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Urteil anhand der Kleidung

Es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde. Doch genau in dieser Zeitfrequenz entscheidet sich laut einer aktuellen Studie, wie kompetent Menschen ihr gegenüber einschätzen. Entscheidend ist dabei die Kleidung, weniger Wissen und Fähigkeiten. Von Christoph Berger

Wissenschaftler der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs an der Princeton University fanden in mehreren Studien heraus, dass Menschen die Kompetenz anderer anhand derer Kleidung bewerten. Die Urteile werden dabei innerhalb von Millisekunden getroffen und basieren auf rein ökonomischen Annahmen: Je teurer die Kleidung zu sein scheint, desto kompetenter wird eine Gesprächspartnerin oder ein Gesprächspartner eingeschätzt. Beziehungsweise: Menschen aus sozial schwächeren Verhältnissen können Schwierigkeiten dabei bekommen, andere von ihren Fähigkeiten zu überzeugen.

Um zu ihren Ergebnissen zu kommen, wählten die Forscher immer wieder unterschiedliche Versuchsanordnungen. Vor allem versuchten sie, den Faktor bei der Entscheidungsfindung der Teilnehmer auszuschließen. Doch ungeachtet der Änderungen blieben die Ergebnisse konsistent: Die den Studienteilnehmern gezeigten Gesichter wurden als signifikant kompetenter beurteilt, wenn die Kleidung als „reicher“ beziehungsweise „teurer“ empfunden wurde. Diese Urteile wurden fast immer direkt gefällt, auch dann, wenn den Befragten mehr Zeit für ihre Einschätzung zur Verfügung stand. Und ebenso, wenn sie Informationen über den Beruf oder das Einkommen einer Person im Vorfeld bekommen hatten, wenn die Kleidung formell oder informell war oder wenn ihnen ein monetärer Anreiz geboten wurde, die Beurteilungen unabhängig von der Kleidung zu treffen.

Um eine Voreingenommenheit zu überwinden, muss man sich nicht nur dessen bewusst sein, sondern auch die Zeit, die Aufmerksamkeitsressourcen und die Motivation haben, der Voreingenommenheit entgegenzuwirken

Die Wissenschaftler, deren Studie im Wissenschaftsjournal Nature Human Behaviour veröffentlicht wurde, kamen darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass sich derartige Urteile nur schwer vermeiden lassen. „Um eine Voreingenommenheit zu überwinden, muss man sich nicht nur dessen bewusst sein, sondern auch die Zeit, die Aufmerksamkeitsressourcen und die Motivation haben, der Voreingenommenheit entgegenzuwirken“, schreiben sie. Aber immerhin sei es schon ein erster Schritt bei der Überwindung von Voreingenommenheit, sich dieser bewusst zu sein. Ebenso müsse es ein Ziel zukünftiger psychologischer Arbeit sein, die ersten Eindrücke zu überwinden. Eine Zwischenlösung könnte es sein, auch wenn sie unzureichend ist, eine Exposition zu vermeiden – so würden beispielsweise akademische Abteilungen schon lange wissen, dass eine Einstellung ohne Vorstellungsgespräch bessere Wissenschaftler hervorbringen kann.

Doch momentan, so die Forscher, seien in Armut lebende Menschen noch mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Eldar Shafir, Professor für Verhaltenswissenschaften und öffentliche Politik und Mitautor der Studie spricht in diesem Zusammenhang gar von einer Respektlosigkeit und Missachtung: „Wir haben festgestellt, dass eine solche Respektlosigkeit eindeutig unbegründet ist, da in diesen Studien das identische Gesicht als weniger kompetent angesehen wurde, wenn es mit ärmerer Kleidung erschien.“ In der ersten Zehntelsekunde einer Begegnung sei dieses Urteil gefällt worden.

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