Der Weg zum Facharzttitel

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Die Weiterbildung zum Facharzt ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die berufliche Karriere in der Medizin. Sie ist zwar keine Pflicht – aber eine abgeschlossene Weiterbildung nach den Regeln der ärztlichen Weiterbildungsordnung ist Voraussetzung für viele Positionen in der medizinischen Versorgung. Von Dr. Magdalena Benemann

Ohne Facharztbezeichnung gibt es keine Oberarzt- oder Chefarztstelle, und auch eine Niederlassung in eigener Praxis setzt eine abgeschlossene Weiterbildung, also den Facharzttitel, voraus. Die Wahl des geeigneten Fachgebietes und die Frage danach, wie und wo sich die Weiterbildung im gewünschten Fach auch tatsächlich absolvieren lässt, stehen also zu Recht im Mittelpunkt der Überlegungen vieler Medizinstudenten. Dabei sind die Kriterien für die Wahl eines Fachgebietes sicher vielfältig. Während manche angehenden Ärzte schon beim Beginn des Studiums oder während des Praktischen Jahres ihr Wunschfach kennen beziehungsweise entdecken, zögern andere, sich frühzeitig festzulegen. Wichtigstes Kriterium für die Auswahl eines Fachgebietes sollte vor allem die persönliche Neigung und Empathie sein. Niemand wird als Chirurg später glücklich und erfolgreich, weil er sich am hohen Prestige oder Einkommen orientiert hat. Hier gilt es, in sich hineinzuhorchen und ehrlich mit sich, seinen Fähigkeiten und Neigungen zu sein. Genausowenig sollte man sich daran orientieren, mit welchen Fachrichtungen man später einmal besonders gut eine eigene Praxis eröffnen kann. Denn bis Ärzte komplett ausgebildet sind, vergehen in der Regel sieben bis acht Jahre, in denen sich vieles im Gesundheitssystem ändern kann. Dennoch spielen bei der Entscheidung für ein geeignetes Fachgebiet auch berufliche Perspektiven oder die Rahmenbedingungen ärztlicher Tätigkeit eine Rolle. So ist es für die wachsende Zahl von Frauen im Medizinberuf wichtig zu wissen, ob sie später Beruf und Familie vereinbaren können. In Fachgebieten mit hohem zeitlichen Verfügbarkeitsanspruch – dazu gehören alle chirurgischen Gebiete – ist dies nicht prinzipiell unmöglich, aber schwerer zu erreichen als etwa in der Allgemein- oder Inneren Medizin. Entsprechend findet man rund 48 Prozent aller Ärztinnen mit einer Facharztbezeichnung in den drei Gebieten Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Frauenheilkunde. Das Gute an der Weiterbildung in Deutschland ist, dass es sich dabei nicht um eine Einbahnstraße handelt, sondern dass Leistungen in einem Fach auch in einem anderen anrechenbar sind. Wer zum Beispiel seine erste Stelle in der Inneren beginnt, muss dort nicht zwangsläufig bis zum Facharzt bleiben. Denn Zeiten in der Inneren sind auch in anderen Facharztweiterbildungen anrechenbar, so etwa in der Chirurgie, der Gynäkologie oder in der Kinderheilkunde. Insgesamt kann man derzeit zwischen 33 verschiedenen Fachgebieten von „A“ wie Allgemeinmedizin bis „U“ wie Urologie wählen. Hinzu kommen Schwerpunktbezeichnungen innerhalb der Fachgebiete, zum Beispiel in der Chirurgie, in denen der Arzt nach einer zweijährigen Basisweiterbildung acht verschiedene Schwerpunkte wählen kann: Neben der Allgemeinchirurgie etwa Herz-/Hand-/Gefäßchirurgie oder Orthopädie/Unfallchirurgie. Wer sich für ein Fachgebiet entscheiden will, dem ist im Vorfeld zu raten, die jeweilige Weiterbildungsordnung, die von den Landesärztekammern erlassen wird, gründlich zu studieren, um einen Überblick über die zeitlichen, strukturellen und inhaltlichen Anforderungen und Voraussetzungen zu gewinnen. In der Regel dauert eine Weiterbildung je nach Fachgebiet, persönlichen Umständen und Arbeitsbedingungen in der jeweiligen Klinik zwischen fünf und acht Jahren. Sie findet vorwiegend in Krankenhäusern, zum Teil auch in ambulanten Praxen statt, unter der Aufsicht und Anleitung eines sogenannten Weiterbildungsbefugten, das heißt in der Regel des Chef- oder Oberarztes einer Abteilung. Wer eine Weiterbildung beginnen möchte, sucht also zunächst eine Assistenzarztstelle in einem Krankenhaus oder bei einem niedergelassenen Arzt, der für die Weiterbildung befugt ist. Informationen über diese Befugnis halten die jeweiligen Krankenhäuser oder die zuständigen Landesärztekammer vor. Dabei ist es wichtig zu erfragen, für welchen Zeitraum der betreffende Arzt die Erlaubnis hat. Ist zum Beispiel für eine Weiterbildung ein Zeitraum von mindestens fünf Jahren vorgeschrieben, der Arzt, bei dem man arbeitet, aber nur für einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren befugt, werden auch nur diese Zeiten für die Weiterbildung angerechnet. So kann es dann notwendig sein, die Klinik oder die Abteilung zu wechseln. Was ein Arzt verdient, hängt zunächst nicht vom gewählten Fachgebiet ab. In nahezu allen Krankenhäusern gibt es vom Marburger Bund vereinbarte spezifische Tarifverträge. Das Grundgehalt für einen Arzt im ersten Jahr beträgt unabhängig vom gewählten Fachgebiet derzeit rund 3800 Euro. Hinzu kommen Entgelte für Bereitschaftsdienste und gegebenenfalls Überstunden. Steigt man in der beruflichen Hierarchie weiter auf, spielt das Fachgebiet beim Einkommen allerdings durchaus eine wichtige Rolle. So verdienen Chefärzte in der Chirurgie deutlich mehr als etwa in der Kinderheilkunde, Ähnliches gilt für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte.

Die medizinischen Fachbereiche

1. Allgemeinmedizin 2. Anästhesiologie 3. Anatomie 4. Arbeitsmedizin 5. Augenheilkunde 6. Biochemie 7. Chirurgie 8. Frauenheilkunde und Geburtshilfe 9. Hals-Nasen-Ohrenheilkunde 10. Haut- und Geschlechtskrankheiten 11. Humangenetik 12. Hygiene und Umweltmedizin 13. Innere und Allgemeinmedizin (Hausarzt) 14. Kinder- und Jugendmedizin 15. Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie 16. Laboratoriumsmedizin 17. Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie 18. Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie 19. Neurochirurgie 20. Neurologie 21. Nuklearmedizin 22. Öffentliches Gesundheitswesen 23. Pathologie 24. Pharmakologie 25. Physikalische und Rehabilitative Medizin 26. Physiologie 27. Psychiatrie und Psychotherapie 28. Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 29. Radiologie 30. Rechtsmedizin 31. Strahlentherapie 32. Transfusionsmedizin 33. Urologie Quelle: (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer

E-Mail für Dich

Von: Prof. Dr. Mario Siebler Dringlichkeit: hoch An: Medizinstudenten und junge Mediziner Betreff: Warum eigentlich nicht in der Reha starten?
Liebe Medizinstudenten und junge Mediziner, die Rehaklinik hat gerade bei jungen Medizinern und Medizinstudenten noch einen schlechten Ruf. Das liegt meiner Meinung nach an dem alten Bild von Rehakliniken als Kurklinik und dem Mediziner als „Badearzt“. Es herrscht oft die Meinung, dort fände keine „richtige“ Medizin oder gar Diagnostik statt, das Aufgabengebiet sei weniger vielseitig und nur begutachtend. Und zuletzt: Der Einstieg in die Reha blockiere die Karriere. Das sehe ich anders. Gut, operieren werden Sie in der Reha nicht, dafür müssen Sie aber genauso Notfälle beherrschen und sich in den Diensten bewähren. Durch die verkürzten Aufenthalte der Patienten im Akuthaus braucht die Rehabilitation im Anschluss oft noch eine gründliche diagnostische Aufarbeitung und pharmakologische Einstellung. Die Reha ist inzwischen die Fortsetzung der Akutbehandlung. Man lernt eine intensive klinische Untersuchung und eine vollwertige fachspezifische Funktionsdiagnostik, um die Krankheit zu verstehen, Komplikationen zu vermeiden und eine Prognose abgeben zu können. Reha heißt neben Indikationsstellung zu invasiven Maßnahmen auch, die Mechanismen zu verstehen, welche eine optimale Regenerationsförderung erlauben, bis hin zur Anwendung neuer pharmakologischer Therapien. Der enge und längere Kontakt zu den Patienten in der Reha hat für Berufsanfänger den entscheidenden Vorteil, dass Sie verschiedenste Krankheitsbilder sehr detailliert kennenlernen. Das Spektrum reicht von Patienten mit Akuterkrankungen, die im Prinzip direkt von der Intensivstation in die Rehabilitation kommen, bis zur Nachversorgung seltener Krankheiten. Sie begleiten die Patienten und sehen den Heilungsprozess und den Erfolg Ihrer Therapie. Wer später Allgemeinmediziner oder Hausarzt werden will, ist daher in der Reha genau richtig. Sie lernen die Methoden der Therapeuten und auch das Formularwesen, das gerade als Hausarzt sehr wichtig ist, in der Reha viel besser kennen als in einer Akutklinik. Langweilig wird Ihnen in der Reha sicher nicht. Die Behandlungszahl der Patienten und deren Erkrankungsschwere sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen und haben so manche Akutklinik übertroffen. Kaffeetrinken, Tango und Fango – die Zeiten sind vorbei. Trotzdem ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Reha deutlich einfacher. Der Tagesablauf und die Aufnahmen sind geregelter, so dass auch Teilzeitstellen leichter zu realisieren sind. Die Rückkehr in die Akutklinik sehe ich aus eigener Erfahrung unkritisch, wenn Sie nicht eine Wissenschaftskarriere geplant haben. Viele meiner ehemaligen Assistenzärzte haben inzwischen erfolgreich ihren Facharzt erreicht und sich gut etabliert. Einige Kollegen aus Akuthäusern setzen bei der Facharztausbildung sogar explizit auf ein Rotationsprogramm mit Rehakliniken. Die Assistenzärzte lernen die Abläufe in der Reha kennen und können davon auch im Berufsalltag in der Akutklinik profitieren. Meine Empfehlung an die neue Generation der Mediziner ist daher, zu erkennen, dass es auch eine neue Entwicklung in der Rehabilitation gibt. Seien Sie offen für Neues! Schauen Sie mal in die Reha rein! Mit herzlichen Grüßen, Prof. Dr. Mario Siebler Chefarzt der Fachklinik für Neurologie MediClin Fachklinik Rhein/Ruhr Auf der Rötsch 2 45219 Essen

Interview mit Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel

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Ein Universitätsklinikum steht immer für den Dreiklang aus Krankenversorgung, Forschung und Lehre. Für Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel, der auch Mitglied des Deutschen Ethikrats und im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages ist, gibt es dennoch einen klaren Fokus. Im Sinne des Leitbildes des Universitätsklinikums Essen, „Spitzenmedizin und Menschlichkeit“, stehen für ihn an allererster Stelle die Patienten. Eine für seine rund 5600 Mitarbeiter nicht immer einfache und doch sehr erfüllende Aufgabe. Das Interview führte Christiane Siemann.

Zur Person

Univ. Prof. Dr. Dr. med. habil. Dr. phil. Dr. theol. h.c. Eckhard Nagel, 52 Jahre, studierte Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover und unter anderem an der University of Vermont (USA). Zudem studierte er Philosophie und Geschichte. Nach der Promotion zum Doktor der Medizin war er an der Medizinischen Hochschule Hannover als wissenschaftlicher Assistent, später als Oberarzt für Abdominal- und Transplantationschirurgie tätig. 1998 habilitierte er zum Thema „Neue Beurteilungsverfahren in der Medizin am Beispiel der Transplantationschirurgie“. Nagel ist seit 2001 Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften sowie Mitglied der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie der Universität Bayreuth. Von 2001 bis 2010 war er Chefarzt und Leiter des Chirurgischen Zentrums sowie des Transplantationszentrums im Klinikum Augsburg, seit 2010 ist er Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen. 2002 wurde Nagel erstmals in den neu gegründeten Nationalen Ethikrat (heute Deutscher Ethikrat) berufen.

