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Mandanten für die Zukunft rüsten

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Dass sich das Wirtschaftsrecht wandelt, ist nicht neu. Bemerkenswert ist jedoch das Tempo der Veränderungen. Megatrends wie die Digitalisierung und die Globalisierung sorgen für neue Gesetze, die Unternehmen beachten müssen. Die Aufgabe der Anwälte: Das Recht strukturieren und die Mandanten beraten, damit diese bestenfalls von der neuen Rechtslage profitieren. Wir haben in den Kanzleien nachgefragt, was dies für Spezialisten in den Bereichen Datenschutz, Patentrecht und Finanzen bedeutet. Von André Boße

Im Mai 2018 tritt das neue EU-Datenschutzgesetz in Kraft. Viele Nutzer profitieren davon, so gibt es zum Beispiel ein „Recht auf Vergessen“. Sprich: Wer will, kann dafür sorgen, dass zum Beispiel Kundendaten wieder gelöscht werden. Zudem haben Kunden das Recht, zu erfahren, was mit ihren Daten geschieht. Gehen Daten verloren, müssen die Unternehmen dies so schnell wie möglich melden. Ein Punkt der Verordnung trifft Unternehmen dabei besonders: Verstoßen sie gegen das neue Recht, drohen harte Bußgelder – bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes sind möglich. „Für meine Mandanten birgt das neue Recht in erster Linie mehr Bürokratie und drastisch erhöhte Risiken“, sagt Jens Nebel von der Kanzlei Kümmerlein, dort Fachanwalt für ITRecht. „Nur ein Beispiel: Unternehmen müssen künftig die Einhaltung des Datenschutzrechts durch geeignete Dokumentationen nachweisen. Wer das nicht kann, begeht schon allein hierdurch einen Rechtsverstoß.“

„Digital Economy & Recht“

In der Studie „Digital Economy & Recht“ des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen (BUJ) aus dem November 2016 geben Vertreter aus 305 Rechtsabteilungen an, welche Rechtsgebiete von der Digitalisierung am meisten betroffen sind. Knapp 70 Prozent der Befragten sehen einen starken Einfluss der digitalen Transformation auf die Arbeit in der Rechtsabteilung. Dabei beurteilen die Befragten den Veränderungsprozess überwiegend positiv. Rund 73 Prozent der Befragten erwarten, dass der Bedarf an digital kompetenten Juristen zusätzliche Jobs in den Rechtsabteilungen schaffen wird. 85 Prozent erwarten höhere Anforderungen an das Know-how bei spezifischen Rechtsgebieten wie dem Datenschutz und der IT-Sicherheit sowie bei Haftungs- und Regulierungsfragen.

Einen positiven Blick auf die Verordnung hat Dr. Grace Nacimiento: „Das neue Recht bietet Unternehmen einen guten Anlass, die bestehenden Prozesse zu hinterfragen und auf den Prüfstand zu stellen“, bewertet die Partnerin bei Kleiner Rechtsanwälte das Gesetz. Viele Unternehmen erkennen die Bedeutung von Daten für gegenwärtige und zukünftige Geschäftsmodelle. „Daher müssen wir häufig vermitteln, dass bei aller Goldgräberstimmung gesetzliche Vorschriften bestehen, die die technischen Möglichkeiten der Datennutzung beschränken“, sagt Grace Nacimiento – und glaubt, dass ein Unternehmen, das die Rechtslage kennt und klar einhält, auch auf positive Effekte hoffen darf: „Gegenüber Kunden kann es ein nicht zu unterschätzender Bonus sein, sich an datenschutzrechtliche Vorgaben zu halten oder sogar einen Standard anzubieten, der über diese hinausgeht.“

Jens Nebel von Kümmerlein, der seit mehr als einem Jahrzehnt Unternehmen zu datenschutzrechtlichen Gestaltungsfragen berät, hält dagegen, dass es im Bereich des Datenrechts noch immer viele offene Fragen gebe. Zum Beispiel die nach der Rechtsinhaberschaft an Daten: „Es gibt kein „Dateneigentum“ im klassischen Sinne, etwa so, wie ich Eigentümer eines Autos sein kann. Denn Daten sind keine körperlichen Gegenstände.“ Gleich mehrere Rechtsinstitute schützen die Daten, das Urheberrecht, das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis und eben auch das Datenschutzrecht. Dabei könne es vorkommen, dass die Rechtsordnung die Befugnisse unterschiedlich zuweist, wie Jens Nebel sagt, der aktuell eines der großen datenschutzrechtlichen Musterverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof betreut: „Ein Datenbankhersteller kann zum Beispiel ein Schutzrecht an der Datenbank haben, die Verarbeitung der darin abgelegten personenbezogenen Daten kann trotzdem durch das Datenschutzrecht beschränkt oder gar unzulässig sein.“

Das Datenschutzrecht ist ein Rechtsgebiet mit großer Dynamik – „aber das gilt im Grund für alle Bereiche, in denen sich das Recht mit Fragen der Digitalisierung auseinandersetzt“, ergänzt Dr. Carolin Küll, die sich bei Kleiner Rechtsanwälte mit Fragen der Digitalisierung befasst. Die Anwältin berät Unternehmen insbesondere zu IT-Compliance, Datenschutz und Datensicherheit. „Ergeben sich neue Fragen, müssen wir den technischen Hintergrund klären und die hieran anknüpfenden Rechtsfragen strukturieren“, berichtet sie von ihrer Arbeit. Inhaltlich setze auch die Rechtsberatung im Bereich Digitalisierung und Datenschutz ein gewisses technisches Verständnis und ein hohes Abstraktionsvermögen voraus. „Einsteiger sollten daher keine Berührungsängste mit technischen und informationstechnologischen Fragen haben und auch das Gespräch mit der operativen Ebene in den Unternehmen suchen.“

Syndikus: Dr. Siegfried Schwung im Interview

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Dr. Siegfried Schwung leitet beim Automatisierungsspezialisten Kuka die Rechtsabteilung. Bestimmt wird seine juristische Arbeit vom rasanten Wandel, der sich aus den Industrie-4.0-Themen wie der künstlichen Intelligenz und dem Internet der Dinge ergibt. Die Fragen stellte André Boße

Zur Person

Dr. Siegfried Schwung, 63 Jahre alt, leitet als Chefsyndikus bei Kuka die Full-Service-Rechtsabteilung des Unternehmens. Der Jurist begann seine Karriere als Syndikusanwalt im Auslandsbereich des Baukonzerns BiIfinger Berger. Anschließend war er mehr als 20 Jahre im Daimler-Konzern tätig, unter anderem als General Counsel bei Mercedes-Benz U.S. International, Leiter Kapitalmarktrecht sowie Chefsyndikus der Daimler Financial Services. Vor seinem Einstieg bei Kuka war er als niedergelassener Anwalt tätig, unter anderem leitete er für Thümmel Schütze & Partner das Büro in Singapur.

