Künstliche Intelligenz verändert das Antlitz der Digitalisierung

Wer heute als Hochschulabsolvent ins Berufsleben startet, wird dort vermutlich früher oder später auf das Thema Künstliche Intelligenz, kurz KI, stoßen. Aber wie weit ist die Entwicklung im Bereich KI schon fortgeschritten? Von Nabil Alsabah, Bereichsleiter Künstliche Intelligenz beim Digitalverband Bitkom

Google-Chef Sundar Pichai hat Anfang 2020 beim Weltwirtschaftsforum in Davos erklärt, dass KI tiefgreifendere gesellschaftliche Veränderungen auslösen wird als Feuer oder Elektrizität. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in einem Zeitungsinterview der KI eine disruptivere Rolle zugeschrieben als der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert. Diese Erkenntnis ist auch in der Wirtschaft inzwischen weit verbreitet. Der Digitalverband Bitkom hat im Juni 2020 die Ergebnisse einer Unternehmensumfrage veröffentlicht. Demnach halten Unternehmer und Manager künstliche Intelligenz für herausragend wichtig. Drei Viertel der Unternehmen mit 20 oder mehr Mitarbeitern sehen KI sogar als die wichtigste Zukunftstechnologie. Gründe genug, sich mit KI etwas intensiver zu beschäftigen. Angehende Ingenieure wissen, dass der Begriff „Künstliche Intelligenz“ eine Familie von Algorithmen umschreibt, mit denen Informatiker, Techniker und Ingenieure bestimmte kognitive Aufgaben wie Bild- und Spracherkennung, Schachspielen oder die Erstellung von Prognosen automatisieren können. Aber es gibt technische Grenzen. Diese haben sich über die Jahrzehnte oft verschoben. Als 1956 eine Gruppe brillanter interdisziplinärer Wissenschaftler künstliche Intelligenz ins Leben gerufen hat, war KI nur ein Traum. In den ersten fünf Jahrzehnten ihrer Existenz arbeitete sich die KI an Fragen der Bild- und Spracherkennung, autonomem Fahren und Robotik, Schach und Logik ab. Die Erfolge waren meistens Laborerfolge ohne nennenswerten wirtschaftlichen Nutzen. In den 1970er- und 80er-Jahren gab es wiederholte Versuche, einsatzbereite KI-Produkte zu entwickeln: für die medizinische Diagnose, die Kaufberatung oder eine vorausschauende Wartung. Dabei haben KI-Entwickler die jeweiligen Experten befragt und Verhaltensregeln aufgeschrieben, um diese anschließend einzuprogrammieren. Ein Programm für die Diagnose und Behandlung von Infektionen wurde beispielsweise mit circa 500 Regeln eingespeist. Im Alltag haben sich diese sogenannten Expertensysteme selten bewährt. Deren Erfolge bestanden vielmehr darin, die Grundlagenforschung und die Entwicklung von KI-Algorithmen voranzubringen. In den ersten 50 Jahren seit ihrer Gründung hat die KI Zyklen von hoffnungsfrohen Frühlingen und enttäuschenden Wintern durchgemacht. Doch an der Spitze der digitalen Revolution stand sie nie. Das begann sich jedoch vor 15 Jahren zu ändern.
KI-Algorithmen findet man heutzutage in vielen digitalen Produkten. Oft arbeiten sie im Hintergrund und tragen zur Effizienzsteigerung bei.
Ein bislang verhöhnter Teilbereich der KI leitete seinen Eroberungsfeldzug ein, zunächst in die Forschungslabore und anschließend in die Großraumbüros der Entwickler. Das sogenannte maschinelle Lernen wurde in den 1950er-Jahren mit der Prämisse konzipiert, gewünschtes Verhalten nicht über Regeln einzuprogrammieren, sondern über Beispiele zu vermitteln. Doch der Mangel an Trainingsdaten und an Rechenressourcen hat dieses Konzept zum Scheitern gebracht. Die heutige Triade von Massendaten, Rechenleistung und Algorithmen haben eine Reihe von Anwendungen massenmarkttauglich gemacht: von Bilderkennung und Sprachverarbeitung über Empfehlungssysteme in Videoportalen und E-Commerce-Plattformen bis zu vorausschauender Wartung von Großanlagen. KI-Algorithmen findet man heutzutage in vielen digitalen Produkten. Oft arbeiten sie im Hintergrund und tragen zur Effizienzsteigerung bei. Der KI-Erfolg geht weit über Produkte für Endanwender hinaus. In den letzten Jahren ist eine agile KI-Wirtschaft entstanden, die den Markt für Unternehmenskunden bedient. Ein Unternehmen bietet zum Beispiel KI-Module für die automatische Textgenerierung an. Mithilfe dieser Module lassen Banken, Nachrichtenportale und Werbeagenturen nach Vorlagen Texte formulieren. Ein anderes Unternehmen macht die Produktivitätsverluste von Anlagen mit Hilfe von KI-Technologien messbar. Es optimiert die Anlagenproduktivität durch Vollauslastung von Maschinen. Ein Start-up betreibt mit KI ein Scouting von Zulieferern für die Automobilbranche. Bei all diesen Beispielen liefern die Dienstleister mithilfe von KI hochwertige maßgeschneiderte Lösungen an den Kunden.
Ein Programm, das mit Beispieldaten trainiert wird, kann zur Erkennung von Betrugsfällen etwa in der Versicherungsindustrie eingesetzt werden.
Der Erfolg des maschinellen Lernens hat eine weitere, oft übersehene Komponente: Die Machine-Learning-Community stellt quelloffene und kostenlose Programmiergerüste, sogenannte Frameworks, zur Verfügung. Mit diesen können Entwickler ohne tiefes Vorwissen einfach und unkompliziert KI in ihre Apps einbauen. Ein Programm, das mit Beispieldaten trainiert wird, kann zur Erkennung von Betrugsfällen etwa in der Versicherungsindustrie eingesetzt werden. Frameworks wie TensorFlow, PyTorch und Create ML nehmen den Entwicklern einen wichtigen Teil der Arbeit ab. Diese Frameworks bieten auch Nicht-Informatikern, etwa Ingenieuren, die Chance, mit vergleichsweise geringem Aufwand selbst KI-Anwendungen zu entwickeln. Der renommierte KI-Pionier Kai-Fu Lee argumentiert, dass wir im Zeitalter der KI-Implementierung leben. KI-Forschung ist weniger wichtig als KI-Einsatz. Wir haben bereits zuverlässige Algorithmen der Bilderkennung, Sprachverarbeitung und Datenanalyse. Nun gilt es, industrielle Use Cases zu konzipieren und umzusetzen. Die oben zitierte Bitkom-Studie zeigt nicht nur, dass die Wirtschaft KI für außerordentlich wichtig hält, sondern auch, dass sie sich schwer damit tut, KI praktisch zu nutzen. Gerade einmal sechs Prozent der Unternehmen setzen KI selbst ein. Nur rund jedes fünfte Unternehmen plant die KI-Nutzung oder diskutiert zumindest darüber. Politik und Wirtschaft ergreifen konkrete Maßnahmen, um dies zu ändern. Innovative Unternehmen stellen branchenspezifische Anwendungsfälle als Blaupausen zur Verfügung. Start-ups zeigen mit ihrem KI-Vorsprung etablierten Unternehmen, wie sie KI erfolg- und ertragreich nutzen können. Und die internationale Forschungsgemeinschaft verschiebt die Grenzen des Machbaren jeden Tag aufs Neue.

Der KI-Campus

Im Oktober 2019 wurde der Startschuss für den Aufbau einer digitalen Lernplattform zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) gegeben. Dabei handelt es sich um ein auf drei Jahre angelegtes und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Pilotprojekt. Motivation und Ziel des Projekts „KI-Campus – die Lernplattform für Künstliche Intelligenz” ist es, eine breite Befähigung im Umgang mit KI zu vermitteln, um für die Herausforderungen den damit verbundenen technischen und gesellschaftlichen Veränderungen gewappnet zu sein. Der KI-Campus soll diesem Bedarf durch die Entwicklung einer offenen Lernplattform begegnen, auf der sich die Nutzer untereinander sowie mit Professoren und anderen Fachexperten vernetzen und sich mit hochwertigen, digitalisierten Lernangeboten weiterbilden können.

„Lernt, gesamtheitlich zu denken“

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Prof. Dr. Fritz Indra aus Österreich hat beim Thema E-Auto seine ganz eigene Meinung. Lange Jahre war er Motoren- und Fahrzeugentwickler bei BMW Alpina, Audi, Opel und GM. Zudem unterrichtete er an der Universität Wien Ingenieure. Im karriereführer ingenieure begründet er, warum seiner Ansicht nach Elektroautos nicht die Lösung für den Verkehr der Zukunft sind. Die Fragen stellte Sabine Olschner

