Geschichte der Digitalisierung

Bedroht KI die Menschlichkeit?

Das Leben neu überdenken

Scheiter heiter

Tierisch glücklich in der modernen Welt

Wege in eine klimagerechte Zukunft

Gianna Mewes hat an der TU Berlin Wirtschaftsingenieurwesen mit den Vertiefungen Maschinenbau und Virtual Reality studiert. Als Werkstudentin beschäftigte sie sich mit den Themen Kreislaufwirtschaft und Plastikrecycling. Nach dem Masterabschluss machte sie sich mit ihrer Firma Merijaan selbstständig. Die Firma setzt sich für eine Welt ohne neues Plastik ein: Zum einen betreibt Merijaan Umweltbildung, zum anderen wird bestehendes Plastik für neue Produkte recycelt. Die Fragen stellte Sabine Olschner
Wie kamen Sie auf die Idee zu Ihrem Unternehmen? Ich habe ein Auslandssemester in Indien verbracht, wo ich sehr viel Plastikmüll und Armut gesehen habe. Schon damals habe ich mich gefragt, ob es nicht irgendeine Lösung gibt, mit der man beides bekämpfen kann. So kam die erste Idee für eine Kreislaufwirtschaft auf. In einem weiteren Auslandssemester in Kolumbien wollte ich mit Kommilitonen aus Plastikmüll Tabletts für die Uni-Mensa produzieren. Wir sind sehr tief in das Projekt eingestiegen, haben es dann aber zeitlich nicht ganz geschafft, es final umzusetzen. Wie ging es weiter? Nach dem Studium haben wir in Sri Lanka ein Pilotprojekt gestartet: An einem Kitesurf- Strand haben wir den Einheimischen Plastikmüll abgekauft, den sie an den Stränden und in den Dörfern gesammelt haben, und haben daraus Surfzubehör gemacht. Wegen der Pandemie mussten wir leider frühzeitig zurück nach Deutschland fliegen. Hier habe ich mich dann entschlossen, das Business umzustrukturieren und die Firma Merijaan in Berlin zu gründen. Was genau macht Merijaan? Wir geben Bildungsworkshops deutschlandweit, zum Beispiel in Schulen und in Unternehmen. Die jüngsten Teilnehmer, die wir hatten, waren Kinder einer Vorschulklasse. Die Dreijährigen konnten das Wort „Flasche“ noch gar nicht richtig aussprechen. (sie lacht) Es geht in den Veranstaltungen immer um Plastikrecycling und Plastikvermeidung. Wir wollen ein Bewusstsein schaffen, damit weniger Plastikmüll in der Umwelt landet. Für die Workshops produzieren wir in unserer Werkstatt im Spritzgussverfahren Produkte aus recyceltem Plastik. Das Material dafür erhalten wir aus einem Berliner Labor, in dem viel Verpackungsmaterial anfällt. Wir haben auch einen Online-Shop, in dem wir, wie damals in Sri Lanka, Surfzubehör verkaufen. Aber unser Fokus liegt derzeit klar auf den Workshops. Welche Ziele haben Sie mit Ihrem Unternehmen? Unsere Vision ist es, möglichst viele Menschen zu erreichen und einen kleinen Samen zu säen für einen bewussten Umgang mit Plastik. Ich bin gar nicht per se gegen Plastik, das ist ein wundervolles Material. Aber wir verwenden es einfach falsch und an vielen Stellen, an denen es nicht verwendet werden sollte. Und wir entsorgen es eben auch falsch. Deswegen finden wir es so wichtig, darüber aufzuklären, wie man es besser machen kann.www.merijaan.deSehen Sie, dass sich durch Ihre Workshops schon etwas verändert hat? Das ist eine spannende Frage, denn es ist bei Workshops natürlich schwer, Erfolge zu messen. Deshalb entwickeln wir gerade ein Bewertungssystem, und es läuft ein Studienprojekt, um zu messen, ob sich das Verhalten der Menschen nach unseren Workshops geändert hat. Darüber hinaus erhalten wir sehr viel Rückmeldung, zum Beispiel: „Ich wusste gar nicht, dass es unterschiedliche Plastikarten gibt. Jedes Mal, wenn ich jetzt im Supermarkt stehe, schaue ich erst einmal, ob die Verpackung recycelt werden kann oder ob sie verbrannt wird.“ Was ist Ihr Tipp für Leute, die sich ebenfalls mit einem Social Start-up selbstständig machen möchten? Einfach anfangen und nicht so viel planen. Wenn man in die Szene hineinkommt, merkt man schnell, dass es viel Unterstützung gibt, etwa in Form von Förderprogrammen. Und man sollte offen sein für Veränderungen: Die Idee, die man am Anfang im Kopf hat, ist meist gar nicht die Idee, die man am Ende umsetzt.