Zum Universitätsklinikum Essen

Als Krankenhaus der Maximalversorgung liegt das Universitätsklinikum Essen im Herzen der Metropole Ruhr. Im vergangenen Jahr wurden hier rund 163.000 Patienten ambulant behandelt und weitere 49.000 stationär in rund 1300 Betten. 5590 Experten der unterschiedlichsten Disziplinen in 26 Kliniken und 20 Instituten arbeiten auf dem neuesten Stand der Forschung. Neben den Forschungsgebieten Genetische Medizin, Immunologie und Infektiologie konzentriert sich das Klinikum seit Jahren auf die drei Schwerpunkte Herz- Kreislauf, Transplantation und Onkologie. So ist das Westdeutsche Tumorzentrum Essen (WTZ), ein Comprehensive Cancer Center nach amerikanischem Vorbild, seit 2009 als onkologisches Spitzenzentrum in Deutschland anerkannt. Hier werden jährlich mehr als 2000 Operationen durchgeführt.
Herr Professor Nagel, war Ihnen der Wunsch, Medizin zu studieren, in die Wiege gelegt? Nein, als Junge wollte ich natürlich Fußballprofi werden. Aber mit zwölf Jahren musste ich als Patient ins Krankenhaus, mir wurde der Blinddarm entfernt. Damals war es noch üblich, dass sich der stationäre Aufenthalt bis zu zehn Tagen hinzog. So blieb mir drei Tage nach der Operation viel Zeit zum Schlendern über die chirurgische Station. Das fand ich faszinierend, denn in der chirurgischen Abteilung herrschte immer viel Spannung – im positiven Sinne. Mir wurde klar, dass man dort Menschen ganz unmittelbar helfen kann. Das ist in der Chirurgie noch deutlicher spürbar als in anderen medizinischen Fachdisziplinen. Von da an stand für mich fest, dass ich Medizin studieren wollte. Nach dem Abitur habe ich dann ein zweimonatiges Pflegepraktikum absolviert und danach das Studium begonnen. Welche prägende Erinnerung haben Sie an Ihr Studium? Die erste und wichtigste war der Anatomiepräparationskurs, denn mit der Arbeit am menschlichen Leichnam begann das Studium. Das hat mich sehr beeindruckt. Einerseits wurde mir klar, was es heißt, mit, am und für den Menschen zu arbeiten. Andererseits war ich sehr enttäuscht, dass es damals keinen Kontakt mit Patienten in der medizinischen Versorgung gab. Das hat mich frustriert und war ein Grund dafür, dass ich parallel noch ein Philosophiestudium begann. Hier kam ich dem Menschen als Gesamtpersönlichkeit auf intellektueller Ebene ganz nah und nicht nur den Bausteinen aus Aminosäuren. Letztlich wollte ich den Menschen ganzheitlich kennenlernen, um auch mich besser kennenzulernen. Das Leben ist ein Findungsprozess. Dafür braucht es Freiheit und Unterstützung. Beides hat mein Studium charakterisiert. Wie haben Sie die Entscheidung getroffen, Chirurg zu werden? Ich hatte zwar meine Doktorarbeit in der Chirurgie geschrieben, aber zu dieser Zeit fasste ich noch zwei andere Fachrichtungen ins Auge, nämlich Psychiatrie und Kinderheilkunde. Um eine Entscheidung zu treffen, habe ich Lehrer befragt, warum sie sich gerade für ihr Fachgebiet entschieden hatten. Bei zwei Professoren waren es vornehmlich biografische Zufälle. Der dritte, der Chirurg, fand meine Frage lächerlich: Ob man Chirurg werden wolle oder nicht, wisse man, wenn man morgens das Ei aufschlage. Diese Offenbarung blieb mir leider verwehrt. Dennoch bewirkte diese Eindeutigkeit der Identifikation, dass ich besonderes Interesse gewann und die Chirurgie ausprobieren wollte. Dabei hatte ich dann das außerordentliche Glück, den Transplantationsmediziner Dr. Rudolf Pichlmayr kennenzulernen. Die Begegnung mit ihm und seine faszinierende Persönlichkeit – sowohl als Chirurg als auch als Mensch – haben mich sehr stark geprägt und persönlich beeinflusst. Nach einem Monat stand für mich die Fachausrichtung fest. Sie haben es an die berufliche Spitze geschafft. Welche Voraussetzungen haben Sie dafür mitgebracht? Ich wollte Verantwortung übernehmen und nicht nur mitlaufen. So habe ich bewusst die Entscheidung getroffen, zuerst an einem Universitätsklinikum zu arbeiten. Hier bewegt man sich an der Spitze der Entwicklung der Medizin – selbst als Assistent. Zudem lässt die Ausbildung alle Möglichkeiten offen: den Weg in die Wissenschaft, in die Praxis oder in die Krankenhauskarriere. Und es braucht eine große Portion Leidenschaft – für die Medizin als Wissenschaft, für die Hinwendung zum Patienten – sowie Gestaltungswillen. Grundsätzlich gilt: Eine Karriere fällt niemandem zu – man wächst in sie hinein, indem sich Aufgaben- und Verantwortungsbereiche erweitern. Dabei sollte die grundsätzliche Neigung zum Beispiel für die Lehrtätigkeit, die Forschung, die organisatorischen Aufgaben oder die Prozessgestaltung vorhanden sein. Nur was man gerne tut, macht man letztlich auch gut. Beim Kennenlernen der Systeme und ihrer Strukturen, ob in Kliniken oder in der Wissenschaft, ist mir aber auch schnell klar geworden, dass für mich das Wichtigste der einzelne Patient, also die Beziehung zum Menschen bleibt. Eine Karriere, für die man das Opfer bringen muss, sich als Mensch zu verbiegen, führt langfristig nicht zur Zufriedenheit und verleidet einem die Berufstätigkeit. Ob als Oberarzt, Chefarzt oder Klinikleiter – die innere Freiheit, sich jederzeit entscheiden zu können, wie man seine Karriere fortsetzen möchte, zum Beispiel durch einen Wechsel aus der Klinik in die eigene Praxis, sollte man immer behalten. Sie sind auch Mitglied des Deutschen Ethikrats und im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Warum ist Ihnen das wichtig? Eine Berufung ist Ehre und Verpflichtung zugleich. Aber es ist kein leichter Lernprozess, interessante Aufgabenstellungen zu priorisieren. Mein Tag hat ja nicht mehr Stunden als der anderer Menschen. Als ich gefragt wurde, ob ich bereit wäre, zum Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchentages gewählt zu werden, habe ich lange überlegt und dann entschieden, meine parallele Arbeit im Transplantations-Forschungslabor vorerst aufzugeben. Es war ein persönlich begründeter Schritt, von dem ich heute weiß, dass er mir ermöglicht hat, über meinen eigenen professionellen Bereich hinaus viel für das Gesundheitswesen generell zu bewegen. Wie auch bei meinem Engagement im Deutschen Ethikrat. Welchen Rat würden Sie Assistenzärzten für die Karriereplanung geben? Karriere um der Karriere willen ist eine falsche Entscheidung. Ein Posten an sich macht nicht glücklich. In jeder Ausbildungsphase sollte man sich fragen, was soll die nächste Stufe bringen, wo liegen meine Neigungen? Ist mein Platz eher am OP-Tisch, im Labor, in der Ausbildung der Studierenden oder bei der Übernahme organisatorischer Verantwortung? Wer diese Fragen für sich beantwortet und akzeptiert, dass das Leben ein andauernder Lern- und Entwicklungsprozess ist, legt die Basis für einen Beruf, der Erfüllung bringt.

„Der Assistenzarzt ist ein Meisterlehrling“

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Dr. med. Jörg Weidenhammer ist Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychoanalytiker und Geschäftsführer der Asklepios Medical School in Hamburg. Als ärztlicher Direktor, Geschäftsführer und Vorstand war er 30 Jahre lang für verschiedene Kliniken tätig und an der Gründung des Herzzentrums der Leipziger Universitätsklinik beteiligt. Heute ist er gefragter Experte für das Management von Krankenhäusern. Über die Erfüllung, die der Arztberuf bietet, sprach er mit Christiane Siemann.