Herr Dr. Schwung, wie hat sich Ihrer Ansicht nach generell die Arbeit eines Syndikusanwalts in einem Unternehmen gewandelt?
Der Syndikusanwalt nimmt generell am Wandel eines Unternehmens teil. Seine Kernkompetenzen, neben der Beherrschung der relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen, liegen also in der tiefen Kenntnis des Unternehmens, seiner Produkte und des Umfeldes, in dem es geschäftsaktiv ist. Ändern sich diese Rechtstatsachen, dann muss der Syndikusanwalt auf der Höhe der Entwicklung sein.

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Industrie 4.0 ist ein gutes Beispiel. Für die hierunter fallenden Geschäftsmodelle müssen etwa Verträge entworfen werden, für die bisher noch in keinem Praxishandbuch Muster zu finden sind. Die besonderen Skills liegen folglich in der völlig eigenständigen Gestaltung von Vertragsstrukturen und -texten – und dies in der Mehrzahl der Fälle nach angelsächsischem Aufbau und in englischer Sprache. In einem von neuen Technologien geprägten Unternehmen gewinnt zudem der gewerbliche Rechtsschutz an Bedeutung, im Hinblick auf vermehrt in Betracht kommende Kooperationen auch das Kartellrecht. Kernthema bleibt das Gesellschaftsrecht.

Und klassische Rechtsstreitigkeiten?
Hier vergeben wir weitgehend Mandate an externe Kanzleien, die vor allen Dingen im Prozessrecht und mit den Usancen am konkreten Gericht mehr Erfahrung besitzen. Die Rechtsabteilung steuert die Prozesse.

Wie sehen Sie Ihre Rolle im Unternehmen: Betrachten Sie sich als einen rechtlichen Berater, der zwar im Unternehmen arbeitet, aber eine unabhängige Stellung einnimmt?
Der Syndikusanwalt ist als Organ der Rechtspflege unabhängig – und das vielleicht sogar noch stärker als die externen Rechtsanwälte, die sich ihr nächstes Mandat sozusagen verdienen müssen. Dies zeigt sich gelegentlich bei gutachterlichen Stellungnahmen, bei denen die Inhouse-Option mit der gestellten Rechtsfrage durchaus konservativer umgehen kann. Andererseits darf der Syndikusanwalt aber nicht eine unternehmerische Einstellung vermissen lassen: Er sollte mit gut vertretbaren Standpunkten Verantwortung übernehmen.

Wir haben erst Recht 2.0 – die Industrie ist aber schon weiter.

Wie organisieren Sie die Kooperation mit Kanzleien, die extern für das Unternehmen arbeiten?
Kanzleien sind Partner und arbeiten komplementär. Ein Konkurrenzdenken verbietet sich. Entscheidend ist das Arbeitsverhältnis zu den jeweiligen Partnern und Associates, mit ihnen muss höchstes Vertrauen bestehen. So sind die Arbeitsergebnisse der externen Kanzlei immer über die Rechtsabteilung einzusteuern, die ja die Federführung beansprucht. Funktioniert das nicht, etwa durch eine unkoordinierte Direktansprache des Mandanten im Unternehmen, haben wir ein Problem. Kostenmanagement ist wichtig, da die Rechtsabteilung das Budget zu verantworten hat. Bei Kuka gibt es eine Liste der bisher mandatierten Kanzleien mit Bewertungen, auf die bei neuen Mandaten zurückgegriffen werden kann.

Kuka ist ein besonderes Unternehmen, es gilt als einer der wichtigsten Treiber für die Themen Automatisierung und Industrie 4.0. Welche besonderen Themen bestimmen Ihre Arbeit?
Der dynamische Wandel und das internationale Umfeld kennzeichnen die Arbeitsfelder des Unternehmens. In Kontakt kommen wir überwiegend mit Ingenieuren, die sich immer wieder neu aufkommenden Projekten, wie jetzt im Hinblick auf die künstliche Intelligenz und anderen disruptiven Technologien, widmen. Unsere Rechtsabteilung ist also sehr technologieaffin, und wir erleben geradezu aufregende Zeiten. Wer sich als Jurist mit Themen wie dem Internet der Dinge, Künstlicher Intelligenz und Automatisierung beschäftigt, stößt schnell auf interessante juristische Fragen.

Welche dieser neuen Themen empfinden Sie als besonders interessant?
Natürlich ist das Haftungsthema überaus relevant, da muss bei der Beschreibung des Leistungsversprechens genau gearbeitet werden. Leider lässt sich die Haftungsproblematik im Geschäft mit anderen Unternehmen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes durch AGBs schlecht interessengerecht ausgleichen. Die Industrie hofft insofern auf eine überfällige Korrektur durch den Gesetzgeber.

Es scheint, dass in einigen Bereichen die Technik schon weiter ist als das Recht. Zum Beispiel eben auch bei Haftungsfragen im Bereich der Industrie 4.0.
Dem stimme ich zu. Wir haben erst Recht 2.0 – die Industrie ist aber schon weiter.

Ist das eine neue Entwicklung – oder hatte das Recht es schon immer schwer, mit der technischen Entwicklung mitzuhalten?
Leider hinkt die Rechtsordnung, sowohl mit Blick auf die Gesetze als auch auf die Rechtsprechung, der Entwicklung seit jeher hinterher. Das beruht darauf, dass regelmäßig eine Ex-post-Betrachtung angestellt wird, also eine Beurteilung aus nachträglicher Sicht.

Mit gut vertretbaren Standpunkten Verantwortung übernehmen.

Inwieweit wirken sich Geschäftsmodell und Strategie von Kuka auch auf die Organisation des Unternehmens aus?
In der Tat befindet sich die Kuka in einer Phase der Neuaufstellung. Dabei ist die Rechtsabteilung mit der Nachziehung der rechtlichen Organisation involviert. Eine Herausforderung stellt die Gestaltung von rechtlich unkritischen virtuellen Konzernstrukturen dar. So dürfen beispielsweise gesellschaftsübergreifende Berichtswege – Stichwort: Matrix im Konzern – weder zu ungewollten Betriebsstätten und Arbeitsverhältnissen noch zu Haftungsdurchgriffen führen. Sorgfältiger Prüfung bedürfen auch Aspekte des Datenschutzrechtes, das sich bekanntlich selbst im Umbruch befindet.

