Die Megatrends Globalisierung, Digitalisierung oder demografischer Wandel verändern nicht nur unsere gesamte Gesellschaft, die Unternehmen und deren Geschäftsmodelle, sie führen auch zu neuen rechtlichen Fragen, die zu klären sind. In diesem vom Wandel geprägten Umfeld ergeben sich viele für Anwälte herausfordernde und spannende Aufgaben. karriereführer recht hat nachgefragt: Welche neuen Themen ergeben sich durch die vielfältigen Veränderungen – und welche klassischen Rechtsbereiche gewinnen an Bedeutung?
Wirtschaftsrecht war schon immer ein juristisches Gebiet im Wandel. Heute hat das Veränderungstempo weiter zugenommen. Die Digitalisierung treibt die Ökonomie an, politische und soziale Entwicklungen erhöhen die Dynamik weiter. Die Wirtschaftskanzleien reagieren mit Spezialisierungen – mit dem Ziel, alle Trends und Regulierungen im Blick zu haben. Daraus ergeben sich für junge Juristen spannende Aufgaben, zum Beispiel in der Arbeit mit Start-ups oder sich transformierenden Konzernen, im Kartell- oder Zollrecht. Von André Boße
Googelt man den Begriff Volatilität, schlägt die Suchmaschine direkt ein zweites Schlagwort vor: Wirtschaft. Der lateinische Begriff für Flüchtigkeit ist in diesen Zeiten also direkt an die Ökonomie gekoppelt. Die Wirtschaft verändert sich, unterliegt einer Vielzahl von Einflüssen. Und damit wandeln sich auch die Ansprüche, mit denen Unternehmen auf ihre juristischen Berater zukommen. Treiber für die Veränderungen sind die Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung oder demografischer Wandel. Diese Entwicklungen drehen nicht nur an den Stellschrauben der Wirtschaft, sondern definieren Technik und Geschäftsmodelle neu, was in vielen Fällen neue rechtliche Fragen aufwirft, mit denen sich die Wirtschaftskanzleien und ihre Mandanten beschäftigen.
Auf der anderen Seite gibt es politische, technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, die diese Trends unterstützen oder abbremsen. Dabei zeigt sich, dass Wirtschaftsanwälte gut beraten sind, neben dem juristischen Know-how auch das aktuelle Geschehen im Blick zu haben – und zwar weltweit. In der globalen Unternehmenswelt kann jede internationale Entwicklung das Geschäft eines deutschen Mandanten beeinflussen. Es entstehen neue Chancen oder Gefahren, die der Wirtschaftsjurist im Sinne seiner Mandanten auf dem Schirm haben muss.
Der karriereführer recht hat sich in deutschen Wirtschaftskanzleien umgehört und herausgefunden, welche neuen Themen sich durch die vielfältigen Veränderungen ergeben – und welche klassischen Rechtsbereiche an Bedeutung gewinnen, wenn auch unter anderen gesetzlichen Bedingungen. So viel vorweg: Für den Nachwuchs in den Wirtschaftskanzleien ergeben sich durch die Volatilität der Wirtschaft viele reizvolle Arbeitsgebiete.
Wettbewerbsrecht im digitalen Markt
Mit Blick auf das Kartellrecht in Zeiten der Digitalisierung steht mit der 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen eine Änderung bevor. „Das digitale Zeitalter stellt mit seinen rasanten technologischen Entwicklungen neue Herausforderungen an die Wettbewerbspolitik. Gerade internet- und datenbasierte Geschäftsmodelle können schneller zu einer Marktkonzentration führen“, formuliert die Bundesregierung zum Gesetzesvorhaben.
Wichtig auf diesen Märkten sei deshalb, Fusionen besser zu kontrollieren und vor Missbrauch von Marktmacht zu schützen. Der Gesetzesentwurf stelle klar, dass ein Markt im Sinne des Wettbewerbsrechts auch dann vorliegen kann, wenn zwischen den unmittelbar Beteiligten kein Geld fließt. Die Novelle enthält zudem einen Katalog neuer Kriterien, um die Marktstellung von Unternehmen besser zu beurteilen, die auf mehrseitigen Märkten oder in Netzwerken agieren. Quelle: https://goo.gl/2yAVvZ
Juristische Beratung von Start-ups
Als Anwalt den Mandanten duzen? Das Kostüm oder den Zweireiher mit Binder im Schrank lassen? Wer als Wirtschaftsanwalt mit Startup-Unternehmen arbeitet, bekommt es mit einer ganz anderen Kultur als in den Konzernen zu tun. Nicht selten sind die Mandanten ungefähr im gleichen Alter wie die Nachwuchsjuristen, die Stimmung ist locker. „Man darf allerdings nicht glauben, es würde weniger ernsthaft gearbeitet“, sagt Benjamin Ullrich, Assoziierter Partner bei der Wirtschaftskanzlei Flick Gocke Schaumburg in Berlin.
„Junge Entrepreneure, die etwas bewegen wollen, segeln im positiven Sinne hart am Wind und stellen höchste Ansprüche an sich und ihr Team. Gerade weil sie jung und hungrig sind, wird in ihrem Umfeld intensiv und präzise gearbeitet, und das gilt auch für die Anwälte.“ Ein Vorteil der Arbeit mit diesen Mandanten ist, dass man sehr schnell in die Rolle des juristischen Beraters hineinwächst. „In einem Konzern trifft man auf viele Fachabteilungen mit festen Abläufen, zu tun hat man häufig nur mit der Rechtsabteilung. Bei einem Startup ist man als Anwalt Sparringspartner für verschiedenste Themen, oft auch kommerzielle“, sagt Benjamin Ullrich, dessen Kanzlei mit speziell dafür eingeteilten Teams ein großes Portfolio von Startups berät und für diese das Portal „foundersbox.vc“ aufgebaut hat.
Zwar stehen diese Mandate nicht für Transaktionen in Milliardenhöhe. „Häufig haben wir aber mit jungen Unternehmern zu tun, die eine hohe Wertschätzung für erstklassige Beratung mitbringen. Zum Beispiel, weil die Gründer früher selbst in der Beratung tätig waren, oder weil sie bei einem früheren Venture auf rechtliche Probleme gestoßen sind“, beschreibt Ullrich die Ausgangslage. „Die Mandanten wissen daher: Eine schlechte Beratung ist am Ende die teuerste Beratung, darum investieren sie auch in gute Anwälte.“
Was ein junger Anwalt bei der Startup-Beratung mitbringen sollte, ist Freude daran, schnell in der vorderen Reihe zu stehen. „Man muss sich früh eigene Entscheidungen zutrauen, auch wenn noch die Sicherheit fehlt“, sagt Benjamin Ullrich. Wer als Nachwuchskraft dagegen zunächst Teilaufgaben in einem größeren Team bearbeiten wolle, für den sei die Gründerszene nichts.