Zur Person

Jörg Weidenhammer, 65 Jahre, schloss zunächst ein Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik ab, bevor er in Bonn Humanmedizin studierte. 1980 promovierte er zum Dr. med. im Fach Neurologie. Von 1978 bis 1992 war er als Referatsleiter Medizin und Chefarzt beim Landschaftsverband Rheinland tätig. 1992 wirkte er bei der Gründung der Herzzentrum Leipzig GmbH-Universitätsklinik mit und leitete die Gesellschaft als Geschäftsführer bis 1996. Danach übernahm er die Positionen des hauptamtlichen ärztlichen Direktors am Allgemeinen Krankenhaus St. Georg in Hamburg und als stellvertretender Vorstand der Marseille-Kliniken. In den Jahren 2005 bis 2007 war er Mitglied der Geschäftsführung der Asklepios Kliniken Hamburg. Seit 2008 ist Weidenhammer Geschäftsführer der Asklepios Medical School in Hamburg.
Das Image des Arztes reicht vom selbstlosen Helfer bis zum schlichten Leistungserbringer. Was unterscheidet den Arztberuf von anderen Berufen? Das Faszinierende ist nach wie vor die Möglichkeit, mit erworbenem Wissen unmittelbar Menschen zu helfen und damit auch ein Feedback zu erfahren. Diejenigen, die sich bewusst für das Medizinstudium entschieden haben und nicht nur, weil sie den passenden Numerus Clausus erfüllen, identifizieren sich über das ganz altmodische „Helfen können“. Ein Arzt trifft lebensentscheidende Anordnungen, er lernt, mit dem Druck und der hohen Verantwortung umzugehen. Wer sich in der medizinischen Welt im innerlichen Einklang mit Wissen und Können befindet, spürt eine Erfüllung, die andere Berufe so nicht bieten. Aber der Arztberuf in einer Klinik hat sich sehr verändert. Bleibt die Erfüllung auf der Strecke? Es gab in der Medizin in Deutschland einige Umbrüche. 1995 wurde die Pflegesatzbudgetverordnung erlassen, die den Krankenhäusern das freie Wirtschaften über Fallpauschalen ermöglichte. Im nächsten Schritt wurde ein Fallpauschalensystem eingeführt, das heißt, die betriebswirtschaftlichen Komponenten und das Kostenmanagement rückten stärker in den Vordergrund und somit mehr die Leistungserbringung und weniger das Helfen und Heilen. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeit der Ärzte wurde dann eine weitere Debatte losgetreten. Während früher die Chefarztvisite am Samstag selbstverständlich war, hat die Arbeitszeitverordnung hier Grenzen gesetzt. Es ist gut, dass man sich mit der Arbeitszeit auseinandersetzt, weil die ärztliche Tätigkeit selber noch mal verstärkt in den Fokus gerät, sich also die Frage nach den zentralen Tätigkeiten stellt. Beispielweise wird Ärzten immer gesagt, dass 25 Prozent der Zeit in die Dokumentation fließt. Doch viele wollen dies nicht wahrhaben und müssen lernen, damit umzugehen. Die meisten jungen Ärzte erleben die Rahmenbedingungen, die wirtschaftlichen Faktoren und die manchmal längeren Arbeitszeiten nicht als Defizit, weil für sie die Freude am Beruf, am Helfen, im Vordergrund steht. Häufig heißt es, der Arzt des alten Typs habe ausgedient. Die junge Generation setze auf andere Werte, sei weniger idealistisch, schaue mehr auf Geld und auf Freizeit und wolle weniger Verantwortung. Die sogenannte Generation Y erlebe ich im Krankenhausalltag nicht. Die Heterogenität der jungen Assistenzärzte ist sehr groß: Es gibt immer diejenigen, die gar nicht auf die Uhr schauen, andere verhalten sich moderat, sie legen Wert auf Work-Life- Balance, aber im Einklang mit den Kollegen und der Patientenversorgung. Und es gibt auch eine Gruppe, die darauf besteht, dass nach acht Stunden der Griffel fällt und die sich stark abgrenzen von den anderen. Junge Assistenzärzte sollten sich nicht anstecken lassen vom Klagen über den Arztberuf, häufig ist viel Unwissenheit und schlechte Selbstorganisation im Spiel. Der Arztberuf ist aufgrund seiner hohen Verantwortung Knochenarbeit, aber er macht Freude. Umso mehr, wenn in Krankenhäusern vom Management über den ärztlichen Dienst und die Pflege alle ein gemeinsames Ziel haben, nämlich eine optimierte Versorgung der Patienten, und wenn sie wertschätzend miteinander umgehen. Viele Krankenhäuser haben das erkannt, nehmen Klagen von Mitarbeitern ernst, suchen Lösungen und stimmen sich mit ihnen ab, sodass sie sich verstanden fühlen. Wie schwierig ist für Assistenzärzte die Konfrontation mit Fragen um Leben und Tod? Es ist ein Lernprozess, der im Studium beginnt und im Rahmen der Weiterbildung fortgesetzt wird. Ärzte arbeiten sich langsam an das Thema des eigenen Versagens heran, das sie erleben, wenn ein Patient stirbt – trotz umfassender Rettungsaktionen, bei denen sie letztlich hilflos sind. Es bleibt ein lebenslanges Thema, mit dem sie reifen und zu dem eine eigene innere Einstellung wachsen muss. Dieser Weg beginnt bei Ärzten in ihrer „Lehre“. Die Zeit der Assistenzarztausbildung ist im Grunde eine „Meisterlehre“. In der Anleitung durch erfahrene Kollegen und Förderer liegt ein Schlüssel für einen erfolgreichen Berufsstart – durch sie entwickeln sich Einsteiger zu verantwortungsvollen Ärzten.

Leidenschaft gefragt

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In deutschen Kliniken arbeiten derzeit 105.400 Assistenzärzte, davon 55.100 Frauen. Das sind nicht genug, das ärztliche Personal ist knapp. Bis zum Jahr 2019 werden in Deutschland 37.400 Ärzte fehlen. Viele Krankenhäuser mobilisieren alle Kräfte, um attraktive Bedingungen für Berufseinsteiger zu bieten und ihre Arztstellen besetzen zu können. Von Christiane Siemann Assistenzärzte sind gefragt wie nie. Mittlerweile konkurrieren die Kliniken untereinander um die jungen Ärzte. Die Hälfte von ihnen meldet, dass sie Assistenzarztpositionen nicht oder nur mit einer zeitlichen Verzögerung von bis zu sechs Monaten besetzen können, so eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte. Wie Berufseinsteiger für Kliniken gewonnen werden können, ist inzwischen gut analysiert. Der Marburger Bund und die Bundesärztekammer haben in Befragungen herausgefunden: Strukturierte Weiterbildung, Freizeitausgleich, geregelte Arbeitszeiten, weniger Bürokratie und faire Bezahlung gehören zu den wichtigsten Erwartungen der Medizinabsolventen im Praktischen Jahr an ihre künftigen Arbeitgeber. Und viele Krankenhäuser haben sich darauf eingestellt. Die meisten Bewerbungen erhalten nach wie vor die Universitätskliniken. Einer der Gründe: Durch die Größe der Einrichtung und die Vielzahl der Disziplinen ist gesichert, dass sich die komplette Facharztausbildung an einem Haus absolvieren lässt. Zwar ist auch hier die Anzahl der Bewerbungen in den letzten Jahren leicht zurückgegangen, aber noch können sich die Unikliniken die passenden Assistenten auswählen. „Gute Noten in den Staatsexamina sind für uns durchaus entscheidend“, berichtet Stephanie Wiese- Hess, Personalleiterin am Universitätsklinikum Heidelberg. Gern gesehen werden auch Auslandserfahrung und wissenschaftliches Interesse sowie Aktivitäten, die die soziale Kompetenz der Bewerber unterstreichen. Jedem Bewerber sollte klar sein, dass er an einer Uniklinik in drei Tätigkeitsbereiche involviert ist: in Forschung, Lehre und Krankenversorgung. „Wir erwarten von den Kandidaten, dass sie sich bewusst für eine Universitätsklinik entscheiden, Leistungsbereitschaft mitbringen und sich für alle drei Felder begeistern können. Es muss Leidenschaft dabei sein“, betont Stephanie Wiese-Hess. Wer nur schnell seinen Facharzt absolvieren will, ist in einer Universitätsklinik fehl am Platz. Doch nicht alle jungen Mediziner treibt es in ein Großkrankenhaus. Kleinere Lehrkrankenhäuser haben den Vorteil, dass Ärzte in der Ausbildung oft schneller die vorgeschriebene Zahl an diagnostischen, therapeutischen und operativen Maßnahmen absolvieren können – ohne in der Schlange der Kollegen darauf warten zu müssen. Auch das Katharinen-Hospital Unna, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Münster, bietet eine strukturierte Weiterbildung. Attraktiv für angehende Fachärzte: Die Kodierung der Krankheitsbilder findet in der Verwaltung statt, ärztliche Routinetätigkeiten wie Blutentnahmen werden vom Pflegepersonal übernommen, die Arztassistenten bereiten unter anderem Untersuchungen vor und legen Arztbriefe an – alles zur Entlastung des Ärztlichen Dienstes. „Der junge Arzt überblickt noch nicht den administrativen Teil seiner Tätigkeit, der auch nicht Gegenstand des Studiums war. Wir entlasten ihn, damit ihm mehr Zeit bleibt, sich auf seine eigentlichen medizinischen Aufgaben zu konzentrieren“, berichtet Personalleiterin Jutta Kappel. Im Wissen, dass es viele Absolventen in die großen Städte zieht, hat der Krankenhausverbund Hellweg, zu dem das Katharinen-Hospital Unna zählt, viele Anstrengungen unternommen, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. So wurde es für sein modernes Personalmanagement und familienfreundliche Arbeitszeiten vom Great Place to Work Institute Deutschland mehrmals als „Bester Arbeitgeber im Gesundheitswesen“ ausgezeichnet. Die Nähe zu einer attraktiven Großstadt ist für Krankenhäuser Segen und Fluch zugleich. Die Regio Kliniken, größter privater Klinikbetreiber in Schleswig- Holstein und Tochter der privaten Sana Kliniken, nutzen alle Wege, um potenzielle ärztliche Bewerber anzusprechen – über Facebook, die Teilnahme an Karrieremessen oder persönliche Kontakte. Mit drei Akutkrankenhäusern, den Kliniken Pinneberg, Elmshorn und Wedel, sind sie akademisches Lehrkrankenhaus des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Sucht die Klinik bundesweit Assistenzärzte, ist die Nähe zu Hamburg ein Vorteil. Für Hamburger Medizinstudenten liegen jedoch Pinneberg und Wedel, obwohl beide nahe an der Hansestadt, schon „ganz weit draußen“. Bisher können noch alle Assistenzarztstellen besetzt werden, so Katharina Brüssel, Personalleiterin der Regio Kliniken. Auch, weil die Vergütung nach dem Tarifvertrag des Marburger Bundes erfolgt, und weil es über die strukturierte Weiterbildung hinaus ein zusätzliches Budget für Fortbildungen gibt und die einzelnen Abteilungen flexible Arbeitszeitmodelle anbieten. „Wir stellen uns auf die Bedürfnisse des ärztlichen Personals ein. Teilzeitarbeit wird vermehrt genutzt, nicht nur von Assistenzärztinnen, sondern auch von Männern, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen“, berichtet die Personalleiterin. Ein eigener Kindergarten in Wedel bietet das gesamte Jahr über Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder von Mitarbeitern. Mehr als 40 Prozent der Assistenzärzte bewerten laut Marburger Bund ihre Arbeitsbedingungen als „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Zu lange Wochenarbeitszeiten, schlechtes Arbeitsklima, keine Rücksicht auf die Familie. Moderne Kliniken, die wissen, dass sie den Erwartungen der Nachwuchsärzte entgegenkommen müssen, setzen daher auf familienfreundliche Modelle und flexible Arbeitszeiten. Ob ein Krankenhaus ein modernes Personalmanagement betreibt oder nicht, ist völlig unabhängig von der Größe des Hauses, des Trägers oder der Region. Auch in einem relativ kleinen Haus wie dem Hospitalverbund Hellweg profitieren die Mitarbeiterinnen von flexiblen Arbeitszeitregelungen. Sie können in und nach der Rückkehr aus der Elternzeit jede Form von Teilzeit wählen. Selbst ein halber Arbeitstag in der Woche ist umsetzbar. Hier heißt es: „Kinder bringen bei uns nicht den Ablauf durcheinander, sondern wir freuen uns mit den Mitarbeiterinnen über den Nachwuchs.“ Die Chancen für Assistenzärzte, sich für die Facharztausbildung ein Krankenhaus auszusuchen, das ihren speziellen Bedürfnissen entgegenkommt, sind gut. Vorausgesetzt, der Bewerber bringt eine gewisse regionale Flexibilität mit.