Mit Blick auf Einsteiger, die von der Hochschule kommen und sich für eine Karriere als Syndikusanwalt interessieren: Welche fachlichen und beruflichen Perspektiven machen Ihren Beruf interessant?
Der Syndikusanwalt ist Rechtsanwalt und arbeitet entsprechend diesem Berufsbild. Das heißt, die Berufswahl muss zunächst schon bewusst auf die des Rechtsanwalts fallen. Das Interessante ist, dass wir uns mit kompletten Sachverhalten befassen und nicht nur mit Teilaspekten – wenn also ein Mandant bei hohem Leidensdruck ab einem bestimmten Punkt nicht mehr um anwaltliche Hilfe herumkommt.

Lesetipp der Redaktion:

The Rise of Robots and the Law of Humans
In einem Aufsatz hat sich Dr. Horst Eidenmüller, Professor für Wirtschaftsrecht an der University of Oxford, mit dem Aufkommen der Robotik und dem menschlichen Recht auseinandergesetzt: https://goo.gl/9c7ajr
Interview zur Thematik:
https://goo.gl/L6XGmc

Welche Skills sind notwendig?
Für eine Tätigkeit im Unternehmen empfiehlt sich stets eine gute Portion Unternehmergeist. Das einzubringende Herzblut macht den Arbeitstag besonders reizvoll, denn nichts stellt sich als eine reine akademische Übung dar.

Und wie beurteilen Sie die Karriereaussichten als Syndikusanwalt?
Gute Juristen mit Persönlichkeit werden immer eine Chance haben. Durch die rasante Verrechtlichung des Geschäftslebens – man denke nur an die Flut von Regulierungen aus Brüssel – wird der Bedarf an Syndikusanwälten eher zu- als abnehmen. Daran dürfte auch Legal Tech nichts ändern, also die Automatisierung bestimmter anwaltlicher Dienstleistungen. Und übrigens hätte ich meiner Tochter nicht zum Jurastudium geraten, wenn das Ergebnis nur eine brotlose Kunst wäre.

Zum Unternehmen

Kuka ist ein international tätiger Automatisierungskonzern mit einem Umsatz von rund drei Milliarden Euro und mehr als 13.000 Mitarbeitern. Als einer der weltweit führenden Anbieter von intelligenten Automatisierungslösungen bietet das Augsburger Unternehmen den Kunden alles aus einer Hand: Von der Komponente – dem Roboter – über die Zelle bis hin zur vollautomatisierten Anlage in den Branchen Automotive und in der General Industry. Kuka treibt Industrie 4.0. und damit die digital vernetzte Produktion voran.

Baurechtler

Bauvorhaben begleiten uns auf Schritt und Tritt. Ob man in einem privat gebauten Eigenheim lebt, eine Brücke nach deren Sanierung überfährt, die ertüchtigte Strecke der Eisenbahn nutzt oder die Berichterstattung über die neue Elbphilharmonie in Hamburg oder den Flughafen Berlin liest: Immer und überall wird gebaut. Dies eröffnet dem Baurechtler ein unerschöpfliches und abwechslungsreiches Tätigkeitsfeld, welches insbesondere auch die baubegleitende Beratung umfasst. Von Dr. Birgit Franz, Partnerin bei Leinemann Partner Rechtsanwälte mbB

Wird der Anwalt auf Seiten des Bauherrn tätig, so beginnt sein Einsatzbereich mit der Projektierung des Vorhabens, erstreckt sich über die Auftragsvergabe bis hin zur Bauabwicklung. Hier unterstützt er den Auftraggeber in Fragen der geänderten Bauausführung ebenso wie bei regelmäßig auftretenden Bauzeitverlängerungen und damit in Zusammenhang stehenden zusätzlichen Vergütungsansprüchen des Bauunternehmers, Architekten oder Ingenieurs sowie natürlich beim Auftreten von Mängeln. Letzteres nimmt in der Praxis allerdings – entgegen der landläufigen Meinung – erfreulicherweise den kleinsten Teil der anwaltlichen Tätigkeit ein.

Auf Seiten des Auftragnehmers geht es in erster Linie um die Wahrung ihrer Vergütungsinteressen sowie die Realisierung der entsprechenden Forderungen. Hier ist der Baurechtler gefragt, gemeinsam mit dem Mandanten herauszufinden, welche Leistungen vereinbart sind – ob beispielsweise eine im Zuge von Straßenbaumaßnahmen in der Trasse vorgefundene Wasserleitung vom Unternehmer zu verlegen ist und ob er hierfür eine gesonderte Vergütung beanspruchen kann – und wie ein Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung begründet werden kann.

Gemeinsam entwickelt wird regelmäßig auch die Frage, wie sich die Vergütung bemisst und anschließend, welche Möglichkeiten bezüglich der Durchsetzung des Anspruchs bestehen. In all diesen Situationen steht der Anwalt dem Mandanten mit Rat und Tat zur Seite. Hierzu muss er die technischen Bedingungen der jeweiligen Bauleistung erfasst haben. Er muss wissen, wovon der Mandant spricht, wenn er einen „Berliner Verbau“ oder eine „überschnittene Bohrpfahlwand“ erwähnt.

Genau das macht den Reiz des Baurechtlers aus: Er ist immer wieder gefordert, sich mit ihm bisher unbekannten Sachverhalten auseinanderzusetzen, sich in diese hinein zu fuchsen und vor allem vermittelnd – um nicht zu sagen übersetzend – als Bindeglied mit anderen Nichttechnikern und gegebenenfalls dem Gericht zu agieren. Er darf keine Scheu davor haben, sich auf der einen Seite von einem hemdsärmeligen Polier im zugigen Baucontainer die Ausführung einer „weißen Wanne“ erläutern zu lassen und auf der anderen Seite mit der Geschäftsleitung die juristische Taktik für die Verhandlungen mit der Gegenseite zu besprechen. Kurzum: Baurecht – das ist eine ausgesprochen vielseitige, spannende und abwechslungsreiche Tätigkeit.

Apothekenrechtler

Spezialisten im Apothekenrecht sind zwar auf eine bestimmte Branche fokussiert. Sie haben es aber bei einer umfassenden Beratung ihrer Mandanten mit zahlreichen Rechtsgebieten, verschiedenen Gerichtszweigen und kontinuierlichen Gesetzesänderungen, die das heutige Gesundheitswesen kennzeichnen, zu tun. Berater im Apothekenrecht müssen daher bereit sein, sich ständig in neue Fragestellungen einzuarbeiten und eigenständige Lösungen zu erarbeiten. Von Dr. Ulrich Grau, Rechtsanwalt Wirtschaftsjurist bei Dierks + Bohle Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

In Deutschland gibt es mehr als 20.000 Apotheken. Ihnen obliegt, wie das Apothekengesetz formuliert, die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Der Apotheker hat eine Zwitterstellung: Zum einen betreibt er ein Handelsgewerbe, er ist also ein Kaufmann. Zum anderen ist er freiberuflich tätig. Das deutsche Apothekenrecht ist weiterhin vom Fremdbesitzverbot geprägt. Das bedeutet, dass nur Apotheker eine Apotheke betreiben dürfen.

