Aufgestiegen zum Demografieberater

Die meisten Demografieberater sind freiberuflich als Berater, Trainer oder Coach tätig. Nur wenige sind unternehmensintern in der betrieblichen Demografieberatung beschäftigt. Ich habe im Frühjahr 2011 die zertifizierte Ausbildung bei der healthpro-academy in Stuttgart durchlaufen. Es handelte sich um einen kleinen, international besetzten Kurs mit vier Teilnehmern und einem Trainer, der selbst als Unternehmens- und Demografieberater tätig ist. Ein Erfahrungsbericht von Hans-Georg Kämpfer

Hans-Georg Kämpfer Ausbildung zum Industriekaufmann, BWL-Studium mit Fachrichtung Personalmanagement sowie Produktions- und Logistikmanagement in Siegen Eingestiegen 2001 in der Personalabrechnung bei RWE Energie Aufgestiegen 2006 zum Personalreferenten der RWE Rhein-Ruhr Aufgestiegen 2010 zum Werkspersonalleiter und Demografieberater bei KFV Karl Fliether
Hauptthemen sind die Analyse der Unternehmensumwelt sowie die sogenannte Altersstrukturanalyse inklusive Fehlzeitenmanagement und deren Interpretation, das heißt die Ableitung konkreter Maßnahmen in den betrieblichen Handlungsfeldern. Dies sind beispielsweise die Personalentwicklung, der Auf- und Ausbau eines betrieblichen Gesundheitsmanagements, eine nachhaltige Unternehmens- und Führungskultur und Employer Branding. Diese Qualifizierung ist ein Standard, der die Qualität in der Demografieberatung sichert. Mittlerweile wurden schon über 800 Demografieberater in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgebildet. Seit 2010 bin ich bei KFV Karl Fliether in Velbert als Werkspersonalleiter tätig und seitdem mit sieben Mitarbeitern für die Personalarbeit und die zentralen Dienste (Gebäude, Sozialdienst, Empfang) zuständig. Das Unternehmen ist Hersteller von Mehrfachverriegelungen für Haustüren sowie Einsteck- und Rohrrahmenschlösser, seit 2006 ein Tochterunternehmen der Siegenia-Aubi-Gruppe, und hat nach erfolgreicher Restrukturierung noch circa 500 Mitarbeiter. Meine Aufgaben sind vielseitig. Disziplinarisch bin ich direkt dem Werksleiter vor Ort zugeordnet. Fachlich stimme ich mich mit den Personalleitern der anderen Standorte sowie dem zentralen Kaufmännischen Leiter ab. KFV Karl Fliether ist ein tarifgebundenes Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, daher muss ich neben den gesetzlichen Vorgaben auch die einschlägigen Tarifverträge beachten. Wichtig ist auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem örtlichen Betriebsrat, um trotz oft gegenteiliger Meinungen gemeinsame Entscheidungen für das Unternehmenswohl und somit auch die Mitarbeiter zu treffen und umzusetzen. Die Inhalte der Ausbildung zum Demografieberater begegnen mir in meiner Arbeit täglich. Wir sind ein Produktionsbetrieb mit relativ großem Anteil an „Handarbeit“ und gewerblich-technischen Tätigkeiten, daher werden uns die Folgen der Alterung der Gesellschaft in den kommenden Jahren mit voller Wucht treffen. Es fällt uns immer schwerer, qualifizierte Jugendliche für eine Ausbildung zu gewinnen, die gesundheitlichen Einschränkungen der Belegschaft führen zu erhöhten Fehlzeiten, und wir werden mittelfristig in einigen Bereichen deutlich überaltert sein. Seit knapp zwei Jahren bauen wir gemeinsam mit dem Betriebsrat ein betriebliches Gesundheitsmanagement auf, um die Mitarbeiterschaft gesund zu erhalten. Zurzeit bilden wir in Kooperation mit der Arbeitsagentur vier Kollegen zum Maschinen- und Anlageführer aus, die als Montagehelfer bisher keine duale Berufsausbildung durchlaufen haben. Und wir versuchen, unserer Belegschaft durch flexible Arbeitszeitregelungen entgegenzukommen und so die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Betriebliche Demografieberatung heißt nicht, das Rad jeden Tag neu zu erfinden, sondern viele, auch kleinere, Maßnahmen sinnvoll zu bündeln und eine Personalstrategie zu entwickeln, die eine gesunde Basis für eine positive Entwicklung bietet. Kein Tag gleicht dem anderen, und ich stehe ständig im Dialog mit den unterschiedlichsten internen und externen Gesprächspartnern. Kurzum, ich bin mit meiner Berufswahl sehr zufrieden.

rebequa

Das regionale Beratungs- und Qualifizierungsprogramm rebequa wurde 2006 von der Unternehmensberatung healthpro initiiert und wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds unterstützt. rebequa berät Unternehmen bei der Umsetzung einer demografiegerechten Personalpolitik. Außerdem bildet das Unternehmen externe Personaler anhand eines wissenschaftlichen Qualifizierungskonzeptes zu Demografieberatern aus. Weitere Informationen unter www.healthpro-academy.de und www.rebequa.de

Was macht eigentlich eine Feelgood-Managerin, Frau Bethge?

Feelgood-Manager? Von diesem Job haben bislang wohl die wenigsten gehört. Kein Wunder, diesen Beruf gibt es noch nicht allzu lange und zumindest in Deutschland auch nicht sonderlich oft. Ich werde daher häufig gefragt, was ich eigentlich genau mache und wie mein Alltag als Feelgood-Managerin aussieht. Von Magdalena Bethge, Feelgood-Managerin bei Jimdo

Das lässt sich jedoch nicht ganz so einfach beantworten, denn ich habe viele verschiedene Aufgaben, die sich ständig weiterentwickeln. Das ist einer der großen Vorteile meines Berufs – es gibt keinen Alltagstrott, im Gegenteil: Man kann sich stets vorwärtsbewegen und dank des völlig neuen Berufsfeldes auch viele eigene Ideen und Ansätze einbringen. Ganz allgemein kann man sagen, dass ich im Unternehmen dafür zuständig bin, dass sich jeder Mitarbeiter wohlfühlt und dass für alle ein gutes Arbeitsumfeld geschaffen wird. Darunter fallen die verschiedensten Aufgaben – von der Organisation der täglichen Joggingrunde über gemeinsame Teamaktivitäten bis hin zum Feedbackgespräch für unsere Mitarbeiter. Mein Job war damals, vor etwa einem Jahr, nicht offiziell ausgeschrieben – er hat sich im Laufe der Zeit so entwickelt. Das Unternehmen Jimdo wurde 2007 von drei Freunden gegründet. Die Jungunternehmer entwickelten einen für jedermann geeigneten kostenlosen Webseiten-Baukasten. Ohne Vorkenntnisse und in wenigen Schritten lassen sich damit Online-Präsenzen erstellen. Die Software gibt es mittlerweile in elf Sprachversionen, sechs Millionen Webseiten wurden weltweit bereits damit erstellt. Im letzten Jahr hat das Unternehmen eine enorme personelle Wachstumsphase durchgemacht. Wir haben dabei festgestellt, dass wir auch mit 120 Leuten noch dieselbe Unternehmenskultur erleben wollen wie damals, als wir nur 50 waren. Um unsere Kultur auch den neuen Kollegen zu vermitteln, ihnen ein gutes Gefühl zum Start zu geben und auch allen anderen die Lust an der Arbeit zu erhalten, bin jetzt also ich da. Und meine Aufgabenbereiche entwickeln sich immer weiter: Ich bin Entertainer, Organisator, habe ein offenes Ohr für jeden, schaffe Raum für Begegnung und Feedback, unterstütze Mitarbeiter bei Konfliktgesprächen und vieles mehr. Wir glauben, dass unser Erfolg zu einem großen Teil auf unserer Firmenkultur beruht: Wir legen viel Wert auf Miteinander und Teamfähigkeit und glauben daran, dass man ohne Spaß bei der Arbeit seinen Job weder gerne erledigt, noch dabei eine gute Leistung bringen kann. Das heißt nicht, dass wir hier um jeden Preis die Mitarbeiter bespaßen und mit Maßnahmen wie „Ab 20 Uhr gibt es Pizza für alle umsonst” möglichst lange bei der Arbeit halten wollen. Die Grundstimmung muss passen, und zwar auf ehrliche Art und Weise. Ich sorge dafür, dass das immer besser gelingt. Und auch für das Employer Branding ist ein Feelgood-Manager sehr wertvoll: In der heutigen Arbeitswelt sind viele Arbeitnehmer nicht mehr bereit, bis zum Burnout zu schuften, sondern das Arbeitsklima und -umfeld sind wichtige Kriterien für die Arbeitgeberwahl – da ist ein Feelgood-Manager ein positives Zeichen. Er signalisiert zukünftigen Angestellten, welche Kultur hinter dem Unternehmen steht. Bei Jimdo gefällt mir besonders gut, dass die Grundstimmung positiv ist. Ich bin seit gut einem Jahr dabei, seitdem ist das Unternehmen gewachsen, und es kann nicht mehr jeder jeden so gut kennen wie früher. So wird es schwieriger, allen unseren „Spirit“ mitzugeben. Ich kann jedoch einen Teil dazu beitragen, dass es sowohl den alten als auch den neuen Mitarbeitern leichtfällt, aufeinander zuzugehen. Ich organisiere zum Beispiel verschiedene Mittags-Sportgruppen, regelmäßige Ausflüge zum Beachvolleyball, Lesungen, Party-Abende auf der Barkasse im Hamburger Hafen oder auch die sogenannte alljährliche „Klassenfahrt“ mit dem gesamten Team. Außerdem habe ich ein „Good-Book“ und ein „Bad- Book“ eingeführt, in das jeder Mitarbeiter sein positives oder negatives Feedback eintragen kann. Jeden Montag beim Teammeeting wird etwas aus beiden Büchern vorgelesen und an der Kritik gearbeitet. Zudem schaffe ich Raum für Begegnung. Neue Mitarbeiter spielen bei uns nach ein oder zwei Wochen mit mir das Mitarbeiter- Memory, um sich Namen und Aufgaben der Kollegen besser merken zu können. Damit jeder einmal mit jedem redet, lose ich bei „…und was ist mit Tee?” nach jedem Teammeeting fünf Personen aus, die anschließend zusammen einen Tee oder Kaffee trinken und eine Runde schnacken. Mein Ziel ist es, die gute Stimmung hier im Team und das einmalige Arbeitsklima mithilfe von allen Kollegen weiter zu erhalten. Es müssen nicht immer klassische Arbeitsstrukturen und Leistungsdruck sein, die Unternehmen groß machen, es geht eben auch anders. Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft immer mehr Firmen darauf aufmerksam werden und Wert auf ihre Unternehmenskultur legen.

