Karriereturbo MBA

Viele Unternehmen erwarten von ihren besten Kräften spätestens nach ein paar Jahren, sich weiterzuentwickeln: Sie sehen es gerne, wenn diese Eigeninitiative zeigen und ihre berufliche Entwicklung auch über den naturwissenschaftlichen Bereich hinaus vorantreiben. Dann zahlt es sich aus, wenn Berufseinsteiger schon mal darüber nachgedacht haben, wo sie hinwollen – und vielleicht sogar ihren Arbeitgeber danach auswählen, welche Möglichkeiten er ihnen in der Weiterbildung bietet. Von Felix Müller, Direktor von Henley Deutschland

Viele Ingenieure sehen sich bei der Suche nach ihrem ersten Job in der luxuriösen Position, nicht lange suchen zu müssen oder zwischen mehreren Jobangeboten wählen zu können. Wer sich dann dazu verleiten lässt, den bequemen Weg zu gehen und bei der Arbeitgeberwahl nicht so genau hinschaut, zahlt dafür später eventuell den Preis. Nämlich dann, wenn es um die Förderung der eigenen Karriere geht. Denn oft läuft es so: Idealerweise legen Absolventen einen flotten Start hin und profilieren sich fachlich im Tagesgeschäft oder in Projekten. Häufig jedoch stoßen sie nach ungefähr fünf Jahren im Job an ihre Grenzen, wenn sie persönlich wachsen und sich etwa von der Fach- zur Führungskraft wandeln wollen oder wenn sie Budgetund Ergebnisverantwortung übernehmen möchten. Dann sind fundierte BWL-Kenntnisse und die Entwicklung von Management- und Leadership- Qualitäten gefragt.

Global MBA Ranking 2013

1. Harvard Business School, USA 2. Stanford Graduate School of Business, USA 3. University of Pennsylvania: Wharton, USA 4. London Business School, Großbritannien 5. Columbia Business School, USA 6. Insead, Frankreich und Singapur 7. Iese Business School, Spanien 8. Hongkong UST Business School, China 9. MIT: Sloan, USA 10. University of Chicago: Booth, USA Quelle: rankings.ft.com
Wenn es soweit ist, liegt die Entscheidung für ein Aufbaustudium zum Master of Business Administration (MBA) nahe. Natürlich ist das immer auch eine Kosten- und eine Zeitfrage, aber auch eine Frage der persönlichen Begeisterung für die Studieninhalte, weil diese die Kraft zum Durchhalten gibt. Organisatorisch perfekt ist es, wenn der Arbeitgeber das Studium unterstützt und ganz oder teilweise sponsert. Arbeitgeber fördern allerdings in erster Linie berufsbegleitende Programme, weil der Mitarbeiter aus ihrer Sicht dann nicht für ein ganzes Jahr komplett ausfällt und automatisch an das Unternehmen gebunden bleibt. Es kann in mehr als einer Hinsicht von Vorteil sein, in Förderprogramme im Unternehmen einzusteigen, die einen Flexible-MBA unterstützen. Der dauert zwar länger, in der Regel zwei oder drei Jahre, ist aber vor allem unter dem Aspekt der Vereinbarkeit von Job, Familie und Studium sehr attraktiv. Und die Kosten eines MBAProgramms belasten den Mitarbeiter dann nicht oder nur teilweise. Ingenieur Michael Petrik, Alumnus der Henley Business School sowie Gründer und CEO der CP Corporate Performance GmbH, sagt dazu: „Richtig einschätzen müssen Interessenten den Faktor Zeit. Während meiner 50- bis 60-Stundenwochen im Job suchte ich kontinuierlich nach dem richtigen Zeitpunkt für meinen MBA. Bis mir klar wurde: Es gibt keinen optimalen Zeitpunkt. Daraus ergab sich für mich konsequent: Jetzt oder nie. Und dann bin ich aktiv an meinen damaligen Arbeitgeber herangetreten und habe mich um eine Sponsorship für einen Henley Flexible-MBA beworben.“ Ein Kinderspiel ist das nicht: Auch bei den berufsbegleitenden Programmen müssen Teilnehmer – neben dem Zeitaufwand für die Präsenzmodule – mit mindestens zwölf bis fünfzehn Stunden Arbeitsaufwand pro Woche rechnen. Neben Job und Familie ist das eine Hausnummer, die zu Lasten der persönlichen Freizeit geht – sich aber immerhin so weit wie möglich planen lässt.

Buchtipp

Detlev Kran: Der MBA- und Master-Guide 2014. Weiterbildende Management-Studiengänge in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Luchterhand 2014. ISBN 3472085606. 29 Euro
Auch die Einstiegsvoraussetzungen für ein MBA-Programm sind nicht zu unterschätzen. In vielen Programmen, so auch bei Henley, ist die Unterrichtssprache Englisch. Die Henley Business School verlangt außerdem zum Einstieg in das Flexible-MBA-Programm nicht nur Berufs-, sondern auch mindestens drei Jahre Managementerfahrung im Produkt- oder Budgetbereich oder bei der Mitarbeiterführung. „Trotzdem – oder gerade deswegen – lohnt sich ein MBA“, urteilt Alumnus Michael Petrik aus eigener Erfahrung: „Wenn man sich im Job die ersten Sporen verdient hat und das Aufbaustudium aus echtem Interesse, aus einer Begeisterung heraus angeht, es nicht nur als notwendige Ergänzung des Lebenslaufs betrachtet, werden die eigenen Erwartungen in jedem Fall übertroffen. Ich jedenfalls fing einfach an, mehr zu sehen, und wurde gezwungen, aus meinem gewohnten Blickwinkel herauszutreten. Ich lernte Menschen kennen, die ich sonst nicht getroffen hätte, und konnte nach Ende des Studiums auf ein internationales Netzwerk zugreifen, das enorme Karrieremöglichkeiten eröffnet.“ Und natürlich lernt man alles, was ein Manager und eine Führungskraft wissen muss – ohne die Tuchfühlung zum Tagesgeschäft und zum Fachbereich aufzugeben.

Linktipps

www.mba.de www.topmba.com

Ökologische Agrarwissenschaften

Ökologische Agrarwissenschaften sind ein vielseitiges und zukunftsträchtiges Wirkungsfeld mit großem Forschungspotenzial. Interessenten können an der Universität Kassel zu diesem Fachgebiet den Masterstudiengang Ökologische Landwirtschaft absolvieren. Von Holger Mittelstraß, Studienkoordinator, Universität Kassel

