Die Pflicht zur Fortbildung

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Lebenslanges Lernen ist ein Merkmal unserer Arbeitswelt. Das trifft ganz speziell auch auf Anwälte zu. Für Fachanwälte sind Fortbildungen sogar festgeschriebene Pflicht. Von Christoph Berger

„Ein Federstrich des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur.“ Dieser 1848 in einer Rede von Julius von Kirchmann verwendete Satz – von Kirchmann war damals erster Staatsanwalt in Berlin – mag zwar etwas überzogen sein, er verdeutlicht aber auch, welche Bedeutung Fort- und Weiterbildungen für Anwälte haben. Sabine Gries-Redeker, Partnerin in der Bonner Kanzlei Heinle Redeker und Vorsitzende des Ausschusses Aus- und Fortbildung im Deutschen Anwaltverein (DAV), formuliert es so: „ Grundsätzlich müssen alle verinnerlicht haben, dass mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung, auch mit der Zulassung zur Anwältin oder zum Anwalt, das Lernen nicht abgeschlossen ist. Gerade im juristischen Beruf ist lebenslanges Lernen essentiell. Permanent ändern sich Gesetze und unsere Wertvorstellungen. Oder die Rechtsprechung verändert sich. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns ständig fortbilden.“

Auch ein Blick in die Bundesrechtsanwaltsverordnung verdeutlicht den Stellenwert für Fort- und Weiterbildungen. Nach dem dortigen Paragraphen 43a Absatz 6 ist der Rechtsanwalt verpflichtet, sich fortzubilden. Laut Gries-Redeker kommt es zwar zu keinen Sanktionen, wenn Rechtsanwälte dies nicht tun, anders stellt sich die Situation jedoch für Fachanwälte dar. Diese haben jährlich und pro Fachanwaltstitel 15 Stunden Fortbildung nachzuweisen. Können sie das nicht, kommt es zu Sanktionen. Diese können bis zu einem Verlust der Fachanwaltsbezeichnung reichen. Die Sanktion bei Unterlassen der Fortbildung für Fachanwälte erschließt sich aus § 43 c Abs. 4 BRAO. 1, § 15 FAO regelt die Pflicht zur Fortbildung.

Hohes Qualitätsniveau in Deutschland

Allerdings können die benötigten Nachweise über unterschiedlichste Formate erworben werden. So können Fachanwälte die Stunden nicht nur durch den Besuch von Fort- und Weiterbildungskursen erwerben, sondern auch über Dozententätigkeiten oder wissenschaftliche Arbeiten – wobei Doktorarbeiten nicht als Nachweise gelten. Eine weitere Möglichkeit ist es, selbst Kurse für Anwälte zu geben, die eine intensive Vorbereitung mit einem Themengebiet voraussetzen. Oder das Halten eines Vortrags auf einem Kongress.

Wer eine Fachanwaltsbezeichnung führt, muss kalenderjährlich auf diesem Gebiet wissenschaftlich publizieren oder an fachspezifischen der Aus- oder Fortbildung dienenden Veranstaltungen hörend oder dozierend teilnehmen.

Und vermehrt sind unter den Kursangeboten auch E-Learning-Angebote zu finden, die die Teilnahme erleichtern. Wörtlich heißt es in der Fachanwaltsordnung, Fassung vom 1. Juli 2019: „Wer eine Fachanwaltsbezeichnung führt, muss kalenderjährlich auf diesem Gebiet wissenschaftlich publizieren oder an fachspezifischen der Aus- oder Fortbildung dienenden Veranstaltungen hörend oder dozierend teilnehmen. Die hörende Teilnahme setzt eine anwaltsorientierte oder interdisziplinäre Veranstaltung voraus. Bei dozierender Teilnahme ist die Vorbereitungszeit in angemessenem Umfang zu berücksichtigen.“

Weitere Vorgaben sind in den weiteren Absätzen des Paragraphen zu finden, wobei die Erfüllung der Fortbildungspflicht der Rechtsanwaltskammer durch Bescheinigungen oder andere geeignete Unterlagen unaufgefordert nachzuweisen ist. „Letztlich hängt es aber von der jeweiligen Anwaltskammer ab, ob die durchgeführten Maßnahmen anerkannt werden. Es herrscht da eine gewisse Flexibilität“, erklärt Sabine Gries-Redeker. Denn in Deutschland werden weder die Anbieter von Kursen noch deren Angebote akkreditiert. Wie also den passenden Anbieter finden?

Prinzipiell sieht Gries-Redeker die Fort- und Weiterbildungsbranche für Juristen in Deutschland sehr gut aufgestellt, nicht nur in Fragen der Quantität, sondern auch bezüglich der Qualität. So sollte zu Beginn der Suche nach dem passenden Kurs das Thema im Mittelpunkt stehen. Oder aber der Wunsch, einen bestimmten Referenten, den man vielleicht aus der Fachpresse kennt, mal hören zu wollen. Werden die Kurse zudem noch von einem der beiden großen Fortbildungsinstitute in Deutschland, dem Deutschen Anwaltsinstitut oder der Deutschen Anwaltakademie, angeboten, sei die Chance auch groß, dass sie anerkannt werden. Erkennbar sei dies beispielsweise an den Vermerken zu Paragraph 15 in den jeweiligen Kursbeschreibungen. Zudem bieten auch die örtlichen Anwaltskammern sowie die Fachausschüsse des DAV Fortbildungen an. „Zum eigenen Fachgebiet passende Fortbildungen zu finden, sollte hierzulande kein Problem sein“, sagt Gries-Redeker. Und auch in Frankreich oder den USA absolvierte Kurse mit entsprechenden Nachweisen würden in Deutschland oftmals anerkannt, erklärt sie weiter.

Die beiden grossen Weiterbildungsinstitute in Deutschland:

DAI Deutsches Anwaltsinstitut e. V.

Deutsche Anwaltakademie

Wer in einer Großkanzlei arbeitet, kommt oftmals in den Genuss interner Fortbildungsmaßnahmen, diese Firmen haben meist ihre eigenen Fort- und Ausbildungsabteilungen; die Kurse werden dann von internen oder externen Experten gehalten.

Wissen ist Kapital

Was die Kosten für die Kurse betrifft, so weiß Sabine Gries-Redeker, dass viele – nicht alle – Kanzleien mit angestellten Anwälten für die jungen Kolleginnen und Kollegen die Kursgebühren übernehmen. Auch die Kosten für Fachanwaltskurse würden oft übernommen, selbst vor dem Risiko, die Kollegen danach an andere Kanzleien zu verlieren. Doch die Qualifikation des Personals geht vor.

Sabine Gries-Redeker sagt: „Wenn es ein gutes Anwaltsbüro ist, dann wird schon danach geguckt.“ Zudem gebe es für junge Kolleginnen und Kollegen oftmals auch vergünstigte Angebote. Allerdings ist es nicht nur Pflicht von Anwälten, sich ständig fortzubilden. Das lebenslange Lernen hat noch einen weiteren ganz entscheidenden Vorteil, wie Gries-Redeker erklärt, die selbst auf Familien- und Schadensersatzrecht spezialisiert ist: „Fortbildungen sind mein Kapital, aus dem ich Umsätze generiere. Wenn ich fit bin, kann ich relativ schnell und gut beraten. Oder ich erkenne Probleme und kann dadurch meine besondere Expertise hervorheben. Selbstverständlich merken dies auch die Mandanten.“

Urteil anhand der Kleidung

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Es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde. Doch genau in dieser Zeitfrequenz entscheidet sich laut einer aktuellen Studie, wie kompetent Menschen ihr gegenüber einschätzen. Entscheidend ist dabei die Kleidung, weniger Wissen und Fähigkeiten. Von Christoph Berger

Wissenschaftler der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs an der Princeton University fanden in mehreren Studien heraus, dass Menschen die Kompetenz anderer anhand derer Kleidung bewerten. Die Urteile werden dabei innerhalb von Millisekunden getroffen und basieren auf rein ökonomischen Annahmen: Je teurer die Kleidung zu sein scheint, desto kompetenter wird eine Gesprächspartnerin oder ein Gesprächspartner eingeschätzt. Beziehungsweise: Menschen aus sozial schwächeren Verhältnissen können Schwierigkeiten dabei bekommen, andere von ihren Fähigkeiten zu überzeugen.