Job-Steckbrief Feelgood-Manager

Ausbildung: Derzeit gibt es keine geregelten Ausbildungswege oder speziellen Studiengänge, der Beruf hat noch Exotenstatus. Gute Chancen haben beispielsweise Wirtschaftswissenschaftler, die sich schon im Studium mit Personalwesen beschäftigt haben. Voraussetzungen: Davon abhängig, welche Aufgaben der Feelgood-Manager im Unternehmen übernimmt. Am wichtigsten sind Charaktereigenschaften wie Offenheit, Teamfähigkeit sowie Motivations- und Begeisterungsfähigkeit. Hilfreich sind außerdem Erfahrungen im Event- und Organisationsbereich, Konfliktmanagement, Sport und Coaching.

Interview mit Prof. Dr. Niko Paech

Wachstum ist das Allheilmittel der Wirtschaft. Es soll für Wohlstand sorgen und Karrieren ermöglichen. Der Wirtschaftswissenschaftler und außerplanmäßige Professor Niko Paech glaubt allerdings, dass die Phase des Wachstums bald vorbei sein wird. Doch wie gestalten sich dann Karrieren? Der Ökonom nennt vier Gründe für das Ende des Wachstums und erklärt, wie eine 20-Stunden-Woche funktionieren kann. Das Gespräch führte André Boße.

Zur Person

Niko Paech, 51 Jahre, absolvierte 1987 an der Universität Osnabrück sein Studium als Diplom-Volkswirt und promovierte dort im Jahr 1993. Bis 1997 arbeitete er als Unternehmensberater im Bereich Umweltmanagement und Marketing für ökologische Lebensmittel. Danach zog es ihn nach Oldenburg, wo er von 1998 bis 2001 bei der Stadt Beauftragter für die „Agenda 21“ war und ab 2001 an der Carl-von-Ossietzky-Universität im Förderschwerpunkt „Betriebliche Instrumente für nachhaltiges Wirtschaften“ tätig war. Seit 2008 ist Paech in Oldenburg außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt. Der Volkswirtschaftler ist einer der führenden Theoretiker einer Postwachstumsökonomie und Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie. www.produktion.uni-oldenburg.de
Herr Professor Paech, fast alle Unternehmen setzen bei ihrer Strategie auf Wachstum. Ein Fehler? Die Zeit des Wachstums wird in absehbarer Zeit vorbei sein. Wer jetzt noch auf dieses Pferd setzt, beschreitet eine Sackgasse. Die meisten Unternehmen denken an Wachstumsraten, wenn von Zukunftsfähigkeit die Rede ist. Zukunftsfähigkeit, die tatsächlich diesen Namen verdient, muss aber ganz im Gegenteil Unabhängigkeit von Wachstum bedeuten. Wir müssen uns mit Strukturen anfreunden, die ohne Wachstum auskommen, denn nur so werden sie stabil sein können. Das Motto lautet: Kleiner und weniger global. Warum ist Wachstum nicht zukunftsfähig? Weil wir auf Situationen zusteuern, die wir nicht mehr beherrschen. Dabei spielen vier Krisenfaktoren eine Rolle. Erstens haben wir ein Ressourcenproblem: Selbst Produkte und Dienstleistungen, die als besonders innovativ gelten, sind von knapper werdenden Ressourcen abhängig. Das gilt übrigens auch für den IT-Bereich. Zweitens stehen uns ökologische Krisen bevor. Die derzeitige Atempause könnte sich als Ruhe vor dem Sturm entpuppen, denn der Klimawandel dürfte in zehn bis fünfzehn Jahren prägnante Folgen haben. Drittens sind die Finanzkrisen weiterhin absolut ungelöst, sodass auch die Konsumund Technologiefestungen Europas davon nicht unbeschadet bleiben werden. Und viertens beobachten wir psychologische Krisen: In allen Gesellschaften, die auf Beschleunigung, Wachstum und Leistungsdruck ausgelegt sind, steigt die Zahl der psychischen Krankheiten sprunghaft an. Dieses System verschleißt immer mehr Menschen. Insbesondere die Selbstverwirklichungszwänge im Konsum und in der Mobilität, zu denen sich dann noch der berufliche Stress gesellt, überfordern uns. Bleiben wir kurz bei den psychischen Krankheiten, die ja auch schon junge Menschen betreffen: Studenten, Einsteiger und Young Professionals. Wo liegen aus ökonomischer Sicht die Ursachen für diese Krisen? Ich denke, es handelt sich um eine positiv rückgekoppelte Mischung aus Reizüberflutung und Zeitknappheit. Alle Impulse und Optionen, die wir verarbeiten müssen, kosten uns Zeit. Es steht immer mehr an – doch der Tag hat weiterhin nur 24 Stunden. In diesen nicht erweiterbaren zeitlichen Rahmen stopfen wir eine immer größere Anzahl an Ereignissen. Daraus ergibt sich eine Ereignisdichte, die wir psychisch nicht mehr verarbeiten können. Auch dann nicht, wenn wir noch jung sind.

