Die Weiterbildung zum Facharzt ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die berufliche Karriere in der Medizin. Sie ist zwar keine Pflicht – aber eine abgeschlossene Weiterbildung nach den Regeln der ärztlichen Weiterbildungsordnung ist Voraussetzung für viele Positionen in der medizinischen Versorgung. Von Dr. Magdalena Benemann
Ohne Facharztbezeichnung gibt es keine Oberarzt- oder Chefarztstelle, und auch eine Niederlassung in eigener Praxis setzt eine abgeschlossene Weiterbildung, also den Facharzttitel, voraus. Die Wahl des geeigneten Fachgebietes und die Frage danach, wie und wo sich die Weiterbildung im gewünschten Fach auch tatsächlich absolvieren lässt, stehen also zu Recht im Mittelpunkt der Überlegungen vieler Medizinstudenten. Dabei sind die Kriterien für die Wahl eines Fachgebietes sicher vielfältig. Während manche angehenden Ärzte schon beim Beginn des Studiums oder während des Praktischen Jahres ihr Wunschfach kennen beziehungsweise entdecken, zögern andere, sich frühzeitig festzulegen. Wichtigstes Kriterium für die Auswahl eines Fachgebietes sollte vor allem die persönliche Neigung und Empathie sein. Niemand wird als Chirurg später glücklich und erfolgreich, weil er sich am hohen Prestige oder Einkommen orientiert hat. Hier gilt es, in sich hineinzuhorchen und ehrlich mit sich, seinen Fähigkeiten und Neigungen zu sein. Genausowenig sollte man sich daran orientieren, mit welchen Fachrichtungen man später einmal besonders gut eine eigene Praxis eröffnen kann. Denn bis Ärzte komplett ausgebildet sind, vergehen in der Regel sieben bis acht Jahre, in denen sich vieles im Gesundheitssystem ändern kann. Dennoch spielen bei der Entscheidung für ein geeignetes Fachgebiet auch berufliche Perspektiven oder die Rahmenbedingungen ärztlicher Tätigkeit eine Rolle. So ist es für die wachsende Zahl von Frauen im Medizinberuf wichtig zu wissen, ob sie später Beruf und Familie vereinbaren können. In Fachgebieten mit hohem zeitlichen Verfügbarkeitsanspruch – dazu gehören alle chirurgischen Gebiete – ist dies nicht prinzipiell unmöglich, aber schwerer zu erreichen als etwa in der Allgemein- oder Inneren Medizin. Entsprechend findet man rund 48 Prozent aller Ärztinnen mit einer Facharztbezeichnung in den drei Gebieten Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Frauenheilkunde. Das Gute an der Weiterbildung in Deutschland ist, dass es sich dabei nicht um eine Einbahnstraße handelt, sondern dass Leistungen in einem Fach auch in einem anderen anrechenbar sind. Wer zum Beispiel seine erste Stelle in der Inneren beginnt, muss dort nicht zwangsläufig bis zum Facharzt bleiben. Denn Zeiten in der Inneren sind auch in anderen Facharztweiterbildungen anrechenbar, so etwa in der Chirurgie, der Gynäkologie oder in der Kinderheilkunde. Insgesamt kann man derzeit zwischen 33 verschiedenen Fachgebieten von „A“ wie Allgemeinmedizin bis „U“ wie Urologie wählen. Hinzu kommen Schwerpunktbezeichnungen innerhalb der Fachgebiete, zum Beispiel in der Chirurgie, in denen der Arzt nach einer zweijährigen Basisweiterbildung acht verschiedene Schwerpunkte wählen kann: Neben der Allgemeinchirurgie etwa Herz-/Hand-/Gefäßchirurgie oder Orthopädie/Unfallchirurgie. Wer sich für ein Fachgebiet entscheiden will, dem ist im Vorfeld zu raten, die jeweilige Weiterbildungsordnung, die von den Landesärztekammern erlassen wird, gründlich zu studieren, um einen Überblick über die zeitlichen, strukturellen und inhaltlichen Anforderungen und Voraussetzungen zu gewinnen. In der Regel dauert eine Weiterbildung je nach Fachgebiet, persönlichen Umständen und Arbeitsbedingungen in der jeweiligen Klinik zwischen fünf und acht Jahren. Sie findet vorwiegend in Krankenhäusern, zum Teil auch in ambulanten Praxen statt, unter der Aufsicht und Anleitung eines sogenannten Weiterbildungsbefugten, das heißt in der Regel des Chef- oder Oberarztes einer Abteilung. Wer eine Weiterbildung beginnen möchte, sucht also zunächst eine Assistenzarztstelle in einem Krankenhaus oder bei einem niedergelassenen Arzt, der für die Weiterbildung befugt ist. Informationen über diese Befugnis halten die jeweiligen Krankenhäuser oder die zuständigen Landesärztekammer vor. Dabei