Der Geburtstags-Roboter

Roboter, die um die Wette Kerzen auspusten, Sektgläser stapeln und Geschenke übergeben? Klingt herrlich sinnfrei und nach einem Riesen-Spaß! Und dieser Spaß hat System, denn er findet im Rahmen der deutschen Vorausscheidung zur Roboter-Europameisterschaft „Eurobot 2013“ statt.

Neuer Arbeitgeber: nachhaltig und transparent?

Der neue Job? Passt. Der neue Wohnort? Schön. Die Bezahlung? Stimmt. Aber handelt mein neuer Arbeitgeber auch sozial und gesellschaftlich nachhaltig?

Trend-Studium Informatik

Informatik ist bei Studierenden so beliebt wie nie zuvor: Im vergangenen Jahr haben sich knapp 51.000 Studienanfänger an den Hochschulen im Bereich Informatik eingeschrieben. Bereits 2011 hat ein Run auf Studienplätze für Informatik die Zahl der Studierenden auf Rekordniveau geführt. Grund hierfür waren, neben der grundsätzlich gestiegenen Beliebtheit des Studienfachs, die Doppeljahrgänge in Bayern und Niedersachsen sowie die Aussetzung der Wehrpflicht. Rund ein Fünftel mehr Studienanfänger im Fach Informatik verzeichneten die Hochschulen gegenüber dem Vorjahr 2010. Nun sind es nochmals ein Prozent mehr Studierende.

Peter Bader

Als ihm das klassische Berufsleben eines Elektroingenieurs zu eng wird, zieht er die Notbremse: Peter Bader hängt den Ingenieurberuf an den Nagel, um seine Freiheit in Indien zu leben. Er findet schließlich seine Selbstbestimmung zwischen Yoga-Matten auf der Schwäbischen Alb. Von Stefan Trees

