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Herausforderung Digitalisierung

In Deutschland ist viel von der Digitalisierung des Rechtssystems die Rede. Doch noch hinkt man anderen Ländern hinterher. Was getan werden sollte, damit dieser Rückstand verkleinert wird, zeigt eine in diesem Jahr veröffentliche Studie. Von Christoph Berger

Wenn es um eine digitalisierte Justiz geht, dann ist Singapur derzeit wohl das Maß, an dem es sich zu messen gilt. Zumindest legt das die im Juni 2022 von der Boston Consulting Group, der Bucerius Law School und des Legal Tech Verbands Deutschland veröffentlichte Studie „The Future of Digital Justice“ nahe. Demnach verfügt der südostasiatische Insel- und Stadtstaat über ein einheitliches und lückenloses Online-Fallverwaltungssystem für alle Gerichtsbarkeiten und Beteiligten. Parteien, Anwält*innen, Behörden, Richter*innen und Sachverständige nutzen laut der Studie eine gemeinsame Plattform, auf der sie in Echtzeit miteinander kommunizieren und arbeiten können. Für Anwältinnen und Anwälte bedeutet das, dass sie jederzeit auf ihre Akten zugreifen, Termine für Anhörungen festlegen und an virtuellen Anhörungen teilnehmen können. „Singapur ist ganz klar der Vorreiter in puncto Digitalisierung der Justiz. Eine gemeinsame Plattform für alle Beteiligten eines Gerichtsverfahrens sollte auch das Ziel für Deutschland sein, damit unsere vielen rechtsstaatlichen Errungenschaften auch bei den Rechtsuchenden ankommen“, wird Dirk Hartung, Executive Director bei der Bucerius Law School und Co-Autor der Studie, in einer zur Studie veröffentlichten Mitteilung zitiert.

Auch eine dem Fortschritt entgegenstehende Mentalität sowie die Angst vor persönlichen Nachteilen bei den Beteiligten seien für den nur zögerlich fortschreitenden Digitalisierungsgrad mitverantwortlich.

Doch noch hinkt man hierzulande den digitalisierten Justizsystemen anderer Nationen – neben Singapur gehören zu den führenden Ländern diesbezüglich auch Kanada, Großbritannien und Österreich – noch deutlich hinterher. Um den Anschluss zu halten, müsse Deutschlands Politik die Strategie im Hinblick auf die Digitalisierung neu ordnen und Tempo aufnehmen. Statt der Entwicklung von Insellösungen brauche es eine systematische Digitalisierung. Nur auf diesem Weg lasse sich die Effizienz und Akzeptanz des Rechtssystems massiv erhöhen. Die partielle Überlastung würde so überwunden und der Zugang zum Recht deutlich verbessert. Doch noch seien hierzulande die eingesetzten technischen Lösungen vergleichsweise wenig vertreten, veraltet und nicht ausreichend nutzerorientiert. Zudem würden sie in den einzelnen Bundesländern, Gerichten und Fachgerichtsbarkeiten uneinheitlich umgesetzt. Doch nicht nur die unzureichende Hardware- und Soft ware-Infrastruktur werden als zu überwindende Hürden aufgezählt. Auch eine dem Fortschritt entgegenstehende Mentalität sowie die Angst vor persönlichen Nachteilen bei den Beteiligten seien für den nur zögerlich fortschreitenden Digitalisierungsgrad mitverantwortlich.

Linktipps

Civil Resolution Tribunal“ in Kanada

Studie „The Future of Digital Justice“ (PDF-Download)

Ganz abgesehen vom bisher zur Verfügung gestellten Budget. „Die Digitalisierung der Justiz hinkt hinter den führenden Ländern hinterher, während die Überlastung der Gerichte, der Kostendruck und die bevorstehende Pensionierungswelle – über 25 Prozent aller Richter* innen werden bis 2030 in den Ruhestand gehen – den Druck zur Modernisierung und Digitalisierung der Gerichte erhöhen“, sagt Dr. Christian Veith, Senior Advisor bei BCG und Co-Autor der Studie.

