Umwelt, kommt ein weiter gefasster Effizienzbegriff in Frage, der sich anhand der vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit definiert, indem er nicht nur nach der Effizienz des eigentlichen Prozesses fragt, sondern auch Neben- und Folgekosten für die Umwelt inkludiert.

Der Qualitätsbegriff fächert sich also auf …
… darf dabei aber nicht beliebig wer­den. Was wir nicht brauchen, sind neue Metaphern, die den Qualitätsbegriff lediglich sprachlich erweitern. Wir müs­sen ihn inhaltlich sinnvoll weiterentwi­ckeln, nur dann kann Qualität die Ant­wort auf unsere sich sehr schnell wan­delnde VUKA-Welt sein, die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägt wird.

Was bedeutet die Weiterentwicklung des Qualitätsbegriffs konkret?
Ich glaube, eine zentrale Frage von Qua­lität lautet: Warum mache ich etwas? Und warum so?

Der Purpose.
Genau. Das ist ein Begriff, der für die Ingenieurwissenschaften immer wichtiger wird. Hier gestaltet Politik den Rahmen. Wenn man sich anschaut, wie die EU bestimmte Maßnahmen in der Forschung oder Wirtschaft fördert, stellt man fest, dass heute sehr genau gefragt wird: Wie effizient wirkt jeder Euro, den wir geben, auch in den Themen Nachhaltigkeit oder gesellschaftliche Stabilität oder Teilhabe an der Zukunft? Schließlich kaufen Roboter keine Brötchen, das machen Menschen, die also weiterhin im Mittelpunkt stehen.

Wird es dabei bleiben, dass der Mensch im Mittelpunkt steht?
Ich bin sicher, ja, wobei wir dabei vor der Herausforderung stehen, die Menschen so auszubilden, dass sie die Komplexität in einer technisierten Umgebung durchschauen. Diejenigen, die mit Maschinen arbeiten, müssen eine sehr gute Qualifikation im Sinne eines Verstehens, was sie wie warum machen, mitbringen. Hier wird Aus- und Fortbildung zu einem Schlüssel für das Qualitätsmanagement, und zwar schon deshalb, weil in komplexen Systemen keine unterkomplexen Lösungen helfen. Wir brauchen also Menschen, die technische Geräte nicht nur – im klassischen Sinn – „bedienen“ können. Wir müssen diese so auslegen und Menschen so qualifizieren, dass der Mitarbeiter die Anwendung versteht. Wir gehen also weg von einer mechanistischen Betrachtungsweise hin zu einem Gesamtverständnis von sinnvoller Wertschöpfung.

Wir Ingenieure sind diejenigen, die Antworten erfinden können, die uns voranbringen.

Welche neuen Anforderungen ergeben sich daraus für Ingenieur*innen?
Ich denke, es ist wichtig, die jeweiligen Hintergründe der Fachdisziplinen zu verstehen – wobei es hier nicht um Theorien und Formeln geht, sondern darum, jeweils klarzumachen: Wie tra­gen wir dazu bei, einen Anwendungs­fall pfiffig zu lösen? Eine robotische Anlage zeichnet sich nicht allein durch eine gute Mechanik aus. Wenn sie sich so verhält, dass ein Mensch nicht mit ihr umgehen kann, dann nützt die tech­nische Qualität wenig. Es geht also darum, sehr vielen Dimensionen gerecht zu werden: der Technik und der Anwendung, dem gesellschaftlichen Nutzen und der Effizienz mit Blick auf die Nachhaltigkeit. Ja, das ist komplex. Aber natürlich erhöht sich dadurch auch der Gestaltungsspielraum für Ingenieure. Zumal es um den Aus­tausch mit anderen Fachbereichen wie der Informatik, der Ökonomie oder der Ethik geht. In diesem Sinne sind wir Ingenieure diejenigen, die Antworten erfinden können, die uns voranbringen. Wir zählen ohne Frage zu den Gestal­tern der Zukunft.

Was entgegnen Sie kritischen Stim­men, die sagen, erst die Technik habe uns viele der Probleme eingebrockt?
Ich finde hier den Gedanken des Wis­senschaftstheoretikers Jürgen Mittel­straß zielführend, der in seinem Buch von der „Leonardo-Welt“ schreibt, die Menschen hätten zu da Vincis Zeit damit angefangen, die Welt so zu gestalten, dass sie besser wird. Nun haben wir Menschen mit unseren Gestaltungen ohne Zweifel dafür gesorgt, dass sich ernsthafte Probleme ergeben, allen voran der Klimawandel. Die Lösung kann aber nun nicht sein, die Technik abzuschalten. Wobei ich wiederum auch kein konstruktivisti­scher Mensch bin, der sagt: Noch mehr Technik! Sondern: mehr Verstehen.

