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Jung und erfolgreich bei: Fresenius Medical Care

Name: Chao-Yu Chang
Position: Junior Produktmanagerin
Stadt: Bad Homburg
Studium: Maschinenbau mit Schwerpunkt Medizintechnik
Abschlussjahr: 2010
Interessen: Kultur, Technik
Ziel: mich weiterentwickeln und mehr Verantwortung übernehmen

Nicht nur Ärzte können Menschen helfen, auch als Ingenieur kann ich viel zur Gesundheit von Patienten beitragen. Ingenieure entwickeln zum Beispiel Geräte, die es Ärzten ermöglichen, sich ganz auf den Patienten zu konzentrieren und präzisere Diagnosen zu stellen. Deshalb fiel meine Wahl auf ein Studium zum Maschinenbauingenieur mit dem Schwerpunkt Medizintechnik an der RWTH Aachen. Für das Studium bin ich 2003 aus Taiwan nach Deutschland gekommen.

Für die RWTH habe ich mich entschieden, weil sie eine der führenden europäischen technischen Universitäten ist. An der Uni verbrachte ich viel Zeit mit deutschen Kommilitonen, daher fühlte ich mich schnell in Deutschland zu Hause. Bereits während des Studiums wurde ich auf den Beruf des Produktmanagers aufmerksam. Auf einer Jobmesse habe ich daraufhin einen Fresenius-Vertreter angesprochen, der mir das „Graduate Development Programm“ empfahl. Inzwischen habe ich das Programm abgeschlossen und bin im Unternehmen in meiner Zielposition eines Produktmanagers angekommen.

Im Produktmanagement habe ich die Entwicklung neuer Produkte betreut, Optimierungsprozesse vorhandener Produkte begleitet und mich um das Lifecycle-Management von Produkten gekümmert. Hierzu zählten zum Beispiel Dialysegeräte oder Dialysatoren für die Behandlung Nierenkranker. Eine weitere wichtige Aufgabe liegt im Bereich Marktforschung, vom Wettbewerbsvergleich bis zur Umsetzung von Kundenwünschen. Hier liegt meine Spezialität im internationalen Marketing. Wir erhalten Anfragen aus der ganzen Welt, die Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Ländern macht mir besonders viel Spaß.

Konkret besteht hier meine Hauptaufgabe darin, Strategien zu entwickeln, für Schulungen aufzubereiten und umzusetzen. Im Unterschied zu anderen Traineeprogrammen wurde ich ganz gezielt auf die Position eines Produktmanagers vorbereitet. Hierfür habe ich verschiedene Stationen in der Konzernzentrale und in Werken an unterschiedlichen Standorten durchlaufen, sodass ich systematisch alle relevanten Tätigkeitsfelder kennengelernt habe. Parallel habe ich mein Netzwerk aufgebaut, welches mir bei meiner jetzigen Arbeit sehr hilft. Begleitend und auf meinen persönlichen Hintergrund abgestimmt konnte ich an verschiedenen Weiterbildungen und Trainings teilnehmen.

Aufgrund meines technischen Studiums habe ich die Produktionsprozesse schnell verstanden und konnte an Planungen aktiv teilnehmen. Besonders gut gefällt mir, dass ich früh Verantwortung übernehmen und auf die Unterstützung der Kollegen zählen konnte. Gerade habe ich die Leitung eines großen Projekts übernommen: die Einführung des neuen Unternehmenslogos in den verschiedenen Produktkategorien. Ich freue mich schon darauf und fühle mich gut auf diese Aufgabe vorbereitet.

Interview mit Samantha Cristoforetti

Die Astronautin

Samantha Cristoforetti hat geschafft, wovon viele träumen: Die 35-Jährige bereitet sich als Astronautin der Europäischen Weltraumbehörde ESA im Kölner Astronauten-Zentrum auf ihren ersten Weltraumflug vor. Im Interview erzählt die Ingenieurin, wie sie sich im Auswahlverfahren gegen 8500 Mitbewerber durchsetzte und warum ihr Ingenieurwissen ihr auch im Weltraum weiterhelfen wird. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Samantha Cristoforetti, geboren 1977 in Mailand, wird derzeit bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA als Weltraumfahrerin ausgebildet. Die 35-Jährige studierte in München, Toulouse, Moskau und Neapel Ingenieurwissenschaften sowie Luft- und Raumfahrttechnik. 2001 trat sie in die italienische Luftwaffe ein und schloss 2005 die Luftwaffenakademie im italienischen Pozzuoli ab. Zur Kampfpilotin wurde sie in der amerikanischen Sheppard Air Force Base ausgebildet. Zeitgleich nahm sie am Auswahlverfahren der ESA teil und setzte sich unter knapp 8500 Bewerbern durch. Samantha Cristoforetti ist unter den sechs neuen Astronauten des Europäischen Astronautenkorps die einzige Frau. Ihre Grundausbildung zur Weltraumfahrerin schloss sie im November 2010 ab. Im Juli 2012 gab die ESA bekannt, dass die begeisterte Taucherin und Höhlenforscherin im November 2014 zu einem Langzeitaufenthalt auf der Raumstation ISS starten wird.
Samantha Cristoforetti auf Twitter: @astrosamantha

Frau Cristoforetti, herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Beruf, den sich viele Jungen und Mädchen erträumen!
Ist das noch so? Manchmal denke ich, die meisten möchten heute lieber Fußballer oder Popstar werden. (lacht)

War Astronautin denn Ihr Traumberuf?
Ja. Ich hatte viele Poster im Zimmer, las Science-Fiction-Romane, aber auch schon Sachbücher zu diesem Thema.

Wann haben Sie sich denn entschieden, ganz bewusst auf dieses Karriereziel hinzuarbeiten?
Eigentlich erst, als sich für mich konkret die Möglichkeit ergeben hatte. Astronautin zu werden ist kein normaler Berufsweg. Man kann das nicht planen, da die Anzahl der Astronautenplätze dafür einfach zu begrenzt ist. Den Traum, Astronautin zu werden, hatte ich aber tatsächlich schon als Kind. Also habe ich keinen beruflichen Schritt unternommen, der meine Chancen, diesen Traum einmal zu verwirklichen, verringert hätte. Darum also zunächst ein Ingenieurstudium und dann die Ausbildung zur Militärpilotin.

Und dann ergab sich die Möglichkeit.
Genau. Die Europäische Raumfahrtbehörde (ESA) stellte ein Auswahlverfahren in Aussicht, das für mich genau im richtigen Moment kam. In diesem Augenblick musste ich mich nicht mehr groß entscheiden – schließlich hatte ich schon auf diese Chance gehofft.

Sie haben sich unter 8500 Mitbewerbern durchgesetzt. Was haben Sie, was die anderen nicht hatten?
Eine schwierige Frage, die man vielleicht besser denen stellen sollte, die mich ausgewählt haben. (lacht) Ich denke, es gehört viel Glück dazu. Hätten andere ESA-Experten das Auswahlverfahren geleitet, hätten sie sich vielleicht für ein anderes Profil begeistert als meines.

Was mussten Sie denn im Rahmen des Auswahlverfahrens leisten?
Im ersten Schritt wurden, basierend auf den Lebensläufen, 1000 unter den 8500 Bewerbern ausgewählt. Da war es von Vorteil, wenn man bereits Flugerfahrung gesammelt hat, mehrere Sprachen sprechen kann oder Sportarten ausübt, die einem auch als Astronaut etwas bringen. Die 1000 Bewerber wurden dann nach Hamburg eingeladen, wo wir einen Tag lang in ganz verschiedenen Bereichen getestet wurden. Es ging um Englischkenntnisse oder grundlegendes technisches Verständnis, aber auch Tests zum visuellen und zum Hörgedächtnis, zur Konzentrationsfähigkeit oder zum dreidimensionalen Vorstellungsvermögen. Das Niveau dieser Tests war ungemein hoch; ich weiß noch, dass wir alle das Gefühl hatten, ziemlich mies abzuschneiden. In die nächste Runde kamen dann 200 Bewerber, die zu einem psychologischen Assessment eingeladen wurden. Da ging es darum, uns als Individuen sowie unsere Kommunikations- und Teamfähigkeit zu beurteilen. Dann war ich unter den letzten 45. Wir wurden eine Woche lang medizinisch getestet, und die Kandidaten mit den besten Ergebnissen wurden dann vom ESA-Management zu intensiven Interviews eingeladen. Na ja, und ganz am Ende stand der Anruf, dass ich dabei sein würde.

Welchen dieser vielen Schritte empfanden Sie als besonders herausfordernd?
Gar nicht unbedingt die Assessments selber, sondern das Warten. Man benötigt eine Menge Geduld, die gesamte Bewerbungsphase hat ein Jahr gedauert. Und das normale Leben hört in dieser Zeit ja nicht auf, zumal ich zeitgleich eine sehr herausfordernde Ausbildung als Pilotin absolviert habe.

Sprich: Mit den Füßen noch im alten Beruf, mit dem Kopf aber schon im Weltraum.
So ungefähr, ja. Diese Balance wurde immer schwieriger, je näher ich meinem Ziel kam.

Wir haben schon einige Talente genannt, die Sie als Astronautin mitbringen müssen. Welche weiteren sind wichtig?
Durchsetzungsvermögen sowie keine Probleme damit, in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Primadonnen hatten es dagegen genauso schwer wie Bewerber, die entweder mit der Teamarbeit Schwierigkeiten hatten oder eben nur im Team funktionierten. Man muss sich auch mal selbst genügen. Zudem das Talent, sich auf ein großes Ziel fokussieren zu können – auch, wenn dieses noch in der fernen Zukunft liegt. Man darf sich aber auch nicht zu sehr von dem Fernziel beherrschen lassen. Ich denke, einige Bewerber sind genau deshalb nicht weitergekommen. Bessere Chancen hatten Kandidaten, die eine gute Balance aufwiesen: das Ziel vor Augen – aber dennoch im alltäglichen Leben präsent.

Gab es Wissen aus Ihrem Ingenieurstudium, das Sie während der Bewerbungsphase anwenden konnten?
Auf jeden Fall. Wir haben uns sehr intensiv mit den technischen Systemen der internationalen Raumstation und der Raumschiffe beschäftigt. Wer da die Fähigkeit mitbringt, diese Dinge aus der Perspektive eines ausgebildeten Ingenieurs zu betrachten, besitzt einen großen Vorteil. Man kennt die Begriffe und weiß, wie die Komponenten des Systems arbeiten, sodass man einen echten Vorteil gegenüber anderen Kandidaten mitbringt, die diesen Background nicht haben.