Sind generative KI-Systeme die besseren Mediziner*innen? Eine neue Studie zeigt: Was die Diagnose und Therapievorschläge angeht, nehmen es die neuesten Modelle mit den besten Fachleuten auf. Was aber nicht heißt, dass der Mensch abgehängt ist. Die kurze Historie der KI-Forschung zeigt: Ein neues Level wird dann erreicht, wenn Mensch und Maschine kooperieren. Das gilt auch für die Medizin – wobei hier zwei Menschen involviert sind: Ärzt*in und Patient*in. Ein Essay von André Boße
Man sollte vorsichtig sein, wenn es in der Headline eines Artikels heißt, bei dieser oder jener speziellen Tätigkeit sei die Technik dem Menschen ab jetzt hoffnungslos überlegen. Denn was den Menschen auszeichnet, ist die Eigenschaft, kein Fachidiot zu sein. Sondern die Fähigkeit zu besitzen, sein Wissen immer wieder anzupassen und flexibel anzuwenden. Ein Beispiel: 2019 ging die Nachricht durch die Medien, eine Künstliche Intelligenz habe erstmals den Weltmeister im Brettspiel Go besiegt. Das war eine Besonderheit, da Go deutlich komplexer als Schach ist und man lange der Auffassung war, ein Spiel mit so vielen Handlungsoptionen sei für eine Künstliche Intelligenz nicht durchschaubar. Der Tenor der Berichterstattung von damals: Dies ist ein Paradigmenwechsel, der zeigt, dass die KI bei taktischen Denkspielen den Menschen abhängt.Ein Experte vermutete, die KI sei mit dieser Taktik deshalb nicht klargekommen, weil ein so erratisches Spiel in den Trainingsdaten nicht vorgekommen sei. Wobei, so viel hat Pellrine verraten, er sich als menschlicher Spieler auch selbst von einer Künstlichen Intelligenz helfen ließ: Eine Company hatte ihm ein KI-System zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe er im Vorfeld vermutliche Schwächen von KataGo identifizierte. Das Beispiel belegt, was auch viele KI-Expert*innen bestätigen: KI ist ein Teamspiel. Das beste Ergebnis lässt sich dann erzielen, wenn der Mensch mit der Maschine kooperiert.Nächster Schritt: Quanten-Computing
Quanten sind Teilchen, die unsere Vorstellungskraft sprengen. Weil sie nicht nur einen Zustand besitzen, sondern zeitgleich alle möglichen Zustande. Anders als ein digitales Bit, das entweder 0 oder 1 sein kann, kann ein QuBit sowohl 0 als auch 1 als auch alle Zustände dazwischen sein. Eine Eigenschaft, die einen auf QuBits basierenden Quantencomputer zu einer Maschine mit gigantischer Rechenleistung macht. Solche Computer gibt es bereits. Sie sind riesig, überaus sensibel und kaum zu bezahlen. Weshalb sie auch in Zukunft eher keine Personal Computer sein werden, sondern als Zentralrechner eingesetzt werden, um in bestimmten Bereichen überaus komplexe Probleme zu knacken. Hier kommt auch die Medizin ins Spiel: Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim kooperiert mit Google, um insbesondere bei der Simulation von Molekülen voranzukommen – einer grundlegenden Technik für die Entwicklung von Medikamenten. Laut des Pharma-Unternehmens besitzen Quantencomputer das Potenzial, viel größere Moleküle als derzeit möglich genau zu simulieren und zu vergleichen. „Dadurch“, so heißt es im News- Bereich des Konzerns, „ergeben sich neue Möglichkeiten für pharmazeutische Innovationen und Therapien für ein breites Spektrum an Krankheiten.“