Digitale Transformation von Unternehmen
Die Kanzlei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare mit Sitz in Essen ist mit derzeit 50 Anwälten die größte Kanzlei des Ruhrgebietes. Zu ihren Mandanten zählen die großen Unternehmen und Konzerne der Region, die sich seit einigen Jahren mit radikalen Wandlungsprozessen beschäftigen, von der Internationalisierung bis hin zur Energiewende. Ein besonders herausforderndes Thema ist die digitale Transformation dieser Unternehmen, wobei mit Blick auf die Industrie die Vernetzung der technischen Anlagen ein bedeutsames Feld ist.
„Es ist absehbar, dass wir mittelfristig viel stärker integrierte Produktionsprozesse haben werden als heute“, sagt Dr. Michael Neupert, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Technikrecht. In Kombination mit der zunehmenden Automatisierung stehen die Unternehmen und ihre juristischen Berater vor der Herausforderung, die vertragliche Regelung sowie die Haftungsfrage für diese automatischen Prozesse zu klären. „Ich bin nicht sicher, ob sich die Wirtschaft schon klar darüber geworden ist, welche grundlegenden Gedanken man sich machen muss, um hier nicht später mühsam den technischen Entwicklungen juristisch hinterherzulaufen“, sagt Neupert.
Die Rolle des Anwaltes ist es, den Unternehmen bei der Verwirklichung der Chancen, die sich aus dem technischen Fortschritt ergeben, Rechtssicherheit zu garantieren. „Die Juristen müssen deshalb eng mit den operativen Abteilungen zusammenarbeiten“, fordert Neupert. Nur so lasse sich verhindern, dass die Anwälte nicht als „theoretisierende Bedenkenträger“ wahrgenommen und schlimmstenfalls gar nicht erst befragt werden. Zwar sei es wichtig, bei dieser Arbeit ein gewisses technisches Interesse mitzubringen, am wichtigsten blieben jedoch die juristischen Kompetenzen. Neupert: „Mit den technischen Aspekten kennen sich die Mandanten in aller Regel selbst gut aus. Gute Juristen sind gerade deshalb gute Juristen, weil sie in komplexen Sachverhalten abstrahierbare Muster erkennen.“
Kartellrecht mit direktem Draht nach Brüssel
Wenn sich Unternehmen im Brüsseler Büro der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz vorstellen, bringen sie in der Regel Expansionspläne mit oder stehen wegen Kartellabsprachen am Pranger. Der auf Kartellrecht spezialisierte Anwalt Silvio Cappellari stellt für seine Mandanten einen direkten Draht zur EU-Kommission her. Seine Aufgaben: Übernahmen ermöglichen, Bußgelder herunterhandeln, Prüfungen der Kommission möglichst vorteilhaft für seine Mandanten gestalten.
„Follow-On“-Klagen
Als „Follow-On“-Klagen bezeichnet man Schadensersatzklagen, die seitens kartellgeschädigter Unternehmen erhoben werden. Hat ein Mandant also Ärger mit dem Kartellrecht, sind diese „Follow-On“-Klagen im Nachgang an ein Urteil ein weiteres Problem. „Wir Kartellrechtler arbeiten bei der Abwehr solcher Schadensersatzklagen eng mit unseren Litigation-Experten sowie externen Ökonomen zusammen“, sagt Silvio Cappellari von der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz. Er schätzt, dass sich auf Dauer auch in Europa ein hochspezialisiertes Berufsfeld für „Antitrust Litigators“ entwickeln wird, das in den USA und teilweise auch in Großbritannien bereits existiert.
Klingt nach Routine, doch das Kartellrecht wandelt sich derzeit rasant. Ein Grund ist die Digitalisierung, die eine Fülle von Veränderungen mit sich bringt. Zum Beispiel mit Blick auf den Online-Handel, wo „Bestpreis“-Klauseln von Buchungsportalen oder das Thema Geo-Blocking die Juristen beschäftigen. „Zudem ergeben sich zusätzliche Aspekte für die Beurteilung der Marktposition von Unternehmen in der digitalen Welt“, sagt Silvio Cappellari: Wie stark zum Beispiel muss die Marktmacht bewertet werden, die sich aus Themen wie „Big Data“ oder Netzwerkeffekten ergibt?
Zudem werde es immer wichtiger für einen Kartellanwalt, ein Netzwerk von kartellrechtlichen Experten in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU und darüber hinaus aufzubauen. „Dies gilt zum Beispiel im Bereich der Fusionskontrolle: Durch die effiziente Koordination der Anmeldungen in den verschiedenen Jurisdiktionen kann der Mandant viel Zeit und Geld sparen“, sagt Cappellari. Internationale Kooperation rücke zudem im Bereich der behördlichen Kartellverfahren in den Vordergrund. „Daher versteht es sich von selbst, dass zum Rüstzeug eines jungen Kartellanwalts verhandlungssicheres Englisch gehört. Darüber hinausgehende Sprachkenntnisse sind ein wichtiger Pluspunkt“, so der Kartellrechtsspezialist.
Zollrecht verbindet Recht mit IT
Ein offenes Europa, eine Reihe von internationalen Freihandelsabkommen – die Bedeutung des Zollrechts schien zurückzugehen. Doch spätestens die Entscheidungen pro Brexit und der Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trumps, die Zölle für Einfuhren zu erhöhen, zeigen, dass dieser Rechtsbereich wichtig bleibt. „Alle Unternehmen, die Waren über Grenzen hinaus liefern, werden sich damit beschäftigen müssen“, sagt Eva Rehberg, Zollrechts-Expertin bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ebner Stolz, bei der viele Anwälte in der Rechtsberatung tätig sind.
Die Arbeit im Zollrecht unterteilt sich in zwei Bereiche, die Abwehr- sowie die Gestaltungsberatung. „Erstere ist eher in die Vergangenheit gerichtet“, sagt Eva Rehberg. Die Juristen unterstützen ihre Mandanten bei Prüfungen durch die Zollbehörde oder begleiten sie im Rahmen von Bußgeld- und Strafverfahren. „Die Gestaltungsberatung ist dagegen eher perspektivisch ausgerichtet“, so die Zollrechtsexpertin. Juristen arbeiten mit den Mandanten zum Beispiel an den Fragen, wie sich das Unternehmen im Zollbereich optimal organisieren lässt und wie Compliance gewährleistet werden kann.
