Bereits heut7e ist der globale ökologische Fußabdruck der Menschheit größer, als es die verfügbaren Ressourcen der Erde dauerhaft verkraften. Da das Bauwesen zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftszweigen in Deutschland gehört, muss das nachhaltige und ressourcenschonende Bauen zukünftig in den Fokus rücken. Alleine in Deutschland werden jährlich 517 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe verbaut , Rohstoffe wie Sand und Kupfer werden bereits knapp. Dies verdeutlicht umso mehr, dass ein Umdenken in der Branche längst überfällig ist.

Annette Hillebrandt, Foto: C. Gollhardt
Annette Hillebrandt, Foto: C. Gollhardt

Prof. Dipl.-Ing. Annette Hillebrandt studierte Architektur an der Universität Dortmund und war bis vor kurzem Partnerin im eigenen Architekturbüro. 2001 bekam sie ihre erste Professur für Baukonstruktion, Entwerfen und Bauen im Bestand an der Fachhochschule Kaiserslautern. Danach wechselte sie zur münster school of architecture und folgte 2013 dem Ruf der Bergischen Universität Wuppertal. Dort leitet sie seitdem den Lehrstuhl für Baukonstruktion, Entwurf und Materialkunde mit Forschungsschwerpunkt Kreislaufpotenziale im Hochbau.

Drei Fragen an Frau Prof. Annette Hillebrandt, Leiterin des Lehr- und Forschungsgebietes Baukonstruktion, Entwurf und Materialkunde und Expertin für Urban Mining Design an der Bergischen Universität Wuppertal:

Frau Prof. Hillebrandt, was verbirgt sich hinter Urban Mining?
Ursprünglich kommt der Begriff daher, dass man in den 70er/80er Jahren feststellte, dass die in unseren Abfalldeponien verbliebenen Rohstoffe einfacher zurück zu gewinnen waren, als neue Rohstoffe in ihren ursprünglichen Lagerstätten abzubauen: Die „Urbane Mine“ wieder zu erschließen wurde naheliegend.

Bei dem riesigen anthropogenen Lager über das Deutschland mittlerweile verfügt (lt. UBA mehr als 50 Mrd. Tonnen – und es wächst jährlich um 10t/Einwohner), kommt man schnell auf den Gedanken, unsere Gebäude und Infrastrukturen zurückzubauen und für neue Bauten zu recyceln. Das ist leider nicht so einfach. Denn das Gros der bereits verbauten Rohstoffe ist mit heutigen Recyclingverfahren noch nicht auf gleicher Qualitätsstufe recycelbar, sondern nur auf niedrigerer Qualitätsstufe downcycelbar. Dieser Unterschied wird bislang ignoriert. Die Kreisläufe sind also nicht geschlossen, Qualität geht verloren, Abfall entsteht. Daraus erklärt sich, warum mehr als 50 % des deutschen Abfallaufkommens dem Bauwesen zuzuordnen sind, Tendenz seit zwei Jahrzehnten annähernd stagnierend.

Wir müssen also umdenken und lernen, nachhaltig, ressourcenschonend und damit abfallvermeidend zu bauen, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Wie kann das aussehen?
Zunächst einmal müssen wir lernen, Baustoffe und Bauteile wieder lösbar zu fügen: verkleben ist nicht. Denn durch die Verklebung, die Vermischung unterschiedlicher Materialgruppen, werden die Baustoffe kontaminiert und können nicht mehr – oder nur mit unwirtschaftlichem Aufwand – sortenrein zurückgewonnen werden. Wir verlieren wertvolle Rohstoffe, es entsteht Abfall.

Wir müssen lernen in Kreisläufen zu denken, vor allem bei der Materialauswahl: Wenn man z. B. die zwei Tragwerksbaustoffe Stahl und Beton miteinander vergleicht, so lässt sich Stahl zu 100 % recyceln, könnte fast vollständig aus Sekundärmaterial bestehen und enthält derzeit auch schon rund 35 % Recyclinganteil. Beton – auch bedingt durch das deutsche Regelwerk – kann zurzeit maximal ca. 40 % Sekundäranteil aufweisen und in Deutschland wird nicht einmal 1 % des Betonbruchs als RC-Gesteinskörnung genutzt. 60 % jedes Betonbruchs wandert ins Downcycling, z. B. als Straßenunterbau. Das ist keine Lösung. Wie viele Straßen wollen wir noch bauen?

Für die Zukunft geht es darum, Gebäude so zu planen, dass sie leicht wieder zu demontieren sind und die Materialien daraus wiederverwertet oder wiederverwendet werden können.

Allerdings, selbst wenn wir das Recycling optimieren würden und den Anteil an erneuerbaren, nachwachsenden Rohstoffen drastisch erhöhen würden – wie die Strategie „Urban-Mining Design“ es vorsieht – so bedeutet doch jeder Kubikmeter neu gebauter Raum eine Verschwendung. Wir müssen das Bauen mit Bestand priorisieren, sanieren, umbauen – denn hier stecken schon viel Material und graue Energie im Rohbau allein. Und wir müssen heute Neubauten so flexibel planen, dass man sie in Zukunft umnutzen kann, also als Skelettbauten – wenig Masse, viel Flexibilität. Und auf der Detailebene des Bauteils und Baustoffes müssen wir ebenfalls den ReUse präferieren lernen, z. B. die Wiederverwertung von Ziegelsteinen, Türen oder Holzdielenböden.

Für die Zukunft geht es darum, Gebäude so zu planen, dass sie leicht wieder zu demontieren sind und die Materialien daraus wiederverwertet oder wiederverwendet werden können. Dazu müssen die Materialien jedoch „sortenrein“ voneinander trennbar sein, das heißt, sie dürfen nicht durch andere Materialien verunreinigt oder untrennbar mit ihnen verbunden sein.

Nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen scheint ein komplexes Themenfeld zu sein, für das man spezielle Kompetenzen benötigt. Gibt es diese „Nachhaltigkeitsexpertisen“ schon?
Es gibt einzelne Expertinnen und Experten, Institutionen und auch Firmen, die sich bereits dem Thema verschrieben haben, aber es sind noch nicht genug, um eine fundamentale Veränderung zu bewirken. Langsam rückt das Thema mehr und mehr in den politischen Fokus und den Fokus der Öffentlichkeit.

Es gibt zwar erste Studienangebote, jedoch beklagen junge Erwachsene einer Studie des Umweltministeriums zufolge, dass Nachhaltigkeitsthemen in öffentlichen Bildungseinrichtungen noch keinen ausreichenden Stellenwert haben. An der Uni Wuppertal ist das Thema im Master Architektur fest verankert und wir beschäftigen uns gerade mit der Einrichtung eines berufsbegleitenden Masterprogramms, um die bereits im Beruf stehenden Architekten und Ingenieure mit den nötigen Kompetenzen auszustatten.

www.s-um.de.de