Um zu ihren Ergebnissen zu kommen, wählten die Forscher immer wieder unterschiedliche Versuchsanordnungen. Vor allem versuchten sie, den Faktor bei der Entscheidungsfindung der Teilnehmer auszuschließen. Doch ungeachtet der Änderungen blieben die Ergebnisse konsistent: Die den Studienteilnehmern gezeigten Gesichter wurden als signifikant kompetenter beurteilt, wenn die Kleidung als „reicher“ beziehungsweise „teurer“ empfunden wurde. Diese Urteile wurden fast immer direkt gefällt, auch dann, wenn den Befragten mehr Zeit für ihre Einschätzung zur Verfügung stand. Und ebenso, wenn sie Informationen über den Beruf oder das Einkommen einer Person im Vorfeld bekommen hatten, wenn die Kleidung formell oder informell war oder wenn ihnen ein monetärer Anreiz geboten wurde, die Beurteilungen unabhängig von der Kleidung zu treffen.

Um eine Voreingenommenheit zu überwinden, muss man sich nicht nur dessen bewusst sein, sondern auch die Zeit, die Aufmerksamkeitsressourcen und die Motivation haben, der Voreingenommenheit entgegenzuwirken

Die Wissenschaftler, deren Studie im Wissenschaftsjournal Nature Human Behaviour veröffentlicht wurde, kamen darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass sich derartige Urteile nur schwer vermeiden lassen. „Um eine Voreingenommenheit zu überwinden, muss man sich nicht nur dessen bewusst sein, sondern auch die Zeit, die Aufmerksamkeitsressourcen und die Motivation haben, der Voreingenommenheit entgegenzuwirken“, schreiben sie. Aber immerhin sei es schon ein erster Schritt bei der Überwindung von Voreingenommenheit, sich dieser bewusst zu sein. Ebenso müsse es ein Ziel zukünftiger psychologischer Arbeit sein, die ersten Eindrücke zu überwinden. Eine Zwischenlösung könnte es sein, auch wenn sie unzureichend ist, eine Exposition zu vermeiden – so würden beispielsweise akademische Abteilungen schon lange wissen, dass eine Einstellung ohne Vorstellungsgespräch bessere Wissenschaftler hervorbringen kann.

Doch momentan, so die Forscher, seien in Armut lebende Menschen noch mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Eldar Shafir, Professor für Verhaltenswissenschaften und öffentliche Politik und Mitautor der Studie spricht in diesem Zusammenhang gar von einer Respektlosigkeit und Missachtung: „Wir haben festgestellt, dass eine solche Respektlosigkeit eindeutig unbegründet ist, da in diesen Studien das identische Gesicht als weniger kompetent angesehen wurde, wenn es mit ärmerer Kleidung erschien.“ In der ersten Zehntelsekunde einer Begegnung sei dieses Urteil gefällt worden.

Schrift-Sätze – Kultur-, Buch- und Linktipps

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BERLIN – HAUPTSTADT DES VERBRECHENS

Fernsehjournalistin, Polizeireporterin und Filmautorin Nathalie Boegel stellt in ihrem Buch „Berlin – Hauptstadt des Verbrechens“ die spektakulärsten Kriminalfälle von 1918 bis 1933 vor. Damals tobte in den Nachtclubs und auf den Straßen Berlins das Leben – und das Verbrechen: Der erste Massenmörder der Weimarer Republik treibt sein Unwesen. Ein selbsternannter „Volksbeglücker“ zieht Zehntausenden ein Vermögen aus der Tasche. Und nur dank der genialen Ermittlungsmethoden eines kuchensüchtigen Kommissars werden fast 300 Mordfälle aufgeklärt. Anhand der vorgestellten Geschichten zeigt Boegel, welche politischen und sozialen Konflikte die Stadt zu einer der gefährlichsten, aber wohl auch spannendsten Metropolen der 20er- und 30er-Jahre machten. Dazu präsentiert sie auch viele Originalfotos aus der Polizeihistorischen Sammlung Berlins. Nathalie Boegel: Berlin – Hauptstadt des Verbrechens. Penguin Verlag 2019, 10 Euro. (Amazon-Werbelink)

GERICHTSURTEILE ZUM LACHEN

Foto: Universität Trier
Foto: Universität Trier

Der Trierer Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Till Zimmermann sammelt skurrile Urteile. Was vor einigen Jahren eher nebenbei begann, ist in der Zwischenzeit der systematischen Arbeit eines Wissenschaftlers gewichen. Inzwischen füllt seine Sammlung einen vollgehefteten Ordner und etliche Megabytes auf der Computer-Festplatte. Ein Beispiel: Bei einem Nachbarschaftsstreit prüfte der Richter, ob es sich um eine terroristische Dackelvereinigung nach Paragraf 129a Strafgesetzbuch handelt, wenn es mehrere Fälle von beißenden Rauhaardackeln in einem Ort gibt. Das Gericht konnte jedoch feststellen, dass in dem verhandelten Fall keine terroristische Dackelvereinigung gegründet wurde. In einem anderen Fall begründete ein Richter des Amtsgericht Köln seine Entscheidung im Prozess um einen Verkehrsunfall im Stil einer Fußballreportage.

 

DER MANN, DER SEINEM GEWISSEN FOLGTE

Ein Indizienprozess erschüttert Jütland. Der für sein Mitgefühl bekannte Pastor Sören Qvist lässt sich für ein Verbrechen verurteilen, das er nicht begangen hat. Freunde bemühen sich um entlastendes Material, seine Kinder ermöglichen ihm die Flucht aus dem Gefängnis. Doch Sören Qvist bleibt standhaft. Was kann einen Menschen dazu bewegen, seine moralische Integrität über sein Leben zu stellen? Eine wahre Begebenheit aus dem Jahr 1625. Janet Lewis: Der Mann, der seinem Gewissen folgte. DTV 2019, 22 Euro. (Amazon-Werbelink)

LEGAL TECH HUB VIENNA

Die Rechtsanwaltskanzleien Dorda, Eisenberger & Herzog, Herbst Kinsky, PHH, Schönherr, SCWP Schindhelm und Wolf Theiss haben im Oktober 2018 gemeinsam den Legal Tech Hub Vienna (LTHV) ins Leben gerufen. Kernziele des LTHV sind die Rechtsberatungsbranche pro-aktiv, Mandanten-orientiert und innovativ in die digitale Zukunft zu führen. Die Aktivitäten des LTHV umfassen unter anderem ein Accelerator-Programm für Legal Tech Unternehmen, lokale und internationale Kooperationen mit Interessensvertretungen, Universitäten, Fachhochschulen und bestehenden/künftigen Legal Tech Hubs sowie die Entwicklung von Standards für die gesamte Rechtsbranche über Forschungsaufträge, Diplomarbeiten und Partnerschaften.

DER FALL COLLINI

Der Film „Der Fall Collini“ erzählt eine fesselnde und bewegende Geschichte über Recht und Gerechtigkeit. Elyas M’Barek als charismatischer und idealistischer junger Anwalt zieht den Zuschauer mit hinein in eine vielschichtige Geschichte, der man mit ihm gemeinsam auf den Grund geht. Eine überraschende Story und eine raffinierte Inszenierung werden zu einem mitreißenden Film, der nicht nur Unterhaltung bietet, sondern auch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit einem hochkomplexen und bedeutenden Thema: die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland in Bezug auf den Nationalsozialismus. Ins Kino kam der Film im April 2019, inzwischen ist er auch als DVD erhältlich. 2020 wurde er von den Produzenten für die Auswahl des deutschen Beitrags für die Oscarverleihung 2020 eingereicht.

AUSSAGE GEGEN AUSSAGE

Wenn vor Gericht gestritten wird, steht es oft Aussage gegen Aussage. Dann gilt: Im Zweifel für den Angeklagten. Oder? Weit gefehlt, weiß Alexander Stevens, Fachanwalt für Strafrecht. Denn Richter können auch verurteilen, wenn es keine anderen Beweise außer der bloßen Aussage des Gegners oder eines einzigen Zeugen gibt. Aber wie entscheiden Richter solche Pattsituationen, vor allem wenn es um heikle Fälle wie Geld- und Beziehungsstreitigkeiten, Gewalt- und Sexualdelikte oder sogar Mord geht? Nach Bauchgefühl? Alexander Stevens beschreibt seine spannendsten Fälle, bei denen es Aussage gegen Aussage stand, und präsentiert dabei das richterliche Ergebnis erst zum Schluss, sodass man selbst überlegen kann: Wie würde ich entscheiden? Alexander Stevens: Aussage gegen Aussage. Piper 2020, 10 Euro. (Amazon-Werbelink)