Zwar hat die Digitalisierung in diesem Rechtsbereich vergleichsweise spät Einzug gehalten, dafür ist sie heute sehr weit fortgeschritten. „Zollanmeldungen für die Einfuhr oder Ausfuhr von Waren werden nicht mehr auf Papier abgegeben, sondern über ein spezielles IT-System. Bei den Zollprüfungen kommen Datenanalysetools zum Einsatz, die Mandanten erstellen ihre Anmeldungen ebenfalls mit Hilfe der IT“, sagt Eva Rehberg. Auf Juristen, die im Bereich Zoll tätig sein möchten, komme daher eine spannende Mischung aus „klassischer juristischer Arbeit und IT-Prozessen zu“, wie Eva Rehberg sagt. „Der Nachwuchs sollte neben den juristischen Kenntnissen eine Affinität zu Zahlen, Daten und ITSystemen mitbringen.“
Buchtipp
Der Unionszollkodex, Bundesanzeiger
Durch den Unionszollkodex ist eine Reform gelungen, die die Rahmenbedingungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs erheblich verändert. Das Buch liefert einen Überblick über die Struktur und den Aufbau des neuen Rechts und vermittelt die Prinzipien und Hintergründe der Modernisierung. So und über einen Abgleich mit den Vorgängerregelungen des Zollkodex sind die zahlreichen Neuerungen zu verstehen. Peter Witte, Reginhard Henke, Nadja Kammerzell: Der Unionszollkodex (UZK). Bundesanzeiger 2017. 39,80 Euro.
Wie sind die Rechtsabteilungen auf die digitale Transformation vorbereitet, welche Herausforderungen und Risiken verbinden sie mit dem Wandel und welche Themenfelder und Rechtsgebiete sind am meisten betroffen? In einer Studie wurden Antworten auf diese Fragen gesucht. Von Christoph Berger
Die Mehrheit von 305 befragten Rechtsabteilungen – genauer: 70 Prozent, sehen einen starken Einfluss der digitalen Transformation auf ihr Unternehmen und ihre Rechtsabteilungen – wobei 62 Prozent diesen überwiegend positiv bewerten. Rund 73 Prozent der Befragten gehen sogar davon aus, dass ein steigender Bedarf an digital kompetenten Juristen zusätzliche Jobs in den Rechtsabteilungen schaffen wird. Dies sind Ergebnisse der vom Bundesverband der Unternehmensjuristen e. V. (BUJ) und der Wirtschaftskanzlei CMS durchgeführten Studie „Digital Economy & Recht“.
So haben die Unternehmensjuristen laut BUJ-Geschäftsführerin Marie-Alix Freifrau Ebner von Eschenbach erkannt, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und innovativen Legal-Tech-Produkten wiederkehrende Standardaufgaben rund um die Vertragsgestaltung und -kommentierung übernehmen kann und damit eine Qualitäts- und Effizienzsteigerung in der Rechtsberatung ermöglicht. Was die Frage nach neuen Rechtsfragen betrifft, erwarten 85 Prozent höhere Anforderungen an das Know-how bei spezifischen Rechtsgebieten wie dem Datenschutz und der IT-Sicherheit sowie bei Haftungs- und Regulierungsfragen.
Zweidrittel der Studienteilnehmer prognostizieren, dass sich die Rechtabteilungen künftig verstärkt auf neue Themen und Geschäftsmodelle einstellen müssen. Zudem werden zukünftig neue rechtliche Fragestellungen häufiger interdisziplinär im gemeinsamen Diskurs zwischen Juristen und Fachabteilungen zu lösen sein, sind sich die Studieninitiatoren sicher.
Ebenso werde bei Produktentwicklungsprozessen eine frühe Einbindung von Juristen unerlässlich sein. Auch wenn die Zeichen der Zeit erkannt sind und die Unternehmensjuristen die mit der Digitalisierung verbundenen Herausforderungen angenommen zu haben scheinen, beurteilen sie den Rechtsstandort Deutschland diesbezüglich eher kritisch. So bewerten sie die Vorbereitung auf die Digitalisierung aufgrund einer zögerlichen Haltung beim Einsatz neuer Technologien, fehlender Technikaffinität und einer wenig fortschrittlichen Denkweise nur befriedigend.
Das betrifft laut ihrer Einschätzung oftmals auch das eigene Unternehmen. Hier werden zu geringe Budgets und das Fehlen von dringend erforderlichen Ressourcen als Haupthinderungsgründe einer adäquaten Vorbereitung genannt. Außerdem werde das Thema Digitalisierung noch zu wenig durchdrungen, sodass notwendige Schlüsse für Veränderung ausbleiben würden. Doch immerhin planen neun Prozent der Rechtsabteilungen, so ein weiteres Ergebnis, höhere Ausgaben für die Digitalisierung ein
Ob autonome Autos, Kühlschränke mit Bestellfunktion oder Roboter – die künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant. Die Juristen fangen allerdings gerade erst damit an, sich mit den komplexen rechtlichen Fragestellungen zu beschäftigen. Ein Gastbeitrag von Claudia Behrend, Diplom-Juristin und freie Journalistin
Was passiert, wenn ein Kühlschrank statt drei Joghurts 3.000 bestellt? Wer haftet, wenn ein Parkinson-Patient durch seinen Hirnschrittmacher spielsüchtig wird oder eine intelligente Armprothese einen Menschen schlägt? Soll ein autonom fahrendes Auto als Unfallverursacher bestraft werden können? Und haben Roboter überhaupt eigene Rechte und Pflichten? Stehen ihnen gar Menschenrechte zu? Und was würde es bringen, sie zu bestrafen? Auf diese und viele andere Fragen haben die Juristen noch keine abschließenden Antworten gefunden. Das Roboterrecht steckt noch in den Kinderschuhen, bietet aber ein spannendes neues Spielfeld.
Denn so rasant wie sich die Technik entwickelt, ist völlig unklar, ob und wann Roboter nicht nur menschliche Züge tragen, sondern sich mit zunehmender Intelligenz selbstständig zu Humanoiden weiterentwickeln und so etwas wie ein autarkes „Leben“ führen. Daraus ergeben sich neben den juristischen auch philosophische und ethische Fragen wie: Was macht den Mensch zum Menschen und was unterscheidet ihn vom Humanoiden? Was bedeutet es, wenn eine Maschine selbstständig Entscheidungen trifft?
Dafür klare Rechtsgrundlagen zu schaffen, also Verantwortung zuzuweisen und rechtlich geschützte Interessen vor Beeinträchtigungen zu bewahren, ist eine Kernaufgabe des Rechts. Dabei sind vom Zivilrecht über das Strafrecht bis zum Öffentlichen Recht alle Rechtsgebiete betroffen. Umso mehr verwundert es, dass es in Deutschland bisher keine zentrale Stelle gibt, die sich übergreifend mit den grundlegenden juristischen Fragestellungen beschäftigt. Noch kümmert sich beispielsweise das Bundesjustizministerium vor allem um das Recht des geistigen Eigentums und das Haftungsrecht. Hinkt also das Recht der technischen Entwicklung hinterher?