Zu Ihren Hobbys gehören Aktivitäten wie Tauchen und Höhlenforschung, Klettern und Bergsteigen. Welche Sinne schärfen diese Sportarten?
Sie schulen, dass man verantwortungsvoll mit Prozeduren und der Ausrüstung umgeht. Tut man das nicht, hat das Konsequenzen – und das ist natürlich beim Fliegen oder im Weltraum genauso. Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein sind sehr wichtig; die Leute müssen darauf vertrauen können, dass ich genau das durchführe, was für mich vorgesehen ist.

Die ESA

Die deutsche Seite der ESA: www.esa.int/esaCP/SEMYEF56JGG_Germany_0.html

ESA bei YouTube: www.youtube.com/esa

ESA bei Twitter: www.twitter.com/ESA_de

Wissen Sie schon, welche konkreten Aufgaben Sie auf der ISS erwarten werden?
Ich werde als Bordingenieurin für den Start, das Andocken an die ISS sowie den Wiedereintritt in die Atmosphäre verantwortlich sein. Zudem besitze ich in dieser Position die tiefsten Einblicke in das technische System des Raumschiffs, sodass ich den Kommandanten vor allem bei der Lösung von unerwarteten Problemen unterstützen kann. Der Kommandant trägt zwar zu jeder Zeit die Verantwortung für die Sicherheit des Schiffes, aber er darf sich durchaus auf die Kenntnisse seines Bordingenieurs verlassen.

Ist die Technik in einem Raumschiff und auf einer Raumstation mit der eines Flugzeugs zu vergleichen, oder ist das eine ganz andere Komplexität?
Es ist schon wesentlich komplizierter. Ein großer Unterschied: Während ich als Pilotin das Flugzeug im Normalfall zusammen mit dem Co-Piloten steuere, wird die Raumstation von der Erde aus gesteuert. Wir Astronauten sind für alles zuständig, was nur von Hand und nicht vom Computer gesteuert erledigt werden kann. Das sind zumeist Wartungstätigkeiten. Dennoch müssen wir darauf vorbereitet sein, kritische Situationen zu lösen, wenn der Kontakt zum Boden abgebrochen ist.

Gibt es ein Klischee, das man sich über Astronauten erzählt, das jedoch mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat?
(lacht) Ich denke, viele Leute glauben, Astronauten würden zur Vorbereitung auf ihren Weltraumflug täglich mehrere Stunden in einer Zentrifuge trainieren. Das ist jedoch eine falsche Vorstellung, denn das macht man eigentlich nur ein einziges Mal, nämlich wenn man im sogenannten Sternenstädtchen in Moskau, dem russischen Ausbildungszentrum für Kosmonauten, den Wiedereintritt in die Atmosphäre trainiert. Dort wird dann geübt, diesen Wiedereintritt in einer kritischen Situation manuell durchzuführen – und das macht man sinnigerweise in einer Zentrifuge, da dort die Beschleunigungswerte, die beim Wiedereintritt auftreten, simuliert werden können. Ansonsten spielt die Zentrifuge bei der Vorbereitung jedoch keine Rolle.

Zum Abschluss: Was glauben Sie, werden Sie in der Nacht vor dem Abflug ins All gut schlafen können?
Wie ich mich kenne, wird es das größere Problem sein, pünktlich aus dem Bett zu kommen. Aber: Ich werde mir einen Wecker stellen.

Die Europäische Weltraumorganisation ESA soll die Entwicklung der europäischen Raumfahrt koordinieren und fördern – und damit sicherstellen, dass die diesbezüglichen Investitionen allen Europäern dauerhaften Nutzen bringen. Aktuell gehören der ESA 18 Mitgliedsstaaten an. Indem sie die Finanzmittel und das Know-how der einzelnen Länder bündelt, ermöglicht sie die Realisierung von Programmen und Projekten, die keiner der Mitgliedsstaaten im Alleingang auf die Beine stellen könnte. Das Deutsche Zentrum für Luftund Raumfahrt (DLR) vertritt die Interessen Deutschlands bei der ESA. Die Astronauten der ESA nehmen wichtige Aufgaben beim Betrieb der Raumstation ISS wahr – einer Art wissenschaftlichem Labor im Weltraum, das gemeinsam von Europa, Japan, Russland, den USA und Kanada betrieben wird. Der Niederländer André Kuipers ist im Sommer 2012 wieder von der ISS zurückgekehrt, während sich der Italiener Luca Parmitano und der Deutsche Alexander Gerst zurzeit auf ihre Langzeitmissionen ab Mai 2013 beziehungsweise Mai 2014 vorbereiten.

„Beliebter Bachelor“

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Wo gibt es den Fachkräftemangel – und wo nicht? Und was bedeutet das für Absolventen? Ina Kayser analysiert beim VDI den Arbeitsmarkt für Ingenieure und rät Einsteigern zu Flexibilität und Grundlagenwissen. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Dr. Ina Kayser, 29 Jahre, ist seit 2012 beim VDI als wissenschaftliche Referentin für das Thema Arbeitsmarkt tätig. Sie promovierte zum Thema „Akzeptanz von E-Government“ und war zu dieser Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Duisburg-Essen tätig. Sie hat einen Master-Abschluss in internationaler Politik und ein Diplom in Wirtschaftsinformatik.

Frau Dr. Kayser, zuletzt gab es widersprüchliche Aussagen zum Fachkräftemangel. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?
Aktuelle Auswertungen des VDI in Kooperation mit dem Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen eine ungebrochen hohe Nachfrage an Ingenieuren, die nicht gedeckt werden kann. Der resultierende Fachkräftemangel kann vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und einer innovationsgetriebenen Wirtschaft kritische Folgen haben, denn Ingenieure sind das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Sie sind von zentraler Bedeutung für den Technikstandort Deutschland und für unseren Wohlstand. Damit ist der andauernde Fachkräftemangel ein großes Problem für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands.

Fehlen denn überall und aus allen Fachrichtungen Ingenieure?
Der Fachkräftemangel betrifft nicht alle Fachrichtungen gleichermaßen. Die Ingenieurlücke ist am größten im Maschinenbau und in der Elektrotechnik; im Vermessungsingenieurwesen ist dagegen kaum ein Mangel erkennbar. Auch beobachten wir regionale Differenzen: Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sind regional gesehen vom Fachkräftemangel am stärksten betroffen.

Gibt es andererseits Regionen, wo es Ingenieure schwerer haben, Stellen zu finden?
Wir beobachten in Berlin und Brandenburg in vielen Ingenieurberufen eher einen Überschuss an arbeitslosen Ingenieuren als an offenen Stellen. Hier ist also trotz des generellen bundesweiten Mangels an Ingenieuren bei den kommenden Ingenieuren und Bewerbern Flexibilität gefragt, was die Wahl sowohl der Studienrichtung und Schwerpunkte als auch der Beschäftigungsregion angeht.

Mit welchen Fähigkeiten und Qualifikationen wird der Ingenieurabsolvent zur besonders begehrten Fachkraft?
Aus unserer Sicht ist es von besonders großer Bedeutung, ein breites Basiswissen zu erlangen, beispielsweise in Form eines grundlegenden Bachelorstudiengangs. Eine Spezialisierung kann dann besser entweder an konkreten Aufgaben orientiert im Unternehmen erfolgen oder über ein Masterprogramm mit starkem Fokus auf einer Spezialisierung. Daneben spielen aber auch Soft Skills eine wichtige Rolle. Neben der fachlichen Qualifikation legen Unternehmen großen Wert auf Kompetenzen wie etwa Teamfähigkeit, aber auch solide Fremdsprachenkenntnisse sind gefragt.

Viele Unternehmen suchen Spezialisten. Warum sind die Grundlagen noch immer wichtig?
Durch die breite ingenieurwissenschaftliche Basisqualifikation erhalten sich Einsteiger die nötige Flexibilität, um auf Anpassungen am Arbeitsmarkt zu reagieren.

Ist ein Bachelorabschluss tatsächlich eine gute Grundlage für den Karrierestart?
Ja, denn wir beobachten in der Industrie eine konstant hohe Nachfrage nach Bachelorabsolventen. Sie sind in den Unternehmen vor allem aufgrund ihrer kurzen Studiendauer gern gesehen. Die Spezialisierung kann dann entweder praxisorientiert im Unternehmen erfolgen oder in einem späteren Masterstudium erworben werden.

Dürfen Einsteiger als Folge aus dem Fachkräftemangel heute mit Spitzen- Einstiegsgehältern und rasanten Karrieren rechnen?
Der VDI führt in regelmäßigen Abständen eine Gehaltsstudie durch, nach der wir einen leichten Anstieg beobachten können; der große Gehaltssprung ist aber bislang ausgeblieben. Es ist jedoch erkennbar, dass immer mehr Ingenieure auch Führungs- und Managementpositionen bekleiden. So gab es im Jahr 2009 in der Industrie rund 79.000 Manager mit ingenieurwissenschaftlichem Abschluss, während die Zahl der Manager mit betriebswirtschaftlichem Abschluss sich auf lediglich rund 62.000 belief.

Der VDI

Für Ingenieure, Naturwissenschaftler und Informatiker gibt es eine Vereinigung, die sie bei ihrer Arbeit unterstützt, fördert und vertritt. Diese Aufgabe übernimmt der VDI, Verein Deutscher Ingenieure. Er versteht sich als Sprecher, Gestalter und Netzwerker. Seit über 150 Jahren steht er Ingenieurinnen und Ingenieuren zur Seite. Mit fast 150.000 Mitgliedern ist der VDI die mit Abstand größte Ingenieurvereinigung Deutschlands. Auch in Europa zählt er zu den führenden Organisationen für Ingenieure.
www.vdi.de

Es gibt ihn – aber nicht überall

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Die These vom Fachkräftemangel steht in der Diskussion. Es gibt Stimmen, die sagen, alles sei halb so schlimm. Was ist dran an diesen Aussagen? Eine Umfrage bei großen Arbeitgebern für Ingenieure zeigt hingegen: Der Fachkräftemangel ist Realität – wenn auch nicht unbedingt an jedem Ort und bei jeder Fachrichtung. Für Absolventen bedeutet das: Flexibilität zeigen! Von André Boße

Ist der Fachkräftemangel nur ein Rechenfehler? Den Verdacht hat zumindest das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung (DIW), das jetzt eine Analyse des Arbeitsmarktes für Ingenieure erstellt hat, die in einigen Punkten den warnenden Worten der Bundesagentur für Arbeit und des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) widerspricht. Die zentrale Aussage des DIW nach der Berechnung des Bedarfs an Ingenieuren in der Industrie: Die Klagen über den Fachkräftemangel seien überzogen, die kommende Absolventenmenge reiche vollkommen aus, um freie Stellen zu decken. Und sollte die Zahl der Ingenieurabsolventen in den kommenden Jahren steigen, könne sich der Karriereeinstieg für Absolventen früher oder später sogar als schwierig erweisen.