Generative KI wird nicht den Mensch ersetzen, sondern sie besitzt das Potenzial, die Gesundheitsversorgung als Teil des klinischen Arbeitsablaufs zu verbessern.In der Studienzusammenfassung sagen sie eben nicht, dass die generative KI den Menschen ersetzen wird, sondern, dass sie „das Potenzial besitzt, die Gesundheitsversorgung als Teil des klinischen Arbeitsablaufs zu verbessern“. Und dass „Large Language“- Modelle wie GPT-4, die dem neuesten Stand der Technik entsprechen, nützlich sein können, um „augenbezogene Ratschl.ge, Diagnosen und Managementvorschl.ge in gut kontrollierten Kontexten zu geben, wie zum Beispiel bei der frühen Einstufung von Patienten oder dann, wenn der Zugang zu medizinischem Fachpersonal begrenzt ist.“
Dr. Arun Thirunavukarasu, Hauptautor der Studie, benennt in der Zusammenfassung der Studie folgendes konkretes Szenario aus dem Bereich der Augenerkrankungen: „Wir können KI realistisch bei der Einteilung von Patienten mit Augenproblemen einsetzen, um zu entscheiden, welche Falle Notfalle sind, die sofort von einem Spezialisten behandelt werden müssen, welche von einem Hausarzt behandelt werden k.nnen oder welche keine Behandlung benötigen.“ Eine generative KI, die hier zuverlässig die Fälle einteilt, hilft dabei, das gesamte System zu entlasten, weil jeder, der .ärztliche Hilfe benötigt, dorthin verwiesen wird, wo ihm passgenau geholfen werden kann. „Bei weiterer Entwicklung könnten „Large Language“ Modelle auch Hausärzte beraten“, wird Dr. Arun Thirunavukarasu zitiert. Das ist überall dort wichtig, wo Menschen für eine fachärztliche Behandlung lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. In Großbritannien ist dies der Fall, und in Deutschland in vielen Fachbereichen ebenfalls. Hier könnten Hausärzt*innen plus KI den Job in bestimmten Fällen übernehmen.KI im Kampf gegen Krebs
2023 startete eine Kooperation zwischen dem Softwarekonzern Microsoft und Paige, einem Spezialisten für medizinische KI-Services. Ziel des Joint Ventures ist es, das weltweit größte bildbasierte KI-Modell zur Erkennung von Krebs zu entwickeln. Die Forscher hofften, dass das Modell helfen wird, mit Personalknappheit und wachsenden Fallzahlen klarzukommen, heißt es in der Pressemitteilung von Microsoft. Das KI-Modell werde mit einer gigantischen Datenmenge trainiert, die Milliarden von Bildern umfasst, heißt es weiter. Es könne häufige, aber auch seltene Krebsarten erkennen, die besonders schwer zu diagnostizieren sind. Entwickelt wird das Modell speziell für die Pathologie, wo es darum geht, der Entstehung und den vielen Entwicklungen von Krankheiten auf die Spur zu kommen.
Die ethischen Überlegungen im Zusammenhang mit der Anwendung von KI in der Medizin sind von großer Bedeutung. Dazu zählen Fragen des Datenschutzes, der Patientenautonomie, aber auch der Rolle von KI in der Arzt-Patienten-Beziehung.