ist es wichtig zu erfragen, für welchen Zeitraum der betreffende Arzt die Erlaubnis hat. Ist zum Beispiel für eine Weiterbildung ein Zeitraum von mindestens fünf Jahren vorgeschrieben, der Arzt, bei dem man arbeitet, aber nur für einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren befugt, werden auch nur diese Zeiten für die Weiterbildung angerechnet. So kann es dann notwendig sein, die Klinik oder die Abteilung zu wechseln. Was ein Arzt verdient, hängt zunächst nicht vom gewählten Fachgebiet ab. In nahezu allen Krankenhäusern gibt es vom Marburger Bund vereinbarte spezifische Tarifverträge. Das Grundgehalt für einen Arzt im ersten Jahr beträgt unabhängig vom gewählten Fachgebiet derzeit rund 3800 Euro. Hinzu kommen Entgelte für Bereitschaftsdienste und gegebenenfalls Überstunden. Steigt man in der beruflichen Hierarchie weiter auf, spielt das Fachgebiet beim Einkommen allerdings durchaus eine wichtige Rolle. So verdienen Chefärzte in der Chirurgie deutlich mehr als etwa in der Kinderheilkunde, Ähnliches gilt für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte.E-Mail für Dich
Interview mit Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel
Ein Universitätsklinikum steht immer für den Dreiklang aus Krankenversorgung, Forschung und Lehre. Für Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel, der auch Mitglied des Deutschen Ethikrats und im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages ist, gibt es dennoch einen klaren Fokus. Im Sinne des Leitbildes des Universitätsklinikums Essen, „Spitzenmedizin und Menschlichkeit“, stehen für ihn an allererster Stelle die Patienten. Eine für seine rund 5600 Mitarbeiter nicht immer einfache und doch sehr erfüllende Aufgabe. Das Interview führte Christiane Siemann.
Zur Person
Univ. Prof. Dr. Dr. med. habil. Dr. phil. Dr. theol. h.c. Eckhard Nagel, 52 Jahre, studierte Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover und unter anderem an der University of Vermont (USA). Zudem studierte er Philosophie und Geschichte. Nach der Promotion zum Doktor der Medizin war er an der Medizinischen Hochschule Hannover als wissenschaftlicher Assistent, später als Oberarzt für Abdominal- und Transplantationschirurgie tätig. 1998 habilitierte er zum Thema „Neue Beurteilungsverfahren in der Medizin am Beispiel der Transplantationschirurgie“. Nagel ist seit 2001 Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften sowie Mitglied der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie der Universität Bayreuth. Von 2001 bis 2010 war er Chefarzt und Leiter des Chirurgischen Zentrums sowie des Transplantationszentrums im Klinikum Augsburg, seit 2010 ist er Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Essen. 2002 wurde Nagel erstmals in den neu gegründeten Nationalen Ethikrat (heute Deutscher Ethikrat) berufen.
Zum Universitätsklinikum Essen
Als Krankenhaus der Maximalversorgung liegt das Universitätsklinikum Essen im Herzen der Metropole Ruhr. Im vergangenen Jahr wurden hier rund 163.000 Patienten ambulant behandelt und weitere 49.000 stationär in rund 1300 Betten. 5590 Experten der unterschiedlichsten Disziplinen in 26 Kliniken und 20 Instituten arbeiten auf dem neuesten Stand der Forschung. Neben den Forschungsgebieten Genetische Medizin, Immunologie und Infektiologie konzentriert sich das Klinikum seit Jahren auf die drei Schwerpunkte Herz- Kreislauf, Transplantation und Onkologie. So ist das Westdeutsche Tumorzentrum Essen (WTZ), ein Comprehensive Cancer Center nach amerikanischem Vorbild, seit 2009 als onkologisches Spitzenzentrum in Deutschland anerkannt. Hier werden jährlich mehr als 2000 Operationen durchgeführt.„Der Assistenzarzt ist ein Meisterlehrling“
Dr. med. Jörg Weidenhammer ist Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychoanalytiker und Geschäftsführer der Asklepios Medical School in Hamburg. Als ärztlicher Direktor, Geschäftsführer und Vorstand war er 30 Jahre lang für verschiedene Kliniken tätig und an der Gründung des Herzzentrums der Leipziger Universitätsklinik beteiligt. Heute ist er gefragter Experte für das Management von Krankenhäusern. Über die Erfüllung, die der Arztberuf bietet, sprach er mit Christiane Siemann.