Der VDI hält jedoch dagegen: Im Juni 2012 errechnete der Fachverband zusammen mit dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in den technischen Unternehmen mehr als 107.000 offene Stellen für Ingenieure. Da im Juni 2012 rund 18.700 Ingenieure arbeitslos gemeldet waren, lässt sich errechnen, wie viele Ingenieure der deutschen Wirtschaft derzeit fehlen: 88.300. So groß ist die sogenannte Ingenieurlücke, die in den Unternehmen dazu führt, dass die nötigen Fachkräfte fehlen, um Innovationen voranzutreiben und der noch immer bemerkenswert guten Auftragslage gerecht zu werden. „Wenn diese Zahl nicht nachhaltig verringert werden kann, müssen die davon betroffenen Unternehmen ihre Produktionskapazitäten an diese Engpässe anpassen“, kommentiert IW-Geschäftsführer Hans-Peter Klös die aktuellen Daten.

Fachkräftemangel – ja oder nein?

Besonders Einsteiger fragen sich in dieser Situation: Was stimmt denn nun? Schließlich ist es für den Karrierestart von großer Bedeutung, einschätzen zu können, wie sich die Lage am Arbeitsmarkt darstellt. Ob man als Ingenieurabsolvent wirklich händeringend gesucht wird – oder sich die Marktrealität ganz anders darstellt und die Unternehmen keine großen Anstrengungen im Recruiting anstellen müssen, um die passenden Leute zu finden.

Einstiegsgehälter: Master verdient in der Spitze mehr

Die IG Metall hat jetzt eine Studie über Einstiegsgehälter für Absolventen technischer Studiengänge in Unternehmen aus den Bereichen Elektro, IT, Maschinenbau, Stahl und Telekommunikation vorgelegt. So erhalten Uni- Absolventen mit Master-Abschluss im ersten Karrierejahr ein Entgelt (fixes Monatsgehalt plus Zuschläge wie Urlaubsgeld oder 13. Jahresgehalt) in Höhe von 49.414 Euro (FH: 48.018 Euro); Bachelor-Absolventen von der Uni können mit 45.965 Euro rechnen (FH: 45.500 Euro). Während Bachelor- und Master- Absolventen am unteren Rand der Skala nahezu gleich viel verdienen, begründet sich die Entgelt-Lücke über die Einstiegsspitzengehälter: Master-Absolventen von der Uni kommen in der Spitze jährlich auf 54.695 Euro – wer die Uni mit einem Bachelorabschluss verlässt, auf maximal 49.563 Euro.

Zeit, bei den Unternehmen nachzufragen. Denn dort weiß man am besten, wie es um den Fachkräftemangel wirklich bestellt ist. Eine denkbar klare Aussage zum Thema erhält man bei der Ingenieurgesellschaft Rücker: „Der Fachkräftemangel im Ingenieurbereich ist leider Fakt und unbestritten. Auf dem Markt fehlen eindeutig die geeigneten Bewerber, die wir benötigen und die unseren geforderten beruflichen Qualifikationen entsprechen“, sagt Thomas Aukamm, Konzern-Geschäftsführer Vertrieb, Marketing und Recruiting. Das technologische Entwicklungsunternehmen mit Sitz in Wiesbaden beschäftigt sich überwiegend mit der Planung und Entwicklung von Kraftfahrzeugen, Flugzeugen, Anlagen, Maschinen, Schienenfahrzeugen und Schiffen und benötigt dafür insbesondere Ingenieure aus den Bereichen Maschinen- und Fahrzeugbau sowie Elektrotechnik. Und genau hier ist die Lücke am größten: Laut VDIZahlen fehlen alleine in diesen Bereichen 57.900 Fachkräfte. „Aufgrund des demografischen Wandels unserer Belegschaft stehen uns erheblich zu wenig junge Ingenieure zur Verfügung, die für ausscheidende ältere Mitarbeiter nachrücken könnten“, analysiert Aukamm die Personalsituation. Für den auf Ingenieurdienstleistungen fokussierten Konzern stelle dieser Mangel ein echtes Problem dar: Ein erfolgreiches und sehr aktives Recruiting sei daher „extrem wichtig“, sagt Aukamm, nur so könne man der erfreulichen Kundennachfrage gerecht werden und weiteres Wachstum generieren.

ausgebildeten Ingenieuren hat auch die Deutsche Bahn: Ingesamt sind im Konzern rund 10.000 Ingenieure tätig; der Bedarf für das Jahr 2012 liegt bei 800 Ingenieuren. „Wir schlagen keinen Alarm, stellen jedoch fest, dass die Zahl der geeigneten Bewerbungen abnimmt“, antwortet Kerstin Wagner, im Konzern Leiterin des Bereichs Recruiting & Employer Branding auf die Frage „Fachkräftemangel – ja oder nein?“. Die Personalverantwortliche hat festgestellt, dass potenzielle Kandidaten heute häufig über mehrere Alternativen bei der Wahl des künftigen Arbeitgebers verfügen. „Gerade in Süddeutschland stehen wir in einem harten Wettbewerb bei Ingenieuren sowie gut qualifizierten Fachkräften wie Mechatronikern“, so Wagner. Und auch bei der Deutschen Bahn verschärft die Altersstruktur der Belegschaft die Problematik: „42 Prozent unserer Mitarbeiter sind über 50 Jahre alt. Viele werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen.“

Keine pauschale Antwort zum Fachkräftemangel möchte man dagegen beim Halbleiterhersteller Infineon geben, wo vor allem spezialisierte Ingenieure aus den Bereichen IT, Software und Elektrotechnik gefragt sind. Ob es einen konkreten Mangel zu beklagen gebe oder nicht, hänge im Einzelfall vom Standort und der gesuchten Fachrichtung ab. „Gewisses Spezial-Know-how für einen bestimmten Standort zu finden, kann manchmal schwierig sein. Im Großen und Ganzen können wir unsere Stellen jedoch gut besetzen“, sagt Rainer Schmidt-Rudloff, Senior Manager Human Ressources bei der heute eigenständigen ehemaligen Siemens-Tochter mit Sitz in Neubiberg südöstlich von München.

Einsteiger dürfen Ansprüche stellen

Egal, ob man nun den Begriff Fachkräftemangel nutzt oder nicht: Alle Unternehmen sind sich einig, dass sich die Einstiegssituation von Nachwuchskräften gewandelt hat. Da die Nachfragen nach top-qualifizierten Ingenieuren – zumal, wenn sie schon früh internationale Erfahrung gesammelt haben und sich als starke Persönlichkeit darstellen können – zweifellos sehr hoch ist, müssen ambitionierte Einsteiger nicht nur Leistungsbereitschaft signalisieren, sondern sie dürfen auch Ansprüche stellen. Interessant: Hier stehen bei der jungen Generation weniger Gehälter, Aufstiegsmöglichkeiten und Privilegien wie der Firmenwagen im Fokus. „Heutige Absolventen wollen beruflich weiterkommen – aber nicht um jeden Preis“, heißt es bei Infineon. „Sie wünschen sich eine gute Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem sowie Erfolg und Erfüllung in beiden Welten.“

Die meisten Technologie-Unternehmen haben die Zeichen der Zeit verstanden und reagieren auf die Wünsche der jungen Ingenieurgeneration. Wie groß bei den Unternehmen und Konzernen der Stellenwert einer zeitgemäßen Recruiting-Strategie ist, zeigt das Beispiel Deutsche Bahn: Mit dem Ziel, bis 2020 zu den zehn Top-Arbeitgebern des Landes zu zählen, hat der Konzern begonnen, sich im Bereich Recruiting und Employer Branding neu aufzustellen. Auslöser für diesen Schritt war die Beobachtung, dass sich der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren zu einem Bewerbermarkt gewandelt habe. Oder anders gesagt: Wer gut ist, hat die Wahl – und wer als Unternehmen gewählt werden möchte, muss etwas bieten. „Wir treffen daher auf junge, gut ausgebildete Kandidaten, die von den Unternehmen vor allem Glaubwürdigkeit, faszinierende Aufgaben und Flexibilität fordern“, hat die Recruiting- Verantwortliche Kerstin Wagner festgestellt.

Mit der neuen Recruiting-Strategie möchte sie erreichen, dass der Ingenieurnachwuchs den Konzern als einen Arbeitgeber auf dem Schirm hat, der mehr zu bieten hat als Karrieren für Lokführer oder Zugbegleiter. Das Konzept der Deutschen Bahn, um die stark nachgefragten Besten zu locken: eine intensive Einstiegsphase, die von einem Mentor begleitet wird und die den Einsteiger schnell und eigenverantwortlich in die vielen Großprojekte des Unternehmens führt. Dem Nachwuchs ist es wichtig, dass er direkt das Gefühl bekommt, gebraucht zu werden. Entscheidend ist ein schneller Einstieg aber auch für die Unternehmen: Wenn es an Nachwuchs fehlt und die Belegschaften immer älter werden, kann es sich der Arbeitgeber nicht leisten, die frischen Kräfte im Schneckentempo an die wichtigen Aufgaben heranzuführen.

Schneller Einstieg als Herausforderung

Die hohe Geschwindigkeit, mit der Ingenieure heute einsteigen, stellt den Nachwuchs auch vor Herausforderungen. So sollten Einsteiger aufpassen, gerade in den ersten Monaten nicht überfordert zu werden. Die vielen Programme im Bereich Work-Life-Balance, die auch Technologie-Unternehmen im Angebot haben, richten sich auch an den Nachwuchs – und man sollte als begehrte Fachkraft nicht davor scheuen, perspektivisch über Themen wie Sabbaticals, Auszeiten oder Kinderbetreuung zu sprechen.

Für den Erfolg eines Unternehmens von besonders großer Bedeutung ist das funktionierende Miteinander zwischen dem Ingenieurnachwuchs und den älteren Kollegen. Schließlich ist ein wesentlicher Grund für den Fachkräftemangel der kurz- oder mittelfristige Ruhestand der sogenannten Babyboomer- Generation (also die Geburtenjahrgänge 1955 bis 1965). Die Umbrüche in der Altersstruktur der Belegschaften verlangt, dass Greenhorns und alte Hasen möglichst schnell zusammenfinden. Damit das Wissen und die Erfahrung der Älteren nicht verloren gehen – und der Nachwuchs wiederum schnell in den Betrieb integriert wird.