Buch-Tipp

Niko Paech: Befreiung vom Überfluss – Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. Oekom 2012. ISBN 978-3865811813. 14,95 Euro
Was kann man dagegen tun? Reduzieren und entschleunigen – so trivial es klingen mag. Aber das geht nicht zum Nulltarif. Der Preis besteht in entschleunigten Karriere- oder Aufstiegsperspektiven und einem geringeren Quantum dessen, was man heute unter Leistung versteht. Das Personalmanagement von Unternehmen muss verhindern, den Faktor Mensch zu überlasten, weil Aufmerksamkeit eine nicht vermehrbare Ressource ist. Es ist zwar technisch möglich, gleichzeitig im Zug zu reisen, Kaffee zu trinken, E-Mails zu schreiben, das Smartphone zu checken und Texte zu lesen. Aber dieses Multitasking stößt dort an Grenzen, wo die Aufmerksamkeit pro Einzelaktivität immer geringer wird. Dann mehren sich Fehler. Wer als Unternehmen seinen Leuten immer zeiteffizientere Technologien zur Verfügung stellt, mag den Kollaps zwar verzögern – aber nicht verhindern. Einsteiger sollten solchen Angeboten also skeptisch gegenüberstehen? Sie sollten sich zumindest fragen, ob sie wirklich Zeit sparen – und nicht stattdessen das Multitasking noch verschärfen. Aber ich warne davor, diese Überlastung nur auf den Bereich Beruf und Karriere zu reduzieren. Auch unser Privat- und Beziehungsleben sowie die sozialen Netze, die wir pflegen, sind durch die räumliche Entgrenzung der Digitalisierung kaum noch beherrschbar. Im Grunde haben wir uns selbst reingelegt: Wir glauben, der Zeitknappheit mit Flügen bei Billig- Airlines oder mit Facebook, Twitter und Google ein Schnippchen schlagen zu können. Aber das funktioniert offenbar nicht: Die menschliche Festplatte ist nicht beliebig erweiterbar, wir können unserer Psyche keine neuen USB-Schnittstellen verpassen oder Updates zur Verfügung stellen. Was kann jemand zu Beginn seiner Karriere tun, um sich zu entschleunigen – und trotzdem beruflich voranzukommen? Man benötigt ein hohes Maß an Souveränität, um schon von Beginn an Abschied vom 40-Stunden-Mythos zu nehmen – denn nur das würde helfen, um den ruinösen Dynamiken und Steigerungsprozessen zu entsagen. Diese Souveränität erlangt man in Netzwerken, deren Mitglieder sich gegenseitig darin bestärken, langsamere und behutsamere Lebensstile zu praktizieren. Gibt es solche Netzwerke bereits? Absolut. Ich denke an die Netzwerke aus der Nachhaltigkeitsbewegung, zum Beispiel das Netzwerk Wachstumswende, das Suffizienz-Netzwerk oder den Arbeitskreis Postautistische Ökonomie. Die Transition- und Urban- Gardening-Bewegungen sind ebenfalls zu nennen. Hier begegnen sich junge Menschen, die nicht mehr jeden Hype mitmachen wollen, sondern sich gegenseitig Kraft dafür geben, Dinge anders anzugehen. Wer auf eigene Faust Anspruchsreduktionen probiert, gilt schnell als Spaßbremse oder – im Karrierekontext – sogar als Leistungsverweigerer. Wie lässt sich der Wunsch, es anders zu machen, mit einem erfolgreichen Karriereeinstieg in einem großen Unternehmen verbinden? Ich denke, es sollte zunächst auf eine Kompromisslösung hinauslaufen, um die derzeitigen Unternehmensstrukturen nicht zu überfordern: Um überhaupt ein Standing im Unternehmen zu erhalten, kann man fünf Jahre den normalen Weg mitgehen, sich also durchaus für eine Übergangszeit an das 40-Stunden-Konzept anpassen. Wenn ich mir dann nach der halben Dekade durch meine Leistungsfähigkeit und Kreativität ein Standing erarbeitet habe, kann ich mit meinen Vorgesetzten über allmähliche Arbeitszeitreduktionen reden, etwa mit dem Fernziel einer 20-Stunden-Woche. Aber was, wenn man sich nach den fünf Jahren selber eingelullt hat? Oder der Chef trotz fünf guter Jahre sagt: Wer es hier anders machen möchte, muss seinen Platz räumen? Tja, das kann natürlich passieren. Aber erstens ist auch der Wechsel eines Arbeitgebers als letzte Konsequenz etwas Normales. Und zweitens wollen wir doch mal abwarten, mit welchen Burnout-, Finanz- und Ressourcenkrisen wir es absehbar noch zu tun bekommen. Darauf werden auch Unternehmen langfristig nicht anders reagieren können als durch flexiblere Lebensarbeitszeitmodelle. Zunächst geht es darum, sich nicht mehr auf die Durchhaltbarkeit der 40-Stunden- Arbeitswelt zu verlassen. Was raten Sie stattdessen? Den Aufbau einer multiplen Existenz. Wer etwa als Akademiker lediglich 20 Stunden in der Woche in eine hochkreative Karriere investieren will, sollte schon jetzt einüben, was er dann zukünftig mit den freigestellten 20 Stunden unternimmt. Nichtkommerzielle Aktivitäten im lokalen Umfeld, insbesondere Formen der modernen Subsistenz, sind hier der Schlüssel. Dazu zählen das Handwerk, die Kunst und das soziale Engagement. Die Dualität zwischen 20 Stunden Arbeit gegen Geld und 20 weiteren Stunden für kreative Selbstversorgung ist der beste Schutz vor jenem Aufprall, der uns bevorsteht, wenn weiteres Wirtschaftswachstum einfach nicht mehr möglich ist.

„Dauerbetrieb macht krank“

Der Mediziner Dr. Gunter Frank berät Unternehmen zum Gesundheitsmanagement. Seine These: Wer nur auf den Kopf hört, leistet nicht nur weniger – sondern schadet auch seiner Gesundheit. Von André Boße

Dr. med. Gunter Frank, 49 Jahre, führt eine allgemeinärztliche Praxis in Heidelberg und ist Fachbereichsleiter an der St. Galler Business School. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Gesundheitsberatung für Unternehmen. Zu diesem Thema hat Frank eine Reihe von Büchern geschrieben, zum Beispiel zusammen mit der Psychologin Dr. Maja Storch zur „Mañana-Kompetenz“. Dr. Gunter Frank ist verheiratet und hat zwei Töchter. www.gunterfrank.de
Herr Dr. Frank, wann wird die Karriereplanung zu einem gesundheitlichen Problem? Zum Beispiel dann, wenn ich denke, dass alle Weichen der Karriereplanung schon in den ersten Jahren gestellt werden müssen. Also genau in der Zeit, in der es auch darum geht, eine Familie zu gründen und ein Haus zu bauen. Es spricht nichts dagegen, dass man seine Karriere erst mit 40 startet. Oder neu startet. Das ist aus demografischer Sicht sehr sinnvoll, doch in der Praxis sieht das leider noch anders aus. Wer zum Beispiel als Unternehmensberater nicht mit 30 Vollgas gibt, landet auf dem Abstellgleis. Ist denn Vollgas ohne Rücksicht auf Verluste bei den Arbeitgebern überhaupt noch angesagt? Ich stelle fest, dass viele Unternehmen darüber diskutieren, wie sie gerade Einsteiger dazu bringen können, auch mal abzuschalten. Das führt dann zu Maßnahmen wie bei VW, wo eine halbe Stunde nach Arbeitsende keine E-Mails mehr vom Konzernserver auf die Smartphones der Mitarbeiter weitergeleitet werden. Sind solche Maßnahmen aus medizinischer Sicht sinnvoll? Wer auf beruflichem Dauerbetrieb läuft, schadet nicht nur seiner Gesundheit, sondern schöpft auch sein eigenes Potenzial als Mitarbeiter nicht aus. Ein kurzer Ausflug in die Anatomie: Mit dem vegetativen Nervensystem verfügt jeder Körper über eine Art Betriebssystem, das – ganz ähnlich wie Windows – unbewusst im Hintergrund läuft und alle aktiven und bewussten Programme ermöglicht. Das System kennt zwei Aggregatzustände: erstens Kampf und Flucht, zweitens Regeneration, Kreativität, Erotik und Muße. Für das Erste ist der Nervenstrang mit der Bezeichnung Sympathikus zuständig, für das Zweite der Parasympathikus. Sie reden vom Unterschied zwischen Kopf und Bauch, Hirn und Herz. Genau. Nun ist es so, dass wir Menschen stark von unserem Unterbewusstsein beeinflusst werden. Von Emotionen, Erinnerungen und Wertungen. Wir sind eben nicht die vernunftgesteuerten Organismen, die wir manchmal vielleicht gerne wären. Daher ist es wichtig, dass wir nicht den Zugang zu unserem emotionalen Wertesystem verlieren. Denn dort ist unser Kompass. Er zeigt uns an, ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden, indem er das, was unser Kopf vorhat, mit unseren Emotionen und Erfahrungen abgleicht. Können wir diesen Abgleich jederzeit vornehmen? Nein, wir benötigen dafür Ruhe. Oder medizinisch gesagt: Der Parasympathikus muss aktiv sein. Früher gab es viele gesellschaftliche Rituale, die uns diese Ruhe ermöglicht haben. Die Vesperpause und der Feierabend, an dem man komplett von der beruflichen Kommunikation abgekoppelt war. Dort fanden wir Momente, um in uns hineinzuhorchen und zu überprüfen, ob das, was wir vorhaben, tatsächlich zu uns passt. Ob wir noch authentisch leben. Authentische Persönlichkeiten sind extrem gefragt. Genau, aber man kann Authentizität nicht über den Verstand herstellen. Ich kann mir nicht selber den Befehl erteilen, authentisch zu handeln. Ich kann nur versuchen, den Zustand herzustellen, in dem sich mein Verstand dann unbewusst mit meinen Emotionen austauschen kann. Wie wirkt sich Authentizität auf meinen Körper aus? Man fühlt sich zufriedener, man schläft besser. Ein interessanter Aspekt ergibt sich aus der Messung der Herzratenvariabilität. Idealtypisch schlägt das Herz regelmäßig im Sinusrhythmus. Man vermutet aber heute, dass kleinste Mikrounterschiede im Herzrhythmus gut sind, weil sich in diesen minimalen Momenten der Einfluss des Parasympathikus auf das Herz zeigt. Ein zu regelmäßiger Herzschlag ist also ein Zeichen dafür, dass man seine Gefühlswelt vernachlässigt? Genauer: dass man den Zugang zu seinen Emotionen versperrt. Es gibt derzeit in der Medizin eine Diskussion darüber, ob ein zu regelmäßiger Herzschlag ein wesentlich aussagekräftigerer gesundheitlicher Risikofaktor ist als hoher Blutdruck oder ein hoher Cholesterinspiegel. Leistungsbereite Menschen könnten glauben, dass der Parasympathikus sie von der Leistungsorientierung ablenkt. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Habe ich Zugang zu meinem emotionalen Zentrum, passieren viele Dinge ganz von alleine. Plötzlich ergibt sich ein Gedankenblitz. Ein sicheres Gefühl für eine Entscheidung. Diese Qualität von Kreativität oder Selbstsicherheit kann die Ratio nicht erzeugen. Unternehmen, die bei ihren Mitarbeitern Gefühle möglichst ausschalten wollen, schöpfen das Potenzial ihrer Leute bei Weitem nicht aus. Zum Abschluss: Was raten Sie als Mediziner Einsteigern, wie sie ihre Karriere angehen sollten? Ich halte es für nicht verkehrt, sich als junger Mensch zunächst einmal in die Karriere hineinzustürzen. Quasi an seinem Arbeitsplatz zu leben. Wichtig ist nur, früh genug zu erkennen, wann die Grenze erreicht ist. Und dann sollte man auch handeln. Das Gute dabei ist: Wer jung ist, der hat viel Zeit. Ich kenne die Geschichte eines High Potentials, einer Investmentbankerin, die rekrutiert wurde, gut verdiente – aber nach einem halben Jahr abbrach, weil sie die Tätigkeit mit ihrem Wertesystem nicht in Einklang bringen konnte. Natürlich ist die Karriere dieser jungen Frau damit nicht vorbei. Sie wird jedoch anders verlaufen als gedacht. Und sehr wahrscheinlich gesünder.