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Buchtipp: Chancen und Grenzen der generativen KI in der Medizin
Das von Peter Lee, Carey Goldberg, Isaac Kohane und Sébastien Bubeck verfasste Buch „Die KI-Revolution in der Medizin – GPT-4 und darüber hinaus“ entwickelte sich in den USA schnell zu einem Bestseller. Nun liegt das Standardwerk auch in deutscher Übersetzung vor. Die Autoren beschreiben den Einfluss der generativen KI in der Medizin, von der Forschung bis zur Diagnose. Dabei beschreiben sie, wie im ärztlichen Alltag über diese Zukunftstechnologie debattiert wird – was zu witzigen oder aberwitzigen Szenen führt. Bei aller Begeisterung für das Thema: Auch die Grenzen der generativen KI werden aufgezeigt. Peter Lee, Carey Goldberg, Isaac Kohane und Sébastien Bubeck: Die KI-Revolution in der Medizin – GPT-4 und darüber hinaus. Pearson 2023. ISBN: 978-3868944532. 29,95 Euro.
Wie verändern Digitalisierung und Künstliche Intelligenz die Wirklichkeit – und warum droht sogar ein „Realitätsverlust“? Der Arzt und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Joachim Bauer verweist im Interview darauf, dass echte Begegnungen und analoge Präsenz durch nichts zu ersetzen sind. Schon gar nicht durch digitale Welten, die Versprechen geben, die sie nicht einhalten. Die Fragen stellte André Boße.
Herr Prof. Bauer, wie lässt sich die Sogwirkung, die von digitalen Geräten und insbesondere den Smartphones ausgehen, neurowissenschaftlich erklären? Die Motivationssysteme des menschlichen Gehirns sind gierig auf soziale Beachtung und Anerkennung, entsprechend steuern sie unser Verhalten. Smartphones sind, selbst wenn sie keinen Ton von sich geben, eine Art Versprechen: Dass sich Leute melden, die etwas von mir wollen. Das Smartphone verspricht: Du bist wichtig und wirst gesehen. Die dadurch erzeugte Ablenkung ist derart stark, dass Testpersonen sich die Inhalte von gelesenen kurzen Texten nicht mehr so gut merken konnten, wenn während des Lesens ein Smartphone auf dem Tisch lag. Wann wird diese Sogwirkung zu einem Risiko? Sie gefährdet die Qualität unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Ständig kann man beobachten, wie kleine Kinder versuchen, in Kontakt zu ihrer begleitenden erwachsenen Bezugsperson zu kommen, diese aber nicht vom Handy wegkommt und dem Kind damit signalisiert: Es gibt Wichtigeres als dich. Kinder können sich nicht wehren. Wenn wir ein solches Verhalten – man nennt das in der Forschung übrigens „Phubbing“ – anderen Erwachsenen zumuten, dann zeigen Studien, dass sich die entsprechenden Beziehungen verschlechtern. Das betrifft Paarbeziehungen genauso wie Beziehungen zu Kollegen. Besteht auch ein medizinisches Risiko? Ja, wenn die Sogwirkung des Smartphones in Suchtverhalten umschlägt. In Deutschland sind zwei Millionen Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren täglich stundenlang in Sozialen Medien unterwegs, hunderttausende junge Leute in dieser Altersgruppe gamen tagtäglich bis in die Nacht. Intensivnutzerinnen von Sozialen Medien erhöhen ihr Risiko für Angst und Depression, Intensivnutzer von Videospielen vernachlässigen ihr analoges Leben und bewegen sich zu wenig. Wie definieren Sie die analoge Realität und was unterscheidet sie von einer digitalen Realität? „Analoge Realität“ ist die lebendige Welt, in der Menschen sich von Angesicht zu Angesicht begegnen, miteinander arbeiten, spielen oder etwas unternehmen. Wo wir uns in die Augen schauen können und die feinen Nuancen der menschlichen Körpersprache wahrnehmen können. Wo wir uns durch unmittelbare Wahrnehmung in andere empathisch einfühlen oder auch Konflikte austragen und bereinigen können. Das alles geht theoretisch auch online, also auch in den digitalen Kommunikationskanälen der Sozialen Medien oder beim gemeinsamen Videospielen, wo sich die Spieler gegenseitig in den Bildschirm einblenden können. Dabei geht aber immens viel der feinen Wahrnehmung verloren, die uns analoge Kontakte möglich machen. Online-Kontakte sind, ohne dass wir das sofort merken, auf die Dauer anstrengend. Neuere Studien beschreiben bei Berufstätigen, die „remote“ arbeiten oder viel online kommunizieren müssen, eine sogenannte „Videoconference Fatigue“.Zur Person
Prof. Dr. Joachim Bauer war nach seinem Medizinstudium, parallel zu seiner klinischen Ausbildung, viele Jahre in der Forschung tätig. Für seine Forschungsarbeiten erhielt er den renommierten Organon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. Er ist Facharzt für Innere Medizin und Facharzt für Psychiatrie und in beiden Fächern habilitiert. Bauer ist Autor viel beachteter Sachbücher. Joachim Bauer war lange Jahre an der Universität Freiburg tätig. Er lebt, forscht und arbeitet jetzt in Berlin.
