Herausforderung Digitalisierung

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In Deutschland ist viel von der Digitalisierung des Rechtssystems die Rede. Doch noch hinkt man anderen Ländern hinterher. Was getan werden sollte, damit dieser Rückstand verkleinert wird, zeigt eine in diesem Jahr veröffentliche Studie. Von Christoph Berger

Wenn es um eine digitalisierte Justiz geht, dann ist Singapur derzeit wohl das Maß, an dem es sich zu messen gilt. Zumindest legt das die im Juni 2022 von der Boston Consulting Group, der Bucerius Law School und des Legal Tech Verbands Deutschland veröffentlichte Studie „The Future of Digital Justice“ nahe. Demnach verfügt der südostasiatische Insel- und Stadtstaat über ein einheitliches und lückenloses Online-Fallverwaltungssystem für alle Gerichtsbarkeiten und Beteiligten. Parteien, Anwält*innen, Behörden, Richter*innen und Sachverständige nutzen laut der Studie eine gemeinsame Plattform, auf der sie in Echtzeit miteinander kommunizieren und arbeiten können. Für Anwältinnen und Anwälte bedeutet das, dass sie jederzeit auf ihre Akten zugreifen, Termine für Anhörungen festlegen und an virtuellen Anhörungen teilnehmen können. „Singapur ist ganz klar der Vorreiter in puncto Digitalisierung der Justiz. Eine gemeinsame Plattform für alle Beteiligten eines Gerichtsverfahrens sollte auch das Ziel für Deutschland sein, damit unsere vielen rechtsstaatlichen Errungenschaften auch bei den Rechtsuchenden ankommen“, wird Dirk Hartung, Executive Director bei der Bucerius Law School und Co-Autor der Studie, in einer zur Studie veröffentlichten Mitteilung zitiert.

Auch eine dem Fortschritt entgegenstehende Mentalität sowie die Angst vor persönlichen Nachteilen bei den Beteiligten seien für den nur zögerlich fortschreitenden Digitalisierungsgrad mitverantwortlich.

Doch noch hinkt man hierzulande den digitalisierten Justizsystemen anderer Nationen – neben Singapur gehören zu den führenden Ländern diesbezüglich auch Kanada, Großbritannien und Österreich – noch deutlich hinterher. Um den Anschluss zu halten, müsse Deutschlands Politik die Strategie im Hinblick auf die Digitalisierung neu ordnen und Tempo aufnehmen. Statt der Entwicklung von Insellösungen brauche es eine systematische Digitalisierung. Nur auf diesem Weg lasse sich die Effizienz und Akzeptanz des Rechtssystems massiv erhöhen. Die partielle Überlastung würde so überwunden und der Zugang zum Recht deutlich verbessert. Doch noch seien hierzulande die eingesetzten technischen Lösungen vergleichsweise wenig vertreten, veraltet und nicht ausreichend nutzerorientiert. Zudem würden sie in den einzelnen Bundesländern, Gerichten und Fachgerichtsbarkeiten uneinheitlich umgesetzt. Doch nicht nur die unzureichende Hardware- und Soft ware-Infrastruktur werden als zu überwindende Hürden aufgezählt. Auch eine dem Fortschritt entgegenstehende Mentalität sowie die Angst vor persönlichen Nachteilen bei den Beteiligten seien für den nur zögerlich fortschreitenden Digitalisierungsgrad mitverantwortlich.

Linktipps

Civil Resolution Tribunal“ in Kanada

Studie „The Future of Digital Justice“ (PDF-Download)

Ganz abgesehen vom bisher zur Verfügung gestellten Budget. „Die Digitalisierung der Justiz hinkt hinter den führenden Ländern hinterher, während die Überlastung der Gerichte, der Kostendruck und die bevorstehende Pensionierungswelle – über 25 Prozent aller Richter* innen werden bis 2030 in den Ruhestand gehen – den Druck zur Modernisierung und Digitalisierung der Gerichte erhöhen“, sagt Dr. Christian Veith, Senior Advisor bei BCG und Co-Autor der Studie.

Systematische Digitalisierung

Das Angst vor eventuellen Nachteilen und föderale Strukturen der Digitalisierung der Justiz nicht entgegenstehen müssen, zeigen in der Studie aufgeführte Beispiele. So hätten sich beispielsweise in Großbritannien anfängliche Bedenken im Hinblick auf eine mögliche Überwachung einzelner Richter*innen und ein zusätzlicher Aufwand durch die Datenerfassung nicht bestätigt. Vielmehr habe die Einführung eines digitalen Fallmanagementsystems inklusive der Erfassung von Leistungsdaten der Gerichte zu einem besseren Verständnis der Bedürfnisse aller Beteiligten sowie zu einer Effizienzsteigerung in der Verwaltung geführt und inzwischen sogar die durchschnittliche Verfahrensdauer verkürzt.

Im Hinblick auf den Föderalismus in Deutschland, der nicht selten als Hindernis für Reformen angeführt wird, erklärt Dr. Philipp Plog, Vorstandsvorsitzender des Legal Tech Verbands Deutschland und Co-Autor der Studie: „Dass eine umfassende Reform auch und gerade in föderalen Systemen gelingen kann, zeigt die Studie anhand eines Projekts in Kanada besonders gut.“ Demnach könne der Föderalismus die Digitalisierung sogar fördern, weil länderspezifische Besonderheiten von Anfang an berücksichtigt werden könnten, führt Plog weiter aus. Das „Civil Resolution Tribunal“ in British Columbia sei möglicherweise das fortschrittlichste Online-Gericht der Welt. Während des gesamten Verfahrens würden alle Interaktionen mit dem Gericht und seinen Systemen vollständig digital erfolgen; das Gericht habe insgesamt fast 20.000 Streitfälle mit einer sehr hohen Nutzerzufriedenheit abgeschlossen – nahezu 85 Prozent, einschließlich der unterlegenen Parteien, würden es weiterempfehlen.

Das Ziel sollte eine führende Rolle sein

In ihrem Fazit stellen die Studienautor* innen fest, dass ein klares Bekenntnis zur Nutzerorientierung, einschließlich moderner Software und Prozessentwicklung sowie die Einführung von Datenanalysen zu den beschriebenen Vorteilen geführt habe. Es sei erkannt worden, dass nicht alleine die Kostenperspektive im Fokus der Bewertung gestanden habe, sondern dass die systemische Digitalisierung vielmehr ein Hebel sei, um die Leistungsfähigkeit der Justiz für Verbraucher*innen und Unternehmen zu erhöhen. Darüber hinaus wurde der Privatsektor stark eingebunden, um von dessen Know-how und Umsetzungsstärke zu lernen. Deutschland müsse sich daher das Ziel setzen, eine führende Rolle im Bereich der digitalen Justiz zu übernehmen. Inklusive der entsprechenden Haushaltsmittel von Seiten der Politik, einer Neukonzipierung der Beschaffungsverfahren sowie der Einbeziehung des Privatsektors. Dirk Hartung sagt: „Wenn Deutschland seine derzeitige Digitalisierungsstrategie fortsetzt, werden wir womöglich die nächsten Jahre mit der Digitalisierung bestehender Gerichtsverfahren und der Verbesserung bestehender Lösungen verbringen. Damit sorgen wir aber weder für einen besseren Zugang zum Recht, noch steigern wir die Effizienz oder setzen neue Technologien sinnvoll ein. Weitermachen wie bisher ist daher keine gute Option.“

Cover The Law of global Digitality

Buchtipp

Matthias C. Kettemann, Alexander Peukert, Indra Spiecker gen. Döhmann (Hrsg.): The Law of Global Digitality.
Das Buch gibt es in einer Open Access Content-Version.

Gesetze über digitale Dienste und Märkte

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Mit zwei neuen Gesetzen, dem „Gesetz über digitale Dienste“ (DSA) sowie dem „Gesetz über digitale Märkte“ (DMA), will die Europäische Union (EU) bei der Wirkung der Technologiebranche auf Gesellschaft und Wirtschaft ansetzen, es sollen klare Normen für Geschäftstätigkeit und Dienstleistungen von Technologieunternehmen festgelegt werden, die mit den Grundrechten und Werten der EU im Einklang stehen. Von Christoph Berger

Die Kernaussage der beiden Gesetze kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Was außerhalb des Internets verboten ist, sollte auch im Internet verboten sein. So verpflichtet das „Gesetz über digitale Dienste“ Anbieter digitaler Dienste wie soziale Medien oder Marktplätze unter anderem dazu, neue Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Online-Inhalte zu entwickeln und eine schnelle Reaktionszeit zu garantieren, die Rückverfolgbarkeit von Händlern auf Online-Marktplätzen zu gewährleisten und diese stärker zu kontrollieren, mehr Transparenz und Rechenschaftspflichten der Plattformen zu schaffen sowie irreführende Praktiken und bestimmte Arten gezielter Werbung zu verbieten.

Online-Plattformen und Suchmaschinen mit mehr als 45 Millionen Nutzer*innen müssen außerdem Systemrisiken eindämmen. Dazu gehören die Verbreitung illegaler Inhalte und nachteilige Auswirkungen auf die Grundrechte, Wahlprozesse, geschlechtsspezifische Gewalt oder psychische Gesundheit. Außerdem müssen sie sich von unabhängiger Seite prüfen lassen. Die Plattformen müssen ferner dafür sorgen, dass Nutzer* innen Empfehlungen ablehnen können, die auf der Erstellung von Profilen beruhen. Schließlich müssen sie Behörden und zugelassenen Forscher* innen Zugang zu ihren Daten und Algorithmen gewähren.