„Behalten Sie sich selbst im Auge“

Prof. Dr. Annelie Keil, ehemalige Dekanin der Universität Bremen, kennt das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Als Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin hat sie erforscht, in welcher Beziehung Gesundheit und Krankheit zu Biografie und Lebenswelt stehen. Ihr Rat für Einsteiger: sich bei aller Leistungsbereitschaft nicht selber aus dem Auge zu verlieren. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Annelie Keil, 73 Jahre, studierte in Hamburg Soziologie und Politikwissenschaft. 1968 promovierte sie, arbeitete zunächst als akademische Rätin in Göttingen und wurde 1971 an die neu gegründete Uni Bremen berufen, wo sie eine Professur für Sozial- und Gesundheitswissenschaften antrat. Nach schweren Erkrankungen fokussierte sich die spätere Dekanin auf den Bereich Gesundheitswissenschaft und Krankenforschung in Biografie und Lebenswelt. Annelie Keil ist Autorin mehrerer Bücher und war Expertin in der NDR-TV-Sendung „Gesundheitswerkstatt“. Sie engagiert sich in der Hospiz-Bewegung und erhielt 2004 das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihre ehrenamtliche Arbeit in den Bereichen Bildung, Jugend und Gesundheit. www.anneliekeil.de
Frau Professor Keil, eines Ihrer Bücher heißt „Auf brüchigem Boden Land gewinnen“. Beobachten Sie, dass junge Menschen davon überrascht werden, wie brüchig das Leben ist?
Junge Menschen glauben – wie übrigens auch viele ältere Menschen –, das Leben sei komplett planbar. Dass man alles im Griff haben kann, wenn man sich nur bemüht und gut organisiert. Aber das Leben ist immer wieder unberechenbar. Ein guter Schul- oder Hochschulabschluss zum Beispiel garantiert nicht unbedingt eine erfolgreiche Karriere. Gerade die stärksten Lebensumbrüche melden sich nicht an. Krankheiten ignorieren seit jeher jeden Terminkalender, auch die plötzlich eintretende Liebe kann viel Zeit kosten – und muss dabei der Karriere nicht förderlich sein. (lacht) Wie überstehe ich Phasen der Orientierungslosigkeit? Indem ich nach einer neuen Ordnung im eigenen Leben suche. Mit Krankheiten und Krisen umgehen zu können, ist ein Lernprozess. Es geht um die Schwierigkeit, das Leben als Ganzes in seiner ständigen Wandlung zu begreifen, die unterschiedlichen Seiten zueinander in Beziehung zu setzen. Ob im Beruf oder zu Hause, als Mitarbeiter oder als Chef: Ich bin immer in verschiedener Mission unterwegs. Einerseits als jemand, der aus unterschiedlichen Gründen mit oder ohne Erfolg arbeitet, und andererseits als Mensch, der sein Privatleben lebt, Beziehungen pflegt, Kinder oder Eltern versorgt, mit mehr oder weniger Geld auskommen muss. Ich habe vor einiger Zeit einen Psychosomatik-Workshop mit jungen Führungskräften durchgeführt. Beruflich bestens geschulte Leute, blitzgescheit mit Topkarrieren und ungemein fit darin, eigene Leistungen einzuschätzen, Kollegen zu beurteilen und Konkurrenzen abzuschätzen. Aber familiäre Konflikte? Die Folgen ihrer häufigen Abwesenheit für ihre sozialen Beziehungen? Das waren Tabu- Themen nach dem Motto: Es wird schon gut gehen. Diese Routinen spielen aber eine immens große Rolle in unser aller Leben, und in dem Augenblick, in dem ein Partner nicht mehr mitspielt oder ein beruflicher Konflikt entsteht, kracht das für stabil gehaltene Kartenhaus zusammen. Daher ist es so wichtig, über sich selbst, das engere Umfeld, seine Gefühle und Verhaltensweisen Bescheid zu wissen. Schützt mich das Wissen über mich selbst auch vor dem, was man als Burnout-Syndrom bezeichnet? Vor Krankheiten kann uns niemand bewahren. Aber das Wissen kann mich davor schützen, leichtfertig in Fallen zu tappen. Zu einem Burnout können unterschiedliche Probleme führen. Der Begriff selbst mausert sich allmählich zu einem Unwort, zu einer Modediagnose. Vieles, was wir ursächlich nicht gleich erklären können und was mit Erschöpfung, Angstzustand oder plötzlicher Überforderung zu tun hat, wird unter diesem Wort zusammengefasst. Wir sprechen oft von einer Burnout- Erkrankung, ohne überhaupt zu wissen, ob der Betroffene jemals wirklich für etwas gebrannt hat oder welche Gründe ihn in die Leere, die Langeweile oder die Enttäuschung seiner Ideale geführt haben. Gefährdet können auch Menschen sein, die einen zu hohen Leistungsanspruch an sich selber haben, immer mit ihrer Arbeit beschäftigt sind, gar nicht merken, was sie mit sich machen und auch nicht spüren, wenn Beziehungen wegbrechen. Wer erschöpft ist oder nicht den richtigen Arbeitsplatz gefunden hat, ist aber nicht gleich krank. Menschen sind und bleiben für ihr Leben verantwortlich. Sie müssen auf sich selbst achten und ihre Stärken und Schwächen einschätzen lernen. Was raten Sie diesbezüglich Einsteigern? Sich mit Biss und Engagement ins Arbeitsleben einzubringen, aber sich dabei selbst im Auge zu behalten. Sich immer wieder entspannt zurücklehnen und für einen Moment darüber nachdenken, wer man eigentlich ist, wo man steht und wohin man möchte. Wie man sich selbst im Weg steht und wo andere Menschen und Lebensziele zum Hindernis werden. Sie werden sehen, wie gut es dem eigenen Wohlbefinden und der Selbsteinschätzung tut, wenn man sich besser kennenlernt, Erfahrungen macht und aus diesen lernt – was übrigens genau die Stärke ist, die mit dem Alter kommt und die man Lebenserfahrung nennt. Absolventen lernen zum ersten Mal den Rhythmus der modernen Arbeitswelt kennen. Welche Rolle sollte dabei die Pause spielen? Jeder Mensch besitzt das grundsätzliche Bedürfnis nach Unterbrechung, aber jeder braucht andere Pausen. Es gibt Menschen, die springen morgens aus dem Bett, huschen in die Dusche – und sind danach einsatzbereit. Das ist okay – aber ich bin da anders! (lacht) In Konflikten braucht man manchmal Verhandlungspausen. Wenn es dauerhaft zu laut ist, braucht man zur Abwechslung ein wenig Stille. Wichtig ist, dass man nicht der Versuchung erliegt, jede Minute des Tages möglichst effizient sein zu wollen. Ich kenne Leute, die dauernd online sind, aber nie erreichbar. Die sich gegenseitig nicht mehr zweckfrei begrüßen, sondern nur noch fragen, wer angerufen hat. Diese Menschen leben ohne Pausen – aber auch ohne Bezug zu anderen Menschen. Sie nehmen nur noch sich selbst wahr, verlieren letztlich den Kontakt zur Realität. Das geht langfristig nur auf Kosten der Leistungsfähigkeit und wird zur gesundheitlichen Gefahr.