Frischer Wind trifft Erfahrung

Zwar schätzen die Technik-Unternehmen die Motivation, Kreativität und Innovationskraft der jungen Generation. Doch die fachlichen Kompetenzen und nicht zuletzt das praxisnahe Knowhow im direkten Kundenkontakt der Erfahrenen zählen zum personellen Kernkapital. „Die Älteren wissen ihre Potenziale optimal zu nutzen und können auf ihre langjährigen Erfahrungen bauen“, sagt Rücker-Geschäftsführer Thomas Aukamm. „Dagegen bringen die Jungen mit neuen Ideen, großem Engagement und modernen Sichtweisen viel frischen Wind ins Unternehmen.“ Der Wissenstransfer von Alt zu Jung ist eine Kernkompetenz guten Personalmanagements – gerade im Hinblick darauf, dass man Wissen und Erfahrungen nicht wie in einem IT-System von einer Festplatte auf die nächste kopieren kann.

Daher kommt es auf das Zusammenspiel an. „Der Volksmund hat es auf den Punkt gebracht: Die Jungen laufen zwar schneller. Doch die Alten kennen die Abkürzung“, formuliert es Aukamm – wobei die Kombination aus hohem Tempo und cleveren Schleichwegen vor allem dann wichtig wird, wenn in den Unternehmen an bahnbrechenden Innovationen gearbeitet wird. Aukamm denkt zum Beispiel an Entwicklungsaufträge für die Automobilindustrie, die sich mit Hybrid- oder alternativen Antriebskonzepten beschäftigen. Gerade diese Themen faszinierten den Nachwuchs – immerhin habe man hier die Chance, die Mobilität der Zukunft mitzugestalten.

Buchtipp: Herausforderung Fachkräftemangel

Warum Fachkräfte die Garanten für unternehmerischen Erfolg sind und vor welchen Aufgaben Unternehmen und auch Einsteiger in Branchen stehen, die vom Fachkräftemangel betroffen sind, analysiert das Fachbuch „Fachkräftemangel in Deutschland: Ausmaß, Ursachen und Lösungsstrategien“. Die Autorin Mariana Mitesser verweist dabei besonders auf die Folgen der Globalisierung: Da Produktionsprozesse günstiger in anderen Ländern durchgeführt werden können, stehen Länder wie Deutschland vor der Herausforderung, sich durch innovative Entwicklungen auszuzeichnen. Welche Rolle dabei top-qualifiziertes Personal und gerade auch Nachwuchskräfte spielen, zeigt das Buch. Die Lösungsansätze der Autorin geben Einsteigern zudem die Richtung vor, in der sie beim Karrierestart denken sollten.

Mariana Mitesser: Fachkräftemangel in Deutschland: Ausmaß, Ursachen und Lösungsstrategien.
Diplomica Verlag 2012.
ISBN 978-3842874060. 39,90 Euro

Olá São Paulo – Hallo São Paulo!

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São Paulo in Brasilien – eine der größten Städte der Welt. Joachim von Goetz wagte 2010 den Schritt und ging für SAP, einen Anbieter von Unternehmenssoftware, in die Millionenstadt. Er leitet dort ein Team des Co-Innovation Lab Brazil. Aufgezeichnet von Nina Augustat

Joachim von Goetz, 27 Jahre, studierte International Business Information Technology in Deutschland, England und Hongkong. 2004 startete er bei SAP, arbeitete in Deutschland, Singapur, USA und Japan.

Im Dezember 2010 bot mein Chef mir an, ein Team der SAP in São Paulo aufzubauen und zu leiten. Bevor ich meine Entscheidung endgültig traf, flog ich für eine Firmenveranstaltung nach São Paulo, wo ich meine zukünftigen Arbeitskollegen zum ersten Mal getroffen habe. Sie nahmen mich mit einer solchen Herzlichkeit auf, dass meine Entscheidung schon nach kürzester Zeit feststand.

Mein Team, das Co-Innovation Lab Brazil, leistet lokalen, regionalen und auch globalen Dienstleistungs-, Softwareoder Technologiefirmen technische Unterstützung bei der Entwicklung von Softwarelösungen. Wir arbeiten dabei eng mit anderen Bereichen der SAP zusammen – sei es in den lokalen Markteinheiten oder auch mit den globalen Abteilungen. So stellen wir sicher, dass die Lösung unsere Produktpalette funktional ergänzt, und versuchen, die Bedürfnisse unserer Kunden bestmöglich abzudecken. Es ist ein sehr interessantes Arbeitsumfeld, jedes Projekt ist einzigartig und bringt die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Das macht es jeden Tag wieder spannend.

Wichtig ist mir, dass ich den Freiraum habe, meinen Arbeitstag so zu gestalten, wie ich das möchte. Glücklicherweise gibt es bei uns zum Beispiel eine Vertrauensarbeitszeit, wir haben also keine Stechuhr. Es kommt nicht darauf an, wann und wie lange wir im Büro sind, sondern darauf, dass wir unsere Aufgaben erledigen. Das ist besonders praktisch, wenn man mal etwas Privates erledigen muss. Ich glaube, dass das Thema Work-Life-Balance – unabhängig davon, in welchem Land man arbeitet – mittlerweile für fast alle Arbeitnehmer sehr wichtig ist und die Unternehmen erkannt haben, dass heute andere Faktoren zählen als lediglich ein gutes Gehalt und ein sicherer Arbeitsplatz. Aber es gibt sicherlich auch Unterschiede zwischen den Kulturen – meiner Erfahrung nach haben zum Beispiel die Asiaten ein anderes Verhältnis zu Arbeit und Freizeit als die Europäer.

Pause machen und Gutes tun
SAP-Mitarbeiter haben seit 2012 die Möglichkeit, ein „Social Sabbatical“ einzulegen. Für vier Wochen reisen sie in kleinen Teams in Schwellenländer und geben dort ihr Fachwissen in Strategie, Marketing, IT, Finanzwesen, Consulting oder Recht an Unternehmen und kleine Firmen weiter. Die SAP-Mitarbeiter haben dabei die Gelegenheit, ihre Führungsqualitäten weiterzuentwickeln, kulturelles Wissen zu vertiefen und Kontakte mit anderen Führungskräften aus aller Welt zu knüpfen.

In der „New York Times“ gab es einmal einen Reiseartikel, der den Kern der Stadt aus meiner Sicht sehr gut zusammenfasst. Er besagt ungefähr Folgendes: „São Paulo ist wahrscheinlich die hässlichste und gefährlichste Stadt, die du je lieben wirst.“ Die Sicherheit ist, neben der Infrastruktur, eine der größten Schwächen der Millionenstadt São Paulo. Außerdem machen allein die Größe und die Anzahl der dort lebenden Menschen es nahezu unmöglich, etwas in planbarer Zeit zu erreichen. Schon aus einigen wenigen Kilometern können, vor allem bei Regen oder nach Feierabend, schnell ein paar Stunden Autofahrt werden. Im Gegenzug bietet die Stadt aber vierundzwanzig Stunden am Tag alles, was man sich vorstellen kann – São Paulo ist eine Stadt, die niemals ruht. Es gibt für jeden Geschmack Stadtteile, immer wieder neue Restaurants und Bars, spontane Konzerte und kulturelle Veranstaltungen. Das Besondere: Überall wird man von brasilianischem Charme und Lebensfreude empfangen. Brasilien ist ein Land zum Erkunden und ein Land, auf das die Einwohner mit Recht sehr stolz sind.

Mit meinen neuen Kollegen bin ich schnell in Kontakt gekommen, und wir gehen oft abends gemeinsam etwas trinken oder am Wochenende ins Restaurant – es ist fast wie in einer großen Familie. Das Wichtigste ist, immer offen und flexibel zu sein, egal, was kommt, und sich dabei mit seiner eigenen Art möglichst gut in die lokale Kultur einzufinden. Zurückblickend fallen mir viele schöne Situationen ein, an die ich mich gerne erinnere – fast alle haben allerdings eines gemeinsam: Immer waren gute Freunde oder Kollegen dabei. Ich finde es toll, wenn man mit den verschiedensten Menschen an den unterschiedlichsten Orten Gemeinsamkeiten entdeckt und diese im Idealfall zusammenbringen kann.

Im Moment liegt mein Fokus auf dem Erfolg des Teams und der Partnerschaften. Ich möchte mein Team so etablieren, dass es erfolgreich ist und vor allem auch nach meinem Weggang – mit einem entsprechenden Nachfolger – weiterlaufen kann. Ich denke noch nicht darüber nach, wann ich gehen werde oder was ich danach machen werde. Klar habe ich Ideen, was kommen könnte, aber vor knapp zwei Jahren hätte ich auch noch nicht geglaubt, dass ich jetzt in Brasilien lebe. Planung ist zwar ein wichtiges Element der Karriere, aber man sollte sich nie die Möglichkeit verbauen, neue interessante Möglichkeiten spontan zu erkennen.

Mein erstes Visum ist zwei Jahre gültig, und vor kurzem habe ich meine Visumsverlängerung beantragt. Eines ist für die Zukunft klar: Ich möchte weiterhin mit verschiedensten Kulturen arbeiten und versuchen, diese miteinander zu verbinden. Ich will täglich mehrere Sprachen sprechen, spannende Ideen mit neuen Technologien realisieren und im Idealfall dabei neue Geschäftsmodelle oder -konzepte bauen. Vor allem aber möchte ich den täglichen Spaß und die Herausforderung nie verlieren.

Brasilien

Landesinformationen:

Größe: 8,5 Mio. km2
Einwohner: 192 Mio.
Hauptstadt: Brasília (450.000 Einwohner)
Klima: Durchschnittstemperatur in São Paulo: Januar 27°C/Juli 22°C
Landessprache: Brasilianisches Portugiesisch

Währung:
Real – 1 Euro = 2,58 Real (Stand: 07.09.12)

Flugdauer Direktflug:
Frankfurt – São Paulo circa 11 Stunden, Kosten: ca. 500 Euro

Essen:
Nationalgericht São Paulos ist die Feijoda, ein Bohnentopf mit verschiedenen Fleischsorten. Auch ein Besuch in einem typisch brasilianischen Restaurant lohnt sich: Beim Churrasco werden verschiedene Fleischsorten direkt am Tisch von einem Spieß geschnitten und serviert.

Zeitverschiebung:
GMT -3 Stunden

Einreisebedingungen:
Für die Einreise nach Brasilien benötigen deutsche Staatsangehörige einen gültigen Reisepass. Aufenthalte von bis zu 90 Tagen sind visumsfrei möglich.