Daneben darf ein Apotheker auch nicht mehr als vier Apotheken insgesamt betreiben, die zudem noch innerhalb einer bestimmten Region angesiedelt sein müssen. Der Anwalt hat wegen dieser Besonderheiten in der Regel direkt mit dem Inhaber der Apotheke zu tun. Das gilt selbst bei der Beratung großer Apotheken, die in vielen Geschäftsfeldern, wie zum Beispiel der Krankenhausversorgung oder Rezepturherstellung, aktiv sind.

Die rechtliche Beratung umfasst zunächst die Gründung oder Veräußerung einer Apotheke, sei es eine Haupt- oder Filialapotheke, eines pharmazeutischen Großhandels oder eines Herstellungsbetriebes. Seit Einführung des Versandhandels im Jahre 2004 steigt der Beratungsbedarf von Arzneimittelversendern, der auch IT- und E-Commerce Themen und zunehmend auch internationale Mandanten und Fragen des Europarechts umfasst. Man denke nur an die Diskussionen um ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel, das durch die Boni-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.10.2016 ausgelöst wurde.

Sollte es bei den kontinuierlich stattfindenden Inspektionen der Apotheken durch die Aufsichtsbehörde zu Beanstandungen kommen, ist der Berater ebenfalls gefragt, um die Interessen des Apothekers gegenüber der Aufsicht zu wahren. Auseinandersetzungen mit der Aufsicht werden dabei vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen. Anders ist dies bei wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten mit Wettbewerbsverbänden und Konkurrenten.

Auch Apotheken sind häufig von Abmahnungen betroffen. Dies gilt gerade im Bereich der Versandapotheken. Hier ist der Apothekenrechtler gefragt, um den Apotheker in einer etwaigen Auseinandersetzung vor den Zivilgerichten zu unterstützen. Da der Apotheker als wichtiger Bestandteil der Arzneimittelversorgung der gesetzlich versicherten Patienten in das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden ist, spielen Fragen des Sozialversicherungsrechts in der täglichen Beratung ebenfalls eine gewichtige Rolle.

Lebensmittelrechtler

Wenn man hört „ein Ei sieht wie das andere aus“, dann meint jemand damit, dass alle Eier gleich sind. Hört ein Jurist diesen Satz, dann denkt er beispielsweise: In welcher Eiercharge könnte wohl das Insektenvernichtungsmittel Fipronil sein? Von Guido Kröger, Anwaltssozietät Kröger & Tillmann

Schon vor hunderten von Jahren sollte das Lebensmittelrecht den Verbraucher vor minderwertigen, gefälschten oder hygienisch bedenklichen Lebensmitteln schützen und für eine ausreichende Vorratshaltung sorgen. Dieser Aufgabe dienten beispielsweise die Überwachung der Märkte sowie der Garküchen und Läden, die Festsetzung von Höchstpreisen für Lebensmittel sowie das Vorgehen gegen Täuscher und Betrüger. Schon die alten Römer verfassten lebensmittelrechtliche Gesetzeswerke wie den Codex Justinianus. Das heutige nationale und europäische Lebensmittelrecht kann also auf eine lange Tradition zurückschauen.

Heute sind die Hauptquellen des Lebensmittelrechts die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts sowie das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB). Dieses beinhaltet unter anderem umfangreiche Regelungen zum Schutz der Gesundheit, zu Lebensmittelzusatzstoffen sowie Vorschriften zum Schutz vor Täuschung. Das LFGB regelt darüber hinaus den Verkehr mit Futtermitteln, kosmetischen Mitteln und Bedarfsgegenständen.

Die Regelungen zur Vermarktung und Bewerbung von Lebensmitteln haben indes auch Schnittstellen zum Arzneimittelrecht. Hier geht es um die Abgrenzung von Lebensmitteln zu pharmazeutischen Produkten, wozu ein detailliertes Fachwissen erforderlich ist. Auch im allgemeinen Wettbewerbsrecht und speziell im Heilmittelwerberecht sollte der Lebensmittelrechtler versiert sein.

Zusammengefasst gehören zu den wichtigsten Themen des Lebensmittelrechts: Die Regelungen über die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln, das Kennzeichnungsrecht, das Zusatzstoffrecht, das Rückstandsrecht, die Produkthaftung bei Lebensmitteln, die Sorgfaltspflichten des Herstellers, eine Vielzahl von Regelungen für einzelne Produktkategorien sowie die Regelungen zur Vermarktung, insbesondere die Bewerbung von Lebensmitteln. In all diesen Bereichen vertritt der Lebensmittelrechtler seine Mandanten beziehungsweise berät sie, die vor allem aus dem Bereich der Lebensmittelproduzenten kommen.

Das Lebensmittelrecht und die zahlreichen angrenzenden Rechtsgebiete bieten Berufseinsteigern eine große Chance, ihr erworbenes Fachwissen in der Praxis im Berufs- und Wirtschaftsleben zu nutzen. Wer sich darauf einlässt und auch oft mühevolle juristische Detailarbeit nicht scheut, kann seine Chancen als Spezialist auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbessern.

Kosmetikrechtler

Im Kosmetikrecht geht es darum, die Mandanten von der Produktentwicklung über die Ausgestaltung bis hin zum Vertrieb zu unterstützen. Es ergibt sich daher ein weites Tätigkeitsspektrum über die stoffliche Zusammensetzung, Herstellung und Kennzeichnung der kosmetischen Mittel sowie mögliche Vertriebsregularien. Von Katharina Gitmann, Rechtsanwältin bei horak. Rechtsanwälte, Hannover

Aufgrund der Vielzahl der zu beachtenden Normen kommt es regelmäßig zu Verstößen der Marktteilnehmer. Viele erscheinen auf den ersten Blick als unwesentlich, allerdings geht es im Bereich des Kosmetikrechts im besonderen Maße darum, den Endkunden vor nicht ordnungsgemäßen oder unrechtmäßig gekennzeichneten kosmetischen Mitteln zu schützen, da die Produkte in unmittelbaren Kontakt mit dem Körper des Konsumenten kommen und somit ein erhöhtes Gefahrpotenzial bergen.