Buch-Tipp

Unser Leben ist ein fortwährender Prozess der Wandlung, unvorhersagbar und voller Überraschungen. Zwischen Chaos und Ordnung, Anpassung und Widerstand, Freiheit und Abhängigkeit sind wir ohne Navigator in der Fremde unterwegs und herausgefordert, eine einzigartige biografische Welt zu gestalten, die unseren Namen trägt. Das Buch erzählt von geglückten und gescheiterten Versuchen, inmitten der konkreten Lebenswelt die eigene Person und ihre Biografie zu erfinden. Und wie es gelingen kann, sich trotz Bruchstellen und Krisen immer wieder neu mit dem Leben zu verabreden, sich selbst auf die Spur zu kommen und der eigenen Kraft, Lebenskompetenz und Fantasie zu vertrauen. Annelie Keil: Auf brüchigem Boden Land gewinnen. Biografische Antworten auf Krankheit und Krisen. Kösel 2011. ISBN 978-3466309078. 17,99 Euro

Erfolgsfaktor Gesundheit

Schlafberatung und Trampolinspringen, Massage am Arbeitsplatz und Entspannungstechniken: Unternehmen, die es mit dem Gesundheitsmanagement ernst meinen, bieten ihren Mitarbeitern eine Menge. Als Einsteiger sollte man diese Angebote nutzen – und darüber hinaus selbst aktiv daran mitwirken, die Qualität des Arbeitsplatzes zu verbessern. Von André Boße

Ein Unternehmen, das eine Schlafberatung anbietet? Damit hätte man früher mal kommen sollen. In der Firma ging es nicht ums Schlafen, sondern ums Arbeiten. Wie und wann jemand schlief – das blieb Privatsache, solange der Mitarbeiter nicht auf die Idee kam, ein Nickerchen im Betrieb zu machen. Heute ist der Schlaf der Mitarbeiter dagegen sehr wohl ein Thema. Zum Beispiel im Offenburger Werk von Tesa. Das Unternehmen bietet einen eigenen Schlafberater an, der sich um die Ruhephasen der Mitarbeiter kümmert. Weitere Angebote der Beiersdorf-Tochter: Massage am Arbeitsplatz, von eigens dafür ausgebildeten Mitarbeitern geleitete Sportangebote wie Trampolinspringen sowie wechselnde Kampagnen zum Thema Gesundheit. „Vorbildlich“, urteilte Frank Hauser, Geschäftsführer des Instituts Great Place To Work Deutschland, das sich jährlich auf die Suche nach den besten Arbeitgebern im Land macht. Tesa erhielt den Sonderpreis in der Kategorie „Betriebliche Gesundheitsförderung“. Prävention macht sich bezahlt Langsam, aber sicher gewinnt das Thema Gesundheitsmanagement in immer mehr Unternehmen an Bedeutung – und zwar aus gutem Grund. Eine Studie der Unternehmensberatung Booz & Company aus dem Jahr 2011 hat ergeben, dass die deutsche Wirtschaft durch die Krankheit von Erwerbstätigen jährlich rund 225 Milliarden Euro verliert. Um die abstrakte Summe greifbarer zu machen: Das ist rund ein Zehntel des deutschen Bruttosozialprodukts. Und das Problem droht sich noch zu verschärfen. Durch den demografischen Wandel werden die Belegschaften in den Unternehmen immer älter: Laut einer Umfrage unter 50 Unternehmen von Pricewaterhouse- Coopers aus dem Herbst 2011 ist in den deutschen Unternehmen derzeit jeder fünfte Beschäftigte älter als 50 Jahre; im Jahr 2016 wird es bereits jeder dritte sein. Dass das Thema Gesundheit längst nicht nur ein Thema für die ältere Generation ist, zeigt die neue „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ des Robert Koch-Instituts. Ihr zufolge sind 9,9 Prozent der 18- bis 29-Jährigen an Depressionen erkrankt sind – so hoch ist der Anteil in keiner anderen Altersgruppe.

Karriereziel Gesundheitsmanager

Der betriebliche Gesundheitsmanager ist ein Jobprofil der Zukunft. Noch fehlt vielen Unternehmen professionelles Know-how auf diesem Gebiet, sodass externe oder interne Berater langfristig viel Wissen zum Thema in die Unternehmen hineinbringen werden. Wer sich als Betrieblicher Gesundheitsmanager ausbilden lassen möchte, kann sich an diversen Hochschulen einschreiben. Das auf Mitarbeiterberatung fokussierte Coaching- und Consulting- Unternehmen Carpe Diem 24 kooperiert mit der Uni Schwerin und bietet Weiterbildungsstudiengänge mit Hochschulzertifikat zu diversen Themen des Gesundheitsmanagements an – von der Betriebs- über die Kommunikations- bis zur Wirtschaftspsychologie. Frisch gegründet und eine gute Adresse für weitere Tipps zu diesem Thema: der Bundesverband Betriebliches Gesundheitsmanagement, zu erreichen unter www.bgm-bv.de Mehr dazu hier
Kranke Menschen verursachen aus wirtschaftlicher Sicht Kosten. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Ein zeitgemäßes Gesundheitsmanagement wird somit zur Investition, die sich lohnt: Nach der Analyse von Booz & Company zahlt sich jeder Euro, der in betriebliche Gesundheitsprävention investiert wird, für die deutsche Volkswirtschaft mit 5 bis 16 Euro aus. Chronische Überforderung vermeiden Kein Wunder also, dass immer mehr Arbeitgeber das Gesundheitsmanagement in der Unternehmensstruktur ganz oben aufhängen. Zum Beispiel SMA, international erfolgreicher Hersteller von Wechselrichtern für Solarmodule aus Nordhessen. Verantwortlich für das Thema ist Personalvorstand Jürgen Dolle. Jährlich erstellt das Unternehmen einen Strategiebericht, in dem die betriebliche Gesundheitssituation systematisch analysiert wird. „Wir kooperieren mit den gesetzlichen Krankenkassen, der Berufsgenossenschaft sowie insbesondere mit einer Reihe von privaten Anbietern“, sagt Dolle. Dazu gehörten Präventionsexperten sowie Trainer und Berater für Themen wie Stressbewältigung, Entspannung, Bewegung, Ernährung, Sucht oder Führungsverhalten. Die Topmanager bei SMA sind sich sicher, beim Thema Gesundheitsmanagement eine Investition in die Zukunft zu tätigen. „Die Bedeutung des Themas wird in Zukunft noch weiter zunehmen“, sagt Personalvorstand Dolle. „Hintergrund ist neben dem demografischen Wandel und dem Mangel an Nachwuchskräften vor allem die Arbeitsverdichtung und die Zunahme des individuellen Verantwortungsdrucks infolge des globalen Wettbewerbs.“ Aus Sicht des Gesundheitsmanagements sei es daher zwingend erforderlich, dafür Sorge zu tragen, dass die beruflichen Anforderungen mit dem Leistungsvermögen des Mitarbeiters übereinstimmen. Dolle: „Nur so vermeidet man chronische Überforderungen.“ Konkret bietet das Unternehmen seinen Mitarbeitern Seminare rund um die Gesundheit im Arbeitsalltag an. Die Themen: „Progressive Muskelentspannung“ oder „Arbeiten im Gleichgewicht – Stress erfolgreich bewältigen“. Und auch bei SMA war gesunder Schlaf das Thema einer Veranstaltung. Gesundheit lebt vom Mitmachen Noch einen Schritt weiter geht man bei BASF in Ludwigshafen, wo derzeit ein Zentrum für Work-Life-Management entsteht. Das Konzept bietet ein Maßnahmenpaket: von der Kinderbetreuung über die Themen Sport und Gesundheit bis zur Sozialberatung. „In Zukunft werden die Mitarbeiter einen effektiven Zugang zu Problemanalyse, Beratung, Unterstützungs- und Trainingsmaßnahmen erhalten“, sagt BASF-Sprecherin Honorata Doba. Zielgruppe des Gesundheitsmanagements bei BASF sind gerade die akademischen Nachwuchskräfte. „Selbstverständlich begrüßen wir motivierte und leistungsbereite Bewerber“, sagt Honorata Doba. „Wir machen sie aber von Anfang an auf unsere Angebote zur Gesundheitsförderung und auf die ärztliche Betreuung aufmerksam.“ So startete BASF zuletzt das Projekt „Auftanken statt leerfahren“, das mit besonderem Blick auf die junge Generation vermittelt, warum Auszeiten und Pausen so bedeutend sind. „Es ist wichtig, dass gerade Berufsanfängern klar ist, dass sie verantwortungsbewusst mit ihrer Energie und ihren Ressourcen umgehen müssen“, so Doba. Schließlich seien gesunde Mitarbeiter die Grundvoraussetzung, um die unternehmerischen Ziele zu erreichen.

Buch-Tipp

Nachwuchskräfte mit Führungsverantwortung müssen nicht passiv warten, bis die Unternehmensleitung Konzepte für Gesundheitsmanagement erarbeitet. Im Gegenteil: Wer sich aktiv einbringt, sammelt wichtige Punkte auf dem Weg nach oben. Worauf es beim Entwurf dieser Konzepte ankommt, erklärt ein Buch von Thorsten Uhle und Michael Treier. Eine beigelegte Daten-CD bietet nützliche Arbeits- und Präsentationsmaterialien. Thorsten Uhle, Michael Treier: Betriebliches Gesundheitsmanagement. Springer 2011. ISBN 978-3540959335. 44,95 Euro

Ni hao China! Hallo China!

0

China zählt zu den wichtigsten Wachstumsmärkten der Zukunft. Was muss man als Anwalt mitbringen, um in der aufstrebenden Wirtschaftsmacht zu arbeiten? Was erwartet einen M&A-Anwalt? Und wie wichtig sind chinesische Sprachkenntnisse? Die beiden Juristen Christian Atzler und Daniel von Devivere berichten über ihre Erfahrungen im Fernen Osten.

