Aufgestiegen zur Partnerin

Zur Person

Dr. Vera Jungkind
Jurastudium und Promotion an der Universität des Saarlands, Auslandsstudium an der Universität René Descartes, Paris V
eingestiegen 2006 als Associate
aufgestiegen 2015 zur Partnerin bei Hengeler Mueller

Den Wunsch nach beruflicher Vielseitigkeit begann Dr. Vera Jungkind bereits in ihrem Studium umzusetzen. Heute ist sie Partnerin in der Kanzlei Hengeler Mueller. Von Christoph Berger

Jungkind entschied sich für ein Studium des deutschen und französischen Rechts an der Universität des Saarlands. Nach sechs Semestern ging sie für ein Jahr nach Paris, an die Université René Descartes. Am Ende des Aufenthalts erwarb sie die „Maîtrise en droit“. Wieder zurück in Saarbrücken, legte sie das 1. Staatsexamen ab, in Köln schrieb sie anschließend ihre Dissertation und ging ins Referendariat. 2006, nach Abschluss des 2. Staatsexamens, stieg sie direkt bei Hengeler Mueller ein.

“Ich kannte die Kanzlei von diversen Bewerberveranstaltungen. Den endgültigen Ausschlag gab aber ein Studienfreund, der schon hier arbeitete und mir die Kanzlei empfohlen hatte“, beschreibt Jungkind den Weg zu ihrer damaligen Entscheidungsfindung. Und sie ergänzt: “Ebenso trug dazu bei, dass man sich hier dezidiert mit dem Öffentlichen Wirtschaftsrecht beschäftigt. Dies hatte mich schon immer interessiert.“

Seit 2006 berät Vera Jungkind deutsche und internationale Mandanten im Öffentlichen Wirtschaftsrecht einschließlich Compliance. Sie erinnert sich an eines ihrer ersten Mandate, das sie zweieinhalb Jahre begleitet hat und das sie von Beginn an bis zu einem erfolgreichen Abschluss betreute. In einem Schiedsverfahren klagte ein deutsches Unternehmen Schadenersatzansprüche aus einem Unternehmenskaufvertrag ein: Die Verkäuferin habe versäumt, eine spezifische Abgasreinigungsanlage entsprechend den Anforderungen des deutschen Immissionsschutzrechts nachzurüsten.

“Es ging um sehr viel Geld. Und um eine komplizierte Technik. Alle Schriftsätze waren in Englisch verfasst. Der Kaufvertrag unterlag niederländischem Recht, für die Industrieanlage galt deutsches Umweltrecht. Das Schiedsverfahren richtete sich nach der niederländischen Schiedsgerichtsordnung“, beschreibt sie die damaligen Herausforderungen. Der Fall prägt bis heute ihre Arbeit: “Das war mein erstes großes Mandat. Es ist wichtig, dass man die Sache auch als eigene begreift. Dann ist man mit der notwendigen Begeisterung und dem entsprechenden Engagement bei der Sache“, beschreibt sie die damals erlebte Motivation.

Beratungen zu neuen gesetzlichen Entwicklungen

2007 kam mit dem Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags Beratung im Glücksspielrecht hinzu. Typische Mandate für Hengeler Mueller, wie Jungkind erklärt: “Wir beraten oftmals zu neuen gesetzlichen Entwicklungen.“ Mit ihren Kollegen begleitete sie Genehmigungsverfahren, klagte nicht erteilte Genehmigungen ein, ging gegen Untersagungsverfügungen vor und passte Geschäftsmodelle der Mandanten so an, dass sie den Regularien entsprechen. „Zusätzlich zum Glücksspielrecht stellen sich in diesen Fällen zahlreiche zum Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess“, sagt sie.

Weiter ging es für sie auch mit der Vielseitigkeit: Parallel zu ihren Mandaten im Bereich Glücksspielrecht bearbeitete sie Fälle in den Bereichen Datenschutz, Sparkassen- oder Außenwirtschaftsrecht. Jungkind weiter: “Wir beraten zur gesamten Bandbreite des Öffentlichen Wirtschaftsrechts – vor allem Großunternehmen sind unsere Mandanten, auch internationale Unternehmen, die wir zum deutschen Recht beraten.“ Einzelne Branchen, zum Beispiel in den Bereichen Energie, Pharma oder Anlagen- und Maschinenbau haben unter Umständen erhöhten Beratungsbedarf im Öffentlichen Wirtschaftsrecht.

In der jüngeren Vergangenheit spielt die Compliance-Beratung eine zunehmend größere Rolle, als Querschnittsdisziplin gerade auch im Öffentlichen Recht. Hengeler Mueller beraten zum Beispiel zum Aufbau von Compliance-Strukturen im Datenschutzrecht, erstellen unternehmensinterne Richtlinien zum Umgang mit dem Terrorlistenscreening oder begleiten unternehmensinterne Untersuchungen.

Perspektivwechsel durch Aufstieg zur Partnerin

Zum 1. Januar 2015 wurde Vera Jungkind zur Partnerin der Kanzlei gewählt. „Dadurch hat sich meine Perspektive verändert“, erzählt sie. „Ich war nun nicht mehr angestellte Rechtsanwältin, sondern Teilhaberin. Damit ist zum einen erhöhte Verantwortung verbunden. Außerdem erweiterte sich mein Themenbereich.“ Zu der eigentlichen Mandatsarbeit mit der Beratung von Mandanten, der Erstellung von Schriftsätzen und Gutachten kamen viele kanzleibezogene Themen hinzu. Zum Beispiel hat sie sich seit ihrem Aufstieg mit der Personalplanung und Mitarbeiterführung zu beschäftigen, administrative Aufgaben sind hinzugekommen.

Die Akquise spielt eine deutlich größere Rolle. Vera Jungkind überlegt sich, zu welchen Themen Mandanten angesprochen werden können, was man ihnen für Leistungen anbieten kann – kurz: unternehmerisches Denken. Auch die Verantwortung ändert sich. Sie sagt: „Für die Qualität des Arbeitsprodukts muss ein Partner letztverantwortlich einstehen. Umso wichtiger ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Kollegen, gerade wenn die Themen komplex und die Fristen kurz sind. An Hengeler Mueller schätze ich besonders die Kollegialität und den Team-Spirit in der Partnerschaft – ich denke, das zeichnet uns aus.“

Für die Qualität eines Arbeitsprodukts ist die vertrauens-volle Zusammenarbeit mit den Kollegen entscheidend, gerade wenn die Themen komplex und die Fristen kurz sind.

Dass sie mit wenigen Kolleginnen auf dieser Hierarchieebene zu einer deutlichen Minderheit gegenüber den männlichen Kollegen zählt, hat Vera Jungkind zwar wahrgenommen, diesen Umstand aber nie als nachteilig empfunden. „An der Uni und den Gerichten im Referendariat war die Situation auch nicht anders“, sagt sie. Und auch auf Seiten der Mandanten überwiegt die Zahl der männlichen Ansprechpartner. Dies ändert sich in den letzten Jahren langsam.

„In den ersten drei Jahren meiner Berufstätigkeit geschah es ganz selten, dass ich mal mit einer Geschäftsführerin oder der Leiterin einer Rechtsabteilung gesprochen habe.“ Irgendwie sei es selbstverständlich gewesen, nur mit Männern zu tun zu haben. „Ich verstehe das als ein gesellschaftliches Phänomen“, sagt sie. Doch sie hat beobachtet, dass die Kanzleien – auch Hengeler Mueller – ihre Bemühungen verstärken, den Frauenanteil zu erhöhen – auch wenn sich die Quote der Absolventinnen nicht immer in den Bewerbungen niederschlägt. Netzwerkveranstaltungen für Frauen, Teilzeitangebote, auch auf Partnerebene, flexible Arbeitsorte, Beratung durch Familienservices oder Hilfe bei der Suche nach Kita-Plätzen sind Bestrebungen, die in diese Richtung gehen. Und auch Vera Jungkind selbst ist als Partnerin verstärkt auf der Suche nach weiblichen Nachwuchskräften.

Frauen in Führungskarrieren

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Jacqueline Bauernfeind richtet ein besonderes Augenmerk auf ambitionierte Frauen. Im Gespräch wünscht sich die Partnerin der  Personalberatung Board Consultants International nicht nur mutige Frauen, sondern auch einen Kulturwandel in Unternehmen und Gesellschaft. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Jacqueline Bauernfeind studierte in  München VWL. Ihre berufliche  Karriere begann sie beim Marktforschungsunternehmen Infratest, bevor sie bei der Unternehmens beratung Roland Berger als Beraterin und Projektleiterin tätig war. Seit 1990 ist sie als Partnerin in der Personalberatung tätig. 2003 zählte sie zu den Gründungsgesellschaftern von Board Consultants International. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind nationale und internationale Besetzungen von Top-Positionen.

Frau Bauernfeind, seit Anfang des Jahres gilt die gesetzliche Frauenquote. Wie schätzen Sie die Wirkung ein?
Die Diskussion über ein Für und Wider der Quote hat sicherlich dazu geführt, dass einige Unternehmen ihre Bemühungen gesteigert haben, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Man muss hier jedoch grundsätzlich unterscheiden: Die Quote gilt nur für die Aufsichtsräte und auch nur für bestimmte Unternehmen. Weiterhin keine Quote gibt es dagegen für exekutive Top-Positionen, also für Vorstände oder Geschäftsführer. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn die Anforderungen an diese Positionen sind andere.

Aufsichtsräte müssen, verkürzt gesagt, vor allem professionelle Erfahrungen und Menschenkenntnis mitbringen, um ihre Kontrollfunktion auszuüben. Vorstände und Geschäftsführer sind diejenigen, die im Unternehmen ganze Truppen in Bewegung setzen. Das sind die Macher.

Beobachten Sie weiterhin, dass noch immer zu wenige Frauen unbändige Lust auf dieses Machen mitbringen?
Es ist tatsächlich auch weiterhin so: Wird im Unternehmen eine Führungsaufgabe neu besetzt, rufen die Frauen noch immer zu selten oder nicht laut genug: Hier bin ich. Es gibt also durchaus ein Manko an Führungsambition. So, was machen wir nun damit? Erstens müssen sich diejenigen, die diese Positionen besetzen, darauf einstellen, die Frauen auf eine andere Art anzusprechen. Es sollte also nicht unbedingt gelten: Der Erste oder der Lauteste bekommt die Position, denn man kann eine solche Frage ja auch differenzierter stellen. Zweitens appelliere ich an die Frauen: Macht es denjenigen, die diese Führungspositionen besetzen, nicht unnötig schwer. Zeigt euch!

Erkennen Sie, dass die Frauen, die heute in die Führungskarriere starten, diesen Appell verstärkt beherzigen?
Durchaus, ja. Es tut sich was. Die jungen Frauen bringen Selbstbewusstsein mit, bringen sich deutlicher und offensiver in Stellung. Eine Sache aber bleibt problematisch: Irgendwann stellt sich die Kinderfrage.

Hat sich nicht auch in Sachen Vereinbarkeit einiges getan?
Ja, es gibt in vielen Unternehmen gut funktionierende Angebote zur Kinderbetreuung. Zudem ist das Betreuungsnetz in Deutschland besser als noch vor wenigen Jahren. Man darf dennoch nicht vergessen: Wir reden hier von Führungspositionen. Diese Jobs enden nicht um fünf oder sechs, sondern in der Regel um acht und nicht selten erst um zehn Uhr. Der zeitliche Anspruch an diese Jobs wird sich also immer mit der Elternrolle beißen, das ist derzeit nicht zu verhindern.

Was halten Sie von Modellen, die Arbeit anders einzuteilen – sprich: nicht zuzulassen, dass der Job bis in den späten Abend hinein geht?
Als Einzelkämpferin im Unternehmen wird das nicht gelingen. Dafür benötigen wir ein Umdenken in der Gesellschaft, Wirtschaft und den Unternehmen. Das ist sicherlich wünschenswert, und ich bin davon überzeugt, dass man viele Führungsaufgaben auch hinbekommen kann, ohne regelmäßig bis 22 Uhr zu arbeiten. Noch aber gibt es Rituale, die genau das verlangen. Zudem gelten ungeschriebene Gesetze, wie zum Beispiel dieses:  Karriere macht nur der, der auch lange arbeitet. Ganz ehrlich, ich kenne kein großes Unternehmen, in dem die Top-Manager den Laden regelmäßig um sechs Uhr verlassen. Das gibt es noch nicht.

Eine Sache, die häufig in den Abendstunden ansteht, ist das Networking. Oft wird gesagt, Männer gingen hier zielstrebiger zur Sache. Stimmen Sie zu?
Wenn ich es pauschal formulieren darf: Männer gestalten Ihre Netzwerkzeit nach der Devise, ob es ihnen geschäftlich etwas nützt oder nicht. Frauen orientieren sich danach, ob sie jemanden mögen oder nicht. Und wenn sie eben keine Lust haben, mit einer Person abends noch etwas trinken zu gehen oder sich zum Squash zu verabreden, dann lassen sie es. Dass so eine Verabredung trotz der eher geringen Sympathiewerte karrieretechnisch interessant sein könnte – dieser Gedanke spielt bei den Frauen eine wesentlich kleinere Rolle als bei Männern.

Anders gesagt: Männer sind, wenn es um die eigene Karriere geht, leidensfähiger. Ich habe als Personalberaterin Männer erlebt, die sich für einen Top-Job beworben haben und bei denen ich mich hinterher fragte: Wie kamen die auf die Idee, dem Anspruch dieser Position zu genügen? Na ja, sie haben es halt probiert, sind auf die Nase gefallen, sind wieder aufgestanden und probieren es woanders. Frauen dagegen bringen die Haltung mit: Ich möchte mich auf gar keinen Fall selbst überschätzen und damit scheitern. Dadurch stecken sie die eigene Grenze, etwas zu probieren, sehr viel enger.

Was muss denn geschehen, damit diese Unterschiede in der Mentalität nicht länger Frauen in Führungspositionen verhindern?
Erstens ist es wichtig, das Angebot von Kitas und Schulen mit Ganztagsbetreuung weiter auszubauen. Zweitens müssen sich die Gesellschaft und die Unternehmen dahingehend wandeln, dass Männer nicht mehr schief angeguckt werden, wenn sie es sind, die sich eine Familienauszeit nehmen und sich mit den Kindern befassen. Klar, es gibt Branchen, in denen das bereits üblich ist. Das sind aber nun gerade die Branchen, in denen Frauen sowieso schon stark in Führungspositionen vertreten sind, zum Beispiel in Konsum- oder Medienunternehmen. Wer jedoch als Mann in einem Unternehmen der Maschinenbau- oder Autobranche ankündigt, eine gewisse Zeit zu pausieren, weil er den Nachwuchs betreuen wird, muss damit rechnen, dass zumindest hinter vorgehaltener Hand gesagt wird, dass das nicht geht, ohne dass die Karriere leidet.

Welchen Ratschlag können Sie einer weiblichen Nachwuchskraft mit auf den Weg geben, die Lust auf Karriere hat?
Spannend wird es immer dann, wenn im Unternehmen anspruchsvolle Aufgaben gestellt werden. Also neue Lösungen und Perspektiven gefragt sind. Frauen sollten Antennen für solche Momente entwickeln. Und dann den Mut mitbringen, dabei zu sein. Die Angst vor dem Versagen darf dagegen keine Rolle spielen. Zudem möchte ich an dieser Stelle auf die Bedeutung von Mentoren und Mentorinnen hinweisen: Suchen Sie sich als Einsteigerin jemanden im Unternehmen aus, von dem Sie erstens wirklich etwas lernen können und der Ihnen zweitens immer mal wieder eine für Sie passende Aufgabe zuschustern kann, zum Beispiel ein Projekt in Lateinamerika oder Asien, eine Sache also, die durchaus mit dem Sprung ins kalte Wasser zu vergleichen ist. Wird diese Aufgabe von einem Mentor an junge Frauen herangetragen, beobachte ich, dass der weibliche Nachwuchs mehr Mut entwickelt. Schließlich wird der Frau durch den Mentor echtes Vertrauen entgegen gebracht. Und das tut ihr gut.

Zum Unternehmen

Die in Frankfurt, Hamburg, München und Stuttgart ansässige Personalberatung Board Consultants International konzentriert sich auf die Besetzung der ersten beiden Führungsebenen in Unternehmen sowie auf die Suche nach ausgewählten Experten. Neben diesem Executive Search prüft die 2003 gegründete Personalberatung im „Board Consulting“ die Effizienz von Aufsichtsräten und sucht Mitglieder für Aufsichtsgremien.
www.board-consultants.eu

Recht als Kultur

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Die Realität schafft sich ihr Recht. Somit spiegeln sich die Globalisierung einerseits, die ganz unterschiedlichen Auffassungen von Recht in den Kulturen und Regionen der Welt andererseits auch in ihm wieder. Das Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ in Bonn sucht nach neuen Mitteln und Wegen, diese spannungsvolle Konstellation zu verstehen. Und liefert in der Praxis arbeitenden Juristen damit Hilfestellungen für ihre tägliche Arbeit. Von Dr. phil. Jan Christoph Suntrup, wissenschaftlicher Koordinator des Käte Hamburger Kollegs „Recht als Kultur“

Die Welt des Rechts wird durch die ambivalente Dynamik der Transnationalisierung und Globalisierung zutiefst durchdrungen. Einerseits sind Tenden-zen einer normativen Vereinheitlichung zu beobachten: In der EU wächst das Bestreben, das herkömmliche Kollisionsrecht durch gemeinsame Rechtsprinzipien im Bereich des Privatrechts zu ersetzen; im Völkerrecht wiederum lassen sich die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs und andere Übertrumpfungen klassischer national-souveräner Argumente und Instrumente mit gutem Willen als Rudimente eines „Humanity Law“, der Begriff stammt von der amerikanischen Jura-Professorin Ruti G. Teitel, lesen.

Andererseits gibt es zahlreiche und medial sichtbare Beispiele dafür, dass Identitätskämpfe das Recht nicht aussparen. Hierfür muss man nicht bloß nach Tunesien, Israel und Afgha-nistan schauen, sondern wird schon im Herzen Europas fündig, wie die noch schwelende polnische Verfassungskrise offenbart. Der politische Kampf um die „richtige“ soziale Ordnung ist nicht zuletzt ein Kampf ums Recht, und wie vehement dieser ausgefochten werden kann, zeigt sich besonders dann, wenn religiöse Überzeugungen und Dogmen ins Spiel kommen.

Aber auch jenseits offener Identitätspolitik wird schnell deutlich, dass jede Rechtsordnung ein spezifisches Sinngeflecht mit bestimmten Spielregeln ist, das sich nicht ohne Weiteres in einen anderen normativen Kontext „transplantieren“ lässt. Denn Recht besteht nicht nur aus Gesetzestexten und Verfahrensordnungen, sondern verschafft sich Geltung in Symbolen und Ritualen, basiert auf einem komplexen Geflecht von Institutionen und Rechtsautoritäten und ist eingebettet in größere und kleinere Erzählungen.

All dies zeigt, dass sich Recht nicht mehr bloß im nationalen Rahmen verstehen lässt, und deutet zugleich an, dass der Konflikt von – oft auch intern umstrittenen und dynamischen – Rechtskulturen mit der rein juristischen Brille nicht zu erfassen ist. Dies ist die Grundüberzeugung des Käte Hamburger Kollegs „Recht als Kultur“ in Bonn, das seit 2010 einen juristischen, aber auch besonders geisteswissenschaftlichen Beitrag zur Rechtsanalyse leistet, der dem Tatbestand fortschreitender Globalisierung in einer zwischen Kulturen differenzierenden Weise Rechnung trägt.

Wie – wenn überhaupt – trennen Kulturen Recht von Religion und anderen normativen und sozialen Ordnungen? Wie unterscheiden sich Gesellschaften in ihren rechtlichen Strafritualen? Welche Symbole von Herrschaft und Gerechtigkeit sind dem Recht eingeschrieben? Was macht ein faires Verfahren aus, und wie steht es eigentlich um den Status der „Wahrheit“, die dort ermittelt werden soll?

Solche Fragen sind nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern von zentraler Bedeutung für alle Rechtspraktiker, die mit der Kollision verschiedener Rechtskulturen konfrontiert sind. Und so wendet sich das Projekt der Analyse von „Recht als Kultur“, manifestiert in Tagungen, Publikationen oder interdisziplinären Arbeitszirkeln, nicht zuletzt an die juristische Zunft. Denn für diese wird es immer wichtiger, nicht nur die eigene Rechtstechnik zu beherrschen, sondern über hermeneutische Sensibilität und ein historisches und kulturwissenschaftliches Grundlagenwissen zu verfügen.

Über „Recht als Kultur“

Das Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ möchte einen Beitrag zum  Verständnis von Recht in Zeiten einer  voranschreitenden Globalisierung normativer Ordnungen leisten.
Im Jungen Forum werden dafür zum  Beispiel die sogenannten Luncheon Talks angeboten: Postdocs verschiedener Fachrichtungen tauschen sich dabei regelmäßig und interdisziplinär
über Grundfragen und Grundlagen normativ-rechtlicher Ordnungen aus.

Weitere Infos unter: www.recht-als-kultur.de

Schrift-Sätze

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KURIOSE RECHTSNACHRICHTEN

Roboter-Anwälte, Strafe für schlechte Facebook-Werbung oder ein verspäteter Passagier, der das Flugzeug über das Rollfeld verfolgt: Stefan Maier stellt zusammen mit Kollegen auf der Internetseite “Justillion“ seit Juli 2014 kuriose Nachrichten aus der Welt des Rechts vor. Inhaltlich werden die Nachrichten so präsentiert, dass sie zum einen für Laien verständlich sind, zum anderen aber auch für Juristen noch fachlich interessant genug sind. Verantwortlicher Chefredakteur ist dabei übrigens auch ein Diplom-Jurist. Die Nachrichten finden sich unter www.justillon.de.

ANWALT ALS THRILLER-AUTOR

Cover Das Mona Lisa-VirusEigentlich ist Tibor Rode Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie für Informationstechnologierecht. Zudem ist er Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg. Doch nebenbei ist inzwischen mit „Das Mona-Lisa-Virus“ sein dritter Roman erschienen. Darin passieren Ereignisse, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Doch die Geschichte nimmt ihren Lauf. Tibor Rode: Das Mona-Lisa-Virus. Bastei Lübbe 2016. 14,99 Euro.

FÜR EINE KULTUR DER MENSCHLICHKEIT AM ENDE DES LEBENS

Cover Das letzte TabuDer promovierte Jurist Dr. Henning Scherf war lange Jahre Sozial-, Bildungs- und Justizsenator und von 1995 bis 2005 Bürgermeister und damit Ministerpräsident des Bundeslandes Bremen. Zusammen mit der Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Annelie Keil, ehemalige Dekanin der Universität Bremen und deren Mitbegründerin, geht er in einem geradeerschienenen Buch der Frage nach: Wie wollen wir sterben? Die beiden beschreiben dabei sehr persönliche Erfahrungen, gleichzeitig fordern und fördern sie aber auch eine gesellschaftliche Kursänderung. Henning Scherf, Annelie Keil: Das letzte Tabu. Herder 2016. 19,99 Euro.

JURIST IST EINZIGARTIGER LEGOKÜNSTLER

Foto: Nathan Sawaya / The Art Of The Brick
Foto: Nathan Sawaya / The Art Of The Brick

Er ist die einzige Person weltweit, die die Firma Lego sowohl als Lego-Baumeister als auch als Lego Certified Professional anerkennt. Die Rede ist von Nathan Sawaya. Der US-Amerikaner baut Kunstwerke aus Lego. Dabei verwirklicht er sowohl eigene Projekte, in anderen bezieht er sich auf bereits geschaffene. Zum Beispiel hat er Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ und Edvard Munchs „Der Schrei“ in die Lego-Welt übertragen. Seine zuletzt gezeigte Ausstellung „The Art oft the Brick“ in Hamburg sahen mehr als 58.000 Besucher. Interessant dabei: Vor seinem Leben als Künstler arbeitete Sawaya als Anwalt. Weitere Infos unter www.taotb.de

JOSEF HAUBRICH – EIN ANWALT DER KUNST

Cover Josef HaubrichEr war namhafter Kölner Politiker, Anwalt und Zeitzeuge umwälzender Phasen der deutschen Geschichte: Josef Haubrich (1889–1961) – der nie den Glauben an die Kunst und deren unabdingbaren Wert für die Menschheit verlor. Zeitlebens von Kultur und Politik fasziniert, ließ er sich seine Neugier nicht nehmen und setzte sich voller Begeisterung für die zeitgenössische Kunstszene ein. Seine beachtenswerte Sammlung expressionistischer Werke konnte er in die Nachkriegszeit hinüberretten und schenkte sie 1946 der Stadt Köln. Das 70-jährige Jubiläum der Schenkung war Anlass, sich erneut mit dieser prägenden Person des Kölner Kulturlebens auseinanderzusetzen: Birgit Kilp,“Josef Haubrich – ein Anwalt der Kunst“, 2016, Wienand-Verlag, Köln, 29,80 EUR

Mehr zu Josef Haubrich auch im Museum Ludwig, das noch bis 08. Januar 2017 insgesamt drei Jubiläen feiert: www.museum-ludwig.de, www.wienand-verlag.de

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ UND URHEBERRECHT

“Kunst und künstliche Intelligenz sind zwei Welten, die nicht besonders miteinander vertraut sind“, sagte der Jurist Dr. Andres Guadamuz von der University of Sussex auf der diesjährigen re:publica. Und doch komme es immer häufiger vor, dass Maschinen Kunst erzeugen. So kommt es zur entscheidenden Frage: Wer ist der Künstler, die Maschine oder der Programmierer der Maschine – immerhin handelt es sich bei Letzterer oft um ein selbstlernendes System, das auf der Grundlage von neuronalen Netzwerkenarbeitet? Bisher ist Guadamuz´; Antwort klar: der Programmierer. Sein Vortrag zu dem Thema ist vollständig auf Youtube unter dem Link www.youtube.com/watch?v=Omc9bT7jgok zu sehen.

BRANDNEU: KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN WIRTSCHAFT UND ALLTAG

Juristin, Unternehmerin und Essayistin Yvonne Hofstetter hat ein neues Buch geschrieben: Das Ende der Demokratie. Randomhouse 2016. 22,99 Euro.

IDYLLE UND HÖLLE

Die promovierte Juristin und Bestseller-Autorin Juli Zeh hat einen vielbeachteten Gesellschaftsroman verfasst: Unterleuten. Luchterhand 2016. 24,99 Euro.

Interview mit der Juristin und Business-Poetin: Dr. Martina Violetta Jung

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Martina Violetta Jung war 32 Jahre alt und arbeitete höchst erfolgreich als Wirtschaftsanwältin. Dann machte ihr der Körper einen Strich durch die Rechnung: Burn-out-Syndrom. Sie begann eine zweite Karriere als Managerin und eine dritte als Unternehmensberaterin – bis sie einige Jahre später erneut einen Punkt erreichte, an dem sie merkte: Es muss sich etwas ändern. Heute schreibt Martina Violetta Jung fiktive Geschichten für die harte Businesswelt. Ihr Ziel: Hunderttausenden Herzensnahrung zu servieren, damit sie wieder aus ihrem ganzen Wesen heraus begeistert arbeiten können und ihre Fähigkeiten zum Wohle aller einsetzen. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Dr. Martina Violetta Jung absolvierte eine internationale Ausbildung zur Volljuristin in Deutschland, China, Hong Kong und Großbritannien und begann ihre Karriere als Wirtschaftsanwältin. Anschließend sammelte sie Managementerfahrung in Führungspositionen bei der Hapag-Lloyd Container Linie, als CEO von Ahlers, als Leadership- und Integrationscoach sowie als Aufsichtsrätin in international aktiven Unternehmen.

Angeregt durch Ausbildung und berufliche Tätigkeit in Asien vertiefte sie sich in das fernöstliche Wissen über den Menschen und sein Verständnis der Wirklichkeit. Als Expertin für ganzheitlich bewusstes Arbeiten widmet sie sich heute ihrer Vision einer Arbeitswelt im Wandel.

Frau Dr. Jung, als wie stringent würden Sie ihre Laufbahn bezeichnet?
(lacht) Also, Stringenz entdecke ich bei mir nur in der Seele. Ich bin von meinem Weg mehrere Male abgekommen. Ich habe Jura studiert, weil ich dachte, Recht und Gerechtigkeit hätten etwas miteinander zu tun – ganz grobe Fehleinschätzung. Ich bin Arbeiterkind und war die erste in der Familie, die Abitur gemacht hat.

Trotzdem haben mich meine Eltern geprägt, weil sie mir Gerechtigkeit vorgelebt haben und mir auf den Weg gegeben haben: Es ist nicht wichtig, wie viel du hast, sondern wie du mit den anderen umgehst. Deshalb wollte ich Jura studieren, denn ich dachte weiterhin, Recht und Gerechtigkeit hätten etwas miteinander zu tun. Ich habe mich also durch mein Jurastudium bewegt, wissend, dass ich Richterin werden wollte – aber ich war damit nicht glücklich.

Warum nicht?
Während meiner Referendarzeit habe ich gemerkt, dass sehr viele Richter und Staatsanwälte in erster Linie nur einen sicheren Job wollten. Und das war mir zu wenig.

Sie sind dann Wirtschaftsanwältin geworden.
Ich hatte einen Professor an der Uni, für den war es die Traumvorstellung schlechthin, als Wirtschaftsanwalt zu arbeiten. Und zwar international. Zu mir hat er gesagt: Wer bei mir promoviert, der geht ins Ausland. Nicht in der Bibliothek bleiben, sondern: Nase raus. Das habe ich dann auch gemacht und bin nach China gegangen. Und dort habe ich gelernt, worum es im Leben eigentlich geht.

Ich bekam einen chinesischen Professor, 82 Jahre alt. Ich erklärte ihm, über welches Thema ich bei meiner Promotion schreiben wollte, und er sagte mir: „Dieses Wissen kannst du hier nicht finden. Du kannst nur dann über China schreiben, wenn du die Chinesen verstehst. Also fährst du jetzt dahin, wo Wirtschaft wirklich stattfindet, und redest mit den Leuten. Aber, du beurteilst sie nicht. Denn dafür fehlt dir die Erfahrung – außerdem musst du ja hier nicht leben, deshalb steht dir kein Urteil zu.“

Besaßen Sie dafür genügend Chinesischkenntnisse?
Ab dem 6. Semester hatte ich Chinesisch gelernt. Mir war früh klar, dass ich als Juristin in eine Umgebung wollte, von der ich wusste, dass ich dort nichts verstehe. Und dass man dort wiederum mich nicht versteht. Dieses Erlebnis wollte ich haben.

Warum hatten Sie dieses Bedürfnis?
Ich bin eine mutige Frau. Mein Mut wird größer, je lauter die Stimmen werden, die sagen: „Das geht nicht, das darfst du nicht.“

Wie ging die Geschichte mit Ihrem chinesischen Professor weiter?
Ich war in China unterwegs, und als ich wiederkam, sagte ich ihm: „Ich denke, ich habe verstanden.“ Darauf sagte er: „Gut, dann fängt jetzt die eigentliche Arbeit an.“ Ich dachte daran, nun meine Promotion und weitere Publikationen zu schreiben, er aber sagte: „Nein, nein, du musst erst noch mehr verstehen.“ Ab dann bin ich einmal die Woche bei ihm gewesen, und er hat mich ins klassische chinesische Wissen eingeführt, hat mir erklärt, warum es so wichtig ist, eine Balance aus Körper, Seele und Geist zu finden.

Als ich dann nach Deutschland zurückkam, begann schon bald die Krise. Ich war 32 Jahre alt – und hatte das, was man heute Burn-out-Syndrom nennt. Nach außen sah das alles super aus. Ich war jung, bekam ein für die damalige Zeit astronomisches Gehalt. Die Kanzleien liefen hinter mir her, weil ich in Deutschland eine von lediglich drei voll ausgebildeten Juristen war, die einigermaßen Chinesisch sprachen. Und ich? Habe gelitten.

Können Sie Ihr Leiden von damals beschreiben?
Wir wissen, dass wir aus Körper, Geist und Seele bestehen. Wenn die drei Bestandteile des Seins auseinanderfallen – dann ist es Ihr Körper, der Sie nicht anlügt. Bei mir hat das dazu geführt, dass ich eines Morgens nicht mehr aufstehen konnte. Ich litt unter Herz-Rhythmus-, Nieren- und Leberstörungen. Und ich war intellektuell noch nicht einmal mehr in der Lage, die Nachrichten zu verstehen. Mit 32 Jahren. Rumms!

Die „Business-Poetin“

Auf ihrer Seite www.heilendegeschichten.de stellt sie als „Business-Poetin“ Gedichte und Geschichten vor, die zudem als Bücher und e-Bücher erhältlich sind. Amazon-Werbelinks:

» VON WEGEN – Ein Skandalkonzern im Selbstreinigungsprozess
» ICH: Inspirierende Geschichten und Gedichte für Karrieremenschen
» Die Hälfte des Himmels ist weiblich – 7 Geschichten von Frauen die handeln.
» Der Wettkampf. Eine Fabel.

Wie kann man sich diesen Kollaps erklären?
Ich war als Wirtschaftsanwältin in einem intellektuellen Hochleistungsumfeld tätig. Ich habe Unternehmen gekauft, verkauft, 14 Stunden am Tag. Was ich damals jedoch noch nicht über mich wusste: Ich bin ein intuitiver Gefühlsmensch. Erst entscheidet sich mein Herz, dann benutze ich das Denken. Ist jedoch das Herz stumm geschaltet, wird es schwierig. Nur, das merken Sie im Alltag nicht. Um Sie herum sind schon zu viele auf Autopilot. Sie merken nur, dass Sie immer müder und desinteressierter werden – und die Arbeitsergebnisse schlechter. Dass Sie abends zwei Gläser Rotwein brauchen, um einschlafen zu können. Sie tun alles, um ihren Körper auszutricksen. Aber der lässt das nicht mit sich machen – und irgendwann rebelliert er.

Wie haben Sie auf diese Rebellion reagiert?
Ich hatte damals das Glück, dass eine Freundin mich zu einer chinesischen Ärztin gebracht hat. Die hat gesagt: „Du hast deine Mitte verloren. Und du warst in China, du solltest wissen, was das heißt: Lass diesen Job los.“ Ich bekam sofort Pickel im Gesicht! (lacht) Denn das ging ja gar nicht: Nach zehn Jahren Ausbildung war ich endlich wer – und jetzt sagt jemand, ich soll den Job loslassen?

Ich hatte Existenzangst, klar, und mein erster Impuls war es, den Ratschlag zu verweigern. Ich konnte mir auch überhaupt nicht vorstellen, dass es irgendwas anderes für mich zu tun gab. Der Jurist ging in seinem juristischen Beruf auf – ja worin denn auch sonst? Ich habe neun Monate gebraucht, um mit meiner Angst umzugehen. Dann entwickelte ich einen beruflichen Plan-B: Ich könnte meine Unternehmenskenntnisse ja auch in der Wirtschaft einsetzen.

Am nächsten Montag bin ich in die Kanzlei gegangen und habe gekündigt.

Sie sind dann zur Reederei Hapag Lloyd gewechselt.
Genau, dorthin hatte ich persönliche Kontakte. Ich wollte über dieses Unternehmen eigentlich nur ein paar Ideen bekommen, dann hieß es: Du kommst zu uns. Ich frage: „Wie? Ich habe keine Ahnung von der Schifffahrt.“ Mein zukünftiger Chef sagte daraufhin: „Stimmt, aber du hast Ahnung von Menschen.“ Und dann hat er mir aus dem Stand eine verantwortungsvolle Position angeboten. Das war freitags, und am nächsten Montag bin ich dann in die Kanzlei gegangen und habe gekündigt.

Wie reagierte man dort?
Der Seniorpartner guckte sehr ernst und sagte: „Sie haben richtig gehandelt. Sie wären hier nicht glücklich geworden.“ Dann guckte er runter und bekam plötzlich einen sehr väterlichen Blick. Er sagte: „Ich werde Sie vermissen. Wer ist jetzt hier unser gutes Gewissen? Und dass Sie es wissen: Die wollten Sie zweimal rausschmeißen, aber das habe ich verhindert.“

Warum standen Sie in der Kanzlei auf der Kippe?
Wenn ein Seniorpartner verbal aggressiv bei seiner Sekretärin Dampf abließ, dann bin ich erst in das Zimmer der Sekretärin und habe die getröstet. Dann bin ich zum Seniorpartner und habe ihn gesagt, dass er sich unmöglich verhalten habe – um es vornehm auszudrücken.

Das ist mutig.
Innere Überzeugung. Ich hab’ mich nie gefragt, ob das gut für meine Karriere ist. Egal, mein Herz hat gesagt, das ist richtig.

Woher wussten Sie denn, dass Sie bei Ihrem Job bei der Reederei nicht die gleichen Probleme bekommen wie in der Kanzlei?
Das wusste ich gar nicht. Seit meinen Erfahrungen in China und später in Hong Kong und Japan versuche ich nicht mehr, die Welt im Griff zu haben oder glaube, sie planen zu können. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der das geschafft hätte. Auch unsere Unternehmen schaffen das ja nicht.

Was Ihnen als Jurist immer hilft: Sie haben eine besondere Art und Weise des Denkens gelernt.

Hat Ihnen Ihr juristisches Know-how beim neuen Job geholfen?
Was Ihnen als Jurist immer hilft: Sie haben eine besondere Art und Weise des Denkens gelernt. Hier ist ein Problem – und als Jurist können Sie von fünf verschiedenen Ecken auf dieses Problem schauen, in fünf verschiedenen Sichtweisen argumentieren – und die Dinge dann sehr scharf auf den Punkt bringen. Ich kann auch mit Druck sehr gut umgehen, wenn mein Herz sagt, das ist richtig. Aber wehe, das ist nicht der Fall …

Was dann?
Dann weiß ich mittlerweile, dass es dringend an der Zeit ist, einen Schlussstrich zu ziehen. Nach meiner Zeit bei Hapag Lloyd habe ich zunächst als CEO für einen belgischen Logistikkonzern gearbeitet, anschließend neun Jahre selbständig als Leadership und Integrations Coach. Ich war erfolgreich, war viel in Europa unterwegs. Dann stellte ich fest, dass ich mich in diesem Job erneut aufzehrte. Meine Ehe ging kaputt, ich war nicht glücklich – und da habe ich erneut den Stecker gezogen und gesagt: Schluss jetzt. Ich habe alles verkauft und bin mit meinem Auto, zwei Koffern und meinem Laptop nach Hamburg zurückgekommen.

Da waren Sie ja ziemlich alleine, oder? Die Ehe war kaputt, die Kunden waren weg, keine Boardingpässe mehr, keine Anrufe …
Genau. Ich war ein Niemand.

Wie ging es Ihnen damit, plötzlich ein Niemand zu sein?
Es hilft total dabei, sich aufrichtig und vorbehaltlos mit sich selbst zu beschäftigen. Seine wahren Fähigkeiten zum Vorschein kommen zu lassen folgt dem Apfelbaum-Prinzip: Es hängen im August Äpfel am Baum, wenn der Baum im Winter geruht hat. Fällt die Winterruhe aus, können Sie die Sache mit den Äpfeln vergessen.

Meine Intuition ist in der Lage, Menschen und komplexe Sachverhalte zu durchschauen und in wenigen Worten auf deren Essenz zu reduzieren.

Was haben Sie in dieser Ruhephase über sich gelernt?
Noch einmal die Bestätigung: Ich bin ein intuitiver Gefühlsmensch. In dieser Reihenfolge: Ich hole mir meine Informationen über die Intuition, das Herz entscheidet, dann arbeitet der Kopf intellektuell ab. Wenn ich den Spieß umdrehe, so wie ich es als Wirtschaftsanwältin getan habe, arbeite ich meinem eigenen Wesen zuwider. Meine Intuition ist in der Lage, Menschen und komplexe Sachverhalte zu durchschauen und in wenigen Worten auf deren Essenz zu reduzieren.

Das schockiert Anfangs viele. Aber sie merken schnell, mein Herz meint es ehrlich und mein Kopf urteilt nicht. Was ich in der Ruhephase zudem feststellte: Was mich besonders gereizt hatte bei meiner Arbeit, war die Möglichkeit, Leuten tatsächlich helfen zu können, im Einklang mit all ihren Fähigkeiten zu arbeiten. So entstand die Idee, ein Buch zu schreiben – und zwar eines, das viel mehr Menschen berührt und bewegt, als ich über meinen Job jemals erreichen könnte.

Bei „Ich kann so nicht mehr arbeiten“ handelte es sich noch um einen Ratgeber, aber dann folgten mit „VON WEGEN – Ein Skandalkonzern im Selbstreinigungsprozess“ und „ICH“ fiktive Geschichten, in denen Sie Ihr Wissen aus dem Wirtschaftsalltag einsetzen. Warum?
Gegenfrage: Wie viele Sachbücher, die Sie je gelesen haben, kennen Sie auswendig? Winnetou, Frodo Beutlin, Harry Potter und Katniss Everdeen – das sind die Figuren, mit denen man sich identifizieren kann – die brauchen wir auch in unseren Unternehmen. Ihr Gefühl und Ihr Gehirn sortieren Informationen nach dem emotionalen Wert. Je höher dieser Gefühlsfaktor ist, desto länger und nachhaltiger bleiben die Informationen in Ihrem Gehirn. Und das hilft mir natürlich, weil ich mit meinen Büchern durchaus ambitionierte Ziele verfolge.

Welche sind das?
Wenn ich in einen Spiegel schaue, dann suche ich Bestätigung. Sei es den Spiegel an der Wand oder den Spiegel der Erwartungshaltungen meines Umfeldes. Wenn ich aber hinter die äußere Hülle, die Fassade, schaue, tief in mich hinein, dann suche ich meine Mitte, meine Herzenswärme, meiner Seele Potential und kann es auch entfalten, zum Wohle aller. Auf Seelenebene sind alle Menschen eins. Wenn ich aus meiner Seele, aus meiner Mitte, aus meinem Herzen heraus lebe, kann ich das umsetzen. Solche Menschen brauchen wir in verantwortlichen Positionen in unseren Unternehmen.

Das ist enorm bedeutsam, denn für mich ist die Wirtschaft der Machtfaktor, der die Welt gestaltet – weniger die Politik. Und noch ein dritter Punkt, ich möchte zeigen, was Weiblichkeit tatsächlich zu leben zur Unternehmensgestaltung beitragen kann. Daher heißt mein neues Buch „Die Hälfte des Himmels ist weiblich“. Wichtig ist mir dabei, dass wir Frauen selbst erst einmal definieren, was weiblich ist. Das tun wir im Moment viel zu wenig. Nur Pippi Langstrumpf war darin genial.

Michelle Obama sagt ihre Meinung, lebt Werte, zeigt Haltung. Das finde ich stark.

Umso mehr machen das die Männer …
Ja. Das neue Buch erzählt daher in sieben Episoden, was passiert, wenn Frauen es wagen, ihre weibliche Sichtweise einzubringen und unerhörte Dinge tun. Ich möchte damit Frauen Mut machen, ihre Weiblichkeit zu leben, statt zu sagen: „Wenn ich mich so verhalte, wie Mann es von mir erwartet, bekomme ich keine Probleme und mache Karriere.“ Ein tolles Beispiel dafür, wie es anders gehen kann, ist Michelle Obama. Schon die äußere Erscheinung, ärmelloses Trägerkleid – aber man sieht die Muckis. Sie ist nicht wie Jackie Kennedy, kein zartes Püppchen, das gefallen will. Michelle Obama sagt ihre Meinung, lebt Werte, zeigt Haltung. Das finde ich stark.

Was raten Sie einem jungen Menschen, der früh in seiner Karriere feststellt, dass die innere Balance verloren geht?
Renn um dein Leben! In „Die Hälfte des Himmels ist weiblich“ geht es nicht um Frau und Mann sein. Mein Plädoyer lautet: Lebt eure Herzenswahrheiten! Wir können allen Luxus dieser Welt anhäufen, aber davon können wir nicht leben, als Menschheit nicht überleben. Es geschafft zu haben, ist nur eine Illusion, eine fixe Idee. Und wenn Idee und Wirklichkeit auseinanderklaffen, dann tut es weh. Die Frage ist daher: Was ist meine Wirklichkeit, wer bin ich wirklich und was ist nur meine oberflächliche Idee von mir? Wenn zwischen der Antwort auf diese Frage und dem, was ich beruflich tue, ein Konflikt besteht, dann stellt sich nicht die Frage, ob es knallt. Die Frage lautet dann nur noch, wann es knallt – und wie weh es dann tut.

Cover Von Wegen - Ein Skandalkonzern im Selbstreinigungsprozess

Neu: Roman, Dr. Martina Violetta Jung, VON WEGEN – Ein Skandalkonzern im Selbstreinigungs-prozess, E-Book, Amazon 8,95 Euro.

 

E-Paper karriereführer recht 2.2016

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E-Paper karriereführer naturwissenschaften 2016.2017

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thyssenkrupp Management Consulting

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Branche
Inhouse Consulting

Produkte/Dienstleistungen
Interne Managementberatung des thyssenkrupp Konzerns

Anzahl der Standorte
Essen (nationale und internationale Projektstandorte)

Anzahl der MitarbeiterInnen
Wir haben derzeit rund 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Bedarf an HochschulabsolventInnen
Wir suchen laufend exzellente Absolventinnen und Absolventen

Gesuchte Fachrichtungen
Wirtschaftswissenschaften, BWL, VWL, Wirtschaftsingenieurwesen, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften, Wirtschaftsinformatik

Einstiegsprogramme
Direkteinstieg

Mögliche Einstiegstermine
Laufend – jeweils zum Monatsanfang

Auswahlverfahren
Zweistufiger Auswahlprozess mit insgesamt fünf Einzelgesprächen

Einstiegsgehalt
Branchenüblich

Auslandstätigkeit
Wir haben sowohl nationale als auch internationale Beratungsprojekte im gesamten thyssenkrupp Konzern

Angebote für StudentInnen
Praktika sind laufend möglich

Logo thyssenkrupp

Ansprechpartner
Isa Mackenberg

Anschrift
thyssenkrupp Allee 1
45143 Essen

Fon
0201-844534915

E-Mail
recruiting@thyssenkrupp.com

Internet
www.thyssenkrupp-management-consulting.com

Bundeswehr

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Branche
Öffentlicher Dienst

Produkte/Dienstleistungen
Die Bundeswehr garantiert Sicherheit, Souveränität und außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus schützt sie die Bürgerinnen und Bürger, unterstützt Verbündete und leistet Amtshilfe bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen im Inland. Hierbei unterliegt sie den Entscheidungen des Bundestages, dem deutschen Grundgesetz und dem Völkerrecht.

Anzahl der MitarbeiterInnen
Ca. 184.000 Soldatinnen und Soldaten sowie rund 81.000 Zivilbeschäftigte

Gesuchte Fachrichtungen

  • abgeschlossenes Bachelor- oder Masterstudium in den Fachrichtungen IT, Informatik oder Ingenieurwesen (Maschinenbau, Elektrotechnik etc.)
  • abgeschlossenes geistes- oder wirtschaftliches Bachelor- oder Masterstudium
  • abgeschlossenes (zahn-)medizinisches Studium
  • abgeschlossenes Jurastudium (1. + 2. Juristisches Staatsexaminen)

Einsatzmöglichkeiten
Beschaffungswesen, Controlling, Informationstechnologie, Personalwesen, Recht, Sanitätswesen, Technik u.v.m.

Einstiegsprogramme
Direkteinstellung
Seiteneinstieg
Trainee-Programm
Laufbahnausbildung

Mögliche Einstiegstermine
Laufend

Auswahlverfahren
Assessmentcenter

Auslandstätigkeit
Möglich, abhängig vom Einsatzbereich

Angebote für StudentInnen
Praktika
Referendariate

Anschrift
Kölner Straße 262
51149 Köln

Fon
0800 9800880

Internet
bundeswehrkarriere.de
bewerbung.bundeswehrkarriere.de

karriereführer naturwissenschaften 2016.2017 – Cross-Border Innovationskultur

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Cover Naturwissenschaften 2016.17

Neue Innovationskultur durch Cross-Border – offen und grenzüberschreitend

Intelligente Tinte warnt vor falsch gelagerten Medikamenten, Pillen kommen aus dem 3D-Drucker, clever verknüpfte Daten bringen neue Erkenntnisse: Die Branchen, in denen Naturwissenschaftler beste Einstiegschancen besitzen, sind von digitalen Innovationen geprägt. Damit diese entwickelt werden, setzen die Unternehmen auf eine offene und grenzüberschreitende Innovationskultur. Die Zeit, als Forschung und Entwicklung zumeist hinter verschlossenen Türen passierte, ist vorbei.

Naturwissenschaftler: Ran an die neuen Ideen

Intelligente Tinte warnt vor falsch gelagerten Medikamenten, Pillen kommen aus dem 3D-Drucker, clever verknüpfte Daten bringen neue Erkenntnisse: Die Branchen, in denen Naturwissenschaftler beste Einstiegschancen besitzen, sind von digitalen Innovationen geprägt. Damit diese entwickelt werden, setzen die Unternehmen auf eine offene und grenzüberschreitende Innovationskultur. Die Zeit, als Forschung und Entwicklung zumeist hinter verschlossenen Türen passierte, ist vorbei. Von André Boße

Man hat sich daran gewöhnt, dass im digitalen Zeitalter immer mehr Geräte intelligent daherkommen. Handys sind längst smart, die Autos werden immer autonomer. Es gibt kluge Kühlschränke und Maschinen, die miteinander kommunizieren. Aber intelligente Tinte? Das überrascht dann doch. Gemeint ist damit keine Geheimtinte, mit der Jungs und Mädchen im Kinderzimmer Detektiv spielen. Diese intelligente Tinte übernimmt eine wichtige Aufgabe:

Durch ihre Farbe zeigt sie an, ob ein Medikament richtig gelagert ist oder ob äußere Einflüsse wie Licht, Temperatur oder Feuchtigkeit die Qualität des Stoffs negativ beeinflussen. Die Innovation hilft also dabei, die Wirksamkeit sensibler Präparate durch korrekte Lagerung zu garantieren. Entwickelt hat die intelligente Tinte die junge Physikerin Dr. Marta Canas-Ventura, die beim Spezialchemie-Konzern Evonik als Geschäftsentwicklerin tätig ist. Für ihre Idee gewann sie in diesem Sommer den „Entrepreneurship-Award“, den ihr Arbeitgeber ausgerufen hatte.

Von der offenen zur Cross-Border-Innovation

Eine offene Innovationskultur ist heute Bedingung, wenn ein Unternehmen erfolgreich forschen und entwickeln möchte. Ein Schritt weiter geht der Ansatz der Cross-Border-Innovation: Ziel ist eine intensive Vernetzung von Branchen und Bereichen. „Immer mehr Unternehmen arbeiten mit Start-ups zusammen. Hier werden je nach Bedarf verschiedene Modelle praktiziert: Entwicklungskooperationen, Kunden-Lieferanten-Beziehungen und oftmals auch Investments in der Seed-Runde oder in späteren Phasen“, sagt Dr. Michael Brandkamp, Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds, der schon in frühen Phasen in technologisch-naturwissenschaftliche Start-ups investiert, unter anderem in den Branchen
Pharma und Chemie.

Die junge Naturwissenschaftlerin bekommt nun ein Jahr Zeit, um die Idee zur Marktreife zu bringen. Das Unternehmen unterstützt die Forschung und Geschäftsentwicklung mit 200.000 Euro; Marta Canas-Ventura fungiert in den kommenden zwölf Monaten also als eigene „Unternehmerin im Unternehmen“, wie es Klaus Engel, Vorstandsvorsitzender von Evonik Industries bezeichnete:„Für Innovationen brauchen wir kreative und mutige Mitarbeiter mit Unternehmergeist, die auch einmal Rückschläge wegstecken können, und ihre Idee mit Engagement, Leidenschaft und Durchhaltevermögen zum Erfolg bringen.“

Vorbereitet wurde die Idee der Physikerin im „Global Ideation Jam“, wie der Ideenwettstreit bei Evonik heißt. Aus 84 Vorschlägen wurden sechs ausgewählt, die Finalisten entwickelten in einem Workshop die Ideen zu echten Geschäftsmodellen weiter, Businessplan inklusive. Unterstützt wurden sie dabei von Experten, von Naturwissenschaftlern, aber auch BWL- oder IT-Profis.

Innovation: offen und grenzüberschreitend

Der Weg von Evonik zeigt, wohin die Innovationskultur in den naturwissenschaftlich geprägten Zukunftsbranchen geht. Ob Pharma oder Chemie: Die Konzerne sind auf Innovationen ihrer Forscher und Entwickler angewiesen, und sie gehen neue Wege, das Potenzial ihrer Mitarbeiter zu nutzen. Vorbei die Zeit, als Forschung und Entwicklung zumeist hinter verschlossenen Türen passierte. „Innovation bedeutet für uns auch Kooperation“, sagt Prof. Dr. Georg Oenbrink, Chemiker und bei Evonik Leiter der Abteilung Innovation Networks & Communications.

„Open Innovation“ nennt man dieses Konzept: Die Innovationskultur öffnet sich, wird transparent. Die „Cross-Border-Innovation“ geht noch einen Schritt weiter: Man sucht Partner, legt Wert auf einen gut organisierten Wissenstransfer – auch aus dem Unternehmen heraus. Firmen, die Innovation offen und grenzüberschreitend denken, kooperieren auf internationaler Ebene mit Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen.

„Nur so kann es uns gelingen, neueste Erkenntnisse aus der Chemie, Biologie oder Physik schnell in den Konzern zu übertragen“, sagt Oenbrink. Um Netzwerke mit internationalen Spitzenforschern zu stärken, veranstaltet Evonik in Deutschland, China, Japan und den USA regelmäßige Foren. Hinzu kommen Aktivitäten im Bereich Corporate-Venture-Capital:

„Wir investieren gezielt in für unser Unternehmen interessante spezialisierte Technologiefonds und Start-ups. So erhalten wir in frühen Entwicklungsphasen Einblicke in innovative Technologien und Geschäfte.“ Klingt gut, aber das Konzept der offenen Innovation bringt ein Problem mit sich:Wenn alles transparent ist, besteht dann nicht die Gefahr, dass Ideen geklaut werden? Oder dass der Innovationsprozess schon früh ins Stocken gerät, weil zu viele Bedenkenträger Einblick erhalten und ihre Vorbehalte äußern?

Bei Evonik stimmt man zu, dass man bei den Kooperationen mit Bedacht vorgehen muss. Oenbrink: „Dazu bedarf es offener Kommunikation, einer sorgfältigen Bestimmung der Risiken, Vertraulichkeit sowie einer vertraglichen Klärung im Hinblick auf die jeweiligen Rechte. Mit Transparenz auf allen Seiten kann man Vorbehalten am besten begegnen.“

Pillen aus dem 3D-Drucker

Zahnschiene aus dem 3D-Drucker – für 60 Dollar
Nicht sichtbare Zahnschienen sind wahn-sinnig teuer. Dass es auch anders geht, zeigte der 23 Jahre alte Student Amos Dudley aus New Jersey. Mithilfe von Material im Wert von 60 Dollar und dem 3D-Drucker seiner Hochschule fertigte er zunächst ein 3D-Modell seines Gebis-ses an, aus dem er dann eine genau für seinen Kiefer angepasste durchsichtige Schiene produzierte. In seinem Blog zeigt der angehende 3D-Designer, wie er das gemacht hat – und gibt der Gesundheits-branche ein perfektes Beispiel für das Potenzial des 3D-Drucks, individuelle Hil-fen passgenau und günstig herzustellen. www.amosdudley.com/weblog/Ortho

Implantate zum Selbermachen
Noch einen Schritt weiter geht der Physi-ker und Biohacker Andrew Pelling, der an der Universität Ottawa an Zellen forscht. Im Wired-Interview erklärt er „wie man sie manipulieren, in fremde Umgebungen stecken oder umfunktionieren kann. Oder auch: wie man ohne Gentechnik eine menschenfressende sprechende Pflanze zum Leben erweckt oder wie man Obst und Gemüse nutzen kann, um Organe zu züchten und warum er glaubt, dass wir bald alle an unseren eigenen Gesichtern herumbasteln. Was abwegig klingt, hält Pelling längst für machbar“.
Quelle: www.wired.de

Wie wichtig Innovationen für die Branchen mit großem Bedarf an Naturwissenschaftlern sind, zeigt der Megatrend Digitalisierung. Die neuesten Entwicklungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz verschaffen den Unternehmen eine Vielzahl an Möglichkeiten, von denen sie noch vor zehn Jahren nicht zu träumen gewagt haben. Ein zentrales Tool ist dabei der 3D-Druck. In einem Internetforum für Pharmaberater scherzen einige Kollegen über diese Methode: Die Pillen aus einem solchen Drucker müssten dann ja wohl sehr flach sein, heißt es, aus Esspapier wahrscheinlich.

Wer als Naturwissenschaftler eine Karriere im Bereich der Pharmaberatung oder der Pharmaindustrie anstrebt, sollte das Potenzial des 3D-Drucks jedoch auf keinen Fall belächeln. In den USA hat bereits vor gut einem Jahr die erste Pille die Zulassung erhalten, die mit einem 3D-Printer hergestellt wurde. Ein indisches Unternehmen kündigte Anfang des Jahres an, mithilfe eines 3D-Druckers Lebergewebe produzieren zu können, das Pharmaunternehmen zu Testzwecken dienen kann.

Der Vorteil der 3D-Druckmethode: Dank der durchgehend digitalen Produktionskette können die Wirkstoffe der Präparate individuell eingestellt werden. Zudem erlaubt die Technik neue Formen der Medikamentenproduktion: Die 3D-Drucker-Pille aus den USA, ein Mittel gegen epileptische Anfälle, besitzt zum Beispiel eine deutlich höhere Wirkstoffdosis als konventionell hergestellte Tabletten. Die Pille ist im Falle eines Anfalls also deutlich einfacher zu schlucken.

Für Patienten, die gravierende Probleme mit dem Schlucken haben, arbeiten Naturwissenschaftler der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf mithilfe des 3D-Drucks an einem sogenannten Smoothfood-Konzept, das Präparate entwickelt, die auch nach einem Schlaganfall oder von Patienten nach einer Tumorbehandlung im Hals- und Rachenraum problemlos eingenommen werden können.

Grenze zur IT verschwindet

Viele dieser Nachrichten über Innovationen kommen aus den USA oder Asien. Wie weit ist die deutsche Pharmaindustrie schon bei der Digitalisierung? Und was bedeutet das für Naturwissenschaftler, die in diesem bei Absolventen weiterhin sehr beliebten Bereich Karriere machen möchten? Isabel Richter beobachtet als Bereichsleiterin Health & Pharma beim deutschen Digitalverband Bitkom den Status quo der Branche. Ihr Urteil: „Die Digitalisierung birgt riesiges Potenzial für die Pharmaindustrie, und das haben die Pharmaunternehmen auch überwiegend erkannt.“

Zuletzt hat ihr Verband 100 Manager zur Digitalisierung befragt. Richter: „Demnach gehen die Befragten davon aus, dass Pharmaunternehmen künftig digitale Zusatzangebote entwickeln, etwa Apps, die bei der Medikamenteneinnahme unterstützen. Zudem werden sie sich verstärkt als Dienstleister für die Auswertung von Gesundheitsdaten engagieren.“ Fast alle befragten Pharmamanager sehen die Digitalisierung als Chance, rund drei Viertel besitzen schon eine Strategie, um den digitalen Wandel zu bewältigen.

„Unserer Einschätzung nach müssen digitale Innovationen aber noch schneller in die Praxis umgesetzt werden“, fordert Isabel Richter. Sonst drohe die Gefahr, dass die deutsche Branche von der internationalen Konkurrenz ein- und überholt werde. „Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Digitale Innovationen können innerhalb kürzester Zeit komplette Märkte umkrempeln. Deshalb sollten die Unternehmen den digitalen Wandel entschlossen weiterverfolgen.“

Je wichtiger digitale Innovationen werden, desto stärker greifen sie auch in die Personalstruktur der forschenden Unternehmen ein.„Fachkräfte mit IT-Kenntnissen werden in Pharmaunternehmen – wie fast überall – insgesamt immer wichtiger“, sagt Isabel Richter. Weil diese in Deutschland nicht in benötigter Anzahl zur Verfügung stehen, betrachten viele Unternehmen den „Fachkräftemangel als Innovationshemmnis“, wie die Bitkom-Expertin durch die Branchenbefragung heraus-gefunden hat.

„Da sich die Grenzen zwischen Naturwissenschaften und IT immer stärker auflösen, braucht die Pharmabranche künftig Personal, das Kompetenzen aus beiden Bereichen vereint. Es muss selbstverständlich sein, dass der Mikrobiologe auch Kenntnisse der Datenanalyse mitbringt.“ Genau hier setzen Hybridstudiengänge in der universitären Ausbildung an. Die gibt es – aber noch zu wenig, wie Richter sagt: „Von denen werden wir in Zukunft viel mehr brauchen.“

Hybrid-Studiengang: Naturwissenschaftliche Informatik

Zunächst war der Computer für Naturwissenschaftler nur ein Hilfsmittel. Heute sind Rechner das zentrale Werkzeug, um Experimente zu steuern und die gewonnenen Daten zu analy-sieren. In der Arbeitswelt treffen Natur-wissenschaftler auf Unternehmen, die IT-basierte Innovationen wünschen und die Grenze zwischen Naturwissenschaft und IT auflösen. Derzeit bieten drei Unis in Deutschland das Fach Naturwissen-schaftliche Informatik an: Die Uni Bielefeld (Bachelor und Master), die Uni Mainz
(Master) sowie die TU Berlin als Bachelor-Studiengang mit dem Titel Naturwissen-schaften in der Informationsgesellschaft.

Interview mit Guido Hoesch Digitalisierung und Pharma 4.0

Der Pharma-Personaler. Digitalisierung und Pharma 4.0, 3D-Drucker und personalisierte Medizin: Die Pharmaindustrie steckt mitten in einem rasanten Wandel. Wie sich dadurch die Anforderungen an naturwissenschaftlichen Nachwuchs verändern, verrät im Gespräch Dr. Guido Hoesch, Vice President Human Resources des weltweit agierenden Pharmakonzerns AstraZeneca. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Dr. Guido Hoesch (geboren am 4. Juli 1966 in Frankfurt am Main) studierte in Mainz Psychologie und promovierte 1995. 1996 schloss er zudem ein MBA-Studium an der University of Miami, Florida ab. Er begann seine Karriere beim Autovermieter Hertz, wo er schließlich bis 2008 als Director Human Resources tätig war. 2008 ging er als Head Of Human Resouces Operations zum Unternehmen British American Tobacco, bevor er 2014 den Posten als Personaldirektor im Bereich Network Operations & Aviations Europe bei DHL Express annahm. Seit 2015 ist Guido Hoesch Vice President Human Resources bei AstraZeneca Deutschland.

Herr Dr. Hoesch, der Megatrend der Digitalisierung schickt sich an, weite Bereiche der Pharmaindustrie zu verändern. Wie wird dieser Wandel die Arbeit in der Branche beeinflussen?
Ich glaube, der Wandel ist längst im Gange. Alle unsere Pharmareferenten arbeiten seit Langem mit iPads, für die Kundenansprache stehen uns diverse digitale Kanäle zur Verfügung. Das gesamte Wissensmanagement und insbesondere der Austausch – in unserem Falle mit Ärzten – hat dadurch eine völlig neue Qualität bekommen, von der alle Beteiligten profitieren. In der Produktion sind wir sogar noch einen Schritt weiter: Im Rahmen der industriellen Automatisierung gehören integrierte Kameras, Sensoren, Bildverarbeitungsprozessoren zur Qualitätssicherung sowie Maschinenteile, die stellenweise ohne menschliche Steuerung interagieren und kommunizieren, längst zum Standard. Zudem nutzen wir selbstverständlich innovative IT-Lösungen, um den Wissensaustausch der Mitarbeiter untereinander als auch die Trainings und Qualifizierungen effektiver zu gestalten.

Was bedeutet dieser digitale Wandel für Einsteiger aus den Naturwissenschaften in diesen Bereichen? Welche Skills werden immer wichtiger?
Eine Offenheit und Affinität zu IT-gestützten und automatisierten Prozessen und insbesondere die Fähigkeit, komplexe technische Probleme zu verstehen, zu lösen und dieses Wissen auch weiterzugeben, sind notwendige Voraussetzungen. In unserem weltweit agierenden Unternehmen sind die Kollegen durch die digitalen Vernetzungsmöglichkeiten deutlich näher aneinandergerückt.

Gleichzeitig steigt damit die Notwendigkeit von Kompetenzen wie persönlicher Flexibilität, Teamfähigkeit, empathischer Fähigkeit und nicht zuletzt sprachlicher Skills. Wichtig ist, dass man in der Lage ist, sich in andere Bereiche hineinzuversetzen. Aber eben auch in Personen aus anderen Zeitzonen mit anderen Arbeitsweisen und Kulturen. Eine weitere Anforderung ist es, sich eigenständig und durch den Einsatz von neuen Medien fachlich in Themen einzuarbeiten. Wo man früher in Bibliotheken noch Bücher gewälzt hat, findet man heute die Daten im Netz. Unsere Mitarbeiter müssen sich in den entsprechenden Netzwerken auskennen oder sich auch ein geeignetes Netzwerk aufbauen, um gut informiert zu sein.

In unserem weltweit agierenden Unternehmen sind die Kollegen durch die digitalen Vernetzungsmöglichkeiten deutlich näher aneinandergerückt.

Abseits der Digitalisierung, welche weiteren Megatrends beeinflussen aktuell die Branche und Ihr Unternehmen?
Uns beschäftigt ganz stark das Thema der personalisierten Medizin: Das sind spezielle Therapieformen, die individuell auf Patienten zugeschnitten sind. Dabei hilft uns die moderne Diagnostik. Mit ihr können wir genetische, molekulare und zelluläre Besonderheiten eines Patienten erfassen und daraus Schlüsse ziehen, ob eine bestimmte Therapie in Betracht kommt. Mit Hilfe der personalisierten Medizin können wir schneller und zielgerichteter als je zuvor Patienten zu einer für sie geeigneten Therapie verhelfen.

Welche Skills sind für naturwissenschaftliche Einsteiger in der personalisierten Medizin bedeutsam?
Die personalisierte Medizin beruht in hohem Maße auf den Möglichkeiten der modernen Diagnostik, einschließlich der Gendiagnostik. Kenntnisse in diesem Bereich sind hier natürlich von elementarer Bedeutung. Wichtig ist außerdem ein Verständnis für die angrenzenden Disziplinen wie die Pathologie und die Humangenetik.

Noch einmal zurück zur Digitalisierung, die Ideen von Pharma 4.0 beinhalten auch revolutionäre Ansätze wie individuell zugeschnittene Medikamente aus dem 3-D-Drucker. Handelt es sich hier um Visionen für die ferne Zukunft? Oder sind solche Innovationen tatsächlich sehr bald denkbar?
Das klingt verlockend, ist aber sicher noch Zukunftsmusik. Bei der Herstellung von Medikamenten im 3D-Drucker gibt es derzeit noch zu viele ungeklärte Fragen. Auch wenn es banal klingt, aber wo zum Beispiel sollte so ein Drucker stehen und wie werden die Medikamente von dort weiterverteilt? Wie wird sichergestellt, dass die Daten wirklich korrekt sind, wer garantiert die Hygiene und sterile Verpackung? 3D-Drucker sind reizvolles Gedankenspiel, aber ich denke, Pharma 4.0 wird sich zunächst in den Bereichen Logistik, Distribution oder Wirkstoffscreening abspielen.

Innovationen sind für die Pharmaindustrie besonders wichtig. Was macht die Umsetzung und Einführung neuer Ideen in Ihrer Branche zur besonderen Herausforderung?
Die Pharmabranche unterliegt aufgrund des Heilmittelwerbegesetzes im Vergleich besonderen Regularien. So können wir beispielsweise nicht öffentlich über unsere verschreibungpflichtigen Medikamente informieren. Dies ist richtigerweise strikt den Ärzten vorbehalten. Das bedeutet aber, dass wir für unsere Produkte nicht die gleichen digitalen Möglichkeiten nutzen können wie andere Industriezweige. Ein Beispiel:

Die Erstellung von Produktwebseiten kann nur bedingt suchmaschinenoptimiert erfolgen, relevante Inhalte müssen passwortgeschützt und dürfen nur für Ärzte zugänglich sein. Damit ist etwa eine Google-Suche über Wirkmechanismen oder Besonderheiten unserer Produkte nur bedingt ausführbar.

Ein besonderer Fokus liegt bei uns aktuell in der Onkologie – die rasantesten Entwicklungen erleben wir dabei in der Immunonkologie.

Angenommen, eine Gruppe junger Absolventen der Naturwissenschaften ist für einen Tag zu Gast in Ihrem Unternehmen. Wohin würden Sie die jungen Leuten führen, damit sie einen möglichst intensiven und konkreten Eindruck Ihrer Branche erhalten?
Wir haben häufiger Gäste, insofern bleibt es hier nicht bei einer Annahme. (lacht) Typischerweise erklären wir am Vormittag unseren Gästen die verschiedenen Therapiebereiche, in denen das Unternehmen aktiv ist. Ein besonderer Fokus liegt bei uns aktuell in der Onkologie – die rasantesten Entwicklungen erleben wir dabei in der Immunonkologie. Nach dem Mittagessen steht dann eine Vorstellungsrunde der verschiedenen Karriereperspektiven bei AstraZeneca an.

Wenn unsere Mitarbeiter entsprechend Zeit haben, lassen wir sie am liebsten selbst erzählen, was sie im Unternehmen tun. Wichtig ist auch ein kurzer Überblick unserer Firmenkultur: Als britisch-schwedischer Konzern bieten wir viel, was flexible Arbeitszeiten und Teilzeitangebote angeht. Auch der kollegiale Umgang mit flachen Hierarchien und eine ausgeprägte Duzkultur über alle Ebenen hinweg stehen häufig in krassem Gegensatz zu dem, was sich Besucher gemeinhin unter Pharma vorstellen.

Zum Unternehmen

AstraZeneca ist ein in Deutschland und weltweit zu den führenden forschenden Arzneimittelunternehmen zählender Pharmakonzern. Der Unternehmenssitz befindet sich in London. In Deutschland ist AstraZeneca in Wedel in Schleswig-Holstein ansässig. Weltweit arbeiten rund 61.500 Menschen für das Unternehmen, 8900 davon im Bereich Forschung und Ent wicklung.

Die größten Forschungszentren befinden sich in Großbritannien, Schweden, den USA, China und Japan. AstraZeneca arbeitet im Entwicklungsbereich mit mehr als 850 externen Partnern zusammen, darunter universitäre und wissenschaftliche Einrichtungen sowie Biotech-Unternehmen.

Der Konzern konzentriert sich auf die Therapiebereiche Atemwege, Herz-Kreislauf und Stoffwechsel, Krebs, entzündliche Erkrankungen, Infektionen und neurologische Erkrankungen.