Hydronauts2Fly

Seit Jahren führt das „Hydronauts2Fly“-Team der Technischen Universität München wissenschaftliche Unterwasserexperimente zur Untersuchung der Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf die menschliche Körperhaltung im Ruhezustand durch. Daraus sollen wichtige Erkenntnisse in der Ergonomie für die bemannte Raumfahrt, aber auch für die Passagier- und Fahrersicherheit im Automobilbereich gewonnen werden. Im Herbst 2012 wurde das Team von der European Space Agency (ESA) im Rahmen des „Fly your thesis“-Programms eingeladen, um ihre Experimente bei Parabelflügen in wirklicher Schwerelosigkeit durchzuführen. Ich war mit an Bord. Von Manuel Kollmar, Ingenieur bei Ferchau Aviation, München

Unser Team bekam in der Nähe von Bordeaux die Möglichkeit, in einem umgebauten Airbus A300 wissenschaftliche Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen, welche für 20 bis 25 Sekunden durch sogenannte Parabelflüge erzeugt wird: Dabei geht das Flugzeug in einer gewissen Höhe in einen Steilflug nach oben, wobei fast die zweifache Schwerkraft auf die Passagiere wirkt. Anschließend wird das Flugzeug nach unten gezogen und vollzieht eine parabelförmige Flugbahn. Dabei wird die Gravitationskraft durch die Fliehkraft ausgeglichen und die sogenannte „Microgravitations(µg)- Phase“ erzeugt, wodurch die Passagiere zum Schweben gebracht werden. Innerhalb von zwei Wochen durfte das „Hydronauts2Fly“-Team an 93 Parabelflügen, inklusive Testflügen, teilnehmen, wobei die neun freiwilligen Testpersonen jeweils zehn Parabeln absolvierten.

Ziel unserer Experimente an Bord war es, in der Schwerelosigkeit genauere Daten zu bekommen. Unsere Versuche zeichneten wir mit mehreren HDKameras auf. Mit Hilfe dieser Aufnahmen berechnet eine von uns entwickelte Software-Simulation ein 3D-Modell, welches genaue Ergebnisse für die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper liefert. Diese Erkenntnisse können Aufschlüsse zur Optimierung von Raumanzügen oder der Arbeitsumgebung der Astronauten liefern. Auch für andere Gebiete der Ergonomie, wie beispielsweise Auto-Cockpits, sind diese Erkenntnisse interessant.

Vor den Parabelflügen hatten wir in Bordeaux eine einwöchige Vorbereitungszeit zur Verfügung. Wir arbeiteten jeden Tag von frühmorgens bis spätabends am Versuchsaufbau und -ablauf. Dazu gehörten auch regelmäßige Besuche von heimischen Bau- und Elektronikmärkten, da wir bei einigen Bauteilen improvisieren mussten. Das Experiment funktionierte folgendermaßen: Der Proband sollte sich entspannt im Teststand auf den Rücken legen. Dabei wurde er mit Funk-Ohrhörer und Schlafbrille von der Außenwelt abgeschottet, damit er sich komplett entspannen konnte, was für unsere Experimente besonders wichtig war. Zu Flugbeginn wurde der Proband mit einem Becken-Klettergurt über ein Magnetsystem an einer vertikalen Linearführung befestigt, sodass er hochund runterschweben konnte, ohne durch den Kabinenraum zu fliegen. Weiterhin war die Drehung um die Hüftachse freigegeben, damit der Körper flexibel reagieren konnte, um ein störungsfreies Schweben während der Schwerelosigkeit zu ermöglichen. Bei Einsetzen der kurzen Schwerelosigkeit schwebte der Proband automatisch durch ein Federsystem nach oben und wurde danach per Ohrhörer aufgefordert, für ein bis zwei Sekunden eine vorgegebene Körperposition einzunehmen und seine Muskeln anzuspannen. So wurde eine Optimierung der darauf folgenden Entspannungsphase erreicht.

Erstaunlich war, wie unterschiedlich der menschliche Körper auf Schwerelosigkeit und doppelte Gravitation reagiert: Den routinierten Teilnehmern, wie zum Beispiel den Sicherheitsverantwortlichen, machten selbst die schnellen Bewegungen in den Übergangsphasen nichts aus. Hingegen wurde uns Neulingen empfohlen, uns erstmal auf den Rücken zu legen und den Kopf möglichst wenig zu bewegen, damit uns nicht übel wird. Die einschlägigen Purzelbäume, die Astronauten gerne vorführen, sollte man als Flugneuling am Anfang tunlichst vermeiden. Jedoch überstanden alle Teilnehmer die Parabelflüge schadlos, obwohl wir als human-medizinisches Experiment keine Mittel gegen Reiseübelkeit zu uns nehmen durften. Dass gewisse „Anpassungsschwierigkeiten“ einiger Passagiermägen auftraten, war nicht zu vermeiden.

Das Gefühl in der Schwerelosigkeit ist unglaublich. Es ist wie bei einer Achterbahnfahrt, und man bekommt ein komisches Gefühl in der Magengegend. Schnell legte sich mir aber ein Grinsen über das Gesicht, und ich konnte es trotz der notwendigen Arbeit richtig genießen. Eine Parabel durfte ich sogar im Cockpit erleben, was sehr beeindruckend war. Gut festgeschnallt quetschte ich mich auf den Notsitz neben die beiden Piloten und die zwei Flugingenieure und genoss die Aussicht – auch wenn mir bei dem Anblick der sich rasend nähernden Meeresoberfläche etwas mulmig zumute wurde.

Diese zwei Wochen waren ein Erlebnis. Alle Parabeln waren erfolgreich, und das ganze „Hydronauts2Fly“-Team ist zuversichtlich, aus den anschließenden Auswertungen aufschlussreiche Erkenntnisse für unser Projekt gewinnen zu können.

Parabelflug

Alles auf der Erde unterliegt der Schwerkraft. Die einzige Möglichkeit, diese Erdanziehungskraft aufzuheben, ist der freie Fall. Zum Beispiel fühlt man sich beim Sprung vom Fünf-Meter-Brett im Schwimmbad schwerelos. Auch ein in die Luft geworfener Ball bewegt sich im freien Fall und ist schwerelos. Er fällt entlang einer sogenannten Wurfparabel. Auf der Bahn einer Wurfparabel wird auch ein Flugzeug bei einem Parabelflug manövriert und ist dadurch ebenfalls schwerelos. Mit dem Airbus A300 ZERO-G kann der Pilot eine derart große Parabel fliegen, dass an Bord bis zu 22 Sekunden lang Schwerelosigkeit herrscht.

Parabelflüge wurden ursprünglich für das Schwerelosigkeitstraining von Astronauten initiiert, werden heute aber hauptsächlich für wissenschaftliche Experimente in Schwerelosigkeit (Mikrogravitation) und zum Testen von Raumfahrttechnologien eingesetzt.
Mehr Infos unter: www.dlr.de

Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

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