Zur Person
Jörg Weidenhammer, 65 Jahre, schloss zunächst ein Studium der Philosophie, Germanistik und Romanistik ab, bevor er in Bonn Humanmedizin studierte. 1980 promovierte er zum Dr. med. im Fach Neurologie. Von 1978 bis 1992 war er als Referatsleiter Medizin und Chefarzt beim Landschaftsverband Rheinland tätig. 1992 wirkte er bei der Gründung der Herzzentrum Leipzig GmbH-Universitätsklinik mit und leitete die Gesellschaft als Geschäftsführer bis 1996. Danach übernahm er die Positionen des hauptamtlichen ärztlichen Direktors am Allgemeinen Krankenhaus St. Georg in Hamburg und als stellvertretender Vorstand der Marseille-Kliniken. In den Jahren 2005 bis 2007 war er Mitglied der Geschäftsführung der Asklepios Kliniken Hamburg. Seit 2008 ist Weidenhammer Geschäftsführer der Asklepios Medical School in Hamburg.
Leidenschaft gefragt
Der Geburtstags-Roboter
Neuer Arbeitgeber: nachhaltig und transparent?
Trend-Studium Informatik
Peter Bader
Als ihm das klassische Berufsleben eines Elektroingenieurs zu eng wird, zieht er die Notbremse: Peter Bader hängt den Ingenieurberuf an den Nagel, um seine Freiheit in Indien zu leben. Er findet schließlich seine Selbstbestimmung zwischen Yoga-Matten auf der Schwäbischen Alb. Von Stefan Trees
Frust macht sich breit im Unternehmen. Die Verkaufsverhandlungen des mittelständischen Automobilzulieferers an einen großen Konzern ziehen sich in die Länge, die Geschäftsführung trifft keine Entscheidungen mehr. Es herrscht Stillstand. Dann kündigt auch noch der Chef der Entwicklungsabteilung, in der Peter Bader erst seit wenigen Monaten als Elektroingenieur arbeitet. Ein Jahr lang hält er noch durch, dann hat er die Nase voll. Gestrichen voll, nach mehreren Jahren als Elektroingenieur in mittelständischen Unternehmen der Maschinenbau- und Automotive-Branche, nach ungezählten Überstunden, Nachtschichten und durchgearbeiteten Wochenenden. „Das kann es nicht sein“, sagt Bader energisch und beschließt: „Ich muss das Leben nochmal neu anfangen.“ Bader kündigt und verkauft sein Haus. Er will raus. Mit im Reisegepäck sind seine Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben und ein Flugticket nach Indien. Südasien hat es Bader schon lange angetan. Zum Ausgleich für die berufliche Belastung widmete sich Bader indischer Lebensphilosophie. Nicht theoretisch, denn von Theorie hatte Bader schon als Ingenieur genug, sondern praktisch. Sein Lehrer im Volkshochschulkurs für Autogenes Training hatte Bader hinter vorgehaltener Hand den brandheißen Tipp gegeben: Yoga – im Gymnastikraum des Reutlinger Hallenbads. „Yoga war 1984 noch so ein bisschen geheim“, erinnert sich Bader schmunzelnd: „Gemeindehäuser, Kirchen und Volkshochschulen wollten davon noch nichts wissen.“ Er hat sich hineingetraut in die chlorgeschwängerte Luft des Hallenbads und war im Gymnastikraum auf eine trotz ihres Alters erstaunlich vitale Frau getroffen. Liesel Goltermann war damals schon 76 Jahre alt und wurde für mehr als zwei Jahrzehnte seine Yoga-Lehrerin. Sie hat Bader mit Meditation vertraut gemacht und sein Bild vom Altsein auf den Kopf gestellt, das bis dato von Altersheim und Siechtum bestimmt gewesen war: „Mit ihr war ich sogar Skifahren, da war sie 85“, begeistert sich Bader über diesen gelebten Gegenentwurf des Älterwerdens. In seiner Ingenieurwelt dagegen war kein Platz für Gegenentwürfe. Bader funktionierte als Rad im Getriebe. Er intensivierte seine Beschäftigung mit Yoga und Meditation. Das sei „ein Heftpflaster, aber nicht wirklich eine Lösung“ für ihn gewesen, sagt Bader. Die Lösung, so fühlte er, lag im Neuanfang. Kündigung, Indien. Es sind die Neunzigerjahre und Peter Bader ist Ende Dreißig, als er seinen Ingenieurberuf an den Nagel hängt. Er bereist Indien und Tibet und lebt ein halbes Jahr in der südindischen Zukunftsstadt Auroville. Hier leben und gestalten Menschen aus aller Welt ein gesellschaftliches Experiment, das Zusammenleben ist friedlich, harmonisch, entspannt. Bader ist von Auroville fasziniert, seit er