Mit dem Gesetz über digitale Märkte werden Vorschriften für Plattformen eingeführt, die im digitalen Sektor als „Torwächter“, sogenannte Gatekeeper, fungieren. Diese Plattformen haben erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt, dienen als wichtiges Zugangstor, über das gewerbliche Nutzer ihre Endnutzer erreichen, und nehmen – derzeit und wahrscheinlich auch künftig – eine gefestigte und dauerhafte Position ein, heißt es von Seiten der Europäischen Kommission. Dadurch könnten sie so mächtig werden, dass sie als private Akteure selbst die Regeln bestimmen und als unumgängliches Zugangstor zwischen Unternehmen und Endnutzern funktionieren könnten. Das „Gesetz für digitale Märkte“ soll verhindern, dass solche Torwächter den Unternehmen und Endnutzern unfaire Bedingungen aufzwingen, und die Offenheit wichtiger digitaler Märkte gewährleisten.

Mit den beiden Gesetzen sind eine ganze Reihe von Neuregelungen verbunden, die Einfluss auf die Bereiche eCommerce, Kartellrecht, Urheberrecht, Datenschutz und AGB haben. Außerdem gilt es, sich nun mit den neuen Spielregeln des DSA auseinanderzusetzen, um sich sorgfältig auf diese vorzubereiten. Dafür bleibt nicht mehr lange Zeit: Nachdem am 5. Juli 2022 das Europäische Parlament den beiden Gesetzen zustimmte, muss nun nur noch der Rat der Europäischen Union formell zustimmen. Wenn der endgültige Text verabschiedet wird, werden beide Verordnungen nach kurzer Übergangsfrist unmittelbar in allen EUStaaten gelten. Diese treten vermutlich im Herbst dieses Jahres in Kraft.

Eintauchen

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Nachweispflichten im Arbeitsverhältnis

Bereits vor mehr als zwei Jahren, am 31. Juli 2019, trat die europäische Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union in Kraft, die bis zum 31. Juli 2022 in nationales Recht umzusetzen war. Ziel dieser Richtlinie ist es im Kern, eine „transparentere und vorhersehbarere Beschäftigung“ zu fördern und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes zu gewährleisten. Der Bundestag hat am 23. Juni 2022 ein Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152 in nationales Recht beschlossen, das bereits zum 1. August 2022 in Kraft trat. Von der Beschlussfassung ist vor allem das in der Praxis bislang nicht besonders relevante Nachweisgesetz betroffen. Für die Gestaltung von Arbeitsverträgen hat dies weitreichende Folgen, zumal ein Verstoß gegen das Nachweisgesetz zukünftig sogar eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit darstellt. Weitere Infos: www.noerr.com

Neue Fassung des Deutschen Corporate Governance Kodex

Am 27. Juni 2022 trat der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) in seiner neuesten Fassung in Kraft. Der neue Kodex enthält aktualisierte Grundsätze und erweiterte Empfehlungen für Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen. Nach der jüngsten Reform wird im Kodex ein besonderes Gewicht auf die nachhaltige Unternehmensführung gelegt. Der Vorstand soll die mit den Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Chancen und Risiken für das Unternehmen sowie die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten und in der Unternehmensstrategie und -planung auch ökologische und soziale Ziele berücksichtigen.

Bayern mit bundesweit erstem Digitalgesetz

Der Bayerische Landtag hat am 20. Juli 2022 das Bayerische Digitalgesetz beschlossen, bundesweit das erste seiner Art. Es gliedert sich in drei wesentliche Kernpunkte: Erstens werden in ihm die allgemeinen Ziele und Grundsätze für der Digitalisierung im Freistaat Bayern festgelegt, an denen sich zukünftig die staatlichen Bemühungen orientieren werden. Zweitens sind in ihm die Digitalrechte von Bürgerinnen und Bürgern sowie von den Unternehmen im Freistaat verankert. Dazu gehört beispielsweise der Anspruch auf die Nutzung von digitalen Diensten im Austausch mit Behörden. Und schließlich hilft es den Kommunen durch ein neues Kompetenzzentrum (Anstalt des öffentlichen Rechts) dabei, ihren Bürgerinnen und Bürgern nutzerfreundliche und unkomplizierte digitale Serviceleistungen anzubieten.

Mehr Anwältinnen, aber die Anwaltschaft schrumpft

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Es ist eine Entwicklung seit 2017, die sich aktuell fortsetzt: Die Anwaltszahlen gehen zurück. Steigende Zahlen werden jedoch bei Anwältinnen sowie den Fachanwältinnen und Fachanwälten verzeichnet. Mit einer klaren Präferenz für eine Fachanwaltschaft. Von Christoph Berger

Die Zahl scheint kaum erwähnenswert, und doch ist sie die Fortsetzung eines schon vor fünf Jahren begonnen Trends. Seitdem gehen die Anwaltszahlen in Deutschland zurück. So auch zum letzten Stichtag am 1. Januar 2022. Die 28 Rechtsanwaltskammern in Deutschland verzeichneten zu diesem Datum im Vergleich zum Vorjahr sieben Mitglieder weniger, genau 167.085. Das entspricht einem Rückgang von gerade mal 0,004 Prozent, eine Zahl im Promillebereich. Auch die Anzahl der zugelassenen Rechtsanwält*innen hat um 0,06 Prozent abgenommen und wurde zum Jahresstart mit 165.587 angegeben. So die Zahlen der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Was sich wie Peanuts anhört, wird vom Soldan Institut in einer Langzeitbeobachtung jedoch als Schrumpfungsprozess bezeichnet, der längst nicht mehr nur einer Stagnation gleichzusetzen sei.

Der Frauenanteil ist in allen Zulassungsarten weiter angestiegen, liegt bei den Syndizi jedoch noch einmal deutlich höher als bei den Einzelzulassungen.

Dementsprechend werde es nach Angaben des Instituts auch immer schwieriger, passenden Nachwuchs zu finden. Wobei nun die Gründe für den Rückgang zu untersuchen seien. Auf dem Deutschen Anwaltstag hieß es, dass sich viele Studierende für Studiengänge mit einer wirtschaftsrechtlichen Ausrichtung entscheiden würden. Allerdings würden diese Bachelor- und Masterstudiengänge nicht zum Referendariat befähigen. Ebenso nicht zu einem Anwaltsberuf. Sodass vor diesem Hintergrund nun klar zu kommunizieren sei, dass das Aufgabenfeld von Wirtschaftsanwälten inzwischen sehr breit gefächert sei und viele interessante Aspekte biete. Laut den Zahlen der BRAK haben sich auch die Einzelzulassungen als Rechtsanwältin und Rechtsanwalt sowie die Anzahl der Anwaltsnotare verringert.

Ein Zuwachs wurde hingegen bei den Rechtsanwältinnen festgestellt. Waren im Vorjahr noch 59.466 Rechtsanwältinnen zugelassen, ein Anteil von 35,9 Prozent, sind es 2022 schon 60.057 (36,27%). Überhaupt: Der Frauenanteil ist in allen Zulassungsarten weiter angestiegen, liegt bei den Syndizi jedoch noch einmal deutlich höher als bei den Einzelzulassungen (34,42 %). 44,96 Prozent der doppelt Zugelassenen und sogar 57,7 Prozent der reinen Syndikusrechtsanwälte sind weiblich. Auch die Zahl der Fachanwältinnen und Fachanwälte ist abermals gestiegen. Hier liegt der Frauenanteil bei 32,1 Prozent. Beliebtester Fachanwaltstitel: Arbeitsrecht, gefolgt vom Familienrecht.

Aufgestiegen zur General Counsel

Im Januar 2022 schaffte das sich auf dem Weg zu einem Industrieunternehmen befindliche Wasserstoff- Unternehmen Sunfire die Stelle einer General Counsel. Besetzt wurde sie mit Dr. Valesca Molinari, die seitdem den Rechts- und Compliancebereich aufbaut und verantwortet. Und für die sich mit der Übernahme der Stelle ein Kreis schließt. Von Christoph Berger

Wenn Dr. Valesca Molinari auf ihr bisheriges Berufsleben blickt, dann ist dies gespickt mit zahlreichen spannenden Stationen: Die promovierte Juristin schloss ihr Studium der Rechtswissenschaften mit den Schwerpunkten Handels- und Gesellschaftsrecht an der Universität Bayreuth mit einer wirtschaftswissenschaftlichen Zusatzausbildung ab, sie absolvierte ein Praktikum bei einem Private Equity Fonds, war Mitgründerin und Gesellschafterin eines Start-ups, später wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Privates Bau- und Immobilienrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort schrieb sie auch ihre Dissertation bevor sie als Rechtsanwältin im Bereich Corporate/M&A bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Baker McKenzie in Frankfurt am Main einstieg.