Wo liegt die Mitte?
Sie liegt dort, wo Ingenieure mit Hilfe ihrer Methoden ihrer ethischen Verant­wortung gerecht werden. Ich bin über­zeugt, dass Ingenieure dann einen gro­ßen Lösungsbeitrag leisten können.

Ingenieure lernen zunehmend, ein Verständnis dafür zu erhalten, was in der Gesellschaft diskutiert wird, und sich zu fragen: Was können wir hier sinnvollerweise beitragen?

Wann überfordert man die Ingenieurwissenschaften?
Wenn man voraussetzt, dass sie Wunder vollbringen. Was nicht bedeutet, dass es nicht dazu kommen kann: Wie anders als ein Märchen hätte es geklungen, wenn jemand zur Zeit der Gebrüder Grimm die Geschichte von Röhren erzählt hätte, in denen sich Menschen auf bequeme Stühle setzen und mit Getränken versorgt werden, um nach wenigen Stunden in der Luft in einer ganz anderen Welt aus dieser Röhre zu steigen? Was ich sagen will: Manche Dinge kann man sich heute noch nicht vorstellen – aber gerade Ingenieure legen die Hände nicht in den Schoß. Weshalb ich, bei allem Verständnis für ihre Ziele, nicht verstehen kann, dass sich eine Gruppe von Klima-Aktivisten als die „Last Generation“ bezeichnet. Das ist mir viel zu fatalistisch – es gibt immer eine nächste Generation. Ingenieure lernen zunehmend, ein Verständnis dafür zu erhalten, was in der Gesellschaft diskutiert wird, und sich zu fragen: Was können wir hier sinnvollerweise beitragen?

Haben Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrer Forschungsarbeit?
Nehmen Sie das Tissue Engineering, also die künstliche Herstellung biologi­scher Gewebe, indem man Zellen kulti­viert – mit dem Ziel, bei einem Patien­ten individuell zu therapieren. Das erscheint zunächst einmal als ein Thema für die Nano- und Mikrobiolo­gen, klar. Aber wir am Fraunhofer-Insti­tut für Produktionstechnologie sind da natürlich auch involviert, wenn es um die Anwendung der Erkenntnisse der Automatisierungstechnik geht. Es ist super, wenn biologische Merkmale erreicht werden – aber für den Transfer in die Individualmedizin braucht es jemanden, der hier die Herstellung übernimmt. Und das sind wir Ingenieu­re. Hier sehe ich eine große Chance unseres Bereichs: Wenn ein junger Mensch sagt, er möchte einen sinnhaf­ten Beruf ergreifen, mit dem er die Möglichkeiten der Medizin um ein Viel­faches erweitert, dann kann er das auch tun, indem er als Ingenieur die techni­sche Umsetzung entwickelt. Und das gilt genauso für Fragen der Energieeffi­zienz, Mobilität, Umwelttechnik oder Textiltechnik. Ich denke sogar, hier liegt eine der großen Stärken der deutschen und europäischen Industrie: Dass wir Ingenieure in der Lage sind, relevante Fragestellungen rasch zu identifizieren, Lösungen zu entwickeln und unsere technische Umsetzungskompetenz auf einer Vielzahl von Feldern, die für unse­re Gesellschaften auf diesem verletzli­chen Planten wichtig sind, nutzen- und sinnstiftend anzuwenden.

Fraunhofer IPT

Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT erarbeitet Systemlösungen für die vernetzte, adaptive Produktion nachhaltiger und ressourcenschonender Produkte. Dabei optimieren die Forschenden neue und bestehende Methoden, Technologien und Prozesse für eine effiziente und ökologische Produktion, die Klimaschutz und Umweltverträglichkeit in ihre Kalkulation einbezieht. An konkreten Anwendungen arbeitet das IPT mit Unternehmen aus Branchen wie der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Energiewirtschaft sowie aus den Bereichen Medizintechnik, Biotechnologie und Pharma.
www.ipt.fraunhofer.de

Digitalisierung beim Autobau

0

Audi digitalisiert seine Produktion und damit die Arbeitswelt in allen seinen Produktionsstandorten weltweit mit Bereichen wie Planung, Montage, Logistik, Instandhaltung und Qualitätssicherung. Von Sabine Olschner

Viele zukunftsweisende Projekte entste­hen unter Mithilfe des Audi Production Lab, das 2012 ins Leben gerufen wurde und eine Art Thinktank für Produktions­themen ist. Ein Kernteam mit 30 Mitar­beitenden entwickelt Ideen und testet neue Ansätze gemeinsam mit Kolleg*in­nen aus der Fertigung und Logistik, um die Effizienz, Präzision und Qualität in den Werken weiter zu optimieren. Technolo­gien wie der 3D-Druck, Mensch-Robo­ter-Kollaboration, fahrerlose Transportsysteme sowie Augmented und Virtual Reality haben im Unternehmen bereits ihren Weg in die Großserie gefunden.