die Stadt auf seinen früheren Reisen kennen gelernt hatte. Seitdem weiß er: „Es gibt noch ein ganz anderes Leben, und das ist viel freier in seinen Möglichkeiten als wir uns das vorstellen“. Sein Wunsch wächst, dauerhaft hierher auszuwandern. Vorher nochmal nach Hause zurück, ein paar Dinge regeln und eine Therapeuten-Ausbildung machen, damit er „noch was anderes nach Auroville mitbringt“ als seinen Elektroingenieurtitel. Doch das Therapeuten-Dasein liegt ihm nicht. Peter Bader bricht seine Ausbildung ab. „Ich wusste immer noch nicht was ich will, ich wusste bloß: Ich will nicht mehr zurück in meinen Beruf“, sagt Bader. Um sich hierüber klar zu werden, nimmt er sich eine Auszeit von der Auszeit und wird Schüler im Meditationszentrum Sonnenhof im Schwarzwald. Zwei Jahre lang lebt und arbeitet er als Schüler und Hausmeister in der kleinen Sonnenhof-Gemeinschaft. Hier in der Stille und Abgeschiedenheit kommen dem Ingenieur die besten Ideen. Er tüftelt an einer neuartigen Meditationsuhr, die er produzieren lassen und in Deutschland verkaufen will, um sein künftiges Leben in Indien zu finanzieren. Auf der Suche nach einem Vertriebspartner lernt er Fritz Bausinger kennen, wie Bader ist er Yoga-Schüler der gemeinsamen Lehrerin Liesel Goltermann. Der Textilingenieur hatte in den Siebzigern eine Yoga-Matte aus Wolle mit einer rutschfesten Rückseite aus Latex entwickelt. Aus dem Vertrieb der „Bausinger-Matte“, wie sie in Fachkreisen anerkennend genannt wurde, war ein Handelsunternehmen für Yoga- und Meditationsbedarf gewachsen. Bausinger hat noch einen kleinen Platz in seinem Produktkatalog, „und so war ich bei ihm drin mit diesem kleinen Ührle“, erzählt Bader, der seinen Traum vom Leben in Auroville noch ein wenig weiter träumt. Bis zu dem Tag, an dem Bausinger dem um einige Jahre jüngeren Peter Bader die Firma zur Übernahme anbietet. „Ich wusste einfach: Das ist es“, erinnert sich Bader. Ein Vierteljahr später unterschreibt er den Übernahmevertrag. Unverhofft findet er das selbstbestimmte Leben durch seine neue Aufgabe als Geschäftsführer zwischen Yoga-Matten und Meditationskissen: „Ich kann die Firma so gestalten, wie ich meine, dass es richtig ist“, beschreibt Bader sein Freiheitsgefühl seit nunmehr 17 Jahren. Und „richtig“ hat für Bader viel mit Verantwortung zu tun: Den Großteil seiner Lieferanten findet er in der Umgebung des Firmensitzes auf der Schwäbischen Alb, das garantiert kurze Wege. Er vergibt Aufträge an Behindertenwerkstätten und beschäftigt seine sieben Festangestellten unbefristet. Alles ohne Dogma, wie Bader betont, wenn es nicht anders ginge, kaufe er auch in China. „Ich mach‘s halt so gut wie möglich“, beschreibt er bescheiden seine Maxime. „Ich bin froh, dass ich raus bin aus diesem Druck und frei bleiben kann“, resümiert Bader seinen Branchenwechsel. Als Elektroingenieur gehöre man mit 45 Jahren zum alten Eisen – zu schnell sei die technische Entwicklung, meint Bader: „Als Geschäftsführer kann man 50 oder 65 sein und noch einen guten Job machen – mit Ruhe und Abstand zu dem Ganzen. Von daher habe ich diese Work-Life-Balance ganz gut hingekriegt.“Zur Person
Peter Bader, Jahrgang 1955, ist Elektroingenieur sowie Geschäftsführer und Inhaber der Bausinger GmbH, einem Hersteller und Versandhandel von hochwertigen Yoga-Matten und Meditationsbedarf mit Sitz in Straßberg auf der Schwäbischen Alb. Bader praktiziert seit fast dreißig Jahren Yoga. „Yoga ist ein guter Ausgleich: Den Körper spüren, atmen, die Erkenntnis auf dem Weg nach Innen – ein Ingenieur ist ja doch immer im Außen.“
Auroville
In der südindischen Siedlung Auroville leben seit 45 Jahren Aussteiger aus aller Welt. Ihre Absicht ist ein friedfertiges, nachhaltiges, gemeinschaftliches Leben in Harmonie mit der Natur. Auroville wurde mit Unterstützung der UNESCO Ende der Sechzigerjahre gegründet. Die internationale Lebens-Gemeinschaft zählt derzeit rund 2200 Mitglieder aus 48 Nationen. www.auroville.de
Was macht eigentlich eine Mülldesignerin, Frau Gélébart?