Systematische Digitalisierung

Das Angst vor eventuellen Nachteilen und föderale Strukturen der Digitalisierung der Justiz nicht entgegenstehen müssen, zeigen in der Studie aufgeführte Beispiele. So hätten sich beispielsweise in Großbritannien anfängliche Bedenken im Hinblick auf eine mögliche Überwachung einzelner Richter*innen und ein zusätzlicher Aufwand durch die Datenerfassung nicht bestätigt. Vielmehr habe die Einführung eines digitalen Fallmanagementsystems inklusive der Erfassung von Leistungsdaten der Gerichte zu einem besseren Verständnis der Bedürfnisse aller Beteiligten sowie zu einer Effizienzsteigerung in der Verwaltung geführt und inzwischen sogar die durchschnittliche Verfahrensdauer verkürzt.

Im Hinblick auf den Föderalismus in Deutschland, der nicht selten als Hindernis für Reformen angeführt wird, erklärt Dr. Philipp Plog, Vorstandsvorsitzender des Legal Tech Verbands Deutschland und Co-Autor der Studie: „Dass eine umfassende Reform auch und gerade in föderalen Systemen gelingen kann, zeigt die Studie anhand eines Projekts in Kanada besonders gut.“ Demnach könne der Föderalismus die Digitalisierung sogar fördern, weil länderspezifische Besonderheiten von Anfang an berücksichtigt werden könnten, führt Plog weiter aus. Das „Civil Resolution Tribunal“ in British Columbia sei möglicherweise das fortschrittlichste Online-Gericht der Welt. Während des gesamten Verfahrens würden alle Interaktionen mit dem Gericht und seinen Systemen vollständig digital erfolgen; das Gericht habe insgesamt fast 20.000 Streitfälle mit einer sehr hohen Nutzerzufriedenheit abgeschlossen – nahezu 85 Prozent, einschließlich der unterlegenen Parteien, würden es weiterempfehlen.

Das Ziel sollte eine führende Rolle sein

In ihrem Fazit stellen die Studienautor* innen fest, dass ein klares Bekenntnis zur Nutzerorientierung, einschließlich moderner Software und Prozessentwicklung sowie die Einführung von Datenanalysen zu den beschriebenen Vorteilen geführt habe. Es sei erkannt worden, dass nicht alleine die Kostenperspektive im Fokus der Bewertung gestanden habe, sondern dass die systemische Digitalisierung vielmehr ein Hebel sei, um die Leistungsfähigkeit der Justiz für Verbraucher*innen und Unternehmen zu erhöhen. Darüber hinaus wurde der Privatsektor stark eingebunden, um von dessen Know-how und Umsetzungsstärke zu lernen. Deutschland müsse sich daher das Ziel setzen, eine führende Rolle im Bereich der digitalen Justiz zu übernehmen. Inklusive der entsprechenden Haushaltsmittel von Seiten der Politik, einer Neukonzipierung der Beschaffungsverfahren sowie der Einbeziehung des Privatsektors. Dirk Hartung sagt: „Wenn Deutschland seine derzeitige Digitalisierungsstrategie fortsetzt, werden wir womöglich die nächsten Jahre mit der Digitalisierung bestehender Gerichtsverfahren und der Verbesserung bestehender Lösungen verbringen. Damit sorgen wir aber weder für einen besseren Zugang zum Recht, noch steigern wir die Effizienz oder setzen neue Technologien sinnvoll ein. Weitermachen wie bisher ist daher keine gute Option.“

Cover The Law of global Digitality

Buchtipp

Matthias C. Kettemann, Alexander Peukert, Indra Spiecker gen. Döhmann (Hrsg.): The Law of Global Digitality.
Das Buch gibt es in einer Open Access Content-Version.

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