Bio-Lebensmittel und die damit verbundenen Fragestellungen sind heute in der deutschen Gesellschaft angekommen. Das bedeutet jedoch keine Entspannung, sondern eine Herausforderung. National und international sind in diesem stetig wachsenden Aufgabenfeld Fachleute gefragt, die die komplexen Zusammenhänge einschätzen und nachhaltige Lösungen erarbeiten können. Das Thema ist verhältnismäßig jung. Es verlangt eine differenzierte, kritische Herangehensweise an die Problemstellungen und stellt hohe Ansprüche an die wissenschaftliche Kompetenz und das Verständnis von Zusammenhängen. In speziellen Bereichen der ökologischen Agrarwissenschaften gibt es noch einen großen Forschungsbedarf. Der Masterstudiengang „Ökologische Landwirtschaft“ an der Universität Kassel-Witzenhausen trägt dem Rechnung, indem er ein stark forschungsorientiertes Profil besitzt. In der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wurde der Studiengang als offizielles Projekt ausgezeichnet. Im idyllischen Witzenhausen zwischen Göttingen und Kassel treffen Fragen der nachhaltigen Landwirtschaft und Energiekreisläufe, des Natur- und Umweltschutzes, der Ernährungssicherheit sowie der Lebensmittelproduktion und -wirtschaft aufeinander. Der zwei Jahre umfassende Masterstudiengang basiert auf einem Bachelor, der neben Grundkenntnissen in den Themenbereichen des Landbaus, der Nutztierhaltung, der Ökologie und Wirtschaft außer Vorlesungen schon einen umfangreichen Anspruch an praktisches und selbstständiges Arbeiten beinhaltet. Übungen, Exkursionen und Projektarbeiten, wie die Organisation einer alljährlich stattfindenden Fachkonferenz oder die Beratung zur Umstellung eines konkreten Hofes, sind nur einige Beispiele dafür. Der Masterstudiengang „Ökologische Landwirtschaft“ konzentriert sich auf die Vermittlung wissenschaftlicher Methoden, die den Studierenden eine breite Grundlage für unterschiedliche Berufsfelder bieten soll und interdisziplinäre Kompetenzen anstrebt. Die Ausbildung soll die Studierenden auf Leitungspositionen im landwirtschaftlichen Bereich vorbereiten. Es werden Forschungskonzepte in den Boden-, Pflanzenbau- und Nutztierwissenschaften, die Sensorik von Lebensmitteln und Methoden der Marketingforschung vermittelt. Die Beherrschung wissenschaftlicher Methoden und der Umgang mit Statistik sollen eine sichere Analyse, Einordnung und Bewertung von Fragestellungen ermöglichen. Neben den methodischen Modulen kann sich jeder Student individuell spezialisieren. Zahlreiche Wahlpflichtmodule aus den Bereichen Boden- und Pflanzenwissenschaften, Nutztierwissenschaften und Wirtschafts-, Sozial- und Lebensmittelwissenschaften spiegeln den Facettenreichtum des Studiengebiets wider, beispielsweise: Nährstoffkreisläufe, Energieflüsse und Ökobilanzen, Nachwachsende Rohstoffe, Regenerative Energien, Das Milchrind, Honig- und Wildbienen in der Agrarlandschaft, Umweltwissen, -wahrnehmung und -verhalten und das Politikfeld Ökologische Landwirtschaft in der EU. Das forschungswissenschaftliche Arbeiten im Nutztierbereich und im Pflanzenbau wird durch die vielfältigen Einrichtungen der Universität lebendig – zum Beispiel durch gut ausgestattete Labore, ein Gewächshaus und vor allem den zur Universität gehörenden Versuchs- und Praxisbetrieben wie die Hessische Staatsdomäne Frankenhausen, die Versuchsflächen Neueichenberg und das Versuchsgelände für Bewässerung und Solartechnik. Zahlreiche Anbauversuche rund um Fruchtfolgen, Komposte, Genotypen und Dünger sowie der Einsatz verschiedener Geräte bieten ein breites Forschungsfeld im Pflanzenbau und in der Agrartechnik. Zur Domäne gehören außerdem eine Milchviehherde und Geflügelhaltung. Der Fachbereich selbst führt zahlreiche Forschungsprojekte mit deutschen, europäischen und außereuropäischen Partnern durch. Die Zusammenarbeit und der Austausch mit internationalen Forschungseinrichtungen und Institutionen sind selbstverständlich. Zur Hochschule gehört auch ein Tropengewächshaus mit über 300 Nutzpflanzen. Der Fokus des in deutscher Sprache gehaltenen Masterstudiengangs liegt jedoch auf den gemäßigten Klimazonen und einer europäischen Perspektive. Ein weiterer Masterstudiengang wird in englischer Sprache angeboten und zieht Studierende aus aller Welt an. „Sustainable International Agriculture“ behandelt das Thema Ökologische Landwirtschaft aus der globalen Perspektive und berücksichtigt den Landbau im gemäßigten und im tropischen Klima. Ebenfalls in Englisch gehalten, beschäftigt sich der Masterstudiengang „International Food Business and Consumer Studies“ mit der Lebensmittelwirtschaft, mit Qualität und Management. Die bisherigen Absolventen arbeiten heute in den unterschiedlichsten Feldern: Sie sind Einkäufer von Lebensmittelimporteuren, Berater für Bio-Betriebe, Beschäftigte in der Entwicklungshilfe, sie bewirtschaften eigene Höfe und Gärtnereien oder haben sich in der Entwicklung neuer Modelle und Techniken etabliert – zum Beispiel der Bau mobiler Hühnerställe.

Ein Studiengang und seine Satelliten

Rund um die Universität haben sich Studenten und Absolventen zu Initiativen zusammengeschlossen und eigene kleine Betriebe gegründet, die sich direkt aus der Beschäftigung mit ihrem Studium ergaben, zum Beispiel: Solidarische Landwirtschaft, Community supported Agriculture (CSA) In Witzenhausen-Freudenthal gärtnern Studenten für Studenten. Mit einem monatlichen Solidarbeitrag finanzieren die Haushalte und WGs den Anbau und die Gehälter der Gemüsegärtner. Essbare Stadt Lebensmittelsouveränität durch Gemeinschaftsgärten und den Anbau essbarer Pflanzen stärken das Verhältnis zur Produktion. Transition Town Lösungen jenseits der Erdölabhängigkeit und für ein selbstbestimmteres Leben an dem Ort, an dem man lebt. Mobile Hühnerställe Iris Weiland und ihr damaliger Partner entwickelten mobile Hühnerställe, die mit Hilfe eines Traktors nach Bedarf die Flächen wechseln können. Gut Fahrenbach Drei Diplom-Ingenieure des Fachbereichs pachteten nach ihrem Studienabschluss Gebäude und Flächen von Gut Fahrenbach. Sie besitzen eine Herde Aberdeen- Angus-Rinder, deren Futter sie selbst erzeugen. Außerdem bauen sie Getreide an, aus dem der Bioland-Bäcker Henner im Nachbarort Dohrenbach Brot backt.

Technisch und sozial kompetent

Anja Arnet ist Projektmitarbeiterin beim Ingenieurdienstleister Brunel und aktuell als Prozessingenieurin in einem Ravensburger Unternehmen im Bereich Elektronikfertigung tätig. Neben dem Beruf engagiert sie sich für die „Ingenieure ohne Grenzen“. Von Lisa Schwarzien.

„Mädchen und Technik“ – das Programm der Universität Erlangen-Nürnberg weckte bei Anja Arnet schon in der Schulzeit großes Interesse. Die Weichen für eine Ingenieurkarriere waren daher früh gestellt: Maschinenbaustudium in Erlangen, Praxissemester bei Bosch und schließlich Hauptstudium an der TU München. Nach ihrem Diplom wollte Anja Arnet jedoch zunächst einmal raus aus Deutschland. Sie entschied sich für ein Praktikum, um den Auslandsaufenthalt auch beruflich sinnvoll zu nutzen. „In Mailand arbeitete ich bei der Firma Satisloh im Bereich Qualitätsprüfung. Das Erlernen einer neuen Sprache war eine schöne Abwechslung zu meinem bis dato eher technischen Fokus“, erzählt die gebürtige Nürnbergerin. Nach ihrer Rückkehr bewarb sie sich bei Brunel. „Mein Hauptbeweggrund waren die guten Entwicklungsmöglichkeiten“, sagt Anja Arnet heute. Seit April 2011 ist sie für die Nürnberger Niederlassung bei einem Ravensburger Unternehmen in der Elektronikfertigung tätig. Dort bildet sie die Schnittstelle zwischen Produktion, Entwicklung und Vertrieb. „Ich evaluiere neue Betriebsmittel, beobachte Prozesse und versuche, sie zu optimieren“, fasst die Ingenieurin zusammen. Neben technischem Know-how sind dabei Soft Skills das A und O. „Die Mitarbeiter aus der Produktion wollen schließlich vor der Umsetzung zunächst einmal von den neuen Konzepten und Ideen überzeugt werden“, sagt Anja Arnet schmunzelnd. Um ihre interkulturelle Kompetenz zu schulen, besuchte sie im Sommer mit finanzieller Unterstützung von Brunel einen dreiwöchigen Business-Englischkurs in London. „Gerade als Projektingenieurin muss ich auch auf internationaler Ebene mit Kunden und Kollegen kommunizieren können“, erklärt sie. Auch privat setzt die 28-Jährige ihre Kompetenzen ein: Seit 2011 engagiert sich Arnet für die gemeinnützige Organisation „Ingenieure ohne Grenzen“. „Mich fasziniert das Konzept, nachhaltige Projekte weltweit mit der Bevölkerung vor Ort zu realisieren. Das bestätigt mich in meiner Entscheidung, Ingenieurin geworden zu sein.“

Sebastian Birzer hat sich nach seinem Maschinenbaustudium auf den Vertrieb spezialisiert und ist seit 2009 bei Brunel in Nürnberg als Account Manager tätig. 2013 wird er die Leitung eines neuen Standortes in Regenburg übernehmen. Von Lisa Schwarzien.