Katell Gélébart fertigt Kleider, Schreibwaren und Kleinmöbel – aus Müll. Aus ihrer Vorgehensweise können Ingenieure ein ganz neues Arbeiten lernen. Von Petrina Engelke
„Das Material ist die Botschaft“, sagt Katell Gélébart. Dabei dient ihr als Material, was andere ausgemustert haben – von Armeedecken bis Zementsäcken. Daraus macht Gélébart Neues: Damenkleider aus grünen Postsäcken, Stoffrestschuhe mit Reifensohlen, Notizbücher aus Röntgenbildern, Schals aus alten Teddybären, Lampen aus Jalousien, Schürzen aus Tetrapacks. 1998 hat sie dazu das Label „Art d’Eco“ gegründet. Als Katell Gélébart ihren Satz über das Material sagt, denkt sie nicht an technische Schwierigkeiten, sondern an Wahrnehmung: „Die Leute sehen: Wow, diese Jacke war mal eine Decke! Oder ein Segel! Wegen dieser Botschaft kaufen sie es. Da spricht sie nicht das Design an, sondern das Material.“ Inzwischen hat Gélébart einen guten Ruf als Mülldesignerin und Umweltkünstlerin, den Kairos-Preis der Töpfer- Stiftung in der Tasche und – mit 39 Jahren – eine eigene Biografie im Buchregal. Wie eine Nomadin streift sie durch die Welt, mal spannt sie in Indien traditionelle Handwerker für ihre Ideen ein, mal diskutiert sie in einem Residenzprogramm mit Künstlern. Nur eines hat sie noch nie getan: einen Ingenieur um Rat gefragt. „Ich bin Autodidaktin, und ich glaube, deshalb kann ich in meiner Materialnutzung auch so breit und offen sein“, sagt sie. Ein Ingenieur mit seinem ganzen Wissen darüber, was man normalerweise zu welchem Zweck einsetzt, würde sie womöglich bremsen. Oder er würde einfach über Gélébarts einzige Grenze staunen: „Es muss etwas sein, das ich mit einer Nähmaschine durchstechen kann. Wenn ich es nicht nähen kann, interessiert mich das Material nicht.“ Sie benutzt weder Kleber oder andere Hilfsmittel, auch nicht für die Lampenserie aus Aluminium- Jalousien – die sind allerdings von Hand genäht. Klingt dilettantisch? Im Gegenteil. Ingenieure können viel von Katell Gélébart lernen. Beziehungsweise verlernen. „Verlernt, was ihr gelernt habt“ ist in ihren Workshops das erste Gebot. Statt vom fertigen Produkt auszugehen und dann Materialart und -menge zu berechnen, soll man den Prozess von der anderen Seite beginnen. Zum Beispiel berechnen Modedesigner normalerweise zuerst, wie viel Stoff sie für eine Kleideridee brauchen. Gélébart hingegen gibt ihnen einen Postsack mit fester Breite und Länge und einem Aufdruck in bestimmter Laufrichtung. „Aus diesen Rahmenbedingungen musst du ein Kleid machen. Der Prozess läuft also genau andersherum. Ingenieuren würde ich denselben Rat geben: Schaut, was um euch herum vorhanden ist, wie ihr es wiederverwerten oder ihm eine neue Bedeutung geben könnt.“ Das Material ist die Botschaft. Sagt sie doch.Buchtipp
Christine Eichel: Die Mülldesignerin. Wie Katell Gélébart die Welt verändert. Scorpio Verlag München 2013. ISBN 978-3943416022. 18,99 Euro
Hydronauts2Fly
Seit Jahren führt das „Hydronauts2Fly“-Team der Technischen Universität München wissenschaftliche Unterwasserexperimente zur Untersuchung der Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf die menschliche Körperhaltung im Ruhezustand durch. Daraus sollen wichtige Erkenntnisse in der Ergonomie für die bemannte Raumfahrt, aber auch für die Passagier- und Fahrersicherheit im Automobilbereich gewonnen werden. Im Herbst 2012 wurde das Team von der European Space Agency (ESA) im Rahmen des „Fly your thesis“-Programms eingeladen, um ihre Experimente bei Parabelflügen in wirklicher Schwerelosigkeit durchzuführen. Ich war mit an Bord. Von Manuel Kollmar, Ingenieur bei Ferchau Aviation, München