Zur Person

Peter Bader, Jahrgang 1955, ist Elektroingenieur sowie Geschäftsführer und Inhaber der Bausinger GmbH, einem Hersteller und Versandhandel von hochwertigen Yoga-Matten und Meditationsbedarf mit Sitz in Straßberg auf der Schwäbischen Alb. Bader praktiziert seit fast dreißig Jahren Yoga. „Yoga ist ein guter Ausgleich: Den Körper spüren, atmen, die Erkenntnis auf dem Weg nach Innen – ein Ingenieur ist ja doch immer im Außen.“
Frust macht sich breit im Unternehmen. Die Verkaufsverhandlungen des mittelständischen Automobilzulieferers an einen großen Konzern ziehen sich in die Länge, die Geschäftsführung trifft keine Entscheidungen mehr. Es herrscht Stillstand. Dann kündigt auch noch der Chef der Entwicklungsabteilung, in der Peter Bader erst seit wenigen Monaten als Elektroingenieur arbeitet. Ein Jahr lang hält er noch durch, dann hat er die Nase voll. Gestrichen voll, nach mehreren Jahren als Elektroingenieur in mittelständischen Unternehmen der Maschinenbau- und Automotive-Branche, nach ungezählten Überstunden, Nachtschichten und durchgearbeiteten Wochenenden. „Das kann es nicht sein“, sagt Bader energisch und beschließt: „Ich muss das Leben nochmal neu anfangen.“ Bader kündigt und verkauft sein Haus. Er will raus. Mit im Reisegepäck sind seine Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben und ein Flugticket nach Indien. Südasien hat es Bader schon lange angetan. Zum Ausgleich für die berufliche Belastung widmete sich Bader indischer Lebensphilosophie. Nicht theoretisch, denn von Theorie hatte Bader schon als Ingenieur genug, sondern praktisch. Sein Lehrer im Volkshochschulkurs für Autogenes Training hatte Bader hinter vorgehaltener Hand den brandheißen Tipp gegeben: Yoga – im Gymnastikraum des Reutlinger Hallenbads. „Yoga war 1984 noch so ein bisschen geheim“, erinnert sich Bader schmunzelnd: „Gemeindehäuser, Kirchen und Volkshochschulen wollten davon noch nichts wissen.“ Er hat sich hineingetraut in die chlorgeschwängerte Luft des Hallenbads und war im Gymnastikraum auf eine trotz ihres Alters erstaunlich vitale Frau getroffen. Liesel Goltermann war damals schon 76 Jahre alt und wurde für mehr als zwei Jahrzehnte seine Yoga-Lehrerin. Sie hat Bader mit Meditation vertraut gemacht und sein Bild vom Altsein auf den Kopf gestellt, das bis dato von Altersheim und Siechtum bestimmt gewesen war: „Mit ihr war ich sogar Skifahren, da war sie 85“, begeistert sich Bader über diesen gelebten Gegenentwurf des Älterwerdens. In seiner Ingenieurwelt dagegen war kein Platz für Gegenentwürfe. Bader funktionierte als Rad im Getriebe. Er intensivierte seine Beschäftigung mit Yoga und Meditation. Das sei „ein Heftpflaster, aber nicht wirklich eine Lösung“ für ihn gewesen, sagt Bader. Die Lösung, so fühlte er, lag im Neuanfang. Kündigung, Indien. Es sind die Neunzigerjahre und Peter Bader ist Ende Dreißig, als er seinen Ingenieurberuf an den Nagel hängt. Er bereist Indien und Tibet und lebt ein halbes Jahr in der südindischen Zukunftsstadt Auroville. Hier leben und gestalten Menschen aus aller Welt ein gesellschaftliches Experiment, das Zusammenleben ist friedlich, harmonisch, entspannt. Bader ist von Auroville fasziniert, seit er die Stadt auf seinen früheren Reisen kennen gelernt hatte. Seitdem weiß er: „Es gibt noch ein ganz anderes Leben, und das ist viel freier in seinen Möglichkeiten als wir uns das vorstellen“. Sein Wunsch wächst, dauerhaft hierher auszuwandern. Vorher nochmal nach Hause zurück, ein paar Dinge regeln und eine Therapeuten-Ausbildung machen, damit er „noch was anderes nach Auroville mitbringt“ als seinen Elektroingenieurtitel. Doch das Therapeuten-Dasein liegt ihm nicht. Peter Bader bricht seine Ausbildung ab. „Ich wusste immer noch nicht was ich will, ich wusste bloß: Ich will nicht mehr zurück in meinen Beruf“, sagt Bader. Um sich hierüber klar zu werden, nimmt er sich eine Auszeit von der Auszeit und wird Schüler im Meditationszentrum Sonnenhof im Schwarzwald. Zwei Jahre lang lebt und arbeitet er als Schüler und Hausmeister in der kleinen Sonnenhof-Gemeinschaft. Hier in der Stille und Abgeschiedenheit kommen dem Ingenieur die besten Ideen. Er tüftelt an einer neuartigen Meditationsuhr, die er produzieren lassen und in Deutschland verkaufen will, um sein künftiges Leben in Indien zu finanzieren. Auf der Suche nach einem Vertriebspartner lernt er Fritz Bausinger kennen, wie Bader ist er Yoga-Schüler der gemeinsamen Lehrerin Liesel Goltermann. Der Textilingenieur hatte in den Siebzigern eine Yoga-Matte aus Wolle mit einer rutschfesten Rückseite aus Latex entwickelt. Aus dem Vertrieb der „Bausinger-Matte“, wie sie in Fachkreisen anerkennend genannt wurde, war ein Handelsunternehmen für Yoga- und Meditationsbedarf gewachsen. Bausinger hat noch einen kleinen Platz in seinem Produktkatalog, „und so war ich bei ihm drin mit diesem kleinen Ührle“, erzählt Bader, der seinen Traum vom Leben in Auroville noch ein wenig weiter träumt. Bis zu dem Tag, an dem Bausinger dem um einige Jahre jüngeren Peter Bader die Firma zur Übernahme anbietet. „Ich wusste einfach: Das ist es“, erinnert sich Bader. Ein Vierteljahr später unterschreibt er den Übernahmevertrag. Unverhofft findet er das selbstbestimmte Leben durch seine neue Aufgabe als Geschäftsführer zwischen Yoga-Matten und Meditationskissen: „Ich kann die Firma so gestalten, wie ich meine, dass es richtig ist“, beschreibt Bader sein Freiheitsgefühl seit nunmehr 17 Jahren. Und „richtig“ hat für Bader viel mit Verantwortung zu tun: Den Großteil seiner Lieferanten findet er in der Umgebung des Firmensitzes auf der Schwäbischen Alb, das garantiert kurze Wege. Er vergibt Aufträge an Behindertenwerkstätten und beschäftigt seine sieben Festangestellten unbefristet. Alles ohne Dogma, wie Bader betont, wenn es nicht anders ginge, kaufe er auch in China. „Ich mach‘s halt so gut wie möglich“, beschreibt er bescheiden seine Maxime. „Ich bin froh, dass ich raus bin aus diesem Druck und frei bleiben kann“, resümiert Bader seinen Branchenwechsel. Als Elektroingenieur gehöre man mit 45 Jahren zum alten Eisen – zu schnell sei die technische Entwicklung, meint Bader: „Als Geschäftsführer kann man 50 oder 65 sein und noch einen guten Job machen – mit Ruhe und Abstand zu dem Ganzen. Von daher habe ich diese Work-Life-Balance ganz gut hingekriegt.“

Auroville

In der südindischen Siedlung Auroville leben seit 45 Jahren Aussteiger aus aller Welt. Ihre Absicht ist ein friedfertiges, nachhaltiges, gemeinschaftliches Leben in Harmonie mit der Natur. Auroville wurde mit Unterstützung der UNESCO Ende der Sechzigerjahre gegründet. Die internationale Lebens-Gemeinschaft zählt derzeit rund 2200 Mitglieder aus 48 Nationen. www.auroville.de

Was macht eigentlich eine Mülldesignerin, Frau Gélébart?

Katell Gélébart fertigt Kleider, Schreibwaren und Kleinmöbel – aus Müll. Aus ihrer Vorgehensweise können Ingenieure ein ganz neues Arbeiten lernen. Von Petrina Engelke

„Das Material ist die Botschaft“, sagt Katell Gélébart. Dabei dient ihr als Material, was andere ausgemustert haben – von Armeedecken bis Zementsäcken. Daraus macht Gélébart Neues: Damenkleider aus grünen Postsäcken, Stoffrestschuhe mit Reifensohlen, Notizbücher aus Röntgenbildern, Schals aus alten Teddybären, Lampen aus Jalousien, Schürzen aus Tetrapacks. 1998 hat sie dazu das Label „Art d’Eco“ gegründet. Als Katell Gélébart ihren Satz über das Material sagt, denkt sie nicht an technische Schwierigkeiten, sondern an Wahrnehmung: „Die Leute sehen: Wow, diese Jacke war mal eine Decke! Oder ein Segel! Wegen dieser Botschaft kaufen sie es. Da spricht sie nicht das Design an, sondern das Material.“ Inzwischen hat Gélébart einen guten Ruf als Mülldesignerin und Umweltkünstlerin, den Kairos-Preis der Töpfer- Stiftung in der Tasche und – mit 39 Jahren – eine eigene Biografie im Buchregal. Wie eine Nomadin streift sie durch die Welt, mal spannt sie in Indien traditionelle Handwerker für ihre Ideen ein, mal diskutiert sie in einem Residenzprogramm mit Künstlern. Nur eines hat sie noch nie getan: einen Ingenieur um Rat gefragt. „Ich bin Autodidaktin, und ich glaube, deshalb kann ich in meiner Materialnutzung auch so breit und offen sein“, sagt sie. Ein Ingenieur mit seinem ganzen Wissen darüber, was man normalerweise zu welchem Zweck einsetzt, würde sie womöglich bremsen. Oder er würde einfach über Gélébarts einzige Grenze staunen: „Es muss etwas sein, das ich mit einer Nähmaschine durchstechen kann. Wenn ich es nicht nähen kann, interessiert mich das Material nicht.“ Sie benutzt weder Kleber oder andere Hilfsmittel, auch nicht für die Lampenserie aus Aluminium- Jalousien – die sind allerdings von Hand genäht. Klingt dilettantisch? Im Gegenteil. Ingenieure können viel von Katell Gélébart lernen. Beziehungsweise verlernen. „Verlernt, was ihr gelernt habt“ ist in ihren Workshops das erste Gebot. Statt vom fertigen Produkt auszugehen und dann Materialart und -menge zu berechnen, soll man den Prozess von der anderen Seite beginnen. Zum Beispiel berechnen Modedesigner normalerweise zuerst, wie viel Stoff sie für eine Kleideridee brauchen. Gélébart hingegen gibt ihnen einen Postsack mit fester Breite und Länge und einem Aufdruck in bestimmter Laufrichtung. „Aus diesen Rahmenbedingungen musst du ein Kleid machen. Der Prozess läuft also genau andersherum. Ingenieuren würde ich denselben Rat geben: Schaut, was um euch herum vorhanden ist, wie ihr es wiederverwerten oder ihm eine neue Bedeutung geben könnt.“ Das Material ist die Botschaft. Sagt sie doch.

