Ökologische Agrarwissenschaften

Foto: Fotolia/chin yong teh
Foto: Fotolia/chin yong teh

Ökologische Agrarwissenschaften sind ein vielseitiges und zukunftsträchtiges Wirkungsfeld mit großem Forschungspotenzial. Interessenten können an der Universität Kassel zu diesem Fachgebiet den Masterstudiengang Ökologische Landwirtschaft absolvieren. Von Holger Mittelstraß, Studienkoordinator, Universität Kassel

Bio-Lebensmittel und die damit verbundenen Fragestellungen sind heute in der deutschen Gesellschaft angekommen. Das bedeutet jedoch keine Entspannung, sondern eine Herausforderung. National und international sind in diesem stetig wachsenden Aufgabenfeld Fachleute gefragt, die die komplexen Zusammenhänge einschätzen und nachhaltige Lösungen erarbeiten können. Das Thema ist verhältnismäßig jung. Es verlangt eine differenzierte, kritische Herangehensweise an die Problemstellungen und stellt hohe Ansprüche an die wissenschaftliche Kompetenz und das Verständnis von Zusammenhängen. In speziellen Bereichen der ökologischen Agrarwissenschaften gibt es noch einen großen Forschungsbedarf. Der Masterstudiengang „Ökologische Landwirtschaft“ an der Universität Kassel-Witzenhausen trägt dem Rechnung, indem er ein stark forschungsorientiertes Profil besitzt. In der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wurde der Studiengang als offizielles Projekt ausgezeichnet.

Im idyllischen Witzenhausen zwischen Göttingen und Kassel treffen Fragen der nachhaltigen Landwirtschaft und Energiekreisläufe, des Natur- und Umweltschutzes, der Ernährungssicherheit sowie der Lebensmittelproduktion und -wirtschaft aufeinander. Der zwei Jahre umfassende Masterstudiengang basiert auf einem Bachelor, der neben Grundkenntnissen in den Themenbereichen des Landbaus, der Nutztierhaltung, der Ökologie und Wirtschaft außer Vorlesungen schon einen umfangreichen Anspruch an praktisches und selbstständiges Arbeiten beinhaltet. Übungen, Exkursionen und Projektarbeiten, wie die Organisation einer alljährlich stattfindenden Fachkonferenz oder die Beratung zur Umstellung eines konkreten Hofes, sind nur einige Beispiele dafür.

Der Masterstudiengang „Ökologische Landwirtschaft“ konzentriert sich auf die Vermittlung wissenschaftlicher Methoden, die den Studierenden eine breite Grundlage für unterschiedliche Berufsfelder bieten soll und interdisziplinäre Kompetenzen anstrebt. Die Ausbildung soll die Studierenden auf Leitungspositionen im landwirtschaftlichen Bereich vorbereiten. Es werden Forschungskonzepte in den Boden-, Pflanzenbau- und Nutztierwissenschaften, die Sensorik von Lebensmitteln und Methoden der Marketingforschung vermittelt. Die Beherrschung wissenschaftlicher Methoden und der Umgang mit Statistik sollen eine sichere Analyse, Einordnung und Bewertung von Fragestellungen ermöglichen.

Neben den methodischen Modulen kann sich jeder Student individuell spezialisieren. Zahlreiche Wahlpflichtmodule aus den Bereichen Boden- und Pflanzenwissenschaften, Nutztierwissenschaften und Wirtschafts-, Sozial- und Lebensmittelwissenschaften spiegeln den Facettenreichtum des Studiengebiets wider, beispielsweise: Nährstoffkreisläufe, Energieflüsse und Ökobilanzen, Nachwachsende Rohstoffe, Regenerative Energien, Das Milchrind, Honig- und Wildbienen in der Agrarlandschaft, Umweltwissen, -wahrnehmung und -verhalten und das Politikfeld Ökologische Landwirtschaft in der EU.

Das forschungswissenschaftliche Arbeiten im Nutztierbereich und im Pflanzenbau wird durch die vielfältigen Einrichtungen der Universität lebendig – zum Beispiel durch gut ausgestattete Labore, ein Gewächshaus und vor allem den zur Universität gehörenden Versuchs- und Praxisbetrieben wie die Hessische Staatsdomäne Frankenhausen, die Versuchsflächen Neueichenberg und das Versuchsgelände für Bewässerung und Solartechnik. Zahlreiche Anbauversuche rund um Fruchtfolgen, Komposte, Genotypen und Dünger sowie der Einsatz verschiedener Geräte bieten ein breites Forschungsfeld im Pflanzenbau und in der Agrartechnik. Zur Domäne gehören außerdem eine Milchviehherde und Geflügelhaltung. Der Fachbereich selbst führt zahlreiche Forschungsprojekte mit deutschen, europäischen und außereuropäischen Partnern durch. Die Zusammenarbeit und der Austausch mit internationalen Forschungseinrichtungen und Institutionen sind selbstverständlich. Zur Hochschule gehört auch ein Tropengewächshaus mit über 300 Nutzpflanzen. Der Fokus des in deutscher Sprache gehaltenen Masterstudiengangs liegt jedoch auf den gemäßigten Klimazonen und einer europäischen Perspektive.

Ein weiterer Masterstudiengang wird in englischer Sprache angeboten und zieht Studierende aus aller Welt an. „Sustainable International Agriculture“ behandelt das Thema Ökologische Landwirtschaft aus der globalen Perspektive und berücksichtigt den Landbau im gemäßigten und im tropischen Klima. Ebenfalls in Englisch gehalten, beschäftigt sich der Masterstudiengang „International Food Business and Consumer Studies“ mit der Lebensmittelwirtschaft, mit Qualität und Management.

Die bisherigen Absolventen arbeiten heute in den unterschiedlichsten Feldern: Sie sind Einkäufer von Lebensmittelimporteuren, Berater für Bio-Betriebe, Beschäftigte in der Entwicklungshilfe, sie bewirtschaften eigene Höfe und Gärtnereien oder haben sich in der Entwicklung neuer Modelle und Techniken etabliert – zum Beispiel der Bau mobiler Hühnerställe.

Ein Studiengang und seine Satelliten

Rund um die Universität haben sich Studenten und Absolventen zu Initiativen zusammengeschlossen und eigene kleine Betriebe gegründet, die sich direkt aus der Beschäftigung mit ihrem Studium ergaben, zum Beispiel:

Solidarische Landwirtschaft, Community supported Agriculture (CSA)
In Witzenhausen-Freudenthal gärtnern Studenten für Studenten. Mit einem monatlichen Solidarbeitrag finanzieren die Haushalte und WGs den Anbau und die Gehälter der Gemüsegärtner.

Essbare Stadt
Lebensmittelsouveränität durch Gemeinschaftsgärten und den Anbau essbarer Pflanzen stärken das Verhältnis zur Produktion.

Transition Town
Lösungen jenseits der Erdölabhängigkeit und für ein selbstbestimmteres Leben an dem Ort, an dem man lebt.

Mobile Hühnerställe
Iris Weiland und ihr damaliger Partner entwickelten mobile Hühnerställe, die mit Hilfe eines Traktors nach Bedarf die Flächen wechseln können.

Gut Fahrenbach
Drei Diplom-Ingenieure des Fachbereichs pachteten nach ihrem Studienabschluss Gebäude und Flächen von Gut Fahrenbach. Sie besitzen eine Herde Aberdeen- Angus-Rinder, deren Futter sie selbst erzeugen. Außerdem bauen sie Getreide an, aus dem der Bioland-Bäcker Henner im Nachbarort Dohrenbach Brot backt.