Christian Atzler, Foto: Baker & McKenzie
Christian Atzler, Foto: Baker & McKenzie
Christian Atzler arbeitet seit 2009 als Anwalt bei Baker & McKenzie in Frankfurt am Main und berät Mandanten bei internationalen Transaktionen, vor allem mit China-Bezug. Von 2005 bis 2008 war er als deutscher Rechtsanwalt in Hongkong und Shanghai tätig. Er studierte Rechtswissenschaften in Passau und an der National Taiwan University in Taipei sowie Chinesisch am Mandarin Training Center in Taipei.
In eine fremde Kultur eintauchen, den eigenen Horizont sowie das fachliche Know-how erweitern und den Boommarkt China live erleben – viele Gründe sprechen dafür, als Anwalt eine Zeit lang im Reich der Mitte aktiv zu sein. Die Arbeit in einer ausländischen Kanzlei setzt sich im Wesentlichen aus zwei Bereichen zusammen: Zum einen berät man ausländische Mandanten bei ihren Tätigkeiten im Land („China Inbound- Geschäft“), zum anderen betreut man chinesische Unternehmen bei ihren Aktivitäten außerhalb des eigenen Landes („China Outbound- Geschäft“). Traditionell fokussierten sich ausländische Kanzleien in China bislang auf das Inbound-Geschäft. Die dortigen Anwälte unterstützen ihre Mandanten etwa bei der Gründung von Tochtergesellschaften in China, beispielsweise bei Joint Ventures mit chinesischen Partnern oder bei Akquisitionen von chinesischen Unternehmen durch ausländische Investoren. Weitere typische Betätigungsfelder umfassen beispielsweise die Verfolgung von Markenrechtsverletzungen oder die Gestaltung von Verträgen ausländischer Mandanten mit chinesischen Lieferanten. Auch das Outbound-Geschäft spielt inzwischen eine große Rolle: Durch den Wirtschaftsboom im Reich der Mitte sind chinesische Investitionen im Ausland sprunghaft angestiegen. Chinesische Unternehmen interessieren sich hierzulande vor allem für mittelständische Betriebe, die über großes technisches Know-how verfügen. Darüber hinaus investieren chinesische Unternehmen sehr stark im Rohstoffbereich, etwa in Australien, Afrika oder Südamerika.
Daniel von Devivere, Foto: Baker & McKenzie
Daniel von Devivere, Foto: Baker & McKenzie
Daniel von Devivere ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Baker & McKenzie in Frankfurt am Main. Er studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt und Chinesisch in Beijing.
„Brückenkopf“ im Wachstumsmarkt Eines wird es einem ausländischen Anwalt in China nie: langweilig. Da das Land ein sehr dynamischer und weiter wachsender Markt ist, warten auf den Anwalt stets spannende und vielfältige Aufgaben. Besonders reizvoll ist es, dass ein ausländischer Anwalt in China als „Brückenkopf“ zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen und Kulturen tätig ist. Dies zeigt sich häufig bei Verhandlungen zwischen ausländischen und chinesischen Unternehmen, wo Verhandlungsgeschick und kulturelles Verständnis unerlässlich sind. Interessant ist außerdem, dass das chinesische Zivilrecht aus historischen Gründen in vielen Bereichen stark an das deutsche Zivilrecht angelehnt ist. Verglichen mit einem US-amerikanischen oder englischen Juristen, fällt es daher einem deutschen Juristen leichter, sich ins chinesische Recht einzuarbeiten. Besonders in größeren ausländischen Kanzleien spezialisieren sich Anwälte in China sehr früh auf ein bestimmtes Rechtsgebiet. Ähnlich wie in großen Kanzleien hierzulande gibt es auch in den chinesischen Büros eine Aufteilung in verschiedene Praxisgruppen, um dem immer höher werdenden Detailgrad der Gesetzgebung und Rechtspraxis gerecht zu werden. Der früher häufig anzutreffende, umfassend beratende ausländische „China-Anwalt“ ist heute in der Praxis kaum mehr zu finden.

karriereführer-Tipp: Expat Coaching

Auf Expats warten ein neuer Job, eine fremde Umgebung, ein anderes Team und eine völlig neue Arbeitsweise – das ganze Leben ändert sich. Der strukturierte Umgang mit der Situation und das Wahrnehmen neuer Aufgaben setzen wichtige Kompetenzen voraus. Petra Motte lebte viele Jahre in Asien und bereitet Expatriats gezielt auf ihren Auslandsaufenthalt vor. Mehr Infos hierzu unter: www.movasis.de
Sprechen Sie Chinesisch? Wer mit dem Gedanken spielt, für einige Zeit im Wachstumsmarkt als Anwalt zu arbeiten, sollte sehr gute chinesische Sprachkenntnisse mitbringen. Die Erfahrung zeigt, dass zum Erlernen der Sprache ein längerer Aufenthalt im Land notwendig ist. Es versteht sich von selbst, dass man neben Chinesisch auch fließend Englisch sprechen muss. Auch Anwälten, die in Deutschland chinesische Mandanten beraten, helfen entsprechende Sprachkenntnisse weiter: Meist sprechen die Führungskräfte auf Mandantenseite kein Englisch, sodass man auf Chinesisch miteinander kommunizieren muss. Die praktische Arbeit als ausländischer Anwalt ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass in vielen Fällen Gesetze und Regelungen unklar formuliert und sehr stark von der Umsetzung durch die Behörden vor Ort geprägt sind. Daher ist es üblich, bestimmte Vorhaben und Projekte vorab – auf allgemeiner Basis – mit den Behörden vor Ort zu besprechen, um ein Verständnis für die lokale Handhabung zu entwickeln. Das geschieht etwa im Rahmen eines Treffens oder Telefonats mit den Behörden, in dem man, ohne den Namen des Mandanten zu nennen, die Eckpunkte des Projektes erläutert und die wichtigen rechtlichen Auswirkungen bespricht. Auch dafür sind chinesische Sprachkenntnisse unerlässlich.

Landesinformationen

Größe: 9,57 Mio. km2 Einwohner: ca. 1,3 Mrd. Hauptstadt: Peking Klima: Chinas Klima wird überall mehr oder weniger vom Monsun beeinflusst, der im Sommer den Regen bringt. Darüber hinaus ist es überall, bis auf die küstennahen Gebiete, stark kontinental beeinflusst. Es reicht von extrem trockenem Wüstenklima über winterkaltes Nadelwaldklima bis hin zu tropischem Klima Landessprache: Chinesisch (Mandarin) Währung: 1 Euro (EUR) = 7,92 Chinesische Renminbi Yuan (CNY) Stand: 21.8.2012 Flugdauer Direktflug: Frankfurt/Main – Shanghai: 12 Stunden Kosten: ab 900 Euro Zeitverschiebung: + 6 Stunden Aufenthaltsgenehmigung: Die Aufenthaltsgenehmigung in Form des Visums ist an den Arbeitsvertrag gekoppelt und wird in der Regel vom Arbeitgeber in China organisiert. Ein Muss ist außerdem eine Registrierung bei den örtlichen Behörden innerhalb von 24 Stunden nach Ankunft. Kosten für einen Aufenthalt: 2-Zimmer-Wohnung in der Stadtmitte mit günstiger Verkehrsanbindung in Beijing oder Shanghai: circa 700 Euro pro Monat. Mittagessen in einem einfachen Restaurant : circa 6 Euro.

Karriereleiter: Wahlstation

0

Auf dem Weg zum Partner einer Kanzlei müssen junge Juristen nach dem 1. Staatsexamen zunächst mehrere Stationen im Referendariat durchlaufen. Neben den Pflichtstationen gehört auch die Wahlstation dazu. Manuel Goetzendorf entschied sich für die Weltbank in den Vereinigten Staaten. Von Manuel Goetzendorf