Unser Team bekam in der Nähe von Bordeaux die Möglichkeit, in einem umgebauten Airbus A300 wissenschaftliche Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen, welche für 20 bis 25 Sekunden durch sogenannte Parabelflüge erzeugt wird: Dabei geht das Flugzeug in einer gewissen Höhe in einen Steilflug nach oben, wobei fast die zweifache Schwerkraft auf die Passagiere wirkt. Anschließend wird das Flugzeug nach unten gezogen und vollzieht eine parabelförmige Flugbahn. Dabei wird die Gravitationskraft durch die Fliehkraft ausgeglichen und die sogenannte „Microgravitations(µg)- Phase“ erzeugt, wodurch die Passagiere zum Schweben gebracht werden. Innerhalb von zwei Wochen durfte das „Hydronauts2Fly“-Team an 93 Parabelflügen, inklusive Testflügen, teilnehmen, wobei die neun freiwilligen Testpersonen jeweils zehn Parabeln absolvierten. Ziel unserer Experimente an Bord war es, in der Schwerelosigkeit genauere Daten zu bekommen. Unsere Versuche zeichneten wir mit mehreren HDKameras auf. Mit Hilfe dieser Aufnahmen berechnet eine von uns entwickelte Software-Simulation ein 3D-Modell, welches genaue Ergebnisse für die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper liefert. Diese Erkenntnisse können Aufschlüsse zur Optimierung von Raumanzügen oder der Arbeitsumgebung der Astronauten liefern. Auch für andere Gebiete der Ergonomie, wie beispielsweise Auto-Cockpits, sind diese Erkenntnisse interessant. Vor den Parabelflügen hatten wir in Bordeaux eine einwöchige Vorbereitungszeit zur Verfügung. Wir arbeiteten jeden Tag von frühmorgens bis spätabends am Versuchsaufbau und -ablauf. Dazu gehörten auch regelmäßige Besuche von heimischen Bau- und Elektronikmärkten, da wir bei einigen Bauteilen improvisieren mussten. Das Experiment funktionierte folgendermaßen: Der Proband sollte sich entspannt im Teststand auf den Rücken legen. Dabei wurde er mit Funk-Ohrhörer und Schlafbrille von der Außenwelt abgeschottet, damit er sich komplett entspannen konnte, was für unsere Experimente besonders wichtig war. Zu Flugbeginn wurde der Proband mit einem Becken-Klettergurt über ein Magnetsystem an einer vertikalen Linearführung befestigt, sodass er hochund runterschweben konnte, ohne durch den Kabinenraum zu fliegen. Weiterhin war die Drehung um die Hüftachse freigegeben, damit der Körper flexibel reagieren konnte, um ein störungsfreies Schweben während der Schwerelosigkeit zu ermöglichen. Bei Einsetzen der kurzen Schwerelosigkeit schwebte der Proband automatisch durch ein Federsystem nach oben und wurde danach per Ohrhörer aufgefordert, für ein bis zwei Sekunden eine vorgegebene Körperposition einzunehmen und seine Muskeln anzuspannen. So wurde eine Optimierung der darauf folgenden Entspannungsphase erreicht. Erstaunlich war, wie unterschiedlich der menschliche Körper auf Schwerelosigkeit und doppelte Gravitation reagiert: Den routinierten Teilnehmern, wie zum Beispiel den Sicherheitsverantwortlichen, machten selbst die schnellen Bewegungen in den Übergangsphasen nichts aus. Hingegen wurde uns Neulingen empfohlen, uns erstmal auf den Rücken zu legen und den Kopf möglichst wenig zu bewegen, damit uns nicht übel wird. Die einschlägigen Purzelbäume, die Astronauten gerne vorführen, sollte man als Flugneuling am Anfang tunlichst vermeiden. Jedoch überstanden alle Teilnehmer die Parabelflüge schadlos, obwohl wir als human-medizinisches Experiment keine Mittel gegen Reiseübelkeit zu uns nehmen durften. Dass gewisse „Anpassungsschwierigkeiten“ einiger Passagiermägen auftraten, war nicht zu vermeiden. Das Gefühl in der Schwerelosigkeit ist unglaublich. Es ist wie bei einer Achterbahnfahrt, und man bekommt ein komisches Gefühl in der Magengegend. Schnell legte sich mir aber ein Grinsen über das Gesicht, und ich konnte es trotz der notwendigen Arbeit richtig genießen. Eine Parabel durfte ich sogar im Cockpit erleben, was sehr beeindruckend war. Gut festgeschnallt quetschte ich mich auf den Notsitz neben die beiden Piloten und die zwei Flugingenieure und genoss die Aussicht – auch wenn mir bei dem Anblick der sich rasend nähernden Meeresoberfläche etwas mulmig zumute wurde. Diese zwei Wochen waren ein Erlebnis. Alle Parabeln waren erfolgreich, und das ganze „Hydronauts2Fly“-Team ist zuversichtlich, aus den anschließenden Auswertungen aufschlussreiche Erkenntnisse für unser Projekt gewinnen zu können.Parabelflug