Buchtipp

Christine Eichel: Die Mülldesignerin. Wie Katell Gélébart die Welt verändert. Scorpio Verlag München 2013. ISBN 978-3943416022. 18,99 Euro

Hydronauts2Fly

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Seit Jahren führt das „Hydronauts2Fly“-Team der Technischen Universität München wissenschaftliche Unterwasserexperimente zur Untersuchung der Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf die menschliche Körperhaltung im Ruhezustand durch. Daraus sollen wichtige Erkenntnisse in der Ergonomie für die bemannte Raumfahrt, aber auch für die Passagier- und Fahrersicherheit im Automobilbereich gewonnen werden. Im Herbst 2012 wurde das Team von der European Space Agency (ESA) im Rahmen des „Fly your thesis“-Programms eingeladen, um ihre Experimente bei Parabelflügen in wirklicher Schwerelosigkeit durchzuführen. Ich war mit an Bord. Von Manuel Kollmar, Ingenieur bei Ferchau Aviation, München

Unser Team bekam in der Nähe von Bordeaux die Möglichkeit, in einem umgebauten Airbus A300 wissenschaftliche Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen, welche für 20 bis 25 Sekunden durch sogenannte Parabelflüge erzeugt wird: Dabei geht das Flugzeug in einer gewissen Höhe in einen Steilflug nach oben, wobei fast die zweifache Schwerkraft auf die Passagiere wirkt. Anschließend wird das Flugzeug nach unten gezogen und vollzieht eine parabelförmige Flugbahn. Dabei wird die Gravitationskraft durch die Fliehkraft ausgeglichen und die sogenannte „Microgravitations(µg)- Phase“ erzeugt, wodurch die Passagiere zum Schweben gebracht werden. Innerhalb von zwei Wochen durfte das „Hydronauts2Fly“-Team an 93 Parabelflügen, inklusive Testflügen, teilnehmen, wobei die neun freiwilligen Testpersonen jeweils zehn Parabeln absolvierten. Ziel unserer Experimente an Bord war es, in der Schwerelosigkeit genauere Daten zu bekommen. Unsere Versuche zeichneten wir mit mehreren HDKameras auf. Mit Hilfe dieser Aufnahmen berechnet eine von uns entwickelte Software-Simulation ein 3D-Modell, welches genaue Ergebnisse für die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper liefert. Diese Erkenntnisse können Aufschlüsse zur Optimierung von Raumanzügen oder der Arbeitsumgebung der Astronauten liefern. Auch für andere Gebiete der Ergonomie, wie beispielsweise Auto-Cockpits, sind diese Erkenntnisse interessant. Vor den Parabelflügen hatten wir in Bordeaux eine einwöchige Vorbereitungszeit zur Verfügung. Wir arbeiteten jeden Tag von frühmorgens bis spätabends am Versuchsaufbau und -ablauf. Dazu gehörten auch regelmäßige Besuche von heimischen Bau- und Elektronikmärkten, da wir bei einigen Bauteilen improvisieren mussten. Das Experiment funktionierte folgendermaßen: Der Proband sollte sich entspannt im Teststand auf den Rücken legen. Dabei wurde er mit Funk-Ohrhörer und Schlafbrille von der Außenwelt abgeschottet, damit er sich komplett entspannen konnte, was für unsere Experimente besonders wichtig war. Zu Flugbeginn wurde der Proband mit einem Becken-Klettergurt über ein Magnetsystem an einer vertikalen Linearführung befestigt, sodass er hochund runterschweben konnte, ohne durch den Kabinenraum zu fliegen. Weiterhin war die Drehung um die Hüftachse freigegeben, damit der Körper flexibel reagieren konnte, um ein störungsfreies Schweben während der Schwerelosigkeit zu ermöglichen. Bei Einsetzen der kurzen Schwerelosigkeit schwebte der Proband automatisch durch ein Federsystem nach oben und wurde danach per Ohrhörer aufgefordert, für ein bis zwei Sekunden eine vorgegebene Körperposition einzunehmen und seine Muskeln anzuspannen. So wurde eine Optimierung der darauf folgenden Entspannungsphase erreicht. Erstaunlich war, wie unterschiedlich der menschliche Körper auf Schwerelosigkeit und doppelte Gravitation reagiert: Den routinierten Teilnehmern, wie zum Beispiel den Sicherheitsverantwortlichen, machten selbst die schnellen Bewegungen in den Übergangsphasen nichts aus. Hingegen wurde uns Neulingen empfohlen, uns erstmal auf den Rücken zu legen und den Kopf möglichst wenig zu bewegen, damit uns nicht übel wird. Die einschlägigen Purzelbäume, die Astronauten gerne vorführen, sollte man als Flugneuling am Anfang tunlichst vermeiden. Jedoch überstanden alle Teilnehmer die Parabelflüge schadlos, obwohl wir als human-medizinisches Experiment keine Mittel gegen Reiseübelkeit zu uns nehmen durften. Dass gewisse „Anpassungsschwierigkeiten“ einiger Passagiermägen auftraten, war nicht zu vermeiden. Das Gefühl in der Schwerelosigkeit ist unglaublich. Es ist wie bei einer Achterbahnfahrt, und man bekommt ein komisches Gefühl in der Magengegend. Schnell legte sich mir aber ein Grinsen über das Gesicht, und ich konnte es trotz der notwendigen Arbeit richtig genießen. Eine Parabel durfte ich sogar im Cockpit erleben, was sehr beeindruckend war. Gut festgeschnallt quetschte ich mich auf den Notsitz neben die beiden Piloten und die zwei Flugingenieure und genoss die Aussicht – auch wenn mir bei dem Anblick der sich rasend nähernden Meeresoberfläche etwas mulmig zumute wurde. Diese zwei Wochen waren ein Erlebnis. Alle Parabeln waren erfolgreich, und das ganze „Hydronauts2Fly“-Team ist zuversichtlich, aus den anschließenden Auswertungen aufschlussreiche Erkenntnisse für unser Projekt gewinnen zu können.