Eine Karriere im Vertrieb? Diese Frage stellte sich Sebastian Birzer erst gegen Ende seines Maschinenbaustudiums an der Hochschule Amberg-Weiden. Während eines Praktikums hatte er sein Interesse für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge entdeckt. Die Position des Vertrieblers hatte es ihm besonders angetan. Nach Studienabschluss 2009 kam da die Stellenausschreibung des Ingenieurdienstleisters Brunel wie gerufen: „Führungsnachwuchs im Vertrieb“, so der Titel des Jobangebots der Niederlassung Nürnberg. Nur drei Wochen nach Absenden der Bewerbung unterschrieb er seinen Arbeitsvertrag als Account Manager. „Unternehmen von den Vorteilen der externen Unterstützung durch einen Ingenieurdienstleister zu überzeugen, erfordert sehr viel Ausdauer“, berichtet der 28-Jährige. „Doch hat man ein Unternehmen erst einmal als Kunden gewonnen, wird einem bewusst: Ich bin mitverantwortlich für die Geschäfte von morgen. Ein gutes Gefühl und eine große Motivation!“ Seine größten Erfolge: Zwei weltweit tätige Konzerne aus den Bereichen Maschinenbau und Health Care setzen nun auf Brunel als zuverlässigen Partner. Parallel zur Kundenakquise und -betreuung zählen auch das Recruiting der Projektingenieure und die Zusammenstellung passender Teams für die Kunden zu seinen Aufgaben. 2010 absolvierte Sebastian Birzer ein berufsbegleitendes BWLStudium für Ingenieure an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule in Nürnberg. „Auf Kundenseite habe ich es oft mit Kaufleuten zu tun. Das Zusatzstudium ermöglicht mir, deren Perspektive noch besser zu verstehen“, erklärt der Maschinenbauingenieur. Seine guten Leistungen im Job sicherten ihm schließlich die Eintrittskarte zum internen Brunel Förderprogramm. Herausragende Vertriebsmitarbeiter sollen hier auf Führungspositionen vorbereitet werden. Mit Erfolg: Nach drei Jahren ist Sebastian Birzer für den Aufbau eines neuen Standorts in Regensburg verantwortlich, dessen Leitung er im Laufe des Jahres übernehmen wird. „Diese Aufgabe ist für mich Herausforderung und Motivation zugleich: Ich kann mein Wissen weitergeben und den neuen Account Managern zum Erfolg verhelfen.“

„Technikkompetenz ist für Deutschland elementar“

Interview mit Thomas Sattelberger

Ingenieure sind rar zurzeit, laut dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) waren im Februar 2013 69.600 Stellen unbesetzt. Die Lösung des Dilemmas sieht Thomas Sattelberger unter anderem darin, dass das Interesse von Frauen für die sogenannten MINT-Fächer – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – stärker geweckt und mit reellen Karrierechancen unterstützt werden muss. Die Fragen stellte Meike Nachtwey.

Zur Person

Thomas Sattelberger, 1949 in Munderkingen an der Donau geboren, hat fast 40 Jahre Erfahrung im Personalmanagement. Begonnen hat er seine Karriere 1975 bei Daimler, anschließend war er zunächst bei der Lufthansa, dann bei Continental und von 2007 bis 2012 als Personalvorstand bei der Telekom. Der 63-Jährige engagiert sich auch in seinem Ruhestand für den Nachwuchs. Er ist Vorstandsvorsitzender der Initiative „MINT Zukunft schaffen“, die Strategien gegen den Nachwuchsmangel in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) erarbeitet und umsetzt. www.mintzukunftschaffen.de
Herr Sattelberger, schon seit einiger Zeit beklagen deutsche Unternehmen den Ingenieurmangel. Bedeutet dies, dass jeder frischgebackene Ingenieur automatisch seinen Traumjob bekommt? Das könnte man fast meinen, denn an der aktuellen Lücke von 105.000 fehlenden MINT-Experten, die unser wissenschaftlicher Partner, das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, ermittelt hat, kann man erkennen, wie wichtig eine größere Anzahl von Studienanfängern ist. Jeder fehlende Absolvent ist einer zu viel. Dabei sind MINT-Berufe und -Studiengänge attraktiver denn je. Gerade in diesem Bereich gibt es hervorragende berufliche Karrieremöglichkeiten mit anspruchsvollen Herausforderungen und abwechslungsreichen Einsatzmöglichkeiten in allen Branchen. MINT-Absolventen schätzen ihre Beschäftigungssicherheit sehr positiv ein und noch höher als andere Akademiker. Sie haben überdurchschnittliche Einkommensperspektiven und erfahren hohe persönliche Autonomie in der Arbeit. Vereins „MINT Zukunft schaffen“, der sich zum Ziel gesetzt hat, das Interesse an technischen Fächern zu wecken. Wie wollen Sie das erreichen? Der Schlüssel zu mehr MINT-Absolventen liegt in den Schulen. Die Auszeichnung „MINT-freundliche Schulen“ unter der Schirmherrschaft der Kultusministerkonferenz ist ein Ansporn, der uns nicht nur stolz macht, sondern uns auch antreibt, diese Zahl bis zum Jahr 2015 auf 2000 wachsen zu lassen. Viele Landesminister unterstützen uns persönlich bei der Verleihung der Auszeichnung, denn sie wissen, dass neben dem Spitzensport der Breitensport für MINT für die „Gesundheit“ des Landes erforderlich ist. In der Kombination liegt die Stärke des MINT-Hebels. Mit unseren 9000 Botschaftern unterstützen wir Schulen in ihrem Engagement. Sie schildern als authentische Rollenvorbilder die MINT-Berufsperspektiven plastisch und helfen als Mentoren in Studium und Berufsausbildung beim „Durchhalten“. So lassen sich auch Abbrecherquoten reduzieren. Wir wollen mit unseren bald 10.000 Botschaftern junge Menschen spielerisch, kompetent und unterstützend an die technische Welt heranführen. 2015 möchte die Initiative mit 15.000 Botschaftern im Einsatz sein. Was können die Unternehmen selbst gegen den Ingenieurmangel tun? Warum versuchen die deutschen Unternehmen denn immer noch nicht, mit einer vernünftigen Willkommenskultur ausländische Studenten nach ihrem Studium in unserem Land zu behalten? Ihr Anteil an den Studierenden beträgt immerhin zehn Prozent, und von denen studiert fast die Hälfte MINT-Fächer. Doch wir lassen diese Juwelen nach dem Studium gehen. Frauen gezielt auf MINT-Studium und -Beruf anzusprechen, Mentorinnen an die Seite zu geben und für ein durchgängig diskriminierungsfreies Klima zu sorgen, wären weitere wichtige Schritte. Und zweite Chancen geben: Laut Bildungsbericht 2012 wird es im Jahr 2025 rund 1,3 Millionen mehr Menschen ohne Berufsabschluss geben, die nur für geringer qualifizierte Jobs in Frage kommen. Manch einer ist beim zweiten Start aber richtig erfolgreich. Das kann ich aus meinen Erfahrungen bei der Deutschen Telekom nur unterstreichen. Umso wichtiger ist die verstärkte Durchlässigkeit unserer Schultypen – wesentlich wichtiger als das ständige „Herumdoktern“ am Schulsystem. Wie kann das Konzept der Diversität helfen, das Nachwuchsproblem zu lösen? Chancengerechtigkeit und Vielfalt sind für die Attraktivität des Wirtschaftsund Forschungsstandorts Deutschland enorm bedeutsam. Gerade jungen Frauen bieten MINT-Fächer exzellente Zukunfts- und Aufstiegschancen, sie nutzen sie nur noch nicht genug: Der Anteil von Frauen in Ingenieurwissenschaften beträgt gerade einmal 22 Prozent. Zum Teil haben junge Menschen noch total veraltete Stereotypen von technischen Berufsfeldern im Kopf. Unser Ziel ist es, die Quote der Frauen in MINT-Berufen auf 40 Prozent zu steigern, denn wir brauchen die gut ausgebildeten Frauen nicht nur in der Spitze der Unternehmen, sondern auch in der Breite. Die Akzeptanz von Frauen in technischen Berufen und Führungspositionen ist in anderen Ländern viel höher. Daher bieten mittlerweile einige deutsche Hochschulen, wie etwa die Fachhochschule Stralsund, eigene Frauenstudiengänge an. Das führt zu höheren Anfängerinnenzahlen und höheren Quoten bei den Absolventinnen. Weibliche Rollenvorbilder und aktive Mentorinnen sind entscheidend für den Erfolg, sowohl bei der Entscheidung für das Studium als auch beim Durchhalten. Seit vielen Jahren tragen die Firmen das Thema vor sich her, tun zu wenig, beklagen aber die missliche Situation. Wir brauchen echte Ziele und Zeitleisten, um wirklich Veränderung voranzutreiben. Die Unternehmen müssen hier noch große Bretter bohren: Das MINT-Interesse der Frauen muss geweckt und mit reellen Karrierechancen unterstützt werden. Für Menschen mit Migrations- und nicht akademischem familiären Hintergrund oder familiär-bedingten schlechten Startchancen sind MINT-Studiengänge potenzielle Aufstiegsstudiengänge: In Deutschland leben derzeit 15,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund – 600.000 mehr als in den letzten fünf Jahren. Das heißt, jeder fünfte in Deutschland lebende Bürger hat ausländische Wurzeln. Das ist ein bemerkenswertes Potenzial für die gezielte Förderung. Schon viele Migranten begreifen und nutzen die MINT-Berufe mittlerweile als Hebel zum sozialen Aufstieg. Rund 37 Prozent der Ingenieure haben einen Migrationshintergrund. So wird das MINT-Studium zum gesellschaftlichen Aufsteigerstudium, die MINT-Ausbildung zur ausgezeichnet bezahlten Berufsbasis. So erscheint auch das Thema Migration im neuen Licht der sich abzeichnenden Chancen. Welche Herausforderungen erwarten einen Ingenieur zum Karrierestart, und wie kann er sich vorbereiten? Zunächst ist es sehr wichtig, das künftige Unternehmen sorgfältig zu wählen. Stellenanzeigen sind oft sehr fachlich formuliert und sagen zu wenig über Werte und Unternehmenskultur aus. Unternehmens-Blogs zu lesen, kann aufschlussreich sein. Auch die Wachstumspotenziale der jeweiligen Branche sollten Bewerber genau betrachten. Sie sollten sich zudem gut überlegen, ob sie sich in einem Konzern oder im Mittelstand besser platziert fühlen. Mittelständische Unternehmen sind oft eine „unbekannte Schönheit“. Wichtig sind zudem auch Teamfähigkeit und ein gutes Kommunikationsvermögen für die Zusammenarbeit in den jeweiligen Projekten. Das ist auch essenziell für den Erfolg virtueller Teams, die im Zeitalter der Globalisierung zunehmen werden. Ncht zuletzt werden Soft Skills bedeutsamer. Wie sieht die Arbeitswelt von Ingenieuren in Zukunft aus? Wir brauchen eine hohe Technikkompetenz zur Entwicklung von Produkten und zur Realisierung von Projekten. In den nächsten zehn Jahren behauptet Deutschland seine Spitzenposition in der Elektrotechnik, in der Automation und in der Medizintechnik. Dabei bieten sich auf dem Innovationsfeld der Smart Grids die größten Standortchancen. Das ist das Ergebnis des aktuellen VDETrendreports 2011 der Elektro- und Informationstechnik, einer Umfrage unter 1300 VDE-Mitgliedsunternehmen und Hochschulen in der Elektro- und Informationstechnik. Die Studie zeigt auch: VDE-Mitgliedsunternehmen blicken optimistisch in die Zukunft. 76 Prozent von ihnen sind überzeugt, dass sich die Konjunkturaussichten für Deutschland weiter verbessern werden. 90 Prozent schätzen, dass die Unternehmen der Elektro- und IT-Branche im Jahr 2012 mindestens ebenso viel in den Bereich Forschung und Entwicklung investieren werden wie 2010. Kritisch wird der zunehmende Fachkräftemangel in Deutschland gesehen: Neun von zehn Befragten befürchten, dass die Unternehmen ihren Bedarf an Fachpersonal in Zukunft nicht ausreichend decken können, deshalb ist Technikkompetenz für Deutschland elementar – und um diese Kompetenz geht es uns.