Unmittelbar nach dem Beginn des Referendariates stand für mich fest, dass ich die dreimonatige Wahlstation in den USA absolvieren wollte. Zunächst stellte sich dabei die Frage nach einer geeigneten Ausbildungsstätte. Das Internetangebot des Auswärtigen Amtes hat mir hier weitergeholfen und mich auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, die Wahlstation bei der Weltbank in Washington D.C. zu verbringen. Nachdem ich die üblichen Bewerbungsunterlagen eingereicht hatte, kontaktierte mich mein späterer Ausbilder bereits kurze Zeit danach und vereinbarte einen Termin zu einem Telefoninterview. Nachdem auch diese Hürde genommen war, durfte ich mich auf die Wahlstation in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten freuen. Deutsche Referendare werden in der Weltbankgruppe bei der sogenannten „Special Litigation Unit“ eingesetzt, einer Abteilung der „Integrity Vice Presidency“, die die missbräuchliche Verwendung von Weltbankgeldern verfolgt. Der Leiter der Abteilung ist ein deutscher Jurist und weiß die Referendare daher gezielt einzusetzen. Vom ersten Tag an habe ich mich als vollwertiges Mitglied eines multinationalen Teams von Anwälten gefühlt. Dabei war gerade die Zusammenarbeit mit den Juristen aus den verschiedensten Regionen der Welt eine Herausforderung, die die täglichen Arbeitsabläufe geprägt hat. Mir wurden während der Station vielfältige Aufgaben zugewiesen. Grundsätzlich sollte jeder Referendar ein sogenanntes „Statement of Accusation and Evidence“ anfertigen, das in etwa vergleichbar mit einer Anklage der deutschen Staatsanwaltschaft ist. Hierbei steht man mit den für die Weltbank tätigen Ermittlern, die im Einzelfall vor Ort die jeweiligen Korruptionsvorwürfe untersuchen, in engem Kontakt. Neben allgemeinen Rechercheaufgaben gehören zu den Tätigkeiten eines Referendars auch Stellungnahmen zu diversen rechtlichen Fragestellungen. Letztlich hatte ich noch die Gelegenheit, einen Vortrag über das Thema „Strafzumessung in Deutschland“ zu halten. Ein persönliches Highlight war für mich die Teilnahme an einem Trainingsmodul, das für die Ermittler der Weltbank und der UNO organisiert wurde. Hier konnten wir uns mit Mitarbeitern der Vereinten Nationen austauschen und dadurch einen vertieften Einblick in die Arbeitsweise einer weiteren internationalen Organisation erhalten. Neben dem wirklich einzigartigen internationalen Arbeitsumfeld trug auch das Leben in der Hauptstadt der USA dazu bei, dass ich die Station als sehr gelungen empfunden habe. Ich kann eine Wahlstation bei der Weltbank jedenfalls uneingeschränkt empfehlen.

„Auktionen sind ein hartes Geschäft“

0

Marco Peege, 42 Jahre, schloss 1995 sein Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg ab. Nach seinem Rechtsreferendariat arbeitet er seit 1998 als Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Kunsthandel und Auktionshandel. Als Auktionator ist der zweifache Familienvater im Auktionshaus der Familie in Freiburg tätig, das von seinem Vater geführt wird. Das Interview führte André Boße

Marco Peege, Foto: Marco Peege
Marco Peege, Foto: Marco Peege
Sie arbeiten sowohl als Anwalt als auch als Auktionator. Jurist darf sich nur nennen, wer sein Studium abgeschlossen hat. Ist der Beruf des Auktionators eigentlich auch geschützt? Für den Beruf des Auktionators gibt es keine bestimmte Ausbildung. Um ihn auszuüben, benötigt man eine Versteigerungserlaubnis, die durch die Gewerbebehörde erteilt wird. Auf diese Erlaubnis hat im Prinzip jeder Anspruch, der nicht in gewissem Maß vorbestraft ist und der in geordneten finanziellen Verhältnissen lebt – also nicht in die Privatinsolvenz gegangen ist. Hat man die Versteigerungserlaubnis, kann man sein Auktionsgewerbe anmelden, und schon kann es losgehen. Nun sind Sie bestellter und vereidigter Kunstversteigerer, wie erreicht man diesen Status? Nach der Gewerbeordnung werden besonders sachkundige Versteigerer auf Antrag öffentlich bestellt und vereidigt. Diese besondere Sachkunde muss man durch eine fünfjährige Erfahrung als Auktionator sowie durch eine Fach- und Sachkundeprüfung nachweisen. Was darf der bestellte und vereidigte Versteigerer, was andere nicht dürfen? Nur er führt öffentliche Versteigerungen im Rechtssinne durch und darf zum Beispiel Pfandsachen versteigern. Mit welchen Rechtsbereichen kommt ein Auktionator in Berührung? Das ist ein sehr weites Feld. Im Zentrum steht sicher das Kaufrecht mit allen Facetten von der Gewährleistung bis zum Fernabsatz. Eine Rolle spielen aber auch das Urheber- und das Steuerrecht sowie Themen wie zum Beispiel Kulturgüterschutz oder die Restitution von Raubkunst. Die Kunstwerke, die Sie versteigern, sind in der Regel sehr alt. Ist der Bereich des Auktionsrechts dennoch einer, der sich in einem stetigen Wandel befindet? Im Grunde funktionieren Auktionen seit ewigen Zeiten gleich. Dennoch müssen sie sich aber natürlich an die aktuelle Rechtsentwicklung anpassen. Es gab und gibt zum Beispiel Gesetzesdynamik beim Kulturgüterschutz oder auch im Bereich des internationalen Rechts, vor allem mit Hinblick auf die Gesetzgebung der EU. Entscheidend ist sicher, dass das Auktionsrecht heute nicht mehr regional oder national begrenzt wahrgenommen werden kann: Da der Markt durch die Internetentwicklung praktisch keine Grenzen mehr kennt, werden internationale Fragen immer wichtiger. Angenommen, ein frischgebackener Jura-Absolvent interessiert sich für einen Seiteneinstieg ins Auktionsgeschäft. Welche zusätzlichen Qualitäten muss er sich aneignen? Jeder, der einsteigen möchte, sollte eines wissen: Das Auktionsgewerbe ist ein hartes Geschäft. Neben Rechtskenntnissen benötigt man vor allem betriebswirtschaftliche Kompetenz. Natürlich sollte man auch von der Materie Ahnung haben – wobei man nicht gleich Kunsthistoriker sein muss, um diesen Beruf auszuüben. Ich beobachte, dass sich bei den größeren Auktionshäusern zum Teil Juristen in der Geschäftsleitung finden; die weltweit renommiertesten Häuser unterhalten eigene Rechtsabteilungen. Der Einstieg funktioniert in vielen Fällen über persönliche Kontakte oder, wie bei mir, über das Elternhaus. Der Rest ist dann zumeist Learning by Doing. Wann profitieren Sie als Auktionator ganz direkt von Ihrem breiten juristischen Fachwissen als Anwalt? Angenommen man hat es mit einer Nachlassverwertung zu tun. Dann ist es natürlich von Vorteil, wenn man über Kenntnisse zum Erbrecht verfügt, weil man dann schon im Vorfeld gewisse Komplikationen durchschaut, die auftreten können. Auch wenn ein Auktionator kein Kunsthistoriker sein muss: Ein Liebhaber der Kunst sollte er aber schon sein, oder? Ja. Man merkt schon, dass bei den meisten erfolgreichen Auktionatoren der Beruf auch gleichzeitig Berufung ist. Welchen Hammerschlag empfinden Sie denn als spannender: den im Gerichtssaal nach dem Urteil oder den im Auktionshaus nach einer vollzogenen Versteigerung? Eines vorweg: Ich habe in 14 Jahren Erfahrung als Rechtsanwalt noch keinen einzigen Hammer in einem Gerichtssaal gesehen. Zu Ihrer Frage: Da ein Urteil im Zivilprozess zumeist erst Wochen nach der Verhandlung schriftlich zugestellt wird, ist die Spannung im Gerichtssaal – oder im Richterzimmer, wo meist verhandelt wird – nicht besonders hoch. Da ist eine Auktion schon deutlich spannender. Verraten Sie uns zum Abschluss das Kunstobjekt, mit dem Sie als Auktionator bislang den höchsten Preis erzielen konnten? Kurioserweise habe ich den bis dato höchsten Zuschlag bei der Versteigerung eines virtuellen Gutes erzielt: der Versteigerung einer Internetdomain für 695.000 Euro.

Auktionator

Versteigerer oder Auktionator ist eine eigenständige Berufsbezeichnung, die fast jeder erwerben kann. Eine abgeschlossene Berufsausbildung jedweder Art ist Voraussetzung, um ein zweitägiges Versteigerer- Seminar zu absolvieren. Der Abschluss wird auch Online-Auktionatoren angeraten. Zulassungsstelle für den „öffentlich bestellten und vereidigten Auktionator“ ist die jeweilige Industrie- und Handelskammer. Versteigerer müssen nicht immer in festen Auktionshäusern arbeiten. Viele konzentrieren sich auf ein bestimmtes Spezialgebiet, für das sie bundesweit tätig werden. Zu ihren Aufträgen gehören zum Beispiel Haushaltsauflösungen, Insolvenzversteigerungen oder Fundsachenauktionen. Die IHK Potsdam hat die Gesetze zur Tätigkeit als Versteigerer ins Netz gestellt: www.potsdam.ihk24.de Eine Teilnahme an diesem Seminar eröffnet den neuen Berufsweg als Auktionator: www.versteigerer-seminar.de Quelle: www.auktionshaeuser.com

Reisen bildet

Die beruflichen Perspektiven für Spezialisten im europäischen Reiserecht und im Passagierrecht sind glänzend. Der europäische Gesetzgeber harmonisiert die vielen Rechtsgebiete des Reiserechts auch zukünftig. Spezialisten sind daher gefragt. Von Jan Bartholl