„Es ist nicht polemisch, zu formulieren, dass die Juristen das Thema verschlafen haben“, bestätigt Thomas Klindt, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Noerr sowie Professor an der Universität Bayreuth, der sich intensiv mit dem Roboterrecht beschäftigt. Auf EU-Ebene hat sich indes der Rechtsausschuss intensiv mit zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik auseinandergesetzt. Im Februar haben seine Mitglieder einen Bericht mit Empfehlungen an die Kommission eingereicht. Gefordert wird darin, dass ein Register für Roboter und eine Agentur für Robotik eingerichtet werden, die die Grundsätze zur zivilrechtlichen Haftung für von Robotern verursachte Schäden festlegt. Ob dies ein erster Schritt zu einem eigenständigen Roboterrecht ist, wird sich zeigen.
Am 1. Januar 2016 trat das sogenannte E-Health-Gesetz in Kraft, das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“. Ein Fahrplan dazu sieht vor, dass bis Mitte 2018 Arztpraxen und Krankenhäuser flächendeckend an eine Telematik-Infrastruktur angeschlossen sein sollen. Mit dem Gesetz soll die Gesundheitsversorgung der Patienten verbessert und ihre Selbstbestimmung gestärkt werden. Damit sind auch juristische Herausforderungen verbunden. Von Christoph Berger
Das E-Health-Gesetz sieht eine schrittweise Einführung der Anwendungen auf der elektronischen Gesundheitskarte vor. In einem ersten Schritt erfolgt die Speicherung administrativer Daten der Versicherten, wie beispielsweise Name, Geburtsdatum und Anschrift sowie Angaben zur Krankenversicherung. Zudem enthält die elektronische Gesundheitskarte ein Lichtbild. Eine Neuerung im Vergleich zur Krankenversichertenkarte ist auch die Angabe zum Geschlecht. Zudem kann die Rückseite der elektronischen Gesundheitskarte für die „Europäische Krankenversichertenkarte“ verwendet werden.
In einem nächsten Schritt ist die Durchführung eines Online-Abgleichs der auf der Gesundheitskarte gespeicherten Versichertenstammdaten mit denen bei der Krankenkasse vorliegenden aktuellen Daten des Versicherten vorgesehen, das sogenannte Versichertenstammdatenmanagement. Zudem sieht das E-Health-Gesetz die Einführung weiterer Anwendungen vor. Laut der bei der Kanzlei Lyck + Pätzold healthcare.recht auf E-Health-Compliance, Pharmarecht und die Digitalisierung des Gesundheitswesens spezialisierten Anwältin Stephanie Lamp gehören dazu beispielsweise Medikationspläne, lebensrettende Notfalldaten, wie zum Beispiel Blutgruppe, chronische Leiden oder Allergien, der elektronische Arztbrief, Videosprechstunden, die elektronische Patientenakte sowie das elektronische Patientenfach. Dabei sind alle medizinischen Anwendungen für die Versicherten freiwillig.
Buchtipp
eHealth in Deutschland, Springer
In dem Buch „eHealth in Deutschland“ wird ein Überblick über Potenziale und Herausforderungen von E-Health im deutschen Kontext gegeben. Dabei werden aus interdisziplinärer Sicht auch die Grundlagen und Voraussetzungen dargestellt, wie zum Beispiel technische Standards, rechtliche Rahmenbedingungen sowie Aspekte in Bezug auf Qualität und Finanzierung von E-Health Anwendungen. Florian Fischer, Alexander Krämer (Hrsg.): e-Health in Deutschland. Springer Vieweg 2016. 59,99 Euro
Für Lamp ist klar, dass mit dem Gesetz der Fortschritt im Gesundheitswesen vorangetrieben wird, der Patientennutzen und Datenschutz stehen dabei im Mittelpunkt. Schließlich werde durch eine sichere digitale Infrastruktur die Gesundheitsversorgung und Selbstbestimmung der Patienten gestärkt. Sie sagt: “Nun ist es die Aufgabe der Ärzte, Krankenkassen sowie der Industrie, diese gesetzlichen Rahmenbedingungen schnellstmöglich im Interesse der Patienten umzusetzen.“
Denn was sich erstmal nach einer vor allem technischen Aufgabe anhört, birgt auch im juristischen Bereich zahlreiche Herausforderungen. Dr. Albrecht Wienke, Fachanwalt für Medizinrecht, sowie seine Kollegin Ines Martenstein von der Kölner Kanzlei Wienke & Becker merken an, dass der Zugriff auf die Daten der Gesundheitskarte nur zum Zwecke der medizinischen Versorgung und nur durch einen engen, gesetzlich festgelegten Personenkreis, insbesondere durch Ärzte und Zahnärzte, erfolgen darf. Sie erklären:
„Um auf die medizinischen Daten der Gesundheitskarte zugreifen zu können, gilt das sogenannte Zwei-Schlüssel-Prinzip: Sowohl der elektronische Heilberufsausweis des Arztes als auch die elektronische Gesundheitskarte des Patienten sind notwendig, um Zugriff auf Daten zu haben. Der Patient stimmt dem Zugriff des Arztes zu, indem er seine Gesundheitskarte in das Kartenlesegerät des Arztes steckt und seine PIN eingibt.“ Eine Ausnahme, so die Anwälte, bestehe bei Notfalldaten und, wenn der Patient dies wünsche, dem Medikationsplan.
Auch Stephanie Lamp sieht im Datenschutz den größten Schwerpunkt für Juristen im Zusammenhang mit dem E-Health-Gesetz. Sie beschreibt folgende zu gehende Gratwanderung: „Dabei dürfen einerseits die Grenzen für die Erhebung und Nutzung personenbezogener Daten nicht zu locker definiert sein, damit unrechtmäßige Eingriffe in Bürgerrechte – speziell in die informationelle Selbstbestimmung – verhindert werden. Andererseits dürfen diese Grenzen aber auch nicht zu eng gezogen werden, damit die wirtschaftlichen Potenziale, die gerade angesichts der demografischen Entwicklung nötig sind, nicht schon im Keim erstickt werden.“ Zudem brauche es einen gesellschaftlichen Konsens für den Umgang mit personenbezogenen Daten, der in einem konsistenten Rechtsrahmen verankert werde.