Nationaler Pakt für Frauen in MINT-Berufen

Ziel des Nationalen Pakts für Frauen in MINT-Berufen – „Komm, mach MINT“ ist, das Potenzial von Frauen für naturwissenschaftlich-technische Berufe angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels zu nutzen. Dies bedeutet im Einzelnen:
  • ein realistisches Bild der ingenieur- und naturwissenschaftlichen Berufe zu vermitteln und die Chancen für Frauen in diesen Feldern aufzuzeigen,
  • junge Frauen für naturwissenschaftlichtechnische Studiengänge zu begeistern,
  • Hochschulabsolventinnen für Karrieren in technischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu gewinnen.
Mehr Infos unter: www.komm-mach-mint.de

Cradle to Cradle – Manager verbessern die Welt

Wer als Manager grün denken möchte, benötigt technischen Sachverstand. Sonst besteht die Gefahr, dass er das, was falsch ist, nur noch weiter optimiert – sagt Professor Michael Braungart, international anerkannter Vordenker des „Cradle-to-Cradle“-Ansatzes. Seine Forderung: Seid motiviert, die Welt zu verbessern. Im Interview mit unserem Autor André B0ße nennt er Beispiele, wie das funktionieren kann.

Arbeitszeitbefragung: Erfolgloses Multitasking gegen Druck am Arbeitsplatz

Der Druck am Arbeitsplatz steigt. Deshalb zu versuchen, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, ist allerdings keine Lösung. So lautet ein Ergebnis der Arbeitszeitbefragung 2012 von über 900 Studierende aus ganz Deutschland. Das Besondere: Die Befragten absolvieren ein wirtschaftswissenschaftliches Studium neben dem Beruf oder der Ausbildung – und stehen daher mit beiden Beinen im Berufsleben.

Verantwortung übernehmen

Als internationales Unternehmen der Medizin- und Sicherheitstechnik entwickelt Dräger Geräte und Lösungen für Menschen auf der ganzen Welt. Das Thema Sicherheit steht dabei an vorderster Stelle. Von Achim Dreyer

