Recht fürs Klima

Recht fürs Klima, Foto: AdobeStock/ fineas
Recht fürs Klima, Foto: AdobeStock/ fineas

Den CO₂-Ausstoß zu senken, ist die Zukunftsaufgabe unserer Zeit. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft befinden sich in einer weitreichenden Transformation. Die Großkanzleien verstehen sich als Beraterinnen in diesem Prozess. Das stimmt, diese Leistung ist gefragt. Was aber auch stimmt: Als Unternehmen stehen die Kanzleien auch selbst auf dem Prüfstand. Nehmen sie den Klimaschutz nicht ernst, drohen Mandanten und Talente verloren zu gehen. Wohin es gehen kann, zeigt sich in den USA, wo Jura-Student*innen-Bewegungen Kanzleien boykottieren. Ein Essay von André Boße

Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – ein Wort, das es in dieser Form eigentlich nur im Deutschen geben kann. Im angloamerikanischen Raum bezeichnet man Deutsch gerne als „Lego-Sprache“, weil man die Worte so stapelt wie Kinder die bunten Klemmsteine. Eine weitere Eigenart der deutschen Sprache sind die Abkürzungen, und auch in dieser Hinsicht hat das genannte Gesetz etwas zu bieten: LkSG. Verabschiedet wurde es vom Bundestag im Juni 2021, nachzulesen ist es auf der Internetpräsenz des Deutschen Bundestages. Ab dem Jahr 2023 betrifft das Gesetz Unternehmen mit mindestens 3000, ab 2024 Arbeitgeber mit mindestens 1000 Beschäftigten. Es verpflichtet die betreffenden Unternehmen dazu, entlang ihrer Lieferkette menschenrechtliche und bestimmte umweltbezogene Sorgfaltspflichten zu beachten. Sprich, das Gesetz verlangt von Unternehmen ab einer bestimmten Größe, sorgfältig zu prüfen, von wem sie Waren und Dienstleistungen erhalten – und wie diese Lieferanten bei Themen wie Menschenrechte sowie Umwelt- und Klimaschutz aufgestellt sind.

Weg in eine Green Economy

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist einer von mehreren Bausteinen, mit denen die Politik das Ziel verfolgt, in allen Bereichen der Wirtschaft Sensibilität für diese Themen zu schaffen. Dazu zählen auch Elemente wie die CSR-Berichtspflicht, die CO2-Steuer oder die EU-Taxonomie als ein finanzpolitisches Instrument, das Anleger*innen Transparenz darüber bietet, ob und wie ein Unternehmen die Nachhaltigkeitskriterien erfüllt. Unternehmen stehen also unter einem regulatorischen Druck, es mit dem Klimaschutz ernst zu nehmen.

Der Weg hin zu einer klimaneutralen Kanzlei ist daher kein nettes „can have“ für Imagebroschüren mehr, sondern ein „must have“ für den Erfolg auf einem juristischen Markt, in dem sich die Anforderungen und Ansprüche der Mandanten verändern.

Es sei „höchste Zeit für Unternehmen, das Thema proaktiv anzugehen und ihre globalen Wertschöpfungsketten auf den Prüfstand zu stellen und für mehr Transparenz zu sorgen“, heißt es in einem Beitrag der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC zu den Folgen des LkSG. Gefragt seien nun intelligente Tool-Lösungen in einem integrierten Nachhaltigkeits- Ökosystem, um dadurch menschen- und umweltrechtliche Risiken nachhaltig und effektiv zu reduzieren. „Wer sich intensiv mit seiner Lieferkette und den Aktivitäten der Geschäfts- und Vertragspartner beschäftigt und transparent darüber informiert, kann nicht nur bei Kunden und Partnern punkten, sondern sich auch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen“, wird Robert Kammerer, PwC-Partner, als Experte im Fachbeitrag zitiert.