Das Kosmetikrecht ist ein spezielles Rechtsgebiet und weist neben den allgemeinen Grundsätzen des Wettbewerbsrechts nationale und insbesondere europäische Regelungen – hier ist die EU-Kosmetikverordnung hervorzuheben – für die Kennzeichnung und Bewerbung von kosmetischen Mitteln auf. Einzubeziehen sind gegebenenfalls auch die Vorschriften des Heilmittelwerberechts, soweit eine krankheitsbezogene Bewerbung der Kosmetika erfolgt. So ergeben sich regelmäßig Probleme bei der Auslobung der Wirkung der Produkte, vor allem bei gesundheitsbezogenen Angaben.

Die Vorschriften unterliegen aufgrund der steten Forschung und Entwicklung in der Kosmetikbranche sowie möglicher Umklassifizierungen von Inhaltsstoffen oder Produkten einem fortlaufenden Wandel. Dies macht das Kosmetikrecht zu einer spannenden Materie. Hinzu kommt, dass dieses noch verhältnismäßig junge Rechtsgebiet in der Rechtsprechung immer mehr Relevanz findet. Neben den besagten Kennzeichnungsvorschriften geht es im Kern zunächst darum, das Produkt korrekt einzuordnen. So gilt es, mögliche Kosmetika von Medizinprodukten oder Arzneimitteln abzugrenzen. Die Einordnung hängt wesentlich von einem Inhaltsstoff sowie von der stofflichen Zusammensetzung ab. Im Gegensatz zu Arzneimitteln sind kosmetische Mittel nicht zulassungspflichtig und müssen kein amtliches Zulassungsverfahren durchlaufen.

Zu unseren Mandanten gehören mittelständische und große Unternehmen, die Kosmetikprodukte überwiegend online oder über den stationären Einzelhandel vertreiben. Die umfassende Beratung hinsichtlich der stofflichen Zusammensetzung als auch die Prüfung eines Produktetiketts gehören ebenso zu den Aufgaben im Kosmetikrecht wie die Unterstützung bei der Rechtsdurchsetzung des Mandanten gegen Mitbewerber, die gegen die einschlägigen Vorschriften verstoßen. Dies erfolgt im Regelfall durch Abmahnungen und – sofern notwendig – gerichtliche Eilverfahren. Insgesamt vereint das Kosmetikrecht somit den Schutz des Verbrauchers mit den schutzwürdigen Interessen der Mandanten vor unlauterem Wettbewerb.

Stiftungsrechtler

Deutsche Stiftungen sind „die Guten“. Das negative Image ihrer ausländischen Pendants, die in der Vergangenheit vielfach zur Finanzierung illegaler Aktivitäten und zum Zweck der Steuerhinterziehung eingesetzt wurden, ist ihnen fremd. Das liegt daran, dass die überwiegende Zahl der deutschen Stiftungen gemeinnützig ist. Stiftungsberater tragen viel Verantwortung, aber vor allem ist Ihre Tätigkeit überaus sinnstiftend. Von Stefan Winheller, LL.M. Tax (USA), Fachanwalt für Steuerrecht und Managing Partner der WINHELLER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt a.M.

Stiftungen fördern Gemeinwohlzwecke wie zum Beispiel Kunst und Kultur, Bildung, Wissenschaft und Forschung, den Natur- und Umweltschutz, die Jugend- und Altenhilfe, die Entwicklungszusammenarbeit oder mildtätige Zwecke. Wer eine gemeinnützige Stiftung in Deutschland gründet, tut dies also selbstlos. Er gibt sein Vermögen aus der Hand und überträgt es auf die Stiftung, damit diese damit gemeinnützig wirken kann. Der Stifter kann das Vermögen übrigens nicht wieder zurückfordern; einmal gestiftet, ist es allein den Stiftungszwecken gewidmet und damit für immer „weg“. Allein das verdeutlicht, welch bedeutsamer Schritt die Gründung einer Stiftung für den Stifter ist.

Die Aufgabe des Stiftungsrechtlers ist entsprechend verantwortungsvoll. Den typischen Stifter gibt es übrigens nicht. Ein Klassiker ist sicherlich der erfolgreiche Unternehmer im Alter 60+, der nach und nach beruflich kürzertreten will und dem beispielsweise die Förderung des regionalen Museums am Herzen liegt. In den letzten Jahren sind aber immer häufiger auch junge Menschen „stiften gegangen“. Erben großer Vermögen, aber auch Selfmade- Millionäre, vor allem Internet-Unternehmer, die schon in ihren 20er- oder 30er-Jahren ein ansehnliches Vermögen angesammelt haben, erblicken in der Errichtung von Stiftungen Sinn außerhalb des reinen for-profit Business.

Zu den gemeinnützigen Stiftungen gesellt sich eine zweite wichtige Form der Stiftung: die Familienstiftung, die keine gemeinnützigen Zwecke verfolgt, sondern der Familie des Stifters dient, also zum Beispiel die Kinder und Enkel des Stifters finanziell versorgt. Solche Stiftungen werden vielfach im Rahmen der Unternehmens- und Vermögensnachfolge eingesetzt. Wenn sie im „Doppelpack“ mit gemeinnützigen Stiftungen daherkommen, spricht man auch von Doppelstiftungslösungen.

Die Kunst des Stiftungsrechtlers besteht darin, sie auf die individuellen Bedürfnisse des Stifters anzupassen, damit der Stifter sämtliche Vorteile nutzen kann. Weil der Stiftungsrechtler immer auch die steuerlichen Auswirkungen seines Tuns im Blick behalten muss, bietet die Stiftungsberatung vor allem steuerlich vorgebildeten Nachwuchsjuristen interessante Karrierechancen in einem unglaublich vielfältigen und abwechslungsreichen Betätigungsfeld. Der Berater trifft auf spannende Persönlichkeiten, die Verantwortung tragen und weit über ihren Tod hinaus denken. Diesen Menschen bei ihrer Lebens- und Generationenplanung behilflich sein zu dürfen, ist in höchstem Maße befriedigend und sinnstiftend.

Die systematische Prävention von Regelverletzungen

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Beim Thema Compliance- Management stellen sich neben den Grundfragen der Unternehmensorganisation auch zentrale Fragen des Unternehmensrechts, der Unternehmensethik sowie der Verantwortung für die Gesellschaft. Martin Schulz, Professor für deutsches und internationales Privatund Unternehmensrecht an der German Graduate School of Management and Law (GGS), erläutert die Zusammenhänge. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Martin Schulz ist Professor für deutsches und internationales Privat- und Unternehmensrecht und Leiter des Instituts für Compliance und Unternehmensrecht an der GGS in Heilbronn. In seiner Forschung beschäftigt er sich insbesondere mit Fragen der Managerhaftung, dem Thema Recht und Compliance im Unternehmen sowie dem Wissensmanagement für Juristen. Außerdem ist er Herausgeber des Handbuchs „Compliance-Management im Unternehmen – Strategie und praktische Umsetzung“, das 2017 im Deutschen Fachverlag erschienen ist.