Ob in der klinischen Anwendung, in Industrie, Bergbau, bei der Feuerwehr oder im Rettungsdienst: Dräger-Produkte schützen, unterstützen und retten Leben. Ganz klar, dass deshalb das Thema Sicherheit im Unternehmen groß geschrieben wird. Denn wer „Technik für das Leben“ entwickelt, muss mehr tun, als technische Exzellenz zu liefern. Er muss Verantwortung übernehmen. Verantwortung für die Menschen, die diese Technik brauchen und sich auf sie verlassen. Sicherheitsaspekte in ihren verschiedensten Ausprägungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Unternehmensgeschichte: von der Betriebssicherheit des „Lubeca Ventils“ zur Kohlensäureregulierung (1889) über die Patientensicherheit beim ersten Narkoseapparat (1902) bis zum Risikomanagement und der Datensicherheit bei informationstechnischen Systemen, die den Behandlungserfolg im Krankenhaus des 21. Jahrhunderts absichern. „Die Herausforderung, kreative Lösungen für die strengen Sicherheitsanforderungen zu finden, hat mich zur Medizintechnik gebracht“, sagt Armin Wackrow, der nach seinem Studium der Elektrotechnik erst in der Bahntechnik einstieg und jetzt medizintechnische IT-Systeme testet. Dabei prüft er nicht nur intensiv, ob die Software reibungslos funktioniert und den klinischen Prozess im Krankenhaus optimal unterstützt, sondern sorgt auch dafür, dass ein eventuelles Risiko für den Patienten minimiert wird. „Gerade bei komplexen Software-Systemen kann nur eine Kette von sorgfältig aufeinander abgestimmten Maßnahmen die Sicherheit des Patienten gewährleisten“, hebt Udo Röpke, Risikomanager für medizinische Systeme, hervor. Er hilft dem Entwicklungsteam, zunächst die Risiken, die eventuell durch den Einsatz der Software für den Patienten entstehen könnten, zu erkennen. Dann unterstützt er das Team dabei, geeignete Maßnahmen zur Verringerung dieses Patientenrisikos zu finden. Der studierte Maschinenbauer hat nach über 15 Jahren Erfahrung im Risikomanagement für medizinische Geräte seit einigen Jahren auch das Risikomanagement für klinische IT-Systeme kennengelernt und stellt fest: „Die Technik für IT-Systeme entwickelt sich rasant. Die Normen und gesetzlichen Vorgaben sind noch längst nicht so ausgereift wie für Geräte, da betreten wir praktisch täglich Neuland.“ „Testen allein schafft da keine Lösung“, pflichtet Armin Wackrow ihm bei. „Sicherheit muss von Anfang an im Design und in der Implementierung der Software angelegt werden. Sonst können wir nicht nachweisen, dass das IT-System für den Patienten wirklich sicher ist.“ Das sieht auch Software-Entwicklerin Sina Scheuplein so. Nach ihrem Studium der Elektrotechnik hat sie zunächst einige Jahre in der Forschung am Fraunhofer Institut gearbeitet. Jetzt kümmert sich die zertifizierte Scrum-Masterin vor allem um die Datensicherheit im System. „Nur auf einer zuverlässigen Datengrundlage kann ein Decision Support System dem medizinischen Personal die richtigen Hinweise geben“, sagt Sina Scheuplein. Ihre Herausforderung besteht dabei vor allem darin, in Echtzeit Messdaten von einer Vielzahl verschiedener Geräte am Patientenbett zu erfassen. Im Operationsraum oder auf der Intensivstation kommt es dabei auf jeden Herzschlag und jeden Atemzug des Patienten an. „Wir müssen aber nicht nur Daten von Dräger-Geräten auswerten. Das größte Problem ist, zuverlässig Daten von Geräten anderer Hersteller auszulesen, weil es leider keine anerkannten Standards dafür gibt.“ Dafür erarbeitet sie gerade eine Lösung in einem interdisziplinären Technologieprojekt in Zusammenarbeit mit Spezialisten der firmeninternen Abteilung für Grundlagenentwicklung. Sie ist gespannt: „Ich freue mich darauf, unsere Ergebnisse in die echte Produktentwicklung einzubringen.“ Bald wird Sina Scheuplein in einem Entwicklungsteam aus Informatikern und Ingenieuren verschiedener Richtungen Gelegenheit haben, „ihre“ Software marktreif zu machen und in ein komplexes IT-System zu integrieren. „Dabei setzen wir moderne Software- Technologie und aktuelle Methoden wie ,Agile Entwicklung‘ ein, um zuverlässige Produkte zu erhalten“, beschreibt Dr. Michael Rehfeldt, Leiter Research & Development Clinical IT, das Vorgehen. Nur so können die ITSysteme dann auch erfolgreich medizintechnisch zugelassen werden und das klinische Personal bei der Arbeit entlasten. So lässt sich beispielsweise die Diagnose durch IT-Systeme unterstützen, die auch komplexe daten- und wissensbasierte Modelle der Vorgänge im Patientenkörper und klinischer Leitlinien auswerten können. Unterstützt durch mobile Geräte wie Tablet-Computer, die ständig aktuelle Daten überall im Krankenhaus zur Verfügung stellen, wird der Behandlungserfolg für den Patienten wirkungsvoll abgesichert. Der Bereich Clinical IT gehört bei Dräger zu den Wachstumsbereichen und wird sukzessive ausgebaut. Software- Ingenieure und Risikomanager arbeiten gemeinsam mit ihren Kollegen daran, die Patientenversorgung noch besser, zuverlässiger und sicherer zu machen. Eine Aufgabe, für die es sich wirklich zu arbeiten lohnt.

Sichere Pillen

Bei der Neu- oder Wiederverwendung von bereits bestehenden technischen Anlagen und automatischen Systemen bei der Herstellung oder Distribution von Arzneimitteln sind Sicherheit und Technologietransfer mitunter eine herausfordernde Thematik. Hier muss nicht nur geprüft werden, ob die Anlage den geltenden Rechtsvorschriften innerhalb der Arzneimittelüberwachung entspricht, sondern auch, ob die Bedienersicherheit weiterhin und auch bei geänderten Anforderungen gewährleistet ist. Von Bert Brouwers, Consultant Technical Safety, Egemin Consulting NV, Zwijndrecht, Belgien

Ob eine technische Anlage, die Arzneimittel produziert, sicher oder nicht sicher ist, ist keine leicht zu beantwortende Frage, denn es müssen viele Aspekte berücksichtigt werden. So könnte eine Anlage unter dem Gesichtspunkt des Patientenrisikos zwar den GMP-Regeln (Good Manufacturing Practices) entsprechen und somit nachhaltig qualitativ sichere Arzneimittel produzieren, aber wie steht es mit der Bedienersicherheit? Diese Anforderungen an die Arbeitssicherheit, die geltenden Arbeitsschutzrechte sowie andere behördliche Auflagen müssen vom verantwortlichen Ingenieur ebenfalls berücksichtigt werden. Der rechtliche Aspekt wird besonders deutlich, wenn man eine Anlage von einem Schwesterunternehmen beispielsweise aus den USA nach Europa verlagern will. In diesem spezifischen Fall erfolgte die Inbetriebnahme einer Produktionsanlage in der Europäischen Union, die zuvor am US-Standort produzierte. Dabei muss diese Anlage neben den geltenden Vorschriften der USA auch den heute geltenden europäischen Rechtsvorschriften entsprechen. Gerade in der EU wurden in den letzten zwanzig Jahren die Vorstellungen im Bereich der Betriebssicherheit wesentlich geändert und weiterentwickelt. Es gibt nicht nur neue technische Möglichkeiten, sondern es sind auch neue Rechtsvorschriften in Kraft getreten, zum Beispiel im Rahmen der Explosionssicherheit oder anderen Vorschriften zur Arbeit mit gefährlichen Gütern und Gefahrstoffen. Egemin Automation schaute als prüfendes Unternehmen im ersten Schritt, welche Rechtsvorschriften im jeweiligen Land oder in der Region überhaupt anwendbar und zu berücksichtigen sind: Befinden sich eine oder mehrere Maschinen in der Anlage? Wird möglicherweise mit explosionsgefährlichen Produkten gearbeitet? Welche Dokumente sind noch vorhanden? Auf Grundlage welcher Vorschriften und Normen wurde die Anlage konzipiert? Im zweiten Schritt prüfte das Unternehmen, inwiefern die Anlage den heute geltenden Rechtsvorschriften entspricht und welche Änderungen nach den aktuellen Gesetzen und Anforderungen an der Anlage vorgenommen werden müssen. Da solche Änderungen meist sehr einschneidend im Hinblick auf die weitere Verwendung sein können und damit auch direkt auf die Investitionssicherheit wirken, ist es wichtig, dieses bereits schon bei Projektbeginn sorgfältig geprüft zu haben. Die Relevanz einer solchen Erstprüfung kann mitentscheidend für die Realisierung eines Projektes sein, da sie in den allermeisten Fällen eine Go- oder No-Go-Entscheidung ist. Ist es beispielsweise unmöglich, mit einer bereits bestehenden Anlage die jeweils herrschenden Sicherheitsregularien zu erfüllen, oder ist der Aufwand für die notwendigen Anpassungen zu groß, kann eine Umsetzung schon gleich am Anfang eines Projektes scheitern. Ein Neubau der Anlage am neuen Standort kann dann durchaus günstiger sein. Im letzten Schritt wurden nicht nur die notwendigen technischen Anpassungen vorgenommen, auch die Unterlagen und Dokumentationen zur Bestätigung der CE-Konformität mussten vollständig beigebracht werden. Insgesamt sorgte die strukturierte und zielgerichtete Herangehensweise an das Projekt dafür, dass mögliche Probleme rechtzeitig erkannt wurden und dass die Anlage am Ende nicht nur die Arzneimittel im Sinne der Zusammensetzung produziert, sondern dass diese Produktionsprozesse auch sicher für den Betreiber und die einzelnen Bediener sind.