Kanzleien: beraten und selbst transformieren

An dieser Stelle kommen die Kanzleien ins Spiel. Zum einen sind sie als Rechtsconsultants gefragt, sprich als ein zentrales Tool, um diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden. Nehmen die Regulierungen zu und bildet sich ein Dickicht an neuen Verordnungen, entsteht bei den Mandanten Beratungsbedarf. Und zwar nicht nur, um Fehler zu vermeiden, sondern auch, um die Regulierungen so zu erfüllen, dass die Unternehmen mit Hilfe ihrer Nachhaltigkeitsberichte oder Zertifizierungen an die Öffentlichkeit gehen können. Jedoch nehmen die Kanzleien noch eine zweite Rolle ein. Durch die Rechtsberatung sind die Jurist*innen ja auch selbst Dienstleister*innen der Unternehmen. Weshalb auch die grüne Bilanz ihrer eigenen Arbeit in den Kanzleien als Teil der Lieferkette auf dem Prüfstand steht.

In drei Schritten zum Zertifikat

Die Zertifizierungen des Deutschen Instituts für Qualitätsstandards und -prüfung (DIQP) in Sachen Klimaneutralität richten sich gezielt auch an mittelständische Kanzleien, die sich auf den Weg zu mehr Klimaschutz machen wollen. In einem ersten Schritt wird der Status Quo der CO2-Emissionen erfasst. Die Zertifizierungsgesellschaft prüft diese Angaben dann, erarbeitet Maßnahmen, mit denen vermeidbare Emissionen möglichst gegen Null gedrückt werden. „Anschließend findet die Kompensation der nicht vermeidbaren Emissionen nach dem Gold- Standard statt“, heißt es auf der Homepage der DIQP.

Eine Kanzlei, die im Auftrag eines Unternehmens die Einhaltung der Klimaschutzregularien prüft, selbst jedoch keine Ambitionen zeigt, die eigenen CO2-Emissionen zu senken, verliert an Relevanz – und wird, mehr noch, für den Mandanten sogar zu einer Belastung, weil die negative Klimabilanz der anwaltlichen Beratung zur Verletzung der Sorgfaltspflicht beitragen kann. Eine Kanzlei, die im grünen Rechtsmarkt erfolgreich sein will, muss daher zwei Aspekte bedienen. Sie muss einerseits eine exzellente juristische Beratung mit Blick auf die Regulierungen anbieten und andererseits belegen, auch selbst den Klimaschutz ernst zu nehmen und Maßnahmen einzuleiten, die dafür sorgen, dass vermeidbare Emissionen vermieden und nicht-vermeidbare Emissionen kompensiert werden. Der Weg hin zu einer klimaneutralen Kanzlei ist daher kein nettes „can have“ für Imagebroschüren mehr, sondern ein „must have“ für den Erfolg auf einem juristischen Markt, in dem sich die Anforderungen und Ansprüche der Mandanten verändern.

Jurist*innen in der Klimabewegung

Dass es auf dem Rechtsmarkt einen Trend hin zur klimaneutralen Kanzlei gibt, zeigen auch die Angebote branchenübergreifender Nachhaltigkeits-Consulting-Dienstleister wie Con- Climate oder UmweltDialog, die sich mit Workshops zur Klimaneutralität gezielt an Kanzleien richten. Klar ist aber auch: Klimaschutz im Recht ist kein reines Marktthema. Parallel zur ökonomischen Dimension organisieren sich juristische Bewegungen, in denen Jurist*innen das Thema Klimaschutz explizit auch abseits des Marktes als zentrales Ziel ihrer Arbeit betrachten. So gründete sich im vergangenen Jahr der Verein Lawyers for Future, in dem sich derzeit rund 200 Anwält*innen „solidarisch mit den Aktivist*innen von Fridays for Future erklären“, wie es auf der Homepage heißt. So fordere Fridays for Future zurecht, es dürfe nicht die alleinige Aufgabe der Jugend sein, Verantwortung für die Priorisierung des Klimaschutzes zu übernehmen – „mit Lawyers for Future wollen wir als Jurist*Innen diese Verantwortung annehmen“, formuliert es der Verein.