DREI UHR MORGENS

Gianrico Carofglio, geboren 1961 in Bari, war viele Jahre Antimafia-Staatsanwalt in Bari, 2007 Berater des italienischen Parlaments im Bereich organisierte Kriminalität und von 2008 bis 2013 Senator. Außerdem ist Carofglio Autor zahlreicher preisgekrönter Krimis, die in 24 Sprachen übersetzt wurden. In seinem aktuellen Roman „Drei Uhr morgens“ wird eine Fahrt nach Marseille für Antonio und seinen Vater zu einer Reise in die Erinnerung und nach innen. Der verschlossene Gymnasiast muss zu einer neurologischen Untersuchung, die vorschreibt, zwei Tage und zwei Nächte ohne Schlaf zuzubringen. Sein Vater, der früh die Familie verlassen hat und zu dem er ein kühles Verhältnis hat, begleitet ihn. Erstmals erfahren die beiden eine nie gekannte Intimität: Der Vater erzählt von seiner Jugend, von der Bekanntschaft mit der Mutter des Jungen – der Sohn von seinen Hoffnungen und Ängsten. Der Aufenthalt vollzieht sich zwischen Wachzustand und Erschöpfung, er führt in anrüchige Viertel, an atemberaubende Strände, ins Herz der pulsierenden Stadt. Eine Begegnung, die zwei Menschen für immer verändert. Gianrico Carofglio: Drei Uhr morgens. Folio 2019, 20 Euro. (Amazon-Werbelink)

Das letzte Wort hat: Diane D. Manz, Coach & Beraterin

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Es ist wie in jeder Beziehung: Ohne Kommunikation stockt es irgendwann. Diese Prämisse gilt auch für das Berufsleben, wie Diane D. Manz im Interview erklärt – gerade dann, wenn es um so stressige Berufe wie die eines Anwalts geht. Die Fragen stellte Christoph Berger

Diane D. Manz, Foto: Stephan Sieber/picturebaer
Diane D. Manz, Foto: Stephan Sieber/picturebaer

Diplom-Psychologin Diane D. Manz ist Business- und Burnout-Coach und berät Privatpersonen und Unternehmen zu Kommunikation, Führung, Vielfalt & Einbindung sowie Stressmanagement & Burnout-Prävention. Sie blickt zudem auf 17 Jahre Erfahrung im Personalbereich zurück, 13 Jahre davon leitete sie die Personalabteilung einer internationalen Großkanzlei. Heute ist sie Inhaberin von brandung | coaching & consulting mit Büros in Gießen und Frankfurt am Main.

https://brandung-consult.com

Frau Manz, Sie haben selbst lange Zeit in verantwortlicher Position in einer Kanzlei gearbeitet. Was waren Ihre dabei gemachten Erfahrungen, wie gehen Anwälte mit den Herausforderungen ihres Alltags um – gerade dann, wenn es stressig wird?
In der täglichen Arbeit des Anwalts ist Stress nicht wegzudenken. Ein überdurchschnittliches Arbeitspensum und hohe Ansprüche der Mandanten sowie damit verbundene lange Arbeitszeiten sind nicht wegzudenken – viel, schnell, komplex und oft noch unberechenbar. Das ist stressig. Aber Stress ist per se noch nicht schädlich. Wenn ich für die Arbeit brenne, Spaß daran habe und mich den gestellten Aufgaben gewachsen fühle, dann ist dieser Stress motivierend und bringt mich weiter. Danach braucht es dann allerdings auch ausreichend Zeit für die Regeneration.

Und wann ist Stress schädlich?
Schwierig wird es, wenn mich meine Aufgaben überfordern und ich den Anforderungen nicht gerecht werden kann. Das ist anstrengend, führt zu wenig oder keinen Erfolgserlebnissen und neue Herausforderungen machen eher Angst als dass sie zu neuen Höchstleistungen anspornen. Damit wird ein Kreislauf in Gang gesetzt, der in chronischem negativem Stress endet. Der ist ungesund und führt nicht selten zu körperlichen und psychischen Beschwerden.

Gibt es dort weitere Ursachen für negativen Stress?
Ja. Denn auch mangelnde Transparenz in Bezug auf die Karriereentwicklung, Führung, Kommunikation und Problemlösung können zu negativem Stress führen. Hierarchische Unsicherheit und Angst vor Konfrontation spielen hier eine große Rolle, ebenso fehlendes Einfordern von Rückmeldungen, kein Abgleich von gegenseitigen Erwartungen und mangelnde Zielvorstellungen. Diese Bereiche haben einen sehr großen Einfluss auf die tägliche Arbeit und die Zufriedenheit damit.

Was kann jede bzw. jeder Einzelne in solchen Situationen machen?
Stressempfinden, sowohl in positive als auch negative Richtung, ist sehr individuell. Insofern ist es wichtig, regelmäßig zu reflektieren, welche Situationen einen in einen unangenehmen Zustand versetzen. Wenn ich die Stressoren identifiziert habe, kann ich mir überlegen, inwieweit diese zu verändern oder abzustellen sind. Ist beides nicht möglich, kann ich versuchen, meine Situationsbewertung zu verändern. Ich kann hier nur dafür plädieren, die Möglichkeit der Veränderung gedanklich zuzulassen. Wenn ich Wünsche oder Sorgen habe, diese aber nicht kommuniziere, kann ich nicht auf Besserung hoffen. Das gilt übrigens für beide Seiten. Oft ist das Ansprechen von Problemen sehr viel einfacher als gedacht. Stellt sich nach einem solchen Gespräch heraus, dass es keine Chance auf Veränderung gibt, weiß man zumindest, woran man ist.

Kommunikation ist also alles?
Kommunikation ist viel. Um grundsätzlich die eigene Lebensqualität zu verbessern und die Gesundheit zu fördern, ist es gerade bei einem anspruchsvollen Job wichtig, auch Zeiten der Regeneration sicher zu stellen. Und wenn es nur ein Spaziergang um den Block in einer sonst nicht existenten Mittagspause oder eine Kurzmeditation im Büro ist. Selbst wenn Dauerstrom nicht im Burnout endet, senkt er mittelfristig die Leistungsfähigkeit. Ebenso wichtig sind Hobbies und ein privates soziales Netzwerk. Hier kommt es stärker auf Qualität als auf Quantität an.

karriereführer künstliche intelligenz 2020.2021 – Menschen machen´s möglich

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Cover karriereführer künstliche intelligenz 20-21

Menschen machen´s möglich

Was ist künstliche Intelligenz (KI) denn nun, Lösung für alles oder Sicherheitsrisiko? Geschäftsmodell der Zukunft oder Job-Killer? Statt nur in Schwarz oder Weiß zu denken, lohnt sich der differenzierte Blick: Unternehmen profitieren, wenn KI übergreifend betrachtet und vom Problem her gedacht wird. Hier ist der Mensch gefragt: Seine Aufgabe ist es, die KI in den Domänen eines Unternehmens zu platzieren. Und er wird auch benötigt, um die Technik so zu vermitteln, damit Vertrauen entsteht.

Künstliche Intelligenz: Menschen machen’s möglich

Was ist künstliche Intelligenz (KI) denn nun, Lösung für alles oder Sicherheitsrisiko? Geschäftsmodell der Zukunft oder Job-Killer? Statt nur in Schwarz oder Weiß zu denken, lohnt sich der differenzierte Blick: Unternehmen profitieren, wenn KI übergreifend betrachtet und vom Problem her gedacht wird. Hier ist der Mensch gefragt: Seine Aufgabe ist es, die KI in den Domänen eines Unternehmens zu platzieren. Und er wird auch benötigt, um die Technik so zu vermitteln, damit Vertrauen entsteht. Ein Essay von André Boße

Wer zu Daimler oder Volkswagen geht, baut und entwickelt Autos? Möglich. Es kann aber auch sein, dass man sich im Konzern mit „Computer-Brains“ beschäftigt, die Autos lenken sollen. Oder bereichsübergreifend an einem Mobilitätsökosystem arbeitet, das mit Hilfe von Big Data und künstlicher Intelligenz Verkehrslösungen nach Maß bietet – Bezahl- und Finanzierungsoptionen inklusive. Blicken wir auf die technischen Konzerne: Wer heute eine Stelle bei Siemens oder Bosch antritt, findet dort eine Reihe von Abteilungen, die weit über das hinausgehen, was man als das ursprüngliche Geschäft dieser Technologie-Unternehmen begreift. Bosch zum Beispiel hat Anfang Januar mitgeteilt, bis 2025 solle jedes der Konzernprodukte über künstliche Intelligenz verfügen, mit ihr entwickelt oder produziert worden sein. Entsprechend kündigt das Unternehmen an, personell auf- und umzurüsten: „Mit einem großangelegten Qualifizierungsprogramm wollen wir in den nächsten zwei Jahren nahezu 20.000 Mitarbeiter fit für die KI-Zukunft machen“, sagt Bosch-Geschäftsführer Michael Bolle. Die aktuelle Zahl der Mitarbeiter innerhalb des Konzerns, die sich mit dem Thema KI beschäftigen: 1000. Hier zeigt sich die Dimension des Wandels.