Mensch und Umwelt schützen

Technische Sicherheit ist ein weites Feld, und es gibt vielfältige Möglichkeiten für Ingenieure, in diesem Bereich Karriere zu machen. Ob es um innerbetriebliche Sicherheit, die Sicherheit von Anlagen oder von Software und den Umgang mit gefährlichen Stoffen geht – überall müssen Vorschriften eingehalten und überprüft werden. Von Andy Fuchs, TÜV Rheinland

Eisenbahnunfall, Druckbehälterexplosion, Gebäudeeinsturz, Störung im Kraftwerk … Je spektakulärer der Störfall, desto lauter wird der Ruf nach strengeren Vorschriften. Jeder mit Technik vertraute Mensch weiß: Monokausale, auch vom Laien durchschaubare Zusammenhänge sind selten, unvorhersehbare Ereignisse und unerkannt gebliebene Einflüsse dagegen viel häufiger. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Vielmehr ist Sicherheit das Ergebnis einer Abwägung: Welche Gefährdungen müssen unbedingt vermieden werden, welches Restrisiko kann und darf Umwelt, Nutzern und Dritten zugemutet werden? Und Sicherheit ist nicht einfach da, Sicherheit muss erzeugt werden. Wenn Sicherheit in eine technische Einrichtung hineinkonzipiert, hineingeplant, hineinentwickelt und hineingebaut ist, dann muss sie bei der Nutzung dieser Einrichtung eingehalten, fortgesetzt und überwacht werden. Idee, Planung, Betrieb und Aufsicht bedingen einander. Das Unternehmen TÜV Rheinland steht für technische Sicherheit. Experten prüfen im Auftrag des Unternehmens technische Anlagen, Produkte und Dienstleistungen, begleiten Projekte und zertifizieren Prozesse für Unternehmen. Weltweit sind Mitarbeiter in zahlreichen Berufen und Branchen an 500 Standorten in einem Netz anerkannter Labore, Prüf- und Ausbildungszentren tätig, um Sicherheit zu gewährleisten. Doch was bedeutet technische Sicherheit eigentlich genau? Von technischen Systemen gehen Risiken für Mensch und Umwelt aus, diese gilt es beherrschbar zu machen. Technische Sicherheit wird zunehmend durch komplexe elektronische und IT-basierte Systeme realisiert, man kennt dies vom Antiblockiersystem und elektronischen Stabilitätsprogrammen im Auto. Auch die Sicherheit von Bahnsystemen, wie der Schutz vor Kollisionen, Entgleisungen und während der Fahrt öffnenden Türen, wird durch programmierbare, elektronische Systeme im Zusammenspiel mit mechanischen Komponenten, wie zum Beispiel einer Bremse, gewährleistet. Die Arbeit eines Ingenieurs im Bereich Bahntechnik bei TÜV Rheinland ist sehr abwechslungsreich, er arbeitet viel in fachübergreifenden, internationalen Teams. So prüft er zum Beispiel die Software für ein Bremssystem für einen chinesischen Hersteller oder berät seinen Kunden vor der Inbetriebnahme der Signaltechnik eines neuen ICEs. Bei einem Projekt mussten unsere Ingenieure eine fahrerlose Metro in Südamerika überwachen. Hier kamen die Fahrzeuge aus Korea, die Bremsen aus Deutschland und die Signaltechnik aus Frankreich. Manchmal werden Verkehrsunternehmen auch bei der Beschaffung neuer Fahrzeuge beraten, oder es werden Unfallgutachten und Schadensgutachten erstellt. Hauptaufgabe von TÜV Rheinland ist es, Mensch und Umwelt vor möglichen negativen Auswirkungen von Technik zu schützen. Vielmehr soll Technik dazu beitragen, die Lebensqualität zu verbessern. Dies wird durch die Einhaltung von technischen Standards gewährleistet, die in Gesetzen und Normen definiert sind. Hier ist TÜV Rheinland als Berater oder Gutachter tätig und vermittelt zwischen Technik, Mensch und Umwelt bei Herstellern, Betreibern, Behörden und Nutzern. Darüber hinaus arbeiten Ingenieure an der Weiterentwicklung von technischen Standards und Systemen mit und prüfen bei der Entwicklung von Komponenten und Systemen die Unterlagen zu Prozessen und Design. Einen großen Bereich nimmt die Auditierung ein, das heißt die Bewertung von Prozessen und Abläufen. Hier werden Entwickler und ihre Chefs in strukturierten Interviews befragt und anhand von Nachweisen wird überprüft, ob nach den Regeln der Technik entwickelt wird. In der Projektarbeit Kundenkontakte zu pflegen und weiterzuentwickeln, sind natürlich unabdingbare Voraussetzungen. Im Bereich der funktionalen Sicherheit von Bahntechnik ist für uns ein breites Spektrum an Absolventen interessant: Neben Maschinenbauern und Verkehrstechnikern werden auch Elektroingenieure, Physiker, Energietechniker und Nachrichtentechniker eingesetzt. Diese müssen nicht nur fachlich kompetent sein, sondern auch interkulturelle Fähigkeiten besitzen, beispielsweise sollten sie mehrere Sprachen sprechen. Natürlich sollten sie auch über sogenannte Soft Skills verfügen. Denn als Ingenieur, der für Sicherheit zuständig ist, ist die Zusammenarbeit mit Kollegen, Teammitgliedern und Kunden an der Tagesordnung. Deshalb sind Menschenkenntnis sowie Interesse für die Zusammenarbeit mit Menschen, großes Verantwortungsbewusstsein und ein Faible für Sicherheit und Qualität ein Muss. Außerdem sollte man als Sicherheitsingenieur Spaß an „Murphys Gesetz“ haben und es gern provozieren. Das bedeutet: Es muss Bewerbern Spaß machen, nach dem Haar in der Suppe zu suchen und es zu finden. Im Bereich technische Sicherheit haben Hochschulabsolventen vom ersten Tag an unter Anleitung eines erfahrenen Mentors Bezug zur Praxis. Sie profitieren somit vom großen Erfahrungsschatz eines Kollegen. Im Verlauf der Karriere gibt es eine breite Auswahl an persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Es ist möglich, sich fachlich zu spezialisieren oder sich in Richtung Projektleitung, Akquisition und Management zu orientieren. Und es gilt: Ein Ingenieur muss immer am Puls der Zeit sein, was die Technologie betrifft.

Murphys Gesetz

Edward Aloysius Murphy jr. war ein US-amerikanischer Ingenieur. Die von ihm formulierte Lebensweisheit machte ursprünglich eine Aussage über menschliches Versagen beziehungsweise über Fehlerquellen in komplexen Systemen und lautete: „Wenn es zwei oder mehr Wege gibt, etwas zu erledigen, und einer davon kann in einer Katastrophe enden, so wird jemand diesen Weg wählen.“ Anlass dieses Ausspruchs war ein schiefgegangenes Experiment. Die bekanntere Fassung: „Alles was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen“, stammt gar nicht von Murphy, sondern wird einem gewissen Finagle zugeschrieben. Der ist jedoch keine reale Person, sondern eine Figur aus den Ringwelt-Romanen von Larry Niven. Es gibt unzählige Persiflagen von Murphys Gesetz. In ihnen geht es meist um Widrigkeiten des Alltags. Beispiele dafür sind: Brot fällt immer auf die Marmeladenseite. Was du suchst, findest du immer an dem Platz, an dem du zuletzt nachschaust. Man steht immer in der längsten Schlange. Hier geht es eher darum, dass die Welt sich offenbar gegen einen verschworen hat und immer das ungünstigste Ereignis eintritt. Quelle: www.wissenschaft-im-dialog.de