„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen“, wusste schon der Dichter Matthias Claudius. Die unerfreulichen Geschehnisse des Urlaubs werden im Nachhinein aufgearbeitet. Eine Reise besteht aus fünfzig Prozent Vorfreude und aus fünfzig Prozent Nachsorge. Im Rahmen der Nachsorge kommen Reiserechtsanwälte ins Spiel. Deren Arbeit ist abwechslungsreich. Der Urlaub soll die schönste Zeit des Jahres sein. Geht etwas schief, ist die Frage der Entschädigung nicht weit. Reiserechtliche Rechtsstreitigkeiten sind immer emotionsgeladen. Daher geht die Beratung durch den Rechtsanwalt weit über rein rechtliche Fragestellungen hinaus. Das persönliche Gespräch ist für viele Betroffene besonders wichtig. Daher sollte ein Rechtsanwalt im Reiserecht gut zuhören und gezielt Fragen stellen können. „Reiserecht“ ist häufig die Chiffre für die verschiedenen Rechtsgebiete Reisevertragsrecht, europäische Fluggastrechte, Gepäckschadensrecht, Luftverkehrsrecht und Luftfahrtrecht. Das europäische Fluggastrecht ist ein junges Rechtsgebiet und daher sehr spannend. Auf Grund der nur spärlich harmonisierten gesetzlichen Regelungen basiert die Rechtsentwicklung vor allem auf case law. Die Rechtsprechung im Passagierrecht entwickelt sich rasant. Für Rechtsanwälte im Bereich der europäischen Fluggastrechte ist es faszinierend, aktiv an der Entwicklung eines derart jungen Rechtsgebietes mitwirken zu können. Die angerufenen Gerichte sind auf Grund der vielen offenen Rechtsfragen häufig bereit, ungeklärte Rechtsfragen dem EuGH vorzulegen. Wer als Rechtsanwalt verzwickte Rechtsfragen lösen will, kann hier glänzen. Immer häufiger wird versucht, Rechtsstreitigkeiten im Reise- und Luftverkehrsrecht gütlich im Rahmen einer Schlichtung beizulegen. Diese bietet Rechtsanwälten ein ganz neues Betätigungsfeld. Schlichtungsstellen für die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten über Passagierrechte oder Fluggastrechte werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Rechtsanwälte mit Verhandlungskompetenzen und Spezialkenntnissen im europäischen Luftverkehrsrecht werden gefragt sein. Eine weitere interessante Disziplin des Reiserechts ist die Vertragserstellung und -gestaltung. Von der Gestaltung allgemeiner Reisebedingungen europäischer Reiseveranstalter über Haftungsfragen aus Geschäftsprozessen von Reisebüros und kleinen Reiseunternehmern ist die kautelarjuristische Arbeit eines Rechtsanwaltes für Reiserecht die hohe Kunst, aufkommende Konfliktherde zu erkennen und diese elegant zu umschiffen.

Leidenschaft für Kultur

Nicht zuletzt durch die Politik ist das Rechtsgebiet Urheberrecht derzeit in aller Munde. Grundlegende Fragestellungen müssen geklärt werden, und im Anschluss stehen viele Veränderungen an. Hervorragende Entwicklungsmöglichkeit mit vielfältigen Aufgaben also für Absolventen mit Interesse an Medien und Kultur, die sich auf diesen Bereich spezialisieren wollen. Von Dr. Axel von Walter

Wie kaum ein anderes Rechtsgebiet wurde zuletzt das Urheberrecht in sehr kurzer Zeit aus der Orchideennische in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit katapultiert. Mit dem Erstarken der Piratenpartei, der Diskussion um das Anti- Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) oder Leistungsschutzrechte für Presseverleger und der in den Massenmedien begleiteten Strafverfahren zu kino.to ist eine breite gesellschaftliche Debatte über das Urheberrecht als solches entbrannt. Letztendlich ist die Auseinandersetzung um das Urheberrecht und die begleitenden Leistungsschutzrechte nur Symptom der grundlegenden Fragestellung einer Informationsgesellschaft: Wem gehören die Informationen, wie weit reicht die Verfügungsgewalt der Kreativen über ihre Werke? Jahrzehntelang galt das Urheberrecht als Rechtsgebiet für Juristen mit Faible für Kunst und Kultur. Mit der Verbreitung elektronischer Medien avancierte das Urheberrecht nun zu einem grundlegenden Rechtsgebiet mit wirtschaftlich herausgehobener Bedeutung, und diese wird mit neuen Medienformen und innovativen Medienprodukten zunehmen. Juristen, die sich mit dem Urheberrecht beschäftigen, sollten Interesse und Leidenschaft für Kultur und Medien mitbringen und vor dem Hintergrund der neuen Medien innovativen Geschäftsmodellen der Mandanten aufgeschlossen sein. Es handelt sich beim Urheberrecht um ein traditionsreiches Rechtsgebiet, dem eigenständige Prinzipien und eine spezifische Dogmatik zugrunde liegen. In der Ausbildung findet man den Zugang zum Urheberrecht meist über die Schwerpunktausbildung an den Universitäten im geistigen Eigentum (IP-Recht, englisch: intellectual property, kurz IP). Die Faszination, die vom Urheberrecht ausgeht, liegt in der Möglichkeit, an innovativen Medienprodukten mitzuarbeiten und dabei mit vielfältigen neuen Rechtsfragen konfrontiert zu werden, die einer tieferen rechtlichen Analyse bedürfen. Durch die grenzüberschreitende Mediennutzung im Internet hat das Urheberrecht auch eine starke internationale Perspektive. Die Tätigkeitsfelder für im Urheberrecht beratende Juristen sind abwechslungsreich und vielfältig. Sie gestalten und verhandeln Verträge über Informationen und Inhalte, die den Rohstoff für die gesamte Kultur-/ Kreativ-/Medienwirtschaft bilden. In den neuen Medien begleiten sie die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Auf Urheberrecht spezialisierte Rechtsanwälte setzen Urheberrechte oder Leistungsschutzrechte nötigenfalls auch gerichtlich durch, sodass auch die klassische Prozessführung Teil des vielfältigen Aufgabenspektrums ist.

Langweilig war gestern

Die Zeiten staubiger Aktenberge sind lange vorbei: Im bunten Internetzeitalter ist die Anwendung des Datenschutzrechts genauso spannend und vielseitig wie die Internetangebote selbst. Wer keine Berührungsängste vor ständig neuen Entwicklungen und Spaß an der Gestaltung und dem Ausgleich unterschiedlicher Interessen hat, kann im Datenschutz ein spannendes und abwechslungsreiches Betätigungsfeld als Anwalt finden. Von Dr. Bettina Enderle und Dr. Thorsten Thaysen

Bereits 1983 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass persönliche Daten nicht belanglos sind, und begründete dies mit den Auswertungsmöglichkeiten automatisierter Datenverarbeitungssysteme. Heute ist es jedoch möglich, Daten in einem Ausmaß zu sammeln, auszuwerten und zu verwenden, wie es vor 30 Jahren nicht absehbar war. Die Menge der „nicht belanglosen“ Daten hat seitdem erheblich zugenommen. Das Datenschutzrecht schränkt jedoch die technischen Möglichkeiten des Umganges mit Daten durch rechtliche Vorgaben ein. In Deutschland wird der Datenschutz vor allem durch das Bundesdatenschutzgesetz und für elektronische Medien, zum Beispiel soziale Netzwerke, durch das Telemediengesetz geregelt. Ein Umgang mit personenbezogenen Daten ist danach nur zulässig, wenn eine spezielle Vorschrift dies erlaubt oder die Person – der sogenannte Betroffene – eingewilligt hat, auf die sich die Daten beziehen. So dürfen beispielsweise die für die Durchführung eines Vertrages erforderlichen personenbezogenen Daten verwendet werden, ohne dass der Betroffene eingewilligt hat. Er muss jedoch einwilligen, wenn sie für Werbezwecke verwendet werden sollen. Nehmen wir als Beispiel den Einsatz von Analysesoftware, etwa Google Analytics, auf Internetseiten. Diese Software wertet das Nutzungsverhalten der Besucher aus und erstellt Nutzungsprofile, womit die Gestaltung der Internetseite für eigene Angebote und fremde Werbeanzeigen optimiert wird. Der Einsatz von Analysesoftware ist mit zahlreichen datenschutzrechtlichen Problemen verbunden, wie bei der Erstellung und Weitergabe von Kundenprofilen. Im Fall von Google Analytics haben die Datenschutzbehörden Kriterien entwickelt, bei deren Einhaltung der Einsatz der Software datenschutzrechtlich zulässig ist. Anwälte in internationalen Großkanzleien beraten vor allem Unternehmen und Banken im Datenschutzrecht, etwa im Rahmen von Unternehmenskäufen und Fusionen (M&A), bei der Verwendung von Arbeitnehmerdaten und Marketingprojekten. Dabei setzen sie Rechtspositionen auch in Verfahren vor den Datenschutzbeauftragten oder vor den Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht durch. Außerdem entwickeln Anwälte zusammen mit dem Mandanten kreative Lösungen, wenn das geplante Vorhaben mit den Vorgaben des Datenschutzes nicht vereinbar ist. Zuweilen schaltet der Mandant den Anwalt auch erst ein, wenn die Aufsichtsbehörden bereits ein Verfahren eingeleitet haben. Dann geht es darum, einen möglichst positiven Ausgang für den Mandanten zu erreichen.