Betrieblicher Gesundheitsmanager

Eine Ausbildung zum betrieblichen Gesundheitsmanager qualifiziert zur Entwicklung und Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements im Unternehmen. Es gibt diverse Studiengänge mit Zertifikatsabschluss oder Masterstudiengänge – eine Auswahl stellen wir hier vor. Von Kerstin Neurohr

Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Bielefeld
Das Angebot richtet sich an Führungskräfte und Experten und ist eine Kombination aus Studium, Praxisprojekt und Beratung/Mentoring. Zur Wahl stehen eine einjährige Weiterbildung, die mit dem Universitätszertifikat „Betrieblicher Gesundheitsmanager“ abschließt, ein zweijähriger akkreditierter Masterstudiengang „Workplace Health Management“ sowie themenspezifische Seminare.
www.bgm-bielefeld.de

Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement
Die staatlich anerkannte private Hochschule bietet fünf teilweise ausbildungsbegleitende Bachelor- und zwei Masterfernstudiengänge an, unter anderem in Gesundheitsmanagement, Prävention und Gesundheitsmanagement, Fitness- oder Sportökonomie, Fitnesstraining und Ernährungsberatung.
www.dhfpg.de

Hochschule Magdeburg-Stendal
Der Bachelorstudiengang „Gesundheitsförderung und -management“ dauert sechs Semester, schließt Praktika ein und beginnt immer zum Wintersemester. Der konsekutive Masterstudiengang „Gesundheitsfördernde Organisationsentwicklung“ richtet sich an Gesundheits- und Sozialwissenschaftler und dauert vier Semester.
www.hs-magdeburg.de

Zentrum für Fernstudien und Universitäre Weiterbildung (ZFUW) der Universität Koblenz-Landau
Der berufsbegleitende Universitätszertifikatslehrgang zum „Gesundheitsmanager (univ.)“ richtet sich an alle Fach- und Führungskräfte. Die insgesamt acht Module zur betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung finden über sieben Monate hinweg jeweils von Freitag bis Samstag statt.
https://www.uni-koblenz-landau.de/de/zfuw

IHK-Düsseldorf in Kooperation mit dem IST-Studieninstitut
Die fünfmonatige berufsbegleitende Weiterbildung „Betriebliches Gesundheitsmanagement (IHK-Zertifikat)“ wird als Kombination aus Fernunterricht und zwei Präsenzphasen durchgeführt. Teilnehmen kann, wer eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen hat und Berufserfahrung in bestimmten Arbeitsbereichen vorweisen kann.
www.ist.de

Herausforderung Vielfalt

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Welcher Studierende kennt sie nicht, die Berichte von den absoluten Traumarbeitsplätzen: Bei dem größten Internetkonzern soll das Büro wie eine Mischung aus Lounge, Club und Fitnessstudio aussehen. Hochschulabsolventen fragen sich, wie ihre eigenen Perspektiven aussehen. Von Kerstin Tote, Charta der Vielfalt e.V. www.charta-der-vielfalt.de

2006 gründeten vier große Konzerne zusammen mit Staatsministerin Maria Böhmer, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, die Initiative „Charta der Vielfalt“, um für ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld zu sorgen. Eine moderne Strategie hatte es aus den USA bis in die Managementebenen deutscher Unternehmen geschafft. Ihr Name: Diversity Management. Dabei geht es um den richtigen Einsatz und das Management von personeller Vielfalt. Die Wertschätzung der Vielfalt der Beschäftigten ist nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern dient dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Hier gibt es eine Reihe von Effekten: Beschäftigte, die sich respektiert fühlen, sind loyaler und arbeiten motivierter. Die richtige Zusammensetzung von gemischten Teams erweitert Perspektivenreichtum, Kreativität und marktgerechte Anpassung von Unternehmen und damit ihre Effizienz. Auch die öffentliche Wahrnehmung wird durch ein pluralistisches Unternehmensbild positiv beeinflusst.

Mittlerweile wird die Initiative von dem gemeinnützigen Verein „Charta der Vielfalt e.V.“ getragen, und dieser ist der Impulsgeber, wenn es um Vielfalts- Management in Deutschland geht. 18 Konzerne sind Mitglied im Verein, Staatsministerin Böhmer hat einen festen Vorstandssitz und ist damit die Verbindung zur politischen Szene der Hauptstadt. Herzstück des Vereins ist eine Selbstverpflichtung. Mit ihrer Unterzeichnung verpflichten sich Organisationen dazu, eine Kultur zu pflegen, die auf Respekt und Wertschätzung beruht. Diese Selbstverpflichtung haben bereits über 1300 Unternehmen und öffentliche Institutionen unterschrieben, damit repräsentieren sie sechs Millionen Beschäftigte. Diversity Management hat sich somit zu einem breiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Trend entwickelt. „Wichtig für Unternehmen ist es, die ,Herausforderung Vielfalt‘ als ganzheitlichen Diversity-Ansatz zu begreifen und als Querschnittsstrategie in alle Unternehmensbereiche zu implementieren“, so Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin des Vereins.

Die Konzentration auf einen Aspekt von Vielfalt ist also nicht zu empfehlen, schließlich zeichnet sich die moderne Gesellschaft durch eine Vielzahl an Zugehörigkeiten aus: Alter, Gender, ethnische und soziale Herkunft, Weltanschauung und Religion, Behinderung oder sexuelle Orientierung. Abhängig von den Voraussetzungen in der Organisation, sei es die Struktur der Beschäftigten oder auch die Zielgruppe der Organisation, müssen die Maßnahmen individuell entwickelt werden. Diversity ist eine Reise, und Voraussetzung ist, sich auf den Weg zu machen.

Aufgestiegen zum Demografieberater

Die meisten Demografieberater sind freiberuflich als Berater, Trainer oder Coach tätig. Nur wenige sind unternehmensintern in der betrieblichen Demografieberatung beschäftigt. Ich habe im Frühjahr 2011 die zertifizierte Ausbildung bei der healthpro-academy in Stuttgart durchlaufen. Es handelte sich um einen kleinen, international besetzten Kurs mit vier Teilnehmern und einem Trainer, der selbst als Unternehmens- und Demografieberater tätig ist. Ein Erfahrungsbericht von Hans-Georg Kämpfer

Hans-Georg Kämpfer
Ausbildung zum Industriekaufmann, BWL-Studium mit Fachrichtung Personalmanagement sowie Produktions- und Logistikmanagement in Siegen
Eingestiegen 2001 in der Personalabrechnung bei RWE Energie
Aufgestiegen 2006 zum Personalreferenten der RWE Rhein-Ruhr
Aufgestiegen 2010 zum Werkspersonalleiter und Demografieberater bei KFV Karl Fliether

Hauptthemen sind die Analyse der Unternehmensumwelt sowie die sogenannte Altersstrukturanalyse inklusive Fehlzeitenmanagement und deren Interpretation, das heißt die Ableitung konkreter Maßnahmen in den betrieblichen Handlungsfeldern. Dies sind beispielsweise die Personalentwicklung, der Auf- und Ausbau eines betrieblichen Gesundheitsmanagements, eine nachhaltige Unternehmens- und Führungskultur und Employer Branding. Diese Qualifizierung ist ein Standard, der die Qualität in der Demografieberatung sichert. Mittlerweile wurden schon über 800 Demografieberater in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgebildet.

Seit 2010 bin ich bei KFV Karl Fliether in Velbert als Werkspersonalleiter tätig und seitdem mit sieben Mitarbeitern für die Personalarbeit und die zentralen Dienste (Gebäude, Sozialdienst, Empfang) zuständig. Das Unternehmen ist Hersteller von Mehrfachverriegelungen für Haustüren sowie Einsteck- und Rohrrahmenschlösser, seit 2006 ein Tochterunternehmen der Siegenia-Aubi-Gruppe, und hat nach erfolgreicher Restrukturierung noch circa 500 Mitarbeiter.

Meine Aufgaben sind vielseitig. Disziplinarisch bin ich direkt dem Werksleiter vor Ort zugeordnet. Fachlich stimme ich mich mit den Personalleitern der anderen Standorte sowie dem zentralen Kaufmännischen Leiter ab. KFV Karl Fliether ist ein tarifgebundenes Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, daher muss ich neben den gesetzlichen Vorgaben auch die einschlägigen Tarifverträge beachten. Wichtig ist auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem örtlichen Betriebsrat, um trotz oft gegenteiliger Meinungen gemeinsame Entscheidungen für das Unternehmenswohl und somit auch die Mitarbeiter zu treffen und umzusetzen.

Die Inhalte der Ausbildung zum Demografieberater begegnen mir in meiner Arbeit täglich. Wir sind ein Produktionsbetrieb mit relativ großem Anteil an „Handarbeit“ und gewerblich-technischen Tätigkeiten, daher werden uns die Folgen der Alterung der Gesellschaft in den kommenden Jahren mit voller Wucht treffen. Es fällt uns immer schwerer, qualifizierte Jugendliche für eine Ausbildung zu gewinnen, die gesundheitlichen Einschränkungen der Belegschaft führen zu erhöhten Fehlzeiten, und wir werden mittelfristig in einigen Bereichen deutlich überaltert sein. Seit knapp zwei Jahren bauen wir gemeinsam mit dem Betriebsrat ein betriebliches Gesundheitsmanagement auf, um die Mitarbeiterschaft gesund zu erhalten. Zurzeit bilden wir in Kooperation mit der Arbeitsagentur vier Kollegen zum Maschinen- und Anlageführer aus, die als Montagehelfer bisher keine duale Berufsausbildung durchlaufen haben. Und wir versuchen, unserer Belegschaft durch flexible Arbeitszeitregelungen entgegenzukommen und so die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern.

Betriebliche Demografieberatung heißt nicht, das Rad jeden Tag neu zu erfinden, sondern viele, auch kleinere, Maßnahmen sinnvoll zu bündeln und eine Personalstrategie zu entwickeln, die eine gesunde Basis für eine positive Entwicklung bietet. Kein Tag gleicht dem anderen, und ich stehe ständig im Dialog mit den unterschiedlichsten internen und externen Gesprächspartnern. Kurzum, ich bin mit meiner Berufswahl sehr zufrieden.

rebequa

Das regionale Beratungs- und Qualifizierungsprogramm rebequa wurde 2006 von der Unternehmensberatung healthpro initiiert und wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds unterstützt. rebequa berät Unternehmen bei der Umsetzung einer demografiegerechten Personalpolitik. Außerdem bildet das Unternehmen externe Personaler anhand eines wissenschaftlichen Qualifizierungskonzeptes zu Demografieberatern aus.
Weitere Informationen unter www.healthpro-academy.de und www.rebequa.de

Was macht eigentlich eine Feelgood-Managerin, Frau Bethge?