„Ich beriet für die Kanzlei Industrieunternehmen bei Transaktionen und Gesellschaftsrecht“, sagt sie. In dieser Zeit begann sich außerdem ein Wandel der Rechtsbranche anzukündigen: Legal Tech kam langsam im Big Law an – vorerst noch in einer kleinen Bubble mit Meetups. Doch damals begann sich bereits abzuzeichnen, dass Agilität und Entrepreneurship durchaus auch für Großkanzleien interessant sein können. „Für mich war es spannend, diese Themen in einem kleinen Team voranzutreiben und größer zu machen“, erzählt sie. In der Kanzlei stieg sie so zum Co-Head of Innovation and Legal Tech auf, sie war Mitglied der dortigen globalen Coding Strategy-Arbeitsgruppe, initiierte ein Associate Innovation Incubator Programm und agierte als eine der Liaison-Personen des Legal Innovation Hubs ReInvent in Frankfurt. 2019 ging sie außerdem für Baker McKenzie für sechs Monate nach San Francisco, USA, und arbeitete dort im Rahmen eines Secondments beim „Centre for the Fourth Industrial Revolution“ des World Economic Forums mit. Ihr Fokus lag auf „Future Mobility“. Noch heute erinnert sie sich gerne an das dann folgende Erlebnis: „Das Highlight war schließlich, dass wir im Februar 2020 unsere Ergebnisse in Davos präsentieren konnten.“

Ein Growth-Unternehmen auf dem Weg zum Industriekonzern

Anfang 2022 fügten sich all diese Stationen und Erfahrungen zusammen, wie Valesca Molinari selbst sagt: Sie wurde General Counsel bei Sunfire, einem auf Anlagenbau im Segment des grünen Wasserstoffs spezialisierten Unternehmen. „Wir bauen Elektrolyseure“, erklärt sie. Dabei handelt es sich um Anlagen, in denen mit Einsatz elektrischen Stroms Wasserstoff erzeugt wird. Stammt der genutzte Strom aus erneuerbaren Energien, wird von grünem Wasserstoff gesprochen. Molinari sagt weiter: „2021 lernte ich Sunfire kennen. Ich nahm war, in welch spannender Phase sich das Unternehmen gerade befand: ein Growth-Unternehmen auf dem Weg zum Industriekonzern.“ Die Industriesparte war ihr aufgrund ihrer Beratungstätigkeit der letzten Jahre bei Baker McKenzie vertraut, die sich nun mit der Dynamik eines schnell wachsenden Unternehmens paarte. Nicht zu vergessen der Purpose: „Zugleich ist grüner Wasserstoff eine Antwort auf die drängendsten Fragen unserer Zeit, um den energieintensiven Industrien bei der Dekarbonisierung zu helfen.“

Ich habe die Schwerpunkte ja nicht gesetzt, weil ich wusste, dass ich General Counsel bei Sunfire werden möchte. Viele Aufgaben habe ich übernommen, weil sie interessant oder herausfordernd waren. Als das Angebot von Sunfire kam, dachte ich: Dies möchte ich machen. Natürlich war das nicht geplant.

Industrieerfahrung, gesellschaftsrechtliche Kompetenz sowie Erfahrungen in den Bereichen Tech und Prozesse, Legal Management und Legal Operations, dazu die Chance, in einem solchen Umfeld eine Rechtsabteilung aufzubauen und zu leiten: „Die Annahme der Stelle war damit direkt klar“, sagt Molinari. Und fügt an: „Ich habe die Schwerpunkte ja nicht gesetzt, weil ich wusste, dass ich General Counsel bei Sunfire werden möchte. Viele Aufgaben habe ich übernommen, weil sie interessant oder herausfordernd waren. Als das Angebot von Sunfire kam, dachte ich: Dies möchte ich machen. Natürlich war das nicht geplant.“

Bei Sunfire baut sie seit dem 1. Januar 2022 eine business- und prozessintegrierte Rechtsabteilung auf. Bedeutet: Es braucht rechtliche Lösungen, die nicht nur richtig, sondern auch praktikabel und pragmatisch sind. Dazu gehöre es, Risiken aufzuzeigen, bei Business-Entscheidungen zugleich aber auch, Risiken zu bewerten und Lösungswege aufzuzeigen, erklärt sie. Und wird konkreter: „Business-integriert bedeutet, das Geschäft zu verstehen. Der intensive Austausch und eine enge Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen, wie zum Beispiel Finance, Projektmanagement und Sales ist wichtig. So können wir in der Rechtsabteilung die Risiken besser bewerten und gemeinsam mit den Kolleg*innen die für Sunfire passenden Lösungen finden.“ Prozess-orientiert bedeutet für sie, dass das Recht sich eingliedert. Dazu sei es wichtig, eng am Business und Produkt zu sein. Legal wird damit zu einem maßgeblichen Stakeholder. Schnittstellenkompetenzen sind dabei ein entscheidender Vorteil, für ihre Position und das gesamte Team sogar ein Muss, wie sie betont.

Der Reiz des Mitgestaltens

Wirkte Molinari Anfang des Jahres noch allein, ist das Legal, Compliance und Contract-Management-Team inzwischen auf drei Personen gewachsen, bis Ende des Jahres sollen es vier sein. „Wir haben so viele Themenfelder, dass es eine der wichtigsten Aufgaben war, ein Team aufzubauen. Und ich bin stolz und glücklich, dass wir als Sunfire in diesem Jahr so tolle und erfahrene Kolleg* innen für die Rechtsabteilung gewinnen konnten“, so Molinari. Zudem sollten Prozesse automatisiert, Standards etabliert, mit Templates gearbeitet und Abstimmungsprozesse mit Tech-Lösungen vereinfacht werden. Alles sehr reizvolle Aufgaben: „Dadurch, dass wir die Abteilung aufbauen, können wir als Legal Team selbst gestalten.“

All die Herausforderungen und Gegebenheiten machen die General Counsel-Position für Valesca Molinari attraktiv: „Ich stehe zu 100 Prozent hinter dem Schritt, hierhergekommen zu sein. Die Aufgaben sind so unfassbar vielschichtig, die Entwicklung so schnell. Das macht die Position spannend – auch, weil ich Veränderungen und Dynamik mag.“

Pionierinnen

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Am 11. Juli 1922, also vor rund 100 Jahren, wurde das „Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege“ erlassen, am 23. November 1922 trat es in Kraft. Das geschah nicht von selbst, sondern ist von zahlreichen „Vorkämpferinnen“ initiiert und mit auf den Weg gebracht worden. In unserer Pionierinnen-Reihe stellen wir Frauen vor, die daran mitgearbeitet haben, mehr Gleichberechtigung in juristischen Berufen Realität werden zu lassen. Von Christoph Berger

Marie-Elisabeth Lüders (1878-1966) – Politikerin

Marie-Elisabeth Lüders wurde 1912 als erste Frau in Deutschland zum Dr. rer. pol. promoviert. Als eine der ersten beiden Frauen war sie 1909 mittels einer Sondergenehmigung an der Friedrich-Wilhelms-Universität für Nationalökonomie, Geschichte, Philosophie und Jura immatrikuliert worden. Sie war Mitglied der verfassunggebenden Nationalversammlung, des Reichstags und später des Deutschen Bundestags. Bereits 1909 gründete sie den „Verband für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau“. Die Gleichberechtigung der Frau war ihr immer ein großes Anliegen. Marie-Elisabeth Lüders wirkte maßgeblich am „Gesetz über die Zulassung von Frauen zu den Berufen und Ämtern der Rechtspflege“ mit.

Maria Otto (1892 – 1977) – Rechtsanwältin

1916 beendete Maria Otto ihr Studium an der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg, 1920 wurde sie dort promoviert. Zu Beginn des Jahres 1922 wurde sie zur Zweiten Juristischen Staatsprüfung zugelassen – allerdings unter Vorbehalt, da zu dem Zeitpunkt eine erfolgreiche Prüfung weder zur Berufung in ein Richteramt, noch die Anstellung in einem höheren Amt in der inneren Verwaltung oder des Finanzdienstes berechtigte. Das änderte sich im November 1922 mit in Kraft treten des „Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege“. Anfang Dezember 1922 wurde Maria Otto als erste Rechtsanwältin in Deutschland zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.

Podcast: „Justitias Töchter“

Sonderfolge 1: „100 Jahre Frauen in juristischen Berufen“ – Auftakt der Sonderreihe und Sonderfolge 2: „100 Jahre Frauen in juristischen Berufen“ – die ersten Juristinnen und ihr Weg in die juristischen Berufe

www.djb.de/veroeffentlichungen/podcast-justitias-toechter

Dr. Maria Johanna Hagemeyer (1896 – 1991) – Richterin

In Köln geboren, nahm Maria Hagemeyer nach dem Abitur im Jahr 1916 an der Universität Bonn das Studium der Rechtswissenschaften auf. Und dies, obwohl Frauen zu dieser Zeit zum Examen nicht zugelassen waren. Das war erst ab 1919 möglich. Nach Abschluss ihres Studiums wurde sie 1922 mit Bestnote an der Universität Bonn promoviert. Sowohl im Studium als auch im anschließenden Referendariat zeigte sie herausragende juristische Fähigkeiten und Leistungen. Nach dem Referendariat wurde sie zunächst als Assessorin im preußischen Ministerium für Justiz tätig. Im Jahr 1927 wurde sie dann als erste Frau in Preußen zur Amts- und Landgerichtsrätin in Bonn ernannt. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs und Entlastung durch den Haupt-Entnazifizierungsausschuss in Bonn wurde Frau Dr. Hagemeyer 1950 für drei Jahre als Referatsleiterin in das Bundesjustizministerium in Bonn abgeordnet. Am 1. Januar 1953 kehrte sie als Landgerichtsdirektorin an das Landgericht Bonn zurück und leitete dort bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand im Jahr 1958 eine Zivilkammer.