Mit der „Automotive Initiative 2025“ will der Konzern ein weltweites Kompetenz­netzwerk für digitale Fabriktransformation und nachhaltige Innovationen auf­bauen. Das Werk in Neckarsulm soll dabei eine zentrale Rolle als Reallabor einneh­men. In den kommenden fünf Jahre wer­den hier digitale Lösungen für die Fahr­zeugfertigung und Lieferkette erprobt und bis zum Serieneinsatz entwickelt.

Anwendungen aus der Industrial Cloud

Der Volkswagen-Konzern baut derzeit eines der weltweit größten Cloud-Projek­te auf. In der Digital Production Platform werden die Daten aller Maschinen, Anla­gen und Systeme aus den weltweiten Fabriken zusammengeführt und analy­siert. Die Basis bilden Technologien aus den Bereichen Internet der Dinge (IoT), maschinelles Lernen, Datenanalytik und Computing Services, die für die speziellen Anforderungen der Automobilbranche entwickelt wurden. Jeder Standort bezieht Anwendungen für seine Maschi­nen, Werkzeuge und Anlagen direkt aus der Industrial Cloud. Auch die globale Lie­ferkette und industrielle Partner sollen in die offene Plattform eingebunden wer­den.

5G-Technologien zur Vernetzung

Für eine leistungsfähige Netzwerkinfra­struktur, die in Echtzeit reagieren kann, setzt Audi auf die 5G-Technologie in einer smarten Produktion. Die Funkverbindun­gen bieten eine hohe Datenrate und gel­ten als robust, sie verbrauchen nur wenig Strom, und die Zuverlässigkeit beträgt nahezu 100 Prozent. Und sie können eine große Anzahl von Industriegeräten draht­los koppeln. Bereits jetzt sind fahrerlose Transportsysteme im Einsatz, die Material und Komponenten just in time und ziel­genau für die Produktion anliefern.

3D-Druck auch für große Teile

Den digitalen 3D-Druck nutzt Audi schon seit mehr als 20 Jahren in den Produktionsprozessen. In den vergangenen Jah­ren ist der Anteil an Bauteilen für eigene Produktionswerkzeuge und Fahrzeugmo­delle deutlich gestiegen. Inzwischen pro­duziert der Kunststoff- und Metall-3D-Druck immer größere Teile. Das in Ingol­stadt ansässige Metall-3D-Druck-Zentrum ist spezialisiert auf komplexe Stahl- und Aluminiumteile sowie Werkzeugeinsätze für tonnenschwere Umformwerkzeuge, etwa zum Pressen von Karosserieteilen oder für den Druckguss, die im Laser­schmelzverfahren aus Metallpulver gefer­tigt werden. Ungewöhnliche Formen sind damit leichter umzusetzen, weil der 3D-Druck freie Geometrien ermöglicht, also alle denkbaren organischen Formen, beispielsweise für Werkzeugeinsätze mit konturnahen Kühlkanälen.

Instandhaltung voraussehen

„Predictive Maintenance“, also die vor­ausschauende Instandhaltung, macht am Standort Neckarsulm im Karosserie­bau die Wartung von Produktionsanlagen effizienter und sorgt für geringere Aus­fallzeiten. Spezielle Sensorik in einer Fügeanlage, die verschiedene Karosserie­bauteile zusammennietet, erkennt mit­hilfe von Daten, Algorithmen und Mess­werten Verschleißspuren in Kunststoff­schläuchen. Plötzlich auftretende Anlagenausfälle können damit weitest­gehend ausgeschlossen und anfallende Wartungsarbeiten in der produktionsfrei­en Zeit durchgeführt werden. Das erleich­tert die Arbeit in der Instandhaltung und fördert eine effizientere Produktion.

Weitere Unterstützung für die Instand­haltung liefert die App „iMaintenance“, eine Wissensdatenbank mit rund 5000 Seiten zu Materialkunde und Handlungs­empfehlungen. Zeigt eine Maschine einen Fehlercode an, kann der Anwen­dende diesen auf einem Tablet eingeben und erhält eine Schritt-für-Schritt-Anlei­tung. Mit einer weiteren App werden Expert*innen in der Montage über Fehler an einer Anlage informiert.