Feelgood-Manager? Von diesem Job haben bislang wohl die wenigsten gehört. Kein Wunder, diesen Beruf gibt es noch nicht allzu lange und zumindest in Deutschland auch nicht sonderlich oft. Ich werde daher häufig gefragt, was ich eigentlich genau mache und wie mein Alltag als Feelgood-Managerin aussieht. Von Magdalena Bethge, Feelgood-Managerin bei Jimdo

Das lässt sich jedoch nicht ganz so einfach beantworten, denn ich habe viele verschiedene Aufgaben, die sich ständig weiterentwickeln. Das ist einer der großen Vorteile meines Berufs – es gibt keinen Alltagstrott, im Gegenteil: Man kann sich stets vorwärtsbewegen und dank des völlig neuen Berufsfeldes auch viele eigene Ideen und Ansätze einbringen. Ganz allgemein kann man sagen, dass ich im Unternehmen dafür zuständig bin, dass sich jeder Mitarbeiter wohlfühlt und dass für alle ein gutes Arbeitsumfeld geschaffen wird. Darunter fallen die verschiedensten Aufgaben – von der Organisation der täglichen Joggingrunde über gemeinsame Teamaktivitäten bis hin zum Feedbackgespräch für unsere Mitarbeiter.

Mein Job war damals, vor etwa einem Jahr, nicht offiziell ausgeschrieben – er hat sich im Laufe der Zeit so entwickelt. Das Unternehmen Jimdo wurde 2007 von drei Freunden gegründet. Die Jungunternehmer entwickelten einen für jedermann geeigneten kostenlosen Webseiten-Baukasten. Ohne Vorkenntnisse und in wenigen Schritten lassen sich damit Online-Präsenzen erstellen. Die Software gibt es mittlerweile in elf Sprachversionen, sechs Millionen Webseiten wurden weltweit bereits damit erstellt. Im letzten Jahr hat das Unternehmen eine enorme personelle Wachstumsphase durchgemacht. Wir haben dabei festgestellt, dass wir auch mit 120 Leuten noch dieselbe Unternehmenskultur erleben wollen wie damals, als wir nur 50 waren. Um unsere Kultur auch den neuen Kollegen zu vermitteln, ihnen ein gutes Gefühl zum Start zu geben und auch allen anderen die Lust an der Arbeit zu erhalten, bin jetzt also ich da. Und meine Aufgabenbereiche entwickeln sich immer weiter: Ich bin Entertainer, Organisator, habe ein offenes Ohr für jeden, schaffe Raum für Begegnung und Feedback, unterstütze Mitarbeiter bei Konfliktgesprächen und vieles mehr.

Wir glauben, dass unser Erfolg zu einem großen Teil auf unserer Firmenkultur beruht: Wir legen viel Wert auf Miteinander und Teamfähigkeit und glauben daran, dass man ohne Spaß bei der Arbeit seinen Job weder gerne erledigt, noch dabei eine gute Leistung bringen kann. Das heißt nicht, dass wir hier um jeden Preis die Mitarbeiter bespaßen und mit Maßnahmen wie „Ab 20 Uhr gibt es Pizza für alle umsonst” möglichst lange bei der Arbeit halten wollen. Die Grundstimmung muss passen, und zwar auf ehrliche Art und Weise. Ich sorge dafür, dass das immer besser gelingt. Und auch für das Employer Branding ist ein Feelgood-Manager sehr wertvoll: In der heutigen Arbeitswelt sind viele Arbeitnehmer nicht mehr bereit, bis zum Burnout zu schuften, sondern das Arbeitsklima und -umfeld sind wichtige Kriterien für die Arbeitgeberwahl – da ist ein Feelgood-Manager ein positives Zeichen. Er signalisiert zukünftigen Angestellten, welche Kultur hinter dem Unternehmen steht.

Bei Jimdo gefällt mir besonders gut, dass die Grundstimmung positiv ist. Ich bin seit gut einem Jahr dabei, seitdem ist das Unternehmen gewachsen, und es kann nicht mehr jeder jeden so gut kennen wie früher. So wird es schwieriger, allen unseren „Spirit“ mitzugeben. Ich kann jedoch einen Teil dazu beitragen, dass es sowohl den alten als auch den neuen Mitarbeitern leichtfällt, aufeinander zuzugehen. Ich organisiere zum Beispiel verschiedene Mittags-Sportgruppen, regelmäßige Ausflüge zum Beachvolleyball, Lesungen, Party-Abende auf der Barkasse im Hamburger Hafen oder auch die sogenannte alljährliche „Klassenfahrt“ mit dem gesamten Team. Außerdem habe ich ein „Good-Book“ und ein „Bad- Book“ eingeführt, in das jeder Mitarbeiter sein positives oder negatives Feedback eintragen kann. Jeden Montag beim Teammeeting wird etwas aus beiden Büchern vorgelesen und an der Kritik gearbeitet. Zudem schaffe ich Raum für Begegnung. Neue Mitarbeiter spielen bei uns nach ein oder zwei Wochen mit mir das Mitarbeiter- Memory, um sich Namen und Aufgaben der Kollegen besser merken zu können. Damit jeder einmal mit jedem redet, lose ich bei „…und was ist mit Tee?” nach jedem Teammeeting fünf Personen aus, die anschließend zusammen einen Tee oder Kaffee trinken und eine Runde schnacken.

Mein Ziel ist es, die gute Stimmung hier im Team und das einmalige Arbeitsklima mithilfe von allen Kollegen weiter zu erhalten. Es müssen nicht immer klassische Arbeitsstrukturen und Leistungsdruck sein, die Unternehmen groß machen, es geht eben auch anders. Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft immer mehr Firmen darauf aufmerksam werden und Wert auf ihre Unternehmenskultur legen.

Job-Steckbrief Feelgood-Manager

Ausbildung:
Derzeit gibt es keine geregelten Ausbildungswege oder speziellen Studiengänge, der Beruf hat noch Exotenstatus. Gute Chancen haben beispielsweise Wirtschaftswissenschaftler, die sich schon im Studium mit Personalwesen beschäftigt haben.

Voraussetzungen:
Davon abhängig, welche Aufgaben der Feelgood-Manager im Unternehmen übernimmt. Am wichtigsten sind Charaktereigenschaften wie Offenheit, Teamfähigkeit sowie Motivations- und Begeisterungsfähigkeit. Hilfreich sind außerdem Erfahrungen im Event- und Organisationsbereich, Konfliktmanagement, Sport und Coaching.

Interview mit Prof. Dr. Niko Paech

Wachstum ist das Allheilmittel der Wirtschaft. Es soll für Wohlstand sorgen und Karrieren ermöglichen. Der Wirtschaftswissenschaftler und außerplanmäßige Professor Niko Paech glaubt allerdings, dass die Phase des Wachstums bald vorbei sein wird. Doch wie gestalten sich dann Karrieren? Der Ökonom nennt vier Gründe für das Ende des Wachstums und erklärt, wie eine 20-Stunden-Woche funktionieren kann. Das Gespräch führte André Boße.

Zur Person

Niko Paech, 51 Jahre, absolvierte 1987 an der Universität Osnabrück sein Studium als Diplom-Volkswirt und promovierte dort im Jahr 1993. Bis 1997 arbeitete er als Unternehmensberater im Bereich Umweltmanagement und Marketing für ökologische Lebensmittel. Danach zog es ihn nach Oldenburg, wo er von 1998 bis 2001 bei der Stadt Beauftragter für die „Agenda 21“ war und ab 2001 an der Carl-von-Ossietzky-Universität im Förderschwerpunkt „Betriebliche Instrumente für nachhaltiges Wirtschaften“ tätig war. Seit 2008 ist Paech in Oldenburg außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt. Der Volkswirtschaftler ist einer der führenden Theoretiker einer Postwachstumsökonomie und Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie.
www.produktion.uni-oldenburg.de

Herr Professor Paech, fast alle Unternehmen setzen bei ihrer Strategie auf Wachstum. Ein Fehler?
Die Zeit des Wachstums wird in absehbarer Zeit vorbei sein. Wer jetzt noch auf dieses Pferd setzt, beschreitet eine Sackgasse. Die meisten Unternehmen denken an Wachstumsraten, wenn von Zukunftsfähigkeit die Rede ist. Zukunftsfähigkeit, die tatsächlich diesen Namen verdient, muss aber ganz im Gegenteil Unabhängigkeit von Wachstum bedeuten. Wir müssen uns mit Strukturen anfreunden, die ohne Wachstum auskommen, denn nur so werden sie stabil sein können. Das Motto lautet: Kleiner und weniger global.

Warum ist Wachstum nicht zukunftsfähig?
Weil wir auf Situationen zusteuern, die wir nicht mehr beherrschen. Dabei spielen vier Krisenfaktoren eine Rolle. Erstens haben wir ein Ressourcenproblem: Selbst Produkte und Dienstleistungen, die als besonders innovativ gelten, sind von knapper werdenden Ressourcen abhängig. Das gilt übrigens auch für den IT-Bereich. Zweitens stehen uns ökologische Krisen bevor. Die derzeitige Atempause könnte sich als Ruhe vor dem Sturm entpuppen, denn der Klimawandel dürfte in zehn bis fünfzehn Jahren prägnante Folgen haben. Drittens sind die Finanzkrisen weiterhin absolut ungelöst, sodass auch die Konsumund Technologiefestungen Europas davon nicht unbeschadet bleiben werden. Und viertens beobachten wir psychologische Krisen: In allen Gesellschaften, die auf Beschleunigung, Wachstum und Leistungsdruck ausgelegt sind, steigt die Zahl der psychischen Krankheiten sprunghaft an. Dieses System verschleißt immer mehr Menschen. Insbesondere die Selbstverwirklichungszwänge im Konsum und in der Mobilität, zu denen sich dann noch der berufliche Stress gesellt, überfordern uns.

Bleiben wir kurz bei den psychischen Krankheiten, die ja auch schon junge Menschen betreffen: Studenten, Einsteiger und Young Professionals. Wo liegen aus ökonomischer Sicht die Ursachen für diese Krisen?
Ich denke, es handelt sich um eine positiv rückgekoppelte Mischung aus Reizüberflutung und Zeitknappheit. Alle Impulse und Optionen, die wir verarbeiten müssen, kosten uns Zeit. Es steht immer mehr an – doch der Tag hat weiterhin nur 24 Stunden. In diesen nicht erweiterbaren zeitlichen Rahmen stopfen wir eine immer größere Anzahl an Ereignissen. Daraus ergibt sich eine Ereignisdichte, die wir psychisch nicht mehr verarbeiten können. Auch dann nicht, wenn wir noch jung sind.