Maria Magdalene Schoch (1897 – 1987) – Wissenschaftlerin

Magdalene Schoch startete 1916 mit einem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Würzburg und promovierte dort 1920. Nach ihrer Promotion arbeitete sie als Assistentin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg. 1932 wurde sie zur ersten Privatdozentin der rechtswissenschaftlichen Fakultät mit einem einstimmigen Votum ernannt, sie war die erste Frau in Deutschland, die in den Rechtswissenschaften habilitierte. 1937 emigrierte sie wegen des NS-Regimes in die USA, wo sie erst eine Assistentinnen-Stelle an der Harvard University annahm und, nach Annahme der amerikanischen Staatsbürgerschaft, für das Office of Economic Welfare und in der Foreign Economic Administration arbeitete. Später stieg sie bis zur Abteilungsleiterin im US-Justizministerium auf.

Buchtipps

Cover Wiltraut Rupp von BrünneckFabian Michl:

Wiltraut Rupp-von Brünneck (1912–1977). Campus 2022, 39 Euro

Cover Marie MunkOda Cordes:

Marie Munk (1885–1978). Böhlau 2015, 12o Euro

Cover Frauen als Wegbereiter des RechtsOda Cordes:

Frauen als Wegbereiter des Rechts: Die ersten deutschen Juristinnen und ihre Reformforderungen in der Weimarer Republik. Diplomica 2012, 29,50 Euro

 

 

Schrift-Sätze: Kultur-, Buch- und Linktipps

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Digitalisierung und Arbeitsrecht

Cover Digitalisierung und ArbeitsrechtDer „Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht“ beinhaltet die wichtigsten Trends der digitalen Transformation im Personalbereich – praxiserprobte Formulare, Muster und Vertragsklauseln zu jedem Komplex inklusive. Insgesamt behandelt das Werk in 29 Kapiteln alle wichtigen Trends, die sich im Zuge der digitalen Transformation für den Personalbereich ergeben. Ausgangspunkt ist dabei jeweils ein Sachproblem, in der Regel eine Umsetzungsherausforderung der Personalabteilung, und keine Rechtsfrage. Dr. Detlef Grimm, Dr. Jonas Singraven: Digitalisierung und Arbeitsrecht. Otto Schmidt 2022, 99 Euro.

Kriminalroman: Viral. Blutrausch

Cover Viral. BlutrauschEine Mordserie erschüttert eine deutsche Großstadt. Leichen von jungen Frauen tauchen an unterschiedlichen Fundorten auf. Der Gerichtsmediziner macht eine grausige Feststellung: Den Frauen wurden mit chirurgischer Genauigkeit große Mengen Blut abgenommen. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Wer steckt hinter den Schneewittchen-Morden? Hauptkommissarin Christine Peterson fordert die Unterstützung der Privatermittler Janina Funke und Bastian Becker an. Doch die Spurensuche erweist sich als schleppend. Je länger die Mordermittlungen andauern, desto mehr Verschwörungsmärchen verbreiten sich im Netz. Nach und nach entwickeln sie sich zu einer ganz eigenen, echten Bedrohung. Mark Benecke: Viral. Blutrausch. Benevento 2022, 20 Euro.

Film: „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“

Szene aus "Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush", Foto: NDR / Pandora Film
Szene aus „Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush“, Foto: NDR / Pandora Film

Der Kampf um die Freilassung ihres Sohnes Murat aus dem Gefangenenlager Guantanamo katapultiert die türkische Hausfrau Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) aus ihrem Reihenhaus in Bremen-Hemelingen direkt in die Weltpolitik und schließlich vor den Supreme Court in Washington DC. An ihrer Seite steht dabei der Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer), mit dem sie gemeinsam gegen vermeintlich übermächtige Gegner streitet. Im Juni 2022 erhielt Regisseur Andreaas Dresen für die NDR Kino-Koproduktion „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ den „nationalen Friedenspreis des Deutschen Films – Die Brücke 2022“. Weitere Infos: https://rabiye.film

Entschlüsselt! Körpersprache & Mensch lesen wie ein Buch

Cover EntschlüsseltDie wahre Reaktion eines Menschen spiegelt sich nicht in seinen Worten wider. Ein leichtes Stirnrunzeln, das Meiden von Blickkontakt oder Streichen durch die Haare sind das wahre Spiegelbild unseres Inneren. Nonverbale Botschaften werden immer an unser Gegenüber gesendet, ob wir wollen oder nicht . Die Haltung, Gestik und Mimik spielen dabei eine Schlüsselrolle. Das, was wir unserem Gegenüber sagen und das, was wir mit unserer Mimik und Gestik vermitteln, ist oftmals ein unterschiedliches Paar Schuhe. Noch bevor wir das erste Wort mit einer Person gewechselt haben, konnten wir uns bereits ein Bild von ihr machen. Die Gangart, Körperhaltung und Kleidung bestimmen maßgeblich, wie wir auf Menschen wirken und welchen Eindruck wir hinterlassen. Johannes Lichtenberg: Entschlüsselt! Körpersprache & Menschen lesen wie ein Buch. KR Publishing 2021, 12,90 Euro.

Literarischer Kommentar: Das Grundgesetz

Cover Das GrundgesetzDas Grundgesetz ist gerade in Krisenzeiten die Grundlage jedes gesellschaftspolitischen Diskurses in Deutschland. Höchste Zeit also für einen Kommentar, der die Verfassung für unsere Zeit neu erklärt, anhand von Erzählungen und Erfahrungen, juristisch abwägend und gerne auch schräg von außen blickend. Das Ergebnis ist ein „Grundgesetz-Kommentar für alle“ voller überraschender Einblicke, treffender Geschichten und funkelnder Essays. Georg M. Oswald (Hrsg.): Das Grundgesetz, ein literarischer Kommentar. C.H.Beck 2022, 26 Euro

Roman: Wie alles begann und wer dabei umkam

Cover Wie alles begann und wer dabei umkamWo endet ein inselbegabter Jurastudent, der an den starren Regelwerken des Gesetzes verzweifelt und beschließt, das Recht selbst in die Hand zu nehmen? In einer Gefängniszelle! Was aber zwischendurch geschieht, ist so unglaublich und derart gnadenlos und witzig erzählt, dass einem die Luft wegbleibt. Bereits als Kind findet der Held dieses Romans zur Juristerei: Er bereitet ein Verfahren gegen seine Großmutter vor, den Drachen der Familie – und verurteilt sie im Wohnzimmer in Abwesenheit zum Tode. Berufung: nicht möglich. Dass ein Jurastudium im beschaulichen Freiburg einem solchen Charakter nicht gut bekommt, ahnt man schnell. Auch hier kann er die Finger nicht von den Gesetzen lassen, und nimmt das Recht in die eigene Hand. Simon Urban gehört zu den großen, mutigen Erzähltalenten seiner Generation. In seinem neuen Roman entfesselt er eine furiose Geschichte um einen Außenseiter, der zum dunklen Rächer wird. Und der zuvor auszieht, um sich auf einer weltweiten Recherchereise am Unrecht und Recht der Welt zu schulen. Simon Urban: Wie alles begann und wer dabei umkam. KiWi Taschenbuch 2022, 14 Euro.

Digitalisierung der Streitbeilegung

Cover Digitalisierung der StreitbeilegungGegenstand des Werkes ist die Entwicklung eines Gesamtkonzepts für die Digitalisierung der deutschen Streitbeilegungslandschaft, wobei die staatliche Ziviljustiz, die außergerichtliche Streitschlichtung und die Streitbeilegungsverfahren im Online-Handel betrachtet werden. Aus einer übergreifenden Perspektive wird untersucht, wie durch den Einsatz von technischen Instrumenten die Streitbeilegung in Deutschland moderner und wieder attraktiver werden könnte. Mit dem Einsatz von technischen Werkzeugen in den verschiedenen Verfahrensetappen einer jeden Streitbeilegung soll nicht nur der Zugang zur Streitbeilegung erleichtert und vereinfacht, sondern ebenso aufgezeigt werden, wie dadurch eine effektive, schnelle und ressourcenschonende Streitbeilegung geschaffen werden könnte. Dr. Tamara Deichsel: Digitalisierung der Streitbeilegung. Nomos 2022, 112 Euro.

Roman: Ein Sommer in Niendorf

Cover Ein Sommer in NiendorfDas neue Buch von Heinz Strunk erzählt eine Art norddeutsches „Tod in Venedig“, nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck. Ein bürgerlicher Held, ein Jurist und Schriftsteller namens Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf: Er will ein wichtiges Buch schreiben, eine Abrechnung mit seiner Familie. Am mit Bedacht gewählten Ort – im kleinbürgerlichen Ostseebad wird er seinesgleichen nicht so leicht über den Weg laufen – gerät aber bald in die Fänge eines trotz seiner penetranten Banalität dämonischen Geists: ein Strandkorbverleiher. Der Mann ist außerdem Besitzer des örtlichen Spirituosengeschäfts. Aus Befremden und Belästigtsein wird nach und nach Zufallsgemeinschaft und irgendwann Notwendigkeit. Als Dritte stößt die Freundin des Schnapshändlers hinzu, in jeder Hinsicht eine Nicht-Traumfrau – eigentlich. Und am Ende dieser Sommergeschichte ist Roth seiner alten Welt komplett abhandengekommen, ist er ein ganz anderer. Heinz Strunk: Ein Sommer in Niendorf. Rowohlt 2022, 22 Euro.