„KI ist keine Magie“

Für Bewerber ist folgende Änderung interessant: Wer sich noch vor wenigen Jahren für den Ein- oder Aufstieg in einem dieser Konzerne interessierte, von dem erwartete man insbesondere eines: Kenntnisse über die Branche. Wie ist das heute, in einer Zeit, in der sich die Branchen öffnen, einer Zeit, in der traditionelle Autobauer Geld damit verdienen, den Kunden mit Hilfe von KI-Lösungen optimale Bahnverbindungen anzuzeigen? Oder in der Technikkonzerne tausende Mitarbeiter suchen oder dahingehend schulen, um fit für die KI zu sein? Ist es da übertrieben, zu fragen, ob künstliche Intelligenz heute bereits eine Art Meta-Branche ist? Vorsicht! Die künstliche Intelligenz trägt schon genügend andere Etiketten. Mal ist sie das Allheilmittel für eine lahmende Wirtschaft, mal bedroht sie Arbeitsplätze. Einige glauben, die KI werde eines Tages für einen Security-GAU sorgen, andere denken, dass die Menschheit das Problem des Klimawandels ohne KI nicht in den Griff bekommen wird.

Qurator: Digitale Kommunikation mit Hilfe von KI

„Wer heute relevant sein will, muss digital kommunizieren“, sagt Armin Berger, Bündnissprecher des Projekts Qurator. Doch wie gelingt diese digitale Kommunikation, gerade in Zeiten, in denen der Datendschungel immer dichter wird? Qurator versteht sich als eine Plattform für intelligente Content-Lösungen, auf der KI-Ansätze dabei unterstützen, Inhalte zu kuratieren (daher der Name Qurator). Die Plattform richtet sich gezielt auch an Manager in Unternehmen, die internes Wissen über neue Techniken so aufbereiten wollen, dass möglichst viele Zugriff erhalten und die Inhalte somit bei Entscheidungen helfen.

www.qurator.ai

Auch in technischer Hinsicht gehen die Meinungen auseinander. Es gibt Experten, die davor warnen, die Komplexität der KI überfordere den Menschen, andere widersprechen. Die Informatikprofessorin Katharina Zweig von der TU Kaiserslautern sagte zum Beispiel in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“: „KI ist keine Magie.“ Im Interview fordert sie, keine Berührungsängste bei dieser Technik zu haben, schließlich werde KI „insgesamt näher an uns heranrücken, darum müssen wir Betriebsräte, Schulelternbeiräte, Betroffene und Bürger befähigen, sich einmischen zu können.“

KI als Möglichkeit begreifen

Wie ist denn nun der Status der KI? Was kann sie leisten – wann wird sie überschätzt? Und was bedeutet dieser Stand der Dinge für Karriereeinsteiger? Das Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssystem (FOKUS) hat jetzt mit dem Whitepaper „Künstliche Intelligenz in der Praxis“ eine Studie veröffentlicht, die untersucht, welche Bedeutung KI bereits heute in den Unternehmen hat – und wie sich der Einfluss der Technik in den kommenden Jahren in den verschiedenen Geschäftsfeldern entwickeln wird. Zu Beginn stellen die Studienautoren eines klar: KI ist nicht die Antwort auf jede Frage und Herausforderung. KI ist eine Möglichkeit, sich Problemen zu widmen. „Angesichts der großen Aufmerksamkeit für KI, könnte man leicht zu dem Schluss kommen: Wer heute nicht in KI investiert, für den scheint der Zug abgefahren zu sein – in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher, aber auch politischer Hinsicht“, sagt FOKUS-Leiter Prof. Dr. Manfred Hauswirth. Ob jedoch KI überhaupt als passende Lösungsoption in Betracht komme oder aber eine andere technische Lösung besser geeignet sei, müsse jeweils mit Blick auf die konkrete Problemstellung entschieden werden. Und hier tun sich viele Unternehmen noch schwer, wie die Autoren des Whitepapers feststellen: „Bei Projektpartnern bestehen oft bereits konkrete Erwartungen und ein grundlegendes Verständnis der Rolle, die KI potenziell in ihren Anwendungen und Geschäftsmodellen spielen kann. Nichtsdestotrotz sind Berührungsängste gegenüber dem Thema KI zu erkennen, die meistens in Zurückhaltung gegenüber einem Einsatz münden.“

Menschen managen KI

Entscheidend sei es daher, in den Unternehmen ein Wissen über die Chancen und potenziellen Probleme von KI-Lösungen aufzubauen. „Die wichtigste Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz von KI-Methoden ist ein tiefes Verständnis des Themenfeldes, in dem diese zum Einsatz kommen sollen“, sagt FOKUS-Leiter Manfred Hauswirth. Ohne dieses laufe man zum Beispiel Gefahr, sich Problemen, die man bereits mit einer anderen Technik gelöst hat, noch einmal zu widmen – nur weil man denkt, die KI sei hier per se noch besser geeignet. Mit der eventuellen Folge, dass KI dieses Problem nun ein weiteres Mal löst. Jedoch „gegebenenfalls schlechter oder mit höherem Ressourcenaufwand“, wie Hauswirth sagt. Der FOKUS-Leiter verdeutlicht hier einen Punkt, der erklärt, warum so viele Konzerne bei diesem Thema neues Personal suchen oder das eigene Personal weiterbilden: Der Mensch mit seinem Wissen bleibt derjenige, der entscheidet, wo KI auf welche Art helfen kann. Und er ist auch derjenige, der die KI dann, wenn es sinnvoll ist, instruiert, koordiniert und kontrolliert. Zumindest solange, bis in einer fernen Zukunft aus KI-Methoden hyperintelligente Cyborgs werden (siehe Buch-Tipp im Kasten). Hier zeigt sich deutlich, dass die künstliche Intelligenz zumindest in den ersten Schritten in den Unternehmen keine High-Profile-Jobs ersetzt, sondern die Experten mit einer neuen Art von Arbeit versorgt. Dass dabei im Alltag der Entwicklung, Produktion oder Logistik Fragen auftauchen, liegt auf der Hand.

Domänen statt Branchen

Interessant ist nun, dass die Studienautoren vom Fraunhofer Institut bei den konkreten Anwendungsbereichen eben nicht mehr von Branchen sprechen, sondern von Domänen. Gemeint sind Themenfelder wie Smart Mobility und Electronic Health, Industrial Internet of Things und Quality Engineering, Visual Computing und Data Analytics. In den Unternehmen werden Einsteiger daher nicht nur auf eine dieser Domänen treffen – sondern auf mehrere, in den großen Konzernen sogar auf alle. Hier zeigt sich die besondere Herausforderung von KI-Lösungen: Sie docken innerhalb einer Organisation in diversen Bereichen an, bilden Knotenpunkte, verlangen nach zwei Perspektiven: die eine ist auf die jeweilige Domäne fokussiert, die andere hat das gesamte „Ökosystem“ des Konzerns im Blick. Wobei der Begriff aus der Ökologie hier tatsächlich passt, denn die Domänen unterstützen sich gegenseitig und bilden dabei ein System, dessen Funktionalität vom natürlichen Zusammenspiel der Domänen abhängt.

Der KI-Campus

Im Oktober 2019 wurde der Startschuss für den Aufbau einer digitalen Lernplattform zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) gegeben. Dabei handelt es sich um ein auf drei Jahre angelegtes und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Pilotprojekt. Motivation und Ziel des Projekts „KI-Campus – die Lernplattform für Künstliche Intelligenz” ist es, eine breite Befähigung im Umgang mit KI zu vermitteln, um für die Herausforderungen den damit verbundenen technischen und gesellschaftlichen Veränderungen gewappnet zu sein. Der KI-Campus soll diesem Bedarf durch die Entwicklung einer offenen Lernplattform begegnen, auf der sich die Nutzer untereinander sowie mit Professoren und anderen Fachexperten vernetzen und sich mit hochwertigen, digitalisierten Lernangeboten weiterbilden können.

www.ki-campus.org

Ein Beispiel aus der Produktion: Das Industrial Internet of Things (IIoT) ist eine Infrastruktur, die Wertschöpfungsketten digital vernetzt – und zwar anwendungsübergreifend und unabhängig vom Hersteller, intelligent und mit maximaler Sicherheit. „Dabei spielen Edge- oder Cloud-Computing ebenso eine wichtige Rolle wie Echtzeit-Maschine-zu-Maschine- Kommunikation, Geräte-Management, Orchestrierung und Datenanalyse-Plattformen“, heißt es im FOKUS-Whitepaper. Wobei die Technik klare Ziele zu erfüllen hat – und zwar parallel. Das IIoT soll Ressourcen schonen und Wartungen optimieren, es soll die Qualität sichern und Datenschutz garantierten, die Betriebskosten sowie den Energiebedarf senken, neue Geschäftsmodelle aufbauen und die Produktion beschleunigen. Wer im Unternehmen die Produktion in diesem Sinne voranbringen möchte, benötigt neben Kenntnissen im Maschinenbau oder Prozessmanagement eben auch Know-how in einem übergreifenden KI-Bereich, den die Experten des Fraunhofer Instituts Data Analytics nennen. „KI hat neben den Eigenschaften eines lernenden Systems insbesondere auch mit semantischem Verstehen durch die Maschine und weiterführender pragmatischer Interpretation im Kontext zu tun“, schreiben die Whitepaper-Autoren. Dies gehe über das Erkennen von Mustern in Daten hinaus. Die Rede ist von der sogenannten dritten Generation von KI-Systemen, in der es um die Kombination aus KI-Methoden geht: ums Wahrnehmen und Lernen, Logikschlussfolgern und Abstrahieren.