Buch-Tipp

Niko Paech: Befreiung vom Überfluss – Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie.
Oekom 2012. ISBN 978-3865811813. 14,95 Euro

Was kann man dagegen tun?
Reduzieren und entschleunigen – so trivial es klingen mag. Aber das geht nicht zum Nulltarif. Der Preis besteht in entschleunigten Karriere- oder Aufstiegsperspektiven und einem geringeren Quantum dessen, was man heute unter Leistung versteht. Das Personalmanagement von Unternehmen muss verhindern, den Faktor Mensch zu überlasten, weil Aufmerksamkeit eine nicht vermehrbare Ressource ist. Es ist zwar technisch möglich, gleichzeitig im Zug zu reisen, Kaffee zu trinken, E-Mails zu schreiben, das Smartphone zu checken und Texte zu lesen. Aber dieses Multitasking stößt dort an Grenzen, wo die Aufmerksamkeit pro Einzelaktivität immer geringer wird. Dann mehren sich Fehler. Wer als Unternehmen seinen Leuten immer zeiteffizientere Technologien zur Verfügung stellt, mag den Kollaps zwar verzögern – aber nicht verhindern.

Einsteiger sollten solchen Angeboten also skeptisch gegenüberstehen?
Sie sollten sich zumindest fragen, ob sie wirklich Zeit sparen – und nicht stattdessen das Multitasking noch verschärfen. Aber ich warne davor, diese Überlastung nur auf den Bereich Beruf und Karriere zu reduzieren. Auch unser Privat- und Beziehungsleben sowie die sozialen Netze, die wir pflegen, sind durch die räumliche Entgrenzung der Digitalisierung kaum noch beherrschbar. Im Grunde haben wir uns selbst reingelegt: Wir glauben, der Zeitknappheit mit Flügen bei Billig- Airlines oder mit Facebook, Twitter und Google ein Schnippchen schlagen zu können. Aber das funktioniert offenbar nicht: Die menschliche Festplatte ist nicht beliebig erweiterbar, wir können unserer Psyche keine neuen USB-Schnittstellen verpassen oder Updates zur Verfügung stellen.

Was kann jemand zu Beginn seiner Karriere tun, um sich zu entschleunigen – und trotzdem beruflich voranzukommen?
Man benötigt ein hohes Maß an Souveränität, um schon von Beginn an Abschied vom 40-Stunden-Mythos zu nehmen – denn nur das würde helfen, um den ruinösen Dynamiken und Steigerungsprozessen zu entsagen. Diese Souveränität erlangt man in Netzwerken, deren Mitglieder sich gegenseitig darin bestärken, langsamere und behutsamere Lebensstile zu praktizieren.

Gibt es solche Netzwerke bereits?
Absolut. Ich denke an die Netzwerke aus der Nachhaltigkeitsbewegung, zum Beispiel das Netzwerk Wachstumswende, das Suffizienz-Netzwerk oder den Arbeitskreis Postautistische Ökonomie. Die Transition- und Urban- Gardening-Bewegungen sind ebenfalls zu nennen. Hier begegnen sich junge Menschen, die nicht mehr jeden Hype mitmachen wollen, sondern sich gegenseitig Kraft dafür geben, Dinge anders anzugehen. Wer auf eigene Faust Anspruchsreduktionen probiert, gilt schnell als Spaßbremse oder – im Karrierekontext – sogar als Leistungsverweigerer.

Wie lässt sich der Wunsch, es anders zu machen, mit einem erfolgreichen Karriereeinstieg in einem großen Unternehmen verbinden?
Ich denke, es sollte zunächst auf eine Kompromisslösung hinauslaufen, um die derzeitigen Unternehmensstrukturen nicht zu überfordern: Um überhaupt ein Standing im Unternehmen zu erhalten, kann man fünf Jahre den normalen Weg mitgehen, sich also durchaus für eine Übergangszeit an das 40-Stunden-Konzept anpassen. Wenn ich mir dann nach der halben Dekade durch meine Leistungsfähigkeit und Kreativität ein Standing erarbeitet habe, kann ich mit meinen Vorgesetzten über allmähliche Arbeitszeitreduktionen reden, etwa mit dem Fernziel einer 20-Stunden-Woche.

Aber was, wenn man sich nach den fünf Jahren selber eingelullt hat? Oder der Chef trotz fünf guter Jahre sagt: Wer es hier anders machen möchte, muss seinen Platz räumen?
Tja, das kann natürlich passieren. Aber erstens ist auch der Wechsel eines Arbeitgebers als letzte Konsequenz etwas Normales. Und zweitens wollen wir doch mal abwarten, mit welchen Burnout-, Finanz- und Ressourcenkrisen wir es absehbar noch zu tun bekommen. Darauf werden auch Unternehmen langfristig nicht anders reagieren können als durch flexiblere Lebensarbeitszeitmodelle. Zunächst geht es darum, sich nicht mehr auf die Durchhaltbarkeit der 40-Stunden- Arbeitswelt zu verlassen.

Was raten Sie stattdessen?
Den Aufbau einer multiplen Existenz. Wer etwa als Akademiker lediglich 20 Stunden in der Woche in eine hochkreative Karriere investieren will, sollte schon jetzt einüben, was er dann zukünftig mit den freigestellten 20 Stunden unternimmt. Nichtkommerzielle Aktivitäten im lokalen Umfeld, insbesondere Formen der modernen Subsistenz, sind hier der Schlüssel. Dazu zählen das Handwerk, die Kunst und das soziale Engagement. Die Dualität zwischen 20 Stunden Arbeit gegen Geld und 20 weiteren Stunden für kreative Selbstversorgung ist der beste Schutz vor jenem Aufprall, der uns bevorsteht, wenn weiteres Wirtschaftswachstum einfach nicht mehr möglich ist.

„Dauerbetrieb macht krank“

Der Mediziner Dr. Gunter Frank berät Unternehmen zum Gesundheitsmanagement. Seine These: Wer nur auf den Kopf hört, leistet nicht nur weniger – sondern schadet auch seiner Gesundheit. Von André Boße

Dr. med. Gunter Frank, 49 Jahre, führt eine allgemeinärztliche Praxis in Heidelberg und ist Fachbereichsleiter an der St. Galler Business School. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Gesundheitsberatung für Unternehmen. Zu diesem Thema hat Frank eine Reihe von Büchern geschrieben, zum Beispiel zusammen mit der Psychologin Dr. Maja Storch zur „Mañana-Kompetenz“. Dr. Gunter Frank ist verheiratet und hat zwei Töchter.
www.gunterfrank.de

Herr Dr. Frank, wann wird die Karriereplanung zu einem gesundheitlichen Problem?
Zum Beispiel dann, wenn ich denke, dass alle Weichen der Karriereplanung schon in den ersten Jahren gestellt werden müssen. Also genau in der Zeit, in der es auch darum geht, eine Familie zu gründen und ein Haus zu bauen. Es spricht nichts dagegen, dass man seine Karriere erst mit 40 startet. Oder neu startet. Das ist aus demografischer Sicht sehr sinnvoll, doch in der Praxis sieht das leider noch anders aus. Wer zum Beispiel als Unternehmensberater nicht mit 30 Vollgas gibt, landet auf dem Abstellgleis.

Ist denn Vollgas ohne Rücksicht auf Verluste bei den Arbeitgebern überhaupt noch angesagt?
Ich stelle fest, dass viele Unternehmen darüber diskutieren, wie sie gerade Einsteiger dazu bringen können, auch mal abzuschalten. Das führt dann zu Maßnahmen wie bei VW, wo eine halbe Stunde nach Arbeitsende keine E-Mails mehr vom Konzernserver auf die Smartphones der Mitarbeiter weitergeleitet werden.

Sind solche Maßnahmen aus medizinischer Sicht sinnvoll?
Wer auf beruflichem Dauerbetrieb läuft, schadet nicht nur seiner Gesundheit, sondern schöpft auch sein eigenes Potenzial als Mitarbeiter nicht aus. Ein kurzer Ausflug in die Anatomie: Mit dem vegetativen Nervensystem verfügt jeder Körper über eine Art Betriebssystem, das – ganz ähnlich wie Windows – unbewusst im Hintergrund läuft und alle aktiven und bewussten Programme ermöglicht. Das System kennt zwei Aggregatzustände: erstens Kampf und Flucht, zweitens Regeneration, Kreativität, Erotik und Muße. Für das Erste ist der Nervenstrang mit der Bezeichnung Sympathikus zuständig, für das Zweite der Parasympathikus.

Sie reden vom Unterschied zwischen Kopf und Bauch, Hirn und Herz.
Genau. Nun ist es so, dass wir Menschen stark von unserem Unterbewusstsein beeinflusst werden. Von Emotionen, Erinnerungen und Wertungen. Wir sind eben nicht die vernunftgesteuerten Organismen, die wir manchmal vielleicht gerne wären. Daher ist es wichtig, dass wir nicht den Zugang zu unserem emotionalen Wertesystem verlieren. Denn dort ist unser Kompass. Er zeigt uns an, ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden, indem er das, was unser Kopf vorhat, mit unseren Emotionen und Erfahrungen abgleicht.

Können wir diesen Abgleich jederzeit vornehmen?
Nein, wir benötigen dafür Ruhe. Oder medizinisch gesagt: Der Parasympathikus muss aktiv sein. Früher gab es viele gesellschaftliche Rituale, die uns diese Ruhe ermöglicht haben. Die Vesperpause und der Feierabend, an dem man komplett von der beruflichen Kommunikation abgekoppelt war. Dort fanden wir Momente, um in uns hineinzuhorchen und zu überprüfen, ob das, was wir vorhaben, tatsächlich zu uns passt. Ob wir noch authentisch leben.

Authentische Persönlichkeiten sind extrem gefragt.
Genau, aber man kann Authentizität nicht über den Verstand herstellen. Ich kann mir nicht selber den Befehl erteilen, authentisch zu handeln. Ich kann nur versuchen, den Zustand herzustellen, in dem sich mein Verstand dann unbewusst mit meinen Emotionen austauschen kann.