Das letzte Wort hat: Christian Solmecke, Rechtsanwalt, Buchautor, Unternehmer und Influencer

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Der auf die Beratung der Internet- und IT-Branche spezialisierte Rechtsanwalt und Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE hat ein Buch geschrieben: Der Taschenanwalt. Darin behandelt er die wichtigsten, interessantesten und kniffligsten Rechtsfragen, mit denen er im Laufe seiner Anwaltskarriere konfrontiert wurde. Die Fragen stellte Christoph Berger

Zur Person

Christian Solmecke (47) hat sich als Rechtsanwalt und Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE auf die Beratung der Internet- und IT-Branche spezialisiert. So hat er in den vergangenen Jahren den Bereich Internetrecht/E-Commerce der Kanzlei stetig ausgebaut und betreut zahlreiche Medienschaffende, Web 2.0 Plattformen und App-Entwickler. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ist Christian Solmecke vielfacher Buchautor und als Geschäftsführer der cloudbasierten Kanzleisoftware Legalvisio.de auch erfolgreicher Legal Tech-Unternehmer.

Herr Solmecke, was war die Motivation zum Schreiben Ihres Buchs „Der Taschenanwalt“: Wollten Sie Ihren Leser*innen aufzuzeigen, dass fast alle unsere Handlungen Rechtsfolgen haben können oder wollten Sie mal zeigen, wie kurios das Recht sein kann?
Es gab nicht die eine Motivation, dieses Buch zu schreiben, sondern viele. In meiner Praxis als Rechtsanwalt, YouTuber und Interviewpartner zu zahlreichen Rechtsthemen habe ich im Laufe der Jahre so ziemlich jeden Bereich des Lebens einmal rechtlich unter die Lupe genommen. Diesen Erfahrungsschatz an praktischem, aber auch kuriosem Wissen wollte ich nun endlich einmal mit meiner Leserschaft teilen und auf eine unterhaltsame und humorvolle Art und Weise vermitteln.

Da das Recht alle Lebensbereiche durchdringt: Ist unser Leben zu sehr reguliert oder haben all die Gesetze ihre Berechtigung?
Das kommt darauf an, sagt hier der Jurist. Natürlich brauchen wir Regeln, damit wir als Gesellschaft geordnet und sicher leben können. Das heißt aber nicht, dass nicht der eine oder andere Bereich unseres Lebens überreguliert ist und uns ein paar Gesetze und daraus resultierende Behördengänge und Formulare weniger auch guttun würden.

Was war der für Sie kniffligste Fall, den Sie in Ihrem Buch beschrieben haben?
Eine der kompliziertesten Rechtsfragen war auf jeden Fall, wann und wie Influencer ihre Beiträge als Werbung kennzeichnen müssen. Wir selbst haben viele Influencer gegen Abmahner vertreten. Die Gerichte haben hier sehr unterschiedlich entschieden, was bei unseren Mandanten für viel Unsicherheit gesorgt hat. Jetzt gibt es immerhin ein paar Urteile des Bundesgerichtshofs – die manches klarer, anderes aber unklarer gemacht haben. Die aktuelle Rechtslage habe ich in meinem Buch versucht, so einfach wie möglich zu skizzieren.

Wenn Sie die Rechtsprechung in Deutschland beobachten: Schütteln Sie dabei manchmal den Kopf mit den Gedanken „das kann doch nicht sein“ oder erschließen sich die Urteile am Ende für Sie dann doch immer?
Die rechtliche Argumentation eines Urteils kann ich letztlich schon immer als Jurist inhaltlich verstehen. Das bedeutet nicht, dass ich die Meinung des Gerichts auch vertrete. Von diesem inhaltlichen „Streit“ lebt die Juristerei aber gerade – im optimalen Fall gewinnt das beste Argument. Nicht umsonst sagt man ja immer „zwei Juristen, drei Meinungen“.

Gefühlt gibt es in letzter Zeit immer häufiger Rechtsanwält*innen, die als Autor*innen auftreten und in ihren Büchern die Meinung vertreten, dass vor dem Gesetz nicht alle gleich seien. Können Sie diese Einschätzung teilen?
In der Theorie arbeitet der EU- und der nationale Gesetzgeber daran, immer mehr Ungleichheiten zu beseitigen. Auch wenn das noch nicht vollends gelungen ist, so helfen neue Gesetze wie etwa das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hier durchaus. Brisanter sind eher gesellschaftliche Fragen wie: Haben alle Menschen den gleichen Zugang zum Recht? Oder menschliche, wie: Sind die Gerichte wirklich unvoreingenommen?

Cover Der Taschenanwalt

Buchtipp

Christian Solmecke, „Der Taschenanwalt“, Yes 2022, 14,99 Euro

Künstliche Intelligenz: Der denkende Mensch ist weiter gefragt

Wer bei der KI an eine Superintelligenz denkt, die das Beste aus Menschen und Maschine kombiniert, sollte sich auf eine Enttäuschung gefasst machen. Da könne man ja auch versuchen, Leitern miteinander zu verbinden, bis man den Mond erreicht, wie ein Informatikprofessor aus Princeton vergleicht. Statt auf eine moralischmenschliche KI zu bauen, sollten wir Systeme entwickeln, die Probleme, Chancen und Ungerechtigkeiten offenlegen. Die Dinge dann zum Besseren zu verändern? Ist und bleibt die Aufgabe des denkenden Menschen. Ein Essay von André Boße

Die US-Digitalexpertin und Autorin Frederike Kaltheuner hat eine Anthologie über die Künstliche Intelligenz geschrieben, die den für diese Zukunftstechnik wenig schmeichelhaften Titel „Fake AI“ trägt. Für das im Netz frei zugängliche Buch (zu finden unter: fakeaibook.com) haben diverse Autor*innen über die KI geschrieben. Zum Einstieg hat Frederike Kaltheuner den Informatik-Professor Arvind Narayanan interviewt, Hochschullehrer in Princeton, laut Ranking weltweit die elfwichtigste Hochschule im Bereich Computer Science. Wer hier lehrt, der beherrscht sein Fach. Im Interview sagt der Princeton-Professor einen bemerkenswerten Satz, im englischen Original lautet er: „Much of what is sold commercially today as ‘AI’ is what I call ‘snake oil’.“ Auf Deutsch: Vieles von dem, was heute unter dem Label KI verkauft werde, bezeichne er als „Schlangenöl“.

Gemeint ist öliges Zeug, das zur Zeit des Wilden Westens von vermeintlichen Wunderheilern bei ihren „Medicine Shows“ verscherbelt wurde, gekoppelt an das Versprechen, diese Tinkturen würden gegen diverse Leiden helfen.

Gemeint ist öliges Zeug, das zur Zeit des Wilden Westens von vermeintlichen Wunderheilern bei ihren „Medicine Shows“ verscherbelt wurde, gekoppelt an das Versprechen, diese Tinkturen würden gegen diverse Leiden helfen. Der Begriff hat es viele Jahre später von der Prärie in die Welt der Software geschafft: Als „snake oil“ werden IT-Produkte bezeichnet, die Bemerkenswertes versprechen, davon jedoch fast nichts halten, zum Beispiel in der Praxis nutzlose Antiviren-, Festplattenaufräum- oder Arbeitsspeicherverdoppelungsprogramme. Arvind Narayanan trifft also ein hartes Urteil über viele der Versprechen der KI, macht aber eine wichtige Differenzierung: „Some are not snake oil.“ Einige Künstliche Intelligenzen wirkten, andere nicht. Wo also liegt der Unterschied?

Superintelligenz? Schlangenöl!

Seine Kritik fokussiert Arvind Narayanan an eine „Artificial General Intelligence“ (AGI), eine Allgemeine Künstliche Intelligenz, die in der Lage sei, nahezu jede intellektuelle Aufgabe zu erlernen. Eine solche Superintelligenz würde also das Problembewusstsein eines Menschen mit der Rechengeschwindigkeit von Supercomputern kombinieren; sie arbeite damit nicht mehr aufgabenspezifisch, sondern generell. Umfragen zeigten, sagt Narayanan, dass viele Menschen glaubten, diese Form von AGI stehe kurz vor der Realisation – womit ein Wendepunkt der menschlichen Zivilisation kurz bevorstehe. „I don’t think that’s true at all“, hält Narayanan dagegen. Er beschreibt die Vorstellung, die aktuellen Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz könnten zu einer solchen „Artificial General Intelligence“ führen, mit dem Versuch, eine immer längere Leiter zu bauen, um damit den Mond zu erreichen. Kurz: die Vorstellung einer AGI sei „absurd.“

„Maschinen wie ich“

Cover Maschinen wie ichIan McEwan imaginiert in diesem kühnen Roman die Vergangenheit neu: In einer Welt, die ein wenig anders ist als die unsere, stellt ein Roboter ein junges Liebespaar vor ein gefährliches Dilemma. London, 1982: Großbritannien hat gerade den Falkland-Krieg verloren, und dank der Forschung von Alan Turing gibt es Anfang der achtziger Jahre schon Internet, Handys und selbstfahrende Autos – und die ersten täuschend echten künstlichen Menschen. Charlie, ein sympathischer Lebenskünstler Anfang 30, ist seit seiner Kindheit von Künstlicher Intelligenz fasziniert, Alan Turing ist sein Idol. Auch wenn es ihn ein kleines Vermögen kostet, kauft er sich sofort einen der ersten Androiden, die auf den Markt kommen. Charlie wünscht sich einen Freund, einen Helfer, einen interessanten Gesprächspartner. Er erhält viel mehr als das: einen Rivalen um die Liebe der schönen Miranda und eine moralische Herausforderung, die ihn bis zum Äußersten reizt. Ian McEwan: Maschinen wie ich. Diogenes 2019. ISBN 978-3-257-60958-5. 11,99 Euro.