Als weitere Herausforderungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen nennt sie Fragen der Haftung, der Zulässigkeit ärztlicher Berufsausübung und der Vergütung bei grenzüberschreitenden Patienten, Waren und Dienstleistungen. Nicht endgültig geklärt sei beispielsweise auch die Frage, ob der entfernt wohnende Spezialist, der über Telemedizin dem Patienten zugeschaltet wird, zur Hilfe verpflichtet ist und gegebenenfalls möglicher Täter einer unterlassenen Hilfeleistung werden kann. Darüber hinaus würden sich Zulassungs- und Haftungsfragen im Zusammenhang mit interoperablen IT- und Medizintechniksystemen, Regelungsdefizite im Rahmen der Behandlung medizinischer Software als Medizinprodukt, Abgrenzungsfragen zur Haftung für fehlerhafte Software oder Unsicherheiten bei der Einordnung von Wearables, Gesundheits-Apps und weiteren M-Health-Anwendungen ergeben.
Das E-Health-Gesetz
Das Bundesministerium für Gesundheit hat eine Informationsseite im Internet aufgebaut, auf der das Gesetz, die elektronische Gesundheitskarte, wichtige Glossarbegriffe und weitere Informationen zu dem Thema aufbereitet zur Verfügung gestellt werden. www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/e-health-gesetz.html
Und schließlich gebe es noch komplexe Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Umgang berufsrechtlicher Regelungen deutscher (Zahn-)Ärzte mit dem berufsrechtlichen Fernbehandlungsverbot, Abgrenzungsfragen zur Haftung bei Beteiligung mehrerer Leistungserbringer an der (Fern-)Diagnose und (Fern-)Behandlung. Wirtschaftlich seien Grundlagen zur Abrechnungs- und Erstattungsfähigkeit telemedizinischer Leistungen zu klären.
Und welche Möglichkeiten ergeben sich aus dem E-Health-Gesetz und der zunehmenden Digitalisierung für junge Anwälte? Stephanie Lamp sagt: „Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist ein stark wachsender Zukunftsmarkt – auch für Juristen.“ Denn mit dem Markt wachse zunehmend auch die Nachfrage nach Rechtsexperten auf dem Gebiet. Außerdem, so fügt sie an: „Die Rechtsberatung auf dem Gebiet des E-Health wird dabei sowohl von Patienten, Ärzten und Angehörigen medizinischer Berufe, Krankenhausbetreibern, der öffentlichen Verwaltung sowie Life Science Industrie in Anspruch genommen, sodass auch das Beratungsspektrum für Anwälte sehr vielseitig ist.“
Seit 2005 ist Bertram Hilgen Oberbürgermeister der Stadt Kassel. Für den Volljuristen ist das ein verantwortungsvoller Job mit einem besonderen Zusatzposten: Der Kasseler OB ist auch Vorsitzender des Aufsichtsrats der in diesem Jahr zum 14. Mal stattfindenden documenta, einer der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihen für zeitgenössische Kunst. Im Interview erzählt der 63-Jährige, warum Juristen in der Verwaltung gut aufgehoben sind, was Künstler von Juristen lernen können – und umgekehrt. Die Fragen stellte André Boße.
Zur Person
Bertram Hilgen, 1954 in Tann bei Fulda geboren, studierte in Marburg Rechts- und Politikwissenschaften. Nach der zweiten juristischen Staatsprüfung begann er 1980 seine berufliche Laufbahn in der Stadtverwaltung von Kassel. 1986 übernahm Hilgen die Leitung des Rechtsamtes. 1991 ging der SPD-Politiker zusammen mit seinem Mentor und Förderer Hans Eichel nach Wiesbaden, wo dieser zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. 1996 kehrte Bertram Hilgen nach Kassel zurück, wurde Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel und leitete das Kommunale Gebietsrechenzentrum Kassel. 2005 wurde er erstmals zum Oberbürgermeister gewählt. Als solcher ist Hilgen auch Vorsitzender des Aufsichtsrats der documenta.
Herr Hilgen, was waren damals Ihre wichtigsten Beweggründe für ein Jura-Studium?
Mein älterer Bruder hatte Jura studiert. So bekam ich früh einen ersten Eindruck von diesem Studium. Außerdem hat mir die Berufsberatung des Arbeitsamtes eine juristische Ausbildung empfohlen, weil ich in Deutsch und Mathematik ziemlich gute Abiturnoten vorlegen konnte.
Ab wann stand für Sie fest, dass Sie keine Karriere in einer Kanzlei oder im Gericht verfolgen möchten, sondern in der Verwaltung?
Während meines juristischen Referendariates habe ich die unterschiedlichen Berufsfelder eines Volljuristen kennengelernt. Schon damals war das Öffentliche Recht mein Steckenpferd. Dass ich 1980 dann in der Kasseler Stadtverwaltung meine erste Stelle angetreten habe, lag an dem damaligen Oberbürgermeister Hans Eichel, der mir damals ein attraktives Angebot gemacht hat.
Wieso eignet sich ein Volljurist besonders gut für hohe Aufgaben in der Verwaltung oder – ganz konkret – für das Amt eines Bürgermeisters oder Oberbürgermeisters? Welche Eigenschaften und welches Know-how prädestinieren ihn dafür?
Ich denke, entscheidend ist weniger das juristische Wissen im engeren Sinne. Gute Juristen verstehen sich darauf, klar zu denken. Sie bringen die Kompetenz mit, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden und die notwendigen Verfahrensschritte systematisch zu bearbeiten.
Gibt es juristische Inhalte, die Sie in Ihrem Amt als Oberbürgermeister sehr häufig anwenden?
Am häufigsten greife ich sicherlich auf meine Rechtskenntnisse im Kommunalverfassungsrecht zurück. Die Verwaltung gehört auf den ersten Blick nicht zu den Traum-Arbeitsfeldern junger Menschen. Auf der anderen Seite ist eine Karriere dort – wie Umfragen zeigen – beliebter geworden, weil die jungen Generationen Aspekte wie Verlässlichkeit und Sicherheit schätzen.
Wie beurteilen Sie das Arbeitsfeld in Sachen Dynamik, Abenteuer und Zuverlässigkeit?
Die Öffentliche Verwaltung, und hier insbesondere die Kommunalverwaltung, ist für Nachwuchsjuristen ein spannendes Arbeitsfeld. Das anzuwendende Recht ändert sich häufig und zum Teil grundlegend. Darüber hinaus müssen die Juristen unvorhergesehene Situationen bewältigen, die gute Rechtskenntnisse, Organisationsgeschick und eine hohe Belastbarkeit erfordern. Das jüngste Beispiel dafür ist sicherlich die Aufnahme und Unterbringung von beinahe einer Million Flüchtlingen in den deutschen Kommunen. Hier ist – eben auch von Juristen – Vorbildliches geleistet worden.
Gute Juristen verstehen sich darauf, klar zu denken.