Alles auf der Erde unterliegt der Schwerkraft. Die einzige Möglichkeit, diese Erdanziehungskraft aufzuheben, ist der freie Fall. Zum Beispiel fühlt man sich beim Sprung vom Fünf-Meter-Brett im Schwimmbad schwerelos. Auch ein in die Luft geworfener Ball bewegt sich im freien Fall und ist schwerelos. Er fällt entlang einer sogenannten Wurfparabel. Auf der Bahn einer Wurfparabel wird auch ein Flugzeug bei einem Parabelflug manövriert und ist dadurch ebenfalls schwerelos. Mit dem Airbus A300 ZERO-G kann der Pilot eine derart große Parabel fliegen, dass an Bord bis zu 22 Sekunden lang Schwerelosigkeit herrscht. Parabelflüge wurden ursprünglich für das Schwerelosigkeitstraining von Astronauten initiiert, werden heute aber hauptsächlich für wissenschaftliche Experimente in Schwerelosigkeit (Mikrogravitation) und zum Testen von Raumfahrttechnologien eingesetzt. Mehr Infos unter: www.dlr.de Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Grenzenlos
Hinter freiwilligem sozialem Engagement, Corporate Social Responsibility oder Corporate Volunteering stehen Menschen, die sich engagieren – der karriereführer stellt sie vor. Aufgezeichnet von Stefan Trees
Philipp Becker, Ingenieur Projekt: Ingenieure ohne Grenzen e.V./Biogas support for Tanzania „BiogaST“ Ort: Deutschlandweit/Afrika Web: www.ingenieure-ohne-grenzen.org„Ingenieure ohne Grenzen“ leistet seit 2003 internationale Entwicklungszusammenarbeit durch ingenieurwissenschaftliche Projekte in den Bereichen Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung sowie Brückenbau. Die Entwicklung einer Kleinst-Biogasanlage auf Pflanzenbasis, die tansanischen Bauern die benötigte Energie zum Kochen liefern soll, brachte den Ingenieuren den deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt 2011. Wie alles begann Ich habe Umweltverfahrenstechnik an der HTW Berlin studiert. Vor fünf Jahren bin ich auf der Suche nach einem Thema für meine Diplomarbeit im Internet auf „Ingenieure ohne Grenzen“ gestoßen. Kurz zuvor hatte unsere Partnerorganisation MAVUNO Project, eine Nichtregierungsorganisation in Tansania, eine Anfrage im Bereich Biogas gestellt – das passte sehr gut in meinen Bereich, und so habe ich dort meine Diplomarbeit angemeldet. Ich bin dann sehr bald zum ersten Mal nach Tansania gereist. Bei „Ingenieure ohne Grenzen“ wird vor jedem Projekt eine Erkundungsreise gemacht, um mit den Partnern vor Ort Kontakte zu knüpfen und erste Eindrücke über die Strukturen und Möglichkeiten zu gewinnen. Mit technischer Unterstützung des Leibniz-Instituts für Agrartechnik Potsdam- Bornim, das im Bereich Biogas forscht, habe ich in Tansania ein Biogas- Labor eingerichtet, das auch heute noch genutzt wird. Vor Ort habe ich Tests mit verschiedenen Substraten gemacht, Anlagen besichtigt, die schon in den 90er-Jahren gebaut worden waren, und mit den Bauern über die Probleme gesprochen, die es mit den Anlagen gegeben hatte. Sie haben uns bestätigt, dass die Anlagentechnik nicht an die Lebenswirklichkeit der Bauern angepasst ist, die von Ackerbau leben und nur sehr wenig Viehhaltung betreiben. Mit zwei Kühen gilt man dort als wohlhabend. Die Standard-Biogasanlagen benötigen aber Kuhdung von wenigstens sechs Kühen. Viele Anlagen werden deshalb nicht so genutzt, wie sie genutzt werden sollten, um die tägliche Kochenergie bereit zu stellen. Stattdessen wurde weiterhin mit Holz