Parabelflug

Alles auf der Erde unterliegt der Schwerkraft. Die einzige Möglichkeit, diese Erdanziehungskraft aufzuheben, ist der freie Fall. Zum Beispiel fühlt man sich beim Sprung vom Fünf-Meter-Brett im Schwimmbad schwerelos. Auch ein in die Luft geworfener Ball bewegt sich im freien Fall und ist schwerelos. Er fällt entlang einer sogenannten Wurfparabel. Auf der Bahn einer Wurfparabel wird auch ein Flugzeug bei einem Parabelflug manövriert und ist dadurch ebenfalls schwerelos. Mit dem Airbus A300 ZERO-G kann der Pilot eine derart große Parabel fliegen, dass an Bord bis zu 22 Sekunden lang Schwerelosigkeit herrscht. Parabelflüge wurden ursprünglich für das Schwerelosigkeitstraining von Astronauten initiiert, werden heute aber hauptsächlich für wissenschaftliche Experimente in Schwerelosigkeit (Mikrogravitation) und zum Testen von Raumfahrttechnologien eingesetzt. Mehr Infos unter: www.dlr.de Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Grenzenlos

Hinter freiwilligem sozialem Engagement, Corporate Social Responsibility oder Corporate Volunteering stehen Menschen, die sich engagieren – der karriereführer stellt sie vor. Aufgezeichnet von Stefan Trees

Philipp Becker, Ingenieur Projekt: Ingenieure ohne Grenzen e.V./Biogas support for Tanzania „BiogaST“ Ort: Deutschlandweit/Afrika Web: www.ingenieure-ohne-grenzen.org
„Ingenieure ohne Grenzen“ leistet seit 2003 internationale Entwicklungszusammenarbeit durch ingenieurwissenschaftliche Projekte in den Bereichen Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung sowie Brückenbau. Die Entwicklung einer Kleinst-Biogasanlage auf Pflanzenbasis, die tansanischen Bauern die benötigte Energie zum Kochen liefern soll, brachte den Ingenieuren den deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt 2011. Wie alles begann Ich habe Umweltverfahrenstechnik an der HTW Berlin studiert. Vor fünf Jahren bin ich auf der Suche nach einem Thema für meine Diplomarbeit im Internet auf „Ingenieure ohne Grenzen“ gestoßen. Kurz zuvor hatte unsere Partnerorganisation MAVUNO Project, eine Nichtregierungsorganisation in Tansania, eine Anfrage im Bereich Biogas gestellt – das passte sehr gut in meinen Bereich, und so habe ich dort meine Diplomarbeit angemeldet. Ich bin dann sehr bald zum ersten Mal nach Tansania gereist. Bei „Ingenieure ohne Grenzen“ wird vor jedem Projekt eine Erkundungsreise gemacht, um mit den Partnern vor Ort Kontakte zu knüpfen und erste Eindrücke über die Strukturen und Möglichkeiten zu gewinnen. Mit technischer Unterstützung des Leibniz-Instituts für Agrartechnik Potsdam- Bornim, das im Bereich Biogas forscht, habe ich in Tansania ein Biogas- Labor eingerichtet, das auch heute noch genutzt wird. Vor Ort habe ich Tests mit verschiedenen Substraten gemacht, Anlagen besichtigt, die schon in den 90er-Jahren gebaut worden waren, und mit den Bauern über die Probleme gesprochen, die es mit den Anlagen gegeben hatte. Sie haben uns bestätigt, dass die Anlagentechnik nicht an die Lebenswirklichkeit der Bauern angepasst ist, die von Ackerbau leben und nur sehr wenig Viehhaltung betreiben. Mit zwei Kühen gilt man dort als wohlhabend. Die Standard-Biogasanlagen benötigen aber Kuhdung von wenigstens sechs Kühen. Viele Anlagen werden deshalb nicht so genutzt, wie sie genutzt werden sollten, um die tägliche Kochenergie bereit zu stellen. Stattdessen wurde weiterhin mit Holz gekocht. In den letzten Jahren wurde von den Industrienationen viel in Biogas-Forschung investiert. Wir wissen nun, dass Biogas-Anlagen auch rein auf Basis nachwachsender Rohstoffe funktionieren. Diese Erkenntnisse versuchen wir nun in diesem Kleinstmaßstab umzusetzen, so dass Bauern, die Ackerbau betreiben, diese Anlagen voll nutzen können, weil sie über genügend Substrat verfügen. Warum ich das mache Ich wollte eine Diplomarbeit im Bereich regenerative Energien schreiben, die Sinn macht und zur Umsetzung kommt, statt in der Uni-Bibliothek zu verschwinden wie der x-te Waschmaschinenschalter, der nicht produziert wird. Außerdem schätze ich es sehr, dass ich immer die Möglichkeit hatte, mich weiterzubilden, und es allein in meiner Verantwortung lag, die Richtung einzuschlagen, in die ich möchte. In Afrika gibt es diese Möglichkeiten oft nicht. Unser Projekt gibt den Menschen vor Ort die Chance, etwas zu lernen, sich weiterzuentwickeln, Arbeit zu finden und sich in bescheidenem Maße selbst zu verwirklichen. Außerdem bringen wir Energie dorthin, wo sie benötigt wird, wenn Menschen weiterkommen und sich entwickeln wollen. Unsere Form der Energiegewinnung durch eine Biogas-Anlage hat weitreichende Auswirkungen: Die Menschen benötigen nur noch wenig Brennholz. Die Vermeidung von Abholzung wiederum beugt der Erosion des Bodens vor. Außerdem müssen die Kinder nicht mehr stundenlange Wege zurücklegen, um Brennholz zu beschaffen, sondern können regelmäßiger die Schule besuchen. All dies macht für mich Sinn und motiviert mich. Was es bislang gebracht hat „Ingenieure ohne Grenzen“ ist mit seinen zehn Jahren ein noch junger Verein, der sich seit seinen Anfängen an engagierte Studierende richtet. In zahlreichen Uni-Städten haben sich mittlerweile Regionalgruppen gegründet. Auch das Team ist relativ jung. Projektumsetzung und Forschung werden häufig von Studierenden durchgeführt. Diplomierte Ingenieure stehen vielfach als Berater im Hintergrund und übernehmen die Organisation. Nicht jeder kann es in seinem Berufsleben einrichten, für drei Monate nach Afrika zu gehen. Doch nur mit Ingenieuren ist ein Projekt nicht umzusetzen. Wir brauchen Sozialwissenschaftler, Techniker, Kommunikationsexperten und Mitarbeiter, die sich mit Erhebungen oder interkulturellen Aspekten befassen. In diesen Bereichen wächst der Verein sehr stark. Auch wir hatten in unserem Projekt unsere Schwierigkeiten mit der interkulturellen Kommunikation und mussten viel lernen. Es war beispielsweise nicht leicht, unsere Partnerorganisation von der Notwendigkeit der Forschung zu überzeugen. Unsere Biogas-Anlagen waren ja zu Projektbeginn noch nicht serienreif. Sie zeigten sich zwar einverstanden, doch in Afrika gibt es neunzehn Jas und ein Nein – und „Ja“ bedeutet nicht immer gleich „Ja, wir haben es verstanden“. Es war für uns wichtig, die Anlage zusammen mit den Menschen vor Ort zu entwickeln. Die Bauern von MAVUNO Project haben jedoch nicht immer gleich den Nutzen für sich gesehen, denn wir haben zunächst zwei Pilotanlagen gebaut, die nicht bei den Familien standen. Es war ein langer Prozess, unsere Partner miteinzubeziehen. Fünf Mal bin ich seit Projektbeginn nach Tansania gereist, mein längster Aufenthalt dauerte sechs Monate. Ich bin von Anfang an dabei – das Projekt ist mir ans Herz gewachsen. Ich möchte es auf eine Weise zu Ende führen, dass ich es an unsere Partnerorganisation übergeben kann, ohne dass das Projekt beeinträchtigt wird. Als Berater würde ich dann weiter zur Verfügung stehen. Doch zuvor braucht es noch eine Menge Technologietransfer sowie einheimische Biogas-Experten, Arbeiter und den Zuspruch der Community in den Dörfern, bis das Projekt auf eigenen Beinen steht und sich selbst trägt. Ich schätze, in zwei Jahren könnte es so weit sein.