Sie sprachen eben schon den ehemaligen Kasseler Oberbürgermeister und späteren hessischen Ministerpräsidenten sowie Bundesfinanzminister Hans Eichel an, der für Sie viele Jahre lang nicht nur Ihr Vorgesetzter war, sondern auch Mentor. Sie bezeichnen ihn selbst heute als Ratgeber. Was zeichnet einen guten Mentor und Ratgeber aus?
Das Verhältnis zwischen Hans Eichel und mir ist von Vertrauen und Freundschaft geprägt. Wenn ich seinen Rat brauche, dann ist er für mich da. Er gibt mir vertraulich Hinweise, mischt sich jedoch nie in mein Geschäft ein.
In diesem Jahr steht die 14. Auflage der documenta an. Die Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst findet in aller Welt große Beachtung. Wie sind Sie als Oberbürgermeister involviert?
Die zweifelsfrei schönste Aufgabe, die mit dem Amt des Kasseler Oberbürgermeisters verbunden ist, ist die des Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta und Museum Fridericianum gGmbH. Ich bin davon überzeugt, dass die allermeisten meiner Kollegen mich um diese Aufgabe beneiden. Aber die documenta gibt es in Deutschland eben nur in Kassel.
Was gibt Ihnen denn die Arbeit für die documenta und ganz allgemein die Kunst für Ihre Arbeit, welche Impulse ziehen Sie aus Gesprächen mit Künstlern?
Kassel ist eine Kulturstadt ersten Ranges, und ich bin als Oberbürgermeister auch Kulturdezernent. Der kulturelle Reichtum dieser Stadt und die Beschäftigung mit den ganz unterschiedlichen Ausdrucksformen künstlerischen Arbeitens weiten den eigenen Horizont. Sie bewahren einen davor, zu oft im politischen klein-klein zu denken.
Der kulturelle Reichtum dieser Stadt und die Beschäftigung mit den ganz unterschiedlichen Ausdrucksformen künstlerischen Arbeitens weiten den eigenen Horizont.
Nun sind aber Konflikte zwischen Kunst auf der einen Seite und juristischem und verwaltungstechnischem Denken auf der anderen Seite nicht ausgeschlossen. Sie haben viele Konflikte dieser Art moderiert. Worauf kommt es an, wenn man Lösungen finden möchte?
Wichtig ist, dass man ein Verständnis für die Sichtweise des anderen entwickelt und die Grenzen kennt, die der jeweils andere nicht überschreiten kann. Wichtig ist zudem, immer im Gespräch zu bleiben, Vertrauen zu gewinnen und Geduld zu haben.
Was können Juristen von Künstlern lernen?
Dass der Kopf rund ist, damit die Gedanken ihre Richtung wechseln können.
Und umgekehrt, was können Künstler von Juristen lernen?
Dass die Freiheit der Kunst ein hohes Verfassungsgut ist, das die Juristen notfalls auch gegenüber staatlichen Eingriffen zu schützen haben.
In diesem Jahr findet die documenta erstmals an zwei Orten statt, zunächst in Athen, dann in Kassel. Der neue Weg wurde kritisch begleitet. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Ich habe dazu eine klare Position: Wenn es etwas gibt, dass das Verhältnis zwischen dem Rathaus und der documenta auszeichnet, dann ist das vor allem das Bemühen um einen respektvollen und toleranten Umgang mit Kunst und Künstlern. Dazu gehört, dass man die künstlerischen Leitungen frei und autonom arbeiten lässt. Dies ist übrigens eines der Erfolgsgeheimnisse der documenta, dass die Politik nicht in ein Ausstellungskonzept hineinregiert, sondern die Freiheit der Kunst achtet.
documenta 14
documenta ist der Titel einer der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihen für zeitgenössische Kunst. Sie findet in diesem Jahr zum 14. Mal statt. An ihrem Stammsitz in Kassel startet sie am 10. Juni 2017 und geht bis zum 17. September diesen Jahres. Zudem ist Athen (8. April bis 16. Juli 2017) ein gleichberechtigter zweiter Standort. Durchgeführt wird die Ausstellung von der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, deren Geschäftsführerin die Kunsthistorikerin Annette Kulenkampff ist.
Bertram Hilgen ist als Oberbürgermeister von Kassel Vorsitzender des Aufsichtsrats. Künstlerischer Leiter der documenta 14 ist der polnische Kurator Adam Szymczyk, der sich mit seinem Konzept der documenta an den beiden Orten Athen und Kassel auch gegen kritische Stimmen durchsetzen konnte. Bertram Hilgen nahm das Konzept in Schutz und sagte, Ausstellungsorte außerhalb von Kassel gehörten schon seit der documenta 11 zum Konzept der jeweiligen künstlerischen Leitung. www.documenta14.de
Wenn jemand sagt, „in China ist ein Sack Reis umgefallen“, meint er damit ein unwichtiges Ereignis. Hört ein Transportrechtler den Satz, ist dies häufig der Anfang einer umfangreichen Schadensbearbeitung. Von Dr. Niels Witt, Partner bei SKW Schwarz Rechtsanwälte, Hamburg
Zunächst geht es darum: Was ist überhaupt passiert? Dazu ist der Kontakt mit den Transportbeteiligten, Sachverständigen (Surveyor), Versicherungen und Anwälten notwendig. Meist müssen die Informationen weltweit eingeholt und rechtliche Maßnahmen abgestimmt werden. Es müssen Art und Umfang von Transportschäden ermittelt werden. Wird der Transportrechtler früh einbezogen, koordiniert er häufig auch die Beweissicherung vor Ort mit.
Neben Rechtskenntnissen ist hier auch Verständnis für technische Abläufe der einzelnen Verkehrsträger wie Schiff, Bahn, Flugzeug oder Lkw gefordert. Insbesondere bei internationalen Transporten werden Güter aufgrund eines einheitlichen Frachtvertrages mit verschiedenen Mitteln befördert – sogenannte multimodale Transporte. Bevor der Transportrechtler sich den Rechtsfragen widmen kann, muss er eine Vielzahl von Transport- und Frachtdokumenten, die meist in Englisch oder einer anderen Sprache verfasst wurden, sondieren und auswerten, um herauszufinden, wer mit wem Transportverträge geschlossen hat.
Die Schadenshöhe zu ermitteln, kann vereinzelt sehr problematisch sein. Eine Besonderheit des Transportrechts ist es, dass der Frachtführer in den einzelnen Transportrechtsregimen nur in begrenzter Höhe haftet. Nur vereinzelt ist es möglich, die gesetzliche Haftungsbegrenzung zu durchbrechen und vollen Schadensersatz zu verlangen. Hier ist es die Aufgabe des Transportrechtlers, Gründe für die Haftungsdurchbrechung zu ermitteln und vor Gericht vorzutragen beziehungsweise solche Ansprüche abzuwehren.