Sie kritisieren die Entwicklung im Bereich der Elektromobilität. Was sind Ihre konkreten Kritikpunkte? Was mich am meisten stört: Die Politik in Mitteleuropa fördert den Verkauf von Elektroautos – also von Autos, die eigentlich keiner kaufen dürfte, wenn er sich das Fahrzeug einmal genauer anschauen würde. Meiner Ansicht nach werden Elektroautos von der Politik völlig falsch eingeschätzt. Inwiefern? Die Politik interessiert es nur, wie sauber ein Auto im Betrieb ist. Mit seinem guten Wirkungsgrad schaut der Elektromotor hier natürlich gut aus. Dabei wird aber übersehen, das Elektroauto ganzheitlich zu beurteilen. Wenn man den gesamten Lebenszyklus betrachtet, leistet das Elektroauto keinerlei Beitrag zum globalen Klimaschutz. Hier vor Ort mag das Klima durch das Elektroauto besser werden, aber an anderen Stellen auf der Welt verschlechtert sich das Klima. Das gilt vor allem für die Lithium-Ionen-Batterie: Ihre Herstellung benötigt wahnsinnig viel Energie. Die Produktion erfolgt vornehmlich in China, dort werden alle paar Wochen neue Kohlekraftwerke eröffnet, um den steigenden Energiebedarf der Industrie zu decken. Auch der Betrieb des Elektroautos bei uns vor Ort benötigt zusätzlichen Strom – aber wir haben keinen überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien. Deshalb werden auch wir weiterhin Kohlekraftwerke brauchen, um den Strom für die Ladung der E-Autos zu produzieren. Damit ist auch im Betrieb ein Elektroauto umweltschädlicher als ein Auto mit Verbrennungsmotor.
Wir werden junge Ingenieure brauchen, die das Ganze noch besser machen.
Wie steht es um die Lebenszeit eines Elektroautos? Für den Austausch der Batterie gibt es bislang noch keine befriedigende Lösung. Damit stirbt das Auto zusammen mit der Laufzeit der Batterie. Im Schnitt nach acht Jahren lässt die Laufzeit stark nach, somit wird das Auto unbrauchbar und lässt sich nicht mehr verkaufen. Das Lithium und das Kobalt in der Batterie lassen sich kaum extrahieren. Man forscht zwar an Möglichkeiten, aber diese sind sehr teuer, weswegen sich das Recycling der Batterie finanziell nicht lohnt. Damit landet das gesamte Auto nach acht Jahren auf dem Schrottplatz. Herkömmliche Autos fahren 20, 30 Jahre oder sogar länger. Der Verbrennungsmotor ist ja nun aber auch nicht gerade umweltfreundlich. Was wäre also Ihre Lösung? Wenn wir nach China schauen, liegt dort meiner Ansicht nach eine Lösung: Die Chinesen arbeiten derzeit an neuen Verbrennungsmotoren, die einen besseren Wirkungsgrad haben. Diese Motoren verbrauchen synthetische Kraftstoffe, die bei der Herstellung CO2 aufnehmen. Dadurch wird der Betrieb eines Autos klimaneutral. Das ist in Summe ein viel besseres Paket als ein Elektroauto. Denn zum einen macht ein Auto mit synthetischen Kraftstoffen den Verkehr sauberer. Zum anderen ist es kundengerecht, weil es eine genauso gute Reichweite hat wie herkömmliche Verbrenner und genauso schnell zu betanken ist. Aus Sicht des Kunden gibt es also überhaupt keinen Grund, warum er sich ein Elektroauto kaufen soll, das zudem teurer ist als bisherige Autos. Wie schaut es mit der Brennstoffzelle als Lösung aus? Hier liegt das Problem bei der Betankung: Der Wasserstoff, der der Brennstoffzelle Strom liefert, braucht zum einen viel Platz zur Lagerung und muss zum anderen auf etwa 1000 bar verdichtet werden. Dazu benötigt man an der Tankstelle dreistufige Kolbenkompressoren. Zudem muss der Wasserstoff bei der Verdichtung immer wieder zwischengekühlt werden. Bevor er in den Tank geleitet wird, muss er am Ende auf minus 40 Grad heruntergekühlt werden. Dieser Prozess ist lange, teuer und aufwendig, sodass er an Tankstellen kaum umzusetzen ist. Was raten Sie denn nun jungen Ingenieuren, die in die Automobilbranche einsteigen möchten? Ich habe meinen Studierenden an der Universität Wien immer gesagt: Lernt, gesamtheitlich zu denken! Glaubt nicht an alles, was die Politiker auf diesem Gebiet erzählen, schließlich seid ihr die Ingenieure. Ihr müsst an den Problemen, die auf uns zukommen, sinnvoll weiterarbeiten. Dabei muss es ja nicht immer ein radikaler Schnitt sein. Wenn man sich etwa die Autos mit Verbrennungsmotor anschaut, so sind sie im Laufe der Jahre immer sparsamer und sauberer geworden. Auch das ist schon ein großer Fortschritt. Wir werden junge Ingenieure brauchen, die das Ganze noch besser machen, indem sie zum Beispiel neue Verbrennungsmotoren entwickeln, wie es in China bereits geschieht. Ich bin der Meinung, dass ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor das Einzige ist, womit Otto Normalverbraucher zufrieden bleibt und das er sich auch in Zukunft leisten kann. Und für die Umwelt ist es so auch besser.

Zukunft von Robotaxis und -Shuttles

Laut der aktuellen Studie „Urbane Mobilität und autonomes Fahren im Jahr 2035“ der Unternehmensberatung Deloitte verändern selbstfahrende Taxis und Shuttles die Art und Weise, wie wir uns in den Städten von morgen fortbewegen werden. Robotaxis und autonome Fahrdienste haben zwar ein großes Marktpotenzial. Aber die Erwartungen, dass sie zu weniger Staus und besser fließendem Verkehr auf unseren Straßen führen, werden sich nicht erfüllen, so ein Studienergebnis. Die Anzahl der täglich mit dem Auto zurückgelegten Kilometer wird pro Person in deutschen Städten um rund ein Viertel ansteigen, weil auch Personen, die keinen Führerschein besitzen und bisher andere Verkehrsmittel genutzt haben oder zu Fuß gegangen sind, autonome Fahrzeuge nutzen werden. Außerdem wird es zu Leerfahrten der Fahrzeuge kommen, um zum nächsten Kunden zu gelangen. Wenn die Nutzung von Robotaxis und Roboshuttles nicht reguliert wird, wären durchschnittlich 30 Prozent mehr Autos gleichzeitig in den Städten unterwegs als heute, schätzt die Studie.

„Ich will Teil der Energiewende sein“

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Christoph Babbe arbeitet in der Windbranche. Der Elektroingenieur berichtet über seine Aufgaben bei eno energy systems: die Netzplanung und -berechnung für Windparks.

Auf dem Weg zu meiner Schule in Schleswig-Holstein an der Nordseeküste fuhr ich täglich an Windenergieanlagen vorbei. Schon früh war ich von der Technik begeistert. Aufgrund der Vielzahl an Windenergieanlagen in dieser Region nahm mein Interesse an dieser Technologie schnell zu. Nach dem Abitur war für mich daher klar, dass meine berufliche Laufbahn im regenerativen Bereich starten sollte: Ich wollte ein Teil der Energiewende werden. Um in Zukunft beruflich dennoch flexibel zu bleiben, wählte ich das Elektrotechnikstudium an der Universität Rostock. Beim Berufspraktikum im Bachelorstudiengang lernte ich bei eno energy systems die Projektierung von Windparks und die Produktion von Windenergieanlagen kennen. Meine Hauptaufgabe war, einen Umrichter-Teststand simulativ abzubilden. Zusätzlich erhielt ich durch meine Kollegen Einblicke in die Bereiche der Netzanbindung von neuen Windparks, die elektrische Zertifizierung sowie die Fehlersuche an Windenergieanlagen. Während des Masterstudiums arbeitete ich bei eno energy systems als Werkstudent an der Entwicklung einer neuen Baugruppe für die Ansteuerung des Generators mit. Durch die praktischen Erfahrungen während des Studiums wuchs mein Interesse an den regenerativen Energien. Daher entschied ich mich, in den folgenden Semestern die passenden Module aus den Bereichen Leistungselektronik und Energietechnik zu belegen. Nach meinem Abschluss als Master of Science im Bereich Elektrotechnik fing ich 2017 bei eno energy systems im Bereich der Netzplanung und -berechnung an. Meine Schwerpunkte: Ich plane das Mittelspannungsnetz der neu entstehenden Windparks bis zur Verbindung mit dem Verteilnetz des zuständigen Netzbetreibers und berechne die Einhaltung der Netzanschlussbedingungen durch die eingesetzten Windenergieanlagen. Ich begleite die Projekte vom Netzanschluss bis zur Inbetriebnahme der Übergabestation beziehungsweise des Umspannwerks. Im Zuge des Netzanschlusses eines neuen Windparks muss dieser elektrisch zertifiziert werden. Vor der Errichtung ist es notwendig, ein Zertifikat erstellen zu lassen, bei dem geprüft wird, ob der geplante Windpark allen Anforderungen nach den technischen Richtlinien entspricht. Wenn der geplante Windpark, wie in dem Zertifikat angegeben ist, errichtet wurde, muss eine Konformitätserklärung erstellt werden, in der die Übereinstimmung des errichteten Windparks mit dem geplanten Windpark geprüft wird. Diese Betreuung der Zertifizierung gehört zu meinen Aufgaben. Die Trafostation vor jeder unserer Windenergieanlagen stellt die Verbindung vom Mittelspannungsnetz des Windparks mit der Windenergieanlage dar. Die Spezifikation, die technische Betreuung der Bestellung und auch die Abnahme der Trafostationen im Windpark liegen mittlerweile in meinem Verantwortungsbereich. Das bisher interessanteste und zeitgleich das Projekt, das mich am stärksten forderte, war die elektrische Zertifizierung der Windenergieanlage eno126 – 3.5 / 4.0 MW mit einem Rotordurchmesser von 126 Metern. Im ersten Schritt war messtechnisch zu zeigen, dass die neue Windenergieanlage, die zunächst als Prototyp errichtet wird, sich den geltenden Richtlinien entsprechend verhält. Wir mussten nachweisen, dass die Windenergieanlage sich bei ändernder Frequenz, Spannung oder geändertem Sollwert innerhalb der zeitlichen und betragsmäßigen Grenzen an die Gegebenheiten anpasst und dass im Betrieb, beim Starten und Abschalten die Oberwellen innerhalb der Grenzwerte bleiben. Gerade für die Änderung der Spannung auf der Mittelspannungsebene ist ein erheblicher technischer Aufwand zu betreiben: Es werden große schaltbare Spulen und Kondensatoren in das System eingebaut, um die Spannung annähernd sprungartig zu ändern. Hierfür mussten wir ein unterstützendes Messinstitut finden, das die Technik für die Messungen bereitstellen konnte und im Anschluss die Messungen mit uns durchführte. Der zweite Schritt der Zertifizierung: das vermessene Verhalten durch Simulationen mit einem Modell der Windenergieanlage nachzubilden. Hierfür diente ein älteres Modell einer anderen Windenergieanlage als Grundlage, das ich an die neue Windenergieanlage und die neuen Richtlinien angepasst habe. Dieses Projekt dauerte insgesamt zwei Jahre. Wir haben es vor Kurzem erfolgreich abgeschlossen, sodass nun weitere Windenergieanlagen des Typs eno126 mit 3,5 beziehungsweise 4,0 MW Leistung ohne Prototypenstatus an die Netze in Deutschland angeschlossen werden können. Da die Entwicklung unaufhörlich voranschreitet, steht zeitnah bereits die nächste Generation von Windenergieanlagen, in Form der eno152 und eno160, im Feld und muss zertifiziert werden. Das Wissen aus meinem Studium war für meine berufliche Laufbahn eine gute Grundlage. Trotzdem musste ich mich in alle Bereiche einarbeiten und mir umfangreich neues Wissen aneignen. Aber gerade dieses ständige Lernen und die Vielfältigkeit der neuen Aufgaben, die gerade ein mittelständiges Unternehmen mit sich bringt, machen für mich den Reiz an meinem Job aus. Es begeistert mich jeden Tag aufs Neue, ein Teil der Energiewende geworden zu sein und mit meiner Leidenschaft meinen Lebensunterhalt verdienen zu können.

Linktipps zur Windenergie

Bundesverband der Offshore-Windparkbetreiber Das Branchenportal rund um die Windenergie Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien Branchennetzwerk für die Windenergie

Zirkuläre Wertschöpfung: Aus Alt mach Neu

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Die zirkuläre Wertschöpfung ist ein wirtschaftliches System, in dem Produkte nach ihrer Nutzungsphase wieder in ihre Komponenten zerlegt werden, die als Ausgangsstoffe für neue Produkte dienen. Es ersetzt das Konzept des „End of Life“ bestehender linearer Wertschöpfungsketten durch Wertschöpfungskreisläufe, die so weit wie möglich geschlossen werden. Von Dr.-Ing. Hans-Jürgen Schäfer, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Materials Engineering.

Das Konzept der zirkulären Wertschöpfung ist nicht neu. Einige Vordenker und Unternehmen haben bereits Ende der 1970er-Jahre praktische Anwendungen gezeigt. Zirkuläre Wertschöpfung bedeutet, Materialien aller Art durch sorgfältiges Design, Management und technologische Innovation auf ihren höchsten Nutzen und Wert zu bringen. Das übergeordnete Ziel ist, Materialien und Produkte durch wirtschaftlich und ökologisch effiziente Stoff-, Energie-, Arbeits- und Informationsflüsse im Kreislauf zu führen. Zirkuläre Wertschöpfung vermeidet oder verwertet Abfälle, integriert Stoffstrommanagement und Energiesystem auf nachhaltige Weise und minimiert Klima- und Umweltbelastungen ganzheitlich. Der Übergang von der linearen zur zirkulären Wirtschaft leistet einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung einer nachhaltigen, CO2-armen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Durch die Einführung einer zirkulären Wertschöpfung wird das Wirtschaftswachstum schrittweise vom Verbrauch endlicher Ressourcen entkoppelt. Insbesondere in Deutschland kann die Anhebung der Ressourceneffektivität zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Denn für die deutsche Industrie sind Ressourceneffizienz, klimaneutrale Energieversorgung und Klimaschutz wichtige Exportmärkte, die große Wachstumschancen beinhalten. Schaffen wir es, in Deutschland ein Wirtschaftsmodell zu errichten, das auf zirkulären Stoffkreisläufen, erneuerbaren Energien und klimaangepasstem Bauen basiert, bestehen sehr gute Chancen, diese Modelle in andere Länder zu exportieren. Insbesondere für Schwellenländer werden hier große Potenziale ausgerechnet. Für rohstoffarme Länder wie Deutschland lassen sich zudem die Kosten des Rohstoffverbrauchs durch zirkuläre Wertschöpfung deutlich senken und Wachstumseffekte erzielen. Bei Kunststoffabfällen zum Beispiel wird in Deutschland der größere Anteil durch Verbrennung entsorgt. Erst an zweiter Stelle folgt das Recycling des Kunststoffabfalls. Der verhältnismäßig geringe Anteil des Kunststoffrecyclings bedeutet nicht nur einen Verlust des Wertstoffs Kunststoff, sondern durch die Verbrennung auch eine Belastung des Klimas mit CO2 und im Falle des unkontrollierten Ausbringens in vielen anderen Ländern außerhalb Deutschlands eine große Belastung für die Umwelt. Die Belastung der Weltmeere mit Plastik ist inzwischen jedem bekannt.
Es ist eine Aufgabe von Ingenieuren verschiedener Ingenieurdisziplinen, den Wert von Materialien durch die Schaffung einer zirkulären Wertschöpfung zu erhalten.
Im EU-Durchschnitt werden nur rund 30 Prozent der Kunststoffabfälle für das Recycling gesammelt, in China sind es 25 Prozent, in den USA 9 Prozent. Sammlung bedeutet jedoch nicht, dass es auch recycelt wird. Die Notwendigkeit des Recyclings wird vielerorts gar nicht gesehen, teilweise stehen keine geeigneten Recycling-Technologien zur Verfügung. Deutschland steht im weltweiten Vergleich verhältnismäßig gut da und kann mit derzeitigen und weiterentwickelten Technologien eine Vorreiterrolle übernehmen. Recycling-Technologien bieten Exportchancen für deutsche Unternehmen. Diese Chancen sollten wir ergreifen. Es ist eine Aufgabe von Ingenieuren verschiedener Ingenieurdisziplinen, den Wert von Materialien durch die Schaffung einer zirkulären Wertschöpfung zu erhalten. Um die Stoffkreisläufe schließen und Werkstoffe – also Wertstoffe – möglichst oft wiederverwenden zu können, benötigen wir insbesondere ein Umdenken in der Produktentwicklung. Produkte müssen so konzipiert werden, dass sie sowohl den Anforderungen des Gebrauchs wie auch der Zerlegung in ihre Komponenten und der Separierung in kreislaufgerechte Stofffraktionen gerecht werden. Am Ende der Produktnutzungsphase soll ein Produkt so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig verändert werden müssen, um es wieder dem Stoffkreislauf zuführen zu können? Ein Hauptschlüssel zur Etablierung der zirkulären Wertschöpfung ist also ein Umdenken bei der Konstruktion von Produkten. Hier gibt es grundlegende Designprinzipien, die eine Zerlegung der Produkte nach ihrer Nutzungsphase ermöglichen und vereinfachen. Ein Produkt, das weitgehend werkstofflich recyclingfähig ist, soll
  • werkstofflich wiederverwertbare Komponenten enthalten,
  • aus langlebigen Werkstoffen bestehen,
  • lösbare Verbindungselemente aufweisen,
  • eine leichte Demontage sowie Austauschbarkeit seiner Bestandteile erlauben,
  • aus möglichst wenigen unterschiedlichen Werkstoffen bestehen.
Werden diese Prinzipien nicht eingehalten, werden sortenreine Trennung und Recycling oft erheblich erschwert oder nicht möglich sein. Zudem müssen geeignete Infrastrukturen geschaffen werden, um die Stoffe zu sammeln und sortenrein getrennt den produzierenden Unternehmen wieder als Rohstoff zur Verfügung stellen zu können. Das betrifft Logistikdienstleister, aber auch Anlagenbauer, die eine sortenreine Trennung der Stoffkomponenten gewährleisten können. Ist die werkstoffliche Verwendung von Produkt-Rezyklaten nicht effizient, soll möglichst die rohstoffliche Verwertung erfolgen. Im Fall von Kunststoffen bedeutet dies, dass die Polymerketten unter anderem durch Einwirkung von Wärme wieder zu petrochemischen Grundstoffen wie Öle und Gase gespalten werden, die dann erneut zur Herstellung hochwertiger Kunststoffprodukte eingesetzt werden können. Hier sind besondere chemische Kenntnisse erforderlich. Die zirkuläre Wertschöpfung betrifft auch andere Bereiche, wie Architektur und Bautechnik.
Aus Wertschöpfungsketten sollen Wertschöpfungsnetzwerke werden.
Die zirkuläre Wertschöpfung ist inzwischen bei fast allen großen und vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in den Unternehmensstrategien angekommen. Es gibt zahlreiche Beispiele für zirkuläres Produktdesign und neu geschaffene Wertschöpfungsnetzwerke. Das Thema gewinnt rasant an Bedeutung. Derzeit setzen sich alle Stakeholder – Industrie, Wissenschaft, Politik und Verbraucherverbände – an einen Tisch und loten gemeinsam Möglichkeiten aus. Aus Wertschöpfungsketten sollen Wertschöpfungsnetzwerke werden. Der Verein Deutscher Ingenieure gestaltet entsprechende Gesprächskreise seit 2019. Die zirkuläre Wertschöpfung ist auch bereits in politische Rahmenbedingungen eingezogen. Schließlich muss uns aber auch bewusst sein, dass es zwar theoretisch möglich ist, fast jedes Produkt wieder sortenrein zu zerlegen. Doch ist das nicht immer sinnvoll. Wenn wir mehr Energie und materielle Ressourcen für Recyclingverfahren aufwenden und mehr CO2 und andere Schadstoffe dabei freisetzen als bei den Verbrennungsprozessen, ist das ökonomisch und ökologisch nicht mehr sinnvoll. Eine 100-prozentige Kreislaufführung werden wir daher in naher Zukunft nicht erreichen. Aber sehr deutlich erhöhte Recyclingquoten sind technisch in naher Zukunft sehr wohl möglich und werden uns wie oben erwähnt ganz nebenbei wirtschaftliche Vorteile und Beschäftigungsmöglichkeiten bieten.

Nachhaltiges Engagement im Green Office

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Anfang Mai gründeten Marlon Welsch, Mira Dickel und Lisa Bartkowiak, drei Studierende der Hochschule Fresenius, zusammen mit Pressesprecherin Melanie Hahn das Green Office am Kölner Campus. Das Green Office ist ein Büro für Nachhaltigkeit und eine zentrale Anlaufstelle für Ideen, Kritik und Fragen zur nachhaltigen Entwicklung des Campuslebens. Das Anliegen der Studierenden: einen aktiven Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Von Marlon Welsch, Mira Dickel und Lisa Bartkowiak, Hochschule Fresenius

Wie fanden wir drei zusammen? Marlon Welsch studiert International Business Management an der Hochschule Fresenius und hatte die Idee für mehr Nachhaltigkeit an der Hochschule im Rahmen einer Projektarbeit 2019. Bei seiner Recherche stieß er auf das aus Maastricht stammende Konzept des Green Office. Von diesem Konzept war er sofort begeistert und wollte es auch an unserer Hochschule einführen. Die Mitgründerin Lisa Bartkowiak erfuhr über ihre Studiengangsleiterin des Studiengangs Tourismus-, Hotel- und Eventmanagement von der Idee. Da sie sich schon vor ihrem Studium sehr für nachhaltige Themen interessiert hatte, stellte ihre Studiengangsleiterin den Kontakt zwischen Marlon und ihr her. Auch die Psychologiestudentin Mira Dickel engagierte sich zuvor für mehr Nachhaltigkeit. Ihr war aufgefallen, dass in unserer Kölner Kantine keine umweltfreundliche Alternative für Einweg- Kaffeebecher angeboten wurde. Mit diesem Anliegen wandte sie sich direkt an die Hochschulleitung, die sie auf das Engagement ihrer Kommilitonen aufmerksam gemacht hat. Zwischenzeitlich hat sich der Hochschulpräsident dafür eingesetzt, dass es nun ein Pfandbechersystem in der Kantine gibt. Trotz der coronabedingten Umstände entwickelten wir drei ein Konzept für ein digitales Green Office, um nachhaltige Ideen und Themen umsetzen zu können. Von unserer Idee konnten wir den Hochschulpräsidenten und die Hochschulleitung schließlich überzeugen. Unser grundlegendes Ziel ist es, eine Plattform für Nachhaltigkeit zu schaffen. Das Green Office soll Studierende, Dozierende und Mitarbeitende vor Ort dazu motivieren und inspirieren, ihr Handeln zu überdenken und sich mehr dem Thema Nachhaltigkeit zuzuwenden. Wir arbeiten daran, nachhaltige Ideen gemeinsam mit den anderen Stakeholdern der Hochschule zu entwickeln und somit ein Netzwerk auf die Beine zu stellen. Momentan bauen wir unsere Social-Media-Kanäle auf, um insbesondere die Studierenden auf die Notwendigkeit von nachhaltigen Konzepten aufmerksam zu machen. Des Weiteren soll eine aktuelle Bestands aufnahme gemacht werden, um das ökologische Verbesserungspotenzial an unserer Hochschule wirkungsvoll ausschöpfen zu können. Dafür haben wir bereits Wünsche und Kritik der Studierenden gesammelt und Lösungsansätze entwickelt.

Die Green-Office-Bewegung

Ein kostenloser Onlinekurs der Green-Office-Bewegung für Studierende, die selber ein Green Office an ihrer Hochschule starten möchten.
Wir Green-Office-Mitglieder sind als studentische Hilfskräfte für je 25 Stunden im Monat am Kölner Standort der Hochschule Fresenius angestellt. Wir unterstützen die Hochschule bei der Koordinierung und Umsetzung fachund standortübergreifender Nachhaltigkeitsaktivitäten. Da wir uns in den höheren Semestern befinden und unser Studium daher bald endet, werden nun Nachfolger beziehungsweise Nachfolgerinnen für das Projekt gesucht. Dies können Studierende aller Präsenz- und Online-Studiengänge an der Hochschule sein. Umweltschutz macht nicht vor bestimmten Studiengängen halt, sondern betrifft uns alle. Es ist sogar von Vorteil, wenn möglichst viele Studiengänge im Green Office vertreten sind, damit sich die Mitglieder mit verschiedenem Vorwissen und Kenntnissen gegenseitig unterstützen und inspirieren können. Studierende, die sich für das Thema Nachhaltigkeit interessieren und einen aktiven Beitrag leisten wollen, können sich also gerne bewerben. Bei der Arbeit werden die Stärken der Mitglieder gefördert, und sie können sich in nachhaltigen Themen weiterbilden. Das Green Office am Standort Köln befindet sich noch am Anfang und daher auch in einem stetigen Lernprozess. Wir haben jedoch schon einige Erfahrungen gesammelt und teilen diese gerne schon jetzt mit anderen Studierenden, die ebenfalls ein solches Projekt an ihrer Hochschule oder Universität umsetzen möchten. So haben wir bereits gelernt, wie wichtig konkrete Zielsetzungen und eine offene Kommunikation sind. Das Gleiche gilt für Alternativstrategien, da jederzeit Hindernisse auftauchen könnten und nicht immer alles nach Plan läuft. Hierbei sind die Erfahrungen anderer Green Offices eine große Hilfe.

Kontakt zum Green Office der Hochschule Fresenius

E-Mail: greenofficekoeln@hs-fresenius.de Instagram: frese.green.office Facebook: Frese Green Office YouTuBe: FreseZoom

Grüne Ideen für die Mobilität

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Mit Hilfe von Green-Mobility-Konzepten soll das Verkehrsaufkommen vermindert und die Lebensqualität erhöht werden. Die Verkehrspolitik, Stadtplaner, aber auch Ingenieure und andere Akteure sind gefragt, um passende Lösungen zu entwickeln. Von Sabine Olschner

Nachhaltig, umweltschonend, sozial verträglich und unfallarm: Das sind die Eigenschaften von Green Mobility – auch „Sanfte Mobilität“ genannt. Gefördert werden sollen Fortbewegungsarten wie zu Fuß gehen, Radfahren und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Vertreter einer sanften Mobilität fordern von der Verkehrspolitik und -planung, durch eine veränderte Infrastruktur unnötiges Verkehrsaufkommen zu vermeiden und Verkehrsmittel der sanften Mobilität attraktiver zu machen. Lösungen könnten verkehrsberuhigte Zonen oder der Rückbau von Straßen sein. Aber auch eine Anhebung der Mineralölsteuer, ein Ökobonus-System, intelligente Parkraumbewirtschaftung, Lkw-Nachtfahrverbote oder eine Innenstadtmaut wären denkbar. Verschiedene Akteure arbeiten bereits an konkreten Lösungen oder setzen sie sogar schon ein. So wurden in der Digitalstadt Darmstadt unter anderem die Ampelschaltungen dem individuellen Verkehrsaufkommen angepasst. Fußgänger an Schulwegen müssen niemals länger als 40 Sekunden auf eine grüne Ampel warten. Ein städtischer Verkehrsrechner sammelt zudem Daten, der die Ströme der Verkehrsteilnehmer – also Fußgänger, Öffentlicher Nahverkehr und Individualverkehr – regelt. Düsseldorf hat einen Masterplan Green-City Mobility (PDF) entworfen. Ziel ist es unter anderem, die Mobilitätsangebote in der Stadt und der Region zu verbessern und verkehrsbedingte Luftschadstoffemissionen zu vermeiden. So sollen an Mobilstationen Angebote für E-Roller, Car-Sharing, Bike- und E-Bike-Sharing zusammengeführt werden. Schnellbusse und Metrobusse, die nicht überall halten, sollen Sonderfahrspuren nutzen und an Lichtsignalanlagen bevorrechtigt werden. Durch die Nutzung von Park & Ridebeziehungsweise Bike & Ride-Anlagen in Verbindung mit dem ÖPNV sollen innerstädtische Straßen entlastet und damit die Luftqualität verbessert werden. Der Ausbau von Radwegenetzen und Radschnellwegen, der Einsatz von saubereren Euro-6-Bussen und E-Bussen, die Nutzung von E-Fahrzeugen der Stadtverwaltung durch Privatpersonen in Nebenzeiten und am Wochenende, Radabstellanlagen, Fahrradboxen und Fahrradparkhäuser – all das soll die grüne Mobilität von Düsseldorf verbessern.

Grüne Mobilitätslösungen

Das Unternehmen Siemens zeigt auf einer interaktiven Website, wie grüne Mobilitätslösungen technisch aussehen können.
Auch international ist Green Mobility schon länger ein Thema. In den Jahren 2013, 2015 und 2017 fand in Südkorea, Südafrika und Taiwan das EcoMobility World Festival statt. Die Idee dazu hatte der deutsche Stadt- und Umweltplaner Konrad Otto-Zimmermann. Während des Festivals wurde jeweils ein Stadtquartier in den teilnehmenden Städten einen Monat lang zu einer autofreien Zone. Das Experiment sollte den Stadtbewohnern Anreize geben, mehr zu laufen, zu radeln oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und ihre Gewohnheiten auch dauerhaft zu ändern.

Homeoffice reduziert CO₂-Ausstoß

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Eine Studie im Auftrag von Greenpeace hat berechnet, dass 5,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart werden könnten, wenn Angestellte dauerhaft von zu Hause arbeiten würden. Von Sabine Olschner

Als die Corona-Pandemie ausbrach, haben viele Unternehmen ihren Mitarbeitenden Homeoffice verordnet: Statt täglich ins Büro zu fahren, haben sie von zu Hause gearbeitet. Studien beziffern den zeitweisen Telearbeit-Anteil während des Corona-Lockdowns in Deutschland zwischen 25 und 37 Prozent. Das Arbeiten im Homeoffice sparte den Angestellten nicht nur Fahrzeit, sondern entlastete auch den Verkehr: Zehntausende von Pendlern blieben den Straßen und Schienen fern. Wie stark sich wegfallende Pendelwege auf das Klima auswirken, hat die Berliner Denkfabrik IZT im Auftrag von Greenpeace kalkuliert. Für die Berechnung ist die Studienleitung von zwei Szenarien ausgegangen: Bei der ersten Variante nahm sie an, dass 25 Prozent aller Arbeitnehmenden ein oder zwei Tage in der Woche im Homeoffice arbeiten. Die zweite Variante geht von 40 Prozent Heimarbeitenden an einem oder zwei Tagen pro Woche aus. Wenn nur 25 Prozent der Mitarbeitenden einen Tag zu Hause blieben, würden bereits 1,6 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Das Ergebnis für Variante zwei mit zwei Tagen Homeoffice: Rund 35 Milliarden Personenkilometer wegfallende Pendelfahrten würden den CO2-Ausstoß um 5,4 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren. Das entspricht 18 Prozent aller beim Pendeln entstehenden Emissionen. Zudem würde sich der tägliche Verkehr in vielen Städten entspannen. Für die Berechnung wurden die Gesamtemissionen des Pendelverkehrs in Deutschland aus dem Datensatz „Mobilität in Deutschland“ 2017 des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur zugrunde gelegt. Nach den Ergebnissen dieser Studie fordert Greepeace von der Politik, dass Arbeitende, deren Tätigkeiten sich auch von zu Hause erledigen lassen, rechtlich nicht an Telearbeit gehindert werden sollten. Zudem sollten durch einen raschen Ausbau von Glasfaseranschlüssen und die Einführung eines flächendeckenden 5G-Netzes für alle Haushalte, auch in ländlichen Regionen, die Voraussetzungen für Telearbeit geschaffen werden. Und nicht zuletzt sollten Steuervorteile für das Homeoffice eingeführt und die Pendlerpauschale abgeschafft werden. Die so gewonnen Steuereinnahmen sollten, so meint Greepeace, in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs fließen. „Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, sind auch kleine Schritte nötig. Telearbeit auszuweiten, ist dabei eine Möglichkeit, die weltweiten Emissionen aus dem Personenverkehr zu begrenzen“, sagt Greenpeace.

Ideen-Coaching Kultur-, Buch- und Linktipps

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Die Wirtschaft ist infiziert

Cover Der WirtschaftsvirusNicht nur Menschen haben sich mit COVID-19 angesteckt, auch die Wirtschaft ist infiziert. Das Virus trifft durch Handelskriege und Zölle geschwächte Unternehmen, und Deutschland als Exportweltmeister bekommt das doppelt zu spüren. Die Frage ist, wie es weitergeht: Ist unsere Firma stark genug, das zu überstehen? Wie lange funktioniert das Modell Kurzarbeit? Verliere ich meinen Arbeitsplatz? Sind mein Erspartes und meine Altersvorsorge in Gefahr? Wie hilft uns eigentlich die Europäische Zentralbank – oder hilft die nur den Banken? Wie viel Geld hat unser Staat noch in petto? Wird uns diese Krise so lange nachhängen wie die letzte Finanzkrise? Müssen wir komplett neu denken? Weg vom immer schneller, besser, globalisierter? Das sind die Fragen, die Markus Gürne, Leiter der ARD-Börsenredaktion, beantwortet. Markus Gürne: Der Wirtschafts-Virus. Wie Corona die Welt verändert und was das für Sie bedeutet. Econ Verlag 2020. 20 Euro

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Foto: AdobeStock/Sentavio
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Mit dem Laptop auf dem Sofa eine Ausstellung erleben anstatt ins Museum zu gehen – spätestens seit Corona ist das nichts Ungewöhnliches mehr. Das ZDF präsentiert in der Digitalen Kunsthalle eine interessante Auswahl an Ausstellungen, in Kooperationen mit zahlreichen deutschen Kulturinstitutionen. So ist beispielsweise die Ausstellung „Max Beckmann. weiblich-männlich“ seit Ende September in der Hamburger Kunsthalle zu sehen, zudem kann man online 50 der kuratierten Werke entdecken. Bis Ende des Jahres ist außerdem eine Ausstellung über Beethoven im Angebot – inklusive Führung mit dem Schauspieler Devid Striesow.

Podcast für Gründer

Foto: AdobeStock/zaurrahimov
Foto: AdobeStock/zaurrahimov

Sidepreneurs – der Podcast ist nach seiner Zielgruppe benannt: Es geht um nebenberufliche Gründer. Die Macher Peter-Georg Lutsch und Juliane Benad haben beide neben ihrem Angestellten-Job ein Unternehmen gegründet. Mittlerweile haben sie über 200 Podcast-Folgen veröffentlicht, darunter zahlreiche Interviews und Folgen mit viel praktischem Input zum nebenberuflichen Unternehmertum.

Erfinderinnenpreis

In vier Kategorien wird der women & work-Erfinderinnenpreis verliehen: Technologie, Service & Sozial, Geschäftsmodell & Organisation und Sonderpreis Humanismus 4.0. Mit dem Preis soll auf weiblichen Erfinderinnengeist aufmerksam gemacht werden. Bewerbungsschluss ist der 10. April 2021.

Leicht und sicher

SLRV, Foto: DLR
SLRV, Foto: DLR

Mit dem Safe Light Regional Vehicle (SLRV) zeigt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt eine Möglichkeit für eine emissionsfreie, leise und individuelle Mobilität. Das neuartige Pendlerfahrzeug ist mit nur rund 90 Kilogramm sehr leicht und gleichzeitig durch seine Sandwichbauweise besonders sicher: Das eingesetzte Material besteht aus einer metallenen Decklage und einem Kunststoffschaum im Inneren. Der Vorder- und der Hinterwagen sind aus Sandwichplatten zusammengesetzt und dienen als Crashzonen. Dort ist auch ein Großteil der Fahrzeugtechnik untergebracht. Die Fahrgastzelle besteht aus einer Wanne mit einer aufgesetzten Ringstruktur. Diese nimmt die Kräfte auf, die während der Fahrt auf das Auto wirken und schützt die Insassen bei einem Unfall. Das SLRV ist mit einem hocheffizienten Brennstoffzellenantrieb ausgestattet, der das Fahrzeug auf 120 Stundenkilometer beschleunigen kann. Die Karosserie des Zweisitzers ist 3,80 Meter lang und niedrig – für einen möglichst geringen Luftwiderstand.

Ökomedizinischer Umbruch gefordert

Cover Wir können es besserErst durch negative Umwelteinflüsse konnte COVID-19 zu einer Pandemie werden. Wer nun denkt, dass uns Abstand, Masken und ein Impfstoff auf Dauer retten werden, begreift nicht den Ernst der Lage. Das Coronavirus ist nur ein Symptom. Es steht für einen Lebensraum, der uns zunehmend krankmacht. Anhand neuester Studien zeigt Clemens Arvay, wie Gesundheitskrisen und Umweltzerstörung zusammenhängen. Dabei weist er nach, dass COVID-19 in Wirklichkeit ein Umweltskandal ist – und dass sowohl Politik als auch Medien seit Monaten viel zu einseitig auf die Krise reagieren und damit fatalen Schaden anrichten. Er fordert einen ökomedizinischen Umbruch – und zeigt, was jeder tun kann, um gesund zu bleiben. Clemens G. Arvay: Wir können es besser. Wie Umweltzerstörung die Corona-Pandemie auslöste und warum ökologische Medizin unsere Rettung ist. Quadriga Verlag 2020. 20 Euro

Emissionsfreie Flugzeuge

Foto: Airbus
Foto: Airbus

Mit ZEROe – kurz für „zero emissions“ – stellt Airbus drei neue Flugzeugmodelle vor, die emissionsfrei fliegen sollen. Die Hauptstromquelle der Flieger ist Wasserstoff. Modell Nummer eins ist eine Maschine mit Düsentriebwerk für 120 bis 200 Passagiere. Das Gasturbinentriebwerk soll durch Verbrennung mit Wasserstoff anstelle von Düsentreibstoff angetrieben werden. Es könnte für Transkontinentalflüge eingesetzt werden. Modell Nummer zwei soll mit einer Propellerturbine ebenfalls durch Wasserstoffverbrennung betrieben werden und eignet sich vor allem für Kurzstrecken mit bis zu 100 Passagieren. Das dritte Modell (siehe Foto) könnte durch seinen außergewöhnlich breiten Rumpf Wasserstoff anders speichern und verteilen als die anderen Modelle. Es ist für bis zu 200 Passagiere ausgelegt und könnte ähnlich lange Strecken wie der Düsenjet zurücklegen. Die drei Flieger könnten laut Airbus 2035 an den Start gehen, sofern bis dahin Flughäfen eine Infrastruktur für den Transport und das Auftanken von Wasserstoff bereithalten.

Das letzte Wort hat: Dr. Dirk Gratzel, Projekt Green Zero

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Klimaneutral leben – das ist das Ziel von Dr. Dirk Gratzel. Der Jurist und ehemalige Personaler startete 2016 ein Projekt mit Ingenieuren der Technischen Universität Berlin, mit dem er die ökologische Bilanz seines Lebens zum Ausgleich bringen will. Sein Ziel: auf eine grüne Null zu kommen. Das Interview führte Sabine Olschner

Wie kamen Sie auf die Idee, Ihr Leben klimaneutral umzugestalten? Unter anderem anhand der Berichterstattung wissen wir alle, dass sich das Ökosystem Erde verschlechtert und der Mensch eine wesentliche Ursache dafür ist. Mit meinen fünf Kindern rede ich viel darüber, wie ein gutes Leben aussieht. Ich stelle fest, dass sie viel weniger Wert auf Materielles legen, als es meine Generation in jungen Jahren getan hat. Zudem verbringe ich als passionierter Jäger viel Zeit in der Natur und bemerke die Veränderungen. Das alles hat dazu geführt, dass ich mich immer unwohler gefühlt habe mit meinem Lebensstil. Ende 2016 beschloss ich, bis zu meinem Tode die ökologische Bilanz meines Lebens zum Ausgleich zu bringen. Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen? Ich hatte geglaubt, dass ich mit ein wenig Recherche jemandem finde, der mir eine Anleitung dazu an die Hand gibt. Ich musste allerdings feststellen, dass es dazu keinerlei Ideen und Konzepte gibt, nicht mal von Umweltverbänden oder vom Umweltministerium. Also habe ich die weltweit führenden Wissenschaftler für Ökobilanzierungen angeschrieben und kam in Kontakt mit Matthias Finkbeiner vom Lehrstuhl für Sustainable Engineering an der Technischen Universität Berlin. Wir haben 2017 ein dreistufiges Projekt ins Leben gerufen, mit dem ich wiedergutmachen will, was ich in den vergangenen rund 50 Jahren angerichtet habe. Wie sieht dieses Projekt konkret aus? Stufe eins war die Erarbeitung meiner Lebensökobilanz: Wo stand ich im Hinblick auf verschiedene Wirkungskategorien? Dazu wurde berechnet, wie viel Co2-Emissionen ich in meinem bisherigen Leben verursacht, wie viel Brennstoff ich verbraucht, wie viel ich zur Überdüngung unserer Böden, zur Smogbildung und zur Verkleinerung der Ozonschicht beigetragen habe. In Stufe zwei ging es um die ökologische Verbesserung meiner Lebensführung. Dazu habe ich mit dem WWF und dem NABU einen Katalog mit über 50 Maßnahmen erarbeitet, mit denen ich meine Emissionen um 60 bis 80 Prozent verringern konnte. Stufe drei, in der ich mich aktuell befinde, ist das aktive Wiedergutmachen der von mir verursachten ökologischen Schäden.
Dr. Dirk Gratzel, Foto: Privat
Dr. Dirk Gratzel, Foto: Privat
www.projekt-greenzero.de
Wie funktioniert diese Wiedergutmachung? Ich habe letztes Jahr eine knapp zwölf Hektar große ehemalige Bergwerksfläche gekauft, die ich renaturiere. Versiegelungen werden zurückgebaut, ich lege eine Streuobstwiese an und schaffe karge Areale, die frei von Nährstoffen sind. Das zieht seltene Tiere und Pflanzen an, die anderswo wegen der Überdüngung leiden. Die Bäume und Pflanzen binden in den nächsten 25 bis 30 Jahren so viel Kohlendioxid, wie ich in meinem Leben emittiert haben werde. Auch die Überdüngung und der Verlust von Artenvielfalt, den ich mit verursacht habe, werden dadurch ausgeglichen. Was können all jene tun, die auch umweltbewusster leben wollen? Ich ermuntere jeden, sich zunächst mit seiner häuslichen Wohnsituation, seinem Mobilitätsverhalten und seiner Ernährung auseinanderzusetzen. Das sind schon entscheidende Punkte, deren Veränderung nicht nur der Umwelt hilft, sondern auch einen Gewinn an Lebensqualität bringt. Nachhaltiges Leben hat nichts mit Verzicht zu tun – ganz im Gegenteil: Man lernt jeden Tag Neues dazu.  

Cover Projekt Green ZeroBuchtipp

Dirk Gratzel: Projekt Green Zero. Ludwig Buchverlag 2020. 18 Euro,

karriereführer informationstechnologie 2020.2021 – Cyber-Sicherheit 4.0: IT-Sicherheits-Know-how dringend gesucht

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Cover karriereführer informationstechnologie 2020-2021

Cyber-Sicherheit 4.0: IT-Sicherheits-Know-how dringend gesucht

Die Zahl der Hacker-Attacken steigt, auch mittelständische Unternehmen oder kleinere Organisationen werden zum Ziel der Angreifer. Ein aussichtloses Rennen? Nicht, wenn in die Sicherheitsarchitektur investiert wird. Was hilft, sind automatisierte Verfahren auf KI-Basis und Fachkräfte, die Themen wie AI und Security ganzheitlich denken. Auf diese Art entsteht eine Cyber-Sicherheit der nächsten Generation.

Cyber-Sicherheit 4.0

Die Zahl der Hacker-Attacken steigt, auch mittelständische Unternehmen oder kleinere Organisationen werden zum Ziel der Angreifer. Ein aussichtloses Rennen? Nicht, wenn in die Sicherheitsarchitektur investiert wird. Was hilft, sind automatisierte Verfahren auf KI-Basis und Fachkräfte, die Themen wie AI und Security ganzheitlich denken. Auf diese Art entsteht eine Cyber-Sicherheit der nächsten Generation. Ein Essay von André Boße

Ein kurzer Check der Nachrichtenlage Ende September 2020: Wer den Begriff „Cyber-Angriff“ in die News-Suchmaschine eingibt, erhält eine Reihe von Treffern, die Riege der Opfer ist gemischt: Sie kommen aus unterschiedlichsten Branchen, betroffen sind Unternehmen unterschiedlichster Größe – vom Kleinunternehmen über den Mittelstand bis hin zum Konzern, Institutionen, Organisationen und Behörden aus aller Herren Länder. Und nicht selten tauchten im Nachhinein sensible Daten nach derartigen Cyber-Angriffen frei einsehbar im Netz auf. Der mutmaßliche Hintergrund: Die Hacker wollten vier Millionen Dollar erpressen.

Unsicherheitsfaktor Mensch

Laut der Deloitte-Studie spielt menschliches Fehlverhalten eine große Rolle, wenn sich in Organisationen und Unternehmen große Sicherheitslücken ergeben. Bei den Verursachern stehen ungeschulte Mitarbeiter an erster Stelle, sie sind für 51 Prozent der von Menschen innerhalb des Betriebs verursachten Vorfälle verantwortlich. Mit Abstand folgen die Nutzung mobiler Endgeräte (37 %) sowie Social-Media-Aktivitäten (26 %). Die Unternehmen selbst wissen um diese Schwachstellen: Alle Studienteilnehmer schätzten den Informationsgrad der eigenen Mitarbeiter zu sicherheitsrelevanten Cyber-Themen als mittel bis niedrig ein. Fort- und Weiterbildungen sind also dringend notwendig.
Unklar ist dagegen weiterhin, wer hinter dem Cyber-Angriff auf die Düsseldorfer Uniklinik steckt. Diese Attacke ist ein besonders problematischer Fall, weil Krankenhäuser ein Teil der Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) darstellen. Als die Hacker das IT-System der Uniklinik lahmgelegt hatten, funktionierten dort die Prozesse nicht mehr; die Notaufnahme konnte nicht mehr angefahren werden, eine Patientin verstarb, mutmaßlich, weil ihr nicht früh genug geholfen werden konnte. Als „ein Desaster“ bezeichnete Lothar Kratz, Sprecher des Verbandes Krankenhausgesellschaft NRW, die Folgen der Hacker-Attacke in einem Interview mit der Deutschen Presse- Agentur (dpa). Aber hätte man diesen Angriff nicht verhindern können, gerade in einer Klinik, für die in Sachen Cyber-Sicherheit die harten KRITIS-Kriterien gelten? IT-Sicherheit zu erreichen, sei ein ständiger „Wettlauf mit den Hackern“, erklärt Lother Kratz der dpa. Wobei sich dieser Wettlauf in diesem Fall offenbar an der bekannten Geschichte vom Hasen und dem Igel orientiert: Egal, was die Verteidiger auch machen, die Angreifer sind schon weiter. Um mit ihnen mithalten zu können, brauche man sehr gutes IT-Security-Personal, sagt Kratz. Doch Fachkräfte seien rar. Es sei daher auch „eine Frage des Geldes“.

Altbackene Security macht es Hackern leicht

Wer heute als Nachwuchstalent mit Schwerpunkt IT-Sicherheit seine Karriere startet, darf sich also sicher sein: Die Nachfrage nach dem Know-how ist enorm. Jedoch sind solche Jobs undankbar, bei denen man eben die Rolle des Hasen einnimmt, der kaum eine Chance hat, den Igel zu erwischen. Das liegt jedoch nicht daran, dass Hacker besser sind als die Security-Spezialisten: Lutz Meyer, Partner bei der Beratungsgesellschaft Deloitte und dort Leiter des Bereichs Deloitte Private, der sich auf mittelständische Unternehmen fokussiert, nennt als Grund für den Rückstand der Verteidiger, dass „lange Zeit Sicherheitsaspekte im Kontext des Internets und der Digitalisierung zu sehr vernachlässigt worden sind“. „Cyber Security im Mittelstand“ heißt die von ihm verantwortete Studie, und sie zeigt, wo bei den mittelständischen Unternehmen – „den wahren Erfolgsträgern der deutschen Wirtschaft“, wie Meyer schreibt – die Probleme liegen. So hätten die mittelgroßen und kleineren Unternehmen bisher bei Cyber-Attacken nicht so sehr im Mittelpunkt gestanden wie die großen Konzerne.

Damit aus der Corona-Krise keine Security-Krise wird

Für viele Sicherheitsstrategen ist es ein Albtraum, wenn immer mehr Mitarbeiter nicht mehr an ihrem Böroarbeitsplatz tätig sind, der an das interne IT-System angedockt ist, sondern von zu Hause mit eigenen Devices und eigenen Netzwerken arbeiten. Die Initiative Cyber Security Cluster hat einen Leitfaden veröffentlicht, der Unternehmen, IT-Abteilungen und Mitarbeitern Orientierung gibt, wie sich Daheim ein sicherer Home-Office- Platz einrichten lässt und welche Fehler dabei unbedingt vermieden werden sollten.
„Daraus“, so Meyer, „sollte man jedoch nicht folgern, dass sich Mittelständler zurücklehnen und allzu sicher fühlen dürfen.“ Ein Blick auf die IT-Security-Architektur zeige häufig schnell, dass dieses Sicherheitsgefühl trügt. Meyer erläutert: „Veraltete Systeme, unzureichende Sicherheitsstandards und nicht zuletzt menschliche Fehler können auch im Mittelstand zu enormen, teilweise existenzbedrohenden Situationen während eines Cyber-Angriffs oder in unmittelbarer Folgezeit führen.“ Dennoch werde, so zeigt es eine Umfrage zur Studie, das Risiko bei vielen mittelständischen Unternehmen weiterhin unterschätzt: Für 48 Prozent der befragten Unternehmen stellen Cyber-Risiken kein zentrales Thema dar, mehr als ein Drittel verfügt im Fall der Fälle nicht einmal über einen Notfallplan. Dabei, so wird es in der Studie klargestellt, „ist die Reaktionsgeschwindigkeit eine der größten Herausforderungen bei der Abwehr einer Cyber-Attacke.“

Bedrohung von morgen ist längst heute aktuell

Viele millionenschwere Unternehmen schützen sich also nicht nennenswert mehr, als es auch private Nutzer tun. Das ist eine dramatische Schieflage.
Wer weder das Risiko richtig einschätzt noch eine Idee hat, wie und mit welchem Expertenwissen man diese abwehren könnte, wird für Hacker zum leichten Opfer. „Ein Großteil der Abwehrmaßnahmen, die die befragten Unternehmen im Bereich Cyber-Security ergreifen, geht selten über die klassischen Rahmenwerke für IT-Sicherheit wie Virenscanner oder Firewalls hinaus“, fasst Studien-Autor Lutz Meyer im Summary zusammen. Viele millionenschwere Unternehmen schützen sich also nicht nennenswert mehr, als es auch private Nutzer tun. Das ist eine dramatische Schieflage. Interessant ist, dass diese heute noch „sicherheitsblinden“ Unternehmen das Security-Thema in der Zukunft deutlich höher bewerten: Während aktuell rund 50 Prozent der Befragten die Relevanz des Themas als „hoch“ oder „sehr hoch“ einschätzten, liegt der Anteil dieser Nennungen „in der Zukunft“ bei 83 Prozent. Viele Unternehmen erkennen also nicht, dass die Bedrohung von morgen schon heute aktuell ist. Wie aktuell die Gefahr ist, zeigt die internationale „Cost of a Data Breach“-Studie, die IBM zusammen mit dem Ponemon Institut durchgeführt hat. Kommt es in Deutschland zu Datenvorfällen, also zum Verlust oder ungewollten Offenlegung von Daten, stecken in 57 Prozent der Fälle böswillige Angriffe dahinter. Der Anteil von Systemfehlern liegt nur bei 24 Prozent. Wie aber gelangen die Hacker in die Netzwerke der Unternehmen? Laut der IBM-Studie nutzen „fast 40 Prozent der Angreifer die Zugangsdaten von Mitarbeitern oder fehlerhafte Cloud-Konfigurationen aus“. Verschärft wird das Problem durch die deutliche Zunahme von Home-Office-Zeiten im Zuge der Corona-Krise: 70 Prozent der befragten Unternehmen, die während der Covid-19-Pandemie Home-Office eingeführt haben, rechneten mit mehr Datenpannen und überdenken deswegen ihre Sicherheitsstrategie. Als „Markt für gehackte Daten“ nimmt das Darknet weiter in seiner Bedeutung zu: Hier finden Cyber-Angreifer die „digitalen Generalschlüssel“, die sie für ihre Attacken benötigen: „Immer mehr Daten in Form von E-Mailadressen, Usernamen und Passwörtern werden gestohlen. Allein 2019 waren es über 8,5 Milliarden gestohlene Datensätze“, heißt es in der „Cost of a Data Breach“-Studie. Zum Vergleich: Von 2016 bis 2018 wurden in einem dreimal so langen Zeitraum insgesamt 11,3 Milliarden Daten geraubt.

Dringende Empfehlung: Mehr Budget für Cyber-Sicherheit

Ist der Kampf gegen die Angreifer also hoffnungslos? Nicht, wenn sich die Unternehmen und Organisatoren endlich ernsthaft wappnen. Und zwar mit Hilfe von genügend großen Investitionen in die Sicherheit, also in Personal und Strukturen. Die Deloitte-Umfrage zeigt, dass beim Budget, das den Cyber-Security-Verantwortlichen zur Verfügung steht, noch eine Menge Luft nach oben ist: So gaben 81 Prozent der Teilnehmer an, weniger als 50.000 Euro pro Jahr auszugeben, davon 43 Prozent sogar weniger als 10.000 Euro. „Aus Expertensicht ist dies nicht genug“, heißt es in der Studie: Gemessen an der Empfehlung, dass rund 0,5 bis 2 Promille des Umsatzes für Cyber-Sicherheit aufgewendet werden sollten, erfüllten 89 Prozent der Unternehmen diese Maßgabe.

Gesetzliche Vorgaben für IT-Sicherheit

Fast jedes zweite Unternehmen in Deutschland (47 %) fordert höhere gesetzliche Anforderungen an die IT-Sicherheit in der Wirtschaft. Das hat die repräsentative Ipsos-Umfrage im Auftrag des TÜV-Verbands „TÜV Cybersecurity Studie“ unter 503 Unternehmen ab zehn Mitarbeitern ergeben. Befragt wurden IT-Sicherheitsverantwortliche, IT-Leiter und Mitglieder der Geschäftsleitung. Demnach stimmen zudem 59 Prozent der Aussage zu, dass Regulierung durch den Gesetzgeber wichtig ist und zu einer besseren IT-Sicherheit ihres Unternehmens beiträgt. „Die Unternehmen geben ein überraschend starkes Votum für eine stärkere gesetzliche Regulierung der IT-Sicherheit in der Wirtschaft ab“, sagte Dr. Michael Fübi, Präsident des TÜV-Verbands (VdTÜV), bei Vorstellung der Studie. Die wichtigsten Gründe für den Wunsch nach strengeren staatlichen Vorgaben seien eigene Erfahrungen mit Cyberkriminalität und die digitale Transformation.
Wenn Unternehmen in die Daten-Sicherheit investieren, geht der weltweite Trend verstärkt dahin, auf automatisierte Security-Verfahren zu setzen. Dass sich das rechnet, hat die IBM-Studie auf globaler Ebene herausgefunden: „Für nichtautomatisierte Unternehmen waren Datenpannen 2019 mit sechs Millionen US-Dollar mehr als zwei Mal so teuer wie für Unternehmen, die auf Künstliche Intelligenz und Machine Learning setzen.“ Hier beziffert der Report die Kosten der Datenvorfälle bei nur 2,45 Millionen US-Dollar. Der große Vorteil der Security-Automatisierung: Sie ist bei der Reaktion und Eindämmung eines Vorfalles laut Studien-Berechnung 74 Tage schneller als Verfahren ohne Smart-Tech. Eine erfreuliche und überraschende Erkenntnis der Studie: Beim Thema Security-Automatisierung liegen die deutschen Unternehmen weltweit an der Spitze. Es scheint also der Fall zu sein, dass diejenigen Unternehmen, die Cyber-Security bereits jetzt ernst nehmen, mehr als die Firmen aus anderen Ländern die Potenziale neuer Sicherheitstechnologien erkennen. Und das zahlt sich aus: „Deutsche Unternehmen reagieren mit nur 160 Tagen am schnellsten auf Datenpannen, im globalen Vergleich sind es 280 Tage.“ Das spart Geld: Vorfälle, für deren Identifizierung und Eindämmung die Unternehmen mehr als 200 Tage benötigen, seien im Durchschnitt mehr als eine Million US-Dollar teurer als Pannen, die in weniger als 200 Tagen behoben werden, haben die Studienautoren kalkuliert.

KI ermöglicht automatisierte Security

Technische Fortschritte der AI können maßgeblich zur Verbesserung der Cyber-Sicherheit beitragen.
Ein Grund, den Einsatz von KI im Bereich der Sicherheits- Architektur skeptisch zu betrachten, ist für viele Unternehmen und Organisationen die schwer zu beurteilende Leistungsfähigkeit dieser Systeme. Dieses Problem war Grundlage eines Workshops am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT, in dessen Rahmen Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft Empfehlungen zum Thema „AI, Security & Privacy“ erarbeitet haben. Die Spezialisten sind sich sicher: „Technische Fortschritte der AI können maßgeblich zur Verbesserung der Cyber-Sicherheit beitragen.“ Wobei es zu bedenken gilt, dass die Angreifer ebenfalls auf KI-Methoden setzen. Noch betrachten viele Unternehmen die Künstliche Intelligenz daher eher als potenziellen Gefährder denn als Komponente der eigenen Sicherheitsstrategie. Die Autoren fordern daher Mindeststandards, Qualitätskriterien sowie einen „Code of Conduct“, um Vertrauen zu schaffen. Dazu würden die technische Möglichkeit, die AI abzuschalten, zählen, aber auch Richtlinien für die Themen Ethik und Datenschutz, die diskutiert werden müssten, „um das Verhältnis von Mensch und Maschine wertekonform zu gestalten“. Das zu bewerkstelligen, funktioniert nicht ohne KI-Fachkräfte mit Expertise für Cyber-Sicherheit und Datenschutz. Wobei die Experten vom Fraunhofer SIT das Feld des notwendigen Know-hows noch deutlich erweitern: „Es braucht neben Informatikern auch Philosophen, Juristen, Ingenieure, Betriebswirte und viele weitere Experten, die AI ausreichend verstehen und anwenden können.“ So entstehe Schritt für Schritt eine Cyber-Sicherheit der nächsten Generation. Ihre Basis: KI- und IT-Kompetenz in allen relevanten Disziplinen und Sektoren. Nur, wenn Unternehmen und Organisationen durchdrungen sind von Methoden-Security und einer allgegenwärtigen Achtsamkeit, lassen sich Attacken abwenden. Mit dem Ziel, dass Hase und Igel die Rollen tauschen.

Buchtipp

Cover Security AwarenessSecurity Awareness Die Awareness für Informationssicherheit gewinnt aufgrund einer steigenden Bedrohungslage und immer strengerer Compliance-Anforderungen zunehmend an Bedeutung. Das Buch „Security Awareness“ von Stefan Beißel, Leiter für Informationssicherheit und Risikomanagement bei einem führenden europäischen Dienstleister für Straßenbenutzungsgebühren, bietet eine fundierte Einführung in die Awareness und eine Handlungshilfe für die Gestaltung und Umsetzung von geeigneten Maßnahmen. Es vermittelt auch Wissen darüber, welche Verknüpfungen die Awareness zu anderen Fachbereichen besitzt. Unter anderem werden Risikomanagement, Wirtschaftlichkeit, Governance, Compliance und Lernpsychologie betrachtet. Stefan Beißel: Security Awareness. De Gruyter Oldenbourg 2019, 44,95 Euro.

Kritischer Informatiker: Dr. Stefan Ulrich im Interview

Als Sprecher der Fachgruppe „Informatik und Ethik“ der „Gesellschaft für Informatik“ beschäftigt sich Dr. Stefan Ullrich intensiv mit den moralischen Fragen der Digitalisierung. Diese knüpfen daran an, worüber schon die alten Griechen oder Hannah Arendt nachgedacht haben: Für eine digitale Ethik benötigt man gesellschaftlich anerkannte Werte und Menschen, die sich dafür einsetzen, diese zu schützen. Klar ist: IT-Experten nehmen hierbei im digitalen Zeitalter Schlüsselpositionen ein. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Stefan Ullrich ist promovierter Informatiker und Philosoph, der sich kritisch mit den Auswirkungen der IT-Systeme in der Gesellschaft beschäftigt. Er ist Leiter der Forschungsgruppe „Verantwortung und das Internet der Dinge“ am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft. Seit 2019 ist Stefan Ullrich Mitglied der Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Er ist stellvertretender Sprecher der Fachgruppe „Informatik und Ethik“ der deutschen Gesellschaft für Informatik, zudem Mitglied des Forums Informatikerinnen und Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF e.V.) sowie des Arbeitskreises Ethik der Initiative D21.
Herr Ullrich, wann haben Sie auf Ihrem Karriereweg zum ersten Mal die Erkenntnis gehabt, dass Informatik und Ethik zusammengedacht werden müssen? Während der ersten Semester an der Humboldt-Uni zu Berlin habe ich die Vorlesung „Informatik und Gesellschaft“ bei Wolfgang Coy besucht, der die Informatik im Kontext betrachtet hat – und eben nicht als von der Gesellschaft losgelöste Ingenieurwissenschaft. In einer Vorlesung las er uns das „Bekenntnis des Ingenieurs“ vor, das unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden war, in Anbetracht der entscheidenden Rolle der Technik für das Wohl und Wehe der Person. Darin heißt es, dass sich alle Technikberufe mit den Werten beschäftigen müssen, die jenseits von Wissen und Erkennen liegen. Als „Techie“ erschien mir das zunächst sehr schwammig: Was sollen denn Werte sein, die wir nicht wissen und erkennen können? Dann wurde mir klar, dass es die Beschäftigung mit moralischen Fragen ist, die damit gefordert wurde. Sie bezeichnen sich selbst als „Kritischen Informatiker“. Sollte dieser kritische Blick auf das eigene berufliche Tun nicht bei jedem dazugehören? Die „kritikē téchnē“ der alten Griechen bezeichnete die Kunst, Sachverhalte voneinander zu unterscheiden und klar zu definieren. Insofern sind eigentlich alle Wissenschaften kritisch, allein etymologisch, da haben Sie Recht. In Bezug auf die Informatik soll es deutlich machen, dass wir Informatiker*innen uns bewusst sind, dass informationstechnische Systeme zur Verstärkung von Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen der bürgerlichen Gesellschaft verwendet werden können und auch werden. Wir wissen, dass dieses einzigartige Werkzeug für die Mündigkeit des Menschen pervertiert werden kann – und auch wird. Und zwar, um einen Großteil der Bevölkerung unmündig zu halten. Dagegen wehren sich die sogenannten Kritischen Informatiker. Sie sind Diplom-Informatiker und Magister-Philosoph. Nun kannten die klassischen Philosophen größtenteils die Informatik noch nicht. Welche ihrer Erkenntnisse sind dennoch wichtig, um heute Informatik und Ethik zusammenzudenken? Im Platonischen Mythos ist der ägyptische Gott Theuth nicht nur der Erfinder der Buchstaben, sondern auch der der Zahl, der Rechnung, der Messkunst und des Würfelspiels. Das macht Theuth zum Erfinder zentraler Bausteine der Digitalisierung! Die klassischen Philosophen kämen also mit der Informatik gut klar. Ein wiederkehrendes Thema ist seit jeher die Ambivalenz der Technik: Sie kann zum Guten wie zum Schlechten eingesetzt werden. Nehmen wir große Datensammlungen: Daten sind ein wunderbares Werkzeug der Aufklärung, schauen Sie sich im Netz einmal die Vorträge von Hans Rosling an, der mit Hilfe von Daten mit dem Mythos der sogenannten unterentwickelten Länder aufräumt. Daten werden jedoch auch dazu genutzt, Menschen besser zu manipulieren, sie dazu zu bringen, bestimmte Produkte zu kaufen oder bestimmte Personen zu wählen. Daten können sogar Existenzen zerstören, als „Weapons of Math Destruction“, wie es Cathy O‘Neil formuliert. Der ungeheuerliche Charakter großer Datensammlungen sollte uns zur moralischen Reflexion zwingen, denn letztendlich bestimmen wir, ob und wie wir die Technik einsetzen.
Der ungeheuerliche Charakter großer Datensammlungen sollte uns zur moralischen Reflexion zwingen, denn letztendlich bestimmen wir, ob und wie wir die Technik einsetzen.
Im Zuge der Pandemie erhält man häufig den Eindruck, eine stärkere Digitalisierung sei in der Lage, viele der Probleme zu lösen, zum Beispiel mit Blick auf Kontaktverfolgung, Bildung oder New Work. Überschätzt die Gesellschaft das Lösungspotenzial von IT-Techniken? Die Frage ist, ob die sogenannte Digitale Revolution wirklich so progressiv ist, wie wir gern annehmen wollen. Die Digitalisierung, so es sie denn gibt, ist heutzutage untrennbar mit dem Leitmotiv „Effizienz“ verbunden. Alle Probleme, die sich mit einer Effizienzsteigerung lösen lassen, können durchaus von der Digitalisierung profitieren. Die vielleicht wichtigsten Aufgaben der Menschheit gehören jedoch nicht dazu: Gleichberechtigung, gesellschaftliche Teilhabe, Demokratie, Bildung, Pflege, Freundschaft, Liebe – all das sind Dinge, die wir eben nicht „effizienter“ gestalten sollten, sondern vielleicht „inklusiver“, „intensiver“ und „nachhaltiger“. Die Regeln, Normen und Gesetze im öffentlichen Raum sind gelernt, wir halten sie ein – und wissen, was uns blüht, wenn wir es nicht tun. Im digitalen Raum ist das noch anders. Entwickelt sich endlich eine Art Regel-Kodex für diesen digitalen Raum? Ich glaube, ich weiß, worauf Sie mit dieser Frage hinauswollen. Aber die Erklärung für ein Phänomen wie „hate speech“ liegt nicht in einer vermeintlichen Gesetzeslosigkeit im digitalen Raum. Es gibt schlicht keine rechtsoder regelfreien Räume im Digitalen. Mehr noch, es gibt diesen einen digitalen Raum nicht, schon gar nicht losgelöst von der uns umgebenden physikalisch- haptischen Welt. Was es jedoch sehr wohl gibt, sind Gesetzmäßigkeiten, die bestimmte Verhaltensweisen unterstützen und andere bremsen. Provozierende Texte und Memes werden häufiger kommentiert und geteilt als Inhalte, die man einfach nur mag. Das gefällt dem Troll ebenso wie dem Werbenetzwerk, auf dem diese menschenverachtenden Inhalte gepostet werden. Also keine Chance für einen funktionierenden digitalen Kodex? Für wen sollte der funktionieren? Auch eine rassistische oder sexistische Gesellschaft würde ja für diejenigen „funktionieren“, die zum Beispiel allein das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab nehmen. Nein, wir müssen über die Bedingungen sprechen, wie dieser Kodex gefunden wird und welche Rolle er für die Menschen einnehmen soll. Sie sehen, wir sind wieder bei der Diskussion über die Werte einer Gesellschaft.

Forschungsgruppe „Verantwortung und das Internet der Dinge“

Anspruch der von Stefan Ullrich geleiteten Forschungsgruppe ist es, das Feld „Verantwortung und das Internet der Dinge“ umfassend zu kartieren und neue Beiträge zu ungeklärten Fragen rund um die ubiquitäre (also allgegenwärtige) Verantwortung zu leisten. Die Verantwortung der technisch Handelnden sei seit der Antike ein wiederkehrendes Thema in der Wissenschaft und Politik, heißt es in der Beschreibung des Forschungsauftrags. „Mit wachsenden Gestaltungsoptionen erweitert sich nun auch der Umfang der Verantwortung. Im Rahmen unserer Forschung betrachten wir den Begriff sowohl aus ethisch-moralischer und juristischer Sicht als auch im Hinblick auf technische Umsetzbarkeit.“
Welche Rolle können Informatiker dabei spielen? Wir sollten für die Diskussion über einen solchen Kodex eine digitale Öffentlichkeit schaffen. Eine solche entsteht aber nur, wenn wir nicht nur als Konsumenten oder Wählerstimme wahrgenommen werden, sondern diesen Raum mitgestalten. Wir sprechen heute zwar von Nutzer*innen der Online-Dienste, es wäre aber richtiger, von Genutzten oder Benutzten zu sprechen. Die eigentlichen Kunden großer Dienste-Anbieter sind ja nicht wir, sondern Werbefirmen, Parteien oder andere Organisationen. Wir, die Leute mit dem Profilbild, sind eigentlich das „target“, die Zielgruppe der Werbung. Das Flanieren auf diesem Boulevard Digital muss also gelehrt werden, und die Informatiker*innen könnten sich viel stärker in diese politische Grundbildung einbringen. In der Gesellschaft für Informatik haben wir seit Mitte der 90er-Jahre ethische Leitlinien, mit denen wir uns an die Informatiker*innen richten, die eine besondere Verantwortung durch die Gestaltung der „ungeheuren“ Technik besitzen. Dazu gehört eben auch die Aufklärung über die Funktionsweisen und Mechanismen des Digitalen. Die Fragen der IT-Ethik stehen uns noch bevor, wenn die KI mehr noch als heute Einzug in Alltagstechniken hält, insbesondere in die Mobilität? Welche Möglichkeiten gibt es für Informatiker, schon jetzt die ethische Dimension mitzudenken? Wir brauchen dafür dringend ein Denken, das man durchaus lernen kann, etwa durch die Lektüre der Werke von Hannah Arendt. Ich persönlich mag es sehr, mich an den von Joseph Weizenbaum aufgeworfenen Leitfragen zu orientieren: Erstens, wer ist die oder der Nutznießende unseres technischen Fortschritts und wer sind dessen Opfer? Zweitens, welche menschlichen Angelegenheiten sollten wir überhaupt dem Computer übertragen und welche prinzipiell nicht? Drittens, was ist der Mensch und welche Auswirkungen hat der Computer auf die Vorstellung von Menschenwürde? An der Beantwortung sollten wir alle inklusiv und gemeinsam arbeiten – dann haben wir übrigens auch unseren Verhaltenskodex: Habe Mut, den eigenen Verstand zu gebrauchen, auch und gerade im Digitalen!