gekocht. In den letzten Jahren wurde von den Industrienationen viel in Biogas-Forschung investiert. Wir wissen nun, dass Biogas-Anlagen auch rein auf Basis nachwachsender Rohstoffe funktionieren. Diese Erkenntnisse versuchen wir nun in diesem Kleinstmaßstab umzusetzen, so dass Bauern, die Ackerbau betreiben, diese Anlagen voll nutzen können, weil sie über genügend Substrat verfügen. Warum ich das mache Ich wollte eine Diplomarbeit im Bereich regenerative Energien schreiben, die Sinn macht und zur Umsetzung kommt, statt in der Uni-Bibliothek zu verschwinden wie der x-te Waschmaschinenschalter, der nicht produziert wird. Außerdem schätze ich es sehr, dass ich immer die Möglichkeit hatte, mich weiterzubilden, und es allein in meiner Verantwortung lag, die Richtung einzuschlagen, in die ich möchte. In Afrika gibt es diese Möglichkeiten oft nicht. Unser Projekt gibt den Menschen vor Ort die Chance, etwas zu lernen, sich weiterzuentwickeln, Arbeit zu finden und sich in bescheidenem Maße selbst zu verwirklichen. Außerdem bringen wir Energie dorthin, wo sie benötigt wird, wenn Menschen weiterkommen und sich entwickeln wollen. Unsere Form der Energiegewinnung durch eine Biogas-Anlage hat weitreichende Auswirkungen: Die Menschen benötigen nur noch wenig Brennholz. Die Vermeidung von Abholzung wiederum beugt der Erosion des Bodens vor. Außerdem müssen die Kinder nicht mehr stundenlange Wege zurücklegen, um Brennholz zu beschaffen, sondern können regelmäßiger die Schule besuchen. All dies macht für mich Sinn und motiviert mich. Was es bislang gebracht hat „Ingenieure ohne Grenzen“ ist mit seinen zehn Jahren ein noch junger Verein, der sich seit seinen Anfängen an engagierte Studierende richtet. In zahlreichen Uni-Städten haben sich mittlerweile Regionalgruppen gegründet. Auch das Team ist relativ jung. Projektumsetzung und Forschung werden häufig von Studierenden durchgeführt. Diplomierte Ingenieure stehen vielfach als Berater im Hintergrund und übernehmen die Organisation. Nicht jeder kann es in seinem Berufsleben einrichten, für drei Monate nach Afrika zu gehen. Doch nur mit Ingenieuren ist ein Projekt nicht umzusetzen. Wir brauchen Sozialwissenschaftler, Techniker, Kommunikationsexperten und Mitarbeiter, die sich mit Erhebungen oder interkulturellen Aspekten befassen. In diesen Bereichen wächst der Verein sehr stark. Auch wir hatten in unserem Projekt unsere Schwierigkeiten mit der interkulturellen Kommunikation und mussten viel lernen. Es war beispielsweise nicht leicht, unsere Partnerorganisation von der Notwendigkeit der Forschung zu überzeugen. Unsere Biogas-Anlagen waren ja zu Projektbeginn noch nicht serienreif. Sie zeigten sich zwar einverstanden, doch in Afrika gibt es neunzehn Jas und ein Nein – und „Ja“ bedeutet nicht immer gleich „Ja, wir haben es verstanden“. Es war für uns wichtig, die Anlage zusammen mit den Menschen vor Ort zu entwickeln. Die Bauern von MAVUNO Project haben jedoch nicht immer gleich den Nutzen für sich gesehen, denn wir haben zunächst zwei Pilotanlagen gebaut, die nicht bei den Familien standen. Es war ein langer Prozess, unsere Partner miteinzubeziehen. Fünf Mal bin ich seit Projektbeginn nach Tansania gereist, mein längster Aufenthalt dauerte sechs Monate. Ich bin von Anfang an dabei – das Projekt ist mir ans Herz gewachsen. Ich möchte es auf eine Weise zu Ende führen, dass ich es an unsere Partnerorganisation übergeben kann, ohne dass das Projekt beeinträchtigt wird. Als Berater würde ich dann weiter zur Verfügung stehen. Doch zuvor braucht es noch eine Menge Technologietransfer sowie einheimische Biogas-Experten, Arbeiter und den Zuspruch der Community in den Dörfern, bis das Projekt auf eigenen Beinen steht und sich selbst trägt. Ich schätze, in zwei Jahren könnte es so weit sein.