Prof. Dr. Annelie Keil kennt das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Als hoch dekorierte Wissenschaftlerin hat sie sich in Männerdomänen behauptet und durch ihre eigene Krankheitsgeschichte erfahren, welche überraschenden Wendungen das Leben bereithalten kann. Ambitionierten Frauen rät sie, bis in die Kindheit zurückzublicken und ein Entwederoder-Denken zu vermeiden. Das Interview führte André Boße.
Zur Person
Prof. Dr. Annelie Keil, geboren 1939, studierte in Hamburg Soziologie und Politikwissenschaft. 1968 promovierte sie, arbeitete zunächst als akademische Rätin in Göttingen und wurde 1971 an die neu gegründete Uni Bremen berufen, wo sie eine Professur für Sozial- und Gesundheitswissenschaften antrat. Nach schweren Erkrankungen fokussierte sich die spätere Dekanin auf den Bereich Gesundheitswissenschaft und Krankenforschung in Biografie und Lebenswelt. Annelie Keil ist Autorin diverser Bücher und war Expertin in der NDR-Fernsehsendung „Gesundheitswerkstatt“. Sie engagiert sich in der Hospiz-Bewegung und erhielt 2004 das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihre ehrenamtliche Arbeit in den Bereichen Bildung, Jugend und Gesundheit. www.anneliekeil.de
Ein Lehr- und Lernfilm über Annelie Keil Geht doch! Wie wir werden, wer wir sind und nicht bleiben. Biografische Antworten auf Fragen des Lebens. Ein Film von Heide Nullmeyer und Ronald Wedekind, Oktober 2013. Filmlänge: 66 Minuten. 16 Euro. Die DVD kann bestellt werden unter www.anneliekeil.de/dvd.Sie waren zeitweise unter zwölf Dekanen an der Uni die einzige Frau. Wie haben Sie das empfunden? Na ja, das ambivalente Bild, das männliche Kollegen von einer intellektuellen Karrierefrau haben, trat auch mir entgegen. Das ist kein grundsätzlich diffamierendes Bild, aber das Grundgefühl in vielen Unternehmen oder auch Universitäten ist schon sehr häufig: „Jetzt führt mich eine Frau – das könnte ich als Mann doch viel besser.“ Eine Frau, die in einer Männerdomäne führt, muss über zwei Dinge nachdenken: Erstens, welches Problem die Männer mit ihr als weiblicher Führungskraft haben könnten. Zweitens, wie sehr ist der Erfolg eines Projekts davon abhängig, dass das Team an einem Strang zieht und sich darüber unter ihrer Leitung auch austauschen kann. Und hier haben Frauen einen Vorteil. In welcher Hinsicht? Sie sind aus ihren eigenen Erfahrungen heraus häufig besser in der Lage zu erkennen, dass derjenige im Team, der zu Beginn eines Prozesses nicht gleich für sie und ihre Ideen und Pläne ist, nicht ihr persönlicher Gegner oder Konkurrent um die Führung sein muss. Dass sie ihn überzeugen können und müssen, damit Führung auch durch Kooperation und Austausch gelingen kann. Männer verfolgen eher die Strategie: „Wer mir bedingungslos folgt, hat schon gewonnen.“ Frauen sind, wenn sie es denn wollen, grundsätzlich eher in der Lage, im Verlauf der Führung immer wieder innezuhalten, um zu überprüfen: Wie erfahren und erleben mich die anderen? Welche innere Stimme führt mich selbst? Was tun, wenn es zu einer Niederlage kommt, die Karriere einen Bruch erlebt? Das ist ein wichtiger Punkt, denn dass Karriere und die Weiterentwicklung des Führungsanspruchs ein linearer Weg sind, ist Ausdruck eines männlichen Denkprinzips, das auch viele Frauen praktizieren: Auf A folgt B, auf B folgt C. Richtig oder falsch, gut oder böse. Ein Entweder-oder-Denken, streng nach Plan. Die Lebensrealität zeigt uns jedoch: Das stimmt so nicht. Wir leben auf brüchigem Boden, und auf dem müssen wir Land gewinnen. Das gelingt nur, indem wir anerkennen, dass das Leben unberechenbar ist und sich immer über Unvorhergesehenes mit Fragen ins Spiel bringt. Ein wichtiger Bruch für viele Frauen, die Karriere machen möchten, ist die Gründung einer Familie. Wie bringt man das in Einklang? Ein konfliktfreier Einklang ist nicht möglich, denn der berufliche Werdegang und die Familie besitzen unterschiedliche Rhythmen und Herausforderungen. Wer sich beide Ziele setzt, also Karriere und Familie, der muss damit rechnen, dass diese zwei Rhythmen fortan das Leben bestimmen – und dass sie logischerweise einiges durcheinanderbringen werden. Trotz aller schönen Angebote zur Work-Life- Balance in den Unternehmen ist es ein Trugschluss, davon auszugehen, Karriere und Familie gleichzeitig vollständig gerecht zu werden. Frauen, die beides kombinieren, fahren immer zweigleisig. Die Züge rasen zwar nicht aufeinander zu – aber doch mit einem anderen Tempo und häufig genug in verschiedene Richtungen. Frauen, und letztlich auch Männer, stehen daher vor der schweren, aber lösbaren Aufgabe, sich immer wieder neu die Frage zu stellen: Was will ich wirklich? Was will mein Partner, was will mein Unternehmen? Was fällt leichter, als ich dachte, was ist schwerer, als ich es mir vorstellen konnte? Nur so kann ein Mensch Fehler korrigieren, vermeiden oder wenigstens nicht permanent wiederholen.