Bei den Bereichen, in denen die Menschen laut Arvind Narayanan besonders anfällig für „Schlangenöl-KI“ seien, steche eines besonders hervor: das Recruiting. Dass man hier auf Künstliche Intelligenz hoffe, liege daran, dass die Not hier besonders groß sei – weil halt niemand vorhersagen könne, ob eine neu eingestellte Person tatsächlich im Job überzeugen werde oder nicht. Recruiting ist ein Spiel im Nebel – umso begieriger greife man zum „Snake Oil“, in der Hoffnung, dass die KI diesen Nebel lichten möge. Was sie natürlich nicht könne: Es gebe, sagt Arvind Narayanan im Interview im Buch „Fake AI“, mittlerweile eine Reihe wissenschaftlicher Studien, die gründlich der Frage nachgegangen seien, wie gut KI-Systeme darin sind, soziale Folgen von Entscheidungen abzuschätzen, zum Beispiel der, wen man für einen neuen Job einstellt und wen nicht. Das Ergebnis: „Die KI schneidet gerade so besser als der Zufall ab.“

Recruiting mithilfe von KI

Eine Meldung zu den Human Ressource-Trends für das Jahr 2022 des Talent-Lösungs-Anbieters Robert Half scheint dieser Ansicht zu widersprechen. KI werde „bei der Suche nach geeigneten Bewerber*innen eine unterstützende Rolle spielen“, wird Sven Hennige, Senior Managing Director Central Europe bei Robert Half, in einer Pressemeldung zu HR-Trends im Jahr 2022 zitiert. Basis der Analyse ist die Befragung von 300 Manager*innen mit Personalverantwortung in kleinen, mittelgroßen und großen deutschen Unternehmen. Dabei zeigen sich zwei Einsatzgebiete der Systeme: Zum einen setzen Personalabteilungen sie ein, um Termine für Bewerbungsgespräche zu koordinieren oder formale Anforderungen in den Unterlagen prüfen, um so den Kreis der Kandidat*innen zu definieren. Das sind alles Routinearbeiten im Vorfeld, hier übernimmt die Künstliche Intelligenz eine Reihe von Prozessen, die den Menschen viel Zeit kosten.

Magazin zu KI-Gestaltungen und -Erfahrungen

TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis“ nennt sich ein Open Access-Zeitschriftenprojekt des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Es erscheint beim Oekom-Verlag, der PDF-Zugriff ist gratis. Die Ausgabe 30, erschienen Ende 2021, widmet sich dem Thema „KI-Systeme gestalten und erfahren“ – ein Titel, der impliziert, dass es Menschen sind, die bei der Entwicklung der KI-Systeme die Gestaltungsrolle übernehmen. In ihren Texten betrachten die Autor*innen u.a. die juristischen oder demokratietheoretischen Rahmenbedingungen von KI sowie die Frage, wie sich solche Systeme in Hinblick auf Akzeptanz und Vertrauen mitarbeiterfreundlich implementieren lassen.

Der positive Effekt: Die HR-Spezialisten können sich auf ihre wahre Arbeit fokussieren. Kein „snake oil“, sondern echte Hilfe. Doch die Befragten nannten noch ein weiteres Einsatzfeld für die KI im Bereich des Recruiting: Sie könne auch dafür genutzt werden, auf Basis einer passenden Datenbasis zu entscheiden, ob jemand anhand der fachlichen Skills für den Job geeignet sei – und zwar unabhängig von den sonstigen Merkmalen dieser Person. „Die Entscheidung richtet sich dann zum Beispiel nicht danach, ob es sich bei dem Bewerber um einen Mann oder eine Frau handelt“, so Hennige in der Pressemeldung. Seine Schlussfolgerung: „KI soll Bewerbungsverfahren bestenfalls auch fairer machen. Denn: Menschen sind nicht immer vorurteilsfrei.“ Das stimmt. Der Haken an der Sache ist nur: Das stimmt dann aber auch für die Künstliche Intelligenz. Schließlich wird sie von den vorurteilsbehafteten Menschen gestaltet.

KI in der Industrie: Muster erkennen

Ein Blick in die industrielle Praxis zeigt, wo Künstliche Intelligenz aktuell in den großen deutschen Unternehmen zum Einsatz kommt. Siemens vermeldet in einem Pressetext, die KI gestalte die Produktion in der Industrie „effizienter, flexibler und zuverlässiger“. Konkrete Anwendungen seien „Spracherkennung zum Bearbeiten einfacher Aufträge, das Erfassen von Umgebungen mittels Kameras, Laser- oder Röntgenstrahlen bis hin zu virtuellen persönlichen Assistenten in der Logistik“, heißt es in der Meldung zu den industriellen Anwendungsfeldern der KI. Ihre Stärke spielten die Systeme dann aus, wenn es um die Analyse der digitalen Informationen gehe, die im Zuge der Industrie 4.0 anfielen: „In den Datenmengen einer Fabrik können mittels intelligenter Softwarelösungen Trends und Muster erkannt werden, die dabei helfen, effizienter oder energiesparender zu fertigen“, heißt es bei Siemens. „Mit steigender Vernetzung kann die KI-Software lernen, auch ‚zwischen den Zeilen‘ zu lesen. Dadurch lassen sich viele komplexe Zusammenhänge in Systemen aufdecken, die der Mensch noch nicht oder nicht mehr überblicken kann.“

Bosch stellt in einer Story auf der Konzernhomepage die KI-Perspektiven in seinen weltweit 240 Werken vor, in denen vernetzte Produktionssysteme im Einsatz sind. Hier entstehen „KI-basierte Regelkreise, die sich selbst regulieren oder optimieren und ganz nebenbei auch noch eine Liste möglicher Problemursachen bereitstellen“, heißt es. Die Vorteile sieht Bosch darin, dass diese Modelle in der Lage seien, „Fehler zu erkennen und zu vermeiden, die Menschen oder herkömmliche Systeme nur schwer wahrnehmen können.“ Die Künstliche Intelligenz werde den Unternehmen darüber hinaus ermöglichen, „ihre Produkte ohne aufwändigere Prozesse deutlich stärker zu individualisieren“ sowie dazu beizutragen, „Roboter in bisher undenkbaren Bereichen zu etablieren“, indem die KI hier dafür sorge, dass sich der Lernaufwand für Roboter reduziere, deren „Sehvermögen“ verbessere und ein „Transferlernen“ zwischen Robotern ermögliche.

Auf dem Weg zur nachhaltigen Lieferkette

Die Fallbeispiele aus der industriellen Praxis zeigen: Zum Einsatz kommt Künstliche Intelligenz in den Unternehmen vor allem dort, wo die Menge und Tiefe an Informationen das menschliche Gehirn komplett überfordert.

Bei Audi setzt man laut Pressmeldung aus dem Sommer 2021 darauf, KI-Methoden für einen besonders komplexen Bereich einzusetzen: den Einblick in die Lieferkette in der Automobilproduktion. Gerade diese Komplexität sorge dafür, dass es wichtig sei, „mögliche Risiken zu verstehen und Zusammenhänge frühzeitig herzustellen“, heißt es in der Pressemeldung. Im Herbst 2020 startete Audi ein Pilotprojekt: In weltweit rund 150 Ländern analysieren intelligente Algorithmen Nachrichten über Lieferant*innen aus online zugänglichen öffentlichen Medien und sozialen Netzwerken. „Geprüft werden Nachhaltigkeitskriterien wie Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverstöße und Korruption. Besteht der Verdacht auf potenzielle Nachhaltigkeitsverstöße, schlägt die Künstliche Intelligenz Alarm“, heißt es in der Pressemeldung. Entwickelt wurde die dafür eingesetzte KI vom österreichischen Start-up Prewave. „Machine Learning und automatisierte Sprachverarbeitung machen so möglich, was manuell ein Ding der Unmöglichkeit wäre: kontinuierliche Risikoabschätzungen über die gesamte Lieferkette hinweg, mit denen die Beschaffung dann proaktiv auf die Lieferant*innen zugehen kann“, wird Harald Nitschinger, CEO von Prewave, in der Audi-Pressemeldung zitiert.

Wie wirken sich KI-Technologien auf die Wissenschaften aus?

Dieser Frage widmet sich jetzt ein deutsch-österreichisches Forschungsteam. Die VolkswagenStiftung fördert das neue Projekt im Rahmen der Initiative „Künstliche Intelligenz“. Bislang hat keine interdisziplinäre und vergleichende Studie den Einsatz von maschinellen Lernverfahren in verschiedenen Wissenschaftsfeldern untersucht und dabei sowohl informatische, historische wie auch ethnographische Perspektiven berücksichtigt, so die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bonn, der Universität Wien und des Karlsruher Instituts für Technologie. Das Team analysiert konkrete „Fokus-Projekte“ in unterschiedlichen Disziplinen, die das Spektrum von Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften abdecken. Es soll untersucht werden, wie mit KI-Verfahren in unterschiedlichen Disziplinen geforscht wird. Die Forschenden haben dabei die Potenziale, aber auch die Grenzen, Risiken und Ambivalenzen von KI-basierten Methoden im Blick.