Worauf es für die Gesundheit ankommt, ist das, was man in der psychologischen Forschung ‚sichere Bindungen‘ nennt, also verlässliche Beziehungen. Nur wer davon zumindest einige wenige hat, schützt seine Gesundheit.Warum eigentlich ist unser Denken und ist unser Körper so sehr auf physische und soziale Begegnungen „gepolt“? Freundlichkeit, menschliche Nähe und soziale Unterstützung beruhigen das Stresssystem, senken den Blutdruck und stärken die Immunabwehr. Fehlende soziale Verbundenheit oder Einsamkeit führen zu Veränderungen der Genaktivität von immunologisch relevanten Genen und begünstigen chronische schleichende Entzündungsprozesse. Die Folgen sind ein erhöhtes Risiko für den Herz-Kreislauf und eine verkürzte Lebensdauer. Oberflächliche Kontakte, wie sie in den Sozialen Medien oder Chats stattfinden, haben keinen „Nährwert“, hier ist man heute Freund und morgen Feind. Worauf es für die Gesundheit ankommt, ist das, was man in der psychologischen Forschung „sichere Bindungen“ nennt, also verlässliche Beziehungen. Nur wer davon zumindest einige wenige hat, schützt seine Gesundheit. Studien zeigen, dass das Versprechen von Eingebundenheit in digitalen Welten nicht eingehalten wird. Aber ist das in der analogen Welt nicht genauso? Muss der Mensch dort nicht auch damit leben lernen, mit Ausgrenzung klarzukommen? Die Frage ist berechtigt. Ausgrenzung macht auch in der analogen Welt krank. Die analoge Welt, die physische Begegnung zwischen Menschen ist jedoch die entscheidende Ressource, aus der wir das schöpfen können, was wir brauchen: Echte Freundschaften und Bindungen. Die digitale Welt kann helfen, solche Bindungen anzubahnen – denken Sie an Partnerbörsen. Wer dann aber dort bleibt und keinen Fuß auf den Boden einer analogen Beziehung bekommt, bleibt im Grunde einsam und wird am Ende krank, ich habe solche Fälle in meiner Praxis gesehen. Wir sprachen vom Sog digitaler Angebote. Werden Anwendungen mit generativer Künstlicher Intelligenz diese Sogwirkung noch erhöhen? Maschinen mit Künstlicher Intelligenz können dem Menschen in vielen Bereichen als Assistenten dienen, das taten sie schon bevor Chat-GPT auf den Markt kam, ohne dass dies damals an die große Glocke gehängt wurde. Das betrifft auch die Medizin, wo uns KI helfen kann, große Datenmengen nach Mustern zu durchsuchen und bisher unerkannte Zusammenhänge aufzudecken. Bereits jetzt erfolgreich eingesetzt wird KI zum Beispiel in der Röntgendiagnostik oder bei der Befundung von krebsverdächtigen Auffälligkeiten der Haut. Eine Sogwirkung – um zu Ihrer Frage zu kommen – kann von sprechenden KIs, also von Chatbots ausgehen, die nicht nur banale Unterhaltungen, sondern auch Arzt- oder Psychotherapie- Gespräche führen können. Diese KIs sind so gut, dass Nutzer heute nicht mehr unterscheiden können, ob sie es mit einem Menschen oder mit einer KI zu tun haben. Sehen Sie da eher die Vor- oder Nachteile? Ich sehe zwei Seiten: Einerseits können sie Menschen in Akutsituationen eine vielleicht hilfreiche oder überbrückende Auskunft geben. Andererseits sind viele dieser Angebote nicht ausreichend qualitätsgesichert. Wo keine persönliche Untersuchung des Patienten stattgefunden hat, können medizinische Auskünfte irreführend, zumindest nur vorläufig sein. Ein weiteres Problem: Wer trägt die Verantwortung, wenn KIs Diagnosen stellen und Therapien vorschlagen? Und schließlich bleibt das Thema Abhängigkeit. Bereits jetzt gibt es viele Nutzer, die mit einem Chatbot eine Dauerbeziehung eingegangen sind, als Ersatz für eine echte zwischenmenschliche Beziehung.