Können alle Fragen mit einem Ja beantwortet werden, gibt es viele Möglichkeiten, seinen Weg bis hin zur Partnerschaft zu gestalten:
Bis zum Zweiten Staatsexamen
Die Zeit zwischen den beiden juristischen Staatsexamen bietet zahlreiche Gelegenheiten herauszufinden, was einen interessiert oder interessieren könnte. Generell gilt es, soviel wie möglich auszuprobieren und Kontakte zu knüpfen. Die Spezialisierung aus dem Studium sollte der angehende Jurist dabei gleichwohl nicht überbewerten. So sinnvoll eine Spezialisierung ist: Viele Rechtsgebiete, die sehr gute Karrieremöglichkeiten bieten, kommen im Studium kaum vor. Es gibt wohl keine juristische Spezialisierung aus der Zeit der universitären Ausbildung, deren Spezialkenntnisse sich nicht auch durch die ersten sechs Monate „on the job“ erreichen ließen. Ein Wechsel der fachlichen Ausrichtung ist daher bei guten Gründen ohne Weiteres möglich. Bei der Wahl von Jobs, Referendariatsstationen und Praktika sollte man seinen persönlichen Vorlieben Raum geben: Wer in seiner Freizeit fußballbegeistert ist, sollte ein Praktikum beim juristischen Dienst des Fußballverbandes machen. Wer eine Weltreise machen möchte, sollte sich überlegen, ob er nicht ein Praktikum bei einem Rechtsanwalt in Singapur oder Neuseeland einschiebt.
Promotion oder LL.M.? Für den Beginn der Tätigkeit in einer Großkanzlei ist eine Promotion und/oder ein Mastertitel sinnvoll, zum Teil sind diese Qualifikationen sogar Voraussetzung. Wer seine Promotion möglichst frühzeitig in Angriff nimmt, belastet seine spätere berufliche Karriere nicht mehr damit. Promotionsbegleitend bietet sich eine Nebentätigkeit in einer Kanzlei an: Die Unabhängigkeit vom Unibetrieb ist größer, und gleichzeitig gewinnt man interessante Einblicke in die Tätigkeit der Anwaltskanzlei. Diese praktischen Einflüsse können auch die Dissertation bereichern.
Vom Junior Associate zum Partner
Auch die folgenden Jahre gilt es strategisch anzugehen. Welche Anforderungen stellt die Kanzlei an einen Partnerkandidaten? Hilfreich ist in diesem Zusammenhang, sich zu fragen, was man selbst von demjenigen verlangen würde, mit dem man wirtschaftlich sein Schicksal teilt. Schnell ist dann klar, dass wirtschaftlicher Erfolg unbedingt dazu zählt, aber nicht alles ist. Persönliche Integrität und ein überzeugender unternehmerischer Ansatz („Business Case“) sind ebenfalls notwendig. Die Kunst, Karriere in einer Großkanzlei zu machen, besteht darin, neben den verlangten „Billable Hours“ das eigene unternehmerische Profil nicht aus den Augen zu verlieren und sich stets kritisch zu fragen, ob man die richtigen Antworten auf Fragen geben kann, die einem spätestens bei der Partnerentscheidung gestellt werden: Warum sollten Mandanten ausgerechnet mich beauftragen? Wie grenze ich mein Geschäftsmodell von denjenigen der bereits vorhandenen Partnerinnen und Partner in der Kanzlei ab? Warum glaube ich, mit meinem Geschäftsmodell dauerhaft wirtschaftlich erfolgreich tätig sein zu können? Wer für sich eine überzeugende Antwort auf diese Fragen geben kann, hat sehr gute Chancen und eine erfolgreiche Karriere in einer Großkanzlei vor sich.