Bei der Aufklärung des Sachverhalts ist Eile geboten, da im Transportrecht eine verkürzte Verjährungsfrist von einem Jahr gilt. Der Transportrechtler muss dann die Verjährung durch Verhandlungen hemmen oder mit den Beteiligten Verjährungsverzichtserklärungen vereinbaren, damit der Sachverhalt in Ruhe weiter aufgeklärt werden kann.
Auch die Wahl des Gerichts, an dem eine Klage eingereicht werden soll, ist bei internationalen Transporten eine wichtige Vorfrage. Meist kann der Gerichtsstand des Abgangs- beziehungsweise des Empfangsortes nicht abbedungen werden. In den letzten Jahren versuchen aber Spediteure vermehrt, das Gericht eines Landes anzurufen, in welchem ein vermeintlich günstigeres Transportrecht gilt. Es kommt dann zum „Windhundrennen“ um die Besetzung des vermeintlich günstigeren Gerichtsstands und für die Transportrechtler kommt es dann unter Umständen auf jede Minute an, um dies zu verhindern.
Designrechtler begleiten ihre Mandanten in allen Fragen um den ästhetischen Schutz von Produkten. In Zeiten der Globalisierung ist dies eine Tätigkeit mit internationalen Mandanten, die weltweit ihre Rechte sichern oder wahrnehmen wollen. Von Marco Stief, Partner bei der Patentanwaltsgesellschaft Maiwald in München
Im globalen Wettbewerb und der weltweiten Verbreitung und Verfügbarkeit von Produkten kommt dem Design eine immer größere Bedeutung zu, um sie aus der Masse hervorzuheben, unterscheidbar und attraktiv zu machen. Mandanten im Bereich Design recht sind Kreative, Agenturen oder Hersteller, die weltweit ihre Produkte vor Nachahmern schützen wollen, sei es als Urheber des Originals oder um sich gegen vermeintliche Plagiatsvorwürfe zu schützen.
Warum waren „Dickmanns dicke Eier“, die Osteredition eiförmiger Schokoküsse eines bekannten Süßwarenherstellers kein Plagiat? Oder warum kann Apple sich nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs das Design seiner Flagship Stores schützen lassen? Fragen wie diese beschäftigen Desingrechtler, von der Prüfung der Schutzfähigkeit eines Designs bis zur Betreuung von Marken- und Geschmacksmusteranmeldungen bei den zuständigen Ämtern weltweit.
Designrecht ist ästhetisches Schutzrecht
Die umfassende Portfolioberatung gehört ebenso zu den Aufgaben im Designrecht wie die Rechtsdurchsetzung aus einem eingetragenen Design durch Abmahnungen, Nichtigkeits- oder Verletzungsverfahren. Dabei ist das Designrecht ein ästhetisches Schutzrecht, schützt also nur die äußere Gestaltung. In einer Patentkanzlei, die daneben den gesamten Bereich der Sicherung, Verteidigung und Durchsetzung von Schutzrechten, Rundumberatung im Bereich Intellectual Property oder troubleshooting im Einzelfall anbietet, ist dies aufgrund der Schnittstellen zu den technischen Schutzrechten ein besonders interessantes Beratungsgebiet.
Geschickte Berater
Voraussetzungen für eine Spezialisierung als Rechtsanwalt im Designrecht sind neben der juristischen Ausbildung sowie Interesse an Design und Ästhetik besondere analytische Fähigkeiten, die gegebenen Informationen rechtlich zu bewerten und präzise zu beschreiben. Ein geschickter Berater zeichnet sich zudem durch eine schnelle Auffassungsgabe, Sensibilität und Fingerspitzengefühl in der Kommunikation mit Mandanten und Ämtern aus.
Ein Patentanwalt hingegen ist kein Jurist, sondern muss ein naturwissenschaftliches oder technisches Studium sowie eine dreijährige Ausbildung am Deutschen Patent- und Markenamt in München abgeschlossen haben. Nur dann ist er berechtigt, Parteien vor dem Patentamt oder dem Bundespatentgericht zu vertreten.
Restrukturierungsberatung ist die Beratung von Gläubigern und Schuldnern in der Krise eines Unternehmens. Neben der rein rechtlichen Arbeit machen strategische Überlegungen und Verhandlungsführung einen bedeutenden Teil der anwaltlichen Tätigkeit aus. Das macht Restrukturierung für Anwälte, die gerne über den juristischen Tellerrand hinaus schauen, besonders attraktiv. Von Dr. Wolfram Prusko (Partner) und Marlene Ruf (Associate), Kirkland & Ellis International LLP, München
Finanzielle Restrukturierung geht weit hinaus über das klassische Insolvenzrecht, wie man es mit der Insolvenzverwaltung verbindet. Vielmehr handelt es sich um einen eigenen Bereich mit vielfältiger Beratungstätigkeit in der außergerichtlichen und gerichtlichen Sanierung von Unternehmen. Oft ist das Ziel, in Verhandlungen zwischen Gläubigern und Schuldner die Insolvenz des Unternehmens zum Wohle aller Beteiligten zu vermeiden. Instrumente hierfür sind etwa die Refinanzierung auslaufender und die Änderung bestehender Kredite oder sonstiger Finanzverbindlichkeiten, oft verbunden mit einem (teilweisen) Forderungsverzicht.
In diesem Zusammenhang muss sich der beratende Anwalt mit verschiedenen Finanzinstrumenten wie syndizierten Krediten und Anleihen auskennen. Ein Element der Krisenbewältigung ist oft auch eine Änderung der Beteiligungsstruktur des Schuldners. Insbesondere bei internationalen Übernahmefinanzierungen ergeben sich hier höchst komplexe grenzüberschreitende Sachverhalte. Regelmäßig kommt es in Sanierungen auch zu einer Veränderung der Gläubigerstruktur. Klassische Banken steigen aus gefährdeten Kreditengagements aus, dafür kaufen sich spezialisierte Investoren, sogenannte Distressed Debt Funds, ein. Insbesondere die Koordinierung verschiedener Gläubiger und das Hinarbeiten auf eine optimale gemeinsame Lösung sind wesentliche Aspekte insolvenznaher Beratung.
Auch bei gerichtlich überwachten Sanierungsverfahren bieten sich vielfältige Aufgaben. Im Insolvenzverfahren werden etwa Investoren beraten, die einen Teil des Unternehmens übernehmen möchten. Zudem werden große deutsche Unternehmen teilweise ohne Insolvenzverfahren nach dem englischen Scheme of Arrangement saniert, was europarechtliche Fragen aufwirft und Vorarbeit erfordert. Das Verfahren bietet die Möglichkeit, Finanzverbindlichkeiten zu restrukturieren und den wirtschaftlichen Wert des Unternehmens zu erhalten, ohne die Forderungen der übrigen Gläubiger zu beschneiden.
