Der Anwalt & Literat Georg M. Oswald im Interview

Georg M. Oswald, Foto: Peter von Felbert
Georg M. Oswald, Foto: Peter von Felbert

Georg M. Oswald arbeitet in einer Münchener Anwaltskanzlei zu den Schwerpunkten Familien- und Erbrecht. Wer gerne liest, kennt ihn dazu als Schriftsteller. Bekannt geworden ist er als Autor von Romanen über das Großwerden in Bayern oder die Problematik von Liebesbeziehungen. Im Buch „55 Gründe, Rechtsanwalt zu werden“ brachte er seine beiden Jobs zusammen. Im Interview erzählt Oswald, welche Gründe er im Zuge der Pandemie ergänzen würde und warum das Geschichtenerzählen eine juristische Kernkompetenz ist. Die Fragen stellte André Boße.

Zur Person

Georg M. Oswald, Jahrgang 1963, studierte Rechtswissenschaften an der Uni München. Eine erste Station als Anwalt trat er bei der Deutschen Bank an, seit 1994 ist er als Rechtsanwalt zugelassen. Ein Jahr später veröffentlichte er mit der Erzählungen-Sammlung „Das Loch“ sein literarisches Debüt, mit dem Roman „Alles, was zählt“ wurde er 2000 einem größeren Publikum bekannt. Von 2013 bis 2016 war er Leiter des Berlin Verlags, seit 2017 ist er wieder in München, wo er als Anwalt mit den Schwerpunkten Familien- und Erbrecht sowie allen Bereichen des Scheidungs-, Sorge- und Unterhaltsrechts tätig ist.

Herr Oswald, gibt es einen fiktiven Anwalt aus einer Fernsehserie oder einem Film, bei dem Sie gedacht haben: „Das ist endlich mal ein angenehmer Repräsentant meiner Berufsgruppe“?
Ich muss zugeben, in Filmen und Serien interessieren mich eher die unangenehmen Repräsentanten. Sie sind interessanter und, im Fall meines Lieblingscharakters, unterhaltsamer: Saul Goodman in „Breaking Bad“ und in „Better Call Saul“ ist da mein absoluter Favorit.

Warum sollten Juristen generell gute Geschichtenerzähler sein?
Juristen haben es immer mit Sachverhalten zu tun, die sie juristisch beurteilen müssen. Deshalb gehört es zu ihren wichtigsten Aufgaben, sie nachvollziehbar und überzeugend zu schildern. Guten Geschichtenerzählern hört man lieber zu als schlechten. Untechnisch gesprochen sind juristische Sachverhalte nichts anderes als Geschichten, die nach ganz bestimmten Regeln erzählt werden müssen. Je verständlicher, eleganter, überzeugender das geschieht, desto besser.

Die Digitalisierung ändert die Arbeit in vielen Kanzleien, die gegenwärtige Pandemie hat einigen Aspekten der Transformation neue Dynamik gegeben. Welche Chancen für den juristischen Beruf sehen Sie in der Digitalisierung?
Insbesondere in der Justiz wäre es wünschenswert, den Schriftverkehr mit den Gerichten zu digitalisieren. Er findet immer noch ausschließlich per Briefpost und Fax statt. Es wäre wirklich schön, wenn sich dies bald änderte.

Und welche Fehler sollten dabei unbedingt vermieden werden?
Die Transparenz für die Verfahrensbeteiligten darf nicht verloren gehen. Für Laien sind juristische Verfahren ohnehin oft schwer verständlich. Wenn sie dann noch das Gefühl hätten, mit ihren Anliegen in einem undurchdringlichen digitalen Wust zu landen, wäre das kontraproduktiv.

Heute denke ich, dass sich die Unabhängigkeit der Justiz auch in dieser Extremsituation behaupten konnte.

Wie beurteilen Sie die Rolle des Rechts und der Juristen im Zuge der Corona- Krise, das Heft in der Hand hatten ja eher die Politik, unterstützt von Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Medizin oder auch der Wirtschaft – hat das Recht sich hier selbstbewusst genug positioniert?
Meinem Eindruck nach schon. Zunächst waren es allerdings vor allem politische und medizinisch-virologische Fragen, die geklärt werden mussten. Es ging um die Einschätzung, wie groß die Gefährdungslage tatsächlich ist und welche Maßnahmen dagegen die richtigen sind. Es kam in der Folge zu massiven Grundrechtseinschränkungen. Ich war anfangs schon irritiert, denn für meinen Geschmack wurden diese Einschränkungen zu unkritisch hingenommen. Nach und nach wurde die verfassungsrechtliche Einordung des Geschehens dann ja auch juristisch diskutiert, und inzwischen kommt auch die Justiz mehr und mehr zum Zuge. Mittlerweile gibt es schon eine ganze Reihe auch höchstrichterlicher Rechtsprechung, welche die Corona-Maßnahmen einer differenzierten Überprüfung unterzieht. Heute denke ich, dass sich die Unabhängigkeit der Justiz auch in dieser Extremsituation behaupten konnte.