Warum ist Compliance-Management in Unternehmen so wichtig?
Compliance und Compliance-Management haben sich zu zentralen Fragen der Unternehmensführung entwickelt. Denn sie betreffen die Grundfragen regelkonformen und integren Verhaltens im Unternehmen. Wie lassen sich Unternehmen so führen und organisieren, dass sich die Mitarbeiter regelkonform und redlich verhalten? Was sind die Rahmenbedingungen für ein integres Verhalten? Wie lassen sich die Risiken der „Non-Compliance“ bestmöglich erfassen und steuern? Angesichts der zahlreichen Compliance- Risiken betreffen diese zentralen Fragen einer rechtssicheren und zugleich werteorientierten Führung alle Unternehmen.

Wie lassen sich Compliance-Risiken steuern und welche Funktionen übernimmt das Compliance-Management dabei?
Die rechtssichere Unternehmensorganisation, insbesondere die systematische Prävention von Regelverletzungen, bildet die Basis eines funktionierenden Compliance-Management- Systems. An erster Stelle steht deshalb die Schutzfunktion. Bei der Risikomanagementfunktion geht es darum, relevante Rechtsrisiken zu identifizieren und diese im Unternehmen wirksam zu steuern. Hinzu kommt die Beratungs- und Informationsfunktion, welche die mit Compliance-Aufgaben betrauten Mitarbeiter gegenüber der Unternehmensleitung wahrnehmen. Mit der Überwachungsfunktion wird schließlich sichergestellt, dass bestehende Regelungen auch eingehalten werden.

Wo ist Compliance-Management idealerweise aufgehängt, in der Rechtsabteilung oder Führungsebene?
Zunächst ist zu betonen, dass Compliance im Sinne eines regeltreuen und integren Verhaltens eine Aufgabe für jeden Mitarbeiter ist. Was das Compliance- Management, also die Organisation der Rahmenbedingungen für ein solches Verhalten betrifft, hat die Unternehmensleitung allerdings eine besondere Verantwortung. Sie muss dafür sorgen, dass eindeutige Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche für Compliance-Maßnahmen bestehen und Compliance-Risiken systematisch erfasst werden. Die Mitarbeiter sind ausreichend zu informieren und im Umgang mit Compliance-Risiken zu schulen. In größeren Unternehmen werden Compliance-Aufgaben häufig an Compliance-Officer oder andere Unternehmenseinheiten wie etwa die Rechtsabteilung oder das Risikomanagement delegiert. Das führt allerdings nicht zu einer vollständigen Pflichtbefreiung, vielmehr muss die Geschäftsleitung stets sicherstellen, dass sie die richtigen Personen zur Aufgabenwahrnehmung auswählt, diese richtig einweist und die Aufgabenerfüllung kontrolliert.

Legal Tech und Start-ups – die Zukunft des Rechtsmarkts?

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Alle reden über Legal Tech, immer mehr Start-ups werden auch im juristischen Bereich sichtbar. Doch was steckt hinter dem Hype? Gerade für technologische Innovationen zeigt sich der Rechtsmarkt als schwierig. Die inhaltliche Komplexität der Materie und der heterogene Markt haben das „Uber der Anwälte“ bisher verhindert. Gibt es aber nicht doch auch Technologien, die funktionieren, und Start-ups, die für junge Anwälte interessant sein können? Von Michael Grupp, Rechtsanwalt und geschäftsführender Gesellschafter des Automationsdienstleisters Lexalgo in Darmstadt und Mitglied in der Executive Faculty des Bucerius Center of the Legal Profession an der Bucerius Law School in Hamburg

Erinnern Sie sich an Advopolis? Wahrscheinlich nicht – das Start-up versuchte schon 1998 mit einer virtuellen Umgebung Rechtsrat zu vermitteln – online und digital versteht sich. Das Projekt scheiterte allerdings mitten in der Blase des neuen Marktes. Überhaupt blieben Start-ups in der juristischen Branche selten. Online-Urgesteine, wie die QNC GmbH, die schon seit fast 20 Jahren die Plattformen 123Recht.net und frag-einen-Anwalt.de betreibt, oder der Vertragsgenerator der Janolaw AG im Taunus sind die bekannten Ausnahmen.

Lesetipp

Dr. Tobias Fuchs, Partner Leiter Technologie, Medien & Telekommunikation bei der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, hat sich in einer Mandanten- Information mit „Lawyer 4.0 – Legal Tech, lernfähige Algorithmen und analoges Recht“ beschäftigt: https://goo.gl/tTpDbW

Erst in den letzten Jahren werden auch im juristischen Bereich Start-ups sichtbar – inzwischen sicher um die 50 in Deutschland. Ein Grund dafür ist die generell zugänglichere Technik – Webseiten lassen sich heute per Mausklick erstellen, technologisches Know-how ist leichter verfügbar. Und seit den globalen Erfolgsprojekten Facebook, Google und Co. sind Start-up-Gründungen auch salonfähig geworden und finanzierbar.

Ein vitales Ökosystem aus Kapitalgebern, Inkubatoren und zunehmend auch Partnern aus der Industrie ermutigt auch Juristen zum Gründen. Der Trend lässt sich international nachzeichnen, in fast allen Ländern hat die Start-up-Welle inzwischen die juristische Branche erreicht.

Der Rechtsmarkt ist anders

Das ist aber eigentlich nicht selbstverständlich, denn anders als stark produktbezogene Branchen ist der Rechtsmarkt für digitale und innovative Dienste schwer zu beackerndes Land. Das liegt zunächst an der Materie selbst, aber auch an der Marktstruktur: Der Charme und eigentliche Zweck von Start-ups liegt in der Skalierbarkeit: Wachstumsunternehmen werden gegründet, um schnell mit innovativen Technologien oder Geschäftsmodellen zu wachsen und wertgesteigert wieder verkauft zu werden. Das unterscheidet Start-ups von traditionellen Unternehmensgründungen oder der Selbstständigkeit. Diese Skalierbarkeit bestand bis 2010 oft in der Digitalisierung des Vertriebs. Seit 2012 liegen vor allem Automationen im Fokus.

