„Mit beiden Füßen auf dem Boden“

Interview mit Lucius Bunk und Alexander Tebbe

Drei Schiffe gehören ihnen mittlerweile: Lucius Bunk, 34 Jahre, und Alexander Tebbe, 31 Jahre, sind die jüngsten Reeder Deutschlands. Und ihnen gelingt in der tiefsten Krise der Schifffahrt etwas, was keinem anderen so recht gelingen will: Sie sind erfolgreich. Warum das so ist und wie junge Gründer ihre Projekte angehen sollten, verraten sie im Interview mit Meike Nachtwey. Nur eins bleibt ihr Geheimnis: Wonach sie ihre Schiffe benennen.

Sie sind weder Ingenieure noch Schiffbauer, sondern Geisteswissenschaftler und Kaufmann. Wie kamen Sie auf die Idee, eine Reederei zu gründen und Frachter zu kaufen? Alexander Tebbe (AT): Wir haben beide in traditionellen Hamburger Reedereien das Schifffahrtshandwerk gelernt und hatten unser gesamtes berufliches Leben mit Schifffahrt zu tun. 2005 haben wir uns dann kennengelernt und sehr intensiv zusammengearbeitet. Dabei haben wir festgestellt, dass das gut klappt und uns beiden Spaß macht. Da haben wir beschlossen: Wenn einmal der Zeitpunkt kommt, an dem alles zusammenpasst und das Schicksal es will, dann gründen wir eine Firma. Am Anfang war viel Unsicherheit, aber irgendwann war der Zeitpunkt da. Wieso haben Sie sich die Nische „Stückgutfrachter“ ausgesucht? Lucius Bunk (LB): Entscheidend war die Erkenntnis, dass Schiffe nur dann Geld verdienen, wenn man sicherstellt, dass sie auch Ladung von A nach B transportieren. Im Containerschiffbereich ist das sehr schwierig, weil man da sehr große Konzerne mit vielen Tausend Mitarbeitern braucht, um alles zu bewältigen. Im Stückgutsegment hingegen wird eine Ladung nur von einer Partei verschifft. Wenn Siemens zum Beispiel Windmühlenflügel von China nach Europa transportiert, ist einerseits die Ladung für uns sehr inspirierend, andererseits ist das Projekt spannend, weil wir selbst die Ladung akquirieren können. Hatten Sie beim Kauf Ihres ersten Schiffes keine Angst vor großen Zahlen? LB: In der Schifffahrt operiert man generell mit großen Zahlen. Einmal Auftanken bedeutet schon eine sechsstellige US-Dollar-Rechnung. Wir sind aber auch schon eine Weile dabei, irgendwann weiß man, dass man mit Millionensummen hantiert und dass ein Schiff einen bestimmten Wert hat. Das Volumen des Geldes hat mich nicht zusätzlich beeindruckt. AT: Man kauft ja nicht nur ein Schiff für zehn Millionen Euro, man lädt es zudem für 200.000 Dollar voll. Wir haben jetzt drei Schiffe, die tägliche Kosten von jeweils etwa 5000 Dollar verursachen – pro Woche gehen hier also 100.000 Dollar über den Tisch. Man gewöhnt sich ein Stück weit an die großen Summen und die vielen Nullen, andererseits führen wir uns immer wieder vor Augen, dass wir uns davon nicht abstumpfen lassen dürfen. Wir kaufen nach wie vor die billige H-Milch und günstige Bleistifte. Und das machen wir absichtlich, denn wir wollen das Gefühl auch für die kleinen Summen nicht verlieren. Weil wir mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben wollen. Wie haben Sie die Skeptiker überzeugt, Ihnen zehn Millionen Euro zu leihen? LB: Am Ende war das Entscheidende, dass wir nicht lockergelassen haben, immer wieder unsere Vision und unser Konzept vorgestellt und die Menschen uns die Vision auch abgenommen haben. Wir konnten deutlich machen, dass wir das unbedingt wollen. AT: Außerdem haben die Geldgeber gemerkt, dass das Projekt gut strukturiert und durchdacht war: Wir agieren bewusst antizyklisch, haben eine Vision mit klarem Fokus auf Stückgutsegment und eine klare Struktur für die Anteilseigner. Dadurch konnten wir Vertrauen gewinnen. Und Vertrauen ist letztendlich alles. Auch bei den Bankern. Vertrauen ist das stärkste Fundament, das es gibt. Hier zählt nicht der Harvard-Abschluss, sondern eher, ob ich ein Hamburger Junge bin, der hanseatisch tickt. Muss man besonders mutig sein, um als Start-up erfolgreich zu sein? LB: Der Mut, den Sprung ins Ungewisse zu wagen, ist ein entscheidender Faktor. Man kann trotz ausgefeiltem Konzept nicht davon ausgehen, dass man jede Eventualität bedacht hat. AT: Ich halte mich nicht für besonders mutig, aber eins meiner Horrorszenarien war, dass ich mit 40 denke: „Hätte ich es mal gemacht. Warum habe ich nicht?“ LB: Ich war vom ersten Tag an davon überzeugt, dass es klappt, wenn wir uns anständig verhalten, unserer Idee die bestmögliche Chance geben und rausgehen aus der Komfortzone. Wenn es dann am Ende nicht klappt – schließlich gehört auch immer Glück dazu –, haben wir trotzdem dazugelernt, und das ist dann auch okay. Dann muss man eben bei Null wieder anfangen. Die Möglichkeit des Scheiterns ist Teil des Spiels, das muss man im Hinterkopf behalten. Wie fühlt es sich an, sein eigener Chef zu sein? LB: Es ist ein tolles Gefühl, die eigenen Visionen Dritten erklären zu dürfen und die Verantwortung auch in letzter Konsequenz zu tragen. Es stört mich nämlich, dass heute keiner die Verantwortung tragen will, keiner Fehler zugeben kann. Jetzt bin ich in der Situation, dass ich selber gestalte und hinterher sagen kann: Ich habe etwas richtig oder falsch gemacht, und das lag daran, dass ich eine Entscheidung getroffen habe. Das finde ich deutlich befriedigender. Welche Eigenschaften haben Ihnen geholfen, den Plan durchzuziehen, eine eigene Reederei zu gründen? AT: Eine gute Ausbildung. Man sollte nicht auf den Kopf gefallen sein und ein dickes Fell haben. Wir mussten gegen so viele Widerstände kämpfen oder standhalten – aber das hat uns nicht aufgehalten. LB: Selbstbewusstsein ist wichtig, sonst fühlt man sich langfristig in seiner Rolle nicht wohl und kommt auch mit Rückschlägen nicht zurecht. Bei uns ist es die Unterschiedlichkeit: Gelassenheit und Ruhe bei mir, Antrieb und Dynamik bei Alex – wir ergänzen uns in unseren Eigenschaften, und das ist sehr spannend. Wieso waren Sie sich sicher, dass Ihr Unternehmen ein Erfolg wird? LB: Ich glaube an Zyklik. Wir sind zurzeit in einer sehr tiefen strukturellen Schifffahrtskrise, und viele Unternehmen wurden in Krisen gegründet. Sie haben Dinge anders gemacht und davon profitiert, dass sich die Dynamik zum Positiven gedreht hat. Darüber hinaus glaube ich fest an uns und unser Team, und daran, und dass wir frischen Wind in eine traditionelle Branche bringen. Wir stellen den Spruch: „Das haben wir immer schon so gemacht“ in Frage und beleuchten ihn kritisch. AT: Jede Krise birgt eine Chance, wir wollten diese Chance nutzen. Und wir sind mit sehr viel Herzblut dabei und empfinden Arbeit nicht als Arbeit. Mit dieser Einstellung sind meiner Meinung nach die Erfolgschancen sehr hoch. Ihr Tipp für junge Gründer? AT: Nicht das Leben schön reden und Luftschlösser bauen, auch wenn Träumen ein ganz wichtiger Punkt ist. Aber am Ende muss man ehrlich zu sich selbst und realistisch sein. Und wenn man von sich und seiner Idee überzeugt ist, sollte man auch starten und nicht Ausreden finden, um es aufzuschieben. Man darf keine Angst davor haben, dass es nichts wird. LB: Mein Tipp: Lieber früh anfangen als zu spät. Erfahrung sammelt man, während man etwas macht. Man ist sowieso nicht darauf vorbereitet, was es heißt, sich selbstständig zu machen.

Lucius Bunk

Nach dem Studium von Volkswirtschaftslehre und Philosophie an den Universitäten Edinburgh und Hongkong stellte Lucius Bunk die Weichen seiner Karriere Richtung Asien. Ein Sinologiestudium in Heidelberg und Shanghai brachte ausgezeichnete Sprachkenntnisse und ein profundes Verständnis für das moderne China. Schon früh wusste der in Bad Homburg aufgewachsene Wirtschaftsökonom, dass seine berufliche Zukunft in der Schifffahrt liegt. Bei der Hamburger Traditionsreederei Ernst Russ erlernte er im Anschluss an seine Studien im Rahmen eines Managementprogramms das Schiffshandwerk. Als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft Ernst Russ (Far East) leitete Lucius Bunk zuletzt das Büro in Shanghai. Neben der Koordination der fernöstlichen Aktivitäten des Hamburger Stammhauses initiierte er erfolgreich Neubauprojekte und vertiefte die Kontakte zur aufsteigenden chinesischen Schiffsindustrie.

Alexander Tebbe

Nach seiner Ausbildung bei der Oldenburg- Portugiesischen Dampfschiffs-Rhederei, einer der ältesten Linienreedereien Deutschlands, sammelte der aus Haren/Ems stammende Schifffahrtskaufmann in den USA sowie in Großbritannien international Erfahrung im Schiffsmakler- und Reedereigeschäft. Sein Studium an der Cass Business School in London mit dem Schwerpunkt Schiffsfinanzierung hat Alexander Tebbe mit Auszeichnung abgeschlossen. Im Anschluss zeichnete er bei der Hamburger Traditionsreederei Ernst Russ für die Projektbereiche Frachtderivate und Schiffsfinanzierung mitverantwortlich. Als Geschäftsführer der Fonds- und Einschiffsgesellschaften leitete Alexander Tebbe zuletzt den Schifffahrtsbereich eines Hamburger Emissionshauses. Neben dem Fondsmanagement und der Akquise von Schifffahrtsprojekten war er hier für die Bereiche Konzeption und Kapitalvertrieb zuständig.

Jung und erfolgreich bei: Roland Berger

Name: (der Redaktion bekannt) Position: Senior Consultant Stadt: Düsseldorf Alter: unter 30 Studium: Dipl.-Ing. Maschinenbau Abschlussjahr: 2009 Weiterbildung: MBA Abschlussjahr: 2010 Ich arbeite seit 2011 bei Roland Berger Strategy Consultants und bin mittlerweile als Senior Consultant im Bereich Engineered Products/High Tech tätig. Meine Aufgabe besteht darin, weltweit Unternehmen zu strategischen und operativen Fragestellungen zu beraten. Dabei habe ich mich auf Unternehmen spezialisiert, die technische Produkte entwickeln und herstellen. Aus meinem Maschinenbaustudium kann ich Wissen aus verschiedenen Fachbereichen anwenden: etwa aus Produktentwicklung, Produktion, Werkstoffkunde und Elektrotechnik. Analytisches Denken ist ohnehin eine Grundvoraussetzung für jeden Strategieberater. Ich habe zusätzlich noch einen MBA absolviert, um meine BWL-Kenntnisse zu vertiefen. Ein betriebswirtschaftliches Zusatzstudium ist aber keine Voraussetzung für den Einstieg bei Roland Berger – vielmehr ist entscheidend, Interesse an wirtschaftlichen und strategischen Fragestellungen mitzubringen. In meinem Arbeitsalltag als Beraterin analysiere ich Prozesse beim Kunden, moderiere Workshops, führe Interviews mit den Mitarbeitern in dem jeweiligen Unternehmen und präsentiere den Entscheidern auf Managementebene meine Ergebnisse. Dass ich mich ständig auf neue Kunden, Märkte und die dazugehörigen Fragestellungen einstellen muss, ist dabei die größte Herausforderung. Doch genau diese Abwechslung und die Arbeit im Team machen mir Spaß. Da die meisten Projekte vor Ort beim Kunden durchgeführt werden, reise ich viel. Allein im vergangenen Jahr war ich beruflich in Deutschland, Spanien, den USA, der Schweiz, in Holland und Brasilien unterwegs. Auch in Frankreich führe ich häufig Projekte durch – dort habe ich sechs Jahre lang gelebt, vor meinem Einstieg in die Unternehmensberatung. Zwei der wichtigsten Gründe, warum ich mich als Maschinenbau-Ingenieurin in der Beratung wohlfühle, sind der hohe Anspruch an meine Arbeit und die gleichzeitige Förderung meiner Karriere. So bietet Roland Berger sowohl Uni-Absolventen als auch Quereinsteigern mit Berufserfahrung attraktive berufliche Perspektiven. Ich bin im Anschluss an meine Tätigkeit bei einem französischen Industrieunternehmen direkt als Consultant eingestiegen. Auch die effektive Arbeitsweise bei Roland Berger gefällt mir gut. Wir geben nicht nur theoretische Empfehlungen, sondern helfen unseren Kunden auch bei der Implementierung der Maßnahmen. Dabei legen wir bei unseren Projekten Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Kunden über alle Hierarchieebenen hinweg. Die Kunden schätzen uns daher als Berater, die auch bei der Umsetzung der Konzepte unterstützen. Wer also die Herausforderung sucht und gerne im Team arbeitet, ist hier genau richtig.

Interview mit Dr. Rüdiger Grube

Der Bahnchef

Ob das Herbstlaub für Verspätungen sorgt, ein ICE liegen bleibt oder Anschlusszüge verpasst werden: Über kein Unternehmen wird so viel geredet wie über die Deutsche Bahn. Konzernchef Dr. Rüdiger Grube weiß, dass er keinen einfachen Job hat. Warum er die Herausforderung Bahnchef dennoch gerne annimmt und wie dem Ingenieur ein Zeitungsartikel zum Thema Organspende beim Karriereeinstieg geholfen hat, verrät er in einem persönlichen Interview. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Rüdiger Grube, geboren am 2. August 1951 in Hamburg, absolvierte eine Ausbildung im Metallflugzeugbau und studierte im Anschluss an der FH Hamburg Fahrzeugbau und Flugzeugtechnik. Es folgten ein Studium der Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Uni Hamburg und eine Promotion in Arbeitswissenschaften und Polytechnik an den Unis Hamburg und Kassel. 1989 begann er seine Karriere bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm, später Daimler- Benz Aerospace (DASA). Nach Zwischenstationen bei Airbus Deutschland und beim Luft- und Raumfahrtstandort München-Ottobrunn wurde Grube 1995 zum Direktor Unternehmensplanung und Technologie der DASA berufen. 1996 wechselte er als Senior Vice President und Leiter der Konzernstrategie zu Daimler, wo er 2001 zum Vorstand der Konzernentwicklung aufstieg und ab 2005 für das Geschäft in China zuständig war. Am 1. Mai 2009 wurde der 62-Jährige zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn ernannt.
Herr Dr. Grube, die Deutsche Bahn steht wie kein anderes deutsches Unternehmen im Fokus der Öffentlichkeit. Benötigt man als Ingenieur bei der Bahn bessere Nerven als anderswo? (lacht) Ja, das ist so und wird auch so bleiben. Mit mehr als sieben Millionen Kunden täglich sind wir im wahrsten Sinne des Wortes ein öffentliches Unternehmen. Ein Beispiel: Wir haben in unserem Gleisnetz rund 70.000 Weichen und Kreuzungen. Wenn davon 98 Prozent an 365 Tagen reibungslos funktionieren, müsste man objektiv feststellen, das ist ein überdurchschnittlich hoher Wert. Gibt es aber unter den zwei Prozent Störungen Weichen und Kreuzungen, die in einem Knoten wie Hamburg oder Berlin nicht funktionieren, dann hat das fatale Folgen für die Pünktlichkeit und die Anschlusszüge, die bundesweit registriert werden. 2012 war für den Konzern ein Rekordjahr in allen Belangen: Mehr Umsatz und Gewinn, mehr Fahrgäste – und 11.000 neue Mitarbeiter. Wo liegen – gerade mit Blick auf Einsteiger in Ihr Unternehmen – die sensiblen Stellen dieses Wachstums? Ich kenne kein komplexeres Unternehmen als die Deutsche Bahn. Gerade für junge Einsteiger ist daher eine gute Einarbeitung in den ersten Monaten extrem wichtig. Sie müssen eine Vorstellung von der Vielschichtigkeit des Rad-Schiene-Systems und von den Verknüpfungen der unterschiedlichen Geschäftsfelder erhalten. Wir sind ja auch kein reines Eisenbahnunternehmen mehr, sondern ein weltweit agierender Mobilitäts-, Transport- und Logistikkonzern. Da ist es wichtig, dass man lernt, wo man im Konzern seine Ansprechpartner findet. Wie kommen Sie als Bahnchef selber in Kontakt mit jungen Ingenieuren? Und wie beurteilen Sie den Nachwuchs der jungen Generation? Ich lege großen Wert darauf, möglichst viel Zeit vor Ort mit den Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichen Geschäftsfeldern zu verbringen. Daher habe ich auch regelmäßig Kontakt zu unseren Nachwuchskräften. Mein Eindruck ist, dass die Berufseinsteiger heute kritischer sind als früher. Es wird mehr nachgefragt, gerade auch, was die eigenen Entwicklungsperspektiven betrifft. Aber auch die Vereinbarung von Job und Privatleben ist ein großes Thema. Diese neue Einstellung der Einsteiger mag vielleicht den jeweiligen Vorgesetzten mehr Arbeit machen, aber im Ergebnis führt dieser Wandel häufig zu mehr Transparenz und Sinnhaftigkeit sowie einer besseren Kenntnis der Ziele und Motive von Mitarbeitern. Wie zufrieden sind Sie mit den Anteil an Ingenieurinnen in Ihrem Unternehmen? Historisch bedingt sind im Eisenbahnsektor viele Berufe technisch geprägt und Frauen in diesen Bereichen oft noch unterrepräsentiert. Wir arbeiten jedoch intensiv daran, schon Mädchen und junge Frauen frühzeitig für technische Berufe zu begeistern und den Frauenanteil im Unternehmen weiter zu steigern. In den sogenannten MINTBerufen, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, wo heute vorwiegend das männliche Geschlecht vertreten ist, müssen wir mehr Frauen in Führungsverantwortung bringen. Was machen Sie konkret? Wir kümmern uns gezielt um unsere Ingenieurinnen in Führungspositionen. Gerade erst ist ein neues Mentoring- Programm gestartet worden. Damit möchten wir unsere Ingenieurinnen noch besser bei Themen wie Netzwerkbildung oder Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Zudem haben wir neben unserer „DB Führungs-Akademie“ unsere „DB Technikakademie“ gestartet, ein Weiterbildungsforum mit ganz speziellen Angeboten an unsere Ingenieurinnen – und natürlich auch an die männlichen Kollegen. Wir möchten Interesse wecken für den nächsten Karriereschritt und damit auch mehr Frauen für Führungspositionen begeistern. Sie sind selber diplomierter Ingenieur. Welche technischen Herausforderungen, vor denen Ihr Unternehmen steht, reizen Sie persönlich am meisten? Die ökologischen Ziele unserer Konzernstrategie sind mit einer Vielzahl spannender technologischer Herausforderungen verbunden. Nehmen Sie beispielsweise den Ausbau erneuerbarer Energien im Bahnstrommix: Bis 2020 wollen wir deren Anteil auf mindestens 35 Prozent erhöhen. 2050 soll der Schienenverkehr dann komplett CO2-frei sein. Ein ambitioniertes Projekt – und zugleich eine große technische Herausforderung. Als gelernter Ingenieur ist es für mich außerdem besonders reizvoll, die Entwicklung der neuen Zuggeneration ICx begleiten zu dürfen. Unsere Kunden können sich auf den modernsten Zug der Welt freuen. Welche Inhalte aus Ihrem Ingenieurstudium können Sie auch heute noch als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn gebrauchen? Ich würde die Antwort gern weiter fassen. Als ein Kind des zweiten Bildungsweges habe ich erfahren, dass man mit Ehrgeiz und Arbeit weit kommen kann. Ich komme aus einfachen Verhältnissen, da musste ich mir mit viel Fleiß und Aufwand erarbeiten, was andere auf dem ersten Bildungsweg doch vielleicht etwas mundgerechter angeboten bekamen. Aber ich war immer neugierig – und diese Neugier hat mich auch durch mein Studium begleitet. Fachkompetenz als Ingenieur ist sicherlich hilfreich, wenn man eine Führungsaufgabe bei einem technikgeprägten Unternehmen wie der Deutschen Bahn übernimmt. Aber ich habe immer auch Freude daran gehabt, nicht nur auf eingefahrenen Gleisen zu fahren, sondern mir auch Anregungen und Ideen aus anderen Fächern und Berufsfeldern zunutze zu machen. Wichtig ist, dass man an seinen Zielen festhält, Einsatz zeigt und Verantwortung übernimmt. Dabei lohnt es sich, auch mal mehr zu machen, als unbedingt von einem erwartet wird. Das klappt immer und führt zum Erfolg. Können Sie ein Beispiel für ein solches Engagement nennen? Während meiner Ausbildung zum Flugzeugbauer habe ich eine Lehrlingszeitschrift herausgegeben und dafür auch einen Bericht zum Thema Organspende geschrieben. Eigentlich war die Zeitschrift eher technisch ausgerichtet, aber das Thema interessierte mich. Mit dem Artikel habe ich die Aufmerksamkeit von Frau Blohm gewonnen, der Frau von Walther Blohm, dem Unternehmenschef von Messerschmitt-Bölkow-Blohm. Die Blohms luden mich zu sich nach Hause zum Essen ein. Später fragte mich Frau Blohm, was ich mal werden möchte. Ich sagte: „Eigentlich Pilot, aber das wird ja nichts, weil ich kein Abitur habe. Und jetzt würde ich gerne studieren, habe aber nicht genügend Geld.“ Am nächsten Tag rief Walther Blohm an und sagte: „Meine Frau hat mir erzählt, Sie wollen studieren, hätten aber kein Geld. Sind Sie mit 300 Mark im Monat einverstanden?“ Ich war völlig sprachlos und habe nur stumm genickt. Abseits des Geldes, welche Art von Unterstützung von Seiten Ihrer Mentoren haben Sie als besonders wichtig erfahren? Ich hätte mein Studium ohne die finanzielle Unterstützung meines Mentors nicht bestreiten können. Viel mehr als das Geld haben mich jedoch schon damals das Vertrauen und die Wertschätzung motiviert, die man mir entgegenbrachte. Ich habe gemerkt: Da glaubt jemand an mich. Das hat mich in meinem Weg bestärkt und inspiriert. Auch später – bei meinen Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Hartmut Mehdorn, Jürgen Schrempp oder Klaus von Dohnanyi – habe ich das gegenseitige Vertrauen und den offenen und direkten Austausch stets als besonders wichtig empfunden.

Zum Unternehmen

Der Deutsche Bahn Konzern ist ein internationaler Anbieter von Mobilitätsund Logistikdienstleistungen und agiert weltweit in über 130 Ländern. Rund 300.000 Mitarbeiter, davon rund 194.000 in Deutschland, stellen Mobilität und Logistik für die Kunden sicher und steuern und betreiben die Verkehrsnetze auf der Schiene, der Straße, zu Wasser und in der Luft. Kern des Unternehmens ist das Eisenbahngeschäft in Deutschland mit nahezu 5,4 Millionen Kunden täglich im Schienenpersonenverkehr und mehr als 670.000 Tonnen beförderter Güter pro Tag. Bei den Mitarbeitern liegt der Frauenanteil bei rund 22 Prozent. Aktuell beschäftigt der Konzern 987 Studenten im Dualen Studium, von denen laut Konzernangabe knapp 90 Prozent als Nachwuchsführungskräfte übernommen werden.

„Relativieren Sie Ihre Leistung nicht“

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Interview mit Gabriele Rauße

Gabriele Rauße weiß um ihre Ausnahmeposition: Die studierte Maschinenbauerin ist Geschäftsführerin von TÜV Rheinland Cert – und damit verantwortlich für die Geschäfte eines technischen Unternehmens. Warum die 46-Jährige versucht, einen anderen Führungsstil vorzuleben, und welche Hürden sie auf dem Weg nach oben nehmen musste, erklärt sie im Interview. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Gabriele Rauße, geboren am 5.10.1967 in München, studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Verfahrenstechnik an der TU Darmstadt. Sie begann ihre Karriere 1992 als Projektingenieurin beim Ingenieurdienstleister Lahmeyer. Es folgte der Wechsel zum Zertifizierungsunternehmen DQS, wo sie zwölf Jahre lang als Leiterin Key Account Management tätig war. Von 2007 bis 2011 war sie Geschäftsführerin von BSI Management Systems und Umweltgutachterin, bevor sie Anfang 2012 die Geschäftsführung des TÜV Rheinland Cert übernahm.
Frau Rauße, wie gestaltet sich für Sie ein durchschnittlicher Arbeitstag? Mein Tag ist durchgetaktet mit Terminen, bei denen ich sehr schnell Entscheidungen treffen muss. Diese betreffen ganz unterschiedliche strategische und operative Themen. Sie reichen von der Abstimmung des Vertriebskonzepts über die Neukundenakquise bis hin zur Personalentwicklung. Diese thematische Vielfalt bereitet mir sehr viel Freude. Ich muss mich immer wieder auf neue Situationen und Aufgaben einstellen. Das erfordert Flexibilität. Zudem muss ich mich schnell in neue Themen einarbeiten und Zusammenhänge erfassen. Gleichzeitig ist es wichtig, den Überblick zu bewahren und zusammen mit dem Team das Gesamtziel im Fokus zu halten. Technische Unternehmen beklagen einen Fachkräftemangel bei Ingenieuren, an weiblichen Führungskräften fehlt es besonders. Was, glauben Sie, sind die Gründe dafür? Das Ingenieurwesen in Deutschland ist eine klassische Männerdomäne. In vielen Ländern Osteuropas ist das übrigens anders. Ich denke, Frauen haben immer noch Scheu, sich in einer Männerwelt zurechtzufinden und sich zu behaupten. Auch übernehmen viele Frauen innerhalb der Familien noch immer den größeren Part. Sie glauben dann, den familiären Anspruch nicht mit einer Führungsposition vereinbaren zu können. Neben diesen gesellschaftlichen und familiären Gründen beobachte ich zudem häufig auch ein Manko in der weiblichen Selbstdarstellung. Frauen sind oft sehr gut ausgebildet, fleißig und leistungsorientiert. Das sind alles Eigenschaften, mit denen sie gut das mittlere Management erreichen. Geht es aber in noch höhere Ebenen, spielen plötzlich andere Attribute eine große Rolle: eine gute Selbstdarstellung, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Ich bemerke dann, dass Frauen besonders in Verhandlungssituationen zu wenig kämpferisch für ihre Ideen und Ziele eintreten. Wenn Sie an Ihren Werdegang zurückdenken, wann mussten Sie als Frau Hürden überspringen, die Männern vielleicht nicht im Weg gestanden hätten? Extreme Hürden standen mir bisher noch nicht im Weg. Als junge Frau und Managerin hatte ich allerdings das Gefühl, mich stärker beweisen zu müssen als Männer. Dies lag an der zuweilen distanzierten und abschätzenden Haltung von Kollegen, die sich zu fragen schienen: „Hat sie überhaupt die Kompetenz und das Wissen für Technik und Management?“ Ab einem gewissen Alter ließ dieser Druck aber nach. Viele trauten mir dann die Erfahrungen und technischen Fähigkeiten zu, die mit einem Maschinenbaustudium gekoppelt sind.

Bekannte Führungsstile

Die Theorien über Führungsstile lassen sich anhand ihrer dimensionalen Ausrichtung in drei Teilabschnitte untergliedern: 1. Eindimensionaler Führungsstil-Ansatz: Führungskontinuum nach Tannenbaum und Schmidt 2. Zweidimensionaler Führungsstil-Ansatz: OHIO-Studien und die Weiterentwicklung der Aussagen resultierend aus den OHIO-Studien in Form des Verhaltensgitters nach Blake und Mouton 3. Mehrdimensionaler Führungsstil-Ansatz: – Situationsanalyse von Hersey und Blanchard – 3-D-Ansatz nach Reddin Quelle: www.personaler-online.de
Versuchen Sie, einen anderen Führungsstil zu leben als Männer? Ich pflege einen teamorientierten und damit weniger patriarchalisch geprägten Führungsstil. Und ich denke, dass dieser Stil dem Unternehmen guttut: Ich habe den Eindruck, dass wir uns während der vergangenen zwei Jahre meiner Geschäftsführungstätigkeit immer mehr zu einem Team formiert haben, das gemeinsam Ziele verwirklichen will. In der Zusammenarbeit mit meinen technischen Mitarbeitern kommuniziere ich strukturiert, klar und geradlinig. Ich spreche einfach die Sprache der Techniker. Sie treten sehr selbstbewusst als Ingenieurin in Leitungsposition auf. Sehen Sie sich als Vorbild für junge und ambitionierte Ingenieurinnen? Als Geschäftsführerin in einem technikaffinen Umfeld besitze ich sicherlich eine Vorbildfunktionen für Frauen. Allerdings übernehme ich dabei nicht die männlichen Charakteristika, um zu demonstrieren, wie man sich auf dieser Managementebene behaupten kann. Ich möchte Frau bleiben – und pflege daher einen charmanten und verbindlichen Stil. Ich ermuntere Frauen dazu, mutig zu sein und selbstbewusst zu ihren Fähigkeiten und Leistungen zu stehen. Das fängt schon bei Kleinigkeiten an: Frauen neigen zur verbalen Bescheidenheit. Oft schmälern sie ihren Erfolg und lassen Lob nicht zu. Wenn ich zu einer Frau sage: „Das haben Sie gut gemacht!“ – dann quittiert sie dieses Lob nicht selten mit einem: „Ja, aber …“. Ich sage dann: „Relativieren Sie Ihre Leistung nicht!“ Wie fördern Sie konkret weibliche Ingenieure? Im Rahmen eines wöchentlichen Jour fixe biete ich insbesondere jungen weiblichen Fachkräften meine Unterstützung an. Wenn sie es wünschen, nehme ich an ihren Meetings teil und frage, an welchen Stellen sie meinen Rat oder meinen aktiven Support benötigen. Ich übernehme also selbst Coachingaufgaben, biete den Frauen aber auch ein externes Coaching an, da bei gewissen Führungstätigkeiten externe Coaches sehr hilfreich sind – zum Beispiel, wenn ein Team zusammengestellt oder neue Aufgaben übernommen werden müssen. Zum Abschluss: Gibt es ein Erlebnis, das sinnbildlich dafür steht, dass Sie seinerzeit das richtige Studium gewählt und die richtige berufliche Laufbahn eingeschlagen haben? Mein Studium hat mir sehr viel Spaß gemacht, und ich habe nie an meiner Entscheidung gezweifelt. Nach meinem Abschluss habe ich in einem Planungsunternehmen für Gas- und Dampfturbinenkraftwerke gearbeitet. Ich hatte bei einem Projekt die Verantwortung für den Teil eines Kraftwerkes. Nachdem das Geplante schließlich umgesetzt und verbaut war, hat mich die gewaltige Konstruktion beeindruckt. Es war für mich ein erhebendes Gefühl, daran mitgewirkt zu haben.

Redaktionstipp: Videotraining

Es ist bekannt: Stille und zurückhaltende Menschen haben es in der dynamischen und lauten Businesswelt ungleich schwerer als die allseits präsenten und eloquenten „Tausendsassa“. Als introvertierter Mensch kann ich aber genauso viel erreichen wie die Lauten, das ist die zentrale Botschaft von Sylvia Löhken an die Leisen im Lande. Die promovierte Sprachwissenschaftlerin zeigt jetzt mit ihrem Videotraining bei der Pink University, wie introvertierte Menschen das schaffen können. Infos unter www.leise-menschen.com

„Viele Mädchen kommen nicht auf die Idee“

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Interview mit Dr. Liane Koker

Für ihre Dissertation zu „Künstlichen Akkommodationssystemen“ erhielt die Ingenieurin Liane Koker 2012 den mit 10.000 Euro dotierten Bertha-Benz-Preis. Ihr Arbeitgeber ist das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), aktuell ist die Forscherin in Elternzeit. Im Interview berichtet sie über problematische Rollenbilder sowie über die Aussichten, Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Liane Koker, geboren 1980 in Magdeburg, begann 2000 ein Mechatronikstudium an der Berufsakademie in Karlsruhe, das sie drei Jahre später als Diplom-Ingenieurin abschloss. 2004 setzte sie ihren akademischen Werdegang mit einem Maschinenbaustudium an der damaligen Universität Karlsruhe (TH) – heute KIT – fort. Ihre Diplomarbeit verfasste sie als GEARE-Stipendiatin („Global Engineering Alliance for Research and Education“) an der Purdue Universität in Indiana. Ihre Dissertation erarbeitete sie am KIT am Institut für Angewandte Informatik (IAI). Für diese Arbeit erhielt sie 2012 den Bertha- Benz-Preis. Liane Koker ist verheiratet und seit Januar 2013 Mutter einer Tochter.
Frau Dr. Koker, Sie sind als Forscherin auf der Suche nach einem künstlichen Akkommodationssystem. Können Sie kurz erklären, was genau Sie machen? Das künstliche Akkommodationssystem ist ein aktives Implantat, das die Akkommodation mechatronisch wiederherstellt – also die Fähigkeit des Menschen, verschieden weit entfernte Objekte scharf zu sehen. Die künstliche Linse hat einen Durchmesser von circa neun Millimetern und ist ein hochkomplexes Mikrosystem. Die große Herausforderung ist die Integration aller Komponenten in einen sehr begrenzten und anatomisch vorgegebenen Bauraum. Das Implantat sollte zudem eine wartungsfreie Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten vorweisen sowie biokompatibel und biostabil sein. Es darf also den Körper weder schädigen noch durch diesen in seiner Funktion beeinträchtigt werden. Wir arbeiten dabei tatsächlich an der Grenze des technisch Realisierbaren. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe dafür, dass es noch immer wenige Ingenieurinnen bis in Führungspositionen schaffen? Ich denke, hier kommen weiterhin die tief in der Gesellschaft verwurzelten Rollenbilder zum Tragen. Die Mutter eines einjährigen Mädchens sagte mir neulich: „Ich weiß gar nicht, was ich meiner Kleinen später für neues Spielzeug kaufen soll. Die große Schwester hat ja schon alles – Puppenstube, Kinderküche und so weiter. Wäre das zweite Kind ein Junge geworden, hätte ich eine Werkbank kaufen können.“ Sicherlich hätte diese Mutter nichts dagegen, wenn ihre Tochter später einmal den Wunsch äußert, Ingenieurin zu werden. Aber aufgrund der selbstverständlichen Ausrichtung ihres Umfelds kommen viele Mädchen gar nicht erst auf diese Idee. War Ihr familiäres Umfeld anders? Für mich als Tochter einer Ingenieurin war immer klar, dass Frauen arbeiten gehen und ebenso die freie Berufswahl haben wie Männer. Darum habe ich mich durch die Sprüche mancher Lehrer wie „Frauen gehören an den Herd“ auch nicht beirren lassen. Andere Mädchen sind vielleicht leichter zu beeinflussen. Deshalb beteilige ich mich gern an Veranstaltungen des KIT, in denen Ingenieurinnen, Physikerinnen oder Informatikerinnen jungen Mädchen ihre Berufsbilder vorstellen, um den vorgeprägten Rollenbildern eine Alternative entgegenzuhalten und Mut zur freien Berufswahl zu machen.

Ing., weiblich, jung, sucht Weg nach oben

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Jana Zaumseil wundert sich nach einem Auslandsaufenthalt über alte Geschlechtsmuster, Ana Super bereitet sich hoch motiviert auf ihre Konzernkarriere vor: zwei Geschichten von Aufsteigerinnen in technischen Berufen – und wichtige Ratschläge einer Karriereexpertin. Von André Boße

Als Jana Zaumseil in den USA und Großbritannien an neuen Erkenntnissen auf dem Feld der Nanoelektronik forschte, kam der gebürtigen Jenaerin gar nicht in den Sinn, dass es im Bereich der technischen Forschung ein Gender-Problem geben könnte. Im Ausland war es nicht ungewöhnlich, dass Frauen die Teams leiteten. Oder dass Professorinnen erste Ansprechpartnerinnen waren. „Die Gruppen waren meistens bunt gemischt“, sagt Jana Zaumseil, sodass sie sich als junge Forscherin aus Deutschland in keiner Weise als Außenseiterin vorkam. Das änderte sich jedoch, als sie im Herbst 2009 nach Deutschland zurückkam. Jetzt war Jana Zaumseil selber Professorin für Nanoelektronik an der Uni Erlangen. Und plötzlich merkte sie, dass die Genderthematik in Deutschland sehr wohl noch eine Rolle spielt: „Bei meiner Rückkehr nach Deutschland wurde die Tatsache, dass ich eine Frau bin, plötzlich zum Thema. Ich fand das ziemlich irritierend.“ Ihr Urteil über den Status quo: „Leider haben sich die gesellschaftlichen Rollenbilder in den vergangenen Jahren in Deutschland kaum geändert. Frauen und Mädchen, die sich für Technik oder Naturwissenschaft interessieren, werden immer noch als Ausnahme dargestellt. Wenn sich das nicht ändert, werden auch weiterhin wenige junge Frauen eine technische Laufbahn wählen.“ Dass sich eben doch etwas ändert, dazu trägt die 35-Jährige nun selber bei. Jana Zaumseil ist so etwas wie ein Star in der Szene der technischen Wissenschaften – und damit ein ideales Vorbild für ambitionierte junge Frauen. Im Jahr 2010 erhielt die Wissenschaftlerin den Alfried-Krupp-Förderpreis für junge Hochschullehrer. Dotiert ist dieser Preis mit einer Million Euro. Das Geld darf sich die Forscherin natürlich nicht selbst einstecken; die Vorgabe ist es, mit der Million die Forschung voranzutreiben, neue Geräte anzuschaffen oder Doktorandenstellen zu schaffen. Es fehlt an einer Mutmachkultur Wenn man Jana Zaumseil fragt, was genau sie und ihr Team tun, sagt die Wissenschaftlerin zunächst einmal einen sehr komplizierten Satz: „Wir untersuchen die Ladungstransportund Lichtemissionseigenschaften von Nanomaterialien wie Kohlenstoffnanoröhrchen und halbleitenden Nanopartikeln.“ Einfacher wird es, wenn man sich der Sache über künftige Anwendungsbereiche nähert: Zaumseil und ihr Team suchen nach Materialien, die für optoelektronische Bauelemente genutzt werden können – also für Elemente, in denen elektrisch erzeugte Daten oder Energien in Lichtemission umgewandelt werden und umgekehrt. Begehrt sind solche Innovationen in der Telekommunikationsbranche. „Es handelt sich um ein sehr interdisziplinäres Gebiet, das Erkenntnisse aus der Chemie, Physik, Nanotechnologie und Elektrotechnik vereint“, sagt die Forscherin. Nur wenn man die Problematik aus verschiedenen Blickwinkeln und mit Zuhilfenahme verschiedenster Methoden betrachte, könne man zu einer Lösung kommen. Forschungsgruppen, die sich mit diesem Thema befassen, sind daher automatisch bunt gemischt. Auch das Geschlecht ist hier kein Thema. Umso überraschter war Jana Zaumseil, als sie merkte, dass sie sich in Deutschland immer wieder diesem Thema stellen muss: „Ich versuche, in meiner Arbeitsgruppe ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis zu schaffen, was aber an einer technischen Fakultät sehr schwer ist, da es eben einfach insgesamt wenige Frauen gibt.“ Als großes Problem für Frauen, die als Ingenieurinnen oder Forscherinnen den Weg nach ganz oben finden wollen, identifiziert sie die leisen oder lauten Zweifel, die Frauen auf dem Karriereweg begleiten. „Man steht sich generell oft selbst im Weg. Zum Beispiel, wenn man denkt, dass man nicht gut genug für ein Stipendium ist. Dann braucht man Leute um sich herum, die einen unterstützen und Mut machen.“ Und genau daran fehle es in Deutschland noch: an einer Mutmachkultur für junge Frauen, es selbstverständlich schaffen zu können.

EXIST-ING

Viele technische Unternehmen, in denen Männer über Generationen hinweg die Hauptrolle spielen, tun sich schwer damit, weibliche High Potentials zu identifizieren und zu fördern. Hier will EXIST-ING helfen: Das Projekt bietet Ansätze, um den Anteil an Ingenieurinnen in Führungspositionen zu erhöhen. Für Ingenieurinnen bietet es Schulungen, um die Führungskompetenzen zu verbessern. Zudem informieren die Experten von EXIST-ING die Geschäftsführungen und Personalleitungen der technischen Unternehmen über die Vorteile von Gender Diversity und begleiten sie, wenn es darum geht, das Thema im Qualitätsmanagementsystem zu verankern. www.exist-ing.de
Demografischer Wandel Aber: Es tut sich was. Initiativen wie EXIST-ING (siehe Kasten), Think-Ing oder „MINT – Zukunft schaffen“ widmen sich ausschließlich oder mit Schwerpunkten der Förderung des weiblichen Ingenieurnachwuchses. Es wäre auch fatal, dies nicht zu tun: Noch immer beklagen die technischen Unternehmen einen eklatanten Fachkräftemangel, gerade auch, was die Führungspositionen betrifft. Durch den demografischen Wandel werden in den kommenden Jahren viele Top- Stellen frei. Ohne Frauen können diese nicht besetzt werden – wobei sich Personalexperten einig sind, dass jüngere Frauen die älteren Männer nicht nur ersetzen, sondern mit ihren Eigenschaften und Führungsstilen dazu beitragen, dass sich die technischen Unternehmen positiv wandeln. MBA ist wichtiger Karriereschritt Eine dieser weiblichen Top-Ingenieurinnen von morgen könnte Ana Super sein, 27 Jahre alt und derzeit in der Motorenentwicklung für Nutzfahrzeuge bei Daimler tätig. Verantwortlich ist sie dort zusammen mit ihrem Kollegen für die mechatronischen Bauteile und Systeme – von der Aktorik, wo elektrische Signale in mechanische Bewegungen umgesetzt werden, über die Erstellung von Datensätzen bis hin zur Entwicklung von motorübergreifenden Funktionen wie der Motorbremse. Zurzeit koordiniert die Nachwuchsingenieurin ein internationales Projekt, bei dem sie mit japanischen und amerikanischen Kollegen zusammenarbeitet. „Bei dem Projekt handelt es sich um eine technische Innovation“, sagt sie. „Es ist wahnsinnig spannend, an etwas mitzuarbeiten, das es in der Form noch nie gegeben hat. Darüber hinaus lerne ich dabei viel: von der technischen Entwicklung bis zum Projektmanagement.“ Geboren ist Ana Super in Kroatien, dort hat sie Elektrotechnik studiert, bevor sie nach Stuttgart zog und beim deutschen Konzern das Traineeprogramm absolvierte. Um sich auf einen weiteren Schritt in Richtung Managementkarriere vorzubereiten, absolviert sie derzeit berufsbegleitend ein MBAStudium an der Uni Mannheim. „Ich bin sehr wissbegierig und lerne gerne Neues“, begründet sie diesen Schritt. Die Ingenieurin ist sich sicher, dass sie sich durch das Studium noch besser ins Unternehmen einbringen können wird. „Ich kann neben meinem Fachwissen weiteres interdiszplinäres Know-how in meine Entscheidungen einbeziehen – vom Controlling bis zur Logistik. Es macht mir einfach Spaß, ein Unternehmen als Ganzes zu betrachten.“ Gläserne Decke gibt es noch Das klingt nach einem guten Plan für einen sehr erfolgreichen Werdegang in einem der weltweit größten Autokonzerne. Hindernisse auf ihrem persönlichen Weg musste Ana Super bislang noch nicht überwinden, wie sie sagt. Doch dass diese kommen werden, je weiter es nach oben geht, davon sind viele Expertinnen überzeugt. „Die Gläserne Decke ist weiterhin ein tatsächliches Problem dieser Zeit ist – und keines, das sich vor 20 Jahren erledigt hat“, sagt Anke Domscheit-Berg. Die ehemalige Top-Managerin bei Microsoft berät mit ihrer Firma fempower.me sowohl ambitionierte Frauen als auch Unternehmen, die ihren Frauenanteil im Management erhöhen wollen. Dabei hat sie festgestellt, dass auch top-qualifizierte, selbstbewusste und neugierige junge Frauen unweigerlich an Punkte gelangen, an denen es problematisch wird – insbesondere in technischen Unternehmen mit ihrer hohen Männerquote im mittleren und oberen Management. „Ich kenne keine Top- Managerin, die nicht irgendwann einmal eines der zwei folgenden Etiketten zu hören bekam. Entweder: ,Du bist zu still. Keiner bekommt mit, was du weißt und tust. Du musst dich mehr zeigen.’ Oder: ,Du bist profilierungssüchtig, dominant und nur an deiner Karriere interessiert.’ Es scheint, als gibt es für Frauen nichts dazwischen“, sagt sie. Ihr Ratschlag an ambitionierte Ingenieurinnen: nicht nachts wach liegen und Strategien überlegen, wie man am nächsten Tag sanfter und zurückhaltender wirken kann. „Das ist nämlich die Karrierebremse schlechthin.“ Wer weiter nach oben möchte, müsse damit leben, regelmäßig gegen das Schubladendenken zu verstoßen. Das kann anstrengend sein – lohnt sich aber, denn eines ist klar: Die Zeit der Ingenieurinnen in Führungspositionen wird kommen.

11,3 Prozent der Ingenieurinnen in Führungspositionen

Laut den neuesten Zahlen des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) ist der Frauenanteil bei den Ingenieuren gestiegen, und zwar von 14,7 Prozent im Jahr 2005 auf 16,5 Prozent im Jahr 2010. Da der Frauenanteil unter den Absolventen seit längerer Zeit bei mehr als 20 Prozent liegt, ist mit einem weiteren Anstieg dieses Anteils zu rechnen, wie der VDI in seiner Studie „2013: Ingenieure auf einen Blick“ formuliert. Dass noch Luft nach oben ist, verdeutlicht eine andere Zahl: Nur rund jede 20. Absolventin verlässt die Uni mit einem Abschluss in Ingenieurwissenschaften. Mit dieser Quote liegt Deutschland in Europa auf dem 19. Platz. Führend sind die Portugiesinnen mit einem Ingenieurinnen- Anteil von 9,5 Prozent. Kein Wunder, dass in Portugal der Anteil von Ingenieurinnen, die eine Führungs- und Aufsichtsfunktionen wahrnehmen, mit 27,1 Prozent am höchsten liegt. Die Quote in Deutschland: 11,3 Prozent. Quelle: www.vdi.de

Krisengespräche

Kaum zu glauben, dass niemand zuvor auf diese Idee gekommen ist: Der Psychologe Tom Frenzel gründete mit Kollegen die Hilfsorganisation Psychologen über Grenzen, um unabhängige und professionelle Unterstützung vor, in und nach Krisen zu leisten. Ehrenamtlich. Aufgezeichnet von Stefan Trees

Tom Frenzel, Foto: Privat
Tom Frenzel, Foto: Privat
Tom Frenzel, 35 Jahre, Dipl.-Psychologe Projekt: Psychologen über Grenzen Ort: Potsdam Web: www.psychologen-ueber-grenzen.org
Wie alles begann Die Idee zu „Psychologen über Grenzen“ hat 2008 auf dem Internationalen Kongress für Psychologie in Berlin Form angenommen, wo ich sie meinem Kollegen und heutigen Mitgeschäftsführer Gerd Reimann vorgetragen habe: Ich wollte eine psychologische Organisation nach dem Vorbild der Ärzte ohne Grenzen oder anderer in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Organisationen gründen. Wir waren uns in unserer Begeisterung sofort einig, dann ging die Arbeit erst richtig los. Zusammen mit einem harten Kern an ebenfalls ehrenamtlich tätigen Psychologen haben wir ab 2009 die Aufbauarbeit geleistet. Als „Psychologen über Grenzen“ haben wir uns auf drei Arbeitsfelder spezialisiert: Eines ist die Notfallpsychologie. Man kann mit einer gezielten notfallpsychologischen Betreuung kurz nach traumatisierenden Ereignissen, also einer Krisenintervention, langwierige, schwierige posttraumatische Belastungsstörungen bei einem erheblichen Teil der Betroffenen abwenden. Krisenintervention bedeutet zu verhindern, dass sich Menschen aufgrund der Überlastung, die sich durch eine traumatisierende Situation ergeben hat, aus ihrer sozialen Umwelt und ihren sozialen Ressourcen zurückziehen. Stattdessen sollen sie aktiv bleiben, sich Unterstützung suchen und sich austauschen. Zweiter Bestandteil unserer Arbeit ist die Prävention. Viele Entwicklungsländer verfügen nicht über die psychologische Infrastruktur, Ressourcen und fachliche Kapazität und können im Krisenfall nicht auf ein so gut ausgebautes Netzwerk von professionellen Unterstützern zurückgreifen wie wir. Umso wichtiger ist es, als Betroffener zu wissen, was man machen kann, um vorbeugend die Folgen negativer Ereignisse wie beispielsweise Naturkatastrophen abzuschwächen. Das kann in schwachen Sozialstrukturen entscheidend sein. In unserem dritten Arbeitsbereich Evaluation ist die Hauptaufgabe, die Wirkung und Wirksamkeit des Erfolgs von Projekten im Non-Profit-Bereich zu beobachten, sowohl national als auch international. Weltweit ist die systematische Überprüfung von Wirkungen in der Entwicklungszusammenarbeit stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, weil man herausfinden möchte, wie die investierten Mittel noch mehr bewirken können. Warum ich das mache Ich halte es für ein Privileg, in einem der reichsten Länder der Welt studieren zu können. Klingt pathetisch, ist aber meine ehrliche Meinung. Ich denke, dass sozial privilegierte Menschen wie ich, die nur deshalb Zugang haben zu den besten international anerkannten Ausbildungen, weil sie zufällig in ein reiches Land geboren worden sind, automatisch eine Verantwortung tragen, ob sie wollen oder nicht. Ich nenne das angeborene Mitverantwortung für diejenigen, denen es nicht so gut geht. Ich werde häufiger für diese Ansicht belächelt und halte das für ein deutsches Spezifikum. In den USA ist dieser Gedanke für die meisten gar nicht außergewöhnlich. Wer in den USA ein Stipendium erhalten möchte, muss erst einmal nachweisen, wie er sich für das Gemeinwohl engagiert. Das ist dort viel selbstverständlicher. Ich wünsche mir, dass sich ehrenamtliches und uneigennütziges Engagement auch bei uns im allgemeinen Wertekanon durchsetzt. Was es bislang gebracht hat In der psychologischen Landschaft – und da spreche ich nicht nur von Deutschland – war es noch niemandem aufgefallen, dass es im Unterschied zum Beispiel zu ärztlichen Organisationen noch keine psychologische Hilfsorganisation gab. Dabei haben wir als Psychologen Einiges zu bieten, immerhin verfügen wir über solide wissenschaftliche Erkenntnisse aus 50 Jahren intensiver empirischer und theoretischer Forschung. Es ist allerdings nicht so, dass wir mit offenen Armen begrüßt werden. Wir bekommen zu hören: Jetzt wollen auch noch Psychologen Entwicklungszusammenarbeit machen. Da ist wohl noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. In den vergangenen vier Jahren haben wir unter anderem strategisch und präventiv in der Notfallpsychologie gearbeitet. Beispielsweise haben wir Wissenschaftler der Uni Köln im Rahmen einer notfallpsychologischen Schulung auf ihre Reise nach Bangladesch vorbereitet, die sie mit einer Forschungsfrage in die Slums von Dhaka führte: Wie kann man den Menschen vor Ort vermitteln, dass Flutereignisse in Zukunft wahrscheinlich häufiger und heftiger auftreten können und dass Vorsorgemaßnahmen schlimmere Folgen für sie und ihre Kinder verhindern können? Im November 2010 sind wir dann selbst in die Hauptstadt Bangladeschs gereist, um im Rahmen eines Evaluations- Auftrags die Wirkung des Slum- Schulprojekts der Organisation „Ärzte für die Dritte Welt“ zu überprüfen. Diese Schule hat sich in den vergangenen etwa zwanzig Jahren mit Unterstützung der „Ärzte für die Dritte Welt“ aus Deutschland und Österreich enorm weiterentwickelt: Früher war es eine einfache Slumhütte mit wenigen Schülern, mittlerweile wird dort etwa 750 Kindern aus dem Großstadtslum eine Schulbildung ermöglicht. Um die Wirksamkeit der Schule für die Kinder und deren Familien noch weiter zu erhöhen, haben wir verschiedene Vorschläge zur Weiterentwicklung des Projekts erarbeitet. In Dhaka hatte ich die Gelegenheit, mir einige Hinterhof-Produktionsanlagen anzusehen, die es dort zahlreich gibt. Was ich gesehen habe, war schier unerträglich für westeuropäische Augen – und wir waren nicht mal im schlimmsten Slumgebiet. Nun bin ich umso entschlossener, als Arbeitspsychologe bei „Psychologen über Grenzen“ meine Unterstützung auch zu den Themen Arbeitsschutz und Arbeitsorganisationsbedingungen von Unternehmen in Entwicklungshilfeländern anzubieten.

„Ein Stück Berufung wäre schön“

Walter Kohl ist ehemaliger Investmentbanker und Controller, Bestseller-Autor, Mentor für Menschen, die vor großen biografischen Brüchen stehen – und ältester Sohn von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl. Warum man im Alter Probleme gelassener betrachtet als in jungen Jahren, verriet der 50-Jährige unserem Autor André Boße.

Zur Person

Walter Kohl, geboren am 16. Juli 1963, ist der ältere von zwei Söhnen des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Er studierte am Harvard College, an dem er mit einem Bachelor-Doppelabschluss in VWL und Geschichte graduierte, und absolvierte ein Aufbaustudium in Wien, das er als Diplom-Volkswirt abschloss. Im Anschluss daran arbeitete er bei der US-Investmentbank Morgan Stanley, dann kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete in leitender Position im Controlling bei Unternehmen wie Kaufhof und Metro. 2005 machte er sich selbstständig und ist nun Inhaber der Firma Kohl & Hwang, die Spezialteile für die Autoindustrie aus Korea vertreibt. Zusammen mit seiner Familie lebt Walter Kohl in Königstein. Er ist Autor von zwei Büchern, in denen er sich mit der Beziehung zu seinem Vater beschäftigt und Lebenshilfe für psychologische Krisensituationen gibt. Zudem konzipiert er ein „Zentrum für eigene Lebensgestaltung“ – einen Ort, an dem Menschen, die sich in biografischen Umbrüchen befinden, Hilfe finden sollen. www.walterkohl.de
Herr Kohl, können Sie sich noch an den Moment erinnern, an dem für Sie die berufliche Karriere an Bedeutung verlor – und dafür die persönliche Weiterentwicklung in den Fokus rückte? Diesen Moment hat es für mich bisher nicht gegeben. Und ich hoffe auch, er kommt nie. Ich finde, die Dinge sollten in einem Gleichklang stehen, denn Beruf, Beziehung, Familie und Freunde gehören zusammen. Dass dies manchmal schwierig ist, weiß ich aus eigener Erfahrung. Beruf sollte mehr als ein Job sein, ein Stück Berufung wäre schön. Es gibt Zeiten im Leben, da steht der Beruf im Vordergrund. Dann kommen wieder andere Phasen, in denen private Themen dominieren. Die wichtigste Erfahrung für mich war, dass ich eines Tages begonnen habe, mein Selbstwertgefühl immer weniger vom Applaus der anderen abhängig zu machen. Das ist eine besonders im beruflichen Umfeld wichtige Form der Befreiung. Heute lebe ich leichter als früher, da ich mehr Gelassenheit mir selbst gegenüber zulasse. Ich versuche, weniger verbissen zu sein und mit Dankbarkeit und Achtsamkeit den kleinen Dingen des Lebens einen großen Platz in meinem Tagesablauf zu widmen. Ist diese Gelassenheit – auch mit Blick auf Krisen und Rückschläge – eine Tugend des Alters? Für junge Menschen sind viele Situationen besonders belastend, wenn sie zum ersten Mal passieren. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Liebeskummer, damals glaubte ich, dass die Welt untergeht. Zu diesem Zeitpunkt waren das ehrliche und wahre Gefühle. Heute, nach vielen Erlebnissen, würde ich vielleicht anders fühlen – aber das nützte mir damals wenig. Was raten Sie jungen Menschen, die zum ersten Mal mit solchen Problemen konfrontiert werden? Mein erster Rat: Nimm die Situation in ihrer vollen Härte, in ihrem vollen Schmerz vorbehaltlos an. Weiterhin hat mir ein Perspektivwechsel sehr geholfen: Anstatt sich über das „Was“ einer Situation aufzuregen, versuche ich heute durch ein anderes „Wie“ mit Enttäuschungen, Schmerzen oder Problemen umzugehen. Also mit einer anderen Sicht auf die Dinge, einer anderen inneren Haltung. Vom römischen Philosophen Seneca können wir lernen, dass alles eine Frage der Sichten ist. Eines Ihrer Bücher heißt „Leben oder gelebt werden“. Für Einsteiger gilt häufig Letzteres, da sie plötzlich mit vielen Pflichten und Erwartungen konfrontiert werden. Gehört diese Phase zu einem jungen Leben einfach dazu? Das Leben kennt Phasen des Gelebtwerdens – und das ist okay. Gäbe es keine Nacht, dann würden wir nicht das Licht des Tages schätzen. Damit sage ich aber nicht: Gesund ist, was hart macht – denn dieses Denken schätze ich überhaupt nicht. Ich sage vielmehr, dass wir alle Phasen und Erlebnisse unseres Lebens annehmen sollten und sie versöhnt in unseren Lebensweg integrieren sollten. Manchmal müssen wir uns für ein Ziel anstrengen, vielleicht sogar etwas quälen. Das gehört zum Leben dazu. Denn nur, wer auch aushalten und sich schinden kann, wird die Früchte des Erfolges wirklich zu schätzen wissen. Was zählt, ist, einen authentischen Weg zu gehen und die Überzeugung zu haben, dass dieser Weg Spaß macht und sinnvoll ist. Sie haben für viele Jahre als Controllingverantwortlicher in Unternehmen gearbeitet. Wie wirkt sich eine Position, die auf Misstrauen statt auf Vertrauen basiert, auf das Wohlbefinden aus? Controlling, wie ich es praktisch umgesetzt habe, war weit mehr als blanke Zahlenakrobatik. Mir ging es stets um den Arbeitsprozess, seine Optimierung und vor allem den vernünftigen Umgang mit den dort befindlichen Menschen. Controlling heißt nicht Kontrolle, so wie es oft praktiziert wird. Ein guter Controller ist ein Lotse. Er besitzt Autorität in der Sache und Verständnis für die Menschen. Nachhaltiger Erfolg in Unternehmen wird nur mit Menschen erreicht, nicht gegen sie.
Walter Kohl: Leben was du fühlst. Von der Freiheit glücklich zu sein. Der Weg der Versöhnung Scorpio 2013. ISBN 978-3943416008. 16,99 Euro

Herzschmerz am Schreibtisch

„Liebeskummer ist eine scheußliche Krankheit“, hat Tina Turner einmal gesagt. Dagegen meint der französische Schriftsteller Marcel Pagnol: „Liebeskummer ist wie ein Diamant: Man sollte ihn mit Fassung tragen.“ Einfacher gesagt als getan. Gerade wer erst ins Berufsleben eingestiegen ist, kann eigentlich nichts weniger brauchen als ein gebrochenes Herz – und muss manchmal eben doch damit zurechtkommen. Nur: Wie stellt man das an? Kerstin Neurohr und Theresa Hupp haben Elena Sohn, die Liebeskümmerin, dazu befragt.

Elena Sohn, Foto: Sohn
Elena Sohn, Foto: Sohn
Die Expertin und ihre Liebeskümmerer Elena Sohn, 33 Jahre, ist Gründerin des Unternehmens „Die Liebeskümmerer“. Nachdem sie vor einigen Jahren selbst schlimmen Liebeskummer erlebte, gab sie ihren Job in einer Berliner PR-Agentur auf und krempelte ihr Leben um. Seitdem hilft sie als Liebeskummer- Expertin mit ihrem Team anderen, Krisen zu überwinden. Die Liebeskümmerer bieten unter anderem Liebeskummer-Reisen, Beratung per E-Mail oder Telefon durch ein Team von Psychotherapeuten, einen Online-Shop mit kleinen Geschenken sowie Veranstaltungen für alle, die Liebeskummer haben. www.die-liebeskuemmerer.de www.facebook.com/dieliebeskuemmerer
Der Berufseinstieg hat tadellos geklappt, motiviert ist man in den Traumjob gestartet – da zerbricht plötzlich die Liebe. Irgendwie muss man zwischen dem Verarbeiten seiner Gefühle und dem Funktionieren im Job überleben. Keine einfache Sache. Wie geht man mit dieser Situation um? Tritt man in jedem Fall morgens im Büro an, auch wenn sich der Partner am Vorabend getrennt hat? Natürlich möchte man gerade als Berufseinsteiger in einem neuen Job nicht mit plötzlichen Krankschreibungen auffallen. Daher ist es wichtig, sich zunächst zu fragen, ob sich die Arbeit bewältigen lässt, eventuell sogar willkommene Ablenkung sein kann, oder nicht. Im ersten Fall ist es auf jeden Fall sinnvoll, seiner Arbeit weiter nachzugehen. Für den zweiten Fall gibt Elena Sohn vom Beratungsunternehmen „Die Liebeskümmerer“ Tipps: „Man sollte sich zunächst einige Fragen stellen: Bin ich momentan bei der Arbeit entbehrlich? Wie viel Verantwortung und Genauigkeit verlangt mir meine Arbeit ab, und kann ich ihr überhaupt gerecht werden? Oder riskiere ich, gravierende Fehler zu machen? Kann ich mit meinen Kollegen oder dem Chef über meinen Zustand sprechen oder muss ich mich verstellen – und könnte ich das überhaupt? Anhand solcher Fragen sollte man sich ehrlich beantworten, ob es möglich und sinnvoll ist, weiterzuarbeiten“. Wichtig ist, eine klare Entscheidung zu treffen. Im Büro zu stehen und sich unablässig zu fragen, ob man der Arbeit gewachsen ist, verstärkt nur das Gefühl der Ohnmacht. „Ich vergleiche das gern mit einem gebrochenen Arm oder einer schweren Grippe: Kein Mensch würde von Ihnen verlangen, mit einer derartigen Erkrankung normal weiterzuarbeiten. Bei Liebeskummer ist das anders – obwohl der oft wesentlich schlimmer ist“, sagt Elena Sohn. Wer also merkt, dass die Arbeit unter dem Kummer leidet, sollte sich ernsthaft Gedanken über eine kurze Auszeit machen.
In ihrem ersten Buch, das Ende Oktober 2013 erscheint, erzählt Elena Sohn wahre Geschichten von Frauen und Männern mit Liebeskummer: Schluss mit Kummer, Liebes. Geschichten vom Herzschmerz und wie er verging. Ullstein 2013. ISBN 978-3548374826. 8,99 Euro
Allzu lange sollte man sich dem Alltag und damit dem Job allerdings nicht entziehen, da er auch wichtigen Halt bietet: Die Struktur, die er in den Tag bringt, kann sehr hilfreich sein. Zudem bietet die Arbeit Ablenkung und die Möglichkeit, aktiv und produktiv zu sein – etwas, das einem im Privaten gerade vielleicht schwer fällt. Im Job besonders Gas zu geben, kann sogar für ein neues Hoch sorgen, denn Lob steigert das Selbstwertgefühl, und der Liebeskummer kann ein Karrieresprungbrett sein. „Eine junge Frau, über die ich in meinem Buch berichte, hat in dieser Situation richtig Karriere gemacht, weil ihre Arbeit ihr so viel Halt bot“, sagt Elena Sohn. Falls es im Büro Momente gibt, in denen man um Fassung ringen muss, hilft es, tief durchzuatmen und den schwarzen Gedanken einen klaren Riegel vorzuschieben, bis man wieder in den eigenen vier Wänden ist. Es ist notwendig und richtig, der eigenen Trauer nachzugehen – nicht aber, sich ihr immer und überall zu ergeben. Wenn es sich anbietet, eine Kollegin oder einen Kollegen des Vertrauens einzuweihen, sollte man das tun: In einem Umfeld, in dem man sich auch menschlich verstanden weiß, arbeitet es sich leichter.

Buchklassiker zur Liebe

Der 1956 erstmals erschienene Klassiker des Sozialpsychologen Erich Fromm wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, immer wieder neu aufgelegt und hat weltweit Millionen von Lesern gefunden: Erich Fromm: Die Kunst des Liebens dtv 2012. ISBN 978-3-423-36102-6. 7,90 Euro
Auch außerhalb der Arbeit sollte man sich gerade in Zeiten des Liebeskummers bewusst um sich selbst kümmern: Es ist wichtig, gut zu essen und genug zu schlafen, um gesund zu bleiben und sich ein gutes Körpergefühl zu bewahren. Sport bietet Zerstreuung und setzt Endorphine frei. Zudem empfiehlt es sich, mal wieder gründlich die Wohnung auszumisten und sich ein klares, freundliches Zuhause zu gestalten, sowie auch neben der Arbeit den normalen Tagesrhythmus zu erhalten: Die Freizeit aktiv zu gestalten und Freunde zu treffen schafft positive Energie. Hilfe suchen „Wenn der Liebeskummer auch nach einer längeren Auszeit immer noch so schlimm ist, dass Sie sich schwer konzentrieren können, können Sie psychotherapeutische Hilfe in Erwägung ziehen“, sagt Elena Sohn. „Davor braucht keiner Angst zu haben, und man ist auch nicht schwach oder labil, weil man das macht – im Gegenteil.“ Keine Lösung ist es, den Schmerz auszusitzen oder gar zu ignorieren, denn ein gebrochenes Herz kann krank machen. So kann der Kummer zu ernsthaften Beschwerden wie starken Kopfschmerzen und Magenbeschwerden führen, die die Leistungsfähigkeit erheblich einschränken, in schlimmen Fällen sogar zum „Broken Heart Syndrom“, welches wie ein Herzinfarkt behandelt werden muss. Es gilt: Jeder Mensch ist anders, geht individuell mit Schmerz um und braucht dementsprechend individuelle Lösungen, um wieder gesund zu werden. Deshalb sollte man sich nicht scheuen, sich genau die Hilfe zu holen, die man benötigt.

Extra: Filmtipp

Was ist schiefgelaufen, wenn man 30 Jahre alt wird – aber der Kontostand in Sachen Liebe noch auf Null steht? Dieser Frage geht Filmemacher Wolfram Huke in Love Alien nach. Seine sehr persönliche filmische Dokumentation war letzten Sommer im Kino zu sehen, hat zahlreiche Preise abgeräumt und erscheint demnächst auf DVD. love-alien.de

Emotionale Kompetenz gefragt

Robert Betz, geboren 1953 im Rheinland, ist Psychologe, Autor, Vortragsredner und Seminarleiter. Sein Buch „Willst du normal sein oder glücklich?“ steht seit der Erscheinung 2011 auf der Spiegel- Bestsellerliste, seine Facebookseite hat über 100.000 Fans. In seinem Beitrag hier erklärt er, welchen Platz Gefühle am Arbeitsplatz haben. Von Robert Betz

Robert Betz, Foto: Privat
Robert Betz, Foto: Privat
Zurzeit findet in vielen Unternehmen ein krasser Generationenwechsel statt, der zugleich einen Werte- und Verhaltenswandel einläutet. Die neue Generation von Führungskräften begreift mehr und mehr, dass Firmen authentische Menschen benötigen, die vieles hinterfragen, was bisher in Stein gemeißelt schien. Selbstständiges und kreatives Denken erhält einen deutlich höheren Stellenwert und wird mindestens so sehr gewünscht wie fachliches Know-how – gefragt sind neue Ideen, Offenheit, Transparenz, Wertschätzung in den Beziehungen und innere Beweglichkeit. Zu diesen Qualitäten, die jetzt in den Vordergrund rücken, gehört ganz besonders die Kompetenz im Umgang mit den eigenen Gefühlen sowie mit den Gefühlen anderer, also emotionale Kompetenz. Wenn jemand morgens an seinen Arbeitsplatz kommt, dann erscheint da nicht nur ein Mensch mit Körper und Gehirn, sondern zugleich ein Wesen voller gespeicherter Emotionen, die er seit seiner Kindheit durch Tausende Gedanken erschaffen hat. Dazu gehören Gedanken wie „Ich muss es schaffen“, „Ich könnte scheitern“, „Ich bin nicht liebenswert“, „Ich will nicht allein bleiben“, „Ich könnte (wieder) verlassen werden“. Solche und andere Gedanken erschaffen Gefühle wie Angst, Trauer, Wut, Scham, Schuld, Ohnmacht, Neid und Eifersucht. Wir sind von Haus aus emotionale Wesen, lernen aber weder in Schule noch Hochschule, wie man mit Gefühlen so umgeht, dass wir nicht an ihnen leiden. Stattdessen verdrängen wir viele Gefühle und lehnen sie ab, weil wir sie als negativ und störend empfinden, ganz besonders am Arbeitsplatz. Besonders in der Arbeitswelt erleben wir täglich Menschen und Situationen, in denen unsere emotionalen Knöpfe gedrückt werden: der Chef, der unsere Leistung nicht anerkennt, der nicht lobt, sondern herabsetzt oder seinen Launen freien Lauf lässt. Der Kollege, der neidisch auf uns schaut, wenn wir einen Erfolg verbuchen konnten. Der aufgebrachte Kunde, der sich über Produktmängel oder die Lieferverzögerung beschwert. Sie alle lösen Emotionen in uns aus, die uns oft sprachlos und hilflos dastehen lassen, und das wiederum lässt das Gefühl der Scham in uns aufsteigen. Generationen von Führungskräften haben gelernt, dass solche Emotionen im Unternehmen keinen Platz haben. Bis heute reißen sich ältere genauso wie junge Männer und Frauen zusammen, wenn Gefühle in ihnen hochsteigen, die man ihnen als Schwäche auslegen könnte. Erst recht sind Tränen in den meisten Firmen noch immer ein No-Go. Erst in den letzten Jahren, in denen unter anderem immer mehr Frauen die Verantwortung im Personalmanagement übernommen haben, hat diese rigide Abwehrwand gegen Emotionen zu bröckeln begonnen. Langsam begreift man in den Führungsetagen: Wenn man sich einen lebendigen, begeisterten jungen Mitarbeiter wünscht, der mit Freude an seiner Aufgabe erfolgreiche Teams anleitet oder das Herz seiner Kunden erreicht, dann gehören zu diesem Mitarbeiter auch Emotionen wie Angst, Wut oder Ohnmacht. Sie können nicht außen vor bleiben. Denn wer solche „negativen“ Gefühle systematisch unterdrückt, der kann auch keine echte Freude und Begeisterung empfinden und zeigen. Aber dieses Umdenken steckt noch in den Kinderschuhen, vor allem deshalb, weil kaum jemand zeigen kann, wie man unangenehme Gefühle wie Angst oder Wut in Freude verwandeln kann. Niemand kann jeden Tag gleichermaßen gut drauf sein, denn jeder bringt täglich seine private Geschichte mit an den Arbeitsplatz. Ob mich gerade der Partner betrogen oder verlassen hat, ob Mutter oder Vater gerade ins Krankenhaus eingeliefert wurden, ich von einem Freund enttäuscht wurde, die Freundin unerwartet schwanger ist oder ich nachts aus unerfindlichen Gründen nicht mehr durchschlafe, weil der Kopf voller Sorgen und Ängste ist – all dies löst Gefühle in uns aus, die wir nicht verstecken können, auch wenn wir uns zusammenreißen und tun, als sei alles in bester Ordnung. Hier hilft es, wenn wir den Mund aufmachen und offen zugeben: „Mir geht es gerade nicht gut. Ich habe da ein Problem …“. Die anderen sind auch Menschen und kennen solche Situationen aus eigener Erfahrung. Der Mut, sich schwach und verletzlich zu zeigen und mit jemandem im Unternehmen das Gespräch zu suchen, der Vertrauenswürdigkeit ausstrahlt, ist ein Weg, der sich auszahlen kann, aber das hängt von der Lebenserfahrung und Reife des Gegenübers ab. Für die meisten Arbeitgeber gilt nach wie vor: Herzliche, begeisterte und authentische Menschen sind gewünscht. Und man darf auch mal einen emotionalen Durchhänger haben. Den muss man im Büro nicht verheimlichen – aber lösen werden die Kollegen die Krise wohl nicht. Dazu sucht man sich besser Unterstützung woanders, außerhalb der Firma.

Aktivitäten von Robert Betz

Audio-CDs Negative Gefühle in Freude verwandeln: Geführte Meditation zur Befreiung von Angst, Wut, Scham & Co. Betz 2006. ISBN 978-3940503404. 20 Euro. Hörproben Frieden mit meinen „Arsch-Engeln“ – Meditations-CD: Verstrickte und verstrittene Beziehungen verstehen und verwandeln. Betz 2008. ISBN 978-3940503626. 20 Euro Internet www.robert-betz.com www.facebook.com/betz.robert Eigener Channel unter www.youtube.com/user/RobertBetzTV Bestseller Willst du normal sein oder glücklich? Aufbruch in ein neues Leben und Lieben. Heyne 2011. ISBN 978-3453701694. 8,99 Euro

Schaffe ich das?

Der Studienabschluss ist geschafft, jetzt gilt es, zu zeigen, was man drauf hat. Hat man’s denn drauf? Der erste „richtige“ Job bringt so manchen Selbstzweifel und Ängste ans Tageslicht: Passt diese Stelle wirklich zu mir, und kann ich die entsprechenden Erwartungen erfüllen? Diplom-Psychologin Angelika Gulder und Selbstbewusstseinstrainerin Claudia Wissemann erklären, worauf es ankommt.

Über die Autorinnen

Angelika Gulder, Foto: Privat
Angelika Gulder, Foto: Privat
Diplom-Psychologin Angelika Gulder ist Berufungsfinderin, Coach und Bestsellerautorin.www.coaching-up.de
Claudia Wissemann, Foto: Monika Werneke
Claudia Wissemann, Foto: Monika Werneke
Claudia Wissemann arbeitet als Karrierecoach und Selbstbewusstseinstrainerin. www.cwissemann.de
Für Jonas beginnt gleich das Meeting mit dem Vorgesetzten, bei dem er über den Stand seines ersten eigenen Projektes berichten soll. „Ich weiß, es ist nicht nachvollziehbar. Aber immer in solchen Situationen beginnt mein Herz zu rasen, ich fange an zu schwitzen und mein Hirn verweigert die Mitarbeit. Ich schnappe nach Luft und bin zu keiner klaren Antwort fähig.“ Versagensangst – normal oder nicht? Zu versagen, Fehler zu machen oder zu scheitern, gehört zu den häufigsten Ängsten in unserer Gesellschaft. Schon an der Uni durchlebt mehr als ein Drittel der Studenten massive Prüfungsängste. Verspüren wir Angst, in einer bestimmten Situation nicht die erwartete Leistung erbringen zu können, handelt es sich um Versagensangst. Das ist seit frühester Kindheit erlernt. Wenn wir in einer sicheren und liebevollen Umgebung aufgewachsen sind, haben wir meistens ein starkes Selbstbild entwickelt, durch das wir uns den Herausforderungen unseres Lebens gewachsen fühlen. Wenn nicht, entwickeln wir eine „Überlebensstrategie“, um Liebe und Aufmerksamkeit zu erhalten: „Wenn ich gute Leistungen bringe, werde ich gelobt“ ist eine Annahme, die zu einer solchen Strategie gehört, oder auch „Wenn ich etwas Kluges sage, bekomme ich ein Lächeln zurück“. Versagensängste erkennen Im normalen Alltag und Berufsleben ist Versagen normalerweise nicht lebensbedrohlich. Trotzdem fühlen und verhalten sich Menschen oft so, als wäre es das. Sie bekommen Herzrasen und Schwächeanfälle, sie zittern, die Brust wird eng, es gibt Magenprobleme, Kopfschmerzen und vieles mehr. Dazu kommen im schlimmsten Fall Depressionen. Um das zu vermeiden, werden die Angst auslösenden Situationen oft gemieden. Was in einem neuen Job natürlich gar nicht möglich ist. Hier geht es ja vor allem am Anfang darum, sich zu beweisen und von der besten Seite zu zeigen. Was also tun? Das Wichtigste ist, für sich selbst zu klären, wovor man eigentlich Angst hat. Ist es eine bestimmte Situation? Eine Person, die den Stress in uns auslöst? Oder ist es eine eher grundsätzliche Angst vorm Versagen? Angst ist im Prinzip erst einmal positiv und hilft uns, körperliche und psychische Kräfte zu mobilisieren. Schlecht ist Angst aber dann, wenn sie uns blockiert, statt zu Bestleistungen zu bringen. Darum checken Sie, ob Ihre Angst noch leistungssteigernd und fördernd ist oder eher hinderlich und hemmend. Sprechen Sie mit Ihren Freunden, wie es ihnen ergeht und wie sie mit ähnlichen Situationen umgehen. Oft hilft es schon zu wissen, dass andere auch nicht immer so cool sind, wie sie wirken. Wenn die Angst vor dem Versagen allerdings zu groß wird, ist es sinnvoll, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Coach, der hilft, ein besseres Selbstbewusstsein aufzubauen, oder auch ein Psychologe, mit dem man herausfinden kann, woher die Ängste kommen, sind die richtigen Ansprechpartner. Mit Hilfe der klassischen Verhaltenstherapie können automatische Angstmuster unterbrochen werden. Bei tieferliegenden Ursachen gibt es neue therapeutische Ansätze wie EMDR (www.emdr.de) oder PEP (www.dr-michael-bohne.de). Der richtige Job? Manchmal ist der Grund für die Versagensangst aber auch ein ganz anderer: Viele Studenten sind nach dem Abschluss froh, einen Job gefunden zu haben – auch, wenn es nicht der Traumjob ist. Und das ist auch okay. Ist der neue Job aber zu weit von dem entfernt, was man sich eigentlich gewünscht und vorgestellt hat, und hat man das Gefühl, dort völlig falsch zu sein, kommt zur Versagensangst auch noch die Furcht davor, dass jemand merken könnte, dass man auf diesen Job eigentlich keine Lust hat. Dann ist es wichtig, herauszufinden, was man wirklich will, und die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen. Was tun, wenn mir die beruflichen Anforderungen über den Kopf wachsen? Engagierte Mitarbeiter sind für jeden Arbeitgeber Gold wert. Für eine erfolgreiche Karriere ist aber ebenso eine gute Balance zwischen Engagement und Freizeit wichtig. Überstunden dürfen sein, allerdings erfordern neue Aufgaben auch Kraft und Energie. Ein Ausgleich durch regelmäßige Erholungspausen und soziale Kontakte auch außerhalb der Firma helfen, die inneren Batterien wieder aufzuladen. Tipps zum Umgang mit Ängsten
  • Stoppen Sie Ihr Kopfkino! Schlimmer als die tatsächliche Katastrophe ist das, was wir uns vorher in unseren Gedanken dazu ausmalen.
  • Beobachten Sie Ihre inneren Dialoge: Wie sprechen Sie mit sich selbst? Was denken Sie über sich? Jeder macht mal Fehler. Üben Sie den respektvollen Umgang mit sich selbst und Ihrer eigenen Leistung.
  • Arbeiten Sie an Ihrem Selbstwertgefühl: Was macht Sie aus, was macht Sie besonders? Finden Sie zu einem positiveren Bild von sich selbst und Ihren besonderen Fähigkeiten.
  • Setzen Sie sich Ihre Ziele nicht zu groß. Das erhöht die Angst und gibt das sichere Gefühl, dort niemals ankommen zu können. Auch kleine Ziele sind sexy.
  • Geben Sie auch dem Körper, was er braucht. Menschen, die zu Ängsten neigen, leben unter ständig erhöhtem Stressniveau und haben oft Schwierigkeiten, Druck abzulassen. Regelmäßige Bewegung und Entspannungsübungen helfen abzuschalten.

Bücher von Angelika Gulder

Finde den Job, der dich glücklich macht: Von der Berufung zum Beruf. Campus 2013. ISBN 978-3593398396. 19,99 Euro Aufgewacht! Wie Sie das Leben Ihrer Träume finden. Campus 2011. ISBN: 978-3593393520. 19,99 Euro

Interview mit Dr. Till Bastian

Dr. med. Till Bastian ist Mediziner, Psychotherapeut, Schriftsteller – und Kenner der menschlichen Seele. Während sich viele Menschen penibel um den Körper kümmern, nimmt man das Wohl und Wehe der Seele oft gar nicht wahr – und wenn, dann erst, sobald etwas aus dem Ruder läuft. Ein Gespräch über Dinge, die der Seele guttun und ihr gefährlich werden. Die Fragen stellte André Boße.

Herr Dr. Bastian, als wir uns vor einer Woche für das Interview verabredeten, mussten Sie sich in Ihrer Klinik um einen Notfall kümmern und sprachen von einem sehr stressigen Tag. An welchen Symptomen erkennen Sie, wenn Sie seelisch erschöpft sind? Ich spüre, dass ich unkonzentriert werde. Fahrig, nervös, unruhig. Mein Gedächtnis leidet. An körperlichen Symptomen merke ich, dass mein Muskeltonus höher ist, ich also angespannt und verkrampft bin. Dann tut mir nach längerem Sitzen das Kreuz weh. Körper und Seele senden also recht viele Anzeichen, wenn etwas aus dem Ruder läuft.

Zur Person

Dr. med. Till Bastian, geboren 1949 in München, studierte in Mainz Medizin und promovierte 1979. Er engagierte sich in der Organisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ und erarbeitete Studien über den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Kriegsgefahr. Nach dem Freitod seines Vaters, des Grünen-Politikers Gert Bastian, und dessen Lebensgefährtin Petra Kelly schrieb er das Buch „Die Finsternis der Herzen“. Es folgten weitere Bücher mit psychologischen Themen, darunter zuletzt „Seelenleben: Eine Bedienungsanleitung für unsere Psyche“ sowie „Die Seele als System: Wie wir wurden, was wir sind“. Zudem ist er Autor von historisch-medizinischen Sachbüchern und Kriminalromanen. Till Bastian lebt und arbeitet im Allgäu als Arzt und Psychotherapeut in der Fachklinik Wollmarshöhe. www.wollmarshoehe.de
Klingt, als bildeten Körper und Seele ein gutes Team: Der Körper übersetzt die Not der Seele in physische Symptome, richtig? Bei Angst und Dauerstress spannen sich eben auch die Muskeln an. Je nach körperlicher Geometrie des Betroffenen führt das zu Rückenschmerzen an der Hals- oder Lendenwirbelsäule oder auch zu Kopfschmerzen. Andere knirschen beim Schlafen mit den Zähnen. Was ist Ihre Strategie, um sich nach einem Tag voller Stress und Anspannung wieder wohlzufühlen? Es ist wichtig, sich Pausen für die Regeneration zu gönnen. Diese Pausen sollten bei mir als 68-Jährigem länger dauern als bei jüngeren Menschen. Ganz einfach, weil nicht nur ein älterer Körper mehr Erholungszeit benötigt, sondern auch eine ältere Seele. Für Jung und Alt gilt: Man muss für diese Pausen etwas finden, das einem die innere Stimmigkeit bietet. Bei dem ich sicher sein kann: Das passt zu mir. Die reine Abschirmung vor Reizen ist daher in der Regel nicht genug. Zwar ist es gut, sich an einem Ort zu erholen, an dem nicht fortlaufend das Telefon klingelt. Aber eine Ruhezeit alleine reicht nicht aus. Man sollte eine Tätigkeit finden, die die Erholung fördert. Was für eine Aktivität ist das bei Ihnen? Die Musik. Leider nicht aktiv – das wäre noch besser. Aber auch das Hören hilft, wie Untersuchungen feststellen. Der Rhythmus der Musik überträgt sich auf den Körper, die Melodien sorgen dafür, dass sich ein Zustand der inneren Harmonie einstellt. Darauf reagiert dann das Gehirn und schüttet die Endorphine aus, auch Glückshormone genannt. Wobei das nur funktioniert, wenn man die Musik mag. Findet man sie grausam, führt das Hören zu Hochstress – wie zum Beispiel der Film „Uhrwerk Orange“ zeigt. Und wie erwähnt schüttet das Gehirn sogar noch mehr Glücksstoffe aus, wenn man aktiv in einer Gruppe musiziert. Können Sie kurz beschreiben, warum die menschliche Seele nicht dafür gemacht ist, einsam zu leben? Warum sie den Kontakt zu anderen Menschen benötigt? Wir sind ganz offensichtlich als Rudeltiere konzipiert. Man muss bedenken, dass die Steinzeit 99 Prozent der menschlichen Geschichte ausmacht – und diese Zeit haben wir in kleineren, aber intensiv miteinander zusammenlebenden und kooperierenden Gruppen verbracht. Das hat uns geprägt, und das ist aus uns Menschen nicht herauszubekommen. Nehmen Sie neuere Trends wie den Boom von großen Open-Air-Festivals oder das Public Viewing während eines großen Fußballturniers. Es gibt offensichtlich bei emotional aufwühlenden Ereignissen ein Bedürfnis nach Gruppenerlebnissen – sonst würde man ja zu Hause schauen, bei besserem Bild, saubereren Toiletten und einem gefüllten Kühlschrank. Können Sie beschreiben, warum uns Begegnungen so guttun? Unser Gehirn ist so gepolt, dass es bei jeder Begegnung zunächst einmal eine Chance wahrnimmt. Man spricht hier von einem Möglichkeitsvorrat, der sich aus positiven Erinnerungen speist. Das funktioniert auch bei einer Tasse: Stellen Sie mir eine solche auf den Tisch, reagiert mein Gehirn, indem es prüft, auf welche Weise ich diese Tasse ergreifen kann. Bei menschlichen Begegnungen kommt dann noch die Empathie ins Spiel: Unsere Spiegelneuronen erzeugen ein Gefühl, wie es dem anderen gehen mag, sodass wir uns in das Gegenüber hineinversetzen können. Unser natürliches Seelenleben, wie es sich in den Tausenden Jahren der Evolution gebildet hat, ist auf die mögliche Vielfalt konzipiert. Wir bewegen uns immer in mehreren Welten zugleich. Preisträger
2017 erhielt Dr. med. Till Bastian einen der drei Preise der Dr. Margrit Egnér-Stiftung. www.margritegner.ch
Heißt für Studenten vor den entscheidenden Prüfungen und Einsteiger ins Berufsleben: Das Examen oder das erste Projekt darf nicht alles sein. Genau. Es hilft, beim alten Goethe zu lernen. Der hat als junger Mensch lange gebraucht, bis er entschieden hatte, ob er nun Maler oder Jurist, Dichter oder Steinsammler werden solle. Heute würde man sagen: Da weiß einer nicht, was er will. Dafür hat er eine seelische Vielfalt gelebt, die ihn letztlich zu einem Universalgelehrten werden ließ. Man kann daher jungen Menschen raten, sich nicht alleine auf ein Projekt im Leben zu fokussieren – und sei es ein vermeintlich noch so wichtiges wie die Abschlussklausur, ein Bewerbungsgespräch oder den Einstieg in den Job. Das ist nicht nur gefährlich, wenn die Sache schiefgeht. So ein Verhalten tut auch unserer Seele nicht gut. Untersuchungen zeigen, dass die Menschen mehr denn je für ihre körperliche Fitness tun – gerade auch die jüngere Generation. Warum eigentlich hören wir jedoch in seelischen Fragen vergleichsweise selten auf unsere innere Stimme? Das hat damit zu tun, dass der moderne Mensch zu einem hohen Teil von außen geleitet wird. Anstatt zu schauen, was uns guttut, schauen wir darauf, was die anderen machen. Dabei geht es nicht nur um Aktivitäten, sondern auch um Werte. Wir glauben, selbst in Angelegenheiten der Freizeit mithalten zu müssen. Einen noch spannenderen Urlaub zu verbringen. Noch mehr Sport zu treiben. Dieses ständige Vergleichen entspricht nicht unserer Natur, weil wir Menschen auf Gemeinschaftsgefühl und Solidarität gepolt sind. Anders hätten wir die Steinzeit nicht überlebt. Aber auch hier hat die Moderne die evolutionären Voraussetzungen des Seelenlebens umgekehrt.

Lesetipp

Melancholie E-Book-Only von Till Bastian Till Bastian: Melancholie als Chance. Ein weg aus der Betrübnis zur Freiheit. Kösel . Ebook. 4,99 Euro.
Das moderne Leben tut uns also nicht gut? Das kann man zusammengefasst so sagen. Es empfiehlt sich daher, tatsächlich immer wieder auf unser Steinzeiterbe zurückzublicken und zu fragen: Was zeichnet uns als Menschen aus? Wir sollten uns nicht zu sehr als Gefangene der Moderne betrachten. Schließlich gibt es die Kommunikationsgesellschaft von heute gerade mal 50 Jahre, die Industriegesellschaft rund 300 Jahre. Das sind im Vergleich zur Menschheitsgeschichte nur Sekundenbruchteile. Daher sollten wir in der Lage sein, unser über viele Tausend Jahre erprobtes Seelenleben vor den Einflüssen dieser kurzen Episoden zu schützen.