Wie wirkt sich Authentizität auf meinen Körper aus?
Man fühlt sich zufriedener, man schläft besser. Ein interessanter Aspekt ergibt sich aus der Messung der Herzratenvariabilität. Idealtypisch schlägt das Herz regelmäßig im Sinusrhythmus. Man vermutet aber heute, dass kleinste Mikrounterschiede im Herzrhythmus gut sind, weil sich in diesen minimalen Momenten der Einfluss des Parasympathikus auf das Herz zeigt.

Ein zu regelmäßiger Herzschlag ist also ein Zeichen dafür, dass man seine Gefühlswelt vernachlässigt?
Genauer: dass man den Zugang zu seinen Emotionen versperrt. Es gibt derzeit in der Medizin eine Diskussion darüber, ob ein zu regelmäßiger Herzschlag ein wesentlich aussagekräftigerer gesundheitlicher Risikofaktor ist als hoher Blutdruck oder ein hoher Cholesterinspiegel.

Leistungsbereite Menschen könnten glauben, dass der Parasympathikus sie von der Leistungsorientierung ablenkt.
Dabei ist das Gegenteil der Fall: Habe ich Zugang zu meinem emotionalen Zentrum, passieren viele Dinge ganz von alleine. Plötzlich ergibt sich ein Gedankenblitz. Ein sicheres Gefühl für eine Entscheidung. Diese Qualität von Kreativität oder Selbstsicherheit kann die Ratio nicht erzeugen. Unternehmen, die bei ihren Mitarbeitern Gefühle möglichst ausschalten wollen, schöpfen das Potenzial ihrer Leute bei Weitem nicht aus.

Zum Abschluss: Was raten Sie als Mediziner Einsteigern, wie sie ihre Karriere angehen sollten?
Ich halte es für nicht verkehrt, sich als junger Mensch zunächst einmal in die Karriere hineinzustürzen. Quasi an seinem Arbeitsplatz zu leben. Wichtig ist nur, früh genug zu erkennen, wann die Grenze erreicht ist. Und dann sollte man auch handeln. Das Gute dabei ist: Wer jung ist, der hat viel Zeit. Ich kenne die Geschichte eines High Potentials, einer Investmentbankerin, die rekrutiert wurde, gut verdiente – aber nach einem halben Jahr abbrach, weil sie die Tätigkeit mit ihrem Wertesystem nicht in Einklang bringen konnte. Natürlich ist die Karriere dieser jungen Frau damit nicht vorbei. Sie wird jedoch anders verlaufen als gedacht. Und sehr wahrscheinlich gesünder.

„Behalten Sie sich selbst im Auge“

Prof. Dr. Annelie Keil, ehemalige Dekanin der Universität Bremen, kennt das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Als Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin hat sie erforscht, in welcher Beziehung Gesundheit und Krankheit zu Biografie und Lebenswelt stehen. Ihr Rat für Einsteiger: sich bei aller Leistungsbereitschaft nicht selber aus dem Auge zu verlieren. Das Interview führte André Boße.

Zur Person

Prof. Dr. Annelie Keil, 73 Jahre, studierte in Hamburg Soziologie und Politikwissenschaft. 1968 promovierte sie, arbeitete zunächst als akademische Rätin in Göttingen und wurde 1971 an die neu gegründete Uni Bremen berufen, wo sie eine Professur für Sozial- und Gesundheitswissenschaften antrat. Nach schweren Erkrankungen fokussierte sich die spätere Dekanin auf den Bereich Gesundheitswissenschaft und Krankenforschung in Biografie und Lebenswelt. Annelie Keil ist Autorin mehrerer Bücher und war Expertin in der NDR-TV-Sendung „Gesundheitswerkstatt“. Sie engagiert sich in der Hospiz-Bewegung und erhielt 2004 das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihre ehrenamtliche Arbeit in den Bereichen Bildung, Jugend und Gesundheit.
www.anneliekeil.de

Frau Professor Keil, eines Ihrer Bücher heißt „Auf brüchigem Boden Land gewinnen“. Beobachten Sie, dass junge Menschen davon überrascht werden, wie brüchig das Leben ist?

Junge Menschen glauben – wie übrigens auch viele ältere Menschen –, das Leben sei komplett planbar. Dass man alles im Griff haben kann, wenn man sich nur bemüht und gut organisiert. Aber das Leben ist immer wieder unberechenbar. Ein guter Schul- oder Hochschulabschluss zum Beispiel garantiert nicht unbedingt eine erfolgreiche Karriere. Gerade die stärksten Lebensumbrüche melden sich nicht an. Krankheiten ignorieren seit jeher jeden Terminkalender, auch die plötzlich eintretende Liebe kann viel Zeit kosten – und muss dabei der Karriere nicht förderlich sein. (lacht)

Wie überstehe ich Phasen der Orientierungslosigkeit?
Indem ich nach einer neuen Ordnung im eigenen Leben suche. Mit Krankheiten und Krisen umgehen zu können, ist ein Lernprozess. Es geht um die Schwierigkeit, das Leben als Ganzes in seiner ständigen Wandlung zu begreifen, die unterschiedlichen Seiten zueinander in Beziehung zu setzen. Ob im Beruf oder zu Hause, als Mitarbeiter oder als Chef: Ich bin immer in verschiedener Mission unterwegs. Einerseits als jemand, der aus unterschiedlichen Gründen mit oder ohne Erfolg arbeitet, und andererseits als Mensch, der sein Privatleben lebt, Beziehungen pflegt, Kinder oder Eltern versorgt, mit mehr oder weniger Geld auskommen muss.

Ich habe vor einiger Zeit einen Psychosomatik-Workshop mit jungen Führungskräften durchgeführt. Beruflich bestens geschulte Leute, blitzgescheit mit Topkarrieren und ungemein fit darin, eigene Leistungen einzuschätzen, Kollegen zu beurteilen und Konkurrenzen abzuschätzen. Aber familiäre Konflikte? Die Folgen ihrer häufigen Abwesenheit für ihre sozialen Beziehungen? Das waren Tabu- Themen nach dem Motto: Es wird schon gut gehen. Diese Routinen spielen aber eine immens große Rolle in unser aller Leben, und in dem Augenblick, in dem ein Partner nicht mehr mitspielt oder ein beruflicher Konflikt entsteht, kracht das für stabil gehaltene Kartenhaus zusammen. Daher ist es so wichtig, über sich selbst, das engere Umfeld, seine Gefühle und Verhaltensweisen Bescheid zu wissen.

Schützt mich das Wissen über mich selbst auch vor dem, was man als Burnout-Syndrom bezeichnet?
Vor Krankheiten kann uns niemand bewahren. Aber das Wissen kann mich davor schützen, leichtfertig in Fallen zu tappen. Zu einem Burnout können unterschiedliche Probleme führen. Der Begriff selbst mausert sich allmählich zu einem Unwort, zu einer Modediagnose. Vieles, was wir ursächlich nicht gleich erklären können und was mit Erschöpfung, Angstzustand oder plötzlicher Überforderung zu tun hat, wird unter diesem Wort zusammengefasst. Wir sprechen oft von einer Burnout- Erkrankung, ohne überhaupt zu wissen, ob der Betroffene jemals wirklich für etwas gebrannt hat oder welche Gründe ihn in die Leere, die Langeweile oder die Enttäuschung seiner Ideale geführt haben. Gefährdet können auch Menschen sein, die einen zu hohen Leistungsanspruch an sich selber haben, immer mit ihrer Arbeit beschäftigt sind, gar nicht merken, was sie mit sich machen und auch nicht spüren, wenn Beziehungen wegbrechen. Wer erschöpft ist oder nicht den richtigen Arbeitsplatz gefunden hat, ist aber nicht gleich krank. Menschen sind und bleiben für ihr Leben verantwortlich. Sie müssen auf sich selbst achten und ihre Stärken und Schwächen einschätzen lernen.

Was raten Sie diesbezüglich Einsteigern?
Sich mit Biss und Engagement ins Arbeitsleben einzubringen, aber sich dabei selbst im Auge zu behalten. Sich immer wieder entspannt zurücklehnen und für einen Moment darüber nachdenken, wer man eigentlich ist, wo man steht und wohin man möchte. Wie man sich selbst im Weg steht und wo andere Menschen und Lebensziele zum Hindernis werden. Sie werden sehen, wie gut es dem eigenen Wohlbefinden und der Selbsteinschätzung tut, wenn man sich besser kennenlernt, Erfahrungen macht und aus diesen lernt – was übrigens genau die Stärke ist, die mit dem Alter kommt und die man Lebenserfahrung nennt.

Absolventen lernen zum ersten Mal den Rhythmus der modernen Arbeitswelt kennen. Welche Rolle sollte dabei die Pause spielen?
Jeder Mensch besitzt das grundsätzliche Bedürfnis nach Unterbrechung, aber jeder braucht andere Pausen. Es gibt Menschen, die springen morgens aus dem Bett, huschen in die Dusche – und sind danach einsatzbereit. Das ist okay – aber ich bin da anders! (lacht) In Konflikten braucht man manchmal Verhandlungspausen. Wenn es dauerhaft zu laut ist, braucht man zur Abwechslung ein wenig Stille. Wichtig ist, dass man nicht der Versuchung erliegt, jede Minute des Tages möglichst effizient sein zu wollen. Ich kenne Leute, die dauernd online sind, aber nie erreichbar. Die sich gegenseitig nicht mehr zweckfrei begrüßen, sondern nur noch fragen, wer angerufen hat. Diese Menschen leben ohne Pausen – aber auch ohne Bezug zu anderen Menschen. Sie nehmen nur noch sich selbst wahr, verlieren letztlich den Kontakt zur Realität. Das geht langfristig nur auf Kosten der Leistungsfähigkeit und wird zur gesundheitlichen Gefahr.

Buch-Tipp

Unser Leben ist ein fortwährender Prozess der Wandlung, unvorhersagbar und voller Überraschungen. Zwischen Chaos und Ordnung, Anpassung und Widerstand, Freiheit und Abhängigkeit sind wir ohne Navigator in der Fremde unterwegs und herausgefordert, eine einzigartige biografische Welt zu gestalten, die unseren Namen trägt.

Das Buch erzählt von geglückten und gescheiterten Versuchen, inmitten der konkreten Lebenswelt die eigene Person und ihre Biografie zu erfinden. Und wie es gelingen kann, sich trotz Bruchstellen und Krisen immer wieder neu mit dem Leben zu verabreden, sich selbst auf die Spur zu kommen und der eigenen Kraft, Lebenskompetenz und Fantasie zu vertrauen.

Annelie Keil: Auf brüchigem Boden Land gewinnen. Biografische Antworten auf Krankheit und Krisen. Kösel 2011. ISBN 978-3466309078. 17,99 Euro