Gelebte Globalisierung

Tagesordnungspunkt: Gelebte Globalisierung Verteiler: Angehende Ingenieure CC: Absolventen aller ingenieurwissenschaftlicher Fachrichtungen Ort: Baden-Württemberg und die ganze Welt Datum: im März 2013 Aufgezeichnet von: Meike Nachtwey „Die globale Welt muss unser Zuhause sein. Denn Vertrauen braucht persönlichen Kontakt und Nähe“, ist Dr. Manfred Wittenstein, Vorstandsvorsitzender der Wittenstein AG, überzeugt. Deshalb rief er das Projekt „Pioniere auf der Walz“ ins Leben, das einer mittelalterlichen Tradition den Geist der neuzeitlichen Globalisierung einhaucht. „Das Projekt ist ein wesentliches Element, um als global handelndes Unternehmen zu wachsen“, so der Vorsitzende. Seit Ende 2011 sammeln Auszubildende und Studenten der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) als „Pioniere auf der Walz“ nach Abschluss ihres Studiums in Ländern ihrer Wahl außergewöhnliche Arbeits-, Lebens- und Auslandserfahrungen. Mit wenigen Vorgaben stellen sie sich selbst eine Aufgabe und organisieren ihren Aufenthalt in einem fremden Land, ehe sie dann im Anschluss wieder im beziehungsweise für das Unternehmen arbeiten. Die Walz bezieht sich traditionell auf die Wanderschaft von Gesellen, die einer Zunft angehörten, nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit. Sie sollten vor allem neue Arbeitspraktiken, Lebenserfahrung und fremde Orte kennenlernen. Im Zuge der Globalisierung ist es auch heute für die Entwicklung von Unternehmen, Mitarbeitern und Märkten wichtig, sich in fremden Kulturkreisen zurechtzufinden und sie zu verstehen. Ziel der Walz bei Wittenstein ist es daher, Erfahrungen zu machen, den Horizont zu erweitern, kulturelle und soziale Kompetenz zu fördern und die Persönlichkeit der Pioniere weiterzuentwickeln, damit sie sich selbst und das Unternehmen auf dem Weg zum global agierenden Mechatronik-Konzern voranbringen. Die Personalabteilung unterstützt die Walz: „Damit sich unsere Pioniere ganz auf Land und Leute konzentrieren können, bleibt das Beschäftigungsverhältnis mit uns bestehen“, erklärt Personalleiter Oliver Kössel. „Wir nehmen eine Fürsorgepflicht wahr, die weit über das monatliche Walz-Entgelt, die Übernahme von Spesen und die Abwicklung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern hinausgeht. Außerdem erhalten alle Pioniere auch ein Subventionspaket, indem wir den Flug, Impfungen, die Auslands-Krankenversicherung, das Visum und einen Gesundheitscheck übernehmen.“ Bisher kamen alle Pioniere mit wertvollen Auslandserfahrungen zurück. Sie erzählen von Unterschieden und Ähnlichkeiten, Problemen und Lösungen, Erfolgen und Niederlagen, aber vor allem von einem Erlebnis, das sie geprägt hat im Umgang mit Land, Leuten und Kulturen. Vor dem Hintergrund der Globalisierung ist es genau das, was die Walz laut Dr. Manfred Wittenstein erreichen soll: „Unser Unternehmen, aber auch die gesamte Gesellschaft, braucht einen neuen, unkomplizierten Umgang mit der Globalisierung. Die persönlichen Erfahrungen und der offene Blick der Pioniere auf die Welt wird ihnen und damit auch dem Unternehmen im Berufsalltag ungemein nützlich sein.“

Jung und erfolgreich bei: Fresenius Medical Care

Name: Eun-Koo Kim Position: Technischer Produktmanager Stadt: Bad Homburg Alter: 31 Jahre Studium: Maschinenbau mit Schwerpunkt Medizintechnik Abschlussjahr: 2010 Interessen: Sport, internationale Küche, Reisen Ziel: Führungsposition Mehr als zwei Millionen Menschen weltweit müssen sich aufgrund von chronischem Nierenversagen regelmäßig einer Dialysebehandlung unterziehen. Diesen Menschen eine bessere Therapie und eine angenehmere Behandlung zu ermöglichen, ist das Ziel meiner Arbeit. Als technischer Produktmanager für Hämodialysemaschinen bei Fresenius Medical Care arbeite ich in einem abwechslungsreichen Aufgabenfeld. Dazu gehört sowohl die Mitarbeit an spannenden Entwicklungsprojekten als auch an Projekten mit strategischer oder organisatorischer Ausrichtung. Beispielsweise untersuche ich, welche Anforderungen Neuentwicklungen an der Dialysemaschine im Hinblick auf Verfahrenstechnik und Gebrauchstauglichkeit erfüllen müssen. Auch das Testen sowohl im Labor als auch vor Ort in den Dialysekliniken in Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal gehört zu den Aufgaben eines technischen Produktmanagers. Ich wurde intensiv auf meine jetzige Tätigkeit vorbereitet und erhielt Stück für Stück mehr Verantwortung. Zudem gibt es eine Vielzahl von Angeboten, um mich neben dem fachlichen Knowhow auch kontinuierlich in Themen wie zum Beispiel Projektmanagement, Zeitund Selbstmanagement oder Konfliktmanagement weiterzubilden. Besonders gut gefällt mir, dass ich durch die starke Einbindung in den Entwicklungsprozess die Möglichkeit habe, ein Produkt aktiv mitzugestalten, welches dann weltweit eingesetzt wird. Die Tests in den Dialysekliniken führe ich auch außerhalb Deutschlands durch. Dadurch verstehe ich nicht nur die Anwender unserer Produkte besser; ich lerne auch neue Kulturen kennen und kann mir ein internationales Netzwerk aufbauen. Bereits während meines Maschinenbau- Studiums mit Schwerpunkt Medizintechnik an der RWTH Aachen wurde ich auf Fresenius Medical Care aufmerksam. Ich absolvierte ein Praktikum in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Unternehmens und schrieb dort auch meine Diplomarbeit. Die Verknüpfung von Medizin und Technik, die zunehmende Bedeutung der Medizintechnik und das Arbeiten für das Wohl kranker Menschen waren für mich die ausschlaggebenden Gründe für die Wahl meines Studienschwerpunkts. Mittlerweile bin ich mehr als zwei Jahre im technischen Produktmanagement tätig. Mein Team hat mich von Anfang an herzlich aufgenommen und jederzeit unterstützt. Wir pflegen ein freundschaftliches Verhältnis, und auch privat werden gemeinsam Aktivitäten unternommen.

Interview mit Michael Braungart

Cradle-to-Cradle

Der Ansatz von Michael Braungart heißt: Wenn sich ein Produkt abgenutzt hat, leben alle seine Komponenten und Ressourcen in anderen Produkten weiter. Statt linear denkt der Chemiker und Verfahrenstechniker also in Zyklen – und glaubt, damit die Lösung für die Umweltproblematik gefunden zu haben. Weltweit findet sein Prinzip immer mehr Freunde. Auch in Unternehmen. Im Interview mit André Boße erklärt Braungart, warum seiner Meinung nach viele den Umweltschutz falsch verstehen und was er sich von jungen Ingenieuren erhofft.

Zur Person

Michael Braungart, 54 Jahre, ist promovierter Chemiker und Verfahrenstechniker. Parallel zum Studium wirkte er beim Aufbau der Abteilung Chemie bei Greenpeace Deutschland mit, 1987 gründete er das Umweltforschungsinstitut EPEA in Hamburg und entwickelte zusammen mit dem US-amerikanischen Architekten und Designer William McDonough das Cradle-to-Cradle-Konzept: Statt von der Wiege bis zur Bahre (also von der Produktion bis zum Zustand als Müll) werden Produkte von der Wiege bis zur Wiege gedacht und bleiben nach der Nutzung Teil eines natürlichen oder technischen Kreislaufs. Neben zwei Büchern zu diesem Ansatz vertritt Michael Braungart das Prinzip bei vielen Vorträgen auf der ganzen Welt. Seit 2008 ist der dreifache Familienvater Professor für einen Cradle-to-Cradle-Studiengang in Rotterdam.
Herr Professor Braungart, wie intelligent produzieren und verwerten wir aktuell in Deutschland? Noch benutze ich in meinen Vorträgen Deutschland als Beispiel für ein Land, in dem es viele Manager und Techniker zwar gut meinen, dabei jedoch auf das falsche Pferd setzen. Man denkt nämlich hierzulande, man schützt die Umwelt, wenn man möglichst wenig zerstört. Fahre weniger Auto! Erzeuge weniger Müll! Verbrauche weniger Wasser! Klingt doch vernünftig. Aber wirklicher Schutz muss mehr sein, als nur darauf zu achten, Dinge etwas weniger zu zerstören. Die Deutschen sind in diesem „Wenigerschlecht- sein“-Management weltweit führend. Aber weniger schlecht ist nicht gut. Das Problem ist, dass wir in Deutschland viele Ingenieure und Manager haben, die sich blendend darauf verstehen, das bestehende System zu optimieren. Was verstehen Sie unter dem bestehenden System? In Deutschland denken noch zu viele, man könnte Umweltprobleme mit einer effizienten Müllverbrennungsanlage aus der Welt schaffen. Das Prinzip lautet: Von der Wiege bis zur Bahre. Sprich: Ein Produkt hat irgendwann das Ende seiner Lebenszeit erreicht, dann ist es Abfall. Natürlich gibt es in Deutschland ein Recycling- System. Doch dieses geht nicht weit genug. Wir müssen dahin kommen, dass wirklich alle Bestandteile eines Produkts endlos wiederverwertet werden können – und zwar ohne jegliche Qualitätseinbuße beim Produkt. Das Prinzip lautet dann: Von der Wiege bis zur Wiege. Oder auf Englisch „Cradle to Cradle“. Können Sie ein Beispiel für ein erfolgreiches Cradle-to-Cradle-Produkt nennen, an dessen Entwicklung Ingenieure einen großen Anteil haben? Die dänische Reederei Maersk baut riesige Containerschiffe, die ab 2015 komplett nach dem Cradle-to-Cradle- Prinzip entworfen werden. Das heißt: Alle Teile dieser 60 Tonnen schweren Frachter bestehen aus positivem Material. Aus Material, das keine Schadstoffe ans Meer abgibt und das am Ende der Nutzungsdauer des Schiffes in anderen Produkten weiterverwendet werden kann. Warum hat sich das „Cradle-to- Cradle“-Prinzip noch nicht auf weiter Ebene durchgesetzt? Weil der Dialog zwischen Ingenieuren und Naturwissenschaftlern auf der einen und Managern auf der anderen Seite noch deutlich intensiver werden muss – wobei die technischen Experten dann vor der Aufgabe stehen, aufzustehen und zu sagen: Was wir da über Jahre gemacht haben, ist falsch – auch, wenn es vielleicht auf den ersten Blick richtig erscheint.