Die Fallbeispiele aus der industriellen Praxis zeigen: Zum Einsatz kommt Künstliche Intelligenz in den Unternehmen vor allem dort, wo die Menge und Tiefe an Informationen das menschliche Gehirn komplett überfordert. Welche dieser Daten relevant sind und welche nicht – diese Regeln gibt weiterhin der Mensch vor. Das muss er auch, denn eine KI weiß von sich aus nichts über Menschenrechte oder das Fehlverhalten der Korruption. Daraus folgen zwei Dinge: Erstens bleibt der Mensch das bestimmende Element, zweitens bringt er damit weiterhin seine moralischen Vorstellungen, aber auch Vorurteile ins Spiel. Darauf zu bauen, die KI könnte sich aus eigener Motivation heraus zu einer fairen, gerechten oder sogar moralischen Instanz entwickeln, ist der Glaube ans „snake oil“.

Menschen machen Maschinen

Was die KI-Systeme aber durchaus leisten können: Prozesse in Gang zu setzen, die den Menschen dabei helfen, unfaire und ungerechte Strukturen offensichtlich zu machen. Und zwar auch in einem Bereich wie dem Recruiting, wo die KI fehlende Diversity erkennbar machen kann. „Entscheidend ist dabei ein Verständnis der verschiedenen ‚Superkompetenzen‘ von Mensch und Maschine“, schreiben die Trendforscher*innen vom Zukunftsinstitut in ihrem „Trendausblick 2022“. „Computer sind unschlagbar im Rechnen und in der Mustererkennung, doch nur Menschen können denken, fühlen, Kontexte erfassen und kreativ schöpferisch sein.“ Die eigentliche Zukunftsbestimmung intelligenter Technologien werde deshalb darin bestehen, die Erschließung dieser genuin menschlichen Potenziale zu unterstützen. Kurz: Der Job der Künstlichen Intelligenz sollte es sein, dem denkenden Menschen Aufwind zu geben.

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karriereführer wirtschaftswissenschaften 2.2022 – Gewinn und Purpose vereinen

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Gewinn und Purpose vereinen

Die Zeiten, in denen es für Unternehmen nur darum ging, den Gewinn zu maximieren, sind vorbei. Gefragt ist ein nachhaltiger Wachstumskurs. Gewinn und Purpose werden zusammen gedacht – im Sinne der Kund*innen, der Mitarbeiter*innen und Investor*innen oder Anleger*innen. Dass die Welt mehr denn je VUKA (volatil, unsicher, komplex und ambigue/doppeldeutig) ist, macht die Sache nicht einfacher. Es ist Zeit, Wachstum neu zu definieren: als perfekten Mix aus Purpose, Klimaschutz, Resilienz und Zahlen.

Die VUKA-Welt zeigt, was in ihr steckt

Was tun, wenn kriegerische Konflikte, Pandemie und die Mammutaufgaben Digitalisierung und Klimaschutz die Unternehmenspläne auf den Kopf stellen? In dieser Situation ist strategische Beratung gefragt wie nie. Wobei die Mandanten im Krisenmodus überzeugt werden müssen, warum sich diese lohnt. Zeit für ein Consulting, das Wachstum neu definiert: als perfekten Mix aus Purpose, Klimaschutz, Resilienz und Zahlen. Ein Essay von André Boße

Was die Consulting-Branche auf Wachstumskurs bringt, sind komplexe Marktumfelder, die trotz ihrer Herausforderungen den Unternehmen eine Reihe von Perspektiven bieten, ihrerseits zu wachsen. In solchen ökonomischen Szenarien entwickeln die Mandanten nicht nur einen hohen Beratungsbedarf, sie sind zudem willens und in der Lage, in die Beratung zu investieren. Wovon wiederum Consultants profitieren, wenn sich die mit Hilfe der Beratung erzielten Erfolge als nachhaltig erweisen: Wachstum baut auf Wachstum auf – so lautet das Erfolgsrezept der Branche.

Aufholeffekt nach Pandemie gestartet

Ob ein solches positives Beratungs-Umfeld im Jahr 2022 gegeben ist? Niemand kann das sagen. Die Sache ist höchstkompliziert, die Unsicherheiten zahlreich. Was feststeht: Nach der Coronakrise mit ihren erheblichen Einbrüchen ist die „Consultingbranche im Geschäftsjahr 2021 wieder gut durchgestartet“, wie es in der Pressemeldung des Branchenreports „Facts & Figures zum Beratungsmarkt 2022“ des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberaters (BDU) heißt. Der Gesamtumsatz der beratenden Unternehmen stieg von 34,6 Milliarden Euro (2020) auf 38,1 Milliarden Euro; die Verluste des Corona-Pandemie-Jahres 2020 konnten dank eines „Nachhol-Effekts“ sowie eines „Marktwachstums von plus 10,3 Prozent aufgeholt werden“, wie es in der Mitteilung heißt. Zum Vergleich: Der Umsatz der gesamten deutschen Gastronomie-Branche in Deutschland war 2020 im Zuge der Pandemie auf knapp 45 Milliarden Euro gesunken. Was nun, im Ausklang der Pandemie, vielen Unternehmen und Beratungen gutgetan hätte, wäre eine Phase der relativen Ruhe. Doch die VUKA-Welt verhindert das – und zwar mit einer Wucht, die sich niemand hätte ausmalen können. Wenn man so will, beweist das VUKA-Prinzip gerade, welche Dynamik in ihm steckt.

VUKA, das steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, also für Doppeldeutigkeit. Diese vier Begriffe beschreiben sehr umfassend das, was der globalisierten Welt mit ihren Gesellschaften und Ökonomien gerade passiert.

VUKA-Welt zeigt, was in ihr steckt

VUKA, das steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, also für Doppeldeutigkeit. Diese vier Begriffe beschreiben sehr umfassend das, was der globalisierten Welt mit ihren Gesellschaften und Ökonomien gerade passiert. Selbst ohne „Sonderereignisse“ wie Pandemien oder dem russischen Angriffskrieg mit seinen entsetzlichen Folgen für die Menschen in der Ukraine würde das VUKA-Prinzip die globale Wirtschaft vor enorme Herausforderungen stellen. Diese zwei „Sonderereignisse“ potenzieren die Dynamik noch einmal, wobei wohl weitere solcher nicht vorhersehbaren Ereignisse folgen werden – darunter auch wieder welche, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können oder wollen. Das VUKA-Prinzip steht stellvertretend dafür, dass zu jeder Zeit etwas komplett Unvorhergesehenes geschehen kann – mit kaum fassbaren Auswirkungen auf Lieferketten, Auftragslagen, Businessbeziehungen, Geschäftsmodelle. Wobei es sich bei einem solchen Ereignis auch um ein Schiff handeln kann, dass quer im Suezkanal steckt und durch dieses Manöver den Puls des Welthandels für einige Wochen komplett aus dem Rhythmus bringt.

Strategische Beratung: ist gefragt, aber ein Investment

In der Theorie sorgen die Auswüchse des VUKA-Prinzips dafür, dass der Rat der Consultants mehr denn je gefragt ist. Die Unternehmen stehen heute vor der Aufgabe, sich für die Folgen dieser ungeahnten Dynamiken zu wappnen. Konkret: Für dramatisch steigende Energiekosten. Für Rohstoff- und Materialknappheit. Für wegbrechende Märkte. Für nicht mehr reibungslos funktionierende Lieferketten. Selbst das Szenario, dass für die Produktion in bestimmten Branchen die grundlegenden Dinge fehlen – nämlich Energie, Rohstoffe und Produkte der Zulieferer – ist nicht auszuschließen. Und das in einem Umfeld, in dem die digitale Transformation weiter an Bedeutung gewinnt sowie mit dem Klimaschutz eine Mammutaufgabe auf der Agenda steht, die danach verlangt, etablierte Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle komplett umzudenken. Was wäre in einem solchen Umfeld wichtiger als eine strategische Beratung? Ein Consulting, das den Unternehmen die Wendigkeit und Resilienz gibt, die nötig ist, um diese Situationen nicht nur zu meistern, sondern um an ihnen zu wachsen – und damit eine neue Art von resilientem Wachstum zu generieren?

Wer braucht Beratung?

Laut der aktuellen Studie „Managementberatung in Deutschland“ des Markt-Analyse- Unternehmens Lünendonk, erschienen Ende 2021, stammen die mit Abstand wichtigsten Kunden für Managementberatungsunternehmen aus zwei Branchen: der Automobilindustrie und den Banken. „Beide Branchen haben mit starkem Digitalisierungs-, Transformations- und Regulierungsdruck zu kämpfen“, heißt es in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Studie. Die Automobilbranche hat zudem besonders mit den Folgen des Krieges in der Ukraine zu tun. „Wir unterstützen ausdrücklich die Sanktionen der EU“, wird Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), in einem Statement zitiert. Betroffen davon seien aber auch die deutschen Unternehmen der Branche. „Wir erwarten empfindliche Effekte auf Liefer- und Logistikketten mit Rückwirkungen auf Fabriken in Deutschland und Europa aber auch andernorts. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Sanktionen nicht kurzfristig angelegt sind“, wird Müller zitiert. Zudem fällt für die Branche der Absatzmarkt Russland weg. Auch sei absehbar, dass es zu wwProblemen bei der Energieversorgung kommen werde.