Peter Kremer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Berliner Kanzlei Kremer Werner, zählt zu den Mitbegründern und unterstützt den Verein als Mitglied des Beirats. In einem Interview für die Rechtsanwaltskammer Berlin erklärt er seine Beweggründe: „Unter den Jurist*innen gibt es viele, die den Klimaschutz ernst nehmen. Die anderen würde ich gerne mit davon überzeugen, dass das Thema nicht verhandelbar ist.“ In seinen Augen werde die anwaltliche Unabhängigkeit manchmal missverstanden. „Gerade in Bezug auf die Lawyers for Future bedeutet anwaltliche Unabhängigkeit nicht, dass sich Anwält*innen nicht für Anliegen des Umweltund Klimaschutzes einsetzen dürfen.“ Auf der Homepage verdeutlichen die Lawyers For Future in einer Präambel, dass der Klimawandel Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens habe und damit auch das Rechtssystem grundlegend verändern werde. „Dies zeigt sich bereits heute an der steigenden Zahl gerichtlicher Verfahren, die mit dem Klimawandel in Verbindung stehen. Ausdrücklich sehen wir die Gerichte als einen von vielen geeigneten Orten, an dem die rechtliche Auseinandersetzung mit dem Klimawandel stattfinden muss“, heißt es in der Selbsterklärung. Der Appell der Lawyers for Future: Das Recht dürfe nicht weiter dabei helfen, den „Status Quo für umwelt- und klimaschädliche Tätigkeiten aufrechtzuerhalten“.

„Law Firm Climate Change Scorecard“

In ihren Studien bewertet die juristisch-akademische Klimaschutzbewegung Law Students for Climate Accountability die Arbeit der Top-100 amerikanischen Großkanzleien („Vault 100“) mit Blick auf Klimaund Nachhaltigkeitsthemen. Dabei erhalten Mandate und Engagements für klimaschädliche Industrien negative Bewertungen, wenn sie nicht darauf abzielen, den großen CO2-Abdruck zu verkleinern (das wäre ja gut für den Klimaschutz), sondern Strukturen festigen, die dem Klimaschutz entgegenstehen. Im Fokus stehen auch Mandate oder Geschäfte, die zum Beispiel indigenen Bevölkerungsgruppen schaden. Blickt man auf die aktuelle Scorecard, liegen lediglich drei Großkanzleien im grünen „A“-Bereich und neun im „B“-Bereich. Die meisten Kanzleien, nämlich 36, stuft die Bewegung im tiefroten „F“-Bereich ein. Im Fazit urteilen die Autor*innen im Executive Summary: „88 der 100 Top-Kanzleien verrichteten eine Arbeit, deren Resultat den Klimawandel noch befeuert hat.“

Nun kann man diese von den Lawyers for Future normativ beschriebene Rolle des Rechts kritisch betrachten und fragen: Sollte das Recht tatsächlich Partei für die Transformation in Richtung einer klimaneutralen Gesellschaft ergreifen? Unabhängig von der nicht unkomplizierten Antwort auf diese Frage zeichnet sich eine Tatsache ab: Kanzleien, die sich nicht im Sinne des Klimaschutzes positionieren, verschärfen damit ihr Recruiting-Problem. Generell geht der Anteil der jungen Jurist*innen, die Karriere in einer Großkanzlei machen wollen, zurück. Begründet dadurch, dass immer mehr junge Menschen eher nach Purpose und stressfreier Work-Life-Balance als nach schnellem Aufstieg und üppigen Einstiegsgehältern suchen.

Junge Generation arbeitet mit Boykotten

Wie problematisch es sein kann, sich in dieser Personal-Situation in Sachen Klimaschutz, Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit schlecht aufzustellen, zeigt eine Entwicklung in den USA. Dort hat sich die Gruppe der Law Students for Climate Accountability gegründet, die mit der „Law Firm Climate Change Scorecard“ ein Ranking veröffentlicht, in dem die 100 größten Kanzleien eine Bewertung zwischen den „Climate Scores“ A bis F erhalten, vergleichbar mit der Energieeffizienz- Zertifizierung von Küchengeräten. Die verantwortlichen Autor*innen des Rankings verfolgen mit ihrer Arbeit zwei Ziele:

Erstens soll die Liste als Kompass für den juristischen Nachwuchs funktionieren, der sich bei ihrer Suche nach einer Kanzlei vor allem an der Leistungsbilanz beim Klimaschutz orientiert. Zweitens sollen die Kanzleien durch die Rankingergebnisse getriggert werden, ihre Ambitionen in Sachen Klimaschutz zu erhöhen. Interessant ist, dass die Law Students for Climate Accountability in besonderen Fällen harte Kante zeigen: Wird offenkundig, dass Kanzleien mit ihrer Arbeit für bestimmte Mandanten in einem besonders großen Maße und mit steigender Tendenz Strukturen oder Geschäfte verfestigen, die dem Klima oder der sozialen Gerechtigkeit Schaden zufügen, gehen die Aktivist*innen so weit, zum Boykott aufzurufen. Und zwar nicht still und leise, sondern in Form von „Breaking“-News auf der Homepage, verbunden mit einem Link zu einem Hintergrundartikel, der die Entscheidung anhand von Fakten begründet.

ClientEarth: Die wichtigste Mandantin ist die Erde

Seit 2018 leitet der Volljurist Hermann Ott das Deutschlandbüo der Bewegung ClientEarth in Deutschland; sein Team versteht sich als Anwält*in für die Welt als bedeutendster Mandantin überhaupt. „Unsere Erde in einem Zustand zu erhalten, der sie für zukünftige Generationen von Menschen und allen anderen Lebewesen zu einem idealen Habitat macht, war schon immer meine Mission“, schreibt Ott auf der ClientEarth-Homepage zu seiner Arbeit. „Juristische Umweltmaßnahmen haben sich als die schärfste Waffe im Streben nach einer nachhaltigen Zukunft erwiesen, und ich hoffe, dass wir Deutschland, das größte Land der EU, dabei unterstützen können, wieder eine Führungsrolle im Umwelt- und Klimaschutz zu übernehmen.“

Nun gibt es in den USA selbstverständlich auch weiterhin das Recht, sich als Kanzlei seine Mandanten und als Absolvent*in seinen künftigen Arbeitgeber frei zu wählen. Dennoch zeigen solche Aktionen Wirkung: Über die Boykotts der Law Students for Climate Accountability berichten die relevanten juristischen Fachmagazine, die jeweiligen Hashtags gehen im Internet viral. Für erfolgreiches Recruiting neuer Talente ist eine solche Kampagne Gift. Wie auch immer man diese Maßnahmen bewertet: Sie zeigen, dass im Jahr 2022 die Großkanzleien keine Akteure mehr sind, die aus einer neutralen Außenposition heraus die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Klimaschutz begleiten. Sie stehen, wie alle anderen Unternehmen auch, mittendrin, sowohl im Wandel als auch im Fokus. Es gibt keine Alternative, als sich diesen hohen Anforderungen in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu stellen. Ihr Trumpf dabei: der Nachwuchs. Schließlich denkt die junge Generation den Sinn des anwaltlichen Tuns in großen Teilen automatisch mit.

Buchtipp:

cover klimaschutzrechtDas Klimaschutzrecht ist elementar für den Bestand der gesamten menschlichen Zivilisation und bildet ein komplexes Mehrebenenrecht. Vor diesem Hintergrund erfasst das Buch „Grundzüge des Klimaschutzrechts“ die wichtigsten Einzelfragen zum brisanten und zukunftsrelevanten Rechtsgebiet – in einem umfassenden Bild, das alle rechtlichen Ebenen berücksichtigt und diese zueinander in Bezug setzt. Betrachtet wird dabei die internationale, europäische und nationale Ebene. Zudem finden wegen ihres konkreten Einflusses auf den Klimaschutz und ihrer nachhaltigen Auswirkungen auf Gesellschaft und Recht noch zwei weitere Topthemen mit globaler Tragweite besondere Beachtung: die Digitalisierung und die Corona-Krise. Prof. Dr. jur. Walter Frenz: Grundzüge des Klimaschutzrechts. Erich Schmidt Verlag 2021, 39 Euro.