Der Rechtsrahmen entwickelt sich jedoch stets weiter: Auf europäischer Ebene soll nun ein einheitlicher Rahmen für vorinsolvenzliche Verfahren geschaffen werden, der die Tätigkeit der Restrukturierer stark prägen wird. Berufseinsteigern mit starkem Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen sowie abwechslungsreichem juristischen Arbeiten im Insolvenz, Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht sowie allgemeinen Zivilund Zivilprozessrecht bietet der Bereich Restrukturierung ein lehrreiches und anspruchsvolles Tätigkeitsfeld.
In Deutschland gibt es etwa 600.000 eingetragene Vereine, Stand 2014. Und rund 44 Prozent der Bundesbürger sind in einem oder mehreren von diesen Mitglied. Wo so viele Menschen zusammenkommen, gibt es auch rechtlich einiges zu regeln. Von Leonard Langenkamp, Rechtsanwalt und Partner bei Media Kanzlei Frankfurt | Hamburg MüllerRiemenschneider, Specht, Langenkamp Partnerschaftsgesellschaft, und Christian Struck
Sie sind oft als piefig und bieder verschrien – dennoch: Vereine sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Und sie erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit: Weit über eine halbe Million Vereine gibt es in Deutschland. Sie decken mit ihrem Angebot eine große Bandbreite des alltäglichen Lebens ab: Vom Kegelclub bis zum Bundesligaverein, vom Kleingartenpächter bis zum Rettungssanitäter – Millionen Menschen engagieren sich in diesem Land in Vereinen.
Doch wo so viele Menschen zusammenkommen, geht es nicht immer harmonisch zu. Und so brauchen auch Vereine juristische Hilfe. Die Aufgaben der Rechtsanwälte sind dabei im Alltag ganz vielfältig, von der Beratung zur Vereinsgründung über das Erstellen oder Abändern einer Vereinssatzung bis zur Auseinandersetzung mit dem Finanzamt über die Gemeinnützigkeit. In vielen Vereinen sind die Satzungen alt und selten oder bisher noch nie geändert worden. Und manchmal gibt es in Zusammenschlüssen, die gemeinsamen Interessen verschrieben sind, eben auch Streit.
Für den Juristen sollte sich daher im Vorfeld bereits die Frage stellen: Was muss der Anwalt für eine Spezialisierung im Vereinsrecht mitbringen? Eine Spezialisierung während des Studiums ist in Ermangelung von Angeboten fast ausgeschlossen. Dies gelingt eher, indem man sich stetig weiterbildet und in einem Verein, etwa im Vorstand, eigene Erfahrungen sammelt. So erhält man in der späteren Beratung der Mandanten einen leichteren Blick auf die Probleme und Lösungsansätze. Hilfreich können dann auch gute Gesellschaftsrechtskenntnisse sein.
Vereinsrecht ist sicher keine Standardvorlesung im Studium, dennoch steigt seine Beliebtheit mit zunehmendem Maß, wenn es denn mal im Lehrplan für das kommende Semester auftaucht. Sollte sich während des Studiums die Gelegenheit bieten, Vorlesungen zum Vereinsrecht zu hören, sollte man diese Chance wahrnehmen. Auch während des Referendariats lassen sich Erfahrungen, etwa bei einem Landesverband, sammeln. Und eines dürfte beim Engagement für und in Vereinen sowohl für Vereinsmitglieder als auch für Juristen klar sein: Es ist ein spannendes und abwechslungsreiches Betätigungsfeld.
Mara Schmidt-Klie lernte während ihrer Wahlstation eine Kanzlei in London mit all ihren Besonderheiten kennen – in turbulenten Brexit-Zeiten. Von Mara Schmidt-Klie, Gleiss Lutz Düsseldorf
Mara Schmidt-Klie, Foto: Gleiss Lutz
Sommer 2016. Ein Freitagabend in London unweit der Chancery Lane, der Herzschlagader der Londoner Anwaltsszene: In den Büroräumen zahlreicher Kanzleien gehen nach einem anstrengenden Arbeitstag nach und nach die Lichter aus. Die Anwälte lassen die „Brexit“-Sorgen der City firms der Finanzmetropole und ihrer Mandanten hinter sich, nur um sie anschließend beim wohlverdienten Feierabendbier in den umliegenden Pubs – weniger rechtlich, aber umso emotionaler – weiter zu diskutieren. Eine spannende, besondere Atmosphäre. Und ich dank meiner Wahlstation bei einer Partnerkanzlei von Gleiss Lutz mittendrin.
Während meiner Anwaltsstation in Düsseldorf hatte ich erfahren, dass Gleiss Lutz seinen Referendaren die Möglichkeit eröffnet, die Wahlstation bei einer der auf der ganzen Welt verteilten Partnerkanzleien zu verbringen. Überzeugt hat mich an diesem Angebot, dass ich mir sicher sein konnte, auf diese Weise eine „echte“ ausländische Kanzlei mit all ihren Besonderheiten kennenlernen zu können. Da Gleiss Lutz seine Rechtsreferendare während des Auslandsaufenthalts wie heimische Referendare bezahlt, ließ sich auch die Finanzierung gut bewerkstelligen.
Vermittelt wurde mir ein Platz im Arbeitsrechtsteam von Macfarlanes LLP. Der Einsatz in „meinem“ Rechtsgebiet ermöglichte es mir dank vorhandener Parallelen von Anfang an, in meinem Team mitzuarbeiten. Trotz englischer Arbeitssprache und anderer Rechtsordnung ließ sich ein rascher Einstieg gut meistern – obwohl Macfarlanes wenig Erfahrung mit deutschen Referendaren hatte, wurde ich intensiv eingebunden und als gleichberechtigter trainee solicitor mit vielfältigen Aufgaben betraut.
Ich fand es spannend, die Unterschiede zwischen einer vom Ursprung her deutschen und einer britischen Kanzlei zu entdecken. Teilweise waren diese gerade im Arbeitsrecht dadurch begründet, dass solicitor firms in Großbritannien in der Regel keine Prozessführung übernehmen, sondern hierfür mit barristers, spezialisierten und hochangesehenen Prozessanwälten, zusammenarbeiten.
Während meiner Wahlstation hielten sich Arbeitszeit und Freizeit in London stets die Balance. Besonders gut gefiel mir, dass mein Team häufiger nach Feierabend etwas gemeinsam unternahm. Zurückblicken kann ich heute auf einen sowohl persönlich als auch fachlich enorm bereichernden und abwechslungsreichen Sommer in London. Den Schritt ins Ausland zu wagen und die Wahlstation in einer ausländischen Kanzlei zu absolvieren, kann ich nur empfehlen.