Jedoch führt das VUKA-Prinzip eben auch dazu, dass für die Unternehmen Umsatzprognosen schwerer zu treffen und Investitions-Strategien schwerer zu entscheiden sind. Verschärft wird diese Unsicherheit noch dadurch, dass durch die Sanktionen im Zuge des Krieges in der Ukraine für nicht wenige Unternehmen der deutschen Wirtschaft Märkte und Lieferanten wegfallen. „Wir sehen im Moment, dass Kundenbranchen zum Teil schon sehr betroffen sind, beispielsweise Energieversorger, IT-Servicedienstleister, Holzproduzenten, Landwirtschaft oder Fahrzeugbau“, heißt es in der Pressemeldung zu der „Facts & Figures“-Studie des BDU. Und die Beratungsgesellschaft KPMG formuliert in einem Fachbeitrag auf der Unternehmenshomepage mit dem Titel „Orientierung und Empfehlungen für den Umgang mit dem Russland- Ukraine-Krieg“: „Unsere Kundenrückmeldungen zeigen, dass nahezu alle Unternehmen auf die ein oder andere Weise vom Ukraine-Krieg betroffen sind. Viele haben vor Kriegsbeginn direkt Waren mit Russland und der Ukraine ausgetauscht – oder über Lieferanten von dort bezogen. Entsprechend stark treiben die Unternehmen der Umsatzverlust mit Russland und die Preissteigerungen im Einkauf um. Übertroffen werden diese Herausforderungen noch vom komplexen Sanktions- Management.“

Ganzheitliche Beratung ist gewünscht

An dieser Stelle wird das „A“ von VUKA besonders deutlich, also die Ambiguität: Neue Absatzmärke zu erschließen oder alternative Lieferketten aufzubauen, ist im Grunde eine Kernkompetenz des strategischen Consultings, also der Königsdisziplin der Unternehmensberatung. Da durch die Realität der Sanktionen, Knappheiten und wegen der steigenden Preise den Unternehmen jedoch schon jetzt Umsätze entgehen, wird sich in naher Zukunft zeigen, ob sie als Mandanten bereit sind, in diese Beratungsleistungen zu investieren. Die Consultants stehen hier vor der Aufgabe, den Unternehmen klarzumachen, warum es sich gerade jetzt lohnt, auf Beratung zu setzen. Erhalten sie das Mandat, müssen sie wiederum rasch beweisen, dass das Consulting die gewinnbringenden Versprechen einhält. Nur, wer in der Beratung in dieser – gefühlt – „permanenten Sondersituation“ nicht nach Schema F vorgeht, sondern speziell mit den Kunden an Lösungen arbeitet, wird in diesem komplexen Umfeld erfolgreich sein.

Wie sich das Consulting in der VUKA-Welt positionieren muss? Ganzheitlich. Die BDU-Zahlen zeigen, dass 80 Prozent der befragten Führungskräfte in den Unternehmen der Aussage zustimmen, „dass das Profil eines erfolgreichen Consultants zukünftig ein Mix aus Digitalisierungsskills, Industriewissen und sozialen und kommunikativen Kompetenzen sein wird.“ Bleibt damit kein Platz mehr für Ethik und Nachhaltigkeit? Doch! „71 Prozent stimmen der Aussage stark zu, dass Bewerbende und eigene Mitarbeiter eine Erwartungshaltung in Bezug auf Haltung und verantwortlichem Handeln haben, denen Consulting-Unternehmen gerecht werden müssen“, heißt es im BDU-Papier. Sprich: Die Berater*innen müssen sich intensiv mit Purpose und Nachhaltigkeitsstrategien ihrer Mandanten beschäftigen.

Wandel im Miteinander

Die Beratungsgesellschaft Accenture spricht in diesem Zusammenhang von der „Nachhaltigkeits-DNA“ von Unternehmen, die diese dazu befähige, höhere Gewinne als ihre Wettbewerber zu erzielen und eine langfristige positive Ver-änderung bewirke, wie es in der deutschen Zusammenfassung der englischsprachigen Studie „Shaping the Sustainable Organizsation“ heißt, die Accenture Ende 2021 in Kollaboration mit dem Weltwirtschaftsforum erstellt hat. Im Kern geht es darum, die Nachhaltigkeit des Handelns nicht länger danach zu bewerten, ob oberflächlich die Erwartungen der Menschen, die für das Unternehmen tätig sind, erfüllt werden. Diese Erwartungen seien nämlich mittlerweile so stark gestiegen, dass „grundlegende Verhaltensänderungen notwendig sind“, wie es in der deutschen Fassung der Studie heißt. Zu diesem Wandel komme es, wenn es gelingt, „ihn im gesamten Unternehmen zu verankern“.

Perspektive Unternehmensberatung 2022

Das Handbuch „Perspektive Unternehmensberatung 2022: Case Studies, Branchenüberblick und Erfahrungsberichte zum Einstieg ins Consulting“ bietet dem Nachwuchs einen ersten Überblick über Themen und Fragen der Beratung. Das Buch beinhaltet eine Reihe von Case- Studies und widmet sich den Fragen: Welche Beratungsbereiche und Player gibt es? Mit welchen Einstiegsgehältern kann man rechnen? Was sollte man bei der Bewerbung beachten? Wie bereitet man sich am besten auf das Auswahlverfahren und die Case Studies vor? Das Buch ist sowohl in gedruckter Form als auch als E-Book erhältlich. Perspektive Unternehmensberatung 2022: Case Studies, Branchenüberblick und Erfahrungsberichte zum Einstieg ins Consulting. e-fellows.net 2021, 19,90 Euro

Erster Schritt auf diesem Weg: Ein Unternehmen muss gegen den Irrglauben ankämpfen, Gewinn und Purpose stünden im Widerspruch zueinander. Wobei immer mehr Unternehmen verstehen, „dass nachhaltiges Wirtschaften nicht im Widerspruch zu finanziellem Erfolg stehen muss und auch erst die Grundlage für ‚Purpose‘ bildet“, wie Alexander Holst, Managing Director Accenture Strategy, Sustainability, in der Zusammenfassung zitiert wird. „In der nächsten Dekade geht es daher nun darum, die selbst gesetzten Nachhaltigkeits- Ziele kraftvoll umzusetzen und auch – falls notwendig – nachzujustieren.“ Woran sich diese Nachhaltigkeits-DNA festmachen lässt? Accenture nennt in der englischen Original- Studie drei Kernaspekte: „Human connections“, also starke und auf gemeinsames Handeln basierende Beziehungen zu den Menschen, die zu einer Wertschätzung im gesamten Ökosystem des Unternehmens führen. „Collective intelligence“, also spezielle Entscheidungs-Mechanismen, die dafür sorgen, dass die Bedürfnisse, Wünsche und Stärken der Menschen zum Tragen kommen. „Accountability at all levels“, sprich eine ganzheitliche Verhaltensänderung auf allen Ebenen, die dazu führt, dass die kommende Generation an Führungskräften diesen Wandel bereits in ihrer Leadership- DNA hat.

Angebliche softe Themen retten harte Bilanz

Dieses Wissen ist die Grundlage dafür, dass sich die Mandanten erstens durch die Phasen der Unsicherheiten navigieren und zweitens einen Wachstumskurs finden, der nachhaltig ist. Gefragt ist eine Strategie, die die VUKA-Welt weder verdrängt noch zu bekämpfen versucht (was sowieso sinnlos wäre), sondern die diese Unsicherheiten einpreist und dennoch weiterhin auf Wachstum bauen kann – jedoch auf ein nachhaltiges Wachstum, das nicht allein auf Umsätze und Gewinne blickt (was in der VUKA-Welt für Enttäuschungen sorgen kann), sondern Aspekte wie Purpose, Klimabilanz und Resilienz genau so ernst nimmt. Diese früher als „soft“ bezeichneten Themen sind es, die ab morgen die „harten“ Bilanzen retten. Aufgabe der Consultants ist es, diesen Wandel zu vermitteln und den Unternehmen bei der Umsetzung zu helfen. Das klingt nach einer echten Herausforderung – und ist daher wie gemacht für eine junge Consultinggeneration, die Lust darauf hat, die neue Richtung einer nachhaltig wachsenden Unternehmenswelt in komplexen ökonomischen Umfeldern mitzubestimmen.

Survivalguide für unseren Planeten

Cover Earth for all1972 erschütterte ein Buch die Fortschrittsgläubigkeit der Welt: „Die Grenzen des Wachstums“. Der erste Bericht an den Club of Rome gilt seither als die einflussreichste Publikation zur drohenden Überlastung unseres Planeten. Zum 50-jährigen Jubiläum blicken renommierte Wissenschaftler*innen wie Jørgen Randers, Sandrine Dixson-Declève und Johan Rockström abermals in die Zukunft – und legen ein Genesungsprogramm für unsere krisengeschüttelte Welt vor. Um den trägen „Tanker Erde“ von seinem zerstörerischen Kurs abzubringen, verbinden sie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit innovativen Ideen für eine andere Wirtschaft. Der aktuelle Bericht an den Club of Rome liefert eine politische Gebrauchsanweisung für die wesentlichen Handlungsfelder, in denen mit vergleichbar kleinen Weichenstellungen große Veränderungen erreicht werden können. Club of Rome (Hrsg.): Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht an den Club of Rome, 50 Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“. Oekom 2022. 25,00 Euro.