Lesetipps

Michael Braungart/William McDonough: Einfach intelligent produzieren – Cradle to Cradle: Die Natur zeigt, wie wir die Dinge besser machen können. Berlin Verlag 2001. ISBN: 978-3833301834. 10,99 Euro Michael Braungart/William McDonough: Die nächste industrielle Revolution: Die Cradle to Cradle-Community. Europäische Verlagsanstalt 2011. ISBN 978-3863930059. 25 Euro.
Können Sie dafür Beispiele nennen? Auf den ersten Blick ist es eine gute Sache, wenn ein Hersteller von Küchenböden beginnt, PVC-Beläge zu recyceln, denn so sichern wir die Rohstoffbasis und verringern unsere CO2- Bilanz. Aber die Sache hat einen Haken: PVC war von Anfang an die falsche Wahl für einen Bodenbelag, denn er ist ein umwelt- und gesundheitsschädliches Polymer. Anstatt also weiterhin besser darin zu werden, das Falsche zu machen – nämlich recyclebare PVC-Böden zu entwickeln –, sollten wir Materialien verwenden, die nach der Nutzung in einem Teppich komplett für andere Produkte verwertet werden können. Ein zweites Beispiel: Autoreifen halten heute doppelt so lange wie vor einigen Jahren. Da denkt zunächst einmal jeder: „Ist doch klasse für die Umwelt.“ Sie werden aber viele gute Ingenieure und Naturwissenschaftler finden, die diese Entwicklung kritisch sehen, weil sie wissen, was in diesen Autoreifen drin ist. Für jeden Autoreifen werden bis zu 800 Chemikalien verwendet; 500 von denen dürften eigentlich nie in die Umwelt gelangen. Als die Reifen noch schneller auf die Halde wanderten, blieben sie im geschlossenen System. Heute, bei den längeren Nutzungszeiten, geraten sie aber an die Luft. Wir atmen diesen gesundheitsschädlichen Feinstaub ein, was vor allem bei Städtern höhere Zahlen von Bronchitiserkrankungen zur Folge hat. Beide Beispiele zeigen: Es muss einen engen Dialog zwischen technischen Experten und Managern geben, damit überhaupt erst einmal klar wird, welche Folgen Entscheidungen nach sich ziehen. Darf ein Ingenieurseinsteiger hoffen, mit seinem Wissen und seinem Willen zur Veränderung tatsächlich auf offene Ohren zu stoßen? Ja, denn wir haben nicht viel Zeit. Die Zerstörung der Natur passiert so schnell, dass wir jetzt Lernprozesse anstoßen müssen, um die Dinge sofort anders zu machen. Die junge Generation ist jetzt am Zug – und sie macht mir Hoffnung. Inwiefern? Junge Ingenieure möchten nicht an verwaschenen Konzepten oder halbgaren Lösungen beteiligt sein. Sie möchten stolz auf das sein, was sie tun. Sie möchten echte Innovationen auf den Weg bringen. Echte Qualität. Was zeichnet denn heute die Qualität eines Produktes aus? Wenn ich ein Produkt entwerfe, das – damit es sich rechnet – in Fabriken zusammengeschraubt werden muss, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, dann ist dieses Produkt nicht hochwertig. Auch ein Produkt, das zu großen Teilen aus schadstoffhaltigen Rohstoffen besteht, ist nicht hochwertig. Klar, so eine Produktion mag auf den ersten Blick effizient wirken. Aber schon morgen kann Ihnen die Sache um die Ohren fliegen, wenn nämlich jemand die lausigen Produktionsbedingungen oder die Schadstoffbelastungen herausfindet – und das Unternehmen dann dafür haften muss. In solchen Fällen zeigt sich schnell, dass die schlechte Qualität der Produkte für das Unternehmen zu einem echten Risikofaktor wird. Daher ist es heute so wichtig, dass Ingenieure in ihren Unternehmen darauf pochen, Qualität herzustellen. Darf ich jungen Ingenieuren an dieser Stelle noch zwei Dinge mit auf den Weg geben? Gerne. Erstens sollten sie damit aufhören, aus Marketinggründen bei Produkten von Lebenszyklen zu sprechen. Produkte leben nämlich nicht, wir nutzen sie. Zudem suggeriert dieser Begriff, dass es eines Tages mit dem Produkt zu Ende gehen wird – und damit eben auch alle seine Ressourcen den Weg von der Wiege bis zur Bahre gehen. Viel besser ist es, von der Nutzungszeit eines Produkts zu sprechen: Hat zum Beispiel eine Waschmaschine ihre Nutzungszeit überschritten, stehen ihre gesamten Komponenten bereit, in ein anderes Produkt einzugehen. Und zweitens sollten Ingenieure aufhören, von „nachhaltigen Innovationen“ zu reden. Das ist ein Widerspruch in sich: Innovationen können nicht nachhaltig sein – sonst wären sie nicht innovativ. Und überhaupt ist „Nachhaltigkeit“ in meinen Augen kein Ziel, für das man echte Leidenschaft entwickeln kann. Sagen Sie mal einem Bekannten, der Sie fragt, wie es Ihnen in Ihrer Beziehung geht: „Es läuft nachhaltig.“ Er wird sich eher Sorgen um Sie machen, als sich mit Ihnen zu freuen. Wie stellen Sie sich in Deutschland einen Umweltschutz vor, der seinem Namen gerecht wird? Wir sollten uns zunächst einmal andere Ziele setzen. Positive Ziele. Stattdessen arbeiten viele Städte und Unternehmen weiter darauf hin, klimaneutral zu sein. Man pflanzt die Anzahl der Bäume, die man am Ort A abgeholzt hat, am Ort B wieder ein; das Traumauto der Zukunft soll ein Fahrzeug sein, das null Emissionen erzeugt. Nur: Haben Sie schon einmal einen klimaneutralen Null-Emissions-Baum gesehen? Nein, denn jeder Baum kann mehr. Er ist klimapositiv. Sollen wir Menschen uns trotz unserer Intelligenz damit zufrieden geben, weniger zu können als ein Baum? Im ersten Schritt müssen wir uns also von unserer Bescheidenheit befreien. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass wir Menschen – und allen voran die Ingenieure – das Potenzial besitzen, Dinge herzustellen, die der Umwelt nutzen.

Videos zum Cradle-to-Cradle-Prinzip

„Cradle to Cradle“ in 90 Sekunden: Cradle-to-Cradle-Containerschiffe der Reederei Maersk: „Cradle-to-Cradle“-Ansatz beim Babyproduktehersteller Goodbaby: