Interview mit Dr. Rüdiger Grube

Foto: Deutsche Bahn
Foto: Deutsche Bahn

Der Bahnchef

Ob das Herbstlaub für Verspätungen sorgt, ein ICE liegen bleibt oder Anschlusszüge verpasst werden: Über kein Unternehmen wird so viel geredet wie über die Deutsche Bahn. Konzernchef Dr. Rüdiger Grube weiß, dass er keinen einfachen Job hat. Warum er die Herausforderung Bahnchef dennoch gerne annimmt und wie dem Ingenieur ein Zeitungsartikel zum Thema Organspende beim Karriereeinstieg geholfen hat, verrät er in einem persönlichen Interview. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Dr. Rüdiger Grube, geboren am 2. August 1951 in Hamburg, absolvierte eine Ausbildung im Metallflugzeugbau und studierte im Anschluss an der FH Hamburg Fahrzeugbau und Flugzeugtechnik. Es folgten ein Studium der Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Uni Hamburg und eine Promotion in Arbeitswissenschaften und Polytechnik an den Unis Hamburg und Kassel. 1989 begann er seine Karriere bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm, später Daimler- Benz Aerospace (DASA). Nach Zwischenstationen bei Airbus Deutschland und beim Luft- und Raumfahrtstandort München-Ottobrunn wurde Grube 1995 zum Direktor Unternehmensplanung und Technologie der DASA berufen. 1996 wechselte er als Senior Vice President und Leiter der Konzernstrategie zu Daimler, wo er 2001 zum Vorstand der Konzernentwicklung aufstieg und ab 2005 für das Geschäft in China zuständig war. Am 1. Mai 2009 wurde der 62-Jährige zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn ernannt.

Herr Dr. Grube, die Deutsche Bahn steht wie kein anderes deutsches Unternehmen im Fokus der Öffentlichkeit. Benötigt man als Ingenieur bei der Bahn bessere Nerven als anderswo?
(lacht) Ja, das ist so und wird auch so bleiben. Mit mehr als sieben Millionen Kunden täglich sind wir im wahrsten Sinne des Wortes ein öffentliches Unternehmen. Ein Beispiel: Wir haben in unserem Gleisnetz rund 70.000 Weichen und Kreuzungen. Wenn davon 98 Prozent an 365 Tagen reibungslos funktionieren, müsste man objektiv feststellen, das ist ein überdurchschnittlich hoher Wert. Gibt es aber unter den zwei Prozent Störungen Weichen und Kreuzungen, die in einem Knoten wie Hamburg oder Berlin nicht funktionieren, dann hat das fatale Folgen für die Pünktlichkeit und die Anschlusszüge, die bundesweit registriert werden.

2012 war für den Konzern ein Rekordjahr in allen Belangen: Mehr Umsatz und Gewinn, mehr Fahrgäste – und 11.000 neue Mitarbeiter. Wo liegen – gerade mit Blick auf Einsteiger in Ihr Unternehmen – die sensiblen Stellen dieses Wachstums?
Ich kenne kein komplexeres Unternehmen als die Deutsche Bahn. Gerade für junge Einsteiger ist daher eine gute Einarbeitung in den ersten Monaten extrem wichtig. Sie müssen eine Vorstellung von der Vielschichtigkeit des Rad-Schiene-Systems und von den Verknüpfungen der unterschiedlichen Geschäftsfelder erhalten. Wir sind ja auch kein reines Eisenbahnunternehmen mehr, sondern ein weltweit agierender Mobilitäts-, Transport- und Logistikkonzern. Da ist es wichtig, dass man lernt, wo man im Konzern seine Ansprechpartner findet.

Wie kommen Sie als Bahnchef selber in Kontakt mit jungen Ingenieuren? Und wie beurteilen Sie den Nachwuchs der jungen Generation?
Ich lege großen Wert darauf, möglichst viel Zeit vor Ort mit den Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichen Geschäftsfeldern zu verbringen. Daher habe ich auch regelmäßig Kontakt zu unseren Nachwuchskräften. Mein Eindruck ist, dass die Berufseinsteiger heute kritischer sind als früher. Es wird mehr nachgefragt, gerade auch, was die eigenen Entwicklungsperspektiven betrifft. Aber auch die Vereinbarung von Job und Privatleben ist ein großes Thema. Diese neue Einstellung der Einsteiger mag vielleicht den jeweiligen Vorgesetzten mehr Arbeit machen, aber im Ergebnis führt dieser Wandel häufig zu mehr Transparenz und Sinnhaftigkeit sowie einer besseren Kenntnis der Ziele und Motive von Mitarbeitern.

Wie zufrieden sind Sie mit den Anteil an Ingenieurinnen in Ihrem Unternehmen?
Historisch bedingt sind im Eisenbahnsektor viele Berufe technisch geprägt und Frauen in diesen Bereichen oft noch unterrepräsentiert. Wir arbeiten jedoch intensiv daran, schon Mädchen und junge Frauen frühzeitig für technische Berufe zu begeistern und den Frauenanteil im Unternehmen weiter zu steigern. In den sogenannten MINTBerufen, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, wo heute vorwiegend das männliche Geschlecht vertreten ist, müssen wir mehr Frauen in Führungsverantwortung bringen.

Was machen Sie konkret?
Wir kümmern uns gezielt um unsere Ingenieurinnen in Führungspositionen. Gerade erst ist ein neues Mentoring- Programm gestartet worden. Damit möchten wir unsere Ingenieurinnen noch besser bei Themen wie Netzwerkbildung oder Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Zudem haben wir neben unserer „DB Führungs-Akademie“ unsere „DB Technikakademie“ gestartet, ein Weiterbildungsforum mit ganz speziellen Angeboten an unsere Ingenieurinnen – und natürlich auch an die männlichen Kollegen. Wir möchten Interesse wecken für den nächsten Karriereschritt und damit auch mehr Frauen für Führungspositionen begeistern.

Sie sind selber diplomierter Ingenieur. Welche technischen Herausforderungen, vor denen Ihr Unternehmen steht, reizen Sie persönlich am meisten?
Die ökologischen Ziele unserer Konzernstrategie sind mit einer Vielzahl spannender technologischer Herausforderungen verbunden. Nehmen Sie beispielsweise den Ausbau erneuerbarer Energien im Bahnstrommix: Bis 2020 wollen wir deren Anteil auf mindestens 35 Prozent erhöhen. 2050 soll der Schienenverkehr dann komplett CO2-frei sein. Ein ambitioniertes Projekt – und zugleich eine große technische Herausforderung. Als gelernter Ingenieur ist es für mich außerdem besonders reizvoll, die Entwicklung der neuen Zuggeneration ICx begleiten zu dürfen. Unsere Kunden können sich auf den modernsten Zug der Welt freuen.

Welche Inhalte aus Ihrem Ingenieurstudium können Sie auch heute noch als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn gebrauchen?
Ich würde die Antwort gern weiter fassen. Als ein Kind des zweiten Bildungsweges habe ich erfahren, dass man mit Ehrgeiz und Arbeit weit kommen kann. Ich komme aus einfachen Verhältnissen, da musste ich mir mit viel Fleiß und Aufwand erarbeiten, was andere auf dem ersten Bildungsweg doch vielleicht etwas mundgerechter angeboten bekamen. Aber ich war immer neugierig – und diese Neugier hat mich auch durch mein Studium begleitet. Fachkompetenz als Ingenieur ist sicherlich hilfreich, wenn man eine Führungsaufgabe bei einem technikgeprägten Unternehmen wie der Deutschen Bahn übernimmt. Aber ich habe immer auch Freude daran gehabt, nicht nur auf eingefahrenen Gleisen zu fahren, sondern mir auch Anregungen und Ideen aus anderen Fächern und Berufsfeldern zunutze zu machen. Wichtig ist, dass man an seinen Zielen festhält, Einsatz zeigt und Verantwortung übernimmt. Dabei lohnt es sich, auch mal mehr zu machen, als unbedingt von einem erwartet wird. Das klappt immer und führt zum Erfolg.

Können Sie ein Beispiel für ein solches Engagement nennen?
Während meiner Ausbildung zum Flugzeugbauer habe ich eine Lehrlingszeitschrift herausgegeben und dafür auch einen Bericht zum Thema Organspende geschrieben. Eigentlich war die Zeitschrift eher technisch ausgerichtet, aber das Thema interessierte mich. Mit dem Artikel habe ich die Aufmerksamkeit von Frau Blohm gewonnen, der Frau von Walther Blohm, dem Unternehmenschef von Messerschmitt-Bölkow-Blohm. Die Blohms luden mich zu sich nach Hause zum Essen ein. Später fragte mich Frau Blohm, was ich mal werden möchte. Ich sagte: „Eigentlich Pilot, aber das wird ja nichts, weil ich kein Abitur habe. Und jetzt würde ich gerne studieren, habe aber nicht genügend Geld.“ Am nächsten Tag rief Walther Blohm an und sagte: „Meine Frau hat mir erzählt, Sie wollen studieren, hätten aber kein Geld. Sind Sie mit 300 Mark im Monat einverstanden?“ Ich war völlig sprachlos und habe nur stumm genickt.

Abseits des Geldes, welche Art von Unterstützung von Seiten Ihrer Mentoren haben Sie als besonders wichtig erfahren?
Ich hätte mein Studium ohne die finanzielle Unterstützung meines Mentors nicht bestreiten können. Viel mehr als das Geld haben mich jedoch schon damals das Vertrauen und die Wertschätzung motiviert, die man mir entgegenbrachte. Ich habe gemerkt: Da glaubt jemand an mich. Das hat mich in meinem Weg bestärkt und inspiriert. Auch später – bei meinen Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Hartmut Mehdorn, Jürgen Schrempp oder Klaus von Dohnanyi – habe ich das gegenseitige Vertrauen und den offenen und direkten Austausch stets als besonders wichtig empfunden.

Zum Unternehmen

Der Deutsche Bahn Konzern ist ein internationaler Anbieter von Mobilitätsund Logistikdienstleistungen und agiert weltweit in über 130 Ländern. Rund 300.000 Mitarbeiter, davon rund 194.000 in Deutschland, stellen Mobilität und Logistik für die Kunden sicher und steuern und betreiben die Verkehrsnetze auf der Schiene, der Straße, zu Wasser und in der Luft. Kern des Unternehmens ist das Eisenbahngeschäft in Deutschland mit nahezu 5,4 Millionen Kunden täglich im Schienenpersonenverkehr und mehr als 670.000 Tonnen beförderter Güter pro Tag. Bei den Mitarbeitern liegt der Frauenanteil bei rund 22 Prozent. Aktuell beschäftigt der Konzern 987 Studenten im Dualen Studium, von denen laut Konzernangabe knapp 90 Prozent als Nachwuchsführungskräfte übernommen werden.