Wir sehen in vielen Ländern und nicht zuletzt in Deutschland eine gesellschaftliche Spaltung mit verschiedenen, sich unversöhnlich gegenüberstehenden Lagern. Was kann das Recht dazu beitragen, diese Spaltung zu überwinden – und stattdessen den Dialog zu fördern?
Das Recht kann den Raum definieren und schützen, in dem der gesellschaftliche Diskurs stattfinden darf und soll. Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang von einem „Meinungskampf“. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich unter konkurrierenden Meinungen am Ende die beste, überzeugendste durchsetzen werde. Deshalb ist das Phänomen, das Sie ansprechen, so Besorgnis erregend. Denn wenn keiner mehr dem anderen zuhört, wenn also Argumente nicht mehr ausgetauscht werden können, dann entfällt eine notwendige Grundbedingung der demokratischen Meinungs- und Willensbildung.

Als das Grundgesetz 1949 in Kraft trat, stand in Artikel 3 bereits „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Trotzdem durften damals in der Bundesrepublik Frauen ohne Zustimmung des Ehemannes noch nicht einmal ein Bankkonto eröffnen.

Angetrieben von Bewegungen wie #metoo oder #Blacklivesmatter werden verschiedene Bereiche der Gesellschaft nach Strukturen untersucht, die Sexismus, Rassismus, Diskriminierung fördern. Sollte sich das deutsche Rechtssystem auch einem solchen „Test“ unterziehen?
Ja, sicher. Mindestens ebenso wichtig wie die Überprüfung von Strukturen ist aber, dass die Bürger von ihren Rechten Gebrauch machen. Als das Grundgesetz 1949 in Kraft trat, stand in Artikel 3 bereits „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Trotzdem durften damals in der Bundesrepublik Frauen ohne Zustimmung des Ehemannes noch nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. Das heißt, auch Rechte, die man auf dem Papier schon hat, müssen in der Praxis oft erst erkämpft werden. Deshalb ist es wichtig, vorhandene Strukturen immer wieder einer Revision zu unterziehen und zu prüfen, ob sie dem aktuellen Diskussionsstand angemessen sind.

Sie haben in einem Buch 55 Gründe aufgezählt, Rechtsanwalt zu werden. Angenommen, der Verlag würde eine Neuauflage planen: Um welche Gründe würden Sie das Buch ergänzen?
Ein neuer Grund wäre es sicherlich, dass einem das juristische Handwerkszeug dabei helfen kann, die aktuellen Geschehnisse rund um die Pandemie richtig einzuordnen. Die Corona-Krise hat für große Verunsicherung in der Bevölkerung gesorgt, und es gibt nicht wenige, die plötzlich an allen Ecken dunkle Mächte am Werk sehen. Ich hingegen finde es erstaunlich positiv, wie schnell es der Justiz gelungen ist, mit den neuen Gegebenheiten umzugehen und ihre Rolle darin zu finden. Als Rechtsanwalt besitzt man die Möglichkeit, das mitzugestalten.

Abschließend, wer in einem Roman alles über den Kern der Arbeit eines Juristen erfahren möchte, der sollte welches Buch lesen?
Fjodor Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“, Franz Kafkas „Der Process“, Charles Dickens‘ „Bleak House“: Wer diese drei Romane liest, bekommt eine gute Vorstellung davon, worum es im Recht geht, um was und wie vor Gerichten gestritten wird, wie der Justizapparat arbeitet und wie sich die Menschen, die mit ihm in Berührung kommen, dabei fühlen.

Das sind alles bereits ältere Bücher… J
a, aber es macht gar nichts, dass diese Romane zwischen 100 und 150 Jahre alt sind: Die wesentlichen Fragestellungen, die sie behandeln, sind weitgehend unverändert geblieben.

Zur den Büchern

Oswalds aktueller Roman „Vorleben“, erschienen 2020, erzählt von der noch recht frischen Beziehung einer Journalistin mit einem Musiker, die auf die Probe gestellt wird, als die Protagonistin bei ihrer Recherche auf beunruhigende Informationen aus der Vergangenheit ihres Partners stößt. Wie sehr kann das „Vorleben“ die Gegenwart belasten? Zum Thema Recht hat Oswald neben „55 Gründe, Rechtsanwalt zu werden“ 2018 das Buch „Unsere Grundrechte. Welche wir haben, was sie bedeuten und wie wir sie schützen“ veröffentlicht.