Digitale Produkte sind nichts Schlechtes, sie können uns assistieren. Damit wir sie – und nicht sie uns – beherrschen, müssen wir Regulierungen installieren, die sicherstellen, dass der Mensch die Kontrolle behält.Wie kann es gelingen, in digitalen Welten in Social Media oder im Gaming die Kontrolle zu behalten? Welche Skills benötigt die Gesellschaft dafür – und welche Skills müssen wir jungen Menschen vermitteln? Wir müssen die von Konzernen und Teilen der Medien betriebene Einschüchterung beenden, deren Ziel es ist, dass wir Menschen uns gegenüber den digitalen Systemen, insbesondere gegenüber KI minderwertig fühlen sollen. Digitale Produkte sind nichts Schlechtes, sie können uns assistieren. Damit wir sie – und nicht sie uns – beherrschen, müssen wir Regulierungen installieren, die sicherstellen, dass der Mensch die Kontrolle behält. Wir Menschen müssen wieder an uns glauben. Wir sind verletzliche, sterbliche Wesen, aber nur wir sind wirklich lebendig, nur wir können wirklich fühlen und lieben. Maschinen mit KI können nur simulieren, sie hätten Gefühle, sie haben sie aber nicht. Bei welchem digitalen Spiel sind Sie schon einmal schwach geworden? Bedingt durch meine Vorträge fahre ich oft Zug und sehe Menschen jeden Alters – überwiegend männlichen Geschlechts – alle Arten von Games spielen. Bei der Recherche für mein Buch „Realitätsverlust“ habe ich außerdem stundenlang neben Gamern gesessen und zugeschaut. Ob Sie es glauben oder nicht: Keines der Spiele hat mich gereizt. Stattdessen habe ich mich gewundert und mich gefragt, wie enttäuscht man vom realen Leben sein muss, um stundenlang auf einen Bildschirm zu starren oder auf einem Controller herumzuhacken, während draußen die Sonne scheint.
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„Realitätsverlust“
In seinem für den NDR-Sachbuchpreis nominierten Buch „Realitätsverlust: Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen und die Menschlichkeit bedrohen“ beschreibt Joachim Bauer, warum reale Begegnungen, zwischenmenschliche Resonanz und analoge Präsenz für die Entwicklung des menschlichen Selbst, für unsere Gesundheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt unverzichtbar sind. So wird sein Buch zu einem Plädoyer für ein „neues Zeitalter der Aufklärung, für ein Aufbegehren gegen digitale Unmündigkeit“. Joachim Bauer: Realitätsverlust. Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen und die Menschlichkeit bedrohen. Heyne 2023. 22 Euro.
Franziska Rubin studierte Medizin in Köln, absolvierte diverse Moderatorencoachings und nahm Schauspiel- und Gesangsunterricht. Heute ist sie bekannt aus Funk und Fernsehen und durch ihre vielen Bücher, die sie zu medizinischen Themen veröffentlicht hat. Ihr jüngstes Werk heißt „Magic Midlife. Wie die zweite Halbzeit zur besten Ihres Lebens wird“. Sie ist Verfechterin einer integrativen Medizin. Die Fragen stellte Christiane Martin.