Vertrauen schaffen, Sicherheit gewährleisten

Und noch ein Punkt ist wichtig, wenn es um die Frage geht, wo der Mensch bleibt, wenn künstliche Intelligenz in den Unternehmen zum Standard wird. Nicht nur werden Mitarbeiter benötigt, um diese Technik in den Domänen einzusetzen, Menschen sind auch der Schlüssel dafür, den Kunden ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit zu geben. Ende Januar veröffentlichte der TÜV-Verband eine Studie, nach der 85 Prozent der Befragten möchten, dass Produkte und Anwendungen mit künstlicher Intelligenz klar gekennzeichnet werden. „Insgesamt überwiegen die positiven Empfindungen in Bezug auf KI und viele Menschen erhoffen sich von der Technologie Fortschritte in verschiedenen Lebensbereichen“, ordnet Dr. Michael Fübi, Präsident des TÜV-Verbands, das Ergebnis ein. Jedoch gibt es auf Seiten der Verbraucher messbare Skepsis und Verunsicherung: So empfinden 69 Prozent der Befragten es als negativ, wenn KI immer mehr menschliche Kontakte ersetzt, 72 Prozent sorgen sich vor Hackerangriffen mit Hilfe von KI, 67 Prozent haben die Sorge, dass die KI bei sicherheitskritischen Anwendungen Fehler macht. Auf diese Sichtweise der Kunden müssen die Unternehmen mit kommunikativer Transparenz reagieren; auch dies wird eine Aufgabe von KI-Managern sein: den Kunden – ob B2B oder B2C – erklären, wo KI mitgewirkt hat, was die Vorteile dieser Mitwirkung sind und wie die Sicherheit garantiert werden kann.

Benötigt werden Regeln und Standards

Gefragt sind hier aber nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Gesetzgeber. „Beim Einsatz von künstlicher Intelligenz in sicherheitskritischen Bereichen gibt es erhebliche Regelungslücken“, sagt TÜV-Verbandspräsident Michael Fübi.  „Immer dann, wenn Gefahren für die Gesundheit von Menschen oder deren elementare Grundrechte bestehen, sind klare Leitlinien für die Anbieter, Entwickler und Nutzer von KI-Anwendungen notwendig.“ Tatsächlich tut sich hier etwas: Die neu formierte EU-Kommission hat bereits angekündigt, eine KI-Strategie vorlegen zu wollen, das Bundesarbeitsministerium initiiert ein KI-Observatorium, das als Denkfabrik die Aufgabe hat, einen verantwortlichen, menschenzentrierten und partizipativen Einsatz von KI in der Arbeitswelt und der Gesellschaft zu ermöglichen und zu fördern. Ist die KI eine Meta-Branche? So lautete zu Beginn die Frage. Tatsächlich lässt sich festhalten, dass durch die Nutzung von KI-Lösungen in der Praxis eine ganze Reihe von Job-Profilen entstehen, die branchenübergreifend Menschen benötigen, die KI vollumfänglich verstehen. Weil sie wissen, wie diese Technik dem Unternehmen hilft – und was gewährleistet sein muss, dass auch die Mitarbeiter und die Kunden profitieren und Vertrauen entwickeln. Nein, KI ist keine Magie, da hat die Informatikerin Katharina Zweig schon recht. Aber sie bedeutet viel Arbeit. Menschliche Arbeit.

Buchtipps

Der 100-Jährige, der ein neues Zeitalter des Denkens ausruft

Cover NovozaenDer Universalwissenschaftler James Lovelock hat zehn Dekaden auf dem Buckel, doch sein Alter hindert den Briten nicht daran, vorauszudenken – und zwar im Wortsinn: „Novozän“ heißt sein neues Buch, das es seit Januar auch auf Deutsch gibt. Lovelock beschreibt den Beginn des Zeitalters der Hyperintelligenz, des Novozäns, das auf das Anthropozän folgt. Seine These: Aus der KI werden Cyborgs entstehen, die uns Menschen in allem überlegen sind. Doch das sollte kein Schreckensszenario sein, denn auch die Cyborgs wollen die Erde erhalten – und sie sind es, die in Lovelocks unterhaltsamer und inspirierender Öko-Vision der bequemen und zerstrittenen Menschheit das Überleben retten. James Lovelock: Novozän – Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz. C.H. Beck, 2020, 18 Euro. (Amazon-Werbelink)

Fehlendes Taktgefühl

Cover Ein AlgorithmusLaut der TÜV-Studie „Sicherheit und Künstliche Intelligenz – Erwartungen, Hoffnungen, Emotione“ erwarten 40 Prozent der Deutschen von der KI, dass sie zu 100 Prozent fehlerfrei ist. Diesen Ansprüchen hält die Informatikerin Katharina Zweig ihr Buch „Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl“ entgegen, das den Untertitel trägt: „Wo künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns das betrifft und was wir dagegen tun können.“ In klarer Sprache zeigt sie, warum Robo-Richter ein schlechtes Urteilsvermögen besitzen, aber auch, in welchen Bereichen eine unvoreingenommene KI-Lösung weitaus besser wäre als ein mit Vorurteilen beladender Mensch. Katharina Zweig: Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl: Wo künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns das betrifft und was wir dagegen tun können. Heyne, 2019. (Amazon-Werbelink)

 

 

Die KI-Umsetzerin Prof. Dr. Julia C. Arlinghaus im Interview

Als Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) und Uni-Professorin in Magdeburg versteht Julia Arlinghaus ihren Job zweigeteilt: Zum einen forscht sie mit ihrem Team nach KI-Methoden, im zweiten Schritt kooperiert sie mit den Unternehmen, um die Erkenntnisse in die Praxis zu überführen. Gerade hier sieht die 36 Jahre alte KI-Spezialistin eine Stärke der Deutschen: Förderung effizient in Ergebnisse umzusetzen – „darin ist Deutschland meiner Meinung nach hervorragend“. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Julia Arlinghaus (36) studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit den Schwerpunkten Produktionstechnologie und Verfahrenstechnik an der Universität Bremen und an der weltweit renommierten Tokyo University, Japan. Sie promovierte 2011 im Schwerpunkt Business Innovation zur Integration intermodaler Transporte in Handelslieferketten an der Universität St. Gallen in der Schweiz. Sie war als Beraterin für operative Exzellenz und Lean Management bei der Porsche Consulting tätig, bis sie 2013 dem Ruf als Professorin für die Optimierung von Produktions- und Logistiknetzwerken an die Jacobs University Bremen folgte. Seit August 2017 war sie Lehrstuhlinhaberin für das Management für Industrie 4.0 an der RWTH Aachen. 2019 übernahm sie Leitung des Fraunhofer- Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg, zeitgleich übernahm sie den Lehrstuhl für Produktionssysteme und -automatisierung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Gestaltung und Implementierung von Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen sowie Entwicklung von KIMethoden.