Im juristischen Bereich kommen diese Technologien aber an ihre Grenzen: Recht ist kein Produkt, der menschliche Kontakt ist noch immer ein entscheidender Faktor. Ein richtiger E-Commerce für juristische Dienstleistungen hat sich deshalb nicht gebildet. Obwohl mehrere Plattformen wie Jurato aus Berlin oder Advocado aus Greifswald einen Weg gefunden haben, Rechtsrat online zu vermitteln, kommt das Gros der Dienstleistungserbringung auf traditionellem Wege zu Stande. Wer heute innovativ ist, verbessert eher das Google-Ranking, nimmt Youtube-Videos auf oder bietet eine App an. Mehr Technologie lässt das Anwalts- Mandanten-Verhältnis heute kaum zu.

Rechtsberatung ist kein Produkt

Der zweite Grund betrifft die juristische Materie selbst: Rechtsberatung ist Dienstleistung. Und diese Dienstleistungserbringung, die Rechtsfindung, lässt sich nur schwer formalisieren. Die wenigen Ausnahmen sind schnell aufgezählt: Nach den Vorbildern legalzoom. com oder RocketLawyer gibt es zum Beispiel mit SmartLaw, inzwischen von WoltersKluwer übernommen, auch im deutschen Markt Online-Vertragsgeneratoren, die es den Nutzern ermöglichen, individuelle Verträge selbst zu generieren. Das spart Zeit und Geld. Und obwohl die juristische Beratung dabei entfällt, haben sich diese interaktiven Versionen der Musterformularhandbücher für häufige und standardisierbare Vertragstypen etabliert – wie Mietverträge, Arbeitsverträge oder Vereinbarungen im Familien- und Erbrecht.

Linktipp

Eine Auflistung über Legal Tech-Unternehmen in Deutschland findet sich unter: http://tobschall.de/legaltech

Doch darüber hinaus wird es schwierig: Die juristische Materie ist semantisch hochkomplex. Um den Bedeutungsgehalt einer juristischen Formulierung zu erfassen, bedarf es umfangreichen Wissens, Interpretationen und Wertungen. Subsumtionen, die Juristen leicht möglich sind, überfordern den Computer. Die technologischen Möglichkeiten, die in anderen Branchen wie dem Finanzbereich oder der Medizin schnell euphorisieren, helfen im juristischen Bereich, wo Zahlen und Bilddaten kaum eine Rolle spielen, deshalb nicht weiter.

Künstliches Textverständnis gelingt nur dort, wo sehr viele und sehr ähnliche Daten das Trainieren von Modellen wie neuronalen Netzen ermöglichen. Legal Tech-Softwareanbieter wie Leverton, Kira oder Epiq können aus großen Vertragsmengen Abweichungen oder Zusammenhänge erkennen. Das beschleunigt zum Beispiel die Due Diligence bei wirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungen oder beim Unternehmenskauf. Aber eine im engeren Sinne juristische Prüfung lässt sich so nicht ersetzen. Auch Projekte wie die Kooperation mit dem IBM Watson Supercomputer, ROSS, bleiben noch konkrete Anwendungsfälle schuldig.

Was funktioniert wirklich?

Start-ups haben sich deshalb auf Bereiche spezialisiert, in denen Automationen trotz dieser Schwierigkeiten möglich sind, wo also Fälle nicht nur sehr ähnlich und sehr häufig, sondern auch mit hohem Formalisierungsgrad vorkommen. So hilft das Potsdamer Start-up flightright.de bei der Abwicklung von Erstattungsfällen nach der Fluggastrechte-Verordnung. Ähnliche Anwendungen gibt es für Bußgeldfälle mit geblitzt.de, für Fahrradunfälle mit bikeright.de oder für Verbraucherverträge mit aboalarm.de.

Schon stärker in einen bislang von Anwälten besetzten Markt greifen Anwendungen für Mietrecht, zum Beispiel wenigermiete.de ein. In Unternehmen und großen Rechtsabteilungen, wo sich große und ähnliche Fallmengen ebenfalls bündeln lassen, kommen Legal Tech-Anbieter zum Zug, die bei der Herstellung eigener Prüfungstools helfen: Mit Knowledgetools von Prof. Breidenbach oder dem von der ESA unterstützten Unternehmen Lexalgo können Unternehmen und Kanzleien Expertensysteme selbst entwickeln lassen, die in häufig auftretenden Fällen Aufwand reduzieren.

Das jüngst gestartete Berliner Unternehmen Lawlift hilft Kanzleien ganz ohne Entwicklungs- Know-how, eigene interaktive Musterformulare zu erstellen. Zu diesen Anwendungen für Rechtsautomationen kommen vermehrt Management-Tools, die nicht die Rechtsfindung, aber die tägliche Arbeit vereinfachen und verbessern, von Lösungen zur Optimierung von Workflow, Projektmanagement und Kommunikation wie das Frankfurter Unternehmen Streamlaw bis zur Vereinfachung der Stundenerfassung und Rechnungsstellung, wie es beispielsweise von busylamp.de angeboten wird.

Der Blog zum Thema

Dr. Micha-Manuel Bues informiert in seinem „Legal Tech Blog“ zu den Themen Legal Tech, Legal Innovation und Legal Start-ups: http://legal-tech-blog.de

Die Zukunft des Rechtsmarkts bleibt menschlich

Obwohl im Fokus der juristischen Fachpresse, halten sich die umwälzenden Innovationen noch zurück. Das ist trotzdem keine Jobgarantie für Rechtsanwälte, denn die Innovationszyklen werden kürzer. Immer mehr Projekte werden sichtbar und mit der Beteiligung von Wirtschaftskanzleien und Universitäten bildet sich auch in der juristischen Branche ein innovationsfreundliches Klima. Für junge Juristen bedeutet die Entwicklung der letzten Jahre vor allem: Technologie wird Erfolgsfaktor. Anwälte müssen nicht unbedingt Programmieren lernen, aber der natürliche und proaktive Umgang mit technologischen Neuerungen wird auch für Juristen ab heute über den langfristigen Erfolg entscheiden. Wenigstens in diesem Punkt sind wir anderen Branchen sehr ähnlich. Wir Anwälte brauchen den Roboter-Anwalt nicht zu fürchten – wohl aber den Anwalt, der sich mit Robotern auskennt.

Das besondere elektronische Anwaltspostfach

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Ab 1. Januar 2018 wird das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) Pflicht – ein Kommunikationssystem, mit dem alle zugelassenen Rechtsanwälte am elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten teilnehmen werden. Von Christoph Berger

Am 28. November 2016 ist das beA in Betrieb gegangen. Doch noch ist es für zugelassene Rechtsanwälte nicht verpflichtend. Dies wird sich allerdings am 1. Januar 2018 ändern: Ab diesem Zeitpunkt müssen Rechtsanwälte Zustellungen von Gerichten und Behörden entgegennehmen können, das beA wird ein etablierter Kommunikationsweg unter Anwälten werden, die miteinander elektronisch korrespondieren.