Wo liegen für Sie die Grenzen der Schulmedizin? Unsere Hochschulmedizin hat gerade für akute Krisensituationen und schwere Erkrankungen segensreiche Antworten. Manchmal ist es aber so, als ob man mit Kanonen auf Spatzen schießt. Und unsere Art zu heilen bleibt immer eine Reparatur- Medizin. Wir als Ärzte geben oder tun etwas, um etwas wieder hinzubiegen, dass der Patient oft selbst verursacht hat. Wir nehmen ihn damit auch ein Stück aus der Verantwortung. Und was begeistert sie an der integrativen Medizin? Die bessere Medizin ist für mich die Mischung aus Hochschulmedizin (oder konventioneller Medizin) und komplementären Verfahren, allen voran unsere europäische Naturheilkunde. Die wenigsten wissen, wie viel gute Studien, evidenzbasiert, teilweise doppelblind, es mittlerweile zur Naturheilkunde und auch anderen komplementären Verfahren gibt. Damit stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit eigentlich nicht mehr. Die Kunst besteht meines Erachtens darin, zu wissen, wann ich welches Verfahren anwende. Der Vorteil vieler naturheilkundlicher Verfahren ist, dass sie den Körper anregen, sich selbst zu heilen und dass sie den Patienten Mechanismen/Wissen an die Hand geben, sich anders zu verhalten und damit zur eigenen Besserung und Gesundheit beizutragen. Was tun Sie persönlich, um sich fit zu halten? Für mich trifft das Sprichwort zu: Steter Tropfen höhlt den Stein. In meinem Studium habe ich mich noch weitestgehend von Apfelsaft und Lakritze ernährt. Danach durfte ich in meiner Sendung „Hauptsache gesund“ jede Woche Professoren und Expertinnen aus den unterschiedlichen Bereichen begrüßen und habe viel von ihnen gelernt. Wie man sich krank machen kann, aber auch gesund erhält. Ohne dass ich es wirklich gemerkt habe, habe ich nach und nach unglaublich viel in meinem Leben verändert. Und ich kann sagen, es geht mir damit blendend.Welche Gesundheitstipps können Sie für den Alltag geben? In den Alltag gehören für mich alle fünf Säulen der Naturheilkunde: Also, zum Beispiel kann man jeden Tag mit einem Müsli mit unglaublich viel Ballaststoffen viel für seinen Darm tun, plus einem Apfel gegen zu hohes Cholesterin, ein paar Granatapfel-Kernen für die Gefäße oder mit einem Rote-Bete-Saft oder Hibiskus-Tee statt Kaffee beginnen, wenn man hohen Blutdruck hat. Für mich gehören die kalten Güsse (zumindest von Armen. Beinen und Gesicht) nach der warmen Dusche zum Alltag, weil dies nachweislich das Immunsystem pusht. Ich bin nur selten krank. Der tägliche Spaziergang mit dem Hund sowie ein kurzer Power-Nap sorgen dafür, dass ich in der Ruhe bleibe, auch an stressigen Tagen. Und manchmal greife ich in die Schatzkiste der Pflanzenheilkunde, Baldrian zum Schlafen, Salbei gegen Schwitzen oder Ashwaganda, um bessere Nerven zu haben. Was können Sie speziell jungen Ärztinnen und Ärzten mit auf den Weg geben, die am Anfang Ihrer beruflichen Laufbahn stehen? Ich glaube, es lohnt sich, sich für Naturheilkunde und komplementäre Verfahren zu öffnen, weil man als Arzt dann einfach mehr Handwerkszeug zur Verfügung hat. Außerdem sind naturheilkundlich interessierte Patienten motivierter mitzuarbeiten. Und ganz wichtig: Körper, Geist und Psyche hängen zusammen und alles beeinflusst einander. Es ist gut, daran zu denken. Weil selten ein Teil auf Dauer heilt, wenn man die andern nicht beachtetDr. med. Franzsika Rubin: Magic Midlife. Knaur 2024. 20 Euro. www.franziska-rubin.de