Chip am Auto

Der Audi-Standort Neckarsulm setzte als erstes Automobilwerk im VW-Konzern die RFID-Technologie zur digitalen Fahr­zeugidentifikation ein. Jeder im Werk gefertigte Wagen erhält bereits beim ers­ten Fertigungsschritt im Karosseriebau ein sogenanntes Tag, bestehend aus einem Chip und einer Antenne. Dieses begleitet jedes Fahrzeug in die Lackiererei, zur Montage und bis zur Auslieferung. Mithilfe eines Lesegeräts können Fahr­zeuginformationen wie Karosserieform, Lackierung, Motorisierung und Ausstat­tung des jeweiligen Autos abgerufen werden. Für ein vollelektrisches Automo­dell gibt es RFID On Metal Tag, der die Karosserie des Wagens als erweiterte Antenne nutzt.

Um die hohe Produktqualität gewährleis­ten zu können, sollen mithilfe von künstli­cher Intelligenz Qualitätsmängel aufge­deckt werden. Die eingesetzten Verfahren imitieren die menschlichen Fähigkeiten, Risse in Blechteilen zuverlässig zu erken­nen. Im Hintergrund agiert ein Algorith­mus, der auf tiefen neuronalen Netzen, sogenanntem Deep Learning, basiert. Damit ist er in der Lage, fehlerhafte Teile automatisiert, in Sekundenschnelle und mit höchster Präzision zuverlässig zu erkennen. Dazu wird die Software konti­nuierlich mit Beispielbildern trainiert und verbessert. Im Ingolstädter Presswerk erfassen mehrere Kameras in der Anlage neu produzierte Tiefziehteile. Die Bilder werden in Echtzeit durch den Algorith­mus bewertet. Wird ein Riss identifiziert, werden die Mitarbeitenden über ein opti­sches Signal gewarnt.

Dreidimensionale Gebäudescans, Machi­ne Learning und Virtual Reality machen virtuelle Montageabläufe und Logistik­prozesse und die Erprobung ohne physi­sche Prototypen möglich. Sämtliche Mon­tageabläufe sowie die zugehörigen Logis­tikprozesse wurden in virtuellen Räumen erprobt und optimiert, zum Beispiel die exakte Anordnung von Maschinen, Rega­len und Bauteilen entlang der Montagelinie oder ergonomische Aspekte. Hierfür werden die Gegebenheiten in der Produk­tionshalle präzise und maßstabsgetreu durch 3D-Scans abgebildet. Der Scan-Pro­zess erzeugt eine dreidimensionale Punk­tewolke, die für die virtuelle Nachkonstruktion von Maschinen und Infrastruktur genutzt werden kann. Die Mitarbeiten­den können ihre Layout- und Planungs­systeme digital aktualisieren sowie Zeit und Kosten sparen. Kolleg*innen aus aller Welt können sich in virtuellen Räumen treffen, computergenerierten Werkern bei der Verrichtung der geplanten Abläufe über die Schulter schauen und die geplanten Prozesse für beliebige Bauteil­varianten in der Anwendung selbst erle­ben und optimieren.

Virtuelle Anwendungen gefragt

Digitale und virtuelle Anwendungen in Fahrzeugen sind zunehmend gefragt, ergab eine aktuelle Automobilstudie der Unter­nehmensberatung Simon-Kucher & Partners. Befragt wurden über 1400 Konsu­menten, darunter 684 in Deutschland, die restlichen in den USA. Laut der Studie haben die über 50-Jährigen besonderes Interesse an der Verknüpfung des Fahrzeugs mit einer fälschungssicheren, digitalen Aufzeichnung der Eigentumsver­hältnisse, des Kilometerstandes und der Ser­vicehistorie; an der Möglichkeit, ein Elektro­fahrzeug überall aufzuladen, indem man ein universelles Lade- und Zahlungssystem mit einem blockchain-basierten Modul im Fahr­zeug einsetzt; am Überblick zum CO2-Aus­stoß mit Hilfe von Aufzeichnungen durch Blockchains; an der Rückverfolgung von Fahrzeugteilen sowie an einem Modul, das bei Bedarf automatisch kleinere Zahlungen wie Parkgebühren, Mautgebühren oder Kraftstoffkosten ausführt. Für die Generation Z, die 18- bis 34-Jährigen, ist besonders wichtig, dass Beifahrer das Fahrzeug mit einer virtuellen Welt verbin­den und Spiele mit einer VR-Brille verwen­den können, die die Bewegungen des Fahr­zeugs mit einbezieht, sowie die Möglichkeit, neue Autos in einer digitalen Umgebung, beispielsweise Virtual Reality, zu erkunden und virtuell zu konfigurieren und zu testen.