„Schriftsätze auf Papier werden bald der Vergangenheit angehören“, sagte Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, bei der Bekanntgabe des ursprünglichen Starttermins des Systems – einst war die Aufnahme des Betriebs für September 2016 geplant gewesen. Dieser musste allerdings wegen zwei einstweiliger Anordnungen abgesagt werden Inzwischen hat das AGH Berlin die Anordnungen aufgehoben.

Somit wird das beA das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach EGVP ablösen. Auch mit dem war es möglich, Schriftsätze und andere Dokumente auf elektronischem Weg der Justiz zu übermitteln. Allerdings waren die rechtlichen Grundlagen dazu in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Dies ist beim beA anders: Mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (ERV-Gesetz) wurde die Rechtslage bundesweit vereinheitlicht.

Seminar-Tipp

Die Hans Soldan GmbH bietet zusammen mit der Beratungsfirma Rubis & Hill derzeit Inhouse-Schulungen für Kanzleien rund um das beA an. Dabei geht es vor allem um Hinweise für das haftungsfreie und effiziente Arbeiten mit dem Postfach. Weitere Informationen unter: www.soldan.de/weiterbildung/renos/bea-inhouse-seminar

Laut der Bundesrechtsanwaltskammer bietet das beA mehr als ein normales E-Mail-Postfach: Mit einem Rechteverwaltungssystem kann Mitarbeitern und Kollegen die Möglichkeit eingeräumt werden, auf ein Postfach zuzugreifen. So können der Postein- und -ausgang bearbeitet, Termine und Fristen notiert, Empfangsbekenntnisse vorbereitet und Entwürfe von unterschiedlichen Bearbeitern gefertigt werden.

Um an der verbindlichen elektronischen Kommunikation teilzunehmen, ist eine aus drei Schritten bestehende Erstregistrierung erforderlich. Zuerst haben sich Anwender gegenüber dem System mit ihrer beA-Karte und der dazugehörigen PIN zu authentifizieren. Die beA-Karten sind bei der Bundesnotarkammer mit einer von der Bundesrechtsanwaltskammer genannten Identifikationsnummer, der persönlichen Antragsnummer oder der SAFE-ID zu beantragen. Daraufhin ist eine Sicherheitsfrage auszuwählen bevor im dritten und letzten Schritt die Möglichkeit besteht, eine E-Mail-Adresse zu hinterlegen, an die im Falle eines Posteingangs im beA eine Benachrichtigung geschickt wird. „Wir sind stolz, dass wir diesen so wichtigen Baustein für den elektronischen Rechtsverkehr jetzt auf den Weg gebracht haben“, resümiert Schäfer. „Endlich kann nun der notwendige technische Fortschritt in das Rechtswesen Einzug halten.“

Wissen aufbauen

Sich neu auszurichten und auf sich verändernde Umfelder zu reagieren, dies ist eine der großen Herausforderungen der heutigen Zeit. Der karriereführer stellt hier eine kleine Auswahl von Master- und MBA-Studiengängen vor, mit denen dies gelingen kann. Von Stefan Trees

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Elisabeth Signing Fosso spezialisierte sich im Rahmen ihres Jurastudiums auf Wirtschaftsrecht – und setzt in ihrer Promotion ein besonderes Augenmerk auf das Kartellrecht. Wissen, das sie in ihrer Anwalts-Wahlstation erfolgreich einbringen konnte.

Nach meinem Examen 2012 arbeitete ich erst einmal drei Jahre am Lehrstuhl für Wirtschaftsrecht und habe eine Promotion im Bereich des Kartellrechts begonnen. Im Oktober 2015 begann ich dann mit meinem Referendariat und dem Durchlauf meiner Stationen: die Verwaltungsstation beim Bundeskartellamt, für die Anwaltsstation wählte ich die Kanzlei Oppenhoff. Nur dort hatte ich mich beworben. Zum einen war mir die Kanzlei empfohlen worden, zum anderen ganz speziell meine dortige Ausbilderin. Ich war dort vor allem im Bereich der Prozessführung tätig – mit der Schnittstelle zum Kartellrecht. Beide Bereiche kennenzulernen, war von Anfang an mein Wunsch gewesen.

Buchtipp der Redaktion

Hans-Georg Schulze: Referendariat in der internationalen Großkanzlei. LegalArt 2017. Kindle Edition 6,90 Euro. Zur Person Elisabeth Signing Fosso ist 30 Jahre alt und studierte Jura an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Die Kanzlei betreut ein großes Schadensersatzverfahren im Bereich des Kartellrechts, im Rahmen des sogenannten Zuckerkartells. Hierbei arbeitet das Prozessführungs- und das Kartellrechts-Team sehr eng zusammen. Mir gefiel besonders gut, dass ich vom ersten Tag an als festes Teammitglied aufgenommen wurde, an sämtlichen Besprechungen teilnahm, sämtliche Infos geteilt wurden und ich meine Aufgaben im Rahmen des Mandats über den gesamten Zeitraum betreute. Zudem fuhr ich zu Parallelprozessen und fertigte für die Informationsgewinnung Protokolle an. Es war zum Beispiel sehr interessant zu sehen, wie man als Team einen 200-Seiten langen Schriftsatz aufbaut.

Abseits dieses Großverfahrens betreute ich kleinere Verfahren: Ich verfasste Mitschriftsätze, kommunizierte mit den Mandanten oder erstellte selbstständig kleinere Vertragsentwürfe – machte alles, was die Anwaltstätigkeit umfasst. Spannend war in dieser Zeit auch meine erste Teilnahme an einem Schiedsverfahren. Herausfordernd war die Art der Kommunikation mit den Mandanten, die Übersetzung der Rechtssprache für Nicht-Juristen – dabei gleichzeitig über Risiken zu informieren, einen Rat zu erteilen und dem Mandanten trotzdem noch eine Wahlmöglichkeit zu geben. Im Juni 2017 habe ich nun mein 2. Examen geschrieben und absolviere derzeit meine Wahlstation beim Amtsgericht, um noch andere Bereiche bei Gericht und die Arbeit „auf der anderen Seite“ des Richtertisches zu erleben. In welchem Bereich ich dann tatsächlich starten werde, entscheide ich anschließend – es soll der Bereich werden, in dem ich meine Fähigkeiten am besten einsetzen kann.