Frau Prof. Dr. Arlinghaus, Sie haben als Studentin in Japan bei Professor Ueda den Impuls bekommen, eine Fabrik wie eine biologische Zelle zu organisieren. Was hat Sie seinerzeit an dieser Perspektive so fasziniert?
Mich hat der Gedanke elektrisiert, wie gut sich der bionische Ansatz auf die Planung von Fabriken übertragen lässt. Eine Zelle ist ja im Grunde auch so etwas wie eine kleine Fabrik. Zum Beispiel werden beim menschlichen Stoffwechsel aus verschiedenen Substraten mit Hilfe von Enzymen die Produkte hergestellt, die unseren Körper am Leben erhalten. Die Enzyme wirken wie die Maschinen in einer Fabrik. Die Natur hat diese Prozesse über viele Millionen Jahre kontinuierlich optimiert. Spätestens seit Leonardo da Vinci wissen wir, wie gut wir von der Natur lernen können, viele ihrer Prinzipien übertragen wir auf verschiedenste Anwendungen. Heute zum Beispiel werden im Internet Datenpakete nach dem Vorbild des Verhaltensmusters von Ameisen verschickt. Und der Lotus-Effekt hat geholfen, Autolacke zu verbessern. Ich habe damals die Idee verfolgt, eine Fabrik nach dem Vorbild eines Bienenschwarms zu organisieren.

Wie genau hat Ihnen das Verhalten der Tiere dabei geholfen?
Die Schwarmintelligenz erlaubt es Tieren, gemeinsam sehr komplexe Aufgaben zu bewältigen. Etwa das Bauen von Termitenhügeln, die Jagd oder auch eben die Flucht. Aufgaben, die das Individuum alleine nicht bewältigen könnte. Auch die industrielle Herstellung von komplexen Produkten – beispielsweise Flugzeugen – aus Abertausenden Einzelteilen und unter höchsten Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen muss durch viele Individuen gemeinsam erfolgen. Damit Roboter uns bei diesen häufig noch manuell durchgeführten Aufgaben unterstützen, können wir uns in der Natur abschauen, wie man Kommunikation und Entscheidungsregeln gestaltet, damit diese Kooperation effizient passiert.

Das Fraunhofer IFF, das Sie leiten, versteht sich dabei als Technologiepartner von Unternehmen. Wie kann man sich diese Partnerschaft konkret vorstellen?
Fraunhofer-Institute befinden sich stets in einem synergetischen Verbund mit einer Hochschule oder Universität. Sie übersetzen die aktuellsten Erkenntnisse aus diesen Forschungsküchen schnellstmöglich in industrielle Anwendungen. Neben meiner Funktion als Institutsleiterin bin ich deshalb auch Professorin an der Universität Magdeburg. Dort entwickele ich neue Methoden, zum Beispiel für die Produktionsplanung oder für die Steuerung von Liefernetzwerken. Dabei denke ich mit meinem Team möglichst kreativ darüber nach, wie die Fabrik der Zukunft auch in fünf, zehn oder 20 Jahren funktionieren kann. Das Gleiche tun meine Kollegen hier am Fraunhofer IFF für ihre Themenfelder: Zusammen denken wir das Voraus, was später mit Unternehmen zunächst in gemeinsamen Forschungsprojekten pilotiert wird.

Können Sie Beispiele für aktuelle Themen nennen?
Zum Beispiel arbeiten wir gerade an der Frage, inwieweit wir Schwarmintelligenz für die roboterbasierte Montage von Flugzeugrümpfen nutzen können. Mit einem anderen Unternehmen testen wir, wie wir durch intelligente Produktionsplanung – also durch die clevere, zeitliche Zuordnung von bestimmten Aufträgen zu Maschinen – den Energieverbrauch einer Fabrik reduzieren können. Bei der Flugzeugmontage rechnen wir mit Einsparungen in der Produktionszeit von bis zu 50 Prozent, die Energieverbräuche konnten wir um über 60 Prozent reduzieren. Nach der Durchführung von Pilotprojekten, unterstützen wir Unternehmen schließlich dabei, diese Erfahrungen auf ihre eigenen Prozesse zu übertragen. Damit das gut funktioniert, reden wir viel mit unseren Projektpartnern. Dabei lernen wir die Sprache des anderen und müssen bereit sein, immer wieder neu zu denken und Bestehendes in Frage zu stellen.

Durch Ihre Arbeit erhalten Sie direkte Einblicke in den Stand der digitalen Transformation. Wie weit sind die deutschen Unternehmen in dieser Hinsicht?
Die deutschen Unternehmen profitieren noch nicht so stark von den Möglichkeiten der Digitalisierung und Automatisierung, wie sie könnten. Klar, es gibt viele Leuchttürme und Beispiele für exzellente Digitalisierung, aber wir stehen im Grunde erst am Anfang der digitalen Transformation. Ich kenne sehr erfolgreiche Unternehmen, deren Prozesse noch nicht einmal durchgängig durch Computer unterstützt werden.

Digitalisierung muss immer bei einem richtigen Problem beginnen.

Was sind die Gründe dafür?
Einer lautet, dass Digitalisierung immer bei einem richtigen Problem beginnen muss. Denn nur, wenn die Digitalisierung eines Prozesses wirklich einen Nutzen stiftet, findet sich auch die nötige Unterstützung beim Management. Hier zeigt sich aber, dass es den deutschen Unternehmen noch immer vergleichsweise gut geht. Eine flächendeckende Computerisierung – sozusagen die Industrie 3.0 – wäre aber die technologische Voraussetzung für Vernetzung und Automatisierung. Hier sehe ich daher die Universitäten und Forschungsinstitute in der Pflicht, die Unternehmen darauf hinzuweisen, dass Computerisierung und Digitalisierung sich in nächster Zukunft zum unbedingten Wettbewerbsfaktor entwickeln werden. Und dass deshalb die Unternehmen unbedingt mit der Digitalen Transformation beginnen müssen, um nicht morgen aus dem Markt gedrängt zu werden. Und zwar auch dann, wenn das Problem heute vielleicht noch nicht unmittelbar sichtbar ist.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Entwicklung beim Thema KI?
Hier spüre ich derzeit auf vielen Seiten Unsicherheit. Ähnlich wie bei den Begriffen Digitalisierung oder Industrie 4.0 ist vielen nicht klar, was eigentlich damit gemeint ist. Insofern ist verständlich, dass viele Unternehmen die Angst haben, hier etwas Wichtiges zu verpassen. Gleichzeitig setzen wir und auch viele Unternehmen bereits seit vielen Jahren KI-Lösungen ein, um Prozesse effizienter zu gestalten und automatisieren zu können. Denken Sie etwa an automatische und bildbasierte Prüfung von Schraubenverbindungen oder die selbständige Synchronisation eines mobilen Roboters mit einem Montageband. Im Moment erfährt die Förderung von KI-Forschung in Deutschland zwar einen enormen Schub. Dennoch ist es grundsätzlich so, dass in allen Forschungsbereichen viel weniger Geld zur Verfügung steht als in China und in den USA.

Drohen wir den Anschluss zu verlieren?
Nicht unbedingt, denn entscheidend ist auch, wie effizient diese Förderung anschließend in Ergebnisse überführt wird. Und darin ist Deutschland meiner Meinung nach hervorragend.

Etwa müssen wir darüber diskutieren, ob wir wollen, dass KI die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters beurteilt oder Bewerbungsunterlagen vorselektiert.

Wenn Sie es auf den Punkt bringen sollen: Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz im Bereich des Digital Engineering?
Künstliche Intelligenz ist eine der zentralen Technologien für die durchgängige Digitalisierung und Automatisierung in der industriellen Fertigung. Sie wird es erlauben, dass wir zukünftig nicht nur mit digitalen Schatten, sondern mit echten digitalen Zwillingen arbeiten können und so unsere Fabriken effizienter und robuster gegen Störungen werden. Gleichzeitig müssen wir als Gesellschaft klare Grenzen definieren, in welchen Bereichen und für welche Aufgaben wir KI einsetzen wollen – und wo eben nicht. Etwa müssen wir darüber diskutieren, ob wir wollen, dass KI die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters beurteilt oder Bewerbungsunterlagen vorselektiert.

Die Erderwärmung ist auch für Unternehmen das zentrale Thema der kommenden Jahre. Welche Potenziale bieten KI-Lösungen, um die Produktion nachhaltiger zu machen, bis hin zur Klimaneutralität?
KI wird hier eine zentrale Rolle spielen. KI hilft schon heute, Produktionsanalagen besser auszulasten, die Prozesse von Lieferanten, Produzenten und Kunden aufeinander abzustimmen und so Lagerbestände oder umgekehrt Transporte und damit Verkehr zu reduzieren. Sie wird in Technologien für die Null-Fehler-Produktion eingesetzt, was zu erheblichen Ressourceneinsparungen führt. Wir nutzen sie auch, um energieintensive Produktionsprozesse, zum Beispiel in Gießereien, so zu steuern, dass sie deutlich weniger Energie benötigen und viel weniger CO2 erzeugen.

Welche Rolle wird die junge Generation spielen, wenn es darum geht, KI-Lösungen in Unternehmen zu etablieren?
Für viele aus der jungen Generation ist Digitalisierung und damit die Unterstützung von Arbeitsprozessen und Entscheidungen etwas Selbst verständliches. Studierende lernen viel selbstverständlicher das Programmieren. Die Bereitschaft, eine KI als Teil der eigenen Arbeit oder gar als Partner im Arbeitsalltag zu akzeptieren, wird damit deutlich wachsen. Gleichzeitig kann es den Digital-affineren an Verständnis fehlen, dass die Prozesse und Strukturen in unseren bestehenden Fabriken oft noch analog sind. Da mag es zwar leicht zu erkennen sein, wie ein Prozess besser organisiert wäre. Möglicherweise fällt es aber schwer, zu sehen, wie bei solchen Veränderungen auch die noch nicht so digital-affinen Mitarbeiter mitzunehmen sind – und welche Hemmnisse es gibt.

Zum Fraunhofer IFF

Das Fraunhofer IFF versteht sich als Technologiepartner für die Großindustrie, den Mittelstand und kleine Unternehmen der Produktions- und Dienstleistungsbranchen sowie für die öffentliche Hand. Die Wissenschaftler*innen der international agierenden Forschungs einrichtung unterstützen die Industrie beim Planen, Entwickeln, Ausrüsten und Betreiben von Arbeits-, Produktions- und Logistiksystemen sowie deren versorgenden Infrastrukturen. Besonderes Gewicht bekommen hierbei neue Methoden und Technologien des Digital Engineering und ihr umfassender Einsatz bei der Entwicklung, der Herstellung und dem Betrieb von Produkten und Produktionssystemen.

www.iff.fraunhofer.de

 

 

 

Künstliche Intelligenz im Einsatz

Künstliche Intelligenz, kurz KI, läuft bereits in vielen Anwendungen, die wir Menschen täglich nutzen. Und auch in den Unternehmen finden sich schon zahlreiche Beispiele, die zeigen, was KI möglich macht – und welche Vorteile der Einsatz mit sich bringen kann. Von Christoph Berger

Sprachbefehle an das Smartphone zu senden, gehört heute schon zum Alltag. Doch das Ganze geht auch einige Nummern größer. Auf der Fachmesse Laser 2019 in München präsentierte das Technologieunternehmen Trumpf im Rahmen einer Technologiestudie eine Laseranlage, die sich vom Anlagenbediener über Sprachbefehle steuern lässt: „Türe öffnen/schließen“, „Starte den Markiervorgang“ oder „Wie viele Produkte hast du heute markiert?“ können direkt in ein Mikrofon gesprochen werden, und die Laseranlage antwortet und führt die empfangen Befehle aus. Was das bringt, erklärt Christian Schmitz, für die Lasertechnik zuständiger Geschäftsführer bei Trumpf: „Künstliche Intelligenz ist die nächste Stufe der Automatisierung und eine Schlüsseltechnologie für die vernetzte Industrie. KI macht die Produktion mit unseren Lasern in Zukunft noch effizienter, einfacher und anpassungsfähiger.“ So könne die Anlage mit der Sprachsteuerung beispielsweise auch von unerfahrenen Nutzern bedient werden. Oder der Anlagenbediener bereitet während seines Sprachbefehls parallel schon das nächste Bauteil vor beziehungsweise entnimmt eins aus der Anlage. Das spart Zeit. Und auch Menschen mit Handicap erlaubt die Sprachsteuerung einen barrierefreien Umgang mit der Anlage.

Data Science

Die für Data Science notwendigen Fertigkeiten werden detailliert im Arbeitspapier „Data Science: Lern- und Ausbildungsinhalte“ (PDF) erläutert. 

Wie stark der Einfluss Künstlicher Intelligenz auf die industrielle Fertigung ist, wurde auf der letztjährigen Hannover Messe erkennbar – über 500 KI-Beispiele wurden für den Bereich vorgestellt. Die Analysten des Beratungsunternehmens Frost und Sullivan sprechen gar von einem Wendepunkt für die Industrie, wenn es um den derzeitigen Einfluss Künstlicher Intelligenz auf die Industrie geht. Der werde dieses Jahr, also 2020, einsetzen, da nun die nächste Welle kognitiver, automatisierter und immersiver Technologien die Art und Weise, wie wir Geschäfte machen, grundlegend verändern werde. Mit Blick auf das vor uns liegende Jahrzehnt erwartet Richard Wong, Vizepräsident bei Frost und Sullivan‘s ICT Asia-Pacific Practice, dass das exponentielle Wachstum großer Datenmengen zur Entwicklung fortschrittlicher KI-Anwendungen beitragen wird. In Branchen wie der Fertigung, dem Gesundheitswesen, dem Einzelhandel und dem öffentlichen Sektor sei KI bereits weit verbreitet. Gleichwohl sieht auch er noch zu bewältigende Herausforderungen: KI sei eine der wenigen Technologien, die einen multidisziplinären Ansatz erfordere, der Bereiche wie die Soziologie und Philosophie umfasse, um den Erfolg zu sichern. Da KI nach derzeitigem Stand stark von Daten abhängig sei, seien es Fragen nach Datenschutz, Ethik und Governance, die jetzt angegangen werden müssten.

KI in allen Branchen und Bereichen

Bereits seit 2018 setzt der Automobilhersteller BMW verschiedene Anwendungen aus dem Bereich der KI in der Serienproduktion ein. Zum Beispiel in einem automatisierten Bilderkennungsverfahren. In der laufenden Produktion wertet Künstliche Intelligenz die Bilder eines Bauteils aus und gleicht sie in Millisekunden mit hunderten anderen Bildern der gleichen Sequenz ab. So ermittelt sie in Echtzeit Abweichungen von der Norm und prüft, ob beispielsweise alle vorgesehenen Teile verbaut oder an der richtigen Stelle montiert sind.

Doch es ist längst nicht nur die Industrie, die vermehrt auf Künstliche Intelligenz setzt. In vielen Branchen wird der KI-Einsatz getestet, kommt es zu konkreten Anwendungen. In der Medizin zum Beispiel möchte man sich die neuen auf KI basierenden Möglichkeiten schon überhaupt nicht mehr wegdenken. Etwa in der Behandlung von Krebs, einer höchst individuellen Krankheit, bei der jeder Patient eine persönlich zugeschnittene Therapie braucht. Um dies zu ermöglichen, nehmen Wissenschaftler am Berlin Instiute of Health (BIH) in verschiedenen Projekten die Hilfe von Künstlicher Intelligenz in Anspruch. Durch ihren Einsatz können sie einzelne Krebszellen mit höchster Detailschärfe charakterisieren, die passenden Medikamente für Patienten auswählen und eine Krankenakte speziell für Krebspatienten entwickeln, die sie auf ihrem oft langen Krankheitsweg begleitet und alle Krankheits- und Behandlungsdaten aufnimmt.

Studie „Künstliche Intelligenz in Unternehmen“

Das Beratungsunternehmen PwC hat im Rahmen der Studie „Künstliche Intelligenz in Unternehmen“ untersucht, ob und wo Unternehmen KI einsetzen, was sie benötigen, um von KI zu profitieren und wer die internen Treiber und „Schadenswächter“ für KI sind.

Oder: Im Februar 2020 gaben das britische Biotech-Unternehmen Exscientia und das japanische Pharmaunternehmen Sumitomo Dainippon Pharma das Resultat ihrer Zusammenarbeit bekannt: Gemeinsam habe man mit KI ein Medikament zur Behandlung von Zwangsstörungen hergestellt. Durch KI sei der gesamte Entwicklungsprozess stark verkürzt worden, heißt es. Patienten würden damit schneller zu benötigten Medikamenten kommen.

Das Managen von Daten

Um die Überprüfung der Wasserqualität von Talsperren und Stauseen jederzeit und in Echtzeit geht es in einem Projekt der TU Bergakademie Freiberg. Die Wissenschaftler entwickeln dort spezielle Sensoren, die unter anderem Temperatur, Druck, pH-Wert, Phosphat- oder Quecksilbergehalt sowie Gas- und Feststoffanteile messen können. Ein Sonar soll die Gewässer vom Grund bis zur Oberfläche scannen. Angebracht wird das System an einem autonom fahrenden Schwimmroboter. Bei seiner Fahrt misst er kontinuierlich alle relevanten Daten und sendet diese an eine Basisstation am Ufer. Von dort können die Wissenschaftler sie mit Hilfe künstlicher Intelligenz aufbereiten und in der virtuellen Realität dreidimensional darstellen. Bisher war die Kontrolle der Wasserqualität durch punktuelle Probennahme vor Ort und anschließender Analyse im Labor sehr zeit- und kostenintensiv. Zukünftig sollen kurzfristige ökologische und hydrologische Veränderungen umgehend sichtbar werden.

Deutlich wird bei all den Beispielen – und wie auch Richard Wong sagte: Immer geht es um Daten. Daher hat die die Gesellschaft für Informatik zusammen mit der Plattform Lernende Systeme analysiert, welche Fertigkeiten dazu an Hochschulen und Universitäten, aber auch über Weiterbildungsangebote vermittelt werden sollten. Welches Wissen benötigen Data Scientists? „Grundlage eines Data Scientists sind solide Kenntnisse in Mathematik, Statistik und Informatik. Darauf bauen dann weiterführende Themen wie Datenbanken, Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen auf. Die richtige Mischung dieser Komponenten hängt von der fachlichen Ausrichtung der Studierenden ab“, erklärt Ulf Brefeld, Professor für Maschinelles Lernen an der Leuphana Universität Lüneburg und Mitglied der Plattform Lernende Systeme. Nach dem Studium brauche es dann dedizierte Weiterbildungsprogramme, damit sich Beschäftigte in Unternehmen sowie Arbeitssuchende entsprechend weiterqualifizieren können.

Mensch kommuniziert mit KI, KI mit Mensch

Wer Künstliche Intelligenz nutzen und ihr gleichzeitig vertrauen möchte, muss sich tiefgehend mit der Technologie auseinandersetzen. Denn die Kommunikation mit KI ist keine Einbahnstraße, sondern Interaktion. Von Christoph Berger

Ein Ergebnis des von Bearing Point im Januar 2020 veröffentlichten „Digitalisierungsmonitor 2020“ ist eindeutig: Demnach finden 81 Prozent der 600 befragten Unternehmensvertreter, dass KI menschliches Handeln unterstützen, nicht aber die Autonomie der Menschen verringern soll. Den gleichen Wert erzielen die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen von KI sowie der Privatsphäre und Datenqualitätsmanagement. Doch wer sich einerseits Unterstützung wünscht, andererseits seine Autonomie erhalten will, der muss sich intensiv mit den neuen Entwicklungen auseinandersetzen. Und die Frage klären: Wie lassen sich die Interaktionen und unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit zwischen Menschen und KI sinnvoll gestalten? Antworten darauf liefert beispielsweise eine gemeinsame Studie der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT sowie der Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young).

Prof. Dr. Nils Urbach, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Bayreuth und stellvertretender wissenschaftlicher Leiter der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des FIT, sagt: „Es ist wichtig zu verstehen, wie wir Menschen mit Technologien interagieren werden, die uns auch in komplexen Denkaufgaben unterstützen und dabei individuell auf unsere Gedanken und Gefühle eingehen. Und umgekehrt müssen wir verstehen lernen, wie diese Technologien unsere Handlungen wahrnehmen, interpretieren und darauf reagieren.“ Gegenseitiges Verständnis also? Demnach scheint die Beziehung zwischen Technik und Mensch der zwischen Menschen schon sehr nahe zu kommen. Und das kann sie unter Umständen auch.

Studie

Digitalisierungsmonitor 2020 von Bearing Point

Denn die Berater und Wissenschaftler haben drei Gruppen von Interaktionstypen identifiziert, wobei bei einer KI durch eine hohe Personalisierung und soziale Elemente in der Interaktion als eine Art bester Freund wahrgenommen wird. Bei den beiden anderen übernimmt KI entweder die Rolle eines Automaten wodurch Handlungen des Menschen als eine Art Schutzengel überwacht, abgesichert und bei Bedarf unterstützt werden, oder aber als vielfältiger Helfer. Hierbei werden die Interaktionen umfasst, in denen KI im Hintergrund Arbeiten des Menschen unterstützt, den Menschen bedarfsgetrieben mit Informationen versorgt oder im engen Austausch gemeinsame Ergebnisse erarbeitet werden.

In allen drei Gruppen kommt es also zu einer unterschiedlichen Ausprägung der Wechselseitigkeit. Setzt man nun den Wunsch der durch Bearing Point befragten Unternehmen als das zu erreichende Ziel und legt darüber die Ergebnisse der EY- und FIT-Studie, so ist „KI als Informant“ ein geeigneter Mittelweg: Die Wechselseitigkeit der Interaktion befindet sich auf halber Strecke zwischen gering und hoch, die Handlungsfähigkeit zwischen abhängig handelnd und autonom handelnd.

Blick in die Black Box KI

Bisher konnte folgende Frage nicht beantwortet werden: Wie triff t ein neuronales Netz Entscheidungen? Dabei ist sie entscheidend, fällen mit Künstlicher Intelligenz arbeitende Systeme doch Entscheidungen aufgrund von Verknüpfungen mathematisch defi nierter Einheiten, die vergleichbar sind mit der Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Mit einer neuen Technik kann die Frage jetzt aber beantwortet werden. Und was dies mit dem Pferd „Clever Hans“ zu tun hat, fand Christoph Berger bei seinen Recherchen heraus.

Wie entscheidend KI-Ergebnisse sein können, zeigt sich am Beispiel von Röntgenbildern. Diese werden als Input in ein KI-System gegeben, der Output ist eine Diagnose. Auch beim autonomen Fahren ist das Erfassen von Bildinhalten essentiell, wo Verkehrszeichen, Bäume, Fußgänger und Radfahrer fehlerfrei erkannt werden müssen. Es sind genau diese Situationen, in denen Künstliche Intelligenz absolut sicherheitskritische Problemlösungsstrategien liefern muss. Allerdings war es laut Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut, HHI, und der Technischen Universität Berlin bislang nicht nachvollziehbar, wie KI-Systeme Entscheidungen treffen. „Nicht nur das Ergebnis soll korrekt sein, sondern auch der Lösungsweg“, sagt Dr. Wojciech Samek, Leiter der Forschungsgruppe „Machine Learning“ am Fraunhofer HHI. So habe man bisher darauf vertraut, dass KI-Systeme das richtige tun. Doch im Grund sei das System eine Black Box gewesen, unklar war beziehungsweise ist noch oftmals, ob es sich bei den Ergebnissen wirklich um intelligente Entscheidungen oder „nur“ um statistisch erfolgreiche Verfahren handelt.

Mit LRP visualisieren und interpretieren wir neuronale Netze und andere Machine Learning-Modelle.

Ändern tut sich dies nun durch die von den Forschern entwickelte Methode Spectral Relevance Analysis (SpRAy), die auf der Technik Layer-Wise Relevance Propagation (LRP) basiert. Sie macht KI-Prognosen erklärbar und deckt unsichere Problemlösungsstrategien auf – unter anderem erkennt sie in riesigen Datensätzen unerwünschte Entscheidungen. SpRAy identifiziert und quantifiziert somit ein breites Spektrum erlernter Entscheidungsverhalten. „Mit LRP visualisieren und interpretieren wir neuronale Netze und andere Machine Learning-Modelle. Mit LRP messen wir den Einfluss jeder Eingangsvariablen für die Gesamtvorhersage und zerlegen die Entscheidungen des Klassifizierers“, ergänzt Dr. Klaus-Robert Müller, Professor für Maschinelles Lernen an der TU Berlin. Denn nur wer versteht, wie neuronale Netze funktionieren, kann deren Ergebnissen auch vertrauen.

Dass die Lösungswege von KI-Systemen nicht immer sinnvoll sind, ergaben Tests, die von den Forschern im Rahmen einer Studie durchgeführt wurden. So stellten sie mit ihrem neuen Verfahren nicht nur bestehende KI-Systeme auf die Probe, sondern quantifizierten diese Systeme auch: Vom naiven Problemlösungsverhalten, über Schummel-Strategien bis hin zu hochelaborierten „intelligenten“ strategischen Lösungsansätzen. Dabei stellten sie fest, dass selbst moderne KI-Systeme nicht immer einen aus menschlicher Perspektive sinnvollen Lösungsweg fanden, sondern bisweilen sogenannte „Clever-Hans-Strategien“ nutzen. Der Kluge Hans (Clever Hans) war ein Pferd, das angeblich rechnen und zählen konnte und in den Jahren um 1900 als wissenschaftliche Sensation galt. Wie sich später herausstellte, beherrschte Hans nicht die Mathematik, sondern konnte in etwa 90 Prozent der Fälle die richtige Antwort aus der Reaktion des Fragestellers ableiten. Ähnliche „Clever Hans“-Lösungsstrategien konnten Klaus-Robert Müller und Wojciech Samek mit ihren Kollegen und Kolleginnen